Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...
Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ... Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...
12. Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr höheren Menschen, so singt mir nun meinen Rundgesang! Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist „Noch ein Mal“, dess Sinn ist „in alle Ewigkeit!“, singt, ihr höheren Menschen, Zarathustra's Rundgesang! Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.400' KSA='4.404' Oh Mensch! Gieb Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? „Ich schlief, ich schlief —, „Aus tiefem Traum bin ich erwacht: — „Die Welt ist tief, „Und tiefer als der Tag gedacht. „Tief ist ihr Weh —, „Lust — tiefer noch als Herzeleid: „Weh spricht: Vergeh! „Doch alle Lust will Ewigkeit —, „— will tiefe, tiefe Ewigkeit!“ Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.401' KSA='4.405' Aphorism id='ZaIV-Text-20' kgw='VI-1.401' ksa='4.405' Das Zeichen. Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager auf, gürtete sich die Lenden und kam heraus aus seiner Höhle, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt. „Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest! Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon wach bist und kommst und schenkst und austheilst: wie würde darob deine stolze Scham zürnen! Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren Menschen, während ich wach bin: das sind nicht meine rechten Gefährten! Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen. Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt — ist für sie kein Weckruf. Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch an meinen Mitternächten. Das Ohr, das nach mir horcht, —
das gehorchende Ohr fehlt in ihren Gliedern.“ — Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne aufgieng: da blickte er fragend in die Höhe, denn er hörte über sich den scharfen Ruf seines Adlers. „Wohlan! rief Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.402' KSA='4.406' er hinauf, so gefällt und gebührt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin wach. Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen greift er nach dem neuen Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich liebe euch. Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!“ — Also sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plötzlich wie von unzähligen Vögeln umschwärmt und umflattert hörte, — das Geschwirr so vieler Flügel aber und das Gedräng um sein Haupt war so gross, dass er die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich fiel es über ihn her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich über einen neuen Feind ausschüttet. Aber siehe, hier war es eine Wolke der Liebe, und über einen neuen Freund. „Was geschieht mir?“ dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen und liess sich langsam auf dem grossen Steine nieder, der neben dem Ausgange seiner Höhle lag. Aber, indem er mit den Händen um sich und über sich und unter sich griff, und den zärtlichen Vögeln wehrte, siehe, da geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff nämlich dabei unvermerkt in ein dichtes warmes Haar-Gezottel hinein; zugleich aber erscholl vor ihm ein Gebrüll, — ein sanftes langes Löwen-Brüllen. „Das Zeichen kommt,“ sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in Wahrheit, als es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes mächtiges Gethier zu Füssen und schmiegte das Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem Hunde gleich, welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe nicht minder eifrig als der Löwe; und jedes Mal, wenn eine Taube über die Nase des Löwen huschte, schüttelte der Löwe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu. Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: „meine Kinder sind nahe, meine Kinder“—, dann wurde Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.403' KSA='4.407' er ganz stumm. Sein Herz aber war gelöst, und aus seinen Augen tropften Thränen herab und fielen auf seine Hände. Und er achtete keines Dings mehr und sass da, unbeweglich und ohne dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben
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Lerntet ihr nun mein Lied? <strong>Er</strong>riethet ihr, was es will? Wohlan!<br />
Wohlauf! Ihr höheren <strong>Menschen</strong>, so singt mir nun meinen<br />
R<strong>und</strong>gesang!<br />
Singt mir nun selber das Lied, <strong>des</strong>s Name ist „Noch ein Mal“,<br />
<strong>des</strong>s Sinn ist „in alle Ewigkeit!“, singt, ihr höheren <strong>Menschen</strong>,<br />
Zarathustra's R<strong>und</strong>gesang!<br />
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Oh Mensch! Gieb Acht!<br />
Was spricht die tiefe Mitternacht?<br />
„Ich schlief, ich schlief —,<br />
„Aus tiefem Traum bin ich erwacht: —<br />
„Die Welt ist tief,<br />
„Und tiefer als der Tag gedacht.<br />
„Tief ist ihr Weh —,<br />
„Lust — tiefer noch als Herzeleid:<br />
„Weh spricht: Vergeh!<br />
„Doch alle Lust will Ewigkeit —,<br />
„— will tiefe, tiefe Ewigkeit!“<br />
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Aphorism id='ZaIV-Text-20' kgw='VI-1.401' ksa='4.405'<br />
Das Zeichen.<br />
Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von<br />
seinem Lager auf, gürtete sich die Lenden <strong>und</strong> kam heraus aus<br />
seiner Höhle, glühend <strong>und</strong> stark, wie eine Morgensonne, die aus<br />
dunklen Bergen kommt.<br />
„Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen<br />
hatte, du tiefes Glücks-Auge, was wäre all dein Glück, wenn du<br />
nicht Die hättest, welchen du leuchtest!<br />
Und wenn sie in ihren Kammern blieben, während du schon<br />
wach bist <strong>und</strong> kommst <strong>und</strong> schenkst <strong>und</strong> austheilst: wie würde<br />
darob deine stolze Scham zürnen!<br />
Wohlan! sie schlafen noch, diese höheren <strong>Menschen</strong>, während<br />
ich wach bin: das sind nicht meine rechten Gefährten!<br />
Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen.<br />
Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen<br />
nicht, was die Zeichen meines Morgens sind, mein Schritt<br />
— ist für sie kein Weckruf.<br />
Sie schlafen noch in meiner Höhle, ihr Traum käut noch<br />
an meinen Mitternächten. Das Ohr, das nach mir horcht, —