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Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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Aphorism id='ZaIV-Text-9' kgw='VI-1.334' ksa='4.338'<br />

Der Schatten.<br />

Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen <strong>und</strong><br />

Zarathustra wieder mit sich allein, da hörte er hinter sich eine<br />

neue Stimme: die rief „Halt! Zarathustra! So warte doch! Ich<br />

bin's ja, oh Zarathustra, ich, dein Schatten!“ Aber Zarathustra<br />

wartete nicht, denn ein plötzlicher Verdruss überkam ihn ob<br />

<strong>des</strong> vielen Zudrangs <strong>und</strong> Gedrängs in seinen Bergen. „Wo ist<br />

meine Einsamkeit hin? sprach er.<br />

Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein<br />

Reich ist nicht mehr von dieser Welt, ich brauche neue Berge.<br />

Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag<br />

er mir nachlaufen! ich — laufe ihm davon.“<br />

Also sprach Zarathustra zu seinem Herzen <strong>und</strong> lief davon.<br />

Aber Der, welcher hinter ihm war, folgte ihm nach: so dass alsbald<br />

drei Laufende hinter einander her waren, nämlich voran<br />

der freiwillige Bettler, dann Zarathustra <strong>und</strong> zudritt <strong>und</strong> -hinterst<br />

sein Schatten. Nicht lange liefen sie so, da kam Zarathustra<br />

zur Besinnung über seine Thorheit <strong>und</strong> schüttelte mit Einem<br />

Rucke allen Verdruss <strong>und</strong> Überdruss von sich.<br />

„Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lächerlichsten<br />

Dinge bei uns alten Einsiedlern <strong>und</strong> Heiligen?<br />

Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun<br />

höre ich sechs alte Narren-Beine hinter einander her klappern!<br />

Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten fürchten?<br />

Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.335' KSA='4.339'<br />

Auch dünkt mich zu guterletzt, dass er längere Beine hat<br />

als ich.“<br />

Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen <strong>und</strong> Eingeweiden,<br />

blieb stehen <strong>und</strong> drehte sich schnell herum — <strong>und</strong><br />

siehe, fast warf er dabei seinen Nachfolger <strong>und</strong> Schatten zu<br />

Boden: so dicht schon folgte ihm derselbe auf den Fersen, <strong>und</strong><br />

so schwach war er auch. Als er ihn nämlich mit Augen prüfte,<br />

erschrak er wie vor einem plötzlichen Gespenste: so dünn,<br />

schwärzlich, hohl <strong>und</strong> über<strong>lebt</strong> sah dieser Nachfolger aus.<br />

„Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier?<br />

Und wesshalb heissest du dich meinen Schatten? Du gefällst mir<br />

nicht.“<br />

„Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; <strong>und</strong><br />

wenn ich dir nicht gefalle, wohlan, oh Zarathustra! darin lobe<br />

ich dich <strong>und</strong> deinen guten Geschmack.<br />

Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen<br />

her gieng: immer unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim:<br />

also dass mir wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es sei

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