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Rockhall IV - Kanton Bern

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Biel-Bienne<br />

Seevorstadt / Faubourg du<br />

Lac 99. Ehemalige Villa Léon<br />

Lévy («<strong>Rockhall</strong> <strong>IV</strong>»).<br />

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts liess<br />

ein Bieler Uhrenfabrikant seine Villa<br />

mit virtuosen Stuckaturen und Malereien<br />

ausstatten; heute erfreuen die<br />

heiteren Dekorationen zukünftige<br />

Autorinnen und Autoren.<br />

1694 bezog der fürstbischöfliche Beamte<br />

und Eisenhändler Johann Franz Thellung<br />

mit Frau und zwölf Kindern seinen vor der<br />

Altstadt neu erstellten Landsitz, der siebzig<br />

Jahre später den anglisierenden Namen<br />

«<strong>Rockhall</strong>» erhalten sollte. Nach dem frühen<br />

Tod des Erbauers wechselten die Eigentümer<br />

in rascher Folge, bis 1900 die Uhrenfabrikanten<br />

Vater und Söhne Lévy Haus<br />

Die Südfassade der Villa Léon Lévy im Baueingabeplan<br />

von 1900. Foto 1990 (GH).<br />

und Umschwung erwarben. Noch im gleichen<br />

Jahr reichten Moses und Léon Lévy, die<br />

Söhne, ein Baubewilligungsgesuch für zwei<br />

dem Altbau symmetrisch vorgelagerte<br />

Villen ein. Mit der Planung und Ausführung<br />

beauftragten sie Alfred Wyss, einen in der<br />

Region höchst erfolgreichen Architekten.<br />

1902 konnten die beiden Brüder ihre Villen<br />

beziehen, der Altbau diente dem Vater als<br />

Wohnsitz. 1961 erwarb der <strong>Kanton</strong> die<br />

gesamte Besitzung im Hinblick auf die Erweiterung<br />

der Ingenieurschule Biel. Glücklicherweise<br />

konnte der geplante Abbruch<br />

verhindert werden; der frühbarocke Hauptbau<br />

sowie die ehemalige Villa Moses Lévy<br />

wurden zwischen 1979 und 1984 renoviert<br />

und für die Nutzung durch die Architekturabteilung<br />

der Ingenieurschule umgebaut.<br />

1987 beschloss der Grosse Rat die Schaffung<br />

eines Nachdiplom-Studiengangs Umwelttechnik,<br />

der in der ehemaligen Villa von<br />

Léon Lévy untergebracht werden sollte.<br />

Die Villa Léon Lévy, auch «<strong>Rockhall</strong> <strong>IV</strong>» genannt,<br />

liegt im Westen des gut erhaltenen<br />

Parks von 1902 und ist von eleganter neubarocker<br />

Erscheinung. Der zeittypischen<br />

Material- und Formenvielfalt am Äusseren<br />

entspricht eine höchst anspruchsvolle<br />

Innenausstattung mit Schablonenmalereien,<br />

Stuckaturen, Täfer, Tapeten, Parkett, Keramikfliesen,<br />

Bunt- und Ätzverglasungen.<br />

Wände und Decken waren mehrfach überstrichen<br />

worden, zuletzt in den 1950er<br />

Jahren. Durch die undifferenzierte beige<br />

Farbschicht wirkten Täfer und Stuckaturen<br />

leblos. Bei den Besprechungen über die<br />

Umgestaltung der Villa zum Schulgebäude<br />

wünschte die Denkmalpflege, dass die<br />

Räume auf ihre ursprüngliche Fassung<br />

untersucht würden.<br />

Überraschendes trat zutage: Die Farbgebung<br />

von 1902 war von aussergewöhnlicher<br />

Raffinesse, die Stuckaturen zeigten<br />

höchste Qualität. Erkennbar wurde, dass<br />

die Gestaltung der aufeinander folgenden<br />

Räume einer Dramaturgie gehorchten:<br />

Die Ausstattung des Vestibüls entsprach<br />

mit den lebhaften Marmorierungen in der<br />

Sockelzone und den historistischen Friesen<br />

60 Denkmalpflege des <strong>Kanton</strong>s <strong>Bern</strong> 1979 – 2004 Berichte Gemeinden A – I


Biel-Bienne<br />

Die Jugendstil-Stuckatur im Salon. Foto 1989 (GH).<br />

der repräsentativen Formensprache der<br />

äusseren Erscheinung der Villa. Halle und<br />

Treppenhaus zeigten eine modernere<br />

Gestaltung mit dunkel lasiertem Holz,<br />

grünen Jugendstil-Prägetapeten und zarten<br />

Schablonenmalereien an den Wänden. Im<br />

Salon betrat man eine unbeschwert heitere<br />

Welt: Eine tänzerisch beschwingte Jugendstil-Stuckatur<br />

mit Bändern, Blättern und<br />

Blüten in feinsten Abstufungen von Rosa,<br />

Gelb und Zartgrün überzog die Decke.<br />

Die Wände hatten ursprünglich wohl eine<br />

dazu passende Tapete getragen, die aber<br />

1988 nicht mehr vorhanden war. Das Esszimmer<br />

zeigte wieder eine strenge, repräsentative<br />

Historismus-Ausstattung, die<br />

anschliessende Veranda dagegen grazile,<br />

locker gemalte Chinoiserien über einer<br />

fliesenartigen Schablonenmalerei. Die beiden<br />

grossen Schlafräume im ersten Obergeschoss<br />

waren beide mit feinen historistischen<br />

Stuckaturen und Malereien<br />

geschmückt, die sich aber farblich stark<br />

voneinander unterschieden: Das Eckzimmer<br />

war in kühlen, mit Gold kombinierten<br />

Graugrünabstufungen gehalten, das<br />

Mittelzimmer in warmen Ocker- und Rosatönen.<br />

Die Umgestaltung dieser anspruchsvollen<br />

Uhrenfabrikantenvilla in eine moderne Schule<br />

mit Messgeräten und Computern war nicht<br />

einfach. Es gelang, die Eingriffe in die Substanz<br />

auf ein absolutes Minimum zu beschränken,<br />

obwohl die Haustechnik gänzlich<br />

erneuert werden musste. Die Restaurierung<br />

der aussergewöhnlich qualitätvollen Dekorationen<br />

und Farbfassungen gaben der ehemaligen<br />

Villa ihren repräsentativen Anspruch<br />

und ihre Heiterkeit zurück. Eine komplette<br />

Freilegung war nicht überall möglich. Immerhin<br />

konnten dort, wo die Entfernung späterer<br />

Farbfassungen nicht gelang, genügend<br />

Anhaltspunkte für eine verlässliche Rekonstruktion<br />

gewonnen werden.<br />

Im Herbst 1989 begann in der ehemaligen<br />

Villa der erste Nachdiplom-Studiengang<br />

Umwelttechnik. Seit 2006 ist hier das<br />

Schweizerische Literaturinstitut zu Hause,<br />

das eine in der Schweiz einzigartige Ausbildung<br />

zum Autor und zur Autorin anbietet.<br />

Für eine schöpferische Arbeit bilden die<br />

schönen, sehr privat wirkenden Räume den<br />

passenden Rahmen. UM<br />

Gesamtrestaurierung und Umbau: 1988/89.<br />

Bauherrschaft: Baudirektion des <strong>Kanton</strong>s <strong>Bern</strong>.<br />

Architekt: Otto Suri, Nidau.<br />

Restauratoren: Hans-Jörg Gerber, Biel (Untersuchungsund<br />

Restaurierungsbericht); Roland von Gunten, Montet/<br />

Cudrefin; Walter Ochsner, Lugnorre; C. Reichenbach,<br />

Solothurn.<br />

Bauberatung: J.Sch.<br />

Literatur: Baudirektion des <strong>Kanton</strong>s <strong>Bern</strong>, Hochbauamt<br />

(Hg.). Ingenieurschule Biel. Renovation <strong>Rockhall</strong> <strong>IV</strong> 1988–<br />

1989. <strong>Bern</strong> 1991.<br />

Denkmalpflege des <strong>Kanton</strong>s <strong>Bern</strong> 1979 – 2004 Berichte Gemeinden A – I 61

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