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Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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sie höhnt <strong>und</strong> narrt alle Wirr- <strong>und</strong> Irr-Lehrer.<br />

Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt<br />

wird; allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen<br />

der bereite Brunst- <strong>und</strong> Brodel-Ofen.<br />

Wollust: für die freien Herzen unschuldig <strong>und</strong> frei, das<br />

Garten-Glück der <strong>Er</strong>de, aller Zukunft Dankes-Überschwang an<br />

das Jetzt.<br />

Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen<br />

aber die grosse Herzstärkung, <strong>und</strong> der ehrfürchtig geschonte<br />

Wein der Weine.<br />

Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück <strong>und</strong><br />

höchste Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe verheissen <strong>und</strong> mehr<br />

als Ehe, —<br />

— Vielem, das fremder sich ist, als Mann <strong>und</strong> Weib: — <strong>und</strong><br />

wer begriff es ganz, wie fremd sich Mann <strong>und</strong> Weib sind!<br />

Wollust: — doch ich will Zäune um meine Gedanken haben<br />

<strong>und</strong> auch noch um meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten<br />

die Schweine <strong>und</strong> Schwärmer brechen! —<br />

Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten;<br />

die grause Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart;<br />

die düstre Flamme lebendiger Scheiterhaufen.<br />

Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern<br />

aufgesetzt wird; die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die<br />

auf jedem Rosse <strong>und</strong> jedem Stolze reitet,<br />

Herrschsucht: das <strong>Er</strong>dbeben, das alles Morsche <strong>und</strong> Höhlichte<br />

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bricht <strong>und</strong> aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin<br />

übertünchter Gräber; das blitzende Fragezeichen neben<br />

vorzeitigen Antworten.<br />

Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht <strong>und</strong> duckt<br />

<strong>und</strong> fröhnt <strong>und</strong> niedriger wird als Schlange <strong>und</strong> Schwein: — bis<br />

endlich die grosse Verachtung aus ihm aufschreit —,<br />

Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung,<br />

welche Städten <strong>und</strong> Reichen in's Antlitz predigt „hinweg mit<br />

dir!“ — bis es aus ihnen selber aufschreit „hinweg mit mir!“<br />

Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen <strong>und</strong> Einsamen<br />

<strong>und</strong> hinauf zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend<br />

gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an<br />

<strong>Er</strong>denhimmel malt.<br />

Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn das Hohe<br />

hinab nach Macht gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches <strong>und</strong> Süchtiges<br />

ist an solchem Gelüsten <strong>und</strong> Niedersteigen!<br />

Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame <strong>und</strong> selbst<br />

begnüge; dass der Berg zu Thale komme <strong>und</strong> die Winde der Höhe<br />

zu den Niederungen: —<br />

Oh wer fände den rechten Tauf- <strong>und</strong> Tugendnamen für<br />

solche Sehnsucht „Schenkende Tugend“ — so nannte das Unnennbare<br />

einst Zarathustra.

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