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Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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Aphorism id='ZaIV-Text-2' kgw='VI-1.296' ksa='4.300'<br />

Der Nothschrei.<br />

Des nächsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem<br />

Steine vor der Höhle, während die Thiere draussen in der Welt<br />

herumschweiften, dass sie neue Nahrung heimbrächten, — auch<br />

neuen Honig: denn Zarathustra hatte den alten Honig bis auf<br />

das letzte Korn verthan <strong>und</strong> verschwendet. Als er aber dermaassen<br />

dasass, mit einem Stecken in der Hand, <strong>und</strong> den Schatten<br />

seiner Gestalt auf der <strong>Er</strong>de abzeichnete, nachdenkend <strong>und</strong>,<br />

wahrlich! nicht über sich <strong>und</strong> seinen Schatten — da erschrak er<br />

mit Einem Male <strong>und</strong> fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem<br />

Schatten noch einen andern Schatten. Und wie er schnell um<br />

sich blickte <strong>und</strong> aufstand, siehe, da stand der Wahrsager neben<br />

ihm, der selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist <strong>und</strong><br />

getränkt hatte, der Verkündiger der grossen Müdigkeit, welcher<br />

lehrte: „Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Welt ist ohne Sinn,<br />

Wissen würgt.“ Aber sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt;<br />

<strong>und</strong> als ihm Zarathustra in die Augen blickte, wurde<br />

sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme Verkündigungen<br />

<strong>und</strong> aschgraue Blitze liefen über diess Gesicht.<br />

Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's<br />

Seele zutrug, wischte mit der Hand über sein Antlitz<br />

hin, wie als ob er dasselbe wegwischen wollte; <strong>des</strong>gleichen that<br />

auch Zarathustra. Und als Beide dergestalt sich schweigend gefasst<br />

Page Break id='ZaIV' KGW='VI-1.297' KSA='4.301'<br />

<strong>und</strong> gekräftigt hatten, gaben sie sich die Hände, zum Zeichen,<br />

dass sie sich wiedererkennen wollten.<br />

„Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der<br />

grossen Müdigkeit, du sollst nicht umsonst einstmals mein<br />

Tisch- <strong>und</strong> Gastfre<strong>und</strong> gewesen sein. Iss <strong>und</strong> trink auch heute<br />

bei mir <strong>und</strong> vergieb es, dass ein vergnügter alter Mann mit dir<br />

zu Tische sitzt!“ — „Ein vergnügter alter Mann? antwortete<br />

der Wahrsager, den Kopf schüttelnd: wer du aber auch bist oder<br />

sein willst, oh Zarathustra, du bist es zum Längsten hier Oben<br />

gewesen, - dein Nachen soll über Kurzem nicht mehr im<br />

Trocknen sitzen!“ — „Sitze ich denn im Trocknen?“ fragte<br />

Zarathustra lachend. „Die Wellen um deinen Berg, antwortete<br />

der Wahrsager, steigen <strong>und</strong> steigen, die Wellen grosser Noth<br />

<strong>und</strong> Trübsal: die werden bald auch deinen Nachen heben <strong>und</strong><br />

dich davontragen.“ — Zarathustra schwieg hierauf <strong>und</strong> w<strong>und</strong>erte<br />

sich. „Hörst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager fort:<br />

rauscht <strong>und</strong> braust es nicht herauf aus der Tiefe?“ — Zarathustra<br />

schwieg abermals <strong>und</strong> horchte: da hörte er einen langen, langen

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