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Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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denn, dass ich nicht ewig, <strong>und</strong> auch nicht Jude bin.<br />

Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde<br />

gewirbelt, unstät, fortgetrieben? Oh <strong>Er</strong>de, du wardst mir zu<br />

r<strong>und</strong>!<br />

Auf jeder Oberfläche sass ich schon, gleich müdem Staube<br />

schlief ich ein auf Spiegeln <strong>und</strong> Fensterscheiben: Alles nimmt<br />

von mir, Nichts giebt, ich werde dünn, — fast gleiche ich einem<br />

Schatten.<br />

Dir aber, oh Zarathustra, flog <strong>und</strong> zog ich am längsten nach,<br />

<strong>und</strong>, verbarg ich mich schon vor dir, so war ich doch dein bester<br />

Schatten: wo du nur gesessen hast, sass ich auch.<br />

Mit dir bin ich in fernsten, kältesten Welten umgegangen,<br />

einem Gespenste gleich, das freiwillig über Winterdächer <strong>und</strong><br />

Schnee läuft.<br />

Mit dir strebte ich in je<strong>des</strong> Verbotene, Schlimmste, Fernste:<br />

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<strong>und</strong> wenn irgend Etwas an mir Tugend ist, so ist es, dass ich<br />

vor keinem Verbote Furcht hatte.<br />

Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine<br />

<strong>und</strong> Bilder warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief<br />

ich nach, — wahrlich, über jedwe<strong>des</strong> Verbrechen lief ich einmal<br />

hinweg.<br />

Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte <strong>und</strong> Werthe<br />

<strong>und</strong> grosse Namen. Wenn der Teufel sich häutet, fällt da nicht<br />

auch sein Name ab? der ist nämlich auch Haut. Der Teufel selber<br />

ist vielleicht — Haut.<br />

„Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“: so sprach ich mir zu.<br />

In die kältesten Wasser stürzte ich mich, mit Kopf <strong>und</strong> Herzen.<br />

Ach, wie oft stand ich darob nackt als rother Krebs da!<br />

Ach, wohin kam mir alles Gute <strong>und</strong> alle Scham <strong>und</strong> aller<br />

Glaube an die Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld,<br />

die ich einst besass, die Unschuld der Guten <strong>und</strong> ihrer edlen<br />

Lügen!<br />

Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem<br />

Fusse: da trat sie mir vor den Kopf. Manchmal <strong>meint</strong>e ich zu<br />

lügen, <strong>und</strong> siehe! da erst traf ich — die Wahrheit.<br />

Zu Viel klärte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr<br />

an. Nichts <strong>lebt</strong> mehr, das ich liebe, — wie sollte ich noch mich<br />

selber lieben?<br />

„Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben“: so will<br />

ich's, so will's auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe ich<br />

noch — Lust?<br />

Habe ich— noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem mein<br />

Segel läuft?<br />

Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, wohin er fährt,<br />

weiss auch, welcher Wind gut <strong>und</strong> sein Fahrwind ist.<br />

Was blieb mir noch zurück? Ein Herz müde <strong>und</strong> frech; ein<br />

unstäter Wille; Flatter-Flügel; ein zerbrochnes Rückgrat.

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