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Reader - Studienstiftung

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Glück als Ideologie und Erfahrung. Das Problem von Einheit und Vielheit *<br />

1. Die Ideologie der Freiheit und des Glücks<br />

Es gibt eine Ideologie des Glücks, die gelegentlich in dem Gemeinspruch „Jeder<br />

ist seines Glückes Schmied“ zusammengefasst wird. Wenn dieser Spruch nicht<br />

lediglich als eine Ermunterung gedacht ist, zu versuchen, etwas im eigenen<br />

Leben zu gestalten, kann man ihn als knappe Kennzeichnung eines Komplexes<br />

von Vorstellungen betrachten, zu dem mindestens die folgenden<br />

Überzeugungen gehören: erstens Menschen sind grundsätzlich autonom, haben<br />

zweitens die Macht, ihr Leben zu gestalten und drittens stellt sich ihr Glück als<br />

das Ergebnis dieser Lebensgestaltung ein. Es ist dies die Ideologie der sich als<br />

freie, gestaltungsfähige Individuen verstehenden Menschen, die aus einer<br />

technischen Einstellung dem eigenen Leben gegenüber dieses Leben selbst als<br />

Resultat ihres Handelns ansehen. Diese Ideologie ist in der Regel sowohl mit<br />

einer kollektiven wie auch individuellen Ausblendung von Krankheit und Tod<br />

verbunden, den Indizien für die Grenzen der Fähigkeit von Menschen, ihr Leben<br />

vollständig selbst zu gestalten.<br />

Raymond Geuss hat Sicherheit, Freiheit und Glück als die drei Grossziele<br />

menschlicher Praxis festgehalten, deren Verwirklichung aufeinander aufbaut<br />

(Geuss 2004, 15f.): Ohne Sicherheit, keine Freiheit, denn wer um sein Leben<br />

fürchten muss, kann nicht darüber nachdenken, wie er sein Leben frei gestalten<br />

kann. Ohne Freiheit kein Glück, denn wer seine Lebensgestaltung von anderen<br />

vorgeschrieben bekommt, kann nicht seine eigenen Vorstellungen von einem<br />

glücklichen Leben verwirklichen. Die Ideologie, dass jeder seines Glückes<br />

Schmied sei, ignoriert diese Bedingungsverhältnisse. Denn Sicherheit und<br />

Freiheit stehen nicht allein in der Macht von Individuen, sondern betreffen<br />

naturale, soziale und politische Faktoren, die kein einzelner kontrollieren kann.<br />

* Für die Diskussion und hilfreiche Kritik an früheren Versionen dieses Artikels danke ich Manuel Dries,<br />

Martin Eichler, Burno S. Frey, Fabian Freyenhagen, Raymnond Geuss, Richard Raatzsch, Jörg Schaub,<br />

Donata Schöller und Christian Skirke.<br />

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