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Seltsames Loos des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas ...

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Wer Alles bei den <strong>Menschen</strong> begreifen wollte, der müsste<br />

Alles angreifen. Aber dazu habe ich zu reinliche Hände.<br />

Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich<br />

so lange unter ihrem Lärm <strong>und</strong> üblem Athem <strong>lebt</strong>e!<br />

Oh selige Stille um mich! Oh reine Gerüche um mich! Oh<br />

wie aus tiefer Brust diese Stille reinen Athem holt! Oh wie sie<br />

horcht, diese selige Stille!<br />

Aber da unten — da redet Alles, da wird Alles überhört.<br />

Man mag seine Weisheit mit Glocken einläuten: die Krämer auf<br />

dem Markte werden sie mit Pfennigen überklingeln!<br />

Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn.<br />

Alles fällt in's Wasser, Nichts fällt mehr in tiefe Brunnen.<br />

Alles bei ihnen redet, Nichts geräth mehr <strong>und</strong> kommt zu<br />

Ende. Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen<br />

<strong>und</strong> Eier brüten?<br />

Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern<br />

noch zu hart war für die Zeit selber <strong>und</strong> ihren Zahn: heute<br />

hängt es zerschabt <strong>und</strong> zernagt aus den Mäulern der Heutigen.<br />

Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst<br />

Geheimniss hiess <strong>und</strong> Heimlichkeit tiefer Seelen, heute gehört es<br />

den Gassen-Trompetern <strong>und</strong> andern Schmetterlingen.<br />

Oh <strong>Menschen</strong>wesen, du w<strong>und</strong>erliches! Du Lärm auf dunklen<br />

Gassen! Nun liegst du wieder hinter mir: — meine grösste<br />

Gefahr liegt hinter mir!<br />

Im Schonen <strong>und</strong> Mitleiden lag immer meine grösste Gefahr;<br />

<strong>und</strong> alles <strong>Menschen</strong>wesen will geschont <strong>und</strong> gelitten sein.<br />

Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand <strong>und</strong> vernarrtem<br />

Herzen <strong>und</strong> reich an kleinen Lügen <strong>des</strong> Mitleidens: — also<br />

<strong>lebt</strong>e ich immer unter <strong>Menschen</strong>.<br />

Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, mich zu verkennen,<br />

dass ich sie ertrüge, <strong>und</strong> gern mir zuredend „du Narr,<br />

du kennst die <strong>Menschen</strong> nicht!“<br />

Man verlernt die <strong>Menschen</strong>, wenn man unter <strong>Menschen</strong> <strong>lebt</strong>:<br />

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zu viel Vordergr<strong>und</strong> ist an allen <strong>Menschen</strong>, — was sollen da<br />

weitsichtige, weit-süchtige Augen!<br />

Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob<br />

mehr, als mich: gewohnt zur Härte gegen mich <strong>und</strong> oft noch an<br />

mir selber mich rächend für diese Schonung.<br />

Zerstochen von giftigen Fliegen <strong>und</strong> ausgehöhlt, dem Steine<br />

gleich, von vielen Tropfen Bosheit, so sass ich unter ihnen <strong>und</strong><br />

redete mir noch zu „unschuldig ist alles Kleine an seiner Kleinheit!“<br />

Sonderlich Die, welche sie „die Guten“ heissen, fand ich<br />

als die giftigsten Fliegen: sie stechen in aller Unschuld, sie lügen<br />

in aller Unschuld; wie vermöchten sie, gegen mich — gerecht<br />

zu sein!<br />

Wer unter den Guten <strong>lebt</strong>, den lehrt Mitleid lügen. Mitleid<br />

macht dumpfe Luft allen freien Seelen. Die Dummheit der Guten

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