Download - Institut für Tierökologie und Naturbildung
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Rudelbildung <strong>und</strong> Rudelgrößen weiblichen Rotwildes<br />
Rothirsche sind sozial in Rudeln lebende Tiere. Der Rudelbildung kommt neben der Feindvermeidung eine weitere<br />
entscheidende Funktion zu, nämlich der Weitergabe individueller Erfahrungen an die nachfolgende Generation. Die<br />
Lernfähigkeit des Rotwildes zusammen mit seinem hervorragenden Erinnerungsvermögen sind hier<strong>für</strong> entscheidende<br />
Voraussetzungen.<br />
Charakteristisch <strong>für</strong> die Lebensweise des Rotwildes ist, dass nicht nur die Mutterfamilienverbände ganzjährig Rudel<br />
bilden, sondern auch die Hirsche. Meist leben dabei beide Geschlechter räumlich voneinander getrennt.<br />
Das System der sozialen Organisation ist von wesentlicher Bedeutung <strong>für</strong> das Verständnis von Rudelbildung <strong>und</strong><br />
Rudelgrößen. Im Mittelpunkt der Rudelorganisation stehen die führenden Alttiere. Alttiere nutzen Streifgebiete,<br />
deren Kernzonen mit denen ihrer Muttertiere überlappen. Dadurch erwachsen innerhalb von Kahlwildrudeln stabile<br />
Verbindungen zwischen Muttertieren, Töchtern <strong>und</strong> Schwestern. Alttiere zeigen zeitlebends eine stabile Bindung an<br />
das mütterliche Streifgebiet. Im Rudel selbst gibt es eine altersbezogene Hierachie mit Leittierfunktionen, die jedoch<br />
weniger stabil erscheint als die Dominanzbeziehungen unter Hirschen. Offensichtliche Kriterien <strong>für</strong> die Dominanz<br />
unter Alttieren sind das Alter <strong>und</strong> das Führen eines Kalbes. Die Bindung zwischen den mütterlicherseits verwandten<br />
Alttieren ist in der Regel von lebenslanger Dauer.<br />
Populationsgröße, Bestandsdichte, Lebensraumstruktur, Nahrungsangebot <strong>und</strong> Jagdintensität beeinflussen wesentlich<br />
die Rudelgrößen weiblichen Rotwildes (Bützler 1986; Clutton-Brock et al. 1982; Reulecke 1988; Wagenknecht<br />
1990).<br />
Weibliches Rotwild kann bei höherer Wilddichte im Winter größere Zusammenschlüsse bilden, die mehrere Rudel<br />
umfassen können <strong>und</strong> hierbei vor allem durch Deckungsstruktur, Winterfütterung <strong>und</strong> Störungen in ihrer Größe <strong>und</strong><br />
ihrem Zusammenhalt beeinflusst werden (Dzielcilowski 1979; Drechsler 1991; Reulecke 1988; Schmidt 1991).<br />
Spätestens zur Vegetationsphase der Buschwindröschenblüte trennen sich die Fraßgesellschaften nach Familienverbänden<br />
<strong>und</strong> die einzelnen Rudel kehren in ihre Sommerstreifgebiete zurück. Mitte Mai beginnen sich die hochtragenden<br />
Weibchen aus diesen Verbänden abzusondern. Spätestens 10 Tage nach der Geburt des Kalbes kehrt das Muttertier<br />
mit seinem Kalb zum Verband zurück, sodass sich die Mutterfamilienverbände im Juli aus Alttier, Kalb <strong>und</strong> Vorjahreskalb<br />
zusammensetzen, sofern das Vorjahreskalb noch am Leben ist. Die Rudelgröße im Sommer wird jetzt sowohl von<br />
der Lebensraumstruktur als auch von der Jagd beeinflusst (Dzielcilowski 1979; Jedrzewski et al. 1992; Jeppesen 1987).<br />
In offen strukturierten Lebensräumen liegt die Kopfzahl weiblicher Verbände höher als in geschlossenen Waldlebensräumen.<br />
So sind in Buchenwaldgebieten nordhessischer Mittelgebirge in der Mehrzahl weibliche Verbände mit<br />
bis zu drei Alttieren zu beobachten (Simon et al. 1997). In offen strukturierten Lebensräumen wie etwa in den schottischen<br />
Hochlagen oder im Hochgebirge dagegen können sich Weibchenrudel mit 20 oder mehr Alttieren längerfristig<br />
zusammenschließen (Bützler 1986; Blanckenhorn & Buchli 1979; Clutton-Brock et al. 1982; Clutton-Brock et al. 1989;<br />
Jeppesen 1987; Krug 2001; Mitchell et al. 1977; Schmidt 1991).<br />
In Waldbiotopen konzentriert sich die soziale Organisation der Weibchenverbände im Sommer meist auf ein bis<br />
drei Alttiere mit ihrem Nachwuchs, wie verschiedene Verhaltensstudien am Rothirsch zeigen konnten (Dzielcilowski<br />
1979; Drechsler 1992; Simon et al. 1997). Dzielcilowski (1979) analysierte 2.258 Beobachtungen aus vier verschiedenen<br />
Tieflandpopulationen Polens zwischen 1966 <strong>und</strong> 1979. Der am häufigsten beobachtete Rudelverband umfasste ein bis<br />
zwei Alttiere: 83% aller beobachteten Rudelverbände umfassten Größen bis zu vier Stück Rotwild; zwei bis vier Alttiere<br />
wurden noch in 13% aller beobachteten Verbände mit Rudelgrößen von fünf bis sieben Stück Rotwild festgestellt.<br />
Sowohl Gruppierungen von bis zu zwei Alttieren als auch bis zu vier Alttieren waren in der erwarteten Häufigkeit über<br />
den gesamten Sommer hinweg anzutreffen; größere Rudelverbände mit Rudelgrößen von 815 Stück Rotwild wurden<br />
v.a. in den Monaten Dezember bis März beobachtet; ab April zerfielen diese Fraßgesellschaften wieder in Kleingruppen<br />
(Dzieciolowsky 1979).<br />
Simon <strong>und</strong> Kollegen (1997) trugen in den Jahren 1994–1997 im Rahmen einer dreijährigen Verhaltensstudie am Rothirsch<br />
im Waldschutzgebiet Edersee (Kellerwald/Nordhessen) 160 Beobachtungen weiblicher Rotwildverbände zusammen<br />
<strong>und</strong> beobachteten vor allem Kahlwildrudel mit bis zu drei Alttieren. In demselben Untersuchungsgebiet wurde<br />
bereits 15 Jahre zuvor eine Verhaltensstudie am Rothirsch durchgeführt (Bufe 1982). Bemerkenswert sind die Ergebnisse<br />
vor dem Hintergr<strong>und</strong> einer damals deutlich höheren Wilddichte (vgl. Dietze 1983; Simon et al. 1997). Trotz hoher<br />
Wildbestände beobachtete auch Bufe (1982) in 72% der Beobachtungen weiblicher Rotwildverbände Kahlwildrudel<br />
mit ein bis drei Alttieren. Lediglich 14% der beobachteten Weibchenrudel umfassten vier bis sechs Alttiere <strong>und</strong> weitere<br />
14% der Beobachtungen Kahlwildrudel von acht <strong>und</strong> mehr Alttieren (Bufe 1982) (Datenbasis: 36 Beobachtungen<br />
weiblicher Rotwildverbände von Mai bis Oktober 1981).<br />
Neben dem Biotop hat insbesondere auch die Jagd entscheidenden Einfluss auf die Rudelgröße. Die Rudelgrößen