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Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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erst ihre Kehle weich, ihre Hand gesprächig, ihr Auge ausdrücklich,<br />

ihr Herz wach: — Denen gleiche ich nicht. —<br />

2.<br />

Wer die <strong>Menschen</strong> einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine<br />

verrückt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft<br />

fliegen, die <strong>Er</strong>de wird er neu taufen — als „die Leichte.“<br />

Der Vogel Strauss läuft schneller als das schnellste Pferd,<br />

aber auch er steckt noch den Kopf schwer in schwere <strong>Er</strong>de: also<br />

der Mensch, der noch nicht fliegen kann.<br />

Schwer heisst ihm <strong>Er</strong>de <strong>und</strong> Leben; <strong>und</strong> so will es der<br />

Geist der Schwere! Wer aber leicht werden will <strong>und</strong> ein Vogel,<br />

der muss sich selber lieben: — also lehre ich.<br />

Nicht freilich mit der Liebe der Siechen <strong>und</strong> Süchtigen: denn<br />

bei denen stinkt auch die Eigenliebe!<br />

Man muss sich selber lieben lernen — also lehre ich — mit<br />

einer heilen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>en Liebe: dass man es bei sich selber aushalte<br />

<strong>und</strong> nicht umherschweife.<br />

Solches Umherschweifen tauft sich „Nächstenliebe“: mit<br />

diesem Worte ist bisher am besten gelogen <strong>und</strong> geheuchelt worden,<br />

<strong>und</strong> sonderlich von Solchen, die aller Welt schwer fielen.<br />

Und wahrlich, das ist kein Gebot für Heute <strong>und</strong> Morgen,<br />

sich lieben lernen. Vielmehr ist von allen Künsten diese die<br />

feinste, listigste, letzte <strong>und</strong> geduldsamste.<br />

Für seinen Eigener ist nämlich alles Eigene gut versteckt;<br />

<strong>und</strong> von allen Schatzgruben wird die eigne am spätesten ausgegraben,<br />

— also schafft es der Geist der Schwere.<br />

Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte <strong>und</strong><br />

Werthe mit „gut“ <strong>und</strong> „böse“ — so heisst sich diese Mitgift.<br />

Um derentwillen vergiebt man uns, dass wir leben.<br />

Und dazu lässt man die Kindlein zu sich kommen, dass man<br />

ihnen bei Zeiten wehre, sich selber zu lieben: also schafft es der<br />

Geist der Schwere.<br />

Page Break id='ZaIII' KGW='VI-1.239' KSA='4.243'<br />

Und wir — wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt,<br />

auf harten Schultern <strong>und</strong> über rauhe Berge! Und schwitzen wir,<br />

so sagt man uns „Ja, das Leben ist schwer zu tragen!“<br />

Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht,<br />

er schleppt zu vieles Fremde auf seinen Schultern. Dem Kameele<br />

gleich kniet er nieder <strong>und</strong> lässt sich gut aufladen.<br />

Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht<br />

innewohnt: zu viele fremde schwere Worte <strong>und</strong> Werthe lädt<br />

er auf sich, — nun dünkt das Leben ihm eine Wüste!<br />

Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer zu tragen!<br />

Und viel Inwendiges am <strong>Menschen</strong> ist der Auster gleich,<br />

nämlich ekel <strong>und</strong> schlüpfrig <strong>und</strong> schwer erfasslich —,

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