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Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid zu reinlich für<br />

den Schmutz der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung.<br />

Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann<br />

hörte man, dass eine Mutter bezahlt sein wollte für ihre Liebe?<br />

Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist<br />

in euch: sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt <strong>und</strong> dreht<br />

sich jeder Ring.<br />

Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist je<strong>des</strong> Werk eurer Tugend:<br />

immer ist sein Licht noch unterwegs <strong>und</strong> wandert — <strong>und</strong><br />

wann wird es nicht mehr unterwegs sein?<br />

Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn<br />

das Werk gethan ist. Mag es nun vergessen <strong>und</strong> todt sein: sein<br />

Strahl von Licht <strong>lebt</strong> noch <strong>und</strong> wandert.<br />

Dass eure Tugend euer Selbst sei <strong>und</strong> nicht ein Frem<strong>des</strong>, eine<br />

Haut, eine Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Gr<strong>und</strong>e<br />

eurer Seele, ihr Tugendhaften! —<br />

Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter<br />

einer Peitsche heisst: <strong>und</strong> ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei<br />

gehört!<br />

Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer<br />

Laster; <strong>und</strong> wenn ihr Hass <strong>und</strong> ihre Eifersucht einmal die Glieder<br />

strecken, wird ihre „Gerechtigkeit“ munter <strong>und</strong> reibt sich die<br />

verschlafenen Augen.<br />

Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel<br />

ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr<br />

Auge <strong>und</strong> die Begierde nach ihrem Gotte.<br />

Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften<br />

„was ich nicht bin, das, das ist mir Gott <strong>und</strong> Tugend!“<br />

Und Andre giebt es, die kommen schwer <strong>und</strong> knarrend daher,<br />

gleich Wägen, die Steine abwärts fahren: die reden viel von<br />

Würde <strong>und</strong> Tugend, — ihren Hemmschuh heissen sie Tugend!<br />

Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen<br />

wurden; sie machen ihr Tiktak <strong>und</strong> wollen, dass man<br />

Tiktak — Tugend heisse.<br />

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Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren<br />

finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; <strong>und</strong> sie sollen<br />

mir dabei noch schnurren!<br />

Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />

begehen um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt<br />

in ihrer Ungerechtigkeit ertränkt wird.<br />

Ach, wie übel ihnen das Wort „Tugend“ aus dem M<strong>und</strong>e<br />

läuft! Und wenn sie sagen „ich bin gerecht,“ so klingt es immer<br />

gleich wie „ich bin gerächt!“<br />

Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen;

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