Ausgabe 6 / 2012 - technik + EINKAUF

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EINKAUF PRAXIS Risikomanagement in stürmischen Zeiten Durch Flexibilisierung Wertschöpfungsrisiken mindern Um den Umgang mit komplexen Wertschöpfungsrisiken zu professionalisieren, nutzen Unternehmen zunehmend Methoden des Flexibilitätsund Risikomanagements. Diese werden vermehrt für die Bewertung von Risiken bei Einkaufs- und Standortentscheidungen eingesetzt. Die Studie der TU Berlin ‚Supply-Chain-Management in stürmischen Zeiten‘ zeigt, dass sich Unternehmen unabhängig von ihrer Wertschöpfungsstufe eher für eine reaktive Risikobewältigung mithilfe einer agilen, also anpassungsfähigen, Supply Chain entscheiden. Um Alltagsrisiken vorbeugen zu können, wie etwa häufig eintretende Nachfrageschwankungen und Lieferengpässe, sollte eine Supply Chain jedoch robust sein, also die Fähigkeit besitzen, auch bei sich verändernden Rahmenbedingungen effizient zu funktionieren. Ein Unternehmen, das die Strategie einer robusten Supply Chain verfolgt, verhält sich proaktiv, indem es bereits beim Aufbau seiner Supply Chains eine große Anzahl von Eventualitäten beachtet. In einem Engpassfall erfolgt eine systematische Prüfung aller Optionen des Umgangs mit Risikoereignissen, für eine proaktive Gestaltung des Risikomanagements ist jedoch Transparenz über die zukünftigen potenziellen Risiken erforderlich. Wirkungsebene der Flexibilisierung Differenzierbarkeit der Risiken differenziert pauschal Produktinnovationen Produktmerkmal Kundenänderungen Einzelteil Steuern Modul Förderungen Konjunktur Endprodukt Durch die Analyse der Wirkungsebenen einzelner Risiken können Unternehmen sich vorab auf Ausfallmöglichkeiten vorbereiten. Ausfallrisiken durch Naturkatastrophen Der Vulkanausbruch Eyjafjallajökull im April 2010 auf Island hat die Verletzbarkeit der global vernetzten Supply Chains in aller Härte gezeigt. Wegen Sicherheitsbedenken wurde der zivile Luftverkehr in weiten Teilen des europäischen Luftraums für sechs Tage unterbrochen, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung der internationalen Warenströme führte. Auch nach dem Hochwasser 2011 in Thailand waren viele Unternehmen gefordert, die Auswirkungen der Produktionsausfälle zu analysieren. Mehr als ein Drittel aller weltweit hergestellten Festplatten für Computer werden in Thailand produziert. Viele Produktionsausfälle betrafen jedoch erst die dritte oder vierte Lieferstufe, so dass erst nach Tagen das ganze Ausmaß tatsächlich erkennbar war und auch erst eingeschritten werden konnte. Unternehmen sind somit in einem zunehmenden Maße für die Bedeutung des Flexibilitäts- und Risikomanagements sensibilisiert und versuchen, die gesamte Supply Chain über das bestehende „natürliche“ Maß an Agilität hinaus robuster zu machen. Die von der TU Berlin für die Bundesvereinigung Logistik erstellte Studienreihe ‚Trends und Strategien in der Logistik‘ hat schon im Jahr 2008 gezeigt, dass bisher nur bei knapp 50 % der Unternehmen aus Industrie und Handel eine strategische Verankerung von Sicherheits- und Risikoaspekten vorhanden ist. Eine Neuauflage der Trendstudie, welche sich derzeit in Arbeit befindet, lässt eine Zunahme der Beachtung von proaktivem Risikomanagement erwarten. Um eine effektive Handhabung dieser Turbulenzen im Rahmen eines proaktiven Risikomanagements zu gewährleisten, ist eine Systematisierung und Differenzierung der einzelnen Anwendungsfälle und Lösungsansätze sowie eine systematische Analyse der Prozesse und Rahmenbedingungen notwendig. Es gilt herauszufinden, wie flexibel das eigene Unternehmen ist, wie flexibel die Lieferanten und auch die Kunden sind und welche Substitutionsmöglichkeiten hinsichtlich Prozessen, Produkten, Infrastruktur und Lieferanten bestehen. Der Bereich Logistik der TU Berlin und das Logistik-Transferzentrum ITCL haben diese Fragestellung aufgegriffen und eine Methodik entwickelt mit der entlang der gesamten Supply Chain vorhandenes Flexibilisierungspotenzial identifiziert, bewertet und für das proaktive Risikomanagement effizient nutzbar gemacht werden kann. Potenzialanalysen zeigen Härtefälle auf Flexibilisierungspotenziale können dabei sowohl in dem Produkt selber, in Strukturen als auch im Prozess vorliegen. Das Potenzial kann sich dabei entlang der gesamten Supply Chain finden lassen – im Wertschöpfungsnetzwerk, der eigenen Produktion, der Distribution und dem Kunden selbst. Eine systematische Gestaltung von Flexibilisierungs- und Risikomanagementmaßnahmen kann somit nur auf der Basis einer analytischen und fundierten Potenzialanalyse erfolgen. Um proaktiv auf Risiken reagieren zu können, müssen in einem ersten Schritt die potenziellen Risiken identifiziert werden. Hierzu gehört eine Systematisierung und Analyse des Unternehmensumfelds. Dies umfasst die politisch-rechtliche, die technologische, die ökonomische, die gesellschaftliche sowie die ökologische Umwelt. Für jedes Glied der Supply Chain ist daraufhin eine Markt- und Produktanalyse hinsichtlich Marktvolumen, -potenzial, -zugänglichkeit und Kundenstruktur vorzunehmen. Desweiteren müssen für die gesamte Supply Chain als auch für jedes Unternehmen finanzielle, insti- 32 06 / 2012

Mehr Meinung... tutionelle, soziale, informatorische und materielle Risiken analysiert werden. Die Risiken können dabei auf verschiedenen Ebenen auftreten. So können Risiken für einzelne Produktmerkmale, für Einzelteile, für Module, für das Endprodukt, für nur einzelne Glieder einer Supply Chain oder für die gesamte Supply Chain entstehen. Je differenzierter Risiken für einzelne Teile oder Merkmale abgeleitet werden können, desto genauer können in einem folgenden Schritt Anforderungen an eine Flexibilisierung quantifiziert werden. Aber auch die Analyse von Bedarfsschwankungen in der Vergangenheit oder die zurückliegende Lieferperformance der Lieferanten können Aufschluss über mögliche Risiken in der Zukunft geben. Zielgerichtete Flexibilisierung der Supply Chain Konnten potenzielle Risiken identifiziert werden, so sind diese in einem zweiten Schritt hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und deren Auswirkungen, auch auf die gesamte Lieferkette, zu bewerten. Zur Steuerung der Risiken können in einem dritten Schritt potenzielle Maßnahmen verschiedener Flexibilisierungspotenziale entlang der Supply Chain zur proaktiven Risikominimierung abgeleitet werden. Diese Maßnahmen gilt es in einem vierten Schritt hinsichtlich des Effekts der Risikominimierung, dem Zeithorizont der Umsetzung, der Fristigkeit der Wirkung, relevanter Umsetzungsvoraussetzungen sowie einer Kostenindikation zu beschreiben. Die Potenziale einer Flexibilisierung lassen sich somit an verschiedenen Stellen der Supply Chain finden. So können den größten Hemmnissen eines erfolgreichen Risikomanagements – Komplexität und Intransparenz – begegnet werden. Im Rahmen der Umsetzung der identifizierten Flexibilisierungspotenziale zeigt sich zudem häufig auch eine Steigerung der Kundenzufriedenheit und eine Flexibilisierung der operativen Kostenbasis, die erreicht werden kann. Beispielsweise hat die Studie ‚Operating Successfully in China – Strategies to Cope with Uncertainty‘ der TU Berlin am Beispiel des chinesischen Marktes gezeigt, dass Flexibilität nicht nur prozessseitige Vorteile bietet, sondern im Besonderen einen marktseitigen Erfolgsfaktor darstellt. Im Ergebnis wird den Logistikplanungsverantwortlichen somit eine Methode zur systematischen Prüfung von Flexibilisierungsmaßnahmen in der Supply Chain, mit dem Ziel sowohl Risiken zu minimieren als auch die Kundenzufriedenheit zu steigern, an die Hand gegeben. ■ Autor Lara Köhne, Dr. Stefan Doch, Prof. Dr.-Ing. Frank Straube, International Transfer Center for Logistics (ITCL) GmbH Bild: Fotolia; Chris Bett Materialfluss berücksichtigt stärker Meinungen – sowohl von Lesern als auch von Anbietern: Round-Table-Gespräche, Nachgefragt, Pro und Contra, Gastkommentare, Meinungsbeiträge, Konjunkturausblicke, Umfragen, Interviews, Statements Für qualitativ hochwertige Erfahrungsberichte aus der Praxis. Sichern Sie sich Ihre Prämie! Bestellen Sie ein Jahresabo und freuen Sie sich über eine Prämie Ihrer Wahl: Tel.: 08191/97000-378 E-Mail: aboservice@mi-verlag.de Erscheinungsweise: 9 Ausgaben Jahresabopreis inkl. Versandkosten: Inland 108,- € verlag moderne industrie GmbH Justus-von-Liebig-Str. 1 86899 Landsberg Tel. 0 81 91/125-0 Fax 0 81 91/125-444 www.mi-verlag.de wir bewegen was Ihre Aboprämie finden Sie unter www. materialfluss.de/ praemien 06 / 2012 33

<strong>EINKAUF</strong> PRAXIS<br />

Risikomanagement<br />

in stürmischen Zeiten<br />

Durch Flexibilisierung Wertschöpfungsrisiken mindern<br />

Um den Umgang mit komplexen Wertschöpfungsrisiken zu professionalisieren,<br />

nutzen Unternehmen zunehmend Methoden des Flexibilitätsund<br />

Risikomanagements. Diese werden vermehrt für die Bewertung von<br />

Risiken bei Einkaufs- und Standortentscheidungen eingesetzt.<br />

Die Studie der TU Berlin ‚Supply-Chain-Management in<br />

stürmischen Zeiten‘ zeigt, dass sich Unternehmen unabhängig<br />

von ihrer Wertschöpfungsstufe eher für eine reaktive<br />

Risikobewältigung mithilfe einer agilen, also anpassungsfähigen,<br />

Supply Chain entscheiden. Um Alltagsrisiken vorbeugen<br />

zu können, wie etwa häufig eintretende Nachfrageschwankungen und<br />

Lieferengpässe, sollte eine Supply Chain jedoch robust sein, also die<br />

Fähigkeit besitzen, auch bei sich verändernden Rahmenbedingungen<br />

effizient zu funktionieren. Ein Unternehmen, das die Strategie einer<br />

robusten Supply Chain verfolgt, verhält sich proaktiv, indem es bereits<br />

beim Aufbau seiner Supply Chains eine große Anzahl von Eventualitäten<br />

beachtet. In einem Engpassfall erfolgt eine systematische Prüfung<br />

aller Optionen des Umgangs mit Risikoereignissen, für eine proaktive<br />

Gestaltung des Risikomanagements ist jedoch Transparenz über die<br />

zukünftigen potenziellen Risiken erforderlich.<br />

Wirkungsebene der<br />

Flexibilisierung<br />

Differenzierbarkeit der Risiken<br />

differenziert<br />

pauschal<br />

Produktinnovationen<br />

Produktmerkmal<br />

Kundenänderungen<br />

Einzelteil<br />

Steuern<br />

Modul<br />

Förderungen<br />

Konjunktur<br />

Endprodukt<br />

Durch die Analyse der Wirkungsebenen einzelner Risiken<br />

können Unternehmen sich vorab auf Ausfallmöglichkeiten vorbereiten.<br />

Ausfallrisiken durch Naturkatastrophen<br />

Der Vulkanausbruch Eyjafjallajökull im April 2010 auf Island hat die<br />

Verletzbarkeit der global vernetzten Supply Chains in aller Härte gezeigt.<br />

Wegen Sicherheitsbedenken wurde der zivile Luftverkehr in<br />

weiten Teilen des europäischen Luftraums für sechs Tage unterbrochen,<br />

was zu einer erheblichen Beeinträchtigung der internationalen<br />

Warenströme führte. Auch nach dem Hochwasser 2011 in Thailand<br />

waren viele Unternehmen gefordert, die Auswirkungen der Produktionsausfälle<br />

zu analysieren. Mehr als ein Drittel aller weltweit hergestellten<br />

Festplatten für Computer werden in Thailand produziert.<br />

Viele Produktionsausfälle betrafen jedoch erst die dritte oder vierte<br />

Lieferstufe, so dass erst nach Tagen das ganze Ausmaß tatsächlich<br />

erkennbar war und auch erst eingeschritten werden konnte. Unternehmen<br />

sind somit in einem zunehmenden Maße für die Bedeutung<br />

des Flexibilitäts- und Risikomanagements sensibilisiert und versuchen,<br />

die gesamte Supply Chain über das bestehende „natürliche“<br />

Maß an Agilität hinaus robuster zu machen. Die von der TU Berlin<br />

für die Bundesvereinigung Logistik erstellte Studienreihe ‚Trends<br />

und Strategien in der Logistik‘ hat schon im Jahr 2008 gezeigt, dass<br />

bisher nur bei knapp 50 % der Unternehmen aus Industrie und Handel<br />

eine strategische Verankerung von Sicherheits- und Risikoaspekten<br />

vorhanden ist. Eine Neuauflage der Trendstudie, welche sich<br />

derzeit in Arbeit befindet, lässt eine Zunahme der Beachtung von<br />

proaktivem Risikomanagement erwarten.<br />

Um eine effektive Handhabung dieser Turbulenzen im Rahmen<br />

eines proaktiven Risikomanagements zu gewährleisten, ist eine<br />

Systematisierung und Differenzierung der einzelnen Anwendungsfälle<br />

und Lösungsansätze sowie eine systematische Analyse<br />

der Prozesse und Rahmenbedingungen notwendig. Es gilt herauszufinden,<br />

wie flexibel das eigene Unternehmen ist, wie flexibel die<br />

Lieferanten und auch die Kunden sind und welche Substitutionsmöglichkeiten<br />

hinsichtlich Prozessen, Produkten, Infrastruktur<br />

und Lieferanten bestehen. Der Bereich Logistik der TU Berlin und<br />

das Logistik-Transferzentrum ITCL haben diese Fragestellung aufgegriffen<br />

und eine Methodik entwickelt mit der entlang der gesamten<br />

Supply Chain vorhandenes Flexibilisierungspotenzial identifiziert,<br />

bewertet und für das proaktive Risikomanagement effizient<br />

nutzbar gemacht werden kann.<br />

Potenzialanalysen zeigen Härtefälle auf<br />

Flexibilisierungspotenziale können dabei sowohl in dem Produkt<br />

selber, in Strukturen als auch im Prozess vorliegen. Das Potenzial<br />

kann sich dabei entlang der gesamten Supply Chain finden lassen –<br />

im Wertschöpfungsnetzwerk, der eigenen Produktion, der Distribution<br />

und dem Kunden selbst. Eine systematische Gestaltung von<br />

Flexibilisierungs- und Risikomanagementmaßnahmen kann somit<br />

nur auf der Basis einer analytischen und fundierten Potenzialanalyse<br />

erfolgen. Um proaktiv auf Risiken reagieren zu können, müssen in<br />

einem ersten Schritt die potenziellen Risiken identifiziert werden.<br />

Hierzu gehört eine Systematisierung und Analyse des Unternehmensumfelds.<br />

Dies umfasst die politisch-rechtliche, die technologische,<br />

die ökonomische, die gesellschaftliche sowie die ökologische Umwelt.<br />

Für jedes Glied der Supply Chain ist daraufhin eine Markt- und Produktanalyse<br />

hinsichtlich Marktvolumen, -potenzial, -zugänglichkeit<br />

und Kundenstruktur vorzunehmen. Desweiteren müssen für die gesamte<br />

Supply Chain als auch für jedes Unternehmen finanzielle, insti-<br />

32 06 / <strong>2012</strong>

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