04.11.2013 Aufrufe

Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

„Sprich nicht von mir, du W<strong>und</strong>erlicher! Lieblicher! sagte<br />

Zarathustra <strong>und</strong> wehrte seiner Zärtlichkeit, sprich mir erst von<br />

dir! Bist du nicht der freiwillige Bettler, der einst einen grossen<br />

Reichthum von sich warf, —<br />

— der sich seines Reichthums schämte <strong>und</strong> der Reichen, <strong>und</strong><br />

zu den Ärmsten floh, dass er ihnen seine Fülle <strong>und</strong> sein Herz<br />

schenke? Aber sie nahmen ihn nicht an.“<br />

„Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler,<br />

du weisst es ja. So gieng ich endlich zu den Thieren <strong>und</strong> zu<br />

diesen Kühen.“<br />

„Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie<br />

es schwerer ist, recht geben als recht nehmen, <strong>und</strong> dass gut<br />

schenken eine Kunst ist <strong>und</strong> die letzte listigste Meister-Kunst<br />

der Güte.“<br />

„Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler:<br />

heute nämlich, wo alles Niedrige aufständisch ward <strong>und</strong> scheu<br />

<strong>und</strong> auf seine Art hoffährtig: nämlich auf Pöbel-Art.<br />

Denn es kam die St<strong>und</strong>e, du weisst es ja, für den grossen<br />

schlimmen langen langsamen Pöbel- <strong>und</strong> Sklaven-Aufstand: der<br />

wächst <strong>und</strong> wächst!<br />

Nun empört die Niedrigen alles Wohlthun <strong>und</strong> kleine Weggeben;<br />

<strong>und</strong> die Überreichen mögen auf der Hut sein!<br />

Wer heute gleich bauchichten Flaschen tröpfelt aus allzuschmalen<br />

Hälsen: — solchen Flaschen bricht man heute gern<br />

den Hals.<br />

Lüsterne Gier, gallichter Neid, vergrämte Rachsucht, Pöbel-Stolz:<br />

das sprang mir Alles in's Gesicht. Es ist nicht mehr wahr,<br />

dass die Armen selig sind. Das Himmelreich aber ist bei den<br />

Kühen.“<br />

Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra<br />

versuchend, während er den Kühen wehrte, die den Friedfertigen<br />

zutraulich anschnauften.<br />

Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.332' KSA='4.336'<br />

„Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber<br />

besser noch als ich. Was trieb mich doch zu den Ärmsten,<br />

oh Zarathustra? War es nicht der Ekel vor unsern Reichsten?<br />

— vor den Sträflingen <strong>des</strong> Reichthums, welche sich ihren<br />

Vortheil aus jedem Kehricht auflesen, mit kalten Augen, geilen<br />

Gedanken, vor diesem Gesindel, das gen Himmel stinkt,<br />

— vor diesem vergüldeten verfälschten Pöbel, <strong>des</strong>sen Väter<br />

Langfinger oder Aasvögel oder Lumpensammler waren, mit<br />

Weibern willfährig, lüstern, vergesslich: — sie haben's nämlich<br />

alle nicht weit zur Hure —<br />

Pöbel oben, Pöbel unten! Was ist heute noch „Arm“ <strong>und</strong><br />

„Reich“! Diesen Unterschied verlernte ich, — da floh ich davon,<br />

weiter, immer weiter, bis ich zu diesen Kühen kam.“<br />

Also sprach der Friedfertige <strong>und</strong> schnaufte selber <strong>und</strong><br />

schwitzte bei seinen Worten: also dass die Kühe sich von Neuem

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!