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Die rechte und die linke Hand der Parodie - legendmovies

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Christian Heger<br />

<strong>Die</strong> <strong>rechte</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>linke</strong> <strong>Hand</strong><br />

<strong>der</strong> Paro<strong>die</strong><br />

Bud Spencer, Terence Hill <strong>und</strong> ihre Filme<br />

Redaktionelle Mitarbeit:<br />

Dennis & Eric Heyse, Ansgar Skulme, Tibor Robert Szücs<br />

(www.spencerhilldb.de)


<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Prolog: Zeit für eine filmwissenschaftliche<br />

Ehrenrettung 7<br />

1 Vorüberlegungen: Der Weg zum<br />

komischen Western-Helden 11<br />

1.1 Westerngeschichte <strong>und</strong><br />

Westernparo<strong>die</strong> 11<br />

1.2 Ausverkauf <strong>der</strong> alten Werte: Das<br />

Phänomen Euro- <strong>und</strong> Italo-Western 17<br />

1.2.1 Stilistische Endspiele <strong>und</strong> ein neuer<br />

Helden-Typus 17<br />

1.2.2 Spaghetti-Filme vom Fließband: Das<br />

italienische Studiosystem von Cinecittà 22<br />

2 Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill –<br />

Filmkarriere wi<strong>der</strong> Willen 27<br />

2.1 Von Carlo Pe<strong>der</strong>soli zu Bud Spencer:<br />

1929–1967 27<br />

2.2 Von Mario Girotti zu Terence Hill:<br />

1939–1967 31<br />

3 Von <strong>der</strong> Gewalt zum Humor:<br />

Zwei neue Helden erobern<br />

das Kino 35<br />

3.1 Präludium: <strong>Die</strong> Western-Trilogie<br />

Giuseppe Colizzis (1967–69) 35<br />

3.1.1 Zwei Cowboys auf den Spuren Sergio Leones 35<br />

3.1.2 Wie H<strong>und</strong> <strong>und</strong> Katze: Auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

<strong>der</strong> Chemie einer Partnerschaft 39<br />

3.1.3 Zusammenfassung: <strong>Die</strong> Ästhetik Giuseppe<br />

Colizzis<br />

3.2 Enzo Barbonis Trinità-Filme (1970–<br />

71): Aspekte einer grandiosen<br />

Erfolgsformel 44<br />

3.2.1 Ein Autorenregisseur: Von Enzo Barboni zu<br />

E. B. Clucher 44<br />

3.2.2 Buddy-Movies all’Italiana 46<br />

3.2.3 Komik durch Cartoon-Gewalt 49<br />

3.2.4 Trinità: Ein Swashbuckler-Hippie<br />

zweifelhafter Abkunft 54<br />

3.2.5 Ein «Hauch von Hawks»: Barboni <strong>und</strong> seine<br />

Westernvorläufer 59<br />

3.2.6 <strong>Die</strong> Komik des Paares: Auf den Spuren<br />

Laurels <strong>und</strong> Hardys 63<br />

3.2.7 Commedia dell’arte revisited: Trinità <strong>und</strong><br />

Bambino als Erben <strong>der</strong> beiden Zani 71<br />

3.2.8 Das komische Duo als Spiegelbild des<br />

italienischen Nord-Süd-Gefälles 74<br />

3.2.9 Essensschlachten gegen das amerikanische<br />

WASP-Ideal 79<br />

3.3 Trinità, Bambino <strong>und</strong> ihre Erben:<br />

Weiterentwicklungen des komischen<br />

Erfolgskonzeptes 83<br />

3.3.1 Der sanfte Riese <strong>und</strong> das Kind: Bud Spencer<br />

<strong>und</strong> Si può fare, amigo (1972) 83<br />

3.3.2 Barboni, Terence Hill <strong>und</strong> …E poi lo<br />

chiamarono il magnifico (1972) 87<br />

3.3.3 Wechsel von <strong>der</strong> Steppe ins Polizei-Revier:<br />

Bud Spencers Piedone-Serie (1973–80) 91<br />

3.3.4 «Der letzte Western, den man machen<br />

kann»: Il mio nome è Nessuno (1973) 99<br />

3.3.5 Ein pikaresker Schwanengesang: Un genio,<br />

due compari, un pollo (1975) 106<br />

3.4 Das Ende <strong>der</strong> Ära «Halleluja-Western» 112<br />

3.5 Exkurs: Bud Spencer & Terence Hill<br />

in Deutschland 119<br />

4 Der Mythos des Teams: Eine<br />

persönliche Schlussbemerkung 129<br />

Anhang 133<br />

Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill: Ausführliche<br />

Filmographie mit Kurzkritiken 133<br />

<strong>Die</strong> Stock Company <strong>der</strong> Spencer/Hill-Filme<br />

Literaturverzeichnis<br />

Filmographie<br />

5


Prolog:<br />

Zeit für eine filmwissenschaftliche<br />

Ehrenrettung<br />

Wir waren mal ein gutes Team, dachte er, aber das<br />

war einmal, wir waren mal ein perfektes Team, dachte<br />

er, so wie Bonnie <strong>und</strong> Clyde, wie Dick <strong>und</strong> Doof, wie<br />

Simon <strong>und</strong> Garfunkel, wie Sacco <strong>und</strong> Vancetti, o<strong>der</strong>,<br />

dachte er, <strong>und</strong> musste sich eingestehen, dass <strong>die</strong>s <strong>der</strong><br />

Wahrheit am nächsten kam, wie Bud Spencer <strong>und</strong> Terence<br />

Hill. Es ist scheiße, 30 Jahre alt zu werden, ging es<br />

ihm durch den Kopf, man beginnt, eine Vergangenheit<br />

zu haben, eine gute alte Zeit <strong>und</strong> den ganzen Scheiß. 1<br />

Sven Regener<br />

Das erste Mal, dass ich einen Film mit Bud Spencer <strong>und</strong><br />

Terence Hill sah, muss zu Beginn <strong>der</strong> achtziger Jahre<br />

gewesen sein, als ich als kleiner, kaum schulpflichtiger<br />

Junge mit meinem Vater fern sah. Seit <strong>die</strong>sem Tag<br />

sind mir <strong>die</strong> Namen von Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill<br />

ein Begriff <strong>und</strong> – ich gebe es unumw<strong>und</strong>en zu – mit<br />

nostalgischen Kindheitserinnerungen verb<strong>und</strong>en. Gewiss<br />

gab es seit <strong>die</strong>ser Zeit immer wie<strong>der</strong> Phasen, in<br />

denen <strong>die</strong> beiden Schauspieler ganz aus dem persönlichen<br />

Bewusstseinshorizont verschwanden; Phasen,<br />

in denen an<strong>der</strong>e Helden <strong>und</strong> Protagonisten des Kinos<br />

den Heranwachsenden stärker faszinierten <strong>und</strong> in<br />

denen man sich auf <strong>der</strong> großen Leinwand (<strong>und</strong> auch<br />

auf dem Fernsehbildschirm) nach an<strong>der</strong>em sehnte,<br />

1 Regener, Sven: Herr Lehmann. Ein Roman. Frankfurt am Main<br />

22<br />

2006, 212.<br />

2 Kessler, Christian: Willkommen in <strong>der</strong> Hölle. Der Italo-Western<br />

im Überblick. Gütersloh 2002, 148.<br />

3 So lautet eine Textwendung des Disco-Songs Figli di Pitagora,<br />

mit dem DJ Gabry Ponte alias Gabriele Ponte im Jahre 2004<br />

<strong>die</strong> italienischen Charts erstürmte.<br />

4 Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion. Berlin 112000,<br />

179. «Was uns von vornherein abstieß», schreibt Illies, «war <strong>die</strong><br />

Art <strong>der</strong> Witze, über <strong>die</strong> <strong>die</strong> Latzhosenträger lachten. Es war eine<br />

Generation, <strong>die</strong> noch ins Kabarett ging, es bis heute gut findet,<br />

dass <strong>Die</strong>ter Hildebrandt den Finger in <strong>die</strong> W<strong>und</strong>e legt, auch über<br />

Hans <strong>Die</strong>ter Hüsch schmunzelt, Mad las <strong>und</strong> immer noch Otto-<br />

Waalkes-Zitate an den unpassendsten Stellen anbringt. […] Uns<br />

war <strong>die</strong> <strong>Die</strong>ter-Hildebrandt-Humorschiene von Anfang an zu<br />

schwermütig, misanthropisch, zu engagiert ablehnend.» (ebd.)<br />

als nur nach Prügeleien o<strong>der</strong> flotten Sprüchen. Und<br />

doch tauchten <strong>die</strong> beiden Filmkomiker immer wie<strong>der</strong><br />

urplötzlich aus <strong>der</strong> geistigen Versenkung auf – sei<br />

es durch witzige Situationen, in <strong>die</strong> man geriet <strong>und</strong><br />

<strong>die</strong> man schlagartig mit ihren Filmen assoziierte,<br />

sei es durch Mimiken <strong>und</strong> Gesten, durch populäre<br />

So<strong>und</strong>track-Klänge o<strong>der</strong> beim Anblick einer absurden<br />

Cartoon-Schlägerei. Festzustellen ist: <strong>Die</strong> Filme von<br />

Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill – das bestätigt immer<br />

wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Dialog mit vielen Gleichaltrigen – waren<br />

für <strong>die</strong> Generation <strong>der</strong> zwischen 1965 <strong>und</strong> 1980 Geborenen<br />

vieler Län<strong>der</strong> Mitteleuropas eine prägende<br />

kindliche Sozialisationserfahrung.<br />

Inzwischen allerdings sind <strong>die</strong> Kin<strong>der</strong> von einst<br />

erwachsen geworden <strong>und</strong> befinden sich nun selbst in<br />

dem Alter, in dem das ungleiche Paar sie vor Jahren<br />

auf <strong>der</strong> Leinwand faszinierte. Der großen Zuneigung<br />

für <strong>die</strong> Filme von Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill hat<br />

<strong>die</strong>ser Umstand kaum Abbruch getan: <strong>Die</strong> vielen Referenzen,<br />

mit denen Künstler <strong>und</strong> Intellektuelle <strong>der</strong><br />

unterschiedlichsten Herkunft ihre Kindheitshelden inzwischen<br />

bedacht haben, sind dafür eindrucksvoller<br />

Beleg. <strong>Die</strong> Generation, für <strong>die</strong> regelmäßig zelebrierte<br />

«Spencer/Hill-Matineen» 2 zum festen Bestandteil ihrer<br />

frühen Jugend zählten, lebt heute längst in dem<br />

populärkulturellen Selbstverständnis, «Figli di Trinità»<br />

3 zu sein: Kin<strong>der</strong> des berühmten Komik-Cowboys,<br />

als <strong>der</strong> Terence Hill einst über <strong>die</strong> Leinwand ritt. In<br />

trefflicher Entsprechung hat <strong>der</strong> Berliner Feuilletonist<br />

Florian Illies den Filmen Bud Spencers das Ver<strong>die</strong>nst<br />

einer substanziellen «Kino-Gr<strong>und</strong>schulung» 4 in Sachen<br />

Humor zugewiesen – einem Humor freilich, <strong>der</strong><br />

sich in seiner Unbekümmertheit vom politisch aggressiven<br />

Kabarett <strong>der</strong> 68er-Bewegung auf f<strong>und</strong>amentale<br />

Weise unterschied <strong>und</strong> dessen Nachwirkungen noch<br />

bis hin zum aktuellen Kino unserer Tage fortreichen.<br />

Im Jahre 2001 porträtierte <strong>der</strong> italienische Nachwuchsregisseur<br />

Marco Ponti in seiner Komö<strong>die</strong> Santa<br />

Maradona (Rote Karte für <strong>die</strong> Liebe, IT 2001) so<br />

7


Prolog: Zeit für eine filmwissenschaftliche Ehrenrettung<br />

1 Plakat zu Santa Maradona<br />

(Rote Karte für <strong>die</strong><br />

Liebe)<br />

beispielsweise das Leben<br />

zweier junger Müßiggänger,<br />

<strong>die</strong> sich trotz abgeschlossenen<br />

Studiums einer<br />

Einglie<strong>der</strong>ung in <strong>die</strong><br />

Leistungsgesellschaft<br />

ganz <strong>und</strong> gar verweigern.<br />

Stattdessen verbringen<br />

sie ihre Zeit mit <strong>der</strong> Suche<br />

nach versponnenen<br />

Zeitungsmeldungen, <strong>der</strong><br />

permanenten Jagd nach<br />

Frauen <strong>und</strong> exzessiven<br />

popkulturellen Diskussionen.<br />

Zum bevorzugten Unterhaltungsprogramm<br />

zählen außerdem Video-Sessions mit alten Spencer/<br />

Hill-Western, <strong>die</strong> Ponti offenbar als Ausdruck eines<br />

ganz speziellen Lebensgefühls begreift. Seinen Debütfilm,<br />

<strong>der</strong> mit dem italienischen Filmpreis David di<br />

Donatello ausgezeichnet wurde, hat <strong>der</strong> 1967 geborene<br />

Regisseur den beiden Idolen denn auch gewidmet<br />

<strong>und</strong> sich gleichsam in <strong>die</strong> lange Schlange jener kulturellen<br />

Nachwuchselite eingereiht, <strong>die</strong> ihre Helden von<br />

einst im Herzen bis heute bei sich trägt: «Von allen<br />

Kindheitshelden war Bud Spencer <strong>der</strong> stärkste – <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> dickste» 5 , schrieb Dela Kienle 2004 in <strong>der</strong> Trend-<br />

Zeitschrift Neon. Ihr kann Nikolaj Nikitin, Chefredakteur<br />

<strong>und</strong> Herausgeber <strong>der</strong> Filmzeitschrift Der Schnitt,<br />

nur offen beipflichten: «Angenehme Kindheitserinnerungen<br />

verbinde ich mit […] Bud Spencer <strong>und</strong> Terence<br />

Hill.» 6<br />

Seit <strong>die</strong> beiden bis heute äußerst populären Darsteller<br />

Ende <strong>der</strong> sechziger Jahre das erste Mal gemeinsam<br />

vor <strong>der</strong> Kamera agierten, traten sie für <strong>die</strong><br />

nachrückenden Generationen europäischer Kinogänger<br />

nach <strong>und</strong> nach das große Erbe des wohl berühmtesten<br />

Duos <strong>der</strong> Filmgeschichte an: von Stan Laurel<br />

(1890–1965) <strong>und</strong> Oliver Hardy (1892–1957). Sowohl<br />

in <strong>der</strong> Ausarbeitung ihrer Charaktere als auch in <strong>der</strong><br />

Gestaltung humorvoller Interaktionsabläufe zählen<br />

beide Teams heute zu den erfolgreichsten <strong>und</strong> populärsten<br />

Vertretern filmischer Komik. Im Gegensatz<br />

zu ihren amerikanischen Kollegen ist den Filmen<br />

Spencers <strong>und</strong> Hills bislang jedoch eine anerkennende<br />

Würdigung seitens <strong>der</strong> Filmgeschichtsschreibung<br />

weitgehend versagt geblieben. Folgerichtig stehen<br />

<strong>der</strong> wahren Flut an Publikationen über Laurel <strong>und</strong><br />

Hardy nur wenige Texte gegenüber, <strong>die</strong> sich jenseits<br />

des Klatschcharakters <strong>der</strong> Regenbogenpresse genauer<br />

mit den Funktionsprinzipien <strong>und</strong> kulturhistorischen<br />

Hintergründen <strong>der</strong> Filme Spencers <strong>und</strong> Hills<br />

befassen. 7 Doch immerhin: Langsam, ganz gemächlich,<br />

zeichnen sich erste akademische Wie<strong>der</strong>gutmachungsversuche<br />

ab. 8 Zwar ranken sich bio- <strong>und</strong> filmografisch<br />

nach wie vor eine Vielzahl von Legenden<br />

um <strong>die</strong> beiden Schauspieler, doch fallen inzwischen<br />

erste Lichtstrahlen ins analytische Dunkel. Bedingt<br />

durch das Eintreten <strong>der</strong> einstigen Fans in ein akademisch<br />

fruchtbares Alter scheint eine Honorierung<br />

<strong>der</strong> liebgewonnenen Prügelkomö<strong>die</strong>n nur noch eine<br />

Frage <strong>der</strong> Zeit – ein später Akt <strong>der</strong> Ehrenrettung, <strong>der</strong><br />

sich jedoch bester filmhistorischer Tradition erfreut:<br />

«Screen comedy has never been fully appreciated by<br />

film students and scholars», bemerkte <strong>der</strong> bekannte<br />

US-Filmkritiker Leonard Maltin schon 1970. «The comedy<br />

teams suffered in particular.» 9 So wie sich Laurel<br />

<strong>und</strong> Hardy in den sechziger Jahren nur durch ihre fortwährende<br />

Präsenz im Fernsehen eine zweite Chance<br />

bei <strong>der</strong> Kritik ver<strong>die</strong>nten, verlangen heute auch <strong>die</strong><br />

unentwegten Wie<strong>der</strong>holungen alter Spencer/Hill-Filme<br />

nach popkultureller Reflexion. <strong>Die</strong> Fangemeinde<br />

jedenfalls ist schon einen Schritt voraus – <strong>und</strong> huldigt<br />

den einstigen Helden seit Jahren in großer Zahl: Neben<br />

einzelnen Pop-Songs <strong>und</strong> Musik-Kompilationen<br />

5 Ebert, Michael / Kienle, Dela: Bitte ein Bud. Von unseren Kindheitshelden<br />

war Bud Spencer <strong>der</strong> stärkste – <strong>und</strong> <strong>der</strong> dickste.<br />

Das Neon-Interview. In: Neon 3/2004, 68–72, dort 68.<br />

6 Nikitin, Nikolaj: Iß <strong>die</strong> Bohne! Protestantische Askese gegen<br />

katholische Völlerei o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Essgewohnheiten <strong>der</strong> Herren<br />

Spencer <strong>und</strong> Hill. In: Stu<strong>die</strong>nkreis Film [Hg.]: Um sie weht <strong>der</strong><br />

Hauch des Todes. Der Italowestern – <strong>die</strong> Geschichte eines Genres.<br />

Essays, Interviews <strong>und</strong> Register. Bochum 21999, 58–63,<br />

dort 59.<br />

7 Glücklicherweise ist <strong>die</strong>sbezüglich speziell in den letzten Jahren<br />

Besserung eingetreten: Dort erschienen innerhalb <strong>der</strong><br />

letzten Jahre gleich drei eigenständige Publikationen zum<br />

Thema: Bertolino, Marco / Ridola, Ettore: Bud Spencer & Terence<br />

Hill. Rom 2002; Gagliani Caputo, Marcello: …Altrimenti<br />

ci arrabbiamo! Il cinema di Bud Spencer e Terence Hill. Rom<br />

2006; Grattarola, Franco / Norcini, Matteo: Continuarono a<br />

chiamarlo Bud Spencer. Rom 2008. Demgegenüber liegen <strong>die</strong><br />

beiden deutschen Veröffentlichungen fast 30 Jahre zurück:<br />

Jeier, Thomas: Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill. München 1980;<br />

Manthey, Dirk [Hg.]: Bud Spencer. Sein Leben <strong>und</strong> seine Filme.<br />

Hamburg 1981. Jüngeren Datum ist nur eine Fan-Publikation<br />

zu verzeichnen, <strong>die</strong> sich ausschließlich den wenig populären<br />

Karriere-Anfängen bei<strong>der</strong> Darsteller widmet: Szücs,<br />

Tibor Robert: Filmstatistisches <strong>Hand</strong>buch <strong>der</strong> Filme von Carlo<br />

Pe<strong>der</strong>soli <strong>und</strong> Mario Girotti. Band 1 (1951–1967). Perchtoldsdorf<br />

2003.<br />

8


Prolog: Zeit für eine filmwissenschaftliche Ehrenrettung<br />

widmete man den inzwischen betagten Stars zahllose<br />

Websites, Conventions, Themenpartys <strong>und</strong><br />

Clubs <strong>und</strong> gestaltete sie zu gezeichneten Tattoo- <strong>und</strong><br />

Comic-Helden um. T-Shirts, auf denen das ikonische<br />

Antlitz Che Guevaras frech durch ein grinsendes Portrait<br />

Bud Spencers ersetzt wurde, entwickelten sich<br />

in den letzten Jahren zu einem weitverbreiteten<br />

Verkaufsschlager. Auf dem 25. Festival Primo Piane<br />

sull’Autore ehrte man <strong>die</strong> beiden Darsteller 2006 mit<br />

einer eigenen Werkschau <strong>und</strong> überreichte ihnen eine<br />

eigens für sie gestaltete Festschrift mit Erinnerungen<br />

zahlreicher Weggefährten. Und auch wenn <strong>die</strong> beiden<br />

TV-Produktionen Kimme <strong>und</strong> Dresche (BRD 2003,<br />

R: Stefan Richter) <strong>und</strong> Hammer & Hart (BRD 2005, R:<br />

Hermann Joha) als filmische Hommagen weitgehend<br />

missglückten, verweisen sie doch immerhin auf das<br />

bestehende Bedürfnis, den Helden von einst tiefe<br />

Dankbarkeit zu übermitteln.<br />

Angesichts einer solch nachhaltigen wie umfänglichen<br />

Anhänglichkeit kommt man auch als Kulturhistoriker<br />

nicht umhin, den beiden Prügelstars mit beträchtlichem<br />

Wohlwollen entgegenzutreten. Obwohl<br />

<strong>die</strong> Qualität ihres Oeuvres unbestreitbar schwankt,<br />

wirken <strong>die</strong> vorschnellen General-Aburteilungen, zu<br />

denen sich <strong>die</strong> Filmkritik wie<strong>der</strong>holt hat hinreißen lassen<br />

10 , doch beträchtlich überzogen. Tatsächlich sind<br />

zahlreiche ihrer Leinwandabenteuer durchaus von<br />

8 Immerhin widmete Teresamaria Zanutto im Jahr 2002 ihre<br />

Examensarbeit an <strong>der</strong> Universität von Padua den in den Spencer/Hill-Filmen<br />

präsenten Slapstick-Anleihen: Zanutto, Teresamaria:<br />

La Rinascita della Slapstick Comedy nei Film di Bud Spencer<br />

e Terence Hill. Univ.-Schr. Padua 2002. An <strong>der</strong> Rheinischen<br />

Friedrich-Wilhelms-Universität entstand drei Jahre später eine<br />

thematisch angrenzende Magisterarbeit: Wilske, Dirk: Der Italowestern<br />

– von <strong>der</strong> Gewalt zum Humor. Filmanalysen ausgewählter<br />

Beispiele. Univ.-Schr. Bonn 2005.<br />

9 Maltin, Leonard: Movie Comedy Teams. New York 1970, 11.<br />

10 Exemplarisch sei hier auf einige Besprechungen des Evangelischen<br />

Filmbeobachters verwiesen: Darin wertet beispielsweise<br />

Rezensent Jo Cohen eine ihrer Komö<strong>die</strong>n als «Hau-Ruck-<br />

Film […] nach altbekannter Machart ohne einen einzigen<br />

pfiffigen Gag» (Cohen, Jo: Zwei sind nicht zu bremsen. In:<br />

Evangelischer Filmbeobachter 24/1978, 7), während sein Kollege<br />

Thie für einen weiteren das Prädikat «schwachsinnig»<br />

nahe legt (Thie, J. M.: Zwei Asse trumpfen auf. In: Evangelischer<br />

Filmbeobachter 1–2/1982, 4f., dort 4); Norbert Stresau<br />

schließlich bemerkt, dass sich außer einer hartgesottenen<br />

Fangemeinde ohnehin niemand <strong>die</strong>se Art von Filmen anschaue<br />

– womit «im Gr<strong>und</strong>e auch gar nichts versäumt» würde<br />

(Stresau, Norbert: Zwei bärenstarke Typen. In: Evangelischer<br />

Filmbeobachter 19–20/1983, 4).<br />

jener anarchischen Poesie<br />

durchzogen, <strong>die</strong> seit<br />

den frühen Tagen des<br />

Films <strong>die</strong> slapstickhaften<br />

Clownsfiguren zu Sympathieträgern<br />

des Kinos<br />

werden ließ. Zeit also,<br />

den Gründen ihrer fortwährenden<br />

Popularität<br />

auf den Gr<strong>und</strong> zu gehen.<br />

Wie heute hinlänglich<br />

bekannt ist, beginnt<br />

<strong>die</strong> Erfolgsgeschichte<br />

von Bud Spencer <strong>und</strong><br />

Terence Hill im Dunstkreis<br />

des italienischen<br />

Spaghetti-Western, dessen<br />

Hang zu exzessiven<br />

Brutalitäten in ihren Prügelkomö<strong>die</strong>n<br />

paro<strong>die</strong>rt<br />

<strong>und</strong> überw<strong>und</strong>en wurde.<br />

Weniger bekannt hingegen<br />

sind hierzulande <strong>die</strong><br />

genauen Umstände <strong>und</strong><br />

Voraussetzungen <strong>die</strong>ses<br />

Prozesses – nicht zuletzt,<br />

da <strong>die</strong> deutsche filmhistorische<br />

Forschung <strong>die</strong>sbezüglich<br />

noch in den<br />

2 Tribute-CD<br />

Tribute-CD<br />

3 Bud-Spencer-T-Shirt im<br />

Che-Guevara-Style<br />

4 Festschrift zum 25. Festival<br />

Primo Piane sull’Autore<br />

5 Hommage: Hammer &<br />

Hart<br />

Kin<strong>der</strong>schuhen steckt.<br />

Aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> sei <strong>der</strong><br />

eigentlichen Spencer/<br />

Hill-Erfolgsgeschichte<br />

ein gebündeltes Kapitel<br />

über ihre Vorbedingungen<br />

vorangestellt. Anhand<br />

einer kursorischen<br />

Reise quer durch <strong>die</strong><br />

Geschichte von Western<br />

<strong>und</strong> Filmparo<strong>die</strong> soll darin<br />

<strong>der</strong> für <strong>die</strong>ses Buch<br />

zentralen Frage nachgegangen<br />

werden: Wie konnte aus zwei Italienern, <strong>die</strong><br />

sich 1967 englischklingende Pseudonyme zulegten,<br />

das populärste <strong>und</strong> erfolgreichste Komiker-Gespann<br />

des europäischen Nachkriegskinos werden? O<strong>der</strong>,<br />

an<strong>der</strong>s ausgedrückt: Wie wurden Carlo Pe<strong>der</strong>soli <strong>und</strong><br />

Mario Girotti zu Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill?<br />

9


Prolog: Zeit für eine filmwissenschaftliche Ehrenrettung<br />

Nun, bevor wir uns an den verschlungenen Versuch<br />

einer Beantwortung <strong>die</strong>ser Frage wagen, seien<br />

an <strong>die</strong>ser Stelle noch kurz einige Anmerkungen angebracht:<br />

Wie <strong>der</strong> Leser feststellen wird, wurden <strong>die</strong><br />

im Text besprochenen Filme gr<strong>und</strong>sätzlich in den (zumeist<br />

italienischen) Originaltiteln angeführt. <strong>Die</strong>se<br />

mögen im deutschen Sprachraum zwar weitgehend<br />

unbekannt sein, erschienen mir aber als <strong>die</strong> zweckmäßigere<br />

Variante im Vergleich zu den oft sinnentstellend<br />

frei übersetzten BRD-Verleihtiteln. So wäre<br />

es sicherlich verwirrend gewesen, bei <strong>der</strong> Analyse des<br />

ersten Spencer/Hill-Western Dio perdona… io no!<br />

immer von Gott vergibt… Django nie! zu sprechen,<br />

obwohl in <strong>der</strong> Originalhandlung des Films überhaupt<br />

keine Figur namens Django auftaucht. Das gleiche gilt<br />

auch für Un genio, due compari, un pollo, <strong>der</strong> nur<br />

in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik als Nobody ist <strong>der</strong> Grösste<br />

vermarktet wurde, obgleich <strong>der</strong> Held eigentlich Joe<br />

Thanks heißt. Zur Lösung <strong>die</strong>ses später noch näher<br />

umrissenen Problems wurde im Anhang eine entsprechende<br />

Filmografie beigefügt, <strong>die</strong> im Zweifelsfall<br />

eine rasche Zuordnung ermöglicht. Ergänzend dazu<br />

wurde <strong>die</strong> deutsche Titelvariante bei <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Erstnennung eines Films in Klammern beigefügt.<br />

Dass <strong>die</strong>se Arbeit trotz <strong>der</strong> filmwissenschaftlich<br />

etwas entlegenen Themenwahl in jetziger Form entstehen<br />

konnte, verdankt sie übrigens <strong>der</strong> Hilfsbereitschaft<br />

zahlloser Helfer aus Deutschland, Österreich<br />

<strong>und</strong> Italien, <strong>die</strong> mir wie<strong>der</strong>holt zur Seite sprangen:<br />

Martha Bonadiman Abrao, Patrizia Mesiti, Salvatore<br />

Perino, Sonia Saura Vanetti <strong>und</strong> Gabriele Scriba danke<br />

ich für <strong>die</strong> unerlässliche Hilfe beim Übersetzen italienischer<br />

<strong>und</strong> französischer Literaturquellen. Daniel<br />

Meier half großzügig mit zwei großen Postpaketen<br />

voll rarer Italo-Western zu Sichtungszwecken aus,<br />

Moritz Meyer mit zahlreichen Korrekturhinweisen.<br />

Unschätzbare Einblicke in den Prozess <strong>der</strong> Synchronisation<br />

lieferte ein Interview mit Schnod<strong>der</strong>deutsch-<br />

Erfin<strong>der</strong> Rainer Brandt, <strong>der</strong> fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> aufschlussreich<br />

Auskunft über seine Arbeit gab. Für den Titel<br />

<strong>der</strong> vorliegenden Arbeit stand das von Carsten Tritt<br />

<strong>und</strong> Oliver Baumgarten geführte (<strong>und</strong> im Literaturverzeichnis<br />

gelistete) Interview mit Enzo Barboni<br />

Pate. Sandra Knopf steuerte biografische Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

zu Terence Hill bei, Norbert Nagl<br />

Angaben zu diversen filmischen Alternativtiteln.<br />

Ganz beson<strong>der</strong>s danken möchte ich meinen redaktionellen<br />

Recherche-Partnern Dennis <strong>und</strong> Eric<br />

Heyse, Ansgar Skulme <strong>und</strong> Tibor Robert Szücs, ohne<br />

<strong>der</strong>en immenses Faktenwissen <strong>die</strong> vorliegende Arbeit<br />

gerade im Datenteil weitaus lückenhafter ausgefallen<br />

wäre. Jedem Spencer/Hill-Fan sei ein Besuch ihrer gemeinsam<br />

entwickelten Website www.spencerhilldb.<br />

de empfohlen, <strong>die</strong> in puncto Datenfülle <strong>und</strong> Akribie<br />

ihresgleichen sucht. Sie mag man sich als eine Art erweiterten<br />

filmografischen Anhang des vorliegenden<br />

Buches denken.<br />

Frau Dr. Susanne Marschall war so vorurteilsfrei<br />

<strong>und</strong> tolerant, das von an<strong>der</strong>en wie<strong>der</strong>holt belächelte<br />

Thema als Magisterarbeitsstoff am Mainzer Seminar<br />

für Filmwissenschaft anzunehmen, Frau Dr. Annette<br />

Schüren so unerschrocken <strong>und</strong> entgegenkommend,<br />

<strong>die</strong> daraus resultierende Stu<strong>die</strong> zu sehr generösen<br />

Konditionen in ihrem Verlag zu veröffentlichen. Last<br />

but not least möchte ich meiner Familie danken, <strong>die</strong><br />

mich nicht nur in <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schrift, son<strong>der</strong>n<br />

auch während meines gesamten Studiums tatkräftig<br />

unterstützt hat.<br />

Abschließend vielleicht noch ein methodischer<br />

Hinweis in eigener Sache: <strong>Die</strong> vorliegende Arbeit versteht<br />

sich nicht so sehr als biografische Star-Reportage,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr als kulturwissenschaftliche<br />

Monografie. Der geneigte Leser möge also den Gebrauch<br />

von Fußnoten, dem ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fachausdruck<br />

<strong>und</strong> einigen englisch zitierten Textpassagen<br />

entschuldigen. Wie sich im Verlauf <strong>der</strong> Lektüre hoffentlich<br />

zeigen wird, ver<strong>die</strong>nt das oft unterschätzte<br />

Werk von Bud Spencer <strong>und</strong> Terence Hill den Einsatz<br />

<strong>die</strong>ses analytischen Rüstzeugs. Bislang haben <strong>die</strong>s allerdings<br />

nur <strong>die</strong> wenigsten erkannt.<br />

Mainz, im März 2009<br />

Christian Heger<br />

10


1 Vorbetrachtungen: Der Weg zum<br />

komischen Westernhelden<br />

1.1 Westerngeschichte <strong>und</strong> Westernparo<strong>die</strong><br />

<strong>Die</strong>se Western-Paro<strong>die</strong>n, von denen am Ende <strong>der</strong><br />

sechziger Jahre eine ganze Anzahl entstanden, sagten<br />

im Gr<strong>und</strong>e fast dasselbe auf komödiantische Art <strong>und</strong><br />

Weise aus, was <strong>der</strong> Italo-Western auf dramatische<br />

Weise sagte: dass <strong>die</strong> alten Tugenden des Westerners<br />

(<strong>und</strong> eigentlich auch <strong>die</strong> alten Probleme) nicht mehr<br />

zeitgemäß waren. 1<br />

Georg Seeßlen<br />

1 Seeßlen, Georg: Klassiker <strong>der</strong> Filmkomik. Geschichte <strong>und</strong> Mythologie<br />

des komischen Films. Reinbek bei Hamburg 1982,<br />

159.<br />

2 <strong>Die</strong>sen Begriff für ein starres fiktives Alter ego verwendet<br />

beispielsweise Anneliese Nowak in ihrer Dissertation über <strong>die</strong><br />

amerikanische Filmkomik (vgl. Nowak, Anneliese: <strong>Die</strong> amerikanische<br />

Filmfarce. München 1991).<br />

3 Dick, Rainer: Lexikon <strong>der</strong> Filmkomiker. Berlin 1999, 6.<br />

4 Marschall, Komö<strong>die</strong>. In: Koebner, Thomas [Hg.]: Reclams<br />

Sachlexikon des Films. Stuttgart 2002, 306–312, dort 306.<br />

5 Marschall, Susanne: Paro<strong>die</strong>. In: Koebner, Thomas [Hg.]: Reclams<br />

Sachlexikon des Films. Stuttgart 2002, 439f., dort 439.<br />

Der schwierige Balanceakt, den komische Darsteller<br />

im Medium Film zu bewältigen haben, besteht bereits<br />

seit den Anfängen des Kinos im ständigen Changieren<br />

zwischen zwei verschiedenen Erwartungshaltungen:<br />

Hat das Publikum einen stereotypen Charakter<br />

als fixe «Maske» 2 eines Darstellers einmal in sein Herz<br />

geschlossen, verlangt es einerseits immer <strong>und</strong> immer<br />

wie<strong>der</strong> nach ihm. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite jedoch droht<br />

<strong>der</strong> ständige Rückgriff auf Bekanntes <strong>die</strong> Zuschauer<br />

auf Dauer zu langweilen – eine Gefahr, <strong>die</strong> permanente<br />

Neuerungen <strong>und</strong> Selbstübertrumpfungen erfor<strong>der</strong>lich<br />

macht. Als wesentlicher Bestandteil des im<br />

Showbusiness kultivierten Starsystems beschränkt<br />

sich <strong>die</strong>ses Dilemma zwar nicht ausschließlich auf<br />

den Bereich <strong>der</strong> filmischen Komik; <strong>und</strong> doch trifft es<br />

<strong>die</strong> Riege <strong>der</strong> populären Spaßmacher ganz beson<strong>der</strong>s,<br />

da bewusste Komik eine Kunst ist, <strong>die</strong> in hohem<br />

Maße vom Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen<br />

lebt. Wird <strong>die</strong>ser vorgeführte Bruch durch stete<br />

Wie<strong>der</strong>holungen selbst konventionalisiert, versiegt<br />

auch dessen komische Sprengkraft: Der Gag zündet<br />

nicht mehr <strong>und</strong> wird zum ermüdenden, da sattsam<br />

bekannten Rohrkrepierer. Angesichts <strong>die</strong>ser Zwickmühle<br />

erstaunt es nicht, dass <strong>die</strong> wenigsten Komiker<br />

eine Erfolgsphase vorweisen können, <strong>die</strong> sich über<br />

ihre gesamte filmische Karriere hinweg erstreckt.<br />

«Komik», schreibt Spezialist Rainer Dick, «entsteht<br />

nicht im luftleeren Raum, son<strong>der</strong>n als Reaktion des<br />

Komikers auf <strong>die</strong> Welt, in <strong>der</strong> er lebt.» 3<br />

Nach den actionreichen Slapstick-Komö<strong>die</strong>n <strong>der</strong><br />

zwanziger <strong>und</strong> den dialoglastigen Screwball Come<strong>die</strong>s<br />

<strong>der</strong> dreißiger Jahre entwickelte sich <strong>die</strong> Filmparo<strong>die</strong><br />

als eigenes humoristisches Subgenre ab den vierziger<br />

Jahren. <strong>Die</strong>s hatte in erster Linie me<strong>die</strong>nhistorische<br />

Gründe: In dem Maße, in dem <strong>der</strong> Film als eigenständige<br />

Kunstform Jahr um Jahr alterte <strong>und</strong> dabei eine<br />

eigene Geschichte erhielt, wuchs auch das Interesse<br />

an seiner eigenen Vergangenheit. <strong>Die</strong> Filmemacher<br />

begannen zunehmend eine «selbstreferentielle Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit den Konkurrenzprodukten des<br />

Films, mit populären Genres <strong>und</strong> Spielformen <strong>der</strong><br />

Massenkultur» <strong>und</strong> entwickelten dabei «<strong>die</strong> sezierende<br />

Paro<strong>die</strong> <strong>der</strong> Stereotypen» 4 zu einer selbstständigen<br />

Kunstform. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>die</strong> traditionellen Genres,<br />

<strong>der</strong>er sich das Medium seit seinen frühsten Tagen immer<br />

wie<strong>der</strong> be<strong>die</strong>nt hatte, fungierten als bevorzugte<br />

Angriffsflächen für parodistische Verfahren – gerade<br />

deshalb, weil sie immer gleiche «Kombinationen von<br />

Standardsituationen […] aus Gründen des Stils <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> narrativen Ökonomie» 5 stets aufs Neue abriefen.<br />

Heutzutage existieren zwar Paro<strong>die</strong>n <strong>der</strong> verschiedensten<br />

Couleur, doch lässt sich im Bereich des<br />

11


1 Vorbetrachtungen: Der Weg zum komischen Westernhelden<br />

Westerns <strong>und</strong> des Horrorfilms eine beson<strong>der</strong>e Ballung<br />

feststellen. Nur in <strong>die</strong>sen beiden thematischen Gruppen<br />

von Filmen gelang es offensichtlich mit <strong>der</strong> Zeit,<br />

<strong>die</strong> Geschichte einer eigenen Formensprache direkt<br />

<strong>und</strong> dauerhaft ins feste Genre-Inventar einzuschreiben.<br />

Folglich wurde je<strong>der</strong> neue Genrefilm automatisch<br />

auch zu einem Film über seine filmhistorischen<br />

Vorläufer <strong>und</strong> gerade <strong>die</strong> Aufspaltung in unterschiedliche<br />

Subgenres (nebst zugehörigen Fangemeinden)<br />

kultivierte eine große Sensibilität für zwischenfilmische<br />

Kontinuitäten. «Paro<strong>die</strong>n», schreibt Susanne<br />

Marschall, «greifen in <strong>der</strong> Kunst wie im Leben<br />

Herrschaftsverhältnisse an <strong>und</strong> ‹entzaubern› schon<br />

darum mit Vorliebe Filmplots, <strong>die</strong> auf traditionellen<br />

Rollenverhältnissen basieren <strong>und</strong> bestehende Machtstrukturen<br />

bekräftigen. <strong>Die</strong>s erklärt, warum gerade<br />

Western, in denen <strong>die</strong> patriarchalische Ordnung verteidigt<br />

wird, <strong>und</strong> Horrorfilme, <strong>die</strong> von <strong>der</strong> Bestrafung<br />

ungehorsamer <strong>und</strong> sexuell aktiver Menschen handeln,<br />

häufig zum Ziel des Spottes werden.» 6<br />

Ähnlich wie <strong>der</strong> Horrorfilm zerfällt auch <strong>der</strong> Western<br />

in verschiedene einzelne Standardplots <strong>und</strong> unterschiedliche<br />

Phasen, <strong>die</strong> ihn strukturell verhärten<br />

<strong>und</strong> somit für parodistische Verfahren sehr anfällig<br />

machen. Neben den verschiedenen zeitlichen Entwicklungsphasen<br />

spielt dabei vor allem <strong>die</strong> begrenzte<br />

inhaltliche Genrebandbreite eine bedeutsame<br />

Rolle. In den sechziger Jahren führte <strong>der</strong> erfolgreiche<br />

Western-Autor Frank Gruber das Genre so auf gerade<br />

einmal sieben unterschiedliche Gr<strong>und</strong>themen zurück,<br />

aus denen sich dessen gesamter szenischer F<strong>und</strong>us<br />

speist:<br />

Ich habe versucht, ein achtes zu finden, das war ein<br />

Reinfall. Heute, nach 24 Jahren, benutze ich noch<br />

immer folgendes Schema: 1. <strong>Die</strong> Union-Pacific-Eisenbahn-Geschichte…<br />

2. <strong>Die</strong> Rancher-Geschichte… 3.<br />

<strong>Die</strong> Herren-<strong>der</strong>-Prärie-Geschichte… 4. Custers letzte<br />

Schlacht (damit sind alle Geschichten über Indianer<br />

<strong>und</strong> Kavaliere gemeint, auch wenn sie mit Custer <strong>und</strong><br />

dem Little Big Horn gar nichts zu tun haben)… 5. <strong>Die</strong><br />

Rächer-Geschichte… 6. <strong>Die</strong> Desperado-Geschichte… 7.<br />

<strong>Die</strong> Sheriff-Geschichte. 7<br />

Angesichts einer solchen Unterteilungsstarre funktionieren<br />

<strong>die</strong> Western- <strong>und</strong> Horrorfilmparo<strong>die</strong>n auch<br />

nicht als solche, son<strong>der</strong>n jeweils als komischer Gegengesang<br />

zu einer speziellen Unterart <strong>der</strong> beiden regel<strong>rechte</strong>n<br />

Supergenres. Ein Zuschauer, dessen Kenntnis<br />

<strong>der</strong> Horrorfilmgeschichte lediglich bis in <strong>die</strong> sechziger<br />

Jahre reicht, wird so beispielsweise auf mo<strong>der</strong>nere<br />

Slasherfilm-Paro<strong>die</strong>n wie Wes Cravens scream<br />

(scream – schrei!, USA 1996) ähnlich befremdet reagieren<br />

wie ein Karl-May-unk<strong>und</strong>iger Westernfan im<br />

Angesicht von Michael Herbigs <strong>der</strong> schuh des manitu<br />

(BRD 2001).<br />

Nach Auffassung von Georg Seeßlen lassen sich<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich zwei entgegengesetzte Ausprägungen<br />

parodistischer Verfahren unterscheiden: Einerseits<br />

begleiten Genre-Paro<strong>die</strong>n als mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> solidarische<br />

Kritik <strong>die</strong> Entwicklung eines Genres. Aber auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite steht am Ende eines Genres o<strong>der</strong> am<br />

Ende eines Zyklus innerhalb eines Genres eine Häufung<br />

von parodistischen Filmen, <strong>der</strong>en Großteil nichts mehr<br />

mit Korrektur <strong>und</strong> Zurechtrücken von Maßstäben, son<strong>der</strong>n<br />

mit wirklicher Zerstörung zu tun hat. 8<br />

Solche Phasen <strong>der</strong> Zerstörung lassen sich im Horrorgenre<br />

mehrfach finden. So führten <strong>die</strong> Filme von Bud<br />

Abbott <strong>und</strong> Lou Costello den klassischen Horrorfilm<br />

in den vierziger Jahren ebenso konsequent an sein<br />

Ende, wie <strong>die</strong>s <strong>die</strong> zahlreichen Teen-Horror-Komö<strong>die</strong>n<br />

Ende <strong>der</strong> neunziger Jahre mit dem klassischen<br />

Serialkillerfilm taten. Danach waren solche Filme<br />

nie mehr wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> gleichen Ernsthaftigkeit zu<br />

betrachten, <strong>der</strong>er sie als Genrefilme bedurft hätten<br />

– mit dem Ergebnis, dass sie als Massenprodukte ausge<strong>die</strong>nt<br />

hatten. Ebenfalls «[n]icht wie<strong>der</strong>gutzumachen<br />

war», ergänzt Georg Seeßlen, «was Bud Spencer<br />

<strong>und</strong> Terence Hill mit dem Italo-Western gemacht<br />

haben, <strong>und</strong> nur das Publikum konnte ihre Rülps- <strong>und</strong><br />

Prügelorgien sanktionieren. […] Befreiendes Lachen<br />

erlöst uns, wenn ein Genre droht, sich dem Dialog mit<br />

dem Publikum zu verschließen» 9 , das heißt, wenn <strong>die</strong><br />

Geschichten, <strong>die</strong> es erzählt, ihren Zugang zur Alltagserfahrung<br />

des Publikums verlieren. Paro<strong>die</strong>n <strong>die</strong>ses<br />

Typs, <strong>die</strong> am Ende <strong>der</strong> historischen Entwicklung eines<br />

6 Marschall, Paro<strong>die</strong>, 439f.<br />

7 Gruber in Schnei<strong>der</strong>, Peter: <strong>Die</strong> sieben Regeln <strong>der</strong> Pferdeoper.<br />

In: Film 3/1965, 22–24, dort 22.<br />

8 Seeßlen, Klassiker <strong>der</strong> Filmkomik, 141. «Wenn also <strong>die</strong> Genre-<br />

Paro<strong>die</strong>», schlussfolgert Seeßlen, «eine einmal solidarische,<br />

das an<strong>der</strong>e Mal bösartige Kritik am Genre selbst darstellt (das<br />

eine Mal funktionieren <strong>die</strong> Regeln des Genres auf unkonventionelle<br />

Weise, das an<strong>der</strong>e Mal funktionieren sie überhaupt<br />

nicht), so wird über <strong>die</strong> Paro<strong>die</strong> etwas über das Wesen des<br />

Genres zu erfahren sein» (ebd.).<br />

9 Seeßlen, Klassiker <strong>der</strong> Filmkomik, 141.<br />

12


1.1 Westerngeschichte <strong>und</strong> Westernparo<strong>die</strong><br />

Genres stehen, akzentuieren nicht mehr liebevoll <strong>die</strong><br />

kleinen Macken, <strong>die</strong> logischen Fehler <strong>und</strong> Ungereimtheiten,<br />

<strong>die</strong> <strong>der</strong> genreimmanenten Formel anhaften,<br />

son<strong>der</strong>n offenbaren nur noch <strong>der</strong>en verfallenes Skelett,<br />

von dem alles Leben längst gewichen ist.<br />

An<strong>der</strong>s als im Horrorgenre lässt sich im Western<br />

nur eine einzige Ballungsphase parodistischer Spielarten<br />

festmachen, <strong>die</strong> ungefähr zwischen 1965 <strong>und</strong><br />

1975 datiert. <strong>Die</strong>s hängt damit zusammen, dass <strong>der</strong><br />

Western ein Genre war, das in all seinen verschiedenen<br />

Ausprägungen <strong>und</strong> Subformen zeitgleich zum<br />

dauerhaften Erliegen kam. <strong>Die</strong> Stagnation, <strong>die</strong> sich<br />

im Horrorfilm immer auf eine bestimmte Spielart des<br />

großen Ganzen bezog, befiel den Western in seinem<br />

mythologischen Zentrum <strong>und</strong> konnte daher auch<br />

durch <strong>die</strong> Abspaltung unzeitgemäßer Elemente nicht<br />

länger aufgehalten werden. So kam es, dass am Ende<br />

<strong>der</strong> sechziger Jahre <strong>die</strong> amerikanische Pferdeoper<br />

ebenso am Boden lag wie <strong>die</strong> deutschen Karl-May-Produktionen<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> italienische Spaghetti-Western.<br />

In den Jahren 1968 bis 1970 drehten renommierte<br />

Regisseure, <strong>die</strong> unterschiedlicher kaum sein konnten,<br />

nahezu simultan ihren letzten Western: Howard<br />

Hawks <strong>und</strong> Sam Peckinpah ebenso wie Sergio Leone<br />

<strong>und</strong> Harald Reinl. «Seit den 70er Jahren», vermerken<br />

denn auch Norbert Grob <strong>und</strong> Bernd Kiefer,<br />

zeitgleich mit dem traumatischen Desaster des Vietnam-<br />

Krieges, den <strong>die</strong> USA noch einmal als Kampf an <strong>der</strong> letzten<br />

Grenze zwischen Gut <strong>und</strong> Böse zu führen vorgaben,<br />

sind Western spärlicher geworden. <strong>Die</strong> letzten großen<br />

Western setzen <strong>die</strong> Mythologie des Genres nicht fort,<br />

son<strong>der</strong>n wenden sie gegen sich selbst. Es sind Endspiele<br />

des Genres <strong>und</strong> Abgesänge auf Amerika. 10<br />

10 Grob, Norbert / Kiefer, Bernd: Einleitung. In: <strong>Die</strong>s. [Hg.]: Filmgenres<br />

– Western. Stuttgart 2003, 12–40, dort 38f.<br />

11 Vgl. dazu Grob / Kiefer, 15: «Was den Western strukturiert, sind<br />

<strong>die</strong> beiden Archetypen <strong>der</strong> Mythologie Amerikas: <strong>der</strong> Mythos<br />

<strong>der</strong> frontier, <strong>der</strong> Grenze zwischen Wildnis <strong>und</strong> Zivilisation im<br />

Gefolge <strong>der</strong> Eroberung des Kontinents, also <strong>der</strong> Ära des Wild<br />

West, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Mythos <strong>der</strong> regeneration through violence, <strong>der</strong><br />

permanenten Erneuerung <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>geburt Amerikas aus<br />

<strong>und</strong> durch <strong>die</strong> Gewalt im Kampf von Gut gegen Böse.»<br />

1 Plakat des Tom-Mix-Films Terror Tail<br />

Im selben Maße, in dem <strong>der</strong> Wilde Westen so nicht<br />

mehr nur historisch, son<strong>der</strong>n nun auch mythopoetisch<br />

unwi<strong>der</strong>ruflich in <strong>die</strong> Vergangenheit entglitt,<br />

war <strong>die</strong> festgefahrene Bil<strong>der</strong>sprache des Genre nicht<br />

mehr länger in <strong>der</strong> Lage, dem kollektiven Bewusstsein<br />

Amerikas Gestalt zu verleihen. Das weite, unbesiedelte<br />

Land gab es in den sechziger Jahren nicht mehr,<br />

ebenso wenig wie den zu fürchtenden Indianer, <strong>der</strong><br />

längst assimiliert war o<strong>der</strong> in kleinen Reservaten sein<br />

elendes Leben fristete. Auch <strong>die</strong> in weiten Teilen abgeschlossene<br />

Neuordnung <strong>der</strong> Geschlechterrollen<br />

traf den traditionell patriarchalisch strukturierten<br />

Western schwer, da sie ihm <strong>die</strong> Frau als passives Objekt<br />

männlicher Rivalitäten entzog. Spätestens seit<br />

<strong>der</strong> Katastrophe des Vietnam-Krieges mussten sich<br />

aber dann auch <strong>die</strong> Männer von <strong>der</strong> allzu simplen<br />

Überzeugung verabschieden, dass eine schussbereite<br />

Waffe in <strong>der</strong> <strong>Hand</strong> letztlich alles zum Guten wenden<br />

würde. Neben dem Mythos <strong>der</strong> Frontier – einer<br />

letzten zu erschließenden Grenze – war dem Western<br />

folglich auch das Phantasma einer permanenten «regeneration<br />

through violence» für immer verloren gegangen.<br />

11 Damit aber waren <strong>die</strong> beiden Gr<strong>und</strong>pfeiler<br />

seines Wesens gefallen <strong>und</strong> nicht mehr länger fiktiv<br />

zu verhandeln. Mit den kritischen Augen einer neuen,<br />

multikulturell <strong>und</strong> global ausgerichteten Generation<br />

betrachtet, wurde <strong>der</strong> Western inhaltlich fragwürdig,<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Methoden, <strong>die</strong> er zur Konfliktlösung anbot,<br />

untragbar: Lange schon hatte sich <strong>die</strong> Welt mit ganz<br />

an<strong>der</strong>en, weitreichen<strong>der</strong>en Problemen zu befassen<br />

als mit Zugüberfällen, Vieh<strong>die</strong>bstählen <strong>und</strong> Siedlungsrivalitäten.<br />

Das aber war nicht immer so gewesen.<br />

Nach seinen Anfängen als naives Schießspiel im<br />

Stile von Edwin S. Porters The Great Train Robbery<br />

(Der grosse Eisenbahn-Überfall, USA 1903) hatte<br />

sich <strong>der</strong> Western in den zehner <strong>und</strong> zwanziger Jahren<br />

zur filmischen Massenware entwickelt. Unzählige<br />

einan<strong>der</strong> ähnelnde Stars wie Broncho Billy, Tom Mix<br />

o<strong>der</strong> Buck Jones erfreuten sich als Helden von billig<br />

13


1 Vorbetrachtungen: Der Weg zum komischen Westernhelden<br />

2 John Wayne in Stagecoach (Ringo / Höllenfahrt nach<br />

Santa Fé)<br />

produzierten B-Film-Serials einer märchenhaften Naivität:<br />

Sie äußerte sich meist in einer schablonenhaften<br />

Schwarz/Weiß-Malerei, <strong>die</strong> ihr Hauptpersonal trennscharf<br />

in edelmütige Helden <strong>und</strong> finstere Schurken<br />

verteilte. Zum vielbeschworenen «amerikanische[n]<br />

Kino par excellence» 12 avancierte das Genre dann<br />

durch seine Transformation ins Monumentale: Im Gefolge<br />

von James Cruzes The Covered Waggon (Der<br />

Planwagen, USA 1923) verliehen ihm <strong>die</strong> so genannten<br />

Stummfilm-Epics eine gesamtgesellschaftliche<br />

Ausrichtung, <strong>die</strong> sich nicht nur auf den Einzelnen<br />

beschränkte, son<strong>der</strong>n erstmals auch vom Werden<br />

<strong>der</strong> amerikanischen Nation dank kollektiver Kraftanstrengungen<br />

<strong>und</strong> Entbehrungen erzählte. «Ein epic»,<br />

schreibt Georg Seeßlen,<br />

das ist <strong>die</strong> Verknüpfung eines großen historischen Moments,<br />

in dem kollektiver Heldenmut neues Land <strong>und</strong><br />

neues Gesetz schafft, mit individuellem Schicksal; das<br />

große Gefühl ins kleine gespiegelt […]. Der Western<br />

war ein Genre <strong>der</strong> nahen <strong>und</strong> halbnahen Bil<strong>der</strong> gewesen;<br />

<strong>der</strong> Held stand im Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>, <strong>und</strong> höchstens bei<br />

einer Rauferei zeigte <strong>die</strong> Kamera einen Raum, <strong>der</strong> nicht<br />

durch <strong>die</strong> Stellung des Helden definiert wurde […].<br />

Nun öffnete sich <strong>der</strong> Blick für <strong>die</strong> Weite des Horizonts;<br />

<strong>die</strong> Landschaft bekam eine Seele. 13<br />

In <strong>der</strong> Folgezeit übten vor allem <strong>die</strong> beiden Regisseure<br />

John Ford <strong>und</strong> Howard Hawks einen bleibenden<br />

Einfluss auf <strong>die</strong> Fortentwicklung des Genres aus. Mit<br />

Stagecoach (Ringo / Höllenfahrt nach Santa Fé,<br />

USA 1939, R: John Ford) <strong>und</strong> Red River (Panik am<br />

roten Fluss, USA 1948, R: Howard Hawks) schufen<br />

sie stilbildende Meisterwerke, in denen <strong>der</strong> ganze<br />

Kosmos des Westens vexierbildartig eingefangen<br />

ist. Gleichzeitig etablierten sie mit <strong>die</strong>sen Filmen einen<br />

neuen Heldentypus, durch dessen Verkörperung<br />

John Wayne zum unangefochtenen Genre-Star aufsteigen<br />

sollte. Immer <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> portraitierte<br />

er unter Fords <strong>und</strong> Hawks’ Regie den «wortkargen<br />

Skeptiker: abgeklärt, innerlich verletzt, im Auftreten<br />

ungeschliffen[er] – eher Pragmatiker als Verfechter<br />

hehrer Ideale». 14<br />

Nach dem großen Western-Jahr 1939, in dem<br />

gleich mehrere Klassiker des Genres entstanden,<br />

machte sich <strong>die</strong> traumatisierende Zäsur des Zweiten<br />

Weltkriegs auch in den bislang so verheißungsvollen<br />

Weiten <strong>der</strong> amerikanischen Steppe bemerkbar: Als<br />

man zu Beginn <strong>der</strong> fünfziger Jahre begann, <strong>die</strong> belastenden<br />

Kriegserlebnisse filmisch zu verarbeiten,<br />

konnte sich auch <strong>der</strong> Western nicht mehr im naiven<br />

Cowboy-<strong>und</strong>-Indianer-Spiel erschöpfen. <strong>Die</strong> früher so<br />

auffallend klar verteilten Charakterzüge – Edelmut<br />

<strong>und</strong> Feigheit, Selbstaufopferung <strong>und</strong> Egoismus, Mitleid<br />

<strong>und</strong> Gnadenlosigkeit, Fre<strong>und</strong>lichkeit <strong>und</strong> Bösartigkeit<br />

– verloren ihre Bestimmtheit <strong>und</strong> verschwammen<br />

zusehends zu einem Panorama <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Gesellschaft, das mit den glorifizierenden Historienportraits<br />

<strong>der</strong> Vorkriegsjahre nur noch wenig gemein<br />

hatte: Das Genre hatte seine Unschuld verloren.<br />

Eine solche Entwicklung ging auch an <strong>der</strong> Figur<br />

des Helden nicht spurlos vorüber. <strong>Die</strong> Westerner <strong>der</strong><br />

fünfziger Jahre waren beinahe allesamt Märtyrer,<br />

<strong>die</strong> erkennen mussten, dass ihnen <strong>die</strong> Akzeptanz <strong>der</strong><br />

Gesellschaft auf ewig versagt war, während ihre Vorgänger<br />

noch darauf gehofft hatten, durch persönliche<br />

Bewährung eines Tages in sie aufgenommen zu<br />

werden. <strong>Die</strong> damals grassierende Angst vor <strong>der</strong> kommunistischen<br />

Infiltrierung, <strong>die</strong> <strong>der</strong> republikanische<br />

US-Senator Joseph McCarthy im 1950 gegründeten<br />

Ausschuss für <strong>die</strong> Untersuchung unamerikanischer Umtriebe<br />

zu bekämpfen trachtete, <strong>die</strong> unrühmliche Verstrickung<br />

<strong>der</strong> Vereinigten Staaten in den Koreakrieg<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> von Präsident Truman konsequent propagierte<br />

Politik <strong>der</strong> Stärke hinterließen auch im fiktiven 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>der</strong> amerikanischen Geschichte ihre Spu-<br />

12 Bazin, André: Was ist Film? Berlin 2004, 255.<br />

13 Seeßlen, Georg: Western. Geschichte <strong>und</strong> Mythologie des Westernfilms.<br />

Marburg 1995, 40f.<br />

14 Lux, Stefan: Faustrecht <strong>der</strong> Prärie / Tombstone. In: Koebner,<br />

Thomas [Hg.]: Filmklassiker. Beschreibungen <strong>und</strong> Kommentare.<br />

Bd. 1: 1913–1946. Stuttgart 32001, 542–548, dort 546.<br />

14

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