Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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Der Blutende lachte, immer noch erzürnt. „Was geht's dich an! sagte er und wollte weitergehn. Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mich fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich antworten.“ „Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, und darin soll mir Keiner zu Schaden kommen. Nenne mich aber immerhin, wie du willst, — ich bin, der ich sein muss. Ich selber heisse mich Zarathustra. Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Höhle: die ist nicht fern, — willst du nicht bei mir deiner Wunden warten? Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das Thier, und dann — trat dich der Mensch!“ — — Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's hörte, verwandelte er sich. „Was geschieht mir doch! rief er aus, wer kümmert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine Mensch, nämlich Zarathustra, und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel? Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schönerer Igel nach meinem Blute, Zarathustra selber! Oh Glück! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf, Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.307' KSA='4.311' der heut lebt, gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel Zarathustra!“ — Also sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich über seine Worte und ihre feine ehrfürchtige Art. „Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel aufzuklären und aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, wird es reiner heller Tag.“ „Ich bin der Gewissenhafte des Geistes, antwortete der Gefragte, und in Dingen des Geistes nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und härter als ich, ausgenommen der, von dem ich's lernte, Zarathustra selber. Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken! Ich — gehe auf den Grund: — was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel heisst? Eine Hand breit Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist! — eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses und nichts Kleines.“ „So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; und du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten

Gründe, du Gewissenhafter?“ „Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das wäre ein Ungeheures, wie dürfte ich mich dessen unterfangen! Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels Hirn: —das ist meine Welt! Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte kommt, denn ich habe hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich „hier bin ich heim.“ Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, dass die schlüpfrige Wahrheit mir hier nicht mehr entschlüpfe! Hier ist mein Reich! — darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles, Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.308' KSA='4.312' Andre gleich; und dicht neben meinem Wissen lagert mein schwarzes Unwissen. Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst Alles nicht weiss: es ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, Schwebenden, Schwärmerischen. Wo meine Redlichkeit aufhört, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich aber wissen will, will ich auch redlich sein, nämlich hart, streng, eng, grausam, unerbittlich. Dass du einst sprachst, oh Zarathustra: „Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet,“ das führte und verführte mich zu deiner Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute mehrte ich mir das eigne Wissen!“ — „Wie der Augenschein lehrt,“ fiel Zarathustra ein; denn immer noch floss das Blut an dem nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten nämlich zehn Blutegel sich in denselben eingebissen. „Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, nämlich du selber! Und nicht Alles dürfte ich vielleicht in deine strengen Ohren giessen! Wohlan! So scheiden wir hier! Doch möchte ich gerne dich wiederfinden. Dort hinauf führt der Weg zu meiner Höhle: heute Nacht sollst du dort mein lieber Gast sein! Gerne möchte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass Zarathustra dich mit Füssen trat: darüber denke ich nach. Jetzt aber ruft mich ein Nothschrei eilig fort von dir.“ Also sprach Zarathustra. Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.309' KSA='4.313' Aphorism id='ZaIV-Text-5' kgw='VI-1.309' ksa='4.313'

Der Blutende lachte, immer noch erzürnt. „Was geht's dich<br />

an! sagte er <strong>und</strong> wollte weitergehn. Hier bin ich heim <strong>und</strong> in<br />

meinem Bereiche. Mag mich fragen, wer da will: einem Tölpel<br />

aber werde ich schwerlich antworten.“<br />

„Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig <strong>und</strong> hielt ihn fest, du<br />

irrst: hier bist du nicht bei dir, sondern in meinem Reiche, <strong>und</strong><br />

darin soll mir Keiner zu Schaden kommen.<br />

Nenne mich aber immerhin, wie du willst, — ich bin, der<br />

ich sein muss. Ich selber heisse mich Zarathustra.<br />

Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Höhle:<br />

die ist nicht fern, — willst du nicht bei mir deiner W<strong>und</strong>en<br />

warten?<br />

Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst<br />

biss dich das Thier, <strong>und</strong> dann — trat dich der Mensch!“ — —<br />

Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's hörte, verwandelte<br />

er sich. „Was geschieht mir doch! rief er aus, wer<br />

kümmert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine<br />

Mensch, nämlich Zarathustra, <strong>und</strong> jenes Eine Thier, das vom<br />

Blute <strong>lebt</strong>, der Blutegel?<br />

Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein<br />

Fischer, <strong>und</strong> schon war mein ausgehängter Arm zehn Mal angebissen,<br />

da beisst noch ein schönerer Igel nach meinem Blute,<br />

Zarathustra selber!<br />

Oh Glück! Oh W<strong>und</strong>er! Gelobt sei dieser Tag, der mich<br />

in diesen Sumpf lockte! Gelobt sei der beste lebendigste Schröpfkopf,<br />

Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.307' KSA='4.311'<br />

der heut <strong>lebt</strong>, gelobt sei der grosse Gewissens-Blutegel<br />

Zarathustra!“ —<br />

Also sprach der Getretene; <strong>und</strong> Zarathustra freute sich über<br />

seine Worte <strong>und</strong> ihre feine ehrfürchtige Art. „Wer bist du?<br />

fragte er <strong>und</strong> reichte ihm die Hand, zwischen uns bleibt Viel<br />

aufzuklären <strong>und</strong> aufzuheitern: aber schon, dünkt mich, wird es<br />

reiner heller Tag.“<br />

„Ich bin der Gewissenhafte <strong>des</strong> Geistes, antwortete<br />

der Gefragte, <strong>und</strong> in Dingen <strong>des</strong> Geistes nimmt es nicht<br />

leicht Einer strenger, enger <strong>und</strong> härter als ich, ausgenommen der,<br />

von dem ich's lernte, Zarathustra selber.<br />

Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr<br />

sein auf eigne Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken!<br />

Ich — gehe auf den Gr<strong>und</strong>:<br />

— was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf<br />

oder Himmel heisst? Eine Hand breit Gr<strong>und</strong> ist mir genung:<br />

wenn er nur wirklich Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden ist!<br />

— eine Hand breit Gr<strong>und</strong>: darauf kann man stehn. In der<br />

rechten Wissen-Gewissenschaft giebt es nichts Grosses <strong>und</strong> nichts<br />

Kleines.“<br />

„So bist du vielleicht der <strong>Er</strong>kenner <strong>des</strong> Blutegels? fragte<br />

Zarathustra; <strong>und</strong> du gehst dem Blutegel nach bis auf die letzten

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