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Vorstellung Schriftspracherwerb - Institut für deutsche Sprache und ...

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Prüfungsthema:<br />

<strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

Thorsten Pohl<br />

Zur Orientierung<br />

Die vier zentralen Kompetenzbereiche des<br />

Deutschunterrichts:<br />

1. mündlicher Sprachgebrauch, Sprechen <strong>und</strong> Zuhören,<br />

mündliche Kommunikation<br />

2. schriftlicher Sprachgebrauch, Schreiben, schriftliche<br />

Kommunikation<br />

• über Schreibfertigkeiten verfügen [motorische Aspekte]<br />

• richtig schreiben [Orthographie <strong>und</strong> Interpunktion]<br />

• Texte verfassen<br />

3. Umgang mit Texten (Literatur, Sachtexte) <strong>und</strong><br />

Medien(-inhalten)<br />

4. Reflexion über <strong>Sprache</strong>, Grammatik, Sprachbetrachtung<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Subdifferenzierung in<br />

den Bildungsstandards<br />

1


Gliederung<br />

1. Schlaglichter auf die Geschichte der Schrift(en)<br />

2. Vorschulische Schrift- <strong>und</strong> Schriftlichkeitserfahrungen<br />

3. Das System der <strong>deutsche</strong>n Orthographie <strong>und</strong> seine Funktionen<br />

4. Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s nach Günther:<br />

a) Die präliteral-symbolische Phase<br />

b) Die logographemische Phase<br />

c) Die alphabetische Phase<br />

d) Die orthographische Phase<br />

e) Die integrativ-automatisierte Phase<br />

5. Didaktische Konzeptionen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s<br />

a) Der systematische Lehrgang mittels einer Fibel<br />

b) Der <strong>Sprache</strong>rfahrungsansatz <strong>und</strong> Lesen durch Schreiben<br />

c) Der sprachsystematische/silbenanalytische Ansatz<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Schlaglichter auf die Geschichte der Schrift(en) 1<br />

Vorausgehende Überlegung: Wie lässt sich<br />

gesprochene <strong>Sprache</strong> überhaupt verschriften?<br />

Aus dem BM 1 bekannt ist Ihnen die bilaterale Struktur<br />

sprachlicher, wie auch anderer Zeichen:<br />

• das sinnlich Wahrnehmbare (also hör- oder<br />

lesbare)<br />

• die Bedeutung, der ‚Inhalt(nicht sinnlich<br />

wahrnehmbar)<br />

Ø man spricht auch von Ausdrucks- <strong>und</strong> Inhaltsseite<br />

oder von Bezeichnendem <strong>und</strong> Bezeichnetem<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

2


Schlaglichter auf die Geschichte der Schrift(en) 2<br />

Inhaltsseite:<br />

Ausdrucksseite:<br />

<br />

[bɛt]<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Schlaglichter auf die Geschichte der Schrift(en) 2<br />

Inhaltsseite:<br />

Ausdrucksseite:<br />

<br />

VARIANTE 1<br />

[bɛt]<br />

VARIANTE 2<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

3


Schlaglichter auf die Geschichte der Schrift(en) 3<br />

Phonographischer Schrifttyp:<br />

Schriftzeichen werden auf verschiedene lautliche Einheiten<br />

bezogen<br />

• Einzelne Laute: Alphabetschrift (Deutsch)<br />

• Einzelne Silben: Syllabogramm (Japanisch)<br />

• Nur Konsonanten: Konsonantenschrift (Hebräisch)<br />

Ø Vorteil: mit einem kleinen Zeicheninventar lässt sich ‚unendlich<br />

viel verschriften<br />

Logographischer Schrifttyp:<br />

Schriftzeichen werden auf bedeutungstragende Einheiten<br />

(Wörter oder Wortbestandteile) bezogen, z. B. Haus, Auto, -<br />

zeug, -bar (Chinesisch)<br />

Ø Vorteil: die Schriftverwender müssen die Lautung der <strong>Sprache</strong><br />

nicht kennen<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Beobachtung<br />

Erfahrung<br />

Vorschulische Schrift- <strong>und</strong><br />

Schriftlichkeitserfahrungen 1<br />

Rezeption (Lesen)<br />

Kinder beobachten<br />

Schriftk<strong>und</strong>ige beim Lesen<br />

(z. B. die Mutter bei der<br />

Zeitungslektüre).<br />

Kinder erfahren, wie sich<br />

Schriftsprache anhört beim<br />

Vorlesen, beim Hörbuch, evtl.<br />

beim Fernsehen.<br />

Nachahmung • Nachahmen des stillen<br />

Lesens (etwa durch<br />

Kopfbewegungen)<br />

• Nachahmen des lauten<br />

Vorlesens (etwa von<br />

Bilderbüchern <strong>und</strong> ‚richtigen<br />

Büchern)<br />

‚Reflexion<br />

Produktion (Schreiben)<br />

Kinder beobachten<br />

Schriftk<strong>und</strong>ige beim Schreiben<br />

(z. B. das Geschwisterkind bei<br />

den Schularbeiten).<br />

[Kinder sehen, wie Schrift<br />

aussieht; ihre Umgebung ist in<br />

der Regel voll von<br />

Schriftsymbolen.]<br />

• Nachahmen des Schreibprozesses<br />

(etwa als<br />

Kritzelschrift)<br />

• Nachahmen von<br />

Schriftzeichen (Versuch diese<br />

genau zu kopieren oder<br />

abzumalen)<br />

Fragen an Schriftk<strong>und</strong>ige nach Aufforderung von Schriftk<strong>und</strong>igen<br />

Inhalten von Geschriebenem/ etwas bestimmtes zu verschriften<br />

Lesbarem (Was Pohl: steht PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

da?) mit anschließender Betrachtung<br />

(Köln 2013)<br />

4


Vorschulische Schrift- <strong>und</strong><br />

Schriftlichkeitserfahrungen 2<br />

Schreiben als Kopieren:<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Vorschulische Schrift- <strong>und</strong><br />

Schriftlichkeitserfahrungen 3<br />

Schreiben als Nachahmen einer Tätigkeit:<br />

Schreiben als<br />

sich ausdrücken:<br />

Beispiele aus Augst &<br />

Dehn (2007, 47 f.)<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

5


Vorschulische Schrift- <strong>und</strong><br />

Schriftlichkeitserfahrungen 4<br />

Alternative Verschriftungsstrategien 1 (ikonisch):<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

(aus Brügelmann & Brinkmann 1998)<br />

Vorschulische Schrift- <strong>und</strong><br />

Schriftlichkeitserfahrungen 5<br />

Alternative Verschriftungsstrategien 2:<br />

Bustrophedon (furchenwendige<br />

Schriftrichtung), scriptio continua<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong> (aus Brügelmann & Brinkmann 1998)<br />

(Köln 2013)<br />

6


Das System der <strong>deutsche</strong>n<br />

Orthographie<br />

<strong>und</strong> seine Funktionen 1<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

(Augst & Dehn 2007, 82)<br />

Das System der <strong>deutsche</strong>n Orthographie<br />

<strong>und</strong> seine Funktionen 2<br />

1. Aufzeichnungsfunktion (vonseiten des<br />

Schreibenden aus gedacht):<br />

• alphabetische Schreibung primär, u. U. sogar an der individuellen<br />

Artikulation orientiert<br />

2. Erfassungsfunktion (vonseiten des Lesers aus<br />

gedacht):<br />

• silbisches <strong>und</strong> morphematisches Prinzip, sowie Zusammen-/<br />

Getrennt-, Groß-/Kleinschreibung <strong>und</strong> Interpunktion legen sich wie<br />

ein ‚Korrektiv über die ‚Lautorientierung des alphabetischen<br />

Prinzips<br />

Ø<br />

mit dem Ziel, dem Leser eine schnellere <strong>und</strong> sichere Erfassung<br />

des Inhaltes zu ermöglichen<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

7


Das System der <strong>deutsche</strong>n Orthographie<br />

<strong>und</strong> seine Funktionen 3<br />

U. a. genau aus dieser Konstellation heraus ergibt sich der Eindruck,<br />

das alphabetische Prinzip (die vermeintliche ‚Lauttreue der<br />

Schreibung) sei nicht konsequent umgesetzt; einige Beispiele, wie<br />

Sie von Weinhold angeführt werden (2006, 6 f.):<br />

• ein einzelner Buchstabe kann verschiedene Laute repräsentieren:<br />

in „Decke, „Wage <strong>und</strong> „Besen, „Ecke<br />

• umgekehrt können gleiche Laute durch unterschiedliche Grapheme<br />

repräsentiert sein: „Axt, „Keks, „Klacks, „Wachs, „unterwegs<br />

• nicht jedem Buchstaben, der in einem Wort steht, entspricht ein<br />

artikulatorisch hervorgebrachter Laut: „Bohne, „Waage, „Ziegel,<br />

„Ecke, „Rehe<br />

• zudem existieren mehrgliedrige Grapheme, die zusammengenommen<br />

einen Laut repräsentieren u. a.: , , <br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 2<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

8


Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 3<br />

1. Die präliteral-symbolische Phase:<br />

• Abstraktionsfähigkeit durch Lösung der bildlichen Darstellung<br />

vom dargestellten Gegenstand selbst<br />

• Symbolverständnis, wie es auch <strong>für</strong> den Erstspracherwerb<br />

ausgebildet werden muss, ist als notwendige Gr<strong>und</strong>voraussetzung<br />

des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s zu verstehen<br />

• Die Phase oder Strategie ist in beiden Modalitäten (Lesen<br />

<strong>und</strong> Schreiben) dominant, also sowohl bei der kindlichen<br />

Bildanschauung als auch beim kindlichen Malen oder Zeichnen.<br />

Ø Für den Übergang zum eigentlichen <strong>Schriftspracherwerb</strong> ist ein<br />

qualitativer Sprung notwendig:<br />

Ø Das Kind muss schriftsprachliches ‚Material von anderen<br />

graphischen Formen unterscheiden,<br />

Ø wie etwa bei Kritzelschriften:<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 4<br />

2. Die logographemische Phase (allgemein):<br />

• Der Terminus impliziert die Worteinheit (logos) <strong>und</strong><br />

Buchstabenzeichen (Grapheme).<br />

• rein visuelle Operationsweise/Strategie (reading by eye),<br />

• die sich an hervorstechenden oder auffälligen Details der<br />

äußerlichen Wortegestalt orientiert, z. B.: Wortlänge, auffällige<br />

Buchstaben, Buchstabenkombinationen, Buchstabenpositionen,<br />

Schrifttypen, Schriftfarbe<br />

• die betreffenden Merkmale variieren von Lerner zu Lerner sehr<br />

stark, sind also individuell-subjektiv <strong>und</strong> nicht<br />

prognostizierbar<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

9


Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 5<br />

2. Die logographemische Phase (Modalität Lesen):<br />

• im Lesen kann die Strategie sehr erfolgreich sein, die Lerner<br />

verfügen dann über einen nicht unerheblichen Lesewortschatz<br />

• dies insbesondere unter Nutzung von Kontextinformationen<br />

(z. B. Bilder im Bilderbuch, Firmenlogos, Situationskontexte wie<br />

die Kelloggspackung auf dem Frühstückstisch)<br />

• dennoch handelt es sich um ratendes Lesen: typisch <strong>für</strong> die<br />

Phase sind daher Verlesungen bei Worten mit ähnlichen<br />

visuellen Auffälligkeiten, fiktives Beispiel:<br />

• T o i l e t t e<br />

T e l e f o n<br />

fokussierte visuelle Merkmale<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 6<br />

2. Die logographemische Phase (Modalität Schreiben):<br />

• Während die Strategie im Lesen also sehr erfolgreich sein kann,<br />

• führt sie beim Schreiben zu erheblichen Problemen, wenn also<br />

Wortbilder oder deren Details von den Lernern reproduziert werden<br />

müssen.<br />

• Typische Effekte sind: Auslassungen, Vertauschungen,<br />

Verwechslungen von Wortbestandteilen oder Buchstaben.<br />

• Man spricht auch von Skelettschreibungen:<br />

↔<br />

[<strong>für</strong> „vier Kinder]<br />

• Diese Unzulänglichkeitserfahrung führt dem Modell zufolge – aber<br />

sicherlich auch durch den Einfluss des Schreib- <strong>und</strong> Leseunterrichts<br />

– zu einem Strategiewechsel.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

10


Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 7<br />

3. Die alphabetische Phase (allgemein):<br />

• Der Übergang in diese Phase bildet in gewisser Weise eine<br />

kleine „Revolution in der kindlichen Sprachwahrnehmung,<br />

• denn es kommt hier zu einer <strong>für</strong> den Erwerb der Schriftsprache<br />

absolut gr<strong>und</strong>legenden Umorientierung von den kommunikativen<br />

Inhalten zur Analyse der lautlichen Struktur (das ist<br />

auch <strong>für</strong> Erwachsene ein ganz ungewöhnlicher Modus der<br />

Sprachwahrnehmung!).<br />

• Angebahnt wird diese Teilkompetenz (Fachterminus:<br />

„Phonologische Bewusstheit) bereits vorschulisch durch<br />

unter anderem Abzählverse, Kinderreime <strong>und</strong> Kinderlieder<br />

(z.B.: Auf der Lauer auf der Mauer, Drei Chinesen mit dem<br />

Kontrabass),<br />

• die allesamt besonders auffällige phonetische Charakteristika<br />

aufweisen, die überdies bewusst manipuliert werden.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 8<br />

3. Die alphabetische Phase (Modalität Schreiben):<br />

• Die Strategie ist im Schreiben erfolgreich <strong>und</strong> dominant,<br />

• denn sofern die Kinder in den Graphem-Phonem-<br />

Korrespondenzen weiter fortgeschritten sind,<br />

• können sie mehr oder weniger alles verschriften, was sie auch<br />

sprechen können (writing by ear).<br />

• Typisch <strong>für</strong> diese Phase sind extrem phonetisch ggf. dabei<br />

auch dialektal orientierte Verschriftungen:<br />

• Überaus erstaunlich sind Schreibweisen, die von einer extrem<br />

genauen Analyse des Artikulationsprozesses zeugen:<br />

„fünpf<strong>für</strong> <br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

11


Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 9<br />

3. Die alphabetische Phase (Modalität Lesen):<br />

• Im Lesen erweist sich die Strategie – insbesondere im Vergleich<br />

mit dem vorhergehenden logographemischen Lesen – zunächst<br />

als extrem umständlich <strong>und</strong> aufwändig:<br />

1. Für die einzelnen Wortbestandteile müssen Graphem-Phonem-<br />

Zuordnungen vorgenommen werden.<br />

2. Die ermittelten Laute müssen miteinander verb<strong>und</strong>en werden,<br />

3. dabei dürfen Wortbestandteile nicht verloren gehen <strong>und</strong> die <strong>für</strong><br />

die Koartikulation entscheidenden Silbengrenzen erkannt/<br />

erahnt werden.<br />

4. So entsteht eine „Wortvorform oder sogenanntes „Dehnlesen.<br />

5. Für die verfremdete Wortvorform muss ein passender Lexikoneintrag<br />

gef<strong>und</strong>en werden (bei Erfolg kommt es zu einem<br />

Aha-Effekt, den man den Lesern deutlich anmerkt).<br />

Ø Dem Modell zufolge kommt es neuerlich zu einem<br />

Strategiewechsel; in diesem Fall zuerst im Lesen.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 9a<br />

Dehnlesen/Koartikulation (Videobeispiel):<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

12


Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 9b<br />

Aha-Effekt bei Finden des Lexikoneintrags<br />

(Videobeispiel):<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 10<br />

4. Die orthographische Phase (Modalität Lesen):<br />

• Der Leseprozess lässt sich durch die Beachtung wiederkehrender<br />

orthographischer Muster/Strukturen<br />

beschleunigen <strong>und</strong> von Beginn an stärker auf die<br />

phonologische Zielform hin ausrichten.<br />

• Die Kinder konzentrieren sich dabei auf verschiedene<br />

Morpheme (-er, -en, -lich etc.) <strong>und</strong> spezifische<br />

Rechtschreibmuster (-eh-, -tt-, -tz- etc.).<br />

• Neben der expliziten Instruktion seitens des Unterrichts geht die<br />

Forschung dabei von impliziten Hypothesen- <strong>und</strong><br />

Regelbildungsprozessen bzw. intuitiv gewonnenen<br />

Rechtschreibmustern aus.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

13


Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 11<br />

4. Die orthographische Phase (Modalität Schreiben):<br />

• Die Strategie ist dem Modell zufolge in beiden Modalitäten<br />

gleichermaßen dominant <strong>und</strong> erfolgreich.<br />

• Die im Lesen entdeckten Muster werden dann auch im<br />

Schreiben verfügbar, sodass die stark phonetisch orientierten<br />

Schreibweisen der alphabetischen Phase mehr <strong>und</strong> mehr durch<br />

orthographische Strukturen überlagert werden (zugunsten<br />

der Erfassungsfunktion).<br />

• Äußerliches Merkmal der inneren Regelbildungsprozesse sind<br />

vor allem Übergeneralisierungen (also die Ausdehnung eines<br />

Strukturmerkmals auf nicht zulässige Bereiche):<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 12<br />

5. Die integrativ-automatisierte Phase:<br />

• Die Phase bildet streng genommen keine eigene Strategie,<br />

sondern bezeichnet lediglich den kompetenten <strong>und</strong> routinierten<br />

Schriftk<strong>und</strong>igen, der wegen des hohen Automatisierungsgrades<br />

<strong>für</strong> Schreib- <strong>und</strong> insbesondere <strong>für</strong> Lesevorgänge wenig<br />

kognitive Ressourcen aufzubringen benötigt.<br />

• Gleichwohl dauert dieser Prozess noch weit in die<br />

Sek<strong>und</strong>arstufe(n) hinein an <strong>und</strong> ist Gegenstand des<br />

Orthographieerwerbs <strong>und</strong> Rechtschreibunterrichts im engeren<br />

Sinne.<br />

• Wer sich diesbezüglich weiter informieren möchte, lese im<br />

Ergänzungstext den Beitrag von Steinig <strong>und</strong> Huneke (im<br />

Vorlesungsreader enthalten).<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

14


Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 14<br />

U-Kurven-Verlauf:<br />

+<br />

kognitive<br />

Repräsentation<br />

-<br />

orthographische<br />

Realisierung<br />

„Fahrrad „farat „Fahrrad<br />

[etwa Einschulung] [ca. 1. Klasse] [ca. 2. Klasse]<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Die Phasen des <strong>Schriftspracherwerb</strong>s 13<br />

Kritik am Entwicklungsmodell von Günther <strong>und</strong> an<br />

den Entwicklungsmodellen allgemein:<br />

• Einige Autoren bezweifeln die Existenz der logographemischen<br />

Phase (z. B. Klicpera et al. 2003); sicherlich ist ihr<br />

Auftreten in starkem Zusammenhang zur ‚Buchnähe des<br />

familiären Umfelds zu sehen, in dem das Kind aufwächst.<br />

• Die Dominanz bestimmter Modalitäten habe sich nach<br />

Scherer-Neumann in empirischen Untersuchungen nicht<br />

bestätigt, zudem bestehe eine Abhängigkeit zum Erstunterricht<br />

(2003, 517).<br />

• Bestimmte Wörter werden von der Entwicklungsbewegung unter<br />

Umständen nicht erfasst (z. B. <strong>und</strong>) <strong>und</strong> frühzeitig als<br />

Sichtwörter gespeichert (Scheerer-Neumann 2003, 517).<br />

• Trotz der genannten Kritikpunkte bieten die Modelle einen<br />

hilfreichen Orientierungsrahmen <strong>für</strong> die Didaktik des<br />

<strong>Schriftspracherwerb</strong>s (so auch Weinhold 2006, 23).<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

15


a) Der systematische Lehrgang mittels einer Fibel<br />

• Der Ausdruck ist abgeleitet aus dem Wort „Bibel.<br />

• Fibeln sind heute methodenintegrierend aufgebaut, verwenden<br />

also synthetische (vom Einzelelement ausgehend) sowie<br />

analytische Methoden (vom Ganzwort <strong>und</strong> seiner Bedeutung<br />

ausgehend).<br />

• Fibeln bilden systematische Lehrgänge, in denen das Grapheminventar<br />

systematisch <strong>und</strong> Schritt <strong>für</strong> Schritt erarbeitet wird.<br />

• Korrespondierend wird von basalen Silben zu Worten, Sätzen <strong>und</strong><br />

komplexen Texten fortgeschritten.<br />

• Nahezu alle Fibellehrwerke arbeiten heute auch mit Anlauttabellen<br />

(s. u.), was als Öffnungstendenz des geschlossenen<br />

Lehrgangs zu betrachten ist.<br />

Ø<br />

Didaktische Konzeptionen 1<br />

Kritiker bemängeln insbesondere das stark deduktive <strong>und</strong><br />

entindividualisierende Moment der Fibellehrgänge.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Didaktische Konzeptionen 2<br />

b) Der <strong>Sprache</strong>rfahrungsansatz <strong>und</strong> Lesen durch<br />

Schreiben<br />

• Dieser Kritik trägt der <strong>Sprache</strong>rfahrungsansatz Rechnung, da<br />

es in ihm keine vorgegebene Lernprogression gibt.<br />

• Der Ansatz ist in dem Sinne stark entwicklungsorientiert, als<br />

den Lernenden im Rahmen von offenem Unterricht <strong>und</strong><br />

Werkstattunterricht vielfältige <strong>für</strong> den <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

relevante Lernumgebungen zur Verfügung gestellt werden.<br />

• Die Lernprozesse werden dabei durch den Lehrer (<strong>und</strong> Lerner<br />

selbst) stark individualisiert,<br />

• in der Absicht, dass dadurch die Lernprozesse dem<br />

Entwicklungstand der Lerner angepasst sind.<br />

• Brinkmann <strong>und</strong> Brügelmann als Vertreter des Ansatzes haben<br />

die sogenannte „Didaktische Landkarte zum Lesen- <strong>und</strong><br />

Schreibenlernen entwickelt.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

16


Didaktische Konzeptionen 3<br />

• Die didaktische Landkarte bildet dabei in erster Linie einen<br />

Orientierungsrahmen <strong>für</strong> die Lehrenden.<br />

• Die didaktischen <strong>und</strong> diagnostischen Anforderungen an<br />

die Lehrer <strong>und</strong> Lehrerinnen sind im Rahmen dieses Ansatzes<br />

sehr hoch.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Didaktische Konzeptionen 4<br />

b) Lesen durch Schreiben<br />

• extreme Betonung der Schreibprozesse<br />

• vom ersten Schultag an soll geschrieben<br />

werden;<br />

• dies mithilfe einer Anlauttabelle,<br />

• deren Verwendung <strong>für</strong> die Lerner<br />

zunächst extrem aufwändig ist.<br />

• Die dabei ablaufenden kognitiven<br />

Prozesse sind eigentlich noch<br />

aufwändiger, als von Weinhold<br />

beschrieben (2006, 28).<br />

• Das Lesen soll sich dem Erfinder des<br />

Konzeptes (Jürgen Reichen) zufolge mit<br />

der Zeit von selbst einstellen.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

17


Didaktische Konzeptionen 5<br />

c) Der sprachsystematische/silbenanalytische<br />

Ansatz<br />

• basiert stark auf den linguistischen Arbeiten zur Orthographie<br />

von Utz Maas <strong>und</strong> Peter Eisenberg <strong>und</strong> wurde<br />

entwickelt von Christa Röber-Siekmeyer<br />

• Der Lehrgang startet nicht mit dem Einzellaut oder einzelnen<br />

Buchstaben, sondern nutzt von Anfang an die Silbenstrukturen,<br />

wobei davon ausgegangen wird, die (muttersprachlichen)<br />

Lerner hätten einen guten Zugang zur<br />

Sprechsilbe.<br />

• Der Unterricht behandelt zunächst schwerpunktmäßig<br />

zweisilbige Wörter, deren erste Silbe betont ist (Trochäen).<br />

• Diese werden in eine Häuschenstruktur übertragen,<br />

• wobei die ‚Architektur des Hauses <strong>für</strong> die beiden Silben<br />

bestimmte Plätze vorsieht:<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Didaktische Konzeptionen 6<br />

• Der Leseprozess wird so gestaltet, dass der „Cowboy Jim von<br />

hinten an die Wörter heranreitet, also zunächst die<br />

Reduktionssilbe isoliert wird.<br />

• Auf diese Weise sollen Strukturen frühzeitig erkannt werden,<br />

wie sie sonst erst innerhalb der orthographischen Phase von<br />

den Lernern entdeckt werden.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

18


Didaktische Konzeptionen 7<br />

Empirischer Vergleich der drei vorgestellten<br />

Konzeptionen:<br />

Den Untersuchungen von Weinhold zufolge (2006 <strong>und</strong> 2009)<br />

ergeben sich zwischen den didaktischen Ansätzen kaum<br />

nennenswerte Unterschiede hinsichtlich des Lernerfolgs<br />

(allein das Konzept Lesen durch Schreiben ist in bestimmten<br />

Teilbereichen den anderen Konzeptionen z. T. etwas unterlegen).<br />

Wie muss man das Ihrer Ansicht nach erklären?<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Anhang<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

19


Ergänzend verwendete Literatur (1):<br />

Augst, Gerhard & Mechthild Dehn (2007): Rechtschreibung <strong>und</strong><br />

Rechtschreibunterricht. 3., überarb. u. aktual. Aufl. Stuttgart: Klett.<br />

Brügelmann, Hans (1994): I OI oder FIA ROISA? Kinder erfinden die Schrift -<br />

Schreibversuche am Schulanfang. In: Wie wir recht schreiben lernen. 10 Jahre<br />

Kinder auf dem Weg zur Schrift. Hrsg. v. Hans Brügelmann & Sigrun Richter.<br />

Lengwil am Bodensee: Libelle. S. 82-86.<br />

Brügelmann, Hans & Erika Brinkmann (1998): Die Schrift erfinden. Beobachtungshilfen<br />

<strong>und</strong> methodische Ideen <strong>für</strong> einen offenen Anfangsunterricht im Lesen <strong>und</strong><br />

Schreiben. Lengwil am Bodensee: Libelle.<br />

Crystal, David (1995): Die Cambridge Enzyklopädie der <strong>Sprache</strong>. Frankfurt/M. u. New<br />

York: Campus.<br />

Dürscheid, Christa (2004): Einführung in die Schriftlinguistik. 2., überarb. Aufl.<br />

Wiesbaden: Verl. <strong>für</strong> Sozialwiss.<br />

Frith, Uta (1986): Psychologische Aspekte des orthographischen Wissens:<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Entwicklungsstörung. In: New Trends in Graphemics and<br />

Orthography. Ed. by Gerhard Augst. Berlin a. New York: de Gruyter. S. 218-233.<br />

Günther, Klaus B. (1986): Ein Stufenmodell der Entwick-lung kindlicher Lese- <strong>und</strong><br />

Schreibstrategien. In: ABC <strong>und</strong> Schriftsprache. Rätsel <strong>für</strong> Kinder, Lehrer <strong>und</strong><br />

Forscher. Hrsg. v. Hans Brügelmann. Konstanz: Faude. S. 32-54.<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

Ergänzend verwendete Literatur (2):<br />

Haarmann, David (1991): Universalgeschichte der Schrift. 2., durchges. Aufl.<br />

Frankfurt: Campus.<br />

Klicpera, Christian et al. (2003): Legasthenie. Modelle, Diagnose, Therapie <strong>und</strong><br />

Förderung. München u. Basel: Reinhardt.<br />

Raible, Wolfgang (1991): Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen. Is fecit cui<br />

prodest. Heidelberg: Winter.<br />

Scheerer-Neumann, Gerheid (2003): Entwicklung der basalen Lesefähigkeiten. In:<br />

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Thomé, Günther (1999): Orthographieerwerb. Qualitative Fehleranalysen zum Aufbau<br />

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Weinhold, Swantje (2006): Entwicklungsverläufe im Lesen- <strong>und</strong> Schreibenlernen in<br />

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Weinhold, Swantje (2009): Effekte fachdidaktischer Ansätze auf den <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

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Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

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Zwei-Wege-Modell des Worterkennens<br />

(ursprünglich nach Coldheart):<br />

Pohl: PT - <strong>Schriftspracherwerb</strong><br />

(Köln 2013)<br />

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