Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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04.11.2013 Aufrufe

Goldapfel, mit kühl-sanfter sammtener Haut: — so bot sich mir die Welt: — Page Break id='ZaIII' KGW='VI-1.232' KSA='4.236' — als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger, gekrümmt zur Lehne und noch zum Fussbrett für den Wegmüden: so stand die Welt auf meinem Vorgebirge: — — als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen, — einen Schrein offen für das Entzücken schamhafter verehrender Augen: also bot sich mir heute die Welt entgegen: — — nicht Räthsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht Lösung genug, um Menschen-Weisheit einzuschläfern: — ein menschlich gutes Ding war mir heut die Welt, der man so Böses nachredet! Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Frühe heut die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum und Herzenströster! Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die Wage thun und menschlich gut abwägen. — Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf die Wage thun. Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten verflucht und am schlimmsten beleu- und belügenmundet, — diese Drei will ich menschlich gut abwägen. Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: das wälzt sich zu mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue alte hundertköpfige Hunds-Ungethüm, das ich liebe. Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem Meere: und auch einen Zeugen wähle ich, dass er zusehe, — dich, du Einsiedler-Baum, dich starkduftigen, breitgewölbten, den ich liebe! — Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was heisst auch das Höchste noch — hinaufwachsen? — Nun steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen Page Break id='ZaIII' KGW='VI-1.233' KSA='4.237' warf ich hinein, drei schwere Antworten trägt die andre Wagschale. 2. Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel und Pfahl, und als „Welt“ verflucht bei allen Hinterweltlern: denn

sie höhnt und narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer. Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; allem wurmichten Holze, allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und Brodel-Ofen. Wollust: für die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Glück der Erde, aller Zukunft Dankes-Überschwang an das Jetzt. Wollust: nur dem Welken ein süsslich Gift, für die Löwen-Willigen aber die grosse Herzstärkung, und der ehrfürchtig geschonte Wein der Weine. Wollust: das grosse Gleichniss-Glück für höheres Glück und höchste Hoffnung. Vielem nämlich ist Ehe verheissen und mehr als Ehe, — — Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: — und wer begriff es ganz, wie fremd sich Mann und Weib sind! Wollust: — doch ich will Zäune um meine Gedanken haben und auch noch um meine Worte: dass mir nicht in meine Gärten die Schweine und Schwärmer brechen! — Herrschsucht: die Glüh-Geissel der härtesten Herzensharten; die grause Marter, die sich dem Grausamsten selber aufspart; die düstre Flamme lebendiger Scheiterhaufen. Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Völkern aufgesetzt wird; die Verhöhnerin aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und jedem Stolze reitet, Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Höhlichte Page Break id='ZaIII' KGW='VI-1.234' KSA='4.238' bricht und aufbricht; die rollende grollende strafende Zerbrecherin übertünchter Gräber; das blitzende Fragezeichen neben vorzeitigen Antworten. Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und fröhnt und niedriger wird als Schlange und Schwein: — bis endlich die grosse Verachtung aus ihm aufschreit —, Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche Städten und Reichen in's Antlitz predigt „hinweg mit dir!“ — bis es aus ihnen selber aufschreit „hinweg mit mir!“ Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf zu selbstgenugsamen Höhen steigt, glühend gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an Erdenhimmel malt. Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn das Hohe hinab nach Macht gelüstet! Wahrlich, nichts Sieches und Süchtiges ist an solchem Gelüsten und Niedersteigen! Dass die einsame Höhe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnüge; dass der Berg zu Thale komme und die Winde der Höhe zu den Niederungen: — Oh wer fände den rechten Tauf- und Tugendnamen für solche Sehnsucht „Schenkende Tugend“ — so nannte das Unnennbare einst Zarathustra.

Goldapfel, mit kühl-sanfter sammtener Haut: — so bot sich mir<br />

die Welt: —<br />

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— als ob ein Baum mir winke, ein breitästiger, starkwilliger,<br />

gekrümmt zur Lehne <strong>und</strong> noch zum Fussbrett für den Wegmüden:<br />

so stand die Welt auf meinem Vorgebirge: —<br />

— als ob zierliche Hände mir einen Schrein entgegentrügen,<br />

— einen Schrein offen für das Entzücken schamhafter verehrender<br />

Augen: also bot sich mir heute die Welt entgegen: —<br />

— nicht Räthsel genug, um <strong>Menschen</strong>-Liebe davon zu<br />

scheuchen, nicht Lösung genug, um <strong>Menschen</strong>-Weisheit einzuschläfern:<br />

— ein menschlich gutes Ding war mir heut die Welt,<br />

der man so Böses nachredet!<br />

Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der<br />

Frühe heut die Welt wog! Als ein menschlich gutes Ding kam er<br />

zu mir, dieser Traum <strong>und</strong> Herzenströster!<br />

Und dass ich's ihm gleich thue am Tage <strong>und</strong> sein Bestes ihm<br />

nach- <strong>und</strong> ablerne: will ich jetzt die drei bösesten Dinge auf die<br />

Wage thun <strong>und</strong> menschlich gut abwägen. —<br />

Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind<br />

in der Welt die drei bestverfluchten Dinge? Diese will ich auf<br />

die Wage thun.<br />

Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese<br />

Drei wurden bisher am besten verflucht <strong>und</strong> am schlimmsten<br />

beleu- <strong>und</strong> belügenm<strong>und</strong>et, — diese Drei will ich menschlich gut<br />

abwägen.<br />

Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg <strong>und</strong> da das Meer: das<br />

wälzt sich zu mir heran, zottelig, schmeichlerisch, das getreue<br />

alte h<strong>und</strong>ertköpfige H<strong>und</strong>s-Ungethüm, das ich liebe.<br />

Wohlauf! Hier will ich die Wage halten über gewälztem<br />

Meere: <strong>und</strong> auch einen Zeugen wähle ich, dass er zusehe, — dich,<br />

du Einsiedler-Baum, dich starkduftigen, breitgewölbten, den ich<br />

liebe! —<br />

Auf welcher Brücke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem<br />

Zwange zwingt das Hohe sich zum Niederen? Und was<br />

heisst auch das Höchste noch — hinaufwachsen? —<br />

Nun steht die Wage gleich <strong>und</strong> still: drei schwere Fragen<br />

Page Break id='ZaIII' KGW='VI-1.233' KSA='4.237'<br />

warf ich hinein, drei schwere Antworten trägt die andre<br />

Wagschale.<br />

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Wollust: allen busshemdigen Leib-Verächtern ihr Stachel <strong>und</strong><br />

Pfahl, <strong>und</strong> als „Welt“ verflucht bei allen Hinterweltlern: denn

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