Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für ... - IIDH

Die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte im
Bundesgerichtshof und
Bundesverfassungsgericht
Juni 2012
Institut International des Droits de l‘Homme, Strasbourg
1

Inhalt
Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................................................................................. 5
Zusammenfassung ........................................................................................................................................................................ 6
Résumé............................................................................................................................................................................................... 7
1. Inhalt und Methode des Berichts ................................................................................................................................. 8
1.1 Zu den inhaltlichen Schwerpunkten des Berichts..................................................................................... 8
1.2 Methode des Berichts ......................................................................................................................................... 10
2. Deskriptive Statistik zur EGMR-Rechtsprechung im BVerfG und BGH .................................................... 16
2.1 Bundesverfassungsgericht ............................................................................................................................... 16
2.1.1 Verweise auf den EGMR und die EMRK – Fallanzahl ...................................................................... 16
2.1.2 Streitparteien zitierter EGMR-Rechtssachen ...................................................................................... 17
2.1.3 Streitgegenstand zitierter EGMR-Rechtssachen, Gegenstand bei EMRK-Verweisen........ 19
2.1.4 Qualität der Verweise .................................................................................................................................... 20
2.2 Bundesgerichtshof ............................................................................................................................................... 21
2.2.1 Verweise auf den EGMR und die EMRK – Fallanzahl ...................................................................... 21
2.2.2 Streitparteien .................................................................................................................................................... 22
2.2.3 Streitgegenstand zitierter EGMR-Rechtssachen, Gegenstand bei EMRK-Verweisen........ 23
2.2.4 Qualität der Verweise .................................................................................................................................... 24
2.3 Grenzen der Erhebung: Sprachbarriere, Mediale Aufmerksamkeit, Subjektive Faktoren .. 24
2.4 Zusammenfassung ................................................................................................................................................ 25
3. Deutschland als EMRK-Vertragsstaat...................................................................................................................... 27
3.1 Die Bindungswirkung von EGMR-Urteilen ................................................................................................ 27
3.2 Berücksichtigungspflicht ................................................................................................................................... 27
3.2.1 Verfassungsrechtliche Bedeutung ........................................................................................................... 27
3.2.2 Berücksichtigungspflicht der EGMR-Rechtsprechung.................................................................... 28
3.2.3 Ausprägung und Grenzen der Berücksichtigungspflicht ............................................................... 29
3.3 Anlässe für Grundsatzaussagen zum Verhältnis zwischen der EMRK/ EGMR und dem
deutschen Recht ..................................................................................................................................................................... 31
3.4 Bedeutung für die Analyse der Verweise ................................................................................................... 32
4. Artikel 5 EMRK – Das Recht auf Freiheit und Sicherheit ................................................................................ 33
4.1 Bedeutung des Art. 5 EMRK und des Art. 2 GG ........................................................................................ 33
4.2 Verweise auf die EMRK durch BVerfG und BGH ..................................................................................... 34
4.2.1 Verweise auf EMRK durch den Beschwerdeführer .......................................................................... 34
4.2.2 Eigenständige Auslegung durch das BVerfG ....................................................................................... 35
4.2.3 Verweise auf die EMRK durch den BGH – Schadensersatz bei rechtswidrigem
Freiheitsentzug/Abschiebehaft ................................................................................................................................. 35

4.3 „Komplexe“ Verweise durch das BVerfG und den BGH ....................................................................... 37
4.3.1 Die konventionsrechtliche Interpretation des Strafbegriffs in Bezug auf die
Sicherungsverwahrung .................................................................................................................................................. 37
4.3.2 Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen ............................................................................................ 39
4.4 Fazit ............................................................................................................................................................................ 40
5. Artikel 6 EMRK – Recht auf ein faires Verfahren ............................................................................................... 41
5.1 Spezifisches Verhältnis zwischen EGMR und Bundesgerichten bei Verfahrensfragen ......... 41
5.2 Verweise auf die EMRK durch das BVerfG und den BGH .................................................................... 42
5.2.1 Vorinstanz/Verfahrensgang ....................................................................................................................... 42
5.2.2 Beschwerdeführer .......................................................................................................................................... 42
5.2.3 Eigenständige Auslegungen der EMRK ................................................................................................. 43
5.2.4 Literaturverweise ........................................................................................................................................... 45
5.2.5 Fazit EMRK-Verweise .................................................................................................................................... 46
5.3 Verweise auf den EGMR durch das BVerfG und den BGH .................................................................. 46
5.3.1 Systematische Stellung der Verweise – Nachrangige Nennung des EGMR ........................... 46
5.3.2 Systematische Stellung der Verweise – Vorrangige Nennung des EGMR .............................. 47
5.3.3 „Negative komplexe Verweise” ................................................................................................................. 48
5.3.4 “Positive komplexe Verweise” - Unschuldsvermutung .................................................................. 48
5.3.5 „Positive komplexe Verweise“ – Recht auf ein Verfahren in angemessener Zeit,
Beschleunigungsgebot ................................................................................................................................................... 49
5.3.6 „Positive komplexe Verweise“ – Selbstbelastungsfreiheit, Recht auf konfrontative
Befragung ............................................................................................................................................................................. 50
5.3.7 Fazit EGMR-Verweise .................................................................................................................................... 51
5.4 Fazit ............................................................................................................................................................................ 52
6. Artikel 8 EMRK – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens...................................................... 53
6.1 Bedeutung im Verhältnis der Grundrechtsordnung mit dem EMRK-
Menschenrechtsschutzsystem ......................................................................................................................................... 53
6.2 Verweise auf die EMRK durch das BVerfG und den BGH .................................................................... 54
6.2.1 Verweise ohne Auslegung ........................................................................................................................... 54
6.2.2 Eigenständige Auslegungen der EMRK ................................................................................................. 56
6.3 Verweise auf den EGMR durch das BVerfG und den BGH .................................................................. 56
6.3.1 Systematische Stellung ................................................................................................................................. 56
6.3.2 “Positive komplexe Verweise” – Bildberichterstattung und Persönlichkeitsschutz ........ 57
6.3.3 „Positive komplexe Verweise“ – Umgangsrecht/Sorgerecht ....................................................... 61
6.3.4 Weitere „komplexe Verweise“ Umwelteinflüsse, Ausweisungsschutz .................................... 63
6.4 Fazit ............................................................................................................................................................................ 64
7. Sonstige „komplexe“ Verweise ................................................................................................................................... 65
7.1 Verweis auf Konventionsrecht als Ausdruck des völkerrechtlichen Standards, Einbindung
in EU 65
7.2 Vergleich mit dem Sachverhalt eines EGMR-Urteil ............................................................................... 66
7.3 Verweise auf den EGMR als Auslegungshilfe verfassungsrechtlicher Begriffe ......................... 66
7.3.1 Positive Verpflichtungen des Staates ..................................................................................................... 67
7.3.2 Definition der Folter in der Auslegung der Menschenwürde ...................................................... 67
7.3.3 Schutzbereich und Begrenzung des Eigentumsbegriffs ................................................................. 68

7.4 Fazit ............................................................................................................................................................................ 69
8. Ergebnis und Schlussbetrachtung ............................................................................................................................ 70
Anhang ............................................................................................................................................................................................ 72
A1 Übersicht über EGMR-Fälle gegen Deutschland seit 01.01.2005, in denen eine
Konventionsverletzung festgestellt wurde (absteigend) .................................................................................... 72
A2 Übersicht aller Entscheidungen des BVerfG seit 01.01.2005, in denen auf den EGMR verwiesen
wird (absteigend) .................................................................................................................................................................. 73
A3 Übersicht aller Entscheidungen des BGH (Straf- und Zivilsenate) seit 01.01.2005, in denen auf
den EGMR verwiesen wurde (absteigend) ................................................................................................................ 75
A4 Übersicht aller EGMR-Entscheidungen, auf die BVerfG und BGH seit 01.01.2005 verwiesen
haben (absteigend) ............................................................................................................................................................... 77
Bibliographie ................................................................................................................................................................................ 82

Abkürzungsverzeichnis
BGH
BVerfG
BVerfGG
BVerwG
CoE
EMRK
EGMR
FamFG
IRG
GG
IIDH
KostO
LVerfG
OVG
StGB
StPO
ZPO
ZP
NJW
EuGRZ
BMJ
KUG
Bundesgerichtshof
Bundesverfassungsgericht
Bundesverfassunsgerichtsgesetz
Bundesverwaltungsgericht
Council of Europe/Conseil de l'Europe
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit
Gesetz zur Zusammenarbeit in internationalen Strafsachen
Grundgesetz
Institut International des Droits de l'Homme
Kostenordnung
Landesverfassungsgericht
Oberverwaltungsgericht
Strafgesetzbuch
Strafprozessordnung
Zivilprozessordnung
Zusatzprotokoll (zur EMRK)
Neue Juristische Wochenschrift
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
Bundesministerium für Justiz
Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der
Photographie

Zusammenfassung
Der Bericht erhebt die Anzahl und Art von Verweisen auf die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) und Bundesgerichtshof (BGH) seit 2005. Die Erhebung ergibt zunächst, dass
sich Verweise auf Rechtsprechung zu Art. 5, 6 und Art. 8 EMRK konzentrieren. Sowohl
im BGH als auch im BVerfG sind die absoluten Verweiszahlen auf den EGMR seit 2005
gestiegen, dabei wird von beiden Gerichten wesentlich zurückhaltender verwiesen als
auf die EMRK. In beiden Gerichten wird mehrheitlich, aber bei Weitem nicht ausschließlich,
auf Rechtssachen verwiesen, die gegen Deutschland ergangen sind. EGMR-
Verweise sind in beiden Gerichten je zur Hälfte „einfach“ und „komplex“, eine anhand
mehrerer Kriterien vorgenommene Einstufung zur Beschaffenheit der Verweise. Die
Erhebung wird genutzt, um die EGMR-Verweise einer Detailanalyse zu unterziehen.
Dabei werden nach einer rechtlichen Einordnung der Stellung Deutschlands im Konventionssystem
vor allem das Recht auf Freiheit und Sicherheit, auf ein faires Gerichtsverfahren
und auf Familie und Privatleben in den Blick genommen.
Die Analyse bestätigt zunächst die intuitiven Befunde, dass besonders häufig auf den
EGMR verwiesen wird, wenn in einer ähnlichen Rechtssache durch den EGMR eine
Konventionsverletzung festgestellt wird sowie bei Grund- bzw. Menschenrechten, die
nicht explizit im GG normiert sind. Dazu gehört insbesondere die Unschuldsvermutung.
Eigenständige Auslegungen der EMRK, ohne dass es zur Nennung von EGMR-
Rechtsprechung kommt, sind extrem selten.
Insgesamt ergibt sich eine gemischte Bilanz, in die sowohl selektive Verweise, fehlende
Verweise oder unklare Berücksichtigung, als auch sehr ausführliche Auseinandersetzungen
mit der EGMR-Rechtsprechung eingehen. So scheint sich im Bezug auf den
Persönlichkeitsschutz bei Bildberichterstattung mit der vom EGMR ausdrücklich
übernommenen, vom BVerfG vorgeschlagenen „Korridorlösung“ bei der Anwendung
des geänderten, abgestuften Schutzkonzepts eine konventionskonforme Rechtspraxis
etabliert zu haben. Vorangegangen ist dem eine sehr ausführliche Berücksichtigung
und Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR. Problematisch bleiben
nach wie vor die Bereiche Umgangsrecht und Sicherheitsverwahrung.
Die implizite, oder „stille“ Berücksichtigung der Konvention bleibt hinter der Argumentation
der Gerichte verborgen. Eine implizite Berücksichtigung ist im Lichte der
„Ergebnispflicht“ der EMRK-Vertragsstaaten, die in der EMRK gewährten Rechte zu
achten und zu schützen, durchaus ausreichend. Eine „stille“ Berücksichtigung findet
spätestens dort ihre Grenze, wo anhaltend Konventionsverstöße vorliegen. Dies ist in
Deutschland nicht der Fall. Nichtsdestoweniger sind die Verfasser der Ansicht, dass
auch darüber hinaus, das heißt dort wo keine konventionswidrigen Entscheidungen
getroffen werden, eine explizite Berücksichtigung der stillen Berücksichtigung vorzuziehen
ist.
6

Résumé
Ce rapport a pour objet d’analyser la quantité et la nature des références au système
conventionnel dans la jurisprudence du Tribunal Fédéral Constitutionnel Allemand
(TFC) et de la Cour Fédérale de Justice depuis 2005.
Il ressort de cette étude que les références se concentrent sur la jurisprudence relative
aux articles 5, 6 et 8 CEDH. Depuis 2005 le nombre absolu des références au système
conventionnel n’a cessé de croître dans la jurisprudence du TFC et de la Cour Fédéral
de Justice. Les références à la jurisprudence de la Cour EDH sont cependant moins
nombreuses qu’à la Convention.
La plupart des références à la jurisprudence de la Cour EDH concernent des arrêts
rendus à l’encontre de l’Allemagne. Les références peuvent être de nature « simple »
ou « complexe », catégories crées à partir de différents critères afin d’analyser nature
et qualité des références. A partir des données relevées une analyse détaillée des références
à été réalisée. Après une présentation du statut de la CEDH dans le droit allemand,
l’étude se concentre principalement sur le droit à la sûreté et la liberté, le droit
à un procès équitable et le droit à la vie privée et familiale.
L’analyse des données démontre, qu’un grand nombre de références se rapporte surtout
à des cas similaires à ceux qui ont conduit à une condamnation devant la Cour
EDH d’une part, et que d’autre part ces références concernent principalement des
droits qui ne sont pas inscrits de manière explicite dans la Loi Fondamentale Allemande,
notamment la présomption d’innocence.
Une application autonome de la Convention sans référence à la Cour EDH est très rare.
Somme toute, le bilan est mitigé. Dans certains cas les références au système conventionnel
sont absentes ou « sélectives » et la prise en compte de la Convention peu mesurable.
Dans d’autres cas les références sont très détaillées et explicites.
En prenant par exemple la protection de la vie privée dans le cadre de la publication
de photos dans la presse, une pratique juridique conforme à la convention semble
s’être établie sur la base du concept de protection échelonnée (abgestuftes Schutzkonzept)
et de la marge d’appréciation des Cours nationales, proposé par le TFC et repris
par la Cour EDH. La nouvelle conformité de la jurisprudence des deux Cours à ce sujet
repose sur une prise en compte très large de la jurisprudence de la Cour EDH. Par
contre les domaines touchant par exemple à l’autorité parentale ainsi qu’à la rétention
de sureté posent encore problème.
Une prise en compte implicite ou « silencieuse » du droit conventionnel est régulièrement
jugée suffisante par les Cours internes. Une telle prise en compte implicite répond
aussi à l’« obligation de résultat » qui caractérise l’engagement des Etats concernant
la protection des droits fondamentaux garantis par la Convention. Cette prise en
compte « silencieuse » touche pour autant à ses limites à partir du moment où il y a
des violations continues et systématiques de la Convention. Ceci n’est pas le cas en Allemagne.
Il n’en demeure pas moins, selon les auteurs, qu’une prise en considération
explicite serait préférable, même dans les cas où les décisions seraient conformes à la
Convention.
7

1. Inhalt und Methode des Berichts
1.1 Zu den inhaltlichen
Schwerpunkten des Berichts
Der vorliegende Bericht kommt dem Wunsch
des Institut International des Droits de
l’Homme (IIDH) nach, die Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR) in höheren deutschen Gerichten zu
evaluieren. Das Institut verfolgt mit dem Bericht
weniger das Ziel einer theoretischen
Auseinandersetzung zu Fragen der normativen
Hierarchie und Stellung der Rechtsprechung
des EGMR im innerstaatlichen
Recht als eine empirisch basierte Darlegung
der Form der Berücksichtigung und schließlich
auch Wirkung der EGMR in höheren deutschen
Gerichten. Schwerpunkt ist dabei vor
allem formelles Recht.
Die Ergebnisse dieser Betrachtung werden
sich an verschiedenen Maßstäben lassen messen
müssen.
Zuvorderst steht der wirksame Schutz der
Konventionsrechte. Es obliegt der Bundesrepublik,
gemäß Art. 1 allen in ihrer Hoheitsgewalt
unterstehenden Personen die in Abschnitt
I der Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK) bestimmten Rechte und
Freiheiten zu sichern. Unabhängig vom Umgang
mit der Rechtsprechung des EGMR (siehe
unten bei 3) bestehen hier negative und
positive Verpflichtungen, eine „Sorgfalts-„ und
„Ergebnispflicht“ um Konventionsverletzungen
zu unterlassen, zu verhindern oder zu
ahnden.
Die Anzahl neuer anhängiger Verfahren gegen
die Bundesrepublik vor dem EGMR 1 erlaubt
keine Aussage über die Wirksamkeit des
Schutzes der Konventionsrechte in Deutschland.
Die Verurteilungsquote Deutschlands
bleibt relativ gering. 2 Im Hinblick auf die
grundlegende Bedeutung der in der EMRK
festgeschriebenen Rechte ist die Zahl der
festgestellten Konventionsverletzungen allerdings
keineswegs unbedeutend. Im Untersuchungszeitraum
seit 2005 hat der EGMR in 35
Fällen eine Konventionsverletzung festgestellt.
Da der wirksame Schutz der Konventionsrechte
untrennbar mit wirksamem Rechtsschutz
verknüpft ist, kommt dem Grundsatz
der Subsidiarität des EGMR 3 Bedeutung als
1
In 2011gingen 1754 Fälle beim EGMR gegen die BRD ein
(2010: 1683/2009:1515) siehe Statistik des EGMR:
http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/B046152B-
A512-45B3-ADCC-
951BD48BEF0B/0/STATS_FR_2011.PDF [01.06.2012].
2
Laut Statistik des der PR-Sektion des EGMR wird ein
Prozent der eingegebenen Fälle zur Entscheidung angenommen.
Davon wiederum wurde in 66 Prozent eine
Konventionsverletzung festgestellt. l’Unité des Relations
publiques des la Cour Européene des Droits de l’Homme,
Statistiques sur les arrêts par état (2011),
http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/72912CF0-
95BC-4D2E-8AD8-
D50C988ED9EC/0/Graphique_violation_fr.pdf
[25.05.2012]. Für eine Übersicht aller EGMR-
Entscheidungen seit 2005, in denen eine Konventionsverletzung
vorlag, siehe Anhang, A1.
3
Z.B. EGMR vom 10.10.200, Akkoç v. Türkei (Nr.
22947/93 und 22948/93), Ziff.65 „The Court reiterates
that it is primarily a supervisory body and subsidiary to
the national systems safeguarding human rights. The rule
of exhaustion of domestic remedies and the requirement
under Article 13 that States provide effective remedies
for arguable breaches of guaranteed rights and freedoms,
reflect the principle that it is first and foremost the role of
the Contracting State to investigate and give redress for
interferences with the rights protected under the Convention.”
Siehe auch Hoffmann, Irene, Der Grundsatz der
Subsidiarität im Rechtsschutzsystem der Europäischen
8

Maßstab zu. Das Prinzip der Subsidiarität des
EGMR verlangt von deutschen Gerichten die
eigenständige Feststellung von Rechtsverletzungen.
Dem Prinzip der Subsidiarität Genüge
zu tun bedeutet nicht nur die Konvention zu
achten und damit der völkerrechtlichen Verantwortung
für eine eventuelle Konventionsverletzung
zu entgehen, sondern ist auch
wirksames Mittel, die Anzahl anhängiger Verfahren
vor dem EGMR zu reduzieren und damit
die Qualität des europäischen Menschenrechtsschutzes
mittelbar über einen entlasteten
Gerichtshof zu stärken. Diese Grundsätze
wurden auch in der Déclaration de Brighton
vom April 2012 festgehalten: 4
« […] Les juridictions et instances nationales devraient
prendre en compte la Convention et la jurisprudence
de la Cour. La combinaison de toutes
ces mesures devrait permettre de réduire le
nombre de violations de la Convention. Elle devrait
aussi permettre de réduire le nombre de requêtes
bien fondées présentées à la Cour, ce qui contribuerait
à alléger sa charge de travail. »
Innerhalb des Grundsatzes der Subsidiarität
ist es trotz der „Ergebnispflicht“ zum wirksamen
Schutz der Konventionsrechte keineswegs
bedeutungslos, ob und wie Verweise auf
den EGMR erfolgen. Erstens wird durch das
„Ob“ eines Verweises auf die EMRK und den
EGMR die juristische Argumentation und
Berücksichtigung der Konvention für den
Beschwerdeführer transparent. „Reflexhafte“
Eingaben beim EGMR, in denen verkannt
wird, dass die EMRK mit seiner Interpretation
durch den EGMR bereits in deutschen Gerichten
Berücksichtigung erfahren hat, könnten
damit möglicherweise reduziert werden.
Zweitens gibt es durch materiell- oder formellrechtliche
Unterschiede oder Unterschiede
in der Rechtsprechung zwischen nationalen
Gerichten und der EMRK/EGMR Fallgestaltungen,
in denen deutsche Gerichte nicht umhin
kommen, explizit auf den EGMR zu verweisen.
Dies ist dann geboten, wenn die
Menschenrechtskonvention (Frankfurt: Peter Lang,
2007).
4
Conseil de l’Europe Conférence sur l’avenir de la
Cour européenne des droits de l'homme,
Déclaration de Brighton,
http://www.coe.int/ru/20120419-brighton-declaration/
[01.06.2012], Präambel.
EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR
über die deutsche Rechtspraxis hinausgeht
oder eine andere Rechtsauffassung vertreten
wird. Drittens kann die explizite Berücksichtigung
der EGMR-Rechtsprechung aus justizpolitischen
Gründen erwünscht sein, damit die
Berücksichtigung dem EGMR angezeigt wird
oder in der Außenwirkung verdeutlicht wird.
Im Bezug auf das „Wie“ eines Verweises auf
den EGMR ist die Kohärenz der Auslegung der
EMRK zwischen deutschen Gerichten und
dem EGMR maßgeblich. Eine vorbildhafte
Zitierpraxis ist diejenige, welche sich gebührend
mit der Rechtsprechung des EGMR
auseinandersetzt und sie befolgt. 5
Das Institut hält schließlich auch die Kohärenz
des EGMR als „living instrument“ 6 für
einen weiteren geeigneten Maßstab, an dem
die Ergebnisse der Betrachtung sich lassen
messen müssen. Nicht zuletzt weil aus dieser
Doktrin folgt, dass der EGMR auf sich herausbildende
verändernde gesellschaftliche Konsense
in den Mitgliedstaaten reagieren muss, 7
ist ein ausgeprägter gerichtlicher Dialog im
Interesse jedes Mitgliedsstaates des Europarats.
Dialog zwischen den Gerichten entspringt
auch einer politischen Verantwortung
für den europäischen Menschenrechtsschutz
und beschränkt sich daher idealiter nicht auf
Verweise in Entscheidungen. Besuche wie die
des BVerfG beim EGMR vom Januar 2012, 8 in
denen Richter auf Augenhöhe Fachgespräche
führen können, sind dafür nicht minder bedeutend.
Auch die Kooperation der Regierungen
mit dem EGMR kann die gerichtliche Zusammenarbeit
„infrastrukturell“ fördern, z.B.
durch die Übersetzung von Urteilen in die
Landessprache. 9
5
Zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit und der
Berücksichtigungspflicht bei Kollision siehe 3.
6
EGMR, vom 25.4.1978, Tyrer v. Vereinigtes Königreich,
Series A no. 26, Rn 31; vom 07.06.2001 Kress v. France
(Nr. 39594/98) Ziff.70; vom 11.07.2002, Christin e Goodwin
v. Vereinigtes Königreich (Nr. 28957/95) Ziff.75.
7
EGMR vom 28.05.2002, Stafford v. Vereinigtes Königreich
(Nr. 46295/99), vom 17.09.2009, Scoppola v. Italien (Nr.
10249/03).
8
Siehe Pressemitteilung des BVerfG Nr. 5/2012 vom 24.
Januar 2012,
http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilu
ngen/bvg12-005.html [01.06.2012].
9
Siehe auch Déclaration de Brighton, Fn. 4, 9c) iv) iv)
« […] encourager les juridictions et instances nationales à
tenir compte des principes pertinents de la Convention,
eu égard à la jurisprudence de la Cour, lorsqu’elles con-
9

Nichtsdestoweniger bleiben die Verweise die
vornehmliche Ausdrucksform des gerichtlichen
Dialogs. Insofern müssen Verweise auch
rechtliche Substanz haben um wirksam rechtlichen
Dialog auszudrücken. Gleichfalls bedeutet
dies für die Analyse, dass sie ein unvollständiges
Bild des gerichtlichen Dialogs
zwischen deutschen Bundesgerichten und
dem EGMR zeigt, dabei aber eine der Hauptsachen
im Blick hat.
Der Einleitung folgt eine Darstellung der angewandten
Methode. Darauf folgt eine Auseinandersetzung
mit den EGMR-Verweisen des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die das
Verhältnis zwischen EMRK sowie EGMR und
dem deutschen Recht. Die folgende deskriptive
Statistik analysiert die EGMR und EMRK-
Verweise nach übergeordneten Kriterien und
mündet in eine Detailanalyse der EGMR-
Verweise im Bezug auf einzelne Artikel der
EMRK.
1.2 Methode des Berichts
Der Bericht beschränkt sich auf die Analyse
der Rechtsprechung des EGMR im BVerfG und
den Straf- und Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs
(BGH). Bei der Erhebung der relevanten
Fälle der Landesverfassungsgerichte
ergaben sich zwölf Fundstellen, verteilt insbesondere
auf die Landesverfassungsgerichte,
welche die Möglichkeit einer Individualbeschwerde
vorsehen. Wegen dieser geringen
Bedeutung, und weil die Art der Verweise sich
methodisch nicht von denen des BVerfG und
des BGH unterscheiden, wurde auf die Detailanalyse
der Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte
verzichtet.
Eine erste statistische Abfrage der Entscheidungen
der Oberverwaltungsgerichte, die
nach Rechtsprechung des BVerfG ebenfalls an
duisent leurs procédures et élaborent leurs décisions, et
leur en donner les moyens ; et en particulier, permettre
aux parties au […] d’attirer l’attention des juridictions et
instances nationales sur toutes dispositions pertinentes
de la Convention et la jurisprudence de la Cour » sowie
9d) i) « [La Conférence encourage les Etats parties] à
veiller à ce que les arrêts importants de la Cour soient
traduits ou résumés dans les langues nationales, lorsque
cela est nécessaire pour qu’ils soient dûment pris en
compte. »
die EMRK gebunden sind, 10 ergab einen bedeutenden
Umfang an EGMR-Verweisen. Dieser
Umfang machte die für den empirischen
Teil der Untersuchung erforderliche Systematisierung
innerhalb des Untersuchungszeitraums
unmöglich. Ebenfalls aus Gründen der
Übersichtlichkeit und Machbarkeit wurde auf
die Einbeziehungen der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) verzichtet,
trotz der zu erwartenden Relevanz in
ausländer- und asylrechtlichen Fragen.
Der Untersuchungszeitraum analysierter
Entscheidungen des BGH und des BVerfG
erstreckt sich vom 01.01.2005 bis zum
31.03.2012. Damit markiert er die Periode
nach der Görgülü-Entscheidung des BVerfG,
dem bislang bedeutendsten Urteil zur Stellung
der EMRK und des EGMR im deutschen
Rechtssystem. 11 In dem untersuchten Zeitraum
lag folglich zu jedem Zeitpunkt eine
Leitsatzentscheidung vor, die idealiter den
angemessenen Umgang mit der Rechtsprechung
des EGMR vorgab.
Der Bericht enthält zunächst eine statistische
Erhebung von EGMR-Verweisen in den genannten
Bundesgerichten. Dazu wurden die
einschlägigen Entscheidungsdatenbanken auf
den Suchbegriff „EGMR“, „Europäischer Gerichtshof
für Menschenrechte“, sowie „MRK“
abgefragt. Damit wurde in den Gerichten üblichen,
unterschiedlichen Zitierweisen Rechnung
getragen. 12 Die Treffer wurden gelistet,
und abgeglichen, um die Anzahl der Entscheidungen
zu ermitteln, in denen auf die EMRK,
nicht aber auf den EGMR verwiesen wird.
Neben der numerischen Darstellung dieses
Verhältnisses und der Präsentation der Häufigkeit
von EGMR-Verweisen dient die Erhebung
dem Ziel, für die darauffolgende Analyse
Trends in methodischer, als auch in substantiell-inhaltlicher
Sicht zu identifizieren. Die
Systematisierung von EGMR-Verweisen erfolgte
demnach anhand mehrerer Kriterien,
die klar genug sind um den Blick auf solche
Trends freizulegen. Diese Kriterien sind wie
folgt
10
BVerfG, 2 BvR 1481/04 vom 14.10.2004.
11
Dazu unten bei 3.
12
So wird innerhalb der Straf- und Zivilsenate des BGH
auf die EMRK unterschiedlich verwiesen, MRK respektive
EMRK.
10

i. Einschlägiger Artikel der EMRK: Artikel
der EMRK der im Zusammenhang
mit dem EGMR-Verweis genannt wird
oder Artikel der EMRK auf den sich
die verwiesene EGMR-Entscheidung
bezieht
ii. Einschlägige deutsche Rechtsnorm(en):
Die Rechtsnormen
deutscher Gesetzte, die in der auf den
EGMR verweisenden Rechtssache zitiert
verhandelt werden.
iii. EGMR-Verweis erfolgt in Verbindung
mit Nennung eines BGH/BVerfG-
Urteils (nur BGH-Fälle): Die Verweise
auf den EGMR erfolgen unmittelbar
vor oder nach der Nennung eines Urteils
des BGH oder des BVerfG.
iv. Anzahl der EGMR-Verweise: Häufigkeit
des Suchbegriffes „EGMR“ oder
„Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte“
in der jeweiligen Entscheidung.
v. Anzahl der EGMR-Rechtssachen, auf
die verwiesen wird.
vi. Beklagte der EGMR-Rechtssachen: Alle
Staaten, die in einem Verweis auf
eine EGMR-Rechtssache als Beklage
aufgetreten sind.
vii. Konventionsverletzung: Sofern sich
der Verweis auf eine EGMR-
Rechtssache bezieht, in der Deutschland
als Beklagte aufgetreten ist -
wurde eine Konventionsverletzung
festgestellt?
viii. Initiative: Von wessen Initiative ging
der Verweis auf den EGMR aus (Beschwerdeführer
oder Gericht).
ix. Komplexität der Verweise
Bei der Systematisierung der Rechtssachen
stellte sich die Frage nach einer inhaltlichen
Kurzanalyse der EGMR-Verweise. Ideal wäre
dabei eine Einstufung der Verweise nach ihrer
„Entscheidungserheblichkeit“. Die Entscheidungserheblichkeit
von EGMR-Verweisen ist
jedoch aus Entscheidungen, insbesondere im
Rahmen der „Rasterung“ einer großen Anzahl
an Fällen, kaum ersichtlich. Daher erfolgte die
Einordnung der Verweise in die beiden generischen
Kategorien „einfach“ und „komplex“.
Diese Kategorisierung geht davon aus, dass
sich in der Detailanalyse eine Überscheidung
der „komplexen“ Verweise mit der Entscheidungserheblichkeit
ergibt, dass also „einfache“
Verweise immer auch weniger entscheidungserheblich
sind.
Eine generische Kategorisierung in „einfach“
und „komplex“ bringt, bedingt durch das Fehlen
eines objektiven Maßstabs, die Gefahr
einer undifferenzierten, arbiträren Einordnung
mit sich. Bei der Einordnung als „komplexer“
oder „einfacher“ Verweis auf den EGMR
wurde daher von folgenden Indikatoren ausgegangen:
11

Komplexität von EGMR-Verweisen: Indikatoren für „einfache“ und
„komplexe“ Verweise auf den EGMR in deutscher Rechtsprechung des
BVerfG und des BGH
„einfach“
Es erfolgt ein Verweis auf deutsche Rechtsprechung unter anschließender, subsidiärer
Nennung einer EGMR-Rechtssache („vgl. auch EGMR [Rechtssache]“)
Beispiel: BGH vom 17.04.2007, 5 StR 541/06, Rn. 7:
„Zudem genügt die diesen Umständen vom Landgericht zugemessene allgemeine
strafmildernde Wirkung den Anforderungen an die Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen
Verfahrensverzögerung nicht. Hierzu bedarf es nach der ausdrücklichen
Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK einer genauen Bezeichnung
des Ausmaßes der Berücksichtigung dieses Umstands (BVerfG – Kammer
StV 1993, 352; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7; vgl. auch EGMR
EuGRZ 1983, 371).“
Es wird anderweitig mittelbar auf den EGMR verwiesen.
Beispiel: BGH vom 24.01.2012, VI ZR 132/10, Rn. 5:
„Nach der auf die Entscheidung des EGMR vom 27. Oktober 1993 (NJW 1995, 1413
ff.) zurückgehenden Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteile vom 25. September 2003 - III
ZR 384/02, NJW 2003, 3636; vom 19. Dezember 2002 - VII ZR 176/02, NJW-RR 2003,
1002, 1003; vom 16. Juli 1998 - I ZR 32/96, NJW 1999, 363, 364; vom 27. September
2005 - XI ZR 216/04, NJW-RR 2006, 61, juris Rn. 31; Beschluss vom 30. September
2004 - III ZR 369/03, juris Rn. 3; vgl. auch BVerfG NJW 2001, 2531 f.; NJW 2008,
2170 Rn. 10 ff.) haben die Gerichte grundsätzlich zur Wahrung der Waffengleichheit
bzw. des Rechts auf ein faires Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs in
Situationen, in denen nach Gesprächen unter vier Augen nur der einen Partei ein
Zeuge zur Verfügung steht, der Beweisnot der anderen Seite dadurch Rechnung zu
tragen, dass sie die prozessual benachteiligte Partei nach § 448 ZPO vernehmen oder
gemäß § 141 ZPO anhören.“
Verweis auf Nichtvergleichbarkeit eines vom Beschwerdeführer vorgebrachten
EGMR-Falls mit dem Sachverhalt
Beispiel: BGH vom 19.03.2010, 1 StR 554/09, Rn. 60:
„Auch das Kammerurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.
Dezember 2009 (Beschwerde Nr. 19359/04) steht der vorliegenden Entscheidung
nicht entgegen. Abgesehen davon, dass dieses Urteil noch nicht endgültig ist (Art. 43
Abs. 1, Art. 44 Abs. 2b EMRK), liegt hier jedenfalls eine - unter den vom Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte für maßgeblich erachteten Kriterien - abweichende
Fallgestaltung und Rechtslage vor.“
Der Verweis hat rein informatorischen Charakter
„komplex“
BGH vom 16.11.2005, VIII ZR 5/05, Rn. 26:
„Die in Art. 49 des EG-Vertrags geregelte Dienstleistungsfreiheit, auf die sich der
Mieter berufen kann, ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. nur EuGH, Urteil vom
30. November 1995 - Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165 Rdnr. 37); gleiches gilt für die in
Art. 10 EMRK gewährleistete Informationsfreiheit (zum Empfang ausländischer
Fernsehprogramme über Satellit EGMR, Urteil vom 22. Mai 1990 - Nr.
15/1989/175/231, NJW 1991, 620).“
Häufige Verweise (≤3) auf EGMR-Rechtsprechung
Beispiel: BGH vom 28.10.2008, VI ZR 307/07
Häufiger Verweis (≤3) auf gleichen EGMR-Rechtstreit innerhalb eines Urteils
Beispiel: Verweise auf EGMR vom 17.12.2009, M. v. Deutschland, Nr. 19359/04 in
BGH vom 11.05.2010, 4 StR 577/09
12

Übernahme einer Begriffsauslegung aus EGMR-Rechtsprechung
Beispiel: BGH vom 14.09.2005, IV ZR 198/04, Rn. 15:
„(1) Art. 1 1. ZP gewährleistet jeder natürlichen Person die Achtung ihres Eigentums.
Vom Eigentumsbegriff umfasst sind alle von Privaten erworbenen Rechte mit Vermögenswert
unter Einschluss von Forderungen, sofern für diese eine berechtigte
Erwartung der Realisierung geltend gemacht werden kann (EGMR -
Lenz/Deutschland - NJW 2003, 2441; BVerfG WM 2004, 2497, 2503).“
Zueigenmachung eines Argumentes
Einlassung zum grundsätzlichen Verhältnis deutscher Gerichte zum EGMR oder
der EMRK
Beispiel: BVerfG vom 04.05.2011, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR
1152/10, 2 BvR 571/10, Rn. 93
c) Grenzen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergeben sich aus dem Grundgesetz.
Die Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention darf nicht
dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz eingeschränkt
wird; das schließt auch die Europäische Menschenrechtskonvention selbst aus (vgl.
Art. 53 EMRK). Dieses Rezeptionshemmnis kann vor allem in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen
relevant werden, in denen das „Mehr“ an Freiheit für den einen
Grundrechtsträger zugleich ein „Weniger“ für den anderen bedeutet. Die Möglichkeiten
einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den
anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht
mehr vertretbar erscheint.
Analog zur Kategorisierung von EGMR-
Verweisen nach obengenannten den Kriterien
i.-vi. erfolgte eine Kategorisierung auch von
Verweisen auf die EMRK in der Rechtsprechung
des BVerfG und des BGH. Die Erhebung
von EMRK-Verweisen in der Rechtsprechung
des BVerfG und dem BGH dient
dem Vergleich mit EGMR-Verweisen. Wegen
der hohen Ähnlichkeit der Verweise und des
großen Umfangs an Verweisen im Untersuchungszeitraum
(rund 400 Verweise) wurde
die Erhebung auf den Zeitraum 2010-2012
beschränkt (rund 150 Verweise).
i. Einschlägiger Artikel der EMRK: Artikel
der EMRK auf den verwiesen wird
ii. Einschlägige deutsche Rechtsnorm(en):
Die Rechtsnormen
deutscher Gesetzte, die in der auf den
EMRK verweisenden Rechtssache zitiert
verhandelt werden.
iii. Anzahl der EMRK-Verweise: Häufigkeit
des Suchbegriffes
„MRK“/“EMRK“ oder „Europäische
Menschenrechtskonvention“ in der
jeweiligen Entscheidung.
Eine Einteilung nach „Komplexität“ fand im
Bezug auf EMRK-Verweise nicht statt. Hier
ließ sich nach ersten Stichproben der Verweise
erkenne,, dass engere Kriterien als die der
„Komplexität“ angelegt werden können. Verweise
auf die EMRK lassen sich in der Regel in
folgende Kategorien unterteilen:
Qualität von EMRK-Verweisen: Arten von Verweisen auf die
EMRK/MRK in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH
Nicht-
Anwendbarkeit
Das Gericht weist die Rüge der EMRK als unzulässig oder als unbegründet
zurück (Anforderungen der StPO oder ZPO oder des BVerGG nicht Genüge
getan)
Beispiel: BGH vom 12.01.2011, IX ZB 13/09, Rn. 3:
„2. Die Rechtsbeschwerde legt auch nicht hinreichend dar, dass wegen der
13

Auslegung
Verweis ohne Auslegung
Beschwerdeführer/Vorinstanz
Verletzung von Verfahrensgrundrechten ihre Zulässigkeit in Frage kommt.
Der Rechtsbeschwerdeführer hat selbst eingeräumt, die französische Umgangssprache
zu beherrschen, so dass die unterlassene Beiziehung eines
Dolmetschers im französischen Verfahren nicht zwingend das Recht auf ein
faires Verfahren im Sinne von Art. 6 Abs. 3 e) EMRK verletzt haben muss, zumal
der Rechtsbeschwerdeführer anwaltlich vertreten war.“
Das Gericht wendet die EMRK auf einen Sachverhalt an, ohne explizit auf
den EGMR zu verweisen
Beispiel:
„IV. Anhaltspunkte für eine - zu Kompensation nötigende, von der Verteidigung
aber ohnehin nicht mit einer entsprechenden Verfahrensrüge geltend
gemachte - rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung liegen nicht vor.
Gemessen an Umfang, Bedeutung (vgl. Graf in BeckOK-StPO, § 198 GVG Rn.
8) und Schwierigkeit der Sache (Beleg hierfür ist u.a. das von der Revision in
Erwiderung auf den Antrag des Generalbundesanwalts nachgereichte weitere
Rechtsgutachten) wurde das Verfahren insgesamt innerhalb angemessener
Frist (Art. 6 Abs. 1 EMRK) abgeschlossen; dies gilt auch für das Revisionsverfahren,
in dem die Sache wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zur
Veröffentlichung vorgesehen ist.“
Es wird auf die EMRK verwiesen, dabei findet weder eine Auslegung noch
ein Verweis auf den EGMR statt
Beispiel 1: BGH vom 18.11.2010, I ZR 119/08, Rn. 40:
„Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die - hier allein
betroffenen (vgl. oben Rn. 34) - vermögensrechtlichen Bestandteile des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers einschließlich seines Rechts
am eigenen Bild nur einfachrechtlich geschützt sind, während die Beklagte
sich auf das verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht der Pressefreiheit
(Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK) berufen kann.“
Das Gericht referiert das Argument des Beschwerdeführers oder eines
Gerichts des vorgegangenen Instanz, ohne in der Urteilbegründung darauf
einzugehen
Ver-
Mittelbarer
weis
Beispiel: BVerfG vom 24.01.2012, 1 BvR 1299/05, Rn. 67
„[Die Beschwerdeführer rügen die Richtline] […] sei kompetenzwidrig erlassen
und verstoße gegen die Menschenrechte auf Achtung des Privatlebens
und der Korrespondenz nach Art. 8 EMRK und die Freiheit der Meinungsäußerung
nach Art. 10 Abs. 1 EMRK. Selbst wenn man eine Umsetzungspflicht
bejahe, sei die Verfassungsbeschwerde zulässig, um zur Klärung ihrer Gültigkeit
die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof durch das Bundesverfassungsgericht
zu ermöglichen.“
Es wird auf eine Entscheidung des BVerfG oder des BGH verwiesen, in der
der EGMR zitiert wird
Literaturverweis
Beispiel: BGH vom 21.06.2011, 5 StR 52/11, Verweis auf BVerfG vom
04.05.2011, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 1152/10,
2 BvR 571/10 (Sicherheitsverwahrung)
Als Referenz für eine vom Gericht vertretene Rechtsauffassung dient eine
Literaturangabe, typischerweise auf ein EMRK-Kommentar/Lehrbuch.
Beispiel: BGH vom 09.02.2010, 3 StR 253/09, Rn. 2:
Dies entspricht indessen - verfassungsrechtlich unbedenklich und mit Art. 6
Abs. 1 MRK vereinbar (vgl. Kuckein aaO § 349 Rdn. 16; Meyer-Goßner, StPO
52. Aufl. § 349 Rdn. 7, jew. m. w. N.) - der Gesetzeslage, erlaubt keinen
Schluss auf die Nichtbeachtung des Sachvortrags des Revisionsführers und
begründet daher einen (sonstigen) Gehörsverstoß im Sinne des § 356 a StPO
ersichtlich nicht (vgl. BGH wistra 2009, 483 m. w. N.).
14

Der deskriptiven Statistik des Berichts folgt
ein zweiter Teil, in dem die im Rahmen der
Erhebung festgestellten Trends und aufgeworfenen
Fragen aufgegriffen werden. Im
Besonderen zeigt die Erhebung, auf welche
Artikel der EMRK sich Verweise schwerpunktmäßig
beziehen, auf welche EGMR-
Entscheidungen wann besonders häufig verwiesen
wird und wann Verweise „komplex“
sind.
Schließlich wurden die Suchergebnisse auch
darauf untersucht, von wem die Initiative für
den Verweis auf den EGMR ausging. Hier erfolgte
eine einfache Unterteilung in Gericht
und Beschwerdeführer. Diese Systematisierung
diente dem Zweck, Aussagen darüber zu
machen ob Gerichte selbständig der ihnen
unter dem Subsidiaritätsgrundsatz zukommenden
Berücksichtigungspflicht nachkommen
oder ob sie durch die Beschwerdeführer
dazu genötigt werden. Bei der Erhebung ergab
sich das Problem, dass der Ursprung der
Initiative aus den Entscheidungen nur selten
hervorgeht. Sofern das Gericht von der Unbegründetheit
eines EMRK-Verstoßes ausgeht,
wird häufiger das Argument des Beschwerdeführers
kenntlich als solches referiert. In anderen
Fällen kann nur durch ausführliche
Analyse des Verfahrensgangs die Herkunft
der Initiative für einen EGMR-Verweis ermittelt
werden. Wo ersichtlich, wurde daher die
Initiative des Beschwerdeführers kenntlich
gemacht, alle anderen Fälle wurden als
„unbekannt“ gelistet.
15

Art. 103 GG
Art. 11 GG
Art. 17 GG
Art. 9 GG
Art. 4 GG
Art 5 GG
Art. 104 GG
Art 1 GG
Art 2 GG
Art. 16 GG
art 6 GG
Art. 38 GG
Art. 19(4)
Art. 8 GG
Art. 14 GG
Art. 101 GG
Art. 10 GG
Art 3 GG
Art. 13 GG
Art. 12 GG
Art. 33 GG
2. Deskriptive Statistik zur EGMR-
Rechtsprechung im BVerfG und BGH
2.1 Bundesverfassungsgericht
2.1.1 Verweise auf den EGMR und
die EMRK – Fallanzahl
Im Untersuchungszeitraum bewegt sich die
Anzahl der Rechtssachen, in denen das BVerfG
auf den EGMR verweist, zwischen jährlich
sechs und acht. In Relation zu Gesamtvolumen
der Rechtsprechung des BVerfG erfolgen
Verweise auf den EGMR demnach in etwa 2
bis 3% der vom BVerfG ergangenen Entscheidungen.
Im Hinblick auf die Breite thematische Streuung
der Entscheidungen und den Unterschieden
in den Regelungsbereichen der Verfassung
einerseits und der EMRK andererseits
vermag dieser Wert keine Aussage darüber
zu machen, ob Verweise auf den EGMR in
Verweise enthalten, in Verhältnis zu Entscheidungen
Grundrechtsbezug, 13 ergibt sich
ein verändertes Bild. Im BVerfG enthalten je
nach Grundrecht eins bis 66 Prozent der ergangenen
Entscheidungen (Nichtannahmebeschlüsse,
stattgegebener Kammerbeschlüsse,
Beschlüsse und Urteile) mit Grundrechtsbezug
einen Verweis auf den EGMR.
Verhältnis der BVerfG-
Entscheidungen mit EGMR-Verweis
zur Gesamtanzahl ergangener
Entscheidungen mit
Grundrechtsbezug, 01.01.2005-
31.12.2011, nach Grundrecht
70%
60%
50%
Entscheidungen des BVerfG, in
denen auf den EGMR verwiesen
wird, 01.01.2005 bis 31.12.2011,
absolute Werte
12
10
8
6
4
2
0
8
11 12
6
11 11 10
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
40%
30%
20%
10%
0%
Fällen unterbleiben in denen Rechtsprechung
im Rahmen der Berücksichtigungspflicht eigentlich
relevant wäre. Aussagekräftiger ist
möglicherweise eine Eingrenzung auf Rechtssachen
mit Bezug auf die Grundrechte des
Grundgesetzes (GG). Setzt man die Anzahl der
BVerfG und BGH-Rechtssachen, die EGMR-
Verweise auf die EMRK decken sich größtenteils
mit denen auf den EGMR. Im Schnitt wird
in rund zehn Prozent der BVerfG-Rechtsachen
mit Grundrechtsbezug auf den EGMR verwiesen.
13
Art. 1-17, 19(4), 20(4), 33, 38, 101, 103, 104 GG.
16

Relativ häufig (≥ 10%) sind dabei Rechtssachen
mit Bezug zu Art. 1 GG, Art. 4, 5, 9, 11, 17
GG, Art. 103 und 104 GG. Der hohe Wert für
Verweise in Rechtssachen, die Art. 11 betreffen,
erklärt sich durch die niedrige absolute
Fallanzahl zu diesem Grundrecht. In absoluten
Werten erfolgen Verweise auf den EGMR
durch das BVerfG besonders häufig in Rechtssachen,
die Art. 1, 2 und Art. 103 GG betreffen.
Anzahl an BVerfG-
Entscheidungen mit EGMR-
Verweis, 01.01.2005-31.12.2011
nach Grundrecht
Art. 2 GG
Art. 1 GG
Art. 103 GG
Art. 19(4)
Art. 5 GG
Art. 6 GG
Art. 3 GG
Art. 104 GG
Art. 14 GG
Art. 101 GG
Art. 12 GG
Art. 38 GG
Art. 4 GG
Art. 13 GG
Art. 11 GG
Art. 9 GG
Art. 8 GG
Art. 33 GG
Art. 17 GG
Art. 16 GG
Art. 10 GG
0 20 40 60 80
Beim quantitativen Vergleich der EGMR-
Verweise mit Verweisen auf die EMRK ergibt
sich eine beachtliche Differenz: Während das
BVerfG im Untersuchungszeitraum in 85 Fällen
auf den EGMR verweist, wird im selben
Zeitraum 132 Mal auf die EMRK verwiesen.
Da ein EGMR-Verweis stets zusammen mit
einem EMRK-Verweis ergeht, ergeben sich 47
Rechtssachen, in denen vom BVerfG auf die
EMRK, nicht aber auf den EGMR verwiesen
wird. Diese Fälle werden im Weiteren noch
qualitativ zu untersuchen sein. In 2.4 wird der
Gegenstand dieser ausschließlich auf die
EMRK verweisenden Rechtssachen beleuchtet.
Häufigkeit von Verweisen
EGMR/EMRK (absolute
Werte)
140
120
100
80
60
40
20
0
Verweise
EGMR
Verweise
EMRK
2.1.2 Streitparteien zitierter EGMR-
Rechtssachen
Das BVerfG verweist überwiegend auf Fälle,
an denen die Bundesrepublik als Streitpartei
beteiligt war. In etwa der Hälfte der Fälle wird
ausschließlich auf Fälle verwiesen, in denen
Deutschland als Beklagte auftrat. Zählt man
dazu gemischte Verweise des BVerfG, in denen
sowohl EGMR-Fälle mit Deutschland als
Beklagter, als auch Rechtsachen gegen andere
Staaten vom BVerfG zitiert werden, verweist
das BVerfG in zwei von drei Fällen, die einen
EGMR-Verweis enthalten, auf Rechtssachen
mit Deutschland als Beklagter. Ein Drittel der
Verweise hat nur Rechtssachen zum Inhalt, in
denen andere Staaten als Deutschland als
Beklagte auftreten.
Sofern auf EGMR-Rechtssachen gegen andere
Staaten als Deutschland verwiesen wird, sind
die Verweise in Relation zu Gesamtanzahl der
Mitgliedsstaaten des Europarates relativ
schmal gestreut. Insgesamt werden EGMR-
Rechtssachen gegen neunzehn Staaten zitiert.
Nahezu ein Fünftel der zitierten EGMR-
Entscheidungen involvierten Großbritannien
als Streitpartei, gefolgt von häufigen Verwei-
17

Andere Streitparteien zitierter EGMR-Entscheidungen
Vereinigtes Königreich
Frankreich
Österreich
Schweiz
Belgien
Niederlande
Türkei
Polen
Luxemburg
Tschechien
Liechtenstein
Kroatien
Finnland
Dänemark
Ukraine
Slovenien
Schweden
Lettland
Georgien
0 2 4 6 8 10 12 14
sen auf Frankreich, Österreich und die
Schweiz. 60 Prozent aller vom BVerfG zitierten
EGMR-Entscheidungen waren Entscheidungen
mit diesen Staaten als Beklagte. Alle
weiteren zitierten Entscheidungen verteilen
sich auf dreizehn Staaten. Dabei lässt sich
nicht feststellen, dass Rechtssachen gegen
Europarats-Mitgliedsstaaten mit kontinentaleuropäischem
Rechtssystem eher berücksichtigt
werden als Entscheidungen gegen Staaten
aus dem Rechtskreis des common law. Allenfalls
lässt sich auf die hohe summierte Anzahl
an Verweisen hinweisen, die Österreich, die
Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein, und
damit den deutschen Rechtskreis betreffen.
Der romanische Rechtskreis ist durch die
hohe Gesamtzahl an EGMR-Rechtssachen
gegen Frankreich und Belgien durchschnittlich
vertreten. Selten zitiert wurden EGMR-
Entscheidungen gegen Russland, obwohl sie
den größten Anteil aller ergangenen EGMR-
Entscheidungen ausmachen.
Bei der Aufspaltung der zitierten EGMR-
Rechtsachen gegen Deutschland nach Ergebnis
ergibt sich eine sehr deutliche Mehrheit an
Entscheidungen, bei denen der EGMR eine
Konventionsverletzung durch Deutschland
festgestellt hat. Lediglich rund ein Sechstel
der Entscheidungen, auf die das BVerfG im
Untersuchungszeitraum verwiesen hat waren
Rechtssachen, in denen keine Konventionsverletzung
festgestellt wurde (inklusive
Rechtsachen, die durch den EGMR als unzulässig
abgewiesen wurden).
18

Streitparteien zitierter EGMR-
Entscheidungen, 01.01-2005-
31.03.2012
./.
Bundesrepublik
Deutschland
33%
16%
51%
./.
Bundesrepublik
Deutschland und
andere (mehrere
Verweise)
Zitierte EGMR-Entscheidungen ./.
Bundesrepublik nach Ergebnis
17%
83%
Konventionsver
letzung
Keine
Konventionsver
letzung
dem Streitgegenstand der Rechtssache systematisiert,
auf den das BVerfG verweist. Sofern
mehrere Artikel der EMRK benannt werden,
tauchen sie als Mehrfachnennungen in der
Statistik auf.
Sofern durch das BVerfG ausschließlich auf
die EMRK verwiesen wird, zeichnet sich ein
klarer Schwerpunkt auf Art. 6 EMRK (Recht
auf ein faires Verfahren), Art. 8 (Recht auf
Achtung des Privat- und Familienlebens) und
Art. 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) ab.
Gegenstand der EMRK-
Verweise nach Art. EMRK
(Fallanzahl)
Art. 6
Art. 8
Art. 5
Art. 3
Art. 1 ZP 1
Art. 14
Art. 10
Art. 2
Art. 1 ZP 11
Art. 4 ZP 7
Art. 9
0 2 4 6 8
2.1.3 Streitgegenstand zitierter
EGMR-Rechtssachen, Gegenstand
bei EMRK-Verweisen
Um Trends für die Analyse inhaltlicher
Schwerpunkte aufzuzeigen wurden Suchergebnisse
nach den jeweils in der Rechtssache
betroffenen EMRK-Artikeln systematisiert.
Dabei wurde unterschieden zwischen Verweisen
des BVerfG auf Rechtssachen des EGMR
einerseits und Verweisen auf die EMRK andererseits.
Sofern sowohl auf die EMRK als auch
auf den EGMR verwiesen wurde, wurden die
Fälle als EGMR-Verweis zugeordnet.
Während der Verweis auf die EMRK stets auf
einen spezifischen EMRK-Artikel erfolgt, ist
die Methodik bei EGMR-Verweisen verschieden:
Zum Teil wird lediglich auf eine Rechtsache,
das heißt abgelöst von der Zitation eines
EMRK-Artikels, verwiesen. Hier wurde nach
Diese Ergebnisse decken sich im Wesentlichen
mit den häufigsten Streitgegenständen
bei EGMR-Verweisen. Besonders oft wird auf
EGMR-Rechtssachen zu Art. 6, 8 und 5 verwiesen.
Die Gegenstände von EGMR-
Verweisen spiegeln auch die Aufschlüsselung
der EGMR-Verweise nach Grundrecht (2.1.1)
wider in der eine hohe absolute Fallanzahl im
Bezug auf Art. 2, 19(3) und 104 GG sichtbar
ist.
19

5
4
3
2
1
0
2.1.4 Qualität der Verweise
Einfachster Indikator für die Beschaffenheit
der EGMR-Verweise ist die Anzahl der EGMR-
Verweise pro Entscheidung des BVerfG. Die
Erhebung dieser „Verweisdichte“ sollte die im
Methodenbericht in 1 angegebener Kriterien
ergänzen und absichern. So wurde in der
Erhebung ein Verweis als „komplex“ gelistet,
wenn die Häufigkeit der Verweise größer
oder gleich drei war und damit eine Auffangkategorie
geschaffen.
Anzahl zitierter EGMR-
Entscheidungen per BVerfG-
Entscheidung, die EGMR-Verweise
enthält (Durchschnitt), 01.01.2005
bis 31.12.2011
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Die Analyse der Verweisanzahl pro Entscheidung
des BVerfG, die auf den EGMR verweist,
ergibt einen Mittelwert von rund drei. Im
zeitlichen Verlauf zeigt sich, dass die durchschnittliche
Anzahl an EGMR-Verweisen pro
auf den EGMR verweisende BVerfG-
Entscheidung im Jahresmittel zwischen rund
zwei und fünf variiert. Diese Zahlen sind im
Zusammenhang mit der Gesamtzahl an
BVerfG-Fällen zu sehen, die auf den EGMR
verweisen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass
einige Fälle besonders häufig durch das
BVerfG zitiert werden und die Werte damit
keine Aussage über das Gesamtvolumen der
Fälle machen, auf die durch das BVerfG verwiesen
wurde. 14
Im Sinne der oben erläuterten Kriterien für
die Beschaffenheit der Verweise ist die Mehrzahl
an EGMR-Verweisen in Entscheidungen
42%
Qualität der Verweise einfach ./.
komplex, 01.01.2005 - 31.03.2012
58%
Einfach
Komplex
des BVerfG „einfach“. Wie aus der Auflistung
der Kriterien für „einfache“ und „komplexe“
Verweise hervorgeht, sind einfache Verweise
zwar nicht unbedeutend, weil auch sie der
Berücksichtigungspflicht nachkommen. Dennoch
sind „komplexe“ Verweise für die nachfolgende
Analyse bedeutender, weil durch sie
eine Auslegung erfolgt.
Lohnend ist schließlich die Analyse der Be-
Gegenstand der EGMR-Verweise im BVerfG nach Art. EMRK
(Fallanzahl)
Art. 6
Art. 8
Art. 5
Art. 10
Art. 3
Art. 14
Art. 7
ZP1
Art. 11
Art. 2
0 5 10 15 20 25 30
14
Dazu siehe Anhang A4.
20

schaffenheit von reinen EMRK-Verweisen
nach den im Methodenteil genannten Kriterien.
Sie ergibt, dass EMRK-Verweise zum
Großteil zum Inhalt haben, Argumente der
Beschwerdeführer oder der Vorinstanz widerzugeben.
Eine Auslegung der Konvention
erfolgt in fünf Prozent der Rechtssachen, die
einen EMRK-Verweis enthalten; häufiger erfolgen
Verweise ohne Auslegung.
Qualität von EMRK-Verweisen im
BverfG
5% 5%
Beschwerdeführe
10%
r oder Vorinstanz
Auslegung
12%
68%
Verweis ohne
Auslegung
2.2 Bundesgerichtshof
Anzahl der Fälle, in denen auf
den EGMR verwiesen wird,
01.01.2005 bis 31.12.2011
35
30
25
20
15
10
2.2.1 Verweise auf den EGMR und
die EMRK – Fallanzahl
Die Analyse der Daten gestaltete sich analog
zu EGMR-Verweisen durch das BVerfG.
Die Anzahl der Rechtssachen, die auf den
5
8
10
18
17
15
32
25
Dieser im Vergleich zum BVerfG hohe Wert
liegt vor allem in den häufigen Verweisen auf
den EGMR in Fällen, die Art. 1, 5, 103 und 104
GG betreffen. Demgegenüber fällt auf, dass der
BGH in Zusammenhang mit weitaus weniger
Grundrechten (zehn) auf den EGMR verweist.
Bei der Analyse der EMRK-Verweise wird
deutlich, dass diese sich mit den EGMR-
Verweisen überschneiden. Dementsprechend
decken EMRK-Verweise nicht etwa andere
Grundrechte ab, in deren Bezug der EGMR
vom BGH nicht erwähnt wird und werden
deshalb hier auch nicht als gesondertes Diagramm
dargestellt.
Anzahl an EGMR-Verweisen im
BGH, 01.01.2005-21.12.2011, nach
Grundrechtsbezug
Art. 2 GG
Art. 5 GG
0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
EGMR verweisen, bewegt sich zwischen jährlich
acht und 32; im Schnitt wurde im Untersuchungszeitraum
in 17 Fällen jährlich auf
den EGMR verwiesen. absolute Höhe der
Verweise liegt damit deutlich, das heiß bis zu
viermal so hoch wie im BVerfG. Im Verhältnis
zum Gesamtvolumen der Fälle mit Grundrechtsbezug
bestätigen sich diese Zahlen: In
durchschnittlich 40 Prozent der vom BGH
entschiedenen Rechtssachen mit Grundrechtsbezug
erfolgt ein Verweis auf die EGMR.
Art. 1 GG
Art. 103 GG
Art. 14 GG
Art. 6 GG
Art. 3 GG
Art. 12 GG
Art. 4 GG
Art. 104 GG
0 10 20 30 40
21

Verhältnis der EGMR-Verweise im
BGH zur Gesamtanzahl ergangener
Entscheidungen, 01.01.2005-
31.12.2011, nach Grundrecht
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
ist deshalb der Gegenstand dieser Fälle, der
unten in 2.2.3 beleuchtet wird. Im Bezug auf
die die deutsche Rechtsordnung legt die Erhebung
nahe, dass die EMRK-Verweis im BGH
vor allem anderer Normen als Grundrechte
betreffen.
Häufigkeit von Verweisen
EGMR/EMRK (Fallanzahl)
400
350
300
387
20%
10%
250
Verweise
EGMR
0%
Art.
103
GG
Art 5 Art 1 Art.
GG GG 104
GG
Art.
4 GG
Art 2 art 6 Art. Art 3
GG GG 14
GG
GG
Art.
12
GG
200
150
128
Verweise
EMRK
Unterschiede zum BVerfG zeigen sich auch im
Verhältnis zwischen Verweisen auf den EGMR
und die EMRK. Während das BVerfG in zwei
Dritteln aller Fälle, in denen auf die EMRK
verwiesen wird, auch auf den EGMR verweist,
geschieht dies vor dem BGH nur in einem
Drittel der Fälle. Umso stärker von Interesse
2.2.2 Streitparteien
Hinsichtlich der Aufteilung der Parteien, die
an durch den BGH zitierte EGMR-
Rechtssachen beteiligt sind, stellt sich ein den
Verweisen im BVerfG ähnliches Ergebnis ein.
Die Mehrzahl der Fälle, auf die ein Verweis
erfolgt, sind Rechtssachen gegen Deutschland.
Sofern andere Streitparteien beteiligt sind
betreffen sie größtenteils dieselben Staaten
wie die Fälle, auf die das BVerfG verweist.
Österreich, Frankreich, Niederlande, Vereinigte
Königreich, Italien und die Schweiz nehmen
dabei die vordersten Ränge ein. Auffällig ist
100
50
0
dabei, dass Österreich die Beklagte von zwanzig
zitierten EGMR-Rechtssachen ist, wohingegen
andere Länder mit maximal acht
Rechtssachen vertreten sind. In Relation zum
gesamten Volumen an Verweisen ist jedoch
auch vor dem BGH keine Präferenz der Berücksichtigung
von Rechtssachen erkennbar,
deren Beklagte dem deutschen Rechtskreis
zuzurechnen sind.
Unterschiede sind bei der Systematisierung
deutlich, ob in einer zitierten Rechtssache
gegen Deutschland vom EGMR eine Konventionsverletzung
festgestellt wurde. Immerhin
rund ein Drittel der zitierten Rechtssachen
gegen Deutschland sind solche, bei denen
keine Konventionsverletzung vorlag.
22

2.2.3 Streitgegenstand zitierter
EGMR-Rechtssachen, Gegenstand
bei EMRK-Verweisen
Bei der Häufigkeit der Streitgegenstände der
EGMR Verweise ergibt sich ein noch deutlicheres
Bild als beim BVerfG. Die häufigsten
Verweise lassen sich auf Art. 6, Art. 8 und Art.
5 gruppieren.
Ein klares Bild zeichnet sich auch bei den
Verweisen auf die EMRK (siehe auch 2.1.3, bei
mehreren relevanten Normen der EMRK erfolgt
Mehrfachnennung). Im ganz überwiegenden
Teil der Verweise handelt es sich um
Verweise auf Art. 5 und Art. 6 EMRK. Andere
als die im Diagramm aufgeführten Artikel der
EMRK haben Verweisanzahlen von eins. Ein
Großteil der EMRK-Verweise betrifft Abschiebungshaftsachen,
in denen der BGH eine Kostenerstattung
der zur Rechtsverfolgung notwendigen
Auslagen anordnet. 15 Hier wird in
Zusammenhang mit dem Gesetz über das
Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit
(FamFG) und der Kostenordnug (KostO) unter
Berücksichtigung von Artikel 5(5) auf die
EMRK verwiesen.
Häufigste Gegenstände der EGMR-
Verweise im BGH, 01.01.2005-
31.12.2012
Art. 6
Art. 8
Art. 5
0 20 40 60 80
Gegenstand der EMRK-Verweise im
BGH, nach Art. EMRK (Fallanzahl)
Art. 5
Art. 6
Art. 8
Art. 10
0 20 40 60 80 100
Streitparteien zitierter EGMR-Entscheidungen, 01.01-
2005-31.03.2012
5%
39%
./. Bundesrepublik
56%
./. Andere
15
Z.B. BGH vom 01.03.2012, V ZB 183/11: „Die Kostenentscheidung
beruht auf § 83 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 430
FamFG. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5
Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, das Land
Rheinland-Pfalz und den Landkreis Bad Kreuznach entsprechend
der Beteiligung ihrer Behörden zur Erstattung
der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen
Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die
Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2
KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.“
23

2.2.4 Qualität der Verweise
Ähnlich zur Häufigkeit der Verweise im BVerfG
bewegt sich die durchschnittliche Anzahl an
EGMR-Verweisen pro Entscheidung, in denen ein
Verweis enthalten ist, im zeitlichen Verlauf zwischen
zwei und sechs. Als Mittelwert ergeben
sich, analog zum BVerfG, drei EGMR-Verweise
pro Entscheidung. Ebenfalls gleiche Werte ergeben
sich zu der Komplexität der Verweise; wie
auch im BVerfG stehen 43 Prozent „einfache“
Verweise 57 Prozent „komplexen“ Verweisen
gegenüber. Erwähnenswert ist schließlich, in
welchem systematischen Zusammenhang ein
Verweis erfolgt. EGMR-Verweise wurden danach
systematisiert, ob sie in Verbindung mit einer
Entscheidung des BGH oder des BVerfG erfolgten
oder ob im Zusammenhang mit einem EGMR-
Verweis die Nennung deutscher Rechtsprechung
ausblieb. Hier war eine klare Mehrheit der Fälle
erster Kategorie zuzuordnen.
Systematische Stellung der EGMR-
Verweise, 01.01.2005-31.03.2012
Die Analyse der EMRK-Verweise beschränkt sich
auf die aktuellsten 150 Rechtssachen, weil bei
den EMRK-Verweisen durch den BGH häufige
Wiederholungen festgestellt wurden. Anders als
das BVerfG nimmt der BGH häufiger Auslegungen
der EMRK vor. Auslegungen werden in der
Häufigkeit gefolgt von mittelbaren Verweisen,
bei denen auf eine andere Rechtssache verwiesen
wird, in der wiederum auf den EGMR verwiesen
wird.
6%
Qualität von EMRK-Verweisen
15%
1%
6%
72%
Nicht-
Anwendbarkeit
Auslegung
Ohne Auslegung
Mittelbarer
Verweis
Literaturverweis
37%
63%
In Verbindung mit
Entscheidungen
des BGH/des
BVerfG
Autonom
2.3 Grenzen der Erhebung:
Sprachbarriere, Mediale Aufmerksamkeit,
Subjektive Faktoren
Die vorangegangene deskriptive Statistik lässt
eine Reihe von Faktoren zu den EGMR-
Verweisen unberücksichtigt.
Ein solcher, bedeutender Faktor ist die Sprachbarriere,
die durch die Abfassung der EGMR-
Entscheidungen in Englisch und Französisch
entsteht. Eine systematische Übersetzung der
EGMR-Urteile auf Deutsch findet durch den Europarat
nicht statt, allerdings werden durch die
Presseabteilung des Gerichtshofs die Eckpunkte
von Entscheidungen auf Deutsch übersetzt. Die
im April 2012 erlassene Déclaration de Brighton
unterstreicht die Bedeutung der Übersetzung
und nennt diese als Aufgabe der Mitgliedsstaaten.
16 In Deutschland blieb die Übersetzung von
EGMR-Entscheidungen lange juristischen Spezialzeitschriften
wie der Europäischen Grundrechte-Zeitschrift
(EuGRZ) überlassen. Erst mit der
Übersetzung von Entscheidungen durch die
Neue Juristische Wochenschrift (NJW) erreichen
Übersetzungen in Deutschland ein breiteres,
insbesondere auch anwaltliches, juristisches
Publikum. Seit 2009 gibt das Bundesministerium
für Justiz (BMJ) Berichte über die Recht-
16
Siehe Fn. 9.
24

sprechung des EGMR in Fällen gegen Deutschland
und in Fällen gegen andere Staaten in Auftrag,
die allerdings mit einiger Zeitverzögerung
erscheinen. 17 Wichtige Urteile des EGMR werden
vom BMJ ins Deutsche übersetzt. 18 Demgegenüber
bleibt der Nachteil, dass die fallrechtliche
Suchmaschine des Europarates lediglich mit
englischen oder französischen Suchbegriffen
umgehen kann, dass die Richter für die Arbeit
mit ausführlichen deutschen Übersetzungen
häufig auf juristische Informationsdienste angewiesen
sind und dass es in der Vergangenheit
auch durch die Übersetzung bedingte Fehldeutungen
gegeben hat. 19
Bei den untersuchten EGMR-Verweisen handelt
es sich fast zum Großteil um ins Deutsche
übersetzte Urteile, die in der NJW oder der
EUGRZ übersetzt wurden. Verwiesen wird dabei
stets auf die Fundstelle in der jeweiligen Zeitschrift,
ohne Angabe der EGMR-
Beschwerdenummer oder den Namen der
Streitparteien. Verweise auf das englische oder
französische Original eines EGMR-Urteils unterbleiben
lange Zeit nahezu vollständig. Erst in
jüngster Zeit lässt sich eine Abkehr von dieser
Zitierpraxis feststellen.
Neben den genannten Nachteilen erschwert die
übliche Zitierweise auch die Suche nach der
Fundstelle im rechtsverbindlichen original-
Wortlaut. Verweise müssen stets über Fundstellenverzeichnisse
abgeglichen werden. 20 Inwieweit
es darüber hinaus zu einer Berücksichti-
17
Für die Berichte von 2010 siehe
www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Bericht_ueb
er_die_Rechtsprechung_des_Europaeischen_Gerichtshofs_fue
r_Menschenrechte_in_Faellen_gegen_andere_Staaten_als_Deu
tschland_2010.pdf?__blob=publicationFile [01.06.212]
sowie
www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Bericht_ueb
er_die_Rechtsprechung_des_Europaeischen_Gerichtshofs_fue
r_Menschenrechte_und_die_Umsetzung_seiner_Urteile_in_Ver
fahren_gegen_die_Bundesrepublik_Deutschland_im_Jahr_2010.p
df?__blob=publicationFile [01.06.212].
18
Siehe
http://www.bmj.de/DE/Recht/OeffentlichesRecht/Beauftra
gteMenschenrechtsfragen/WichtigeUrteiledesEuropaeischen
GerichtshofsfuerMenschenrechte/_node.html [01.06.212].
19
Hong, Mathias, Caroline von Hannover und die Folgen –
Meinungsfreiheit im Mehrebenensystem
zwischen Konflikt und Kohärenz, S2. 282, in: Matz-Lück, Nele
und ibid. „Grundrechte und Grundfreiheiten im
Mehrebenensystem – Konkurrenzen und Interferenzen“
(Springer 2012); auch BVerfG 2 BvR 2661/06 vom 6. Juli
2010, Rn. 70.
20
Siehe hierzu das Fundstellen-Verzeichnis von Marten
Breuer, www.egmr.org [01.06.2012].
gung von nicht ins Deutsche übersetzten Entscheidungen
kommt geht aus der Zitierpraxis
nicht hervor. So bleibt es in der Gesamtschau bei
einer zwar deutlich verbesserten, aber nicht
optimalen Situation für die Zugänglichkeit, Recherche
und Zitierpraxis von EGMR-Urteilen in
deutscher Sprache. Inwieweit sich diese Situation
auf die Art und Anzahl von Verweisen auswirkt
wird hier allerdings nicht weiter untersucht.
Seitens des Europarats könnte die Neugestaltung
der HUDOC-Datenbank zur Rechtsprechung
des EGMR, die nunmehr auch vorhandene
Übersetzungen anzeigt und bessere
Suchergebnisse liefert, Verbesserung bringen.
Sie ist seit Mitte Juni 2012 online.
Ein weiterer unberücksichtigter Faktor ist der
durch die Beschwerdeführer mittelbar hergestellte
Zusammenhang zwischen medialer Aufmerksamkeit
für eine EGMR-Rechtssache und
EGMR-Verweisen in deutschen Bundesgerichten.
So hieß es verschiedentlich, dass die mediale
Aufmerksamkeit für eine gegen Deutschland
ergangene EGMR-Rechtssache die Anzahl der
Eingaben gegen Deutschland sowie die Verweise
auf den EGMR an deutschen Gerichten erhöht.
Da eine wesentliche Anzahl von EGMR-
Verweisen im BVerfG und BGH die Wiedergabe
von Argumenten des Beschwerdeführers betrifft
ist dieser Zusammenhang nicht zu unterschätzen.
Schließlich bleiben auch individuelle Faktoren
im Bezug auf die an der Ausarbeitung der Urteile
beteiligten Juristen, die Richter und die Anwälte
unberücksichtigt. Im Bezug auf letztere ließen
sich Überlegungen anstellen, ob bestimmte Richter
häufiger oder in anderer Weise auf den
EGMR verweisen. Einfluss auf die Häufigkeit
und Art von Verweisen könnten dabei u.a. Spezialinteressen
bestimmter Rechtsgebiete (zum
Beispiel Völkerrecht, Strafrecht v. Zivilrecht mit
inhaltlichen Aufspaltungen, wie Familienrecht)
haben.
2.4 Zusammenfassung
i. Sowohl im BGH als auch im BVerfG sind
die absoluten Verweiszahlen auf den
EGMR seit 2005 gestiegen.
ii. Auf den EGMR wird von beiden Gerichten
wesentlich zurückhaltender verwiesen
als auf die EMRK.
25

iii. Sowohl in absoluten Zahlen als auch im
Verhältnis zu dem Gesamtvolumen an
Fällen mit Grundrechtsbezug verweist
der BGH häufiger auf den EGMR als das
BVerfG.
iv. In beiden Gerichten wird mehrheitlich,
aber bei Weitem nicht ausschließlich,
auf Rechtssachen verwiesen, die gegen
Deutschland ergangen sind.
v. EGMR-Verweise sind in beiden Gerichten
je zur Hälfte „komplex“ oder „einfach“.
vi. Bei EMRK-Verweisen nimmt der BGH
prima facie auch eigene Auslegungen
vor, das BVerfG hingegen nicht.
vii. Verweise auf die EGMR-Rechtsprechung
konzentrieren sich klar auf Art. 5, 6 und
Art. 8 EMRK.
viii. Möglicherweise einflussreiche andere
Faktoren wie die Sprachbarriere, die
mediale Aufmerksamkeit für EGMR-
Rechtssachen und subjektive Faktoren
bleiben in der Analyse notwendigerweise
unberücksichtigt.
26

3. Deutschland als EMRK-Vertragsstaat
3.1 Die Bindungswirkung von
EGMR-Urteilen
Aus Artikel 46 Abs. 1 der Konvention folgt
eine Pflicht der Konventionsstaaten, sich den
Urteilen des EGMR zu beugen. Der EGMR deklariert
Konventionsverletzung ohne jedoch
konkrete Maßnahmen der Beseitigung aufzuerlegen.
Der Staat ist mithin frei in der
Wahl seiner Mittel um seinen Pflichten aus
Art. 46 I gerecht zu werden, „sofern sie nur
mit den Schlussfolgerungen in dem Urteil
übereinstimmen.“ 21 Bei einer „abgeschlossenen“
Verletzung muss der Staat weitestgehend
restitutio in integrum ermöglichen und
bei einer anhaltenden Verletzung diese unverzüglich
beenden. Im Falle eine Konventionswidrigen
Norm der innerstaatlichen
Rechtsordnung muss diese geändert werden.
22 Bei einem Verstoß durch eine Gerichtsentscheidung
ist die resultierende Verpflichtung
schwieriger zu definieren. Denn die
Rechtskraft einer innerstaatlichen Entscheidung
wird durch ein EGMR-Urteil nicht berührt
und die EMRK verpflichtet nicht zu einer
Wiederaufnahme des Verfahrens. 23 Diese
Möglichkeit besteht inzwischen allerdings für
Strafverfahren gemäß § 359 Nr. 6 StPO.
Zu den Verpflichtungen die sich für den Vertragsstaat
aus den Urteilen ergeben führt der
EGMR in seinem Urteil Scozzari et Guinta v.
Italien aus, neben der Verpflichtung die gerechte
Entschädigung zu zahlen, müsse ein
Staat der eine Konventionsverletzung zu vertreten
hat auch alle anderen angemessenen
21
Meyer-Ladewig, EMRK Handkommentar, Art. 46 S. 389.
22
EGMR vom 8.4.2004, Asanidze v. Georgien (Nr.
71503/01) Ziff.198.
23
Vgl. Meyer-Ladewig/Petzold, Bindung an EGMR-Urteile,
S. 17.
Maßnahmen ergreifen, um den Konventionsverstoß
zu beenden:
« (…) choisir, sous le contrôle du Comité des
Ministres, les mesures générales et/ou, le cas
échéant, individuelles à adopter dans son ordre
juridique interne afin de mettre un terme à la
violation constatée par la Cour et d'en effacer
autant que possible les conséquences » 24
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt,
dass in einem demokratischen
Rechtsstaat, der sich durch Gewaltentrennung
auszeichnet, die effektive Umsetzung der
Konvention nur durch eine Beachtung der
EMRK durch Staatsorgane realisiert werden
kann. 25
3.2 Berücksichtigungspflicht
3.2.1 Verfassungsrechtliche Bedeutung
Der Bericht analysiert die Verweispraxis im
BGH und im BVerfG, deren Prüfungsmaßstab
zunächst Bundesgesetzte bzw. das Grundgesetz
sind. Deutschland hat als Vertragsstaat
die EMRK unterzeichnet und am 5. Dezember
1952 ratifiziert. 26 Durch Zustimmungsgesetz
vom 7. August 1952 gilt sie in der Bundesrepublik
als einfaches Bundesgesetz, 27 besitzt
24
EGMR, vom 13.07.2000, Scozzari und Giunta v. Italien
(Nr. 39221/98), Ziff.249.
25
BVerfG, 2 BvR 1481/04 vom 14.10.2004, Rn. 30. „Die
Bindungswirkung einer Entscheidung des Gerichtshofs
erstreckt sich auf alle staatlichen Organe und verpflichtet
diese grundsätzlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeit und
ohne Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht
(Art. 20 Abs. 3 GG) einen fortdauernden Konventionsverstoß
zu beenden und einen konventionsgemäßen Zustand
herzustellen.“ Vgl. auch Gerkrath, L’effet contraignant des
arrêts de la CEDH, S. 723.
26
In Kraft getreten am 3. September 1953.
27
Vgl. BVerfG, 2 BvR 284/85 vom 26.03.1987, Rn. 120; 2
BvR 1481/04 vom 14.10.2004.
Rn. 317; BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 04.02.2010 Rn. 21;
Vgl. auch Cremer, Zur Bindungswirkung von EGMR-
Urteilen, S. 686.
27

damit innerstaatlich unmittelbaren Geltungsanspruch,
vermittelt subjektive Rechte und
kann gerichtlich durchgesetzt werden. 28
Den Vertragsstaaten der EMRK ist es grundsätzlich
selbst überlassen, wie sie die in der
Konvention garantierten Rechte im nationalen
Recht effektiv schützen. 29 Es besteht mithin
keine Verpflichtung, den Normen der
EMRK innerstaatlich Verfassungsrang zuzuschreiben
wenn die darin enthaltenen Rechte
durch das innerstaatliche Recht anderweitig
garantiert sind und ein effektiver Rechtsschutz
zu deren Umsetzung besteht. 30
Wegen der Position der EMRK als einfaches
Bundesrecht haben deutsche Gerichte nach
ständiger Rechtsprechung des BVerfG „[…] die
Europäische Menschenrechtskonvention wie
anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen
methodisch vertretbarer Auslegung zu
beachten und anzuwenden.“ 31 Trotz ihrer Stellung
im deutschen Rechtssystem als einfaches
Bundesgesetz kommt der EMRK damit in
begrenzter Hinsicht eine verfassungsrechtliche
Bedeutung zu. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichtes ist sie als
„Auslegungshilfe für die Bestimmung von
Inhalt und Reichweite der Grundrechte des
Grundgesetzes heranzuziehen. […]“ 32 Dies
leitet das Bundesverfassungsgericht aus der
Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes,
der „inhaltlichen Ausrichtung“ des
Grundgesetzes auf die Menschenrechte und
damit aus Art. 1 Abs. 2 GG ab. 33
3.2.2 Berücksichtigungspflicht der
EGMR-Rechtsprechung
Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit
begründet eine Berücksichtigungspflicht der
EMRK „in ihrer Auslegung durch den
EGMR“, 34 da durch seine Rechtsprechung der
aktuelle Entwicklungsstand des gemeineuro-
28
Pache, EMRK, 400.
29
Auch BVerfG , 1 BvR 2604/06 vom 18.12.2008.
30
EGMR, James u.a. v. Vereintes Königreich, (Nr. 8793/79)
Rn. 84.
31
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 4.2.2010, Rn. 21 (Eigene
Hervorhebung).
32
BVerfG, 2 BvR 1481/04 vom 14.10.2004, Rn. 32;
BVerfG, 1 BvR 1602/07 vom 26.02.2008, Rn. 52
33
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011.
34
BVerfG, 1 BvR 134/03, vom 25.06.2009, Rn. 68.
päischen Grundrechtsschutzes definiert wird.
Laut BVerfG besteht die Berücksichtigungspflicht
darin, Urteile des EGMR „zur Kenntnis
zu nehmen“, und bei ähnlichen Streitgegenständen
in „den Willensbildungsprozess des
zu einer Entscheidung berufenen Gerichts (…)
einfließen“ zu lassen. 35 Die Berücksichtigungspflicht
sei demnach beschränkt durch
die „personellen, sachlichen und zeitlichen
Grenzen des Streitgegenstandes“ 36 Die materielle
Rechtskraft der Urteile aus den Artikeln
42 und 44 beziehe sich somit nur auf die res
iudicata und unterscheide sich von der Verpflichtung
die nach § 31 Abs. 1 BVerfGG für
alle Staatsorgane aus den Urteilen des BVerfG
erwächst.
In anderen Urteilen erweitert das BVerfG die
Berücksichtigungspflicht durch das Konzept
der Orientierungs- und Leitfunktion 37 . Diese
beruht auf der „faktischen Präzedenzwirkung“
38 der Urteile des EGMR und auf der
Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassung,
die eine erneute Verurteilung der Bundesrepublik
durch den EGMR und somit „ Konflikte
zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen
der Bundesrepublik Deutschland und
dem nationalen Recht nach Möglichkeit vermeiden“
39 will. Das heißt, dass den Urteilen
des EGMR auch über die res iudicata hinaus
eine Bedeutung zukommt und selbst diejenigen
Urteile beachtet werden müssen die sich
nicht gegen Deutschland richten. Diese Orientierungswirkung
kann auch aus Artikel 32
EMRK abgeleitet werden, demnach der EGMR
für die Interpretation und Anwendung der
Konvention zuständig ist. Während eine Verletzung
der Konventionsnormen nicht direkt
Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde
sein kann, ist bei Nichtbeachtung der EGMR-
Urteile die Verfassungsbeschwerde eröffnet.
Das Bundesverfassungsgericht sei dazu berufen,
„Verletzungen des Völkerrechts, die in der
fehlerhaften Anwendung oder Nichtbeachtung
völkerrechtlicher Verpflichtungen durch
deutsche Gerichte liegen und eine völker-
35
BVerfG, 2 BvR 1481/04 vom 14.10.2004,Rn. 48.
36
BVerfG, 2 BvR 1481/04 vom 14.10.2004, Rn. 39.
37
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011, Rn. 89. Zur
Orientierungsfunktion auch Pache, EGMR und deutsche
Rechtsordnung, S. 405 ff.
38
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011,Rn. 89.
39
BVerfG,2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011, Rn. 89.
28

echtliche Verantwortlichkeit Deutschlands
begründen können, nach Möglichkeit zu verhindern
und zu beseitigen“. 40 Dies wird von
den Verfassungsrichtern aus dem Rechtsstaatsprinzip
abgeleitet. Im Tenor des Görgülü-Urteils
führt das BVerfG dazu aus, dass
sowohl eine Nichtbeachtung als auch eine
„schematische Vollstreckung“ der Urteile des
EGMR gegen die Grundrechte in Verbindung
mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen könne.
41 Es unterstreicht dabei die Bedeutung des
EGMR in der gemeineuropäischen Grundrechtsentwicklung
und leitet aus Artikel 1
Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 59 Abs. 2
eine Verpflichtung des BVerfG ab, die EMRK in
ihrer Auslegung durch den Europäischen
Gerichtshof zu beachten. 42
Die Entscheidung zur Sicherungsverwahrung
vom 04.05.2011 43 , zeigt eine gewisse Entwicklung
in der Position des Bundesverfassungsgerichts
gegenüber dem EGMR seit Görgülü.
Es führt darin aus, Entscheidungen des
EGMR stünden „rechtserheblichen Änderungen“
gleich, „die zu einer Überwindung der
Rechtskraft einer Entscheidung des BVerfG
führen“ können 44 auch wenn sie als „feststellende
Judikate keine unmittelbare Änderung
der Rechtslage […] herbeiführen“ 45 . Es kommt
in dieser Entscheidung allerdings auch zu
dem Schluss, dass innerstaatliche Gerichte
nicht dazu verpflichtet sind ihre Interpretation
völkerrechtlicher Begriffe der des EGMR
völlig anzugleichen. Es führt aus, dass die
Rechtsprechung des EGMR eine andere Funktion
habe als die der staatlichen Gerichte: Der
EGMR müsse in seiner Rechtsprechung „unscharf“
und „flexibel“ bleiben um den verschiedenen
Rechtssystemen und Kulturen
Rechnung zu tragen 46 . Die innerstaatliche
Rechtsprechung allerdings, aufbauend auf
einer „gewachsenen Verfassungsordnung“ 47
könne von dieser Interpretation abweichen
wenn dies genügend begründet sei. Im Übri-
40
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011, Rn. 61.
41
BVerfG, 2 BvR 1481/04 vom 14.10.2004.
42
BVerfG, 1 BvR 134/03 vom 25.06.2009; Vgl. hierzu
auch Gerkrath, L’effet contraignant des arrêts de la CEDH,
S. 729.
43
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 04.05.2011.
44
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 04.05.2011 Rn. 82.
45
Ibid.
46
Ibid. Rn. 142.
47
Ibid.
gen verbiete sich eine „unreflektierte Adaption“
48 völkerrechtlicher Begriffe in das nationale
Rechtssystem. Es müsse ein aktiver Rezeptionsvorgang
stattfinden, um eine völkerrechtsfreundliche
Auslegung der Begriffe des
Grundgesetzes zu ermöglichen. Somit sollen
durch eine „Heranziehung“ des EMRK und der
Rechtsprechung des EGMR den Garantien der
EMRK umfassend Geltung verschafft werden.
Eine Verletzung der Normen der EMRK kann
gemäß § 93 Abs.1 Nr.4a GG und §90 Abs.1
BVerfGG zwar nicht direkt im Rahmen einer
Verfassungsbeschwerde gerügt werden, 49
wohl aber können solche Urteile, die die Berücksichtigungspflicht
missachten, Verfassungsbeschwerde
erhoben werden.
3.2.3 Ausprägung und Grenzen der
Berücksichtigungspflicht
Fraglich bleibt dabei die Ausgestaltung der
Berücksichtigungspflicht, weil sich die erwähnten
Äußerungen des BVerfG verschieden
lesen lassen. Die Berücksichtigungspflicht
lässt sich sowohl methodologisch, das heißt
als völkerrechtskonforme Auslegung, als auch
verfahrensrechtlich oder materiell-rechtlich
verstehen. 50 In einem verfahrensrechtlichen
Verständnis der Berücksichtigungspflicht
hätten deutsche Gerichte die Vertragsnormen
der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR
in den Entscheidungsprozess von Abwägungen
einzubeziehen, das Gewicht wäre aber
48
Ibid. 94.
49
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 4.2.2010 Rn. 21; 1 BvR
2604/06 vom 18.12.08 Rn. 24. „Die Gewährleistungen der
Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer
Zusatzprotokolle sind in der deutschen Rechtsordnung
aufgrund dieses Ranges in der Normenhierarchie kein
unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab
(vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; § 90 Abs. 1 BVerfGG). Ein
Beschwerdeführer kann insofern vor dem Bundesverfassungsgericht
nicht unmittelbar die Verletzung eines in
der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen
Menschenrechts mit der Verfassungsbeschwerde
rügen.“
Vgl. auch Polakiewicz, Application of the ECHR in domestic
law, S. 409 und Pache, die EMRK, S. 398.
50
Viellecher, Lars, Berücksichtigungspflicht als Kollisionsregel
– Zu den innerstaatlichen Wirkungen von völkerrechtlichen
Verträgen und Entscheidungen internationaler
Gerichte, insbesondere bei der Auslegung und
Anwendung von Grundrechten, in: Matz-Lück, Nele und
Hong, Mathias. „Grundrechte und Grundfreiheiten im
Mehrebenensystem – Konkurrenzen und Interferenzen
(Springer 2012), 137.
29

nicht vorgegeben und eine Abweichung möglich.
51 Nach einem materiell-rechtlichen Verständnis,
der stärksten Lesart der Berücksichtigungspflicht,
wäre die Berücksichtigungspflicht
eine Ausprägung des „ungeschriebenen
materiellen Verfassungsprinzips der Völkerrechtsfreundlichkeit“.
52 Abweichungen wären
dann nur möglich, wenn durch die Berücksichtigung
„gegen im Einzelfall höher zu
gewichtendes Verfassungsrecht oder […] wesentliche
Verfassungsprinzipien“ verstoßen
würde. 53 Mit diesen Ausprägungen gehen
auch unterschiedliche Sichtweisen darüber
einher, welche Kollisionen ihre Grenze markieren.
Im Fall Görgülü hat das BVerfG detailliert zu
der Bindungswirkung der Urteile des EGMR
und den Verpflichtungen, die sich daraus für
nationale Gerichte ergeben, Stellung genommen.
Das BVerfG führte aus, der Gesetzgeber
(und die nationalen Gerichte) könnten eine
Rechtsauffassung des EGMR nicht befolgen,
„sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen
tragende Grundsetze der Verfassung abzuwenden
ist.“ 54 Diese Rechtsposition sah sich
in der Rechtswissenschaft zum Teil starker
Kritik ausgesetzt. 55
Die Möglichkeit der Nichtbeachtung besteht
für das BVerfG wenn „mehrpolige Grundrechtsverhältnisse“
betroffen sind. In Fällen in
denen komplexe Rechtsverhältnisse herrschen
und in denen ein „mehr“ für die eine
Seite, ein „weniger“ für die andere Seite bedeutet,
seien die Interessen der Streitparteien
in einem EGMR-Verfahren nur unvollständig
abgedeckt, da eine Stellungnahme durch Drit-
51
ibid. 142.
52
ibid.
53
ibid. 147.
54
Zitiert in Meyer-Ladewig/Petzold, Bindung an EGMR-
Urteile, S. 16.
55
Das BVerfG schwanke „zwischen Völkerrechtsfreundlichkeit
und falsch verstandener Souveränität.“ Cremer,
Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen, S. 683, S. 5.
Würde die EMRK gegen tragende Grundsätze der Verfassung
verstoßen hätte schon ein Beitritt der Bundesrepublik
ein Verfassungsverstoß dargestellt. Da die Bundesrepublik
jedoch den Normen der EMRK zugestimmt hat,
wird in der Lehre vertreten, dass „auch der Verfassungsgesetzgeber
die völkerrechtlichen Verpflichtungen berücksichtigen“
und im Falle einer Unvereinbarkeit mit der
Konvention, die nationalen Normen ändern muss. Meyer-
Ladewig/Petzold, Bindung an EGMR-Urteile, S. 16 sowie
Cremer, Zur Bindungswirkung von EGMR-Urteilen, S. 689.
te nur sehr eingeschränkt möglich sei. 56 Es
komme dabei „regelmäßig auf sensible Abwägungen
zwischen verschiedenen subjektiven
Rechtspositionen an, die bei einer Änderung
der Subjekte des Rechtsstreits oder durch
eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnisse im Ergebnis anders ausfallen
können.“ 57 Es sei deshalb die Pflicht der
nationalen Gerichte, die Urteile des EGMR
durch „wertende Berücksichtigung“ in die
„ausbalancierten Teilrechtssysteme“ des
innerstaatlichen Rechts einzupassen. Dies
gelte speziell in Fällen des Familienrechts, des
Ausländerrechts oder beim Schutz der Persönlichkeit.
Die nationalen Gerichte fungieren
in dieser Konzeption als „Übersetzer“ der
europäischen Urteile in deutsches Recht. Diese
Sichtweise ist jedoch umstritten. Eine andere
Position folgt der Ansicht, man könne
eine solche Position aus Art. 46 EMRK nicht
ableiten und auch nicht mit Art. 53 rechtfertigen.
58 Es treffe nicht zu, dass bei „einpoligen“
Rechtsverhältnissen eine Bindung bestehe,
bei „mehrpoligen“ Rechtsverhältnissen diese
Bindung jedoch nur jedoch eingeschränkt
sei. 59 Das Bundesverfassungsgericht versucht
durch die Figur des „geformten und ausbalancierten
Teilsystems“ einen Teil der Rechtsordnung
isolieren indem die Bedeutung der
EMRK eingeschränkt ist. Doch dieses Konzept
eines „geformten Teilrechtssystems“ ist nach
gegenteiliger Ansicht keine überzeugende
Begründung für eine eingeschränkte Kontrolle
durch den EGMR. 60
Die Grenzen der Berücksichtigungspflicht
bleiben mithin unscharf. Zumindest bei
mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen, in
denen auch widerstreitende Rechtspositionen
aus der EMRK berührt sein können, sind sich
BVerfG und EGMR mittlerweile einig, dass die
nationalen Gerichte ihre Abwägungen in ei-
56
BVerfG, 2 BVR 1481/04 vom 14.10.2004, Rn. 59;
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 04.05.2012 Rn. 93.
57
BVerfG, 2 BvR 1481/04 vom 14.10.2004, Rn. 50
58
Hierzu auch Jörg Gerkarth in L’effet contraignant des
arrêts de la CEDH, S. 725.
59
So Meyer-Ladewig, Nomos EMRK Handkommentar, S.
398,399 zu Art. 46.
60
Grabenwarter, mehrpolige Grundrechtsverhältnisse, S.
201.
30

nen „Korridor“ zulässiger Beurteilungen fällen
können. 61
3.3 Anlässe für Grundsatzaussagen
zum Verhältnis zwischen
der EMRK/ EGMR
und dem deutschen Recht
Grundsätzliche Aussagen zum Verhältnis der
EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR,
und dem deutschen Recht waren im Untersuchungszeitraum
mithin nicht nur in der Sache
Görgülü zu finden, in der kein Anlass zu detaillierten
Behandlung der Bindungswirkung von
EGMR-Urteilen bestanden hatte. Vor allem
auch in Rechtsachen zur Bildberichterstattung
und dem Persönlichkeitsschutz wurden
Grundsatzaussagen in Verbindung mit EGMR-
Verweisen gemacht, weil hier durch die deutschen
Gerichte in der Abwägung individueller,
widerstreitender Grundrechtspositionen andere
Gewichtungen vorgenommen wurden.
Nachdem der EGMR, anders als das BVerfG, in
der Abwägung widerstreitender individueller
Rechtspositionen dem Persönlichkeitsrecht
gegenüber die Pressefreiheit stärker gewichtet
hatte 62 , entschied das BVerfG in einem
später ergangenen Urteil zur Bildberichterstattung
erneut zugunsten der Pressefreiheit.
63
Eine grundsätzliche Stellungnahme zum Verhältnis
der EMRK und des EGMR mit dem GG
gab das BVerfG auch dann ab, wenn er sich
eines durch den EGMR geprägten völkerrechtlichen
Ausdrucks bediente. So zieht das
BVerfG in einem Fall zur Ermittlungspflicht
des Staates bei ungeklärter Todesursache 64
das Konzept der „positiven Verpflichtungen“,
die der EGMR aus Artikel 2 in Verbindung mit
Artikel 1 EMRK ableitet, heran. Aus den Überlegungen
zur rechtlichen Wirkung der EMRK
folgt demnach laut BVerfG
„[…] dass die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte zu
Art. 2 EMRK hinsichtlich der vorliegenden Fra-
ge eines Anspruchs auf effektive Untersuchung
von Todesfällen nach Maßgabe der Grundrechte
des Grundgesetzes als Auslegungshilfe
heranzuziehen ist. Heranziehung als Auslegungshilfe
bedeutet dabei in dem hier in Rede
stehenden Fall, bei der Auslegung des aus
Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 Satz 2 GG resultierenden, für den Staat
geltenden Gebots, sich schützend und fördernd
vor das Leben zu stellen, die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
zu berücksichtigen.“ 65
Das BVerfG geht dabei auch auf die Anforderungen,
die der EGMR an wirksame Ermittlungen
stellt, ein. Die Heranziehung als Auslegungshilfe
bedeute auch, sich bei der Überprüfung,
ob eine Konventionsverletzung vorliegt,
mit den vom EGMR dahingehend
entwickelten Anforderungen auseinanderzusetzen.“
66
Ein weiterer Grund für eine ausführliche Stellungnahme
zum Rang der Konvention und der
daraus resultierenden Pflichten war die „weitere“
Auslegung eines Rechts durch den
EGMR. So zum Beispiel zum Recht auf das
Privat-und Familienleben aus Artikel 8 EMRK:
„Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte umfasst das Familienleben
im Sinne des Art. 8 EMRK zumindest -
auch - nahe Verwandte - zum Beispiel Großeltern
und Enkel -, da sie innerhalb der Familie
eine beachtliche Rolle spielen können. Die
Achtung des so verstandenen Familienlebens
begründet für den Staat die Verpflichtung, in
einer Weise zu handeln, die die normale Entwicklung
dieser Beziehung ermöglicht (vgl.
EGMR, Urteil vom 13. Juni 1979, NJW 1979, S.
2449 ).“ 67
Sofern sich das BVerfG in für die Urteilsbegründung
auschlaggebender Weise auf eine
Norm der EMRK oder auf die Rechtsprechung
des EGMR stützt, führt es regelmäßig eine
„lehrbuchartige“ Betrachtung zur Wirkung
der Konvention in deutschem Recht aus. Gleiches
gilt, wenn das Gericht dem ausdrücklich
von der Rechtsprechung des EGMR abweicht,
so zum Beispiel in der oben genannten
Rechtsache von Hannover.
61
Siehe unten, 6.3.2.
62
EGMR, vom 24.6.2004, Caroline von Hannover v.
Deutschland (Nr. 59320/00).
63
BVerfG, 1 BvR 1602/07 vom 26.2.2008.
64
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 04.02.2010.
65
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 04.02.2010 Rn. 22 (eigene
Hervorhebung).
66
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 04.02.2010 Rn. 22 (eigene
Hervorhebung).
67
BVerfG, 1 BvR 2604/06 vom 18.12.2008, Rn. 22.
31

3.4 Bedeutung für die Analyse
der Verweise
Es wird deutlich, dass die Analyse von Grundsatzaussagen
zum Verhältnis der EMRK in
ihrer Auslegung durch den EGMR, und der
deutschen Rechtsordnung die praktische Anwendung
der Berücksichtigungspflicht keineswegs
abschließend darzustellen vermag.
Eine umfassende Betrachtung der in der Erhebung
festgestellten Schwerpunktebereiche,
in denen auf den EGMR verwiesen wird, muss
solche Grundsatzaussagen vervollständigen.
Im Folgenden werden daher die EGMR-
Verweise im Zusammenhang mit Art. 5, 6, 8,
10 EMRK, sowie weitere „komplexe“ Verweise
zu anderen Normen der EMRK analysiert.
32

4. Artikel 5 EMRK – Das Recht auf Freiheit
und Sicherheit
4.1 Bedeutung des Art. 5 EMRK
und des Art. 2 GG
Verweise auf den EGMR durch das BVerfG und
den BGH betreffen in über 80 Fällen das Freiheitsgrundrecht
aus Art. 5 Abs. 1 EMRK. In
nahezu der Hälfte der Fälle, in denen es um
Artikel 104 GG geht, verweist der BGH auf den
EGMR. Die Verweise des Bundesverfassungsgerichts
erfolgen vor allem bezüglich der Sicherungsverwahrung
und des Beschleunigungsgebots
in Haftsachen. Auf Art. 5 Abs. 1
wird meist in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2
und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG verwiesen, zum
Teil aber auch in Verbindung mit Art. 20 Abs.
3 GG. Die Verletzung des Artikel 5 Abs. 1 stellt
nach den Artikeln 6 und 8 EMRK den dritthäufigsten
Verurteilungsgrund Deutschlands vor
dem EGMR dar. 68
Das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz
2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 S.1 GG
erfüllt eine dem Art. 5 der EMRK ähnliche
Funktion. Als grundlegendes rechtsstaatliches
Prinzip und „infrastrukturelle“ Norm für die
Erfüllung anderer Rechte schützt es primär
vor willkürlicher Festnahme und garantiert
das Recht körperlicher Bewegungsfreiheit,
also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen
Maßnahmen unmittelbaren Zwangs. 69
Auch Art. 5 EMRK schützt vorrangig vor Freiheitsentzug
im Sinne von „arrêstation“ und
„détention“. Es bewahrt hingegen nicht vor
jeglicher Form staatlichen Zwanges, wie z.B.
der Schulpflicht oder dem Wehrdienst. 70 Dem
Recht auf „Sicherheit“ aus Artikel 5 Abs. 1
kommt kaum eine eigenständige Bedeutung
hinzu. Es wird im Bezug auf das Freiheitsrecht
so verstanden, dass niemand einen willkürlichen
Eingriff in sein Freiheitsrecht durch
staatliche Gewalt zu befürchten haben darf. 71
Die Anforderungen an eine rechtmäßige Einschränkung
des Rechts aus Art. 5 EMRK sind
enumerativ-abschließend, 72 und damit sehr
viel enger gefasst als im Absatz 2 der Artikel
8-12 EMRK. Die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung
ergibt sich einerseits aus dem
Verfahren und andererseits aus der Sache. Sie
muss vor allem der Anforderung einer unabhängigen
richterlichen Kontrolle entsprechen
(Richtervorbehalt in Art. 104 Abs.2 GG) und
steht unter dem Vorbehalt eines formellen
Gesetzes (Art. 2 Abs. 2 GG). Eine restriktive
Auslegung der Einschränkungen wird auch im
Artikel 2 des Grundgesetzes deutlich, indem
es heißt die Freiheit der Person ist sei unantastbar.
Art. 5 Abs. 2 und 3 des Art. 5 EMRK
regeln weiterhin die Rechte auf Aufklärung
über die Haftgründe, unverzügliche Vorführung
vor einen Richter, das Prinzip, dass die
Freiheitsentziehung nur Aufgrund einer
rechtmäßigen Verurteilung aufrecht erhalten
werden kann, und dass jeder Person die unrechtmäßig
einer Freiheitsentziehung ausgesetzt
war, Schadensersatz zusteht.
Die Begriffe „rechtmäßig“ und „auf die gesetzliche
vorgeschriebene Weise“ im Artikel 5
EMRK verweisen laut EGMR auf nationales
68
Siehe Statistik des EGMR,
http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/72912CF0-
95BC-4D2E-8AD8-
D50C988ED9EC/0/Graphique_violation_fr.pdf
[01.06.2012].
69
BVerfG, 2 BvR 1608/07 vom 16.9.2010, Rn. 21
70
Vgl. Mangoldt, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, Art. 2
Abs.2, S. 278
71
Vgl. Pettiti, Commentaire CEDH, Artikel 5 (1), S. 190.
72
EGMR vom 17.12.2009, M. v. Deutschland, (Nr.
19359/04) Rn. 86.
33

Recht. 73 Es ist somit Aufgabe der nationalen
Gesetzgeber „die Eingriffsgrenzen- und Voraussetzungen
gesetzlich zu umschreiben.“ 74
Bei der Prüfung einer Konventionsverletzung
aus Artikel 5 muss der EGMR deshalb vorranging
prüfen, inwieweit das nationale Recht
diesen Anforderungen entspricht, nicht, die
Anwendung des nationalen Rechts durch die
nationalen Strafverfolgungsbehörden zu beurteilen.
75
4.2 Verweise auf die EMRK
durch BVerfG und BGH
4.2.1 Verweise auf EMRK durch
den Beschwerdeführer
In Fällen, die einen ausschließlichen EMRK-
Verweis aufweisen, wird dieser oft durch den
Beschwerdeführer in der Vorinstanz oder im
Verfahren eingebracht. Diese geschieht meist
„subsidiärer“, das heißt in Verbindung mit
einer Grundrechtsnorm.
So rügt beispielsweise ein Beschwerdeführer
bezüglich seines Verbleibs in Untersuchungshaft
eine Verletzung der Artikel 2 Abs. 2 Satz
2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 104 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 3 GG und macht außerdem
einen Verstoß gegen Art. 5 EMRK geltend.
76 Diese zusätzliche Rüge einer EMRK-
Verletzung hat hier keinen eigenständigen
zusätzlichen Wert, da er den verfassungsrechtlichen
Normen im konkreten Fall nichts
73
EGMR vom 24.10.1997, Winterwerp v. Niederlande, (Nr.
6301/73), Ziff.45; vom 4.8.1999, Douiyeb v. Niederlande,
(Nr. 31464/96) Ziff.44 « Quant à elle, la Cour estime que
les mots "selon les voies légales" se réfèrent pour
l’essentiel à la législation nationale; ils consacrent la
nécessité de suivre la procédure fixée par celle-ci. »
74
Vgl. Fronwein/Peukert EMRK – Kommentar, Artikel 5 S.
64.
75
EGMR vom 24.10.1997, Winterwerp v. Niederlande, (Nr.
6301/73), Ziff.46. « Il en va autrement dans les matières
où la Convention renvoie directement à ce droit, comme
ici: en ces matières, la méconnaissance du droit interne
entraîne celle de la Convention, de sorte que la Cour peut
et doit exercer un certain contrôle » 75 . Diese Kontrolle ist
jedoch dem EGMR nach beschränkt und subsidiär: « Il
incombe au premier chef aux autorités nationales, notamment
aux tribunaux, d’interpréter et appliquer le
droit interne, même dans les domaines où la Convention
s’en "approprie" les normes: par la force des choses, elles
sont spécialement qualifiées pour trancher les questions
surgissant à cet égard ».
76
BVerfG 2 BvR 1357/05 vom 18.8.2005, Rn. 9.
hinzufügt. 77 Das BVerfG prüft dementsprechend
die gerügte Verletzung ohne speziell
auf die Norm des EMRK zu verweisen. In den
meisten Fällen wird Art. 5 EMRK lediglich
mittelbar auf Grundlage der nationalen
Rechtsnorm geprüft. Dass das Bundesverfassungsgericht
hier nicht auf die EMRK-Normen
eingeht ist auch unproblematisch, insoweit
die vorliegende Verfassungsbeschwerde Erfolg
hatte.
In einem weiteren Fall rügen die Beschwerdeführer
die ausgebliebene Geldentschädigung
für eine rechtswidrige Verhaftung bei einer
Demonstration. 78 Das Landgericht hatte entschieden,
dass den Klägern die bloße Feststellung
der Schädigung Genugtuung verschaffen
könne. 79 Bei der dagegen eingelegten Verfassungsbeschwerde
hat das Bundesverfassungsgericht
eine Verletzung der Beschwerdeführer
in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1
und 2 Abs. 1 GG bejaht. Eine Entschädigung
müsse zwar nicht zwangsläufig in der Zubilligung
eines Zahlungsanspruches bestehen,
jedoch weise der vorliegende Eingriff eine
bestimmte Schwere und das Fehlen einer
anderen Genugtuungsmöglichkeit auf. 80 Diese
sei durch die „abschreckende Wirkung“ einer
solchen Freiheitsentziehung und ihre Folgen
auf künftige Partizipation an Demonstrationen
oder deren Beobachtung gegeben. 81 Es
unterstreicht, dass die Anwendung der „einschlägigen
zivilrechtlichen Vorschriften“ prinzipiell
Sache der Fachgerichte sei, welche
jedoch vorliegend die Bedeutung der Grundrechte
aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG verkannt hätten. Das BVerfG
prüft vorliegend nicht, ob ein Anspruch aus
Art. 5 Abs. 5 besteht, sondern nur, ob „grundsätzlich
unrichtige Anschauung der betroffenen
Grundrechte zugrunde liegt.“ 82 Somit
findet auch hier nur mittelbar eine Prüfung
des Anspruchs aus Art. 5 Abs. 5 statt.
In einem Fall in dem das Bundesverfassungsgericht
die Verfassungsbeschwerde gegen die
77
N.B., in diesem Zusammenhang, dass der Verweis
allgemein auf Art. 5 EMRK erfolgt, und nicht auf einen
speziellen Absatz.
78
BVerfG 1 BvR 2853/08 vom 11.11.2009.
79
Ibid.
80
Ibid. 21.
81
Ibid. Rn. 25.
82
Ibid. Rn. 19.
34

Untersuchungshaft eines Jugendlichen ablehnt,
greift es den Verweis auf die EMRK in
seiner Begründung auf. 83 Der Beschwerdeführer
hatte neben den Grundrechtsnormen auch
eine Verletzung des Art. 5 Abs. 4 gerügt, da er
bei Erlass des Haftbefehls seinem gesetzlichen
Richter entzogen worden war. Das BVerfG
hatte entschieden, dass die Voraussetzungen
des Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers
wegen prozessualer Erledigung nicht
mehr vorlägen, „soweit Verstöße gegen
Art. 104 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 GG sowie gegen
Art. 5 Abs. 4 EMRK gerügt“ würden. 84 Die
explizite Erwähnung der EMRK ist hier deshalb
angezeigt, um deutlich zu machen, dass
auch die Norm aus der EMRK vorliegend nicht
einschlägig ist.
4.2.2 Eigenständige Auslegung
durch das BVerfG
In einem Fall von 2005 spielt die eigenständige
Auslegung von Art. 5 EMRK durch die Vorinstanz
eine entscheidende Rolle bei der Feststellung
einer Grundrechtsverletzung durch
das BVerfG. 85 Das Oberlandesgericht hatte ein
erstinstanzliches Hafturteil des Landesgerichts
wegen Verfahrensfehlern aufgehoben;
dennoch blieb der Beschwerdeführer wegen
Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Das Oberlandesgericht
urteilte bei der darauf eingelegten
Beschwerde, die Länge des Verfahrens
verletze nicht das Beschleunigungsgebot in
Haftsachen aus Art. 5 Abs. 3 in Verbindung
mit Abs. 1 c EMRK, da es nicht außer Verhältnis
mit der zu erwartenden Strafe stünde. Es
vertrat außerdem die Ansicht, dass der Zeitraum
in welchem der Beschwerdeführer,
wenn auch nicht rechtskräftig, verurteilt war,
nicht in die zu bemessende Frist falle. 86 Die
Untersuchungshaft von fast 6 Jahren sei weiter
hinzunehmen, da das überragende Interesse
der staatlichen Gemeinschaft hier den
Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers
überwiege.
Das BVerfG stellte daraufhin eine Grundrechtsverletzung
fest und rügt die Auslegung
des Art. 5 Abs. 3 EMRK durch das Oberlandesgericht.
87 Der Zeitraum seit der ersten Verurteilung
bis zu deren Aufhebung sei ebenfalls
bei einer Prüfung der Überlänge des Verfahrens
zu berücksichtigen. Das BVerfG verweist
hier nicht auf die einschlägige Rechtsprechung
des EGMR, sondern legt Art. 5 Abs.
3 EMRK eigenständig aus und übt somit im
vorliegenden Fall eine Kontrolle über die
Auslegung der EMRK durch die Instanzengerichte
aus.
4.2.3 Verweise auf die EMRK durch
den BGH – Schadensersatz bei
rechtswidrigem Freiheitsentzug/Abschiebehaft
Bei den Verweisen des BGH auf die EMRK ist
bemerkenswert, dass es sich in fast allen Fällen
um Auslageerstattung bei Abschiebehaft
nach Art. 5 (5) EMRK handelt, wobei die Fälle
eine auffällige Ähnlichkeit aufweisen. Art. 5
(5) EMRK garantiert jeder Person bei rechtswidriger
Freiheitsentziehung einen Anspruch
auf Schadensersatz. Dieser Anspruch aus Art.
5 Abs. 5 setzt kein Verschulden voraus, sondern
ist bei objektiver Verletzung der Konvention
gegeben. Für einen solchen Anspruch
muss dabei ein materieller oder immaterieller
Schaden festgestellt werden, der durch den
Schadensersatz behoben werden soll. Es steht
den Vertragsstaaten dabei frei, „einen Nachweis
eines solchen Schadens und über die
Höhe der Entschädigung zu entscheiden“. 88
Auch kann im Einzelfall schon die Feststellung
der Verletzung des Art. 5 Abs. 1 b) eine ausreichende
gerechte Entschädigung darstellen.
89 In den vorliegenden Fällen ist die
deutsche Rechtsnorm, welche grundsätzlich
parallel angeführt wird, § 83 Abs. 2, § 81 Abs.
1, § 430 FamFG und betrifft die Kosten in
Familiensachen. Die Nennung der Konvention
erfolgt in diesen Fällen ausschließlich in der
83
BVerfG, 2 BvR 332/05 vom 12.5.2005.
84
Ibid. Rn. 15.
85
BVerfG, 2 BvR 1315/05 vom 23.9.2005
86
Ibid. 16.
87
Ibid. 36.
88
Meyer-Ladewig, EMRK- Kommentar, Art. 5, S. 114.
89
Vgl. EGMR, Epple. v. Deutschland, vom 15.12.2005 (Nr.
77909/01).
35

Kostenentscheidung nach § 81 Abs. 1 Satz 1
und 2, § 83 Abs. 2 und § 430 FamFG, Art. 5
Abs. 5 EMRK analog und § 128c Abs. 3 Satz 2
KostO. 90 In zwei Jahren (2010/2011) sind zur
rechtswidrigen Freiheitsentziehung bei Abschiebehaft
über 80 Fälle ergangen, die in den
meisten Fällen einen Anspruch auf Auslagenerstattung
aus Art. 5 Abs. 5 EMRK begründen.
Dabei wird den Betroffenen nach „billigem
Ermessen“ und „unter Berücksichtigung“ des
Art. 5 Abs. 5 EMRK eine Erstattung der zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen
Auslagen zugesprochen. 91
In den meisten Fällen sind die Gründe für die
Rechtswidrigkeit der Haft formellrechtlicher
Art. Dazu gehören die Verletzung des Rechts
auf rechtliches Gehör 92 (Haftantrag wurde
dem Beschwerdeführer nicht mitgeteilt), Fehlen
des Einvernehmens der zuständigen
Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung des
Betroffenen 93 , Fehlen einer ordnungsmäßigen
Antragstellung der zuständigen Verwaltungsbehörde
94 (aus Art. 104 Abs. 1 geforderte
Verfahrensgarantie), Fehlen einer ausreichenden
Ermessensausübung des Gerichts 95 ,
Fehlende Zuständigkeit der Behörde 96 , u.a.
Es fällt auf, dass der BGH regelmäßig die Verwendung
„eines für eine Vielzahl von Fällen
vorbereiteten Standardvordruck“ beanstandet,
der „nur die Möglichkeit des Ankreuzens
vorformulierter Angaben vorsieht.“ 97 Bemängelt
wird in diesbezüglich, dass diese „universell
einsetzbare Leerformel“ nicht genügend
über den Einzelfall aussagt. Dabei fehlen z. B.
Angaben über das Land in welches der Betroffene
abgeschoben werden soll, innerhalb welchen
Zeitraums Zurückschiebungen in das
vorgesehene Land üblicherweise möglich
sind, und weshalb der beantragte Haftzeitraum
für die Vorbereitung der Zurückschiebung
erforderlich ist. 98 In einigen Fällen steht
90
BGH, vom15. März 2012 - V ZB 120/11, Rn. 11.
91
BGH, vom 1. März 2012V ZB 183/11 Rn. 19.
92
BGH, vom 6. März 2012V - ZB 277/11; vom 13. Februar
2012 - V ZB 264/11; vom 8. Februar 2012 - V ZB 260/11;
vom 1. Dezember 2011- V ZB 179/11.
93
BGH, vom 16. Februar 2012 - V ZB 320/10.
94
BGH, vom Februar 2012 - V ZB 305/10 9.
95
BGH, vom19. Januar 2012 - V ZB 221/11.
96
BGH, vom 13. Oktober 2011V ZB 13/11.
97
Ibid.
98
Ibid.
auch die Stellung eines Asylantrages der Haft
entgegen. 99
Hierbei ist zu bemerken, dass die Auslageerstattung
ausschließlich aufgrund des Art. 5
Abs. 5 EMRK erfolgt, der ein Recht auf Schadensersatz
bei rechtwidrig erlittener Haft
zubilligt, ohne dabei eine deutsche Rechtsnorm
anzuführen. In der deutschen Rechtsordnung
könnte ein solcher Anspruch in dem
Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen
zu finden sein. Dieses
bezieht sich jedoch auf Schäden welche durch
strafgerichtliche Verurteilungen oder bei
Vollzug der Untersuchungshaft entstanden
sind ist somit bei Abschiebungshaft nicht
anwendbar. Weitere Grundlagen könnten sich
aus der Amtshaftung aus § 839 BGB ergeben.
Dafür muss jedoch eine schuldhafte Verletzung
der Amtspflicht vorliegen. 100 Da diese
Voraussetzungen in den meisten Fällen jedoch
nicht vorliegen, muss hier auf den Rechtsschutz
des Art. 5 Abs. 5 EMRK zurückgegriffen
werden. Dabei wird vorliegend die Auslageerstattung
als Schadensersatz im Sinne des Artikels
5 Abs. 5 anerkannt.
Dies entspricht allerdings nicht dem Schadensersatzanspruch,
der durch den BGH in
einem ganz ähnlichen Fall für immateriellen
Schaden durch rechtswidrige Haft zuerkannt
worden ist. 101 Es sprach dem Beschwerdeführer
darin einen Schadensersatz von 11 Euro
pro Hafttag, (143 Euro für 13 Hafttage) aus
Art. 5 Abs. 5 EMRK zu. Der Bundesgerichtshof
hatte sich hier detailliert mit den Schadensersatzansprüchen
bei rechtswidriger Abschiebehaft
auseinandergesetzt und sich dabei auf
die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR
gestützt. 102 Zum Geltungsanspruch der EMRK
führte es aus:
„Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt
innerstaatlich mit Gesetzeskraft und gewährt in Art. 5
Abs. 5 dem Betroffenen einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch,
wenn seine Freiheit dem Art. 5
Abs. 1 MRK zuwider beschränkt wurde.“ 103
99
Ibid. Rn. 11.
100
Siehe hierzu genauer Schröder, Schmerzensgeld bei
rechtswidriger Abschiebehaft, S. 6.
101
BGH, vom 18.05.2006 - III ZR 183/05.
102
BGH, vom 18. 05.2006, III ZR 183/05.
103
Ibid. Rn. 6
36

Wie diese Fälle der unrechtmäßigen Abschiebehaft
zeigen, wird durch Artikel 5 Abs. 5
EMRK eine „Rechtslücke“ geschlossen; die
Konvention erfüllt ihre Funktion, die innerstaatliche
Rechtsordnung zu vervollständigen
wenn das innerstaatliche Recht keinen ausreichenden
Schutz bietet. Der Anspruch aus
Art. 5 Abs. 5 kann gemäß der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshof nicht nur dann eingeklagt
werden wenn die Mindestanforderungen
aus Art. 5 EMRK verletzt sind, sondern
auch wenn lediglich nationale Rechtvorschriften
verletzt wurden. 104 Diese Auslegung geht
über den Wortlaut des Art. 5 Abs. 5 EMRK
hinaus, da dieser den Anspruch auf Schadensersatz
ausdrücklich an eine Verletzung dieses
Artikels knüpft.
4.3 „Komplexe“ Verweise durch
das BVerfG und den BGH
4.3.1 Die konventionsrechtliche
Interpretation des Strafbegriffs
in Bezug auf die Sicherungsverwahrung
Kein konventionsrechtlicher Belang hat jüngst
stärkeren Anpassungsdruck erzeugt als die
Sicherheitsverwahrung. 105 Die Verurteilungen
Deutschlands diesbezüglich haben innerstaatlich
zu Gesetzesänderungen geführt 106 und
auch einen direkten Einfluss auf die Rechtsprechung
des BVerfG ausgeübt.
Dem Fall M. v. Deutschland 107 lag eine Gesetzesänderung
zugrunde, welche die Sicherungsverwahrung
auch über die 10-
Jahresgrenze hinaus ermöglichte wenn die
Gefahr bestand, dass der „Untergebrachte
infolge seines Hanges erhebliche Straftaten
begehen wird, durch welche die Opfer seelisch
oder körperlich schwer geschädigt werden.“
108 Die Gesetzänderung löste mehrere
Verfassungsbeschwerden aus, in denen eine
Grundrechtsverletzung aus Art. 1 Abs. 1 und
Art. 19 Abs. 4 gerügt wurde. Das BVerfG entschied
am 5.2.2004 die Sicherungsverwahrung
taste nicht den Wesensgehalt des Freiheitsgrundrechtes
aus Art. 19 Abs. 4 GG an,
„solange gewichtige Schutzinteressen Dritter
den Eingriff zu legitimieren vermögen und
insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gewahrt ist.“ 109 Die Sicherungsverwahrung
gemäß § 67d Abs. 3 StGB sei ein
verhältnismäßiger Eingriff in das Freiheitsrecht
des Beschwerdeführers. Das Gericht
führte außerdem an, Art. 103 § 2 des GG sei
nicht auf „Maßregeln der Besserung und Sicherung“
anwendbar welche von der „Strafe“
zu unterscheiden sei. Deshalb sei das Rückwirkungsgebot
in diese Fall nicht einschlägig.
110
In seinem Urteil M. v. Deutschland stellt der
EGMR hingegen eine Verletzung des von Art. 7
Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 EMRK fest. Das StGB
verletze das Rückwirkungsgebot, da im Moment
der Verurteilung die Sicherungsverwahrung
über 10 Jahre hinaus nicht vorgesehen
war. Darüber hinaus stellte der Gerichtshof
fest, dass in Anbetracht der tatsächlichen
Situation der Verwahrten, die Sicherungsverwahrung
als Strafe anzusehen sei. 111
Aufgrund dieses klaren Widerspruchs zwischen
den beiden Urteilen entwickelte sich
104
Schröder, Schmerzensgeld bei rechtswidriger Abschiebungshaft,
S. 7.
105
Eine Konventionsverletzung wurde festgestellt in M. v.
Deutschland, vom 17.12.2009 (Nr. 19359/04),in mehreren
Urteilen bestätigt: Kallweit v. Deutschland vom
13.01.2011 (Nr. 17792/07), Mautes v. Deutschland vom
13.1.2011 (Nr. 20008/07), Schummer v. Deutschland vom
13.1.2011 (Nr. 27360/04) und Jendrowiak v. Deutschland
vom 14.4.2011 (Nr. 30060/04).
106
Am 1. Januar 2011 trat ein Gesetz zur Neuordnung des
Rechts der Sicherungsverwahrung in Kraft. Hierzu auch
Kreuzer in „Neuordnung der Sicherungsverwahrung :
Fragmentarisch und fragwürdig trotz sinnvoller Ansätze.“
Siehe auch Kallweit v. Deutschland, vom 13.01.2011 (Nr.
17792/07) Ziff.34 und 35.
107
EGMR vom 17.12.2009, M. v. Deutschland, (Nr.
19359/04).
108
§ 67d StGB, nach der Gesetzesänderung vom 26. Januar
1998.
109
BVerfGE, 2 BvR 2029/01 vom 5.2.2004, Rn. 96.
110
BVerfGE, 2 BvR 2029/01 vom 5.2.2004, Rn. 127. ff:
„Die Sicherungsverwahrung dient im Gegensatz zur Strafe
nicht dem Zweck, begangenes Unrecht zu sühnen, sondern
dazu, die Allgemeinheit vor dem Täter zu schützen
(vgl. BVerfGE 2, 118 ). Nicht die Schuld, sondern
die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit ist bestimmend
für die Anordnung, Ausgestaltung und zeitliche
Dauer der Maßregel. Die Maßregel ist eine Maßnahme,
die Gefahren vorbeugt und in die Zukunft wirken soll.“
111
EGMR M. v. Deutschland, vom 17.12.2009 (Nr.
19359/04) Rn. 133: « Eu égard à ce qui précède, la Cour,
après être allée au-delà des apparences et avoir procédé à
sa propre analyse, conclut que la détention de sûreté
prévue par le code pénal allemand doit être qualifiée de
« peine » aux fins de l'article 7 § 1 de la Convention. » 111
37

die Rechtsprechung deutsche OLG zu diesem
Thema sehr uneinheitlich. Dem Urteil des
EGMR sei zu folgen, und somit die Sicherungsverwahrung
über die 10- Jahresgrenze
hinaus sofort zu beenden (OLG Frankfurt,
Hamm, Karlsruhe) oder die Entscheidung des
EGMR gelte nur für den Einzelfall und sei
somit nicht zu beachten (OLG Celle, Hamburg,
Köln, Konstanz). 112 Die Nichtbeachtung des
EGMR-Urteils mehrerer Gerichte hatte mehrere
Verfassungsbeschwerden zur Folge. Am
04.05.2011 erließ das BVerfG erneut ein Urteil,
in dem es mehreren zusammengefassten
Beschwerden zu Sicherungsverwahrung
stattgab. Die Urteile verschiedener Landesgerichte
zur Sicherungsverwahrung verletzten
demnach die Beschwerdeführer in ihren
Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung
mit Art. 104 Abs. 1 S. 1 des GG. Das Gesetz zur
Novellierung von § 67d Abs. 3 StGB sei mit
dem Grundgesetz unvereinbar.
Im Zusammenhang mit dieser Abweichung
von der eigenen Spruchpraxis ergehen die
„komplexen“ Verweise auf den EGMR. Zum
einen nimmt das BVerfG erneut Stellung zur
Wirkung der Entscheidungen des EGMR in
deutschem Recht und zur Pflicht der innerstaatlichen
Gerichte, diese zu berücksichtigen.
Zum anderen legt es dar, weshalb es von
seiner eigenen Interpretation des Strafbegriffs
nicht abweicht. In seiner Auseinandersetzung
mit dem Urteil des EGMR, und mit dessen
Interpretation des Strafbegriffs führt es aus:
„Diese Interpretation des Art. 7 Abs. 1 EMRK
spricht dafür, das Abstandsgebot noch deutlicher
zu konturieren, sie verpflichtet aber nicht
dazu, die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG der
des Art. 7 Abs. 1 EMRK vollständig anzugleichen.“
113
Dies entspricht dem Grundsatz, dass die Vertragsstaaten
der EMRK eine „ergebnisorientierte“
Verpflichtung zur Einhaltung der Konventionsrechte
haben (dazu unter 3.2.). Das
BVerfG geht davon aus, dass das „Vertrauensschutzgebot“
welches aus den Art. Art. 2 Abs.
2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herge-
112
Kreuzer, Neuordnung der Sicherungsverwahrung:
Fragmentarisch und fragwürdig trotz sinnvoller Ansätze,
S. 126.
113
Ibid. Rn. 141.
leitet werden kann 114 eine „enge Verwandtschaft
und Strukturähnlichkeit mit dem
„nulla-poena-Prinzip“ aufweist. 115 Dieses
Recht aus der Konvention ist nach dem
BVerfG somit ausreichend in der Verfassung
geschützt. 116
Nach Ansicht des BVerfG hat die „Begriffsbildung“
des EGMR für „die Zwecke der Europäischen
Menschenrechtskonvention“ eine andere
Funktion als die der nationalen Gerichte
(vgl. unter 3.2.). 117
Obwohl das BVerfG es nicht für erforderlich
erachtet seine Interpretation des Strafbegriffs
der des EGMR anzugleichen, zieht die Rechtsprechung
des EGMR heran um eine konventionskonforme
Auslegung zu erreichen. 118
Diese Berücksichtigung wurde in einer kürzlich
ergangenen Entscheidung zur Sicherungsverwahrung
durch den EGMR ausdrücklich
begrüßt. 119
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Urteil gefordert, dass bis zur Neuregelung
zum 31. Mai 2013 die verfassungswidrigen
Normen nur noch nach strengen Anforderungen
der Vereinbarkeit mit Art. 5 und 7 EMRK
anzuwenden seien. Die „komplexen“ Verweise
auf die EMRK und die Rechtsprechung des
EGRM, die in diesem Zusammenhang erfolgen,
haben somit die Funktion, bis zur gesetzlichen
Neuregelung die Verfassungs-und Konventionswidrige
Norm anzuwenden ohne eine
Konventionsverletzung herbeizuführen. Die
Normen der EMRK konkretisieren somit die
Auslegung des innerstaatlichen (Übergangs-
)Rechts bis zur Neuregelung durch den Ge-
114
vgl. BVerfG, 2 BvR 2029/01 vom 05.02.2004 Rn. 185.
115
vgl. BVerfG, 2 BvR 2029/01 vom 05.02.2004 Rn. 171 f.
116
BVerfG, 2 BvR 2365/09 vom 4.5.2011, Rn. 142: „Zur
Anpassung des grundgesetzlichen Begriffs der Strafe in
Art. 103 Abs. 2 GG – und damit zugleich des Art. 103 Abs.
3 GG – an den Strafbegriff des Art. 7 Abs. 1 EMRK besteht
demzufolge kein Anlass.“
117
Ibid. Rn. 142. „Die Unabhängigkeit der Begriffsbildung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und
die damit notwendig verbundene Flexibilität und Unschärfe
tragen der rechtlichen, sprachlichen und kulturellen
Vielfalt der Mitgliedstaaten des Europarates Rechnung
(vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention,
4. Aufl. 2009, § 5 Rn. 9 ff.). Für die gewachsene
Verfassungsordnung des Grundgesetzes ist dagegen an
dem Begriff der Strafe in Art. 103 GG, wie er in der Entscheidung
vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133
) zum Ausdruck gekommen ist, festzuhalten.“
118
Ibid. Rn. 153.
119
EGMR, vom 09.06.2011, Schmitz v. Germany, (Nr.
30493/04) Ziff.41.
38

setzgeber. Wie die jüngste Verurteilung
Deutschlands vor dem EGMR gezeigt hat 120 ist
eine solch deutliche Stellungnahme des
BVerfG vonnöten, um die Bindungswirkung
des EGMR-Urteils für die Instanzengerichte zu
verdeutlichen.
Gleiches zeigen auch die Verweise auf den
EGMR in der Rechtsprechung des BGH. Dieser
hatte in einem Vorlegungsverfahren zu entscheiden,
ob die Sicherungsverwahrung in
Altfällen über die 10-Jahresfrist hinaus unter
Berücksichtigung des EGMR-Urteils rechtmäßig
angewendet werden konnte. 121
Der BGH hat in mehreren Revisionsverfahren
von Betroffenen der Sicherungsverwahrung
entschieden. Durch die Verweise auf den
EGMR prüft der BGH ob eine „psychische
Störung“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e
EMRK als Voraussetzung dafür vorliegt, dass
die Sicherungsverwahrung rechtmäßig aufrecht
erhalten werden kann. 122 Der BGH verweist
dabei regelmäßig auf das Urteil des
BVerfG vom 4.5.2011, welches sich auf die
EGMR-Sache Kallweit v. Deutschland stützt um
diesbezüglich den staatlichen Beurteilungsspielraum
zu definieren. Es lässt sich beobachten,
dass die Instanzengerichte es vorziehen,
mittelbar statt unmittelbar, über die
Rechtsprechung des BVerfG, auf den EGMR zu
verweisen. Dies macht die „Leitfunktion“
deutlich, die das BVerfG auch für die Rezeption
internationalen Rechts im innerstaatlichen
System spielt.
4.3.2 Das Beschleunigungsgebot in
Haftsachen
Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen wird
im Grundgesetz aus dem allgemeinen Freiheitsrecht
aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit
120
EGMR, vom 24.11.2011, O.H. v. Deutschland (Nr.
4646/08).
121
BGH, vom 23.Mai 2011 - 5 StR 394/10 ; 5 StR 440/10;
5 StR 474/10. Diese Anfrage kam deshalb zustande, weil
sich die Auffassung des BVerfG und des EGMR
gegenüberstanden und das zweite Urteil des BVerfG
indem es seine Position der des EGMR angleicht noch
nicht ergangen war.
122
BGH, vom 21.06.2011- 5 StR 52/11 Rn. 20.
Art. 104 GG hergeleitet. In der EMRK ist dieser
Grundsatz in Art. 5 Abs. 3 EMRK. 123
Die Untersuchungshaft steht in einem Spannungsverhältnis
zwischen dem Freiheitsrecht
aus Art. 2 Abs. 2 und einer wirksamen Strafverfolgung.
Die Dauer der Untersuchungshaft
unterliegt deshalb einem strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,
in dem dessen Dauer
nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe
stehen darf und auch unabhängig von der
Straferwartung begrenzt ist. 124 Diese Grundsätze
wendet auch der EGMR an. 125
Das Beschleunigungsgebot gebietet außerdem,
dass Strafverfolgungsbehörden und
Gerichte, „alle möglichen und zumutbaren
Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen
Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit
abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung
über die einem Beschuldigten vorgeworfenen
Taten herbeizuführen.“ 126
In verschiedenen Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht
in Bezug auf das Beschleunigungsgebot
in Haftsachen auf die Rechtsprechung
des EGMR verwiesen. 127 Die Verurteilungen
Deutschlands diesbezüglich durch
den EGMR erfolgen häufig aufgrund einer
unzureichenden Anzahl an Anhörungen pro
Monat. 128 Als „unzureichend“ hat EGMR einen
Durchschnitt von weniger als 4 Anhörungen
im Monat gewertet. 129 Dies war für eine Urteilsfindung
des BVerfG maßgeblich. 130
123 „Jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von
Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, muß
unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich
zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten
Person vorgeführt werden; sie hat Anspruch auf ein Urteil
innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während
des Verfahrens.[…]“
124
BVerfG, 2 BvR 1113/10 vom 24.08.2010 Rn. 20.
125
EGMR, vom 5.7.2001, Erdem v. Deutschland, (Nr.
38321/97) Ziff.39.
126
BVerfG, 2 BvR 1113/10 vom 24.8.2010 Rn. 21.
127
BVerfG, 2 BvR 1113/10 vom 24.08.2010; 2 BvR
388/09 vom 13/05/09; 1 BvR 3255/07 vom 23.02.08.
128
Z.B. EGMR, vom 29.07.2004 Cevizovic v. Deutschland,
(Nr. 49746/99).
129
Ibid. Rn. 51.
130
BVerfG, 2 BvR 2652/07 vom 23.01.2008 Rn. 52: „Bei
derart absehbar umfangreichen Verfahren, in denen sich
der Angeklagte in Untersuchungshaft befindet, fordert
das Beschleunigungsgebot in Haftsachen stets eine vorausschauende,
auch größere Zeiträume umgreifende
Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem
durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche
(vgl. BVerfGK 7, 21 ; 7, 140 ; ferner EGMR,
Urteil vom 29. Juli 2004 – Beschwerde Nr. 49746/99
-, (…) unter Hinweis auf
gegebenenfalls anzuberaumende Sondersitzungstage).“.
39

Weiterhin hat das BVerfG auf die Auslegung
des EGMR verwiesen wonach die Anforderungen
an die die Haftfortdauer rechtfertigenden
Gründe mit der Dauer der Untersuchungshaft
steigen. 131
Bei Verweisen des BGH fällt auf, dass in Bezug
auf das Beschleunigungsgebot in einigen Fällen
statt auf Art. 6 (1) auf Art. 5 (1) verwiesen
wird, der wie Art. 2 Abs. 2 das allgemeine
Freiheitsrecht garantiert. 132 Der EGMR subsumiert
das Beschleunigungsgebot prinzipiell
unter Art. 6 (1) oder unter Art. 5 (3) wenn es
um Untersuchungshaft geht. 133 Es scheint,
dass der BGH hier die Grundrechtssystematik
auf den EMRK angewendet hat, welche das
implizite Recht des Beschleunigungsgebotes
aus Haftsachen aus dem allgemeinen Recht
auf Freiheit und Sicherheit ableitet.
4.4 Fazit
Die Verweise in Bezug auf Art. 5 EMRK zeigen,
dass durch die Konvention und die Rechtsprechung
des EGMR ein beachtlicher Einfluss
auf die innerstaatliche Rechtsprechung ausgeübt
wird. Dabei haben die Verweise je nach
Kontext verschiedene Funktionen.
Das Einbringen von EMRK- Normen durch die
Beschwerdeführer soll Rügen über eine Verletzung
der Verfassungsnormen verstärken,
oder Rechte geltend machen, die nicht explizit
im Grundgesetz erwähnt sind. Das BVerfG
nennt die EMRK hier selten explizit. Werden
Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung
angenommen wird allerdings auch die
einschlägige EMRK-Norm genannt. Möglicherweise
soll dadurch verdeutlicht werden,
dass konventionsrechtliche Vorgaben berücksichtigt
wurden.
Verweisen auf Art. 5 EMRK und die Rechtsprechung
des EGMR erfolgen auch, um Vorgaben
zu konkretisieren. So wird das Beschleunigungsgebot
durch die Verweise auf
den EGMR ausdifferenziert, indem genauere
Anforderungen an das Verfahren gestellt
werden, was zum Beispiel die Häufigkeit der
Verhandlungstage angeht.
Andererseits dienen Verweise auch als
„Unterstützung“ des grundrechtlichen
Schutzniveaus, wenn daraus Rechte hergeleitet
werden, die nicht explizit normiert sind. So
verhält es sich in Bezug auf das Recht auf
Schadensersatz wegen rechtswidrig erlittener
Abschiebehaft aus Art. 5 Abs. 5 EMRK.
Im Hinblick auf die Sicherungsverwahrung
spielen die Verweise auf den EGMR eine wichtige
Rolle, da sie eine grundlegende Änderung
der Rechtspraxis zu diesem Thema zur Folge
haben. Die Rechtsprechung des EGMR hat hier
eine grundlegende Reform angestoßen indem
sie die Anforderungen an diesen Eingriff in
das Freiheitsgrundrecht enger ausgelegt. Die
häufigen „komplexen“ Verweise auf die Vorgaben
des EGMR für eine konventionskonforme
Sicherungsverwahrung sollen vor allem
in der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen
Neuregelung eine konventionskonforme Anwendung
des Gesetzes ermöglichen und damit
eine erneute Verurteilung durch den
EGMR verhindern. Allerdings herrscht durch
gegensätzliche Rechtsprechung des EGMR
und des BVerfG nach wie vor Unklarheit für
die das StGB anwendenden Fachgerichte. , da
die Fachgerichte nicht wissen, welcher
Rechtsauffassung sie folgen sollen und somit
keine einheitliche Rechtsprechung garantiert
wird. Deshalb ist eine erneute Stellungnahme
durch das BVerfG vonnöten, um die Rechtssicherheit
zu garantieren.
131
BVerfG, 2 BvR 1113/10, vom 24.08.2010 Rn. 20; Der
EGMR führt hierzu aus: « La persistance de raisons plausibles
de soupçonner la personne arrêtée d'avoir commis
une infraction est une condition sine qua non de la régularité
du maintien en détention, mais au bout d'un certain
temps elle ne suffit plus. » .
132
BGH, vom 19. Mai 2011 - V ZB 247/10;
133
Zum Beispiel EGMR, vom 22 Mai 2012, Idalov v. Russland,
(Nr. 5826/03).
40

5. Artikel 6 EMRK – Recht auf ein faires
Verfahren
5.1 Spezifisches Verhältnis zwischen
EGMR und Bundesgerichten
bei Verfahrensfragen
Wie aus der Erhebung in Kapitel 2 ersichtlich,
verweist das BVerfG auf sowohl die EMRK als
auch den EGMR im Bezug auf Art. 6 EMRK.
Ebenso im BGH ist Art. 6 häufigster Gegenstand
bei den EGMR-Verweisen. Wegen des
hohen absoluten Fallvolumens von BGH-
Fällen wird sich die Detailanalyse von BGH-
Fällen auf „komplexe“ Verweise konzentrieren
und nur ausgewählte „einfache“ Verweise
anführen. Die Fallanzahlen im BVerfG sind
hingegen übersichtlich genug, um auf den
Großteil sowohl der „einfachen“ als auch der
„komplexen“ Verweise einzugehen.
Die Häufigkeit von Verweisen auf die EMRK
und den EGMR deckt sich mit der Bedeutung
des Art. 6 für das regionaleuropäische Menschenrechtsschutzsystem.
Zu Art. 6 EMRK
werden vor dem EGMR die meisten Eingaben
gemacht, dementsprechend betrifft auch ein
bedeutender Anteil der EGMR-
Rechtsprechung Art. 6. 134 Analog zur Gesamtbedeutung
der Norm auf europäischer Ebene
betrifft das Recht auf ein faires Verfahren
auch rund die Hälfte der Fälle, in denen vor
dem EGMR eine Konventionsverletzung durch
Deutschland festgestellt wurde. Das bestätigt
die in der Einleitung getroffene Aussage, dass
134
Siehe Statistik des EGMR, l’Unité des Relations publiques
des la Cour Européene des Droits de l’Homme,
Statistiques sur les arrêts par état (2011),
http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/72912CF0-
95BC-4D2E-8AD8-
D50C988ED9EC/0/Graphique_violation_fr.pdf
[25.05.2012].
die unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten
problematische Rechtspraxis weniger im
materiellen als im formellen Recht verortet
werden muss.
Die Bedeutung von Art. 6 EMRK als ausdrücklicher
„Referenzpunkt“ deutscher Bundesgerichte
steht ferner im Kontrast zu früherer
deutscher Rechtspraxis. Für den BGH wurde
der Umfang der Verweise im Bezug auf Art. 6
in der Vergangenheit bereits rezipiert. Eine
Studie von 1987 zu strafrechtlichen Revisionsverfahren
ergab eine geringe Bedeutung
sowohl in quantitativer als auch qualitativer
Hinsicht. 135 Eine weiterführende kursorische
Betrachtung bis 1999 schloss mit dem Ergebnis,
die EMRK habe in der Mehrzahl der auf
sie verweisenden Rechtssachen lediglich als
„schmückendes Beiwerk“ gedient. 136 Demgegenüber
setze, so die Studie, sich die neuere
Rechtsprechung des BGH verstärkt mit der
Rechtsprechung des EGMR als Konkretisierung
der EMRK auseinander, anstatt allein auf
die Prinzipien der StPO und auf das Rechtsstaatsprinzip
zu rekurrieren. 137
Der Begriff des „fairen Verfahren“ aus Art. 6
EMRK ist unbestimmt, deswegen kam der
Rechtsprechung des EGMR in der Auslegung
des Rechtsbegriffs auch eine hohe Bedeutung
zu. 138 So liegt zum Strafprozessrecht mittlerweile
eine detaillierte Rechtsprechung des
EGMR vor, die über Anforderungen zu Lücken
135
Ulsamer, Gerhard „Europäische Menschenrechtskonvention
und deutsche Strafverfolgungspraxis“, in Fürst,
Walther et al. Festschrift für Walter Zeidler, Band 2 (Berlin
1987) 1799-1815.
136
Schuska, Frederek, Die Rechtsfolgen von Verstößen
gegen Art. 6 EMRK und ihre revisionsrechtliche
Geltendmachung (Frankfurt: Peter Lang, 2006). S
.24
137
ibid., S .25.
138
ibid., S.45, Trechsel ZWStW 101 (1989) 819, 832.
41

in nationalen Strafprozessordnungen hinausreicht.
139
In ständiger Rechtsprechung hat der EGMR
ein vom deutschen Verfahrensrecht durchaus
unterschiedlichen, am common law orientierten
„Gesamtprüfungsansatz“ verfolgt um zu
prüfen, ob ein Verfahren insgesamt fair war. 140
Die sich daraus ergebende Einzelfallbezogenheit
und die Betonung von Abwägungen erschwert
aus deutscher Perspektive die
Vorhersage durch abstrakt-generelle Sätze. 141
Weiterhin lässt die Rechtsprechung des EGMR
die Rechtsfolgenseite von Konventionsverstößen
offen. Der BGH als höchstes deutsches
Strafgericht hatte den Gesamtprüfungsansatz
teilweise zum Verfahren übernommen 142 was
aus der Rechtswissenschaft kritisiert wurde.
143 Das Verhältnis von deutschen Bundesgerichten
zum EGMR im Bezug auf Art. 6 ist
also möglicherweise stärker mit sich aus nationalen
Rechtsordnungen ergebenden Differenzen
überlagert als dies bei anderen Normen
der EMRK der Fall ist.
Deshalb ist es verwunderlich, dass sich bei
der Bewertung der Komplexität der EGMR-
Verweise zu Art. 6 ein Verhältnis von einem
Drittel komplexer Verweise gegenüber zwei
Drittel einfacher Verweise ergibt. Das heißt,
dass im Bezug auf Art. 6 häufiger als sonst
„einfach“ verwiesen wird. Auch hinsichtlich
der Anzahl der EGMR-Verweise pro Entscheidung,
die einen Verweis erhält, nehmen Entscheidungen
mit inhaltlichem Bezug zu Art. 6
EMRK keine Sonderstellung ein.
Im Folgenden werden die Verweise auf den
EGMR sowie die EMRK-Verweise im Bezug auf
ihren Inhalt, Umfang, Zweck, systematische
Stellung und den Grad der „Freiwilligkeit“
analysiert, mit dem sie vom BGH und BVerfG
eingebracht werden. Bei BGH-Verweise ist
dabei auch fraglich, ob Verweise dort ausbleiben,
wo sie eigentlich erfolgen müssten.
139
Schuska, Fn. 136, S.18.
140
ibid., S. 46.
141
ibid., S. 47.
142
BGH vom 17.01.2002, 3 Str. 450/01. Demnach wird
zunächst die StPO konventionskonform ausgelegt und
anschließend diese Norm auf die Gesamtbetrachtung des
Verfahrens angewendet.
143
Schuska, Fn. 136, S. 21.
5.2 Verweise auf die EMRK
durch das BVerfG und den
BGH
5.2.1 Vorinstanz/Verfahrensgang
Unproblematisch sind Fälle, in denen EMRK-
Verweise in Zusammenhang mit der Schilderung
des Verfahrensgangs ergehen, die nicht
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind.
So wurde in einer Verfassungsbeschwerde zu
Ausweisungshindernissen im Gesetz zur Zusammenarbeit
in internationalen Strafsachen
(IRG) die EMRK durch den Beistand des Beschwerdeführers
in der ersten Vernehmung
angeführt und anschließend durch das Gericht
wiedergegeben. 144 In der Verfassungsbeschwerde
bestand anschließend keine Notwendigkeit,
auf die EMRK und ihre Auslegung
durch den EGMR zu verweisen, weil die
EGMR-Rechtsprechung in der einschlägigen
Frage nicht weiter entwickelt oder konträr
zur deutschen Rechtspraxis ist.
Weiterhin unproblematisch sind Rechtssachen,
in denen die EMRK durch den Beschwerdeführer/Beistand
des Beschwerdeführers
in einer Weise angeführt wird, die den
Begründungsanforderungen einer Verfassungsbeschwerde
nicht genügt. Hierzu lassen
sich Fälle anführen, in denen die Verfassungswidrigkeit
nicht erläutert wird und keine
Auseinandersetzung mit der angefochtenen
gerichtlichen Entscheidung erfolgt. 145
5.2.2 Beschwerdeführer
In der Detailanalyse der EMRK-Verweise zu
Art. 6 ist auffällig, dass sie oft in Zusammenhang
mit der Widergabe der Rüge des Beschwerdeführers
ergehen. Sofern hier der
Beschwerdeführer die Verletzung des EMRK
rügt ist fraglich, ob sich ein Verweis auf die
Rechtsprechung des EGMR aufdrängen müsste.
In einer Verfassungsbeschwerde zum einfachrechtlichen
Richtervorbehalt (§ 81a Abs. 2
144
BVerfG, 2 BvR 1608/07 vom 16.9.2010, Rn. 6.
145
Z.B. BVerfG, 2 BvR 1076/09 vom 17.6.2009, BVerfG, 2
BvR 197/09 vom 2.3.2009, BVerfG, 1 BvR 1548/03 vom
13.10.2008.
42

StPO) bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit
wurde die Beweisverwertung eines
Bluttests gerügt. Die Blutabnahme durch einen
Arzt zum Zweck eines Alkoholtests, so der
Beschwerdeführer, bedürfe eines Richtervorbehalts.
146 Laut BVerfG gehöre der einfachrechtliche
Richtervorbehalt nicht zum Bereich
des rechtsstaatlich Unverzichtbaren; auch die
Bedeutung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit
geböte nicht, dass ein durch einen
Arzt durchzuführender Bluttest zum Nachweis
von Alkohol, Betäubungsmitteln oder
Medikamenten im Blut eines Richtervorbehaltes
bedürfe. 147 Ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt
sei dann verfassungsrechtlich
bedeutend, wenn das Strafrecht unter Nichtbeachtung
des Fairnissgrundsatzes im Verstoß
gegen das Willkürverbot ausgelegt und
angewandt worden sei. 148 Diese Rechtsauffassung
spiegelt die EGMR-Rechtsprechung wider,
dass es vornehmlich Aufgabe der nationalen
Gerichte ist, über die Zulässigkeit von
Beweismitteln zu entscheiden.149 Der EGMR
prüft lediglich die Fairness des gesamten Verfahrens,
inklusive der Art der Beweiserhebung.
Maßgeblich ist dabei, ob im Verfahren
die Möglichkeit einer Rüge gegen die Beweisverwendung
bestand. 150 Es erfolgt hier allerdings
kein expliziter Verweis auf die einschlägige
Rechtssache Jalloh v. Deutschland oder
ein mittelbarer Verweis über die zitierte
Rechtsprechung des BGH.
In einer Verfassungsbeschwerde zu einem
Beschluss über eine Auslieferung nach Ägypten
führte das BVerfG unter Verweis auf ständige
Rechtsprechung Grundsätze für Vereinbarkeit
von Auslieferungen mit der Missach-
tung elementarer Verfahrensstandards aus. 151
Gegen den Beschwerdeführer war in Abwesenheit
ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung
erfolgt. Laut BVerfG sind
deutsche Gerichte unter Umständen dazu
verpflichtet zu prüfen, ob eine Auslieferung
mit dem völkerrechtlichen Mindeststandard
vereinbar ist. 152 Das BVerfG hatte bereits
1982 entscheiden, dass eine Verurteilung in
Abwesenheit ohne die Möglichkeit zur erneuten
Verhandlung mit diesem Mindeststandard
unvereinbar sei. 153 Der EGMR hat in einer
Entscheidung gegen Frankreich 154 von 1993
sowie in einer Entscheidung gegen Österreich
die gleiche Rechtsauffassung vertreten. Demnach
liegt in solchen Fällen eine Rechtsverweigerung
im Aufnahmeland vor. 155 In dieser
Hinsicht geht die Rechtsprechung des EGMR
nicht über die bereits vorher bestehende
Spruchpraxis in deutschen Gerichten hinaus.
Ein Verweis auf die erwähnten EGMR-
Rechtssachen war hier deshalb auch nicht
angezeigt.
5.2.3 Eigenständige Auslegungen
der EMRK
Für die Frage, ob Verweise auf die EGMR erfolgen
müssten ist insbesondere der Grad an
eigenständiger Auslegung der EMRK durch
den BGH und das BVerfG von Bedeutung. Bei
den meisten Verweisen auf die EMRK wird
keine solche Auslegung vorgenommen.
So verweist das BVerfG auf die Unschuldsvermutung
nach Art. 6 Abs. 2 EMRK ohne eine
Auslegung vornehmen zu müssen, weil das
146
BVerfG, 2 BvR 1596/10 vom 24.2.2011.
147
Rn. 17.
148
Rn. 18.
149
EGMR, vom 12.7.1988, Schenk v. Switzerland, Series A
no. 140, Rn. 45-46, und vom 9.6.1998 Teixeira de Castro v.
Portugal, Reports 1998-IV Rn. 34, Reports 1998-IV.
150
EGMR, vom 11.7.2006, Jalloh v. Deutschland, Ziff.95-96.
„The question which must be answered is whether the
proceedings as a whole, including the way in which the
evidence was obtained, were fair. This involves an examination
of the “unlawfulness” in question and, where
violation of another Convention right is concerned, the
nature of the violation found.” […] In determining whether
the proceedings as a whole were fair, regard must also
be had to whether the rights of the defence have been
respected. It must be examined in particular whether the
applicant was given the opportunity of challenging the
authenticity of the evidence and of opposing its use.”.
151
BVerfG, 2 BvR 283/05 vom 4.7.2005.
152
BVerfG, 2 BvR 971/07 vom 6.6.2007, Rn. 35.
153
BVerfG, 2 BvR 856/81 vom 26.01.1982.
154
EGMR, vom 23.11.1993, Poitrimol v. France série A
n o 277-A, S. 13-14, Ziff.31.
155
Quant au deuxième grief en particulier, au vu de la
jurisprudence de la Cour […], il n’est pas douteux qu’un
déni de justice est constitué lorsqu’un individu condamné
in absentia ne peut obtenir ultérieurement qu’une juridiction
statue à nouveau, après l’avoir entendu, sur le bienfondé
de l’accusation en fait comme en droit, alors qu’il
n’est pas établi de manière non équivoque qu’il a renoncé
à son droit de comparaître et de se défendre.
L’extradition du requérant vers les Etats-Unis serait donc
susceptible de soulever un problème sous l’angle de
l’article 6 de la Convention s’il existait des motifs sérieux
et avérés de croire qu’il ne pourrait obtenir la purge de la
contumace dans cet Etat et qu’il y serait détenu en exécution
de la peine prononcée en son absence.
43

Prinzip nicht durch die Rechtsprechung des
EGMR entwickelt wurde, sondern ausdrücklich
in der EMRK hervorgehoben ist. 156 Demgegenüber
ist die Unschuldsvermutung in
Deutschland Teil des Rechtsstaatsprinzips des
Art. 20 Abs. 3 GG. Insofern hat die EMRK das
Prinzip nur als positives Recht in Deutschland
kodifiziert. 157 In einer Rechtssache von 2007
zog das BVerfG es offenbar vor, auf Art. 6 Abs.
2 als positives Recht zu verweisen anstatt die
Unschuldsvermutung als Teil des Rechtsstaatsprinzips
zu verweisen. 158
Im BGH wird auf Art. 6 der EMRK zum ganz
überwiegenden Teil in Strafsachen verwiesen,
in denen es zu Verfahrensverzögerungen
gekommen ist. Hier wird meist isoliert auf Art.
6 Abs. 1 EMRK verwiesen, ohne deutsche
Rechtsnormen des deutschen Rechts zu nennen.
So wurde in einer Haftsache auch nicht
das allgemeine Freiheitsgrundrecht aus Art. 2
GG angeführt. 159
Ein Verweis auf den EGMR unterbleibt in einem
Urteil zur Rechtsfolgenseite bei konventionswidriger
Verfahrensverzögerung. 160 Der
BGH erläutert hier den Übergang von der
„Strafabschlagslösung“ zur „Vollstreckungslösung“
als Kompensation für eine rechtstaatswidrige
Verfahrensverzögerung. 161 Laut BGH
156
BVerfG, 2 BvR 806/08 vom 11.6.2008.
157
BVerfG, 1 BvR 513/65 vom 15.12.1965 Rn. 13.
158
BVerfG, 2 BvR 971/07 vom 6.6.2007, Rn. 35. „Dessen
ungeachtet ist ein weiteres Verbleiben in der Untersuchungshaft
auch angesichts der bereits eingetretenen,
nicht zu rechtfertigenden Verzögerung und des noch zu
erwartenden, mangels Vorliegen eines Eröffnungsbeschlusses
und einer Terminierung der Hauptverhandlung
keineswegs absehbaren Zeitraums bis zum Ergehen eines
Urteils nicht mehr zumutbar. Insoweit kann nicht unberücksichtigt
bleiben, dass für den Beschwerdeführer nach
wie vor die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK
streitet und die Schwere der Tat und die im Raum
stehende Straferwartung im Zusammenhang mit § 121
StPO ohne jede Bedeutung sind […].” Anders als der BGH
vom 04.11.2010, III ZR 32/10, Rn. 11 „Der aus dem
Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Justizgewährung
beinhaltet insoweit das Recht auf eine Entscheidung
innerhalb angemessener Frist; gleiches folgt im Übrigen
auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. Senat aaO).“
159
BVerfG, 2 BvR 581/03 vom 16.2.2005
160
BGH vom 11.1.2011, 5 StR 443/10.
161
Bei der „Strafabschlagslösung“ war der Verstoß gegen
das Beschleunigungsverbot in die Strafzumessung eingeflossen:
Der/die Tatrichter/in hatte zuerst Ausmaß und
Ursache der Verzögerung festzustellen. Anschließend war
für die Gesamtstrafe und die Einzelstrafen die Kompensation
festzusetzten, indem das legislativ mögliche Strafmaß
mit dem verhängten Strafmaß verglichen wurde.
Nunmehr haben die Gerichte in der Urteilsformel zu
bestimmen, welcher Teil der nach den Kriterien des StGB
konstituiere diese Vollstreckungslösung „die
notwendige Kompensation für rechtsstaatswidrige
Verzögerungen des zugrundeliegenden
Verfahrens als eigenständigen, allein an
den Maßstäben des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK
orientierten Prüfungsvorgang […].“ 162 Hieraus
geht nicht hervor, dass der Wechsel zur „Vollstreckungslösung“
insbesondere auch durch
die Vorgaben des EGMR in zwei gegen
Deutschland ergangenen Entscheidungen
ausgelöst war. Dies hat der BGH in einem
vorangegangenen Beschluss von 2008 ausgeführt.
163
Im BGH gibt es im Untersuchungszeitraum
auch Rechtssachen, in denen die Verletzung
von Art. 6 EMRK auf der Rechtsfolgenseite
keine Kompensation nach sich gezogen hat. 164
Mitunter ist auch offen gelassen, inwiefern
eine Verletzung von Art. 6 EMRK als Kompensation
in die Gesamtfreiheitsstrafe eingeht. 165
Bei den Verweisen auf die EMRK werden
durch das BVerfG und den BGH in seltenen
Fällen auch eigene Auslegungen vorgenommen.
In einer Verfassungsbeschwerde von
2005 wurde zum Beispiel eine Verletzung des
Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der nachträglichen
Änderung der Geschäftsverteilung gerügt.
Das Landgericht Köln hatte wegen Überfestgelegten
Strafe (§ 46 StGB) durch die Verfahrensverzögerung
bereits vollstreckt ist (BGH vom 21.12.2010, 2
StR 563/10).
162
BGH vom 21.12.2010, 2 StR 563/10, Rn. 3.
163
BGH GSSt 1/07 vom 17.1.2008. Siehe unten
164
BGH vom 14.3.2012, 2 StR 493/11. „Das Verfahren ist
- wie die Revision zutreffend darlegt - beim Landgericht
aus Gründen, die allein im Verantwortungsbereich der
Justiz liegen, nahezu zwei Jahre lang nicht angemessen
gefördert worden, was die Kammer in ihrem Urteil nicht
ausdrücklich berücksichtigt hat. Die beanstandete Verfahrensverzögerung
begründet einen Verstoß gegen Art.
6 Abs. 1 Satz 1 MRK, den der Senat hiermit ausdrücklich
feststellt. Einer weitergehenden Kompensation bedarf es
trotz der erheblichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung,
bei der eine darüber hinausgehende Berücksichtigung
grundsätzlich im Raum steht, vorliegend
noch nicht.”
165
BGH vom 12.4.2011, 5 StR 101/11 „Bei dem hier
besonders begrenzten Spielraum für eine fehlerfrei gebildete
Gesamtfreiheitsstrafe nach § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
Satz 1 StGB bemisst der Senat diese auf der Grundlage der
getroffenen Feststellungen und der Erwägungen des
Landgerichts vor dem Hintergrund des besonders engen
zeitlichen und situativen Zusammenhangs der Taten zum
Nachteil desselben Opfers zu einem dem Zügigkeitsgebot
des Art. 6 Abs. 1 MRK geschuldeten sofortigen Abschluss
des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 354
Abs. 1 StPO auf fünf Jahre und drei Monate.“
44

lastung die anhängige Haftsache des Beschwerdeführers
auf eine andere Strafkammer
übertragen, diesen Beschluss aber nicht
weiter begründet. Eine Rüge in der Hauptverhandlung
wurde vom Landgericht abgewiesen,
Änderungen der Geschäftsverteilung
könnten auch bei anhängigen Verfahren vorgenommen
werden. die Revision wurde als
offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
166
Insofern das BVerfG in seinem Urteil ausführt,
dass das im Grundgesetz verankerte Recht auf
einen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG) nicht vollständig hinter dem Beschleunigungsgebot
zurücktritt, erfolgt auch
eine Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Das
BVerfG begründet, dass jede Zuständigkeits-
Umverteilung anhängiger Verfahren, die im
Einklang mit Art. 101 abs. 1 GG stehe, geeignet
sein müsse, „die Effizienz des Geschäftsablaufs
zu erhalten oder wiederherzustellen.“ 167
Im vorliegenden Fall bemängelte das BVerfG,
dass der Beschluss zur Umverteilung nicht die
Gründe der Überlastung oder eine Prognose
der zukünftigen Arbeitsbelastung darlege. 168
Der EGMR hat sich bislang zu dieser Frage
nicht verhalten; in der EMRK ist das Beschleunigungsgebot
zusammen mit dem Recht
auf ein Verfahren in einem „auf Gesetz beruhenden
Gericht“ normiert. Insofern ist der
fehlende Verweis auf EGMR-Rechtsprechung
in der BVerfG-Sache hier auch nicht zu beanstanden.
Auslegungen durch den BGH betreffen die in
Art. 6 Abs. 3 a)-d) festgeschriebenen Rechte.
Eine BGH-Strafsache von 2011 betrifft das
Fragerecht des Art. 6 Abs. 3 d) EMRK im
Zusammenhang mit der Ersetzung der Vernehmung
durch eine Video-Aufzeichnung
einer früheren richterlichen Vernehmung. Die
dies erlaubende einschlägige Norm der StPO,
§ 255a Abs. 2, wurde vom BGH in ihrer
Konformität mit der Konvention geprüft. 169
Dieses Ergebnis ist keineswegs zu beanstanden,
dennoch wäre in der Methode ein Verweis
auf EGMR-Rechtsprechung möglich gewesen.
Der EGMR hat sich in einer Reihe von
166
BVerfG, 2 BvR 581/03 vom 16.2.2005.
167
ibid., Rn. 20.
168
ibid., Rn. 24.
169
BGH vom 26.8.2011, 1 StR 327/11.
Fällen mit dem Einsatz von Video-
Aufzeichnungen im Strafverfahren
auseinandergesetzt, damit hätte ein Verweis
auf eine EGMR-Sache analog erfolgen können.
170
In einer Rechtssache war Art. 6 Abs. 3 schließlich
von Bedeutung bei der Auslegung des
Begriffs „Vernehmung“. Bei der Frage, ob die
Erhebung eines Sachbeweises als Vernehmung
gelten könnte, wurde dieser Begriff eng
ausgelegt. 171 Maßgeblich war dafür Art. 103
Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 3 EMRK, also die
Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung,
Anspruch auf rechtliches Gehör
und ein faires Verfahren. 172
5.2.4 Literaturverweise
Im Zusammenhang mit Art. 6 EMRK wird von
deutschen Gerichten auch auf rechtswissenschaftliche
Literatur verwiesen. Im Untersuchungszeitraum
geschah dies in einer Anhörungsrüge
vor dem BGH; der Gerichtshof führt
hier unter Verweis auf zwei Kommentare zur
StPO aus, dass die Nichtbegründung der Verwerfung
einer Revision mit Art. 6 Abs. 1 vereinbar
sei. 173 Insofern in den beiden fraglichen
Kommentaren 174 an entsprechender
Stelle auf die Rechtsprechung des EGMR verwiesen
wird erscheint diese Methodik ebenfalls
unproblematisch.
Auch um herzuleiten, dass aus der EMRK kein
Anspruch auf Strafverfolgung gegen sich
selbst folgt, verweist der BGH auf eine Lehr-
170
Z.B zu Fragen der Anwesenheit EGMR, vom 2.11.2010,
Sakhoviskiy v. Russland (Nr. 21272/03) Ziff. 95 „The Court
reiterates that while Article 6 § 3 (c) confers on everyone
charged with a criminal offence the right to “defend
himself in person or through legal assistance ...”, it does
not specify the manner of exercising this right. It thus
leaves to the Contracting States the choice of the means of
ensuring that it is secured in their judicial systems, the
Court's task being only to ascertain whether the method
they have chosen is consistent with the requirements of a
fair trial (see Quaranta v. Switzerland, 24 May 1991, § 30,
Series A no. 205). [...]Article 6 does not always entail a
right to be present in person.” ‘Weiterhin zur Verwendung
von Video-Aufzeichnug als Beweismitel EGMR vom
28.9.2010, A.S. v. Finnland (Nr. 40156/07).
171
BGH vom 5.10.20101 StR 264/10 und BGH vom
21.4.2010 - GSSt 1/09, Rn. 14.
172
ibid.
173
BGH vom 9.2.2010, 3 StR 253/09.
174
Karlsruher Kommentar zur StPO (C.H. Beck 2003), §
349 Rn. 16; Meyer-Goßner, Lutz, Strafprozessordnung
(C.H. Beck 2009), § 349 Rn. 7.
45

meinung in Verbindung mit früherer BGH-
Rechtsprechung. 175 Da es vom EGMR keine
Entscheidung gibt, in der diese Frage beantwortet
wäre, ist diese Methode nachvollziehbar.
176
5.2.5 Fazit EMRK-Verweise
Wird vom BVerfG auf die EMRK verwiesen,
dann meist um den bisherigen Verfahrensgang
darzustellen oder die Argumente des
Beschwerdeführers widerzugeben. In diesen
Fällen konnte nicht festgestellt werden, dass
ein Verweis auf EGMR-Rechtsprechung eigentlich
hätte erfolgen müssen. Wo das
BVerfG und der BGH eigenständige Auslegungen
vorgenommen haben ohne auf den EGMR
zu zitieren, ist diese konventionskonform und
das Fehlen des Verweises nicht zu beanstanden.
Davon unberührt wäre aber eine intensivere
Verweispraxis durchaus möglich gewesen
weil es zum Zeitpunkt der Entscheidungen
einschlägige Rechtsprechung des EGMR
gab.
5.3 Verweise auf den EGMR
durch das BVerfG und den
BGH
5.3.1 Systematische Stellung der
Verweise – Nachrangige Nennung
des EGMR
In seinen EGMR-Verweisen auf Rechtssachen
zu Art. 6 EMRK wird immer wieder die Subsidiarität
der Konvention gegenüber dem vom
Grundrechtsschutz in der Auslegung des
BVerfG gewährten Grundrechtsschutz deutlich.
Wie auch bei BGH-Fällen finden sich im
BVerfG häufig Verweise, in denen der EGMR
an zweiter Stelle in Verbindung mit einem
BVerfG-Urteil genannt wird. Solche Art von
Verweisen waren, wie in Kapitel 1 erläutert,
als „einfache“ Verweise in der Statistik ge-
175
BGH vom 14. Dezember 2010, 1 StR 275/10
176
Der EGMR hat sich lediglich mit der Frage
auseinandergesetzt, ob ein Anspruch auf Strafverfolgung
in einem bestimmten Land bestehe, siehe EGMR vom
26.1.2010, King v. Vereinigtes Königreich (Nr. 9742/07),
Ziff.29.
führt. Als Beispiel kann eine Verfassungsbeschwerde
aus 2006 genannt werden, in der
das BVerfG zur Zulässigkeit von Beweisen
ausführt:
„Namentlich für Haftfälle gehen die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts und in ähnlicher
Weise auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
davon aus, dass eine gerichtliche Entscheidung
nur auf Tatsachen und Beweismittel gestützt
werden darf, die dem Beschuldigten durch Akteneinsicht
der Verteidigung bekannt sind (vgl. Beschluss
der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
vom 11. Juli 1994 - 2 BvR
777/94 -, NJW 1994, S. 3219 ; EGMR, NJW
2002, S. 2013 ).“ 177
Auch beim Beschleunigungsgebot in Haftsachen,
das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip
und dem allgemeinen Freiheitsgrundrecht
ergibt, wird zunächst auf das GG verwiesen. 178
Gleiches gilt für die Selbstbelastungsfreiheit
(nemo-tenetur-Grundsatz) aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6
EMRK legt das BVerfG zunächst die deutsche
Rechtsprechung dar um dann anschließend
anzuführen, dass der EGMR die Selbstbelastungsfreiheit
in diesem Sinne verstehe. 179
Dies ist insofern bemerkenswert, als dass der
BGH in einem vorangegangenen Urteil von
2006 dargelegt hat, dass das Verständnis des
nemo-tenetur-Grundsatzes zwischen BVerfG
und BGH auf der einen Seite und EGMR auf
der anderen Seite variiert. Im vorliegenden
Fall ging es zwar um eine spezifische Unterscheidung,
dennoch gibt das BVerfG seine
Rechtsprechung wider, die sich von der des
EGMR unterscheidet. Die BVerfG-
Entscheidung enthält hier keinen Verweis auf
diese Überlegungen des BGH oder eigene
Überlegungen zu dieser Varianz, wohl weil es
sich ursprünglich um einen zivilrechtlichen
177
BVerfG, 2 BvR 1075/05 vom 19.1.2006.
178
BVerfG, 2 BvR 170/06 vom 16.3.2006, Rn. 26a: „Der
verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte
Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen (vgl. BVerfGE
46, 194 ), der das gesamte Strafverfahren umfasst
(vgl. EGMR, Urteil vom 31.5.2001 (Nr. 37591/91) NJW
2002, S. 2856 f.; Urteil vom 27.7.2000 (Nr. 33379/96)
NJW 2001, S. 213 f.; Urteil vom 25.2.2000 (Nr. 29357/95)
NJW 2001, S. 211 f.; BVerfGE 46, 17 ; 63, 45 ;
[…]) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und
Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen
ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der
gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche
Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen
Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45
; 36, 264 ).“
179
BVerfG, 2 BvL 13/07 vom 27.4.2010, Rn. 56.
46

Fall mit grundlegend anderem Sachverhalt
handelte.
Ebenfalls bemerkenswerterweise ist in Bezug
auf das Recht auf ein Verfahren in angemessener
Zeit aus Art. 6 Abs. 1 in dieser „subsidiären“
Form verwiesen worden. Dieses Recht
wird in der Grundrechtsordnung aus dem
Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz hergeleitet,
ist in der EMRK aber explizit statuiert.
180 Nach Auffassung des BGH hat der
Gesetzgeber die Verankerung des Beschleunigungsgebots
in der StPO nicht für nötig erachtet,
weil bereits die EMRK zur zügigen Durchführung
von Strafverfahren verpflichtet und
das Beschleunigungsgebot dem deutschen
Strafrecht damit auch ohne ausdrückliche
Erwähnung immanent ist. 181 Das Beschleunigungsgebot
sei ebenfalls in Art. 20 GG enthalten.
182 Diese Herleitung hatte auch das BVerfG
in einem Urteil von 1993 betont. 183
Insofern ist der „subsidiäre“ Verweis hier
zwar auffallend, liegt aber möglicherweise im
Wunsch begründet, die EMRK-Garantien in
den Normen des GG widergespiegelt zu sehen.
Weiterer Grund für den „subsidiären“ Verweis
ist möglicherweise, dass sich konkrete Vorgaben
zu dieser Norm nur über die spezifische
Kasuistik des EGMR machen lassen; es gibt
durch den Gerichtshof keine allgemeinen
Vorgaben über die zulässige Dauer von Zivilund
Strafverfahren.
Auch im BGH finden sich Verweise, die die
Subsidiarität des EGMR deutlich machen,
insofern sie sich zunächst auf Rechtsprechung
des BVerfG beziehen und dann den EGMR zur
Bestätigung dieser Praxis anführen. 184
180
BVerfG, 1 BvR 2597/05 vom 15.2.2006, Rn. 12. „Das
Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, das für die Verwaltungsgerichte
aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird,
verlangt, dass Gerichtsverfahren in angemessener Zeit
beendet sind (vgl. BVerfGE 60, 253 ; 93, 1 ).
Dies entspricht auch den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1
der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten an Gerichtsverfahren in einem
demokratischen Rechtsstaat (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juli
1997, NJW 1997, S. 2809 ).“
181
BGH GSSt 1/07 vom 17. Januar 2008, Rn. 18, mit
Bezug auf den Entwurf der Bundesregierung vom 2. Mai
1973 für das 1. StVRG, BT-Drucks. 7/551 S. 36 f.
182
ibid.
183
BVerfG - Kammer - NJW 1993, 3254, 3255; 1995, 1277
f.; NStZ 2006, 680, 681 = JR 2007, 251 m. Anm. Gaede; vgl.
auch BVerfG - Kammer - NJW 1992, 2472, 2473 für das
Ordnungswidrigkeitenverfahren
184
BGH 1 StR 466/05 vom 12. Januar 2006.
5.3.2 Systematische Stellung der
Verweise – Vorrangige Nennung
des EGMR
Sofern auf den EGMR in Verbindung mit deutschen
Rechtsnormen oder deutscher Rechtsprechung
„einfach“ verwiesen wird, wird in
seltenen Fällen auch vorrangig auf den EGMR
verwiesen.
Dies trifft zum Beispiel zu auf die Auslegung
des Fragerechts als Teil von Art. 6 Abs. 1
EMRK, zur Frage, ob sich eine gerichtliche
Feststellung in Strafsachen auf Zeugen stützen
kann, die vom Angeklagten nicht befragt werden
konnten. 185 Hier wird vom BGH zunächst
auf die EGMR-Rechtsprechung und erst anschließend
auf einschlägige BGH-
Rechtssachen verwiesen. 186
Weiteres Beispiel ist eine BGH-Strafsache von
2005. Aus den Grundsätzen der
Waffengleicheit, Anspruch auf rechtliches
Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung
eines fairen Prozesses und einen wirkungsvollen
Rechtsschutz leitet der BGH ab, dass im
Strafverfahren einer Partei Gelegenheit gegeben
werden muss, den Verlauf eines vier-
Augen-Gesprächs, für den es keinen dritten
Zeugen gibt, darzustellen. 187 Die gegenteilige
Verfahrensweise verstoße gegen die EMRK
(Verweis auf EGMR vom 27. Oktober 2003,
Dombo Beheer B.V. v. Niederlande, Nr.
14448/88) und das GG verstoße, nennt also
die Auslegung der EGMR vorrangig. 188 Dem
steht im Untersuchungszeitraum eine frühere
Entscheidung des BGH gegenüber, in der zunächst
die Rechtsprechung des BGH zur Auslegung
des Grundsatzes der Waffengleichheit
zitiert wird. 189
In allen weiteren Fällen wird auf den EGMR
nicht unmittelbar in Verbindung mit einer
deutschen Rechtsnorm oder deutscher Rechtsprechung
verwiesen. Hier wird im Folgenden
zwischen „negativen“ und „positiven“ Verweisen
unterscheiden.
185
BGH 2 StR 4/05 vom 22. Juni 2005.
186
BGH 2 StR 4/05 vom 22. Juni 2005, S. 2.
187
BGH XI ZR 216/04 vom 27. September 2005.
188
BGH XI ZR 216/04 vom 27. September 2005, S. 14.
189
BGH XI ZR 320/04 vom 24. Januar 2006, Rn. 29.
47

5.3.3 „Negative komplexe Verweise”
In einer Reihe von Entscheidungen sind die
Verweise „negativ“, insofern auf EGMR-
Rechtsprechung zum Zweck zitiert wird, dass
die vom Beschwerdeführer angeführte EGMR-
Entscheidung nicht mit dem vorliegenden Fall
vergleichbar ist.
In einer Entscheidung zu zur Unschuldsvermutung
verzichtet das BVerfG anders als der
BGH, Art. 6 Abs. 2 explizit als Quelle des Prinzips
zu nennen. Zur Frage, ob eine Haftaussetzung
wegen einer neuen Tat widerrufen werden
kann, bevor ein Urteil ergangen ist, 190
beantwortet das BVerfG mit einem im Ergebnis
korrekten Verweis auch auf EGMR-
Rechtsprechung. 191 Ein „positiver“ Verweis
hingegen hätte auf die sich u.a. aus Böhmer v.
Deutschland ergebene Rechtspraxis des EGMR
verwiesen. Für den EGMR war nicht das Geständnis
maßgeblich, sondern stets, ob die
Gerichte in ihrer Formulierung die betroffene
Person schuldig gesprochen hatten
(„unequivocally declared that the applicant
was guilty of a criminal offence“ 192 ). Auch die
Entscheidung der Menschenrechtskommission
als Vorgängerin des EGMR war in erster
Linie am Wortlaut Entscheidungen des Landgerichts
zum Widerruf der Haftaussetzung
orientiert. 193 Eine solch „positivere“ Berück-
191
BVerfG, 2 BvR 2314/04 vom 9.12.2004. “Auch der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in
seinem Urteil ausdrücklich hervorgehoben, dass der
entschiedene Einzelfall keine Entsprechung zu einem
vorangegangenen Fall aufweise, in dem der Widerruf der
Strafaussetzung auf das Schuldgeständnis des Betroffenen
zurückzuführen gewesen sei (vgl. EGMR, NJW 2004,
S. 43 ).“ Verwiesen wird auf EGMR vom 03. 10.2002,
Böhmer v. Deutschland (Nr. 37568/97), Rn 65. "Furthermore,
there is no similarity with some cases where the
Commission noted that the decision to revoke the suspension
had been based on the person's admission of
guilt (see decisions no. 12380/86, 5 October 1988;
no. 12669/87, 11 October 1988; and no. 15871/89, 9
October 1991; all unreported).”
192
EGMR vom 03. 10.2002, Böhmer v. Deutschland (Nr.
37568/97), Rn 65.
193
EGMR, vom 11.10.1988, R. v. Deutschland
(Nr. 12669/87): “However, the Regional Court, in the two
first paragraphs of the impugned decisions, clearly pointed
out that there were only new criminal proceedings
instituted against the applicant, that there was a strong
suspicion and that the charge concerned had not yet been
determined according to law. Moreover, the decisions
were in particular based upon the applicant's detailed
confession and his request that the suspension of his
sichtigung ist in einer späteren Entscheidung
des BVerfG zu finden. 194 Nichtsdestoweniger
wurde auch hier die Entscheidung der Menschenrechtskommission
verengt, weil suggeriert
wird, allein die Tatsache, das sich das
Landgericht auf das Geständnis des Angeklagten
gestützt hatte, für die Nichtverletzung der
Konvention maßgeblich war. 195 Das BVerfG ist
hier erkennbar bemüht, abstrakte Sätze abzuleiten,
die Menschenrechtskommission hatte
bei der Formulierung des Ergebnis‘ aber den
Charakter der Einzelfallentscheidung betont
(„[…] in the particular circumstances of the
present case“). 196
5.3.4 “Positive komplexe Verweise”
- Unschuldsvermutung
Ein für die Berücksichtigungspflicht vorbildhafter,
„positiver“ Verweis erging durch das
BVerfG ebenfalls zur Unschuldsvermutung.
Dies ist gleichzeitig die im Untersuchungszeitraum
umfangreichste Auseinandersetzung
des BVerfG mit der EMRK und der Rechtsprechung
des EGMR.
In einer Verfassungsbeschwerde von 2010
war fraglich, ob das Landgericht Hildesheim
im Einklang mit der Unschuldsvermutung
Feststellungen zu vor dem eigentlichen Tatzeitraum
liegende Taten als Indiz für die Umstände
der Begehung der angeklagten Taten
und bei Strafzumessung verwenden durfte. 197
Das BVerfG führt zunächst die Berücksichtigungsgrundsätze
des EGMR aus. Demnach
sentences be revoked. The Commission concludes that, in
the particular circumstances of the present case, the
impugned German court decisions do not disclose any
appearance of a violation of the presumption of innocence
as guaranteed under Article 6 para. 2 (Art. 6-2) of
the Convention.” (eigene Hervorhebung).
194
BVerfG, 2 BvR 1448/08 vom 12.8.2008, Rn. 12.
195
Ibid. Wird die Strafaussetzung zur Bewährung wegen
einer neuen Straftat widerrufen, die noch nicht rechtskräftig
abgeurteilt worden ist, liegt darin nach Auffassung
der Europäischen Kommission für Menschenrechte
jedenfalls dann kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung,
wenn sich der Widerruf auf das bei der polizeilichen
Vernehmung und der Vernehmung durch den zuständigen
Richter abgegebene Schuldeingeständnis des Angeklagten
stützt und im Zeitpunkt der Entscheidung das
Geständnis nicht widerrufen war (EGMR, vom 9. Oktober
1991 S. v. Deutschland (Nr. 15871/89) -, StV 1992, S. 282).
196
EGMR, vom 11.10.1988 R. v. Deutschland,
(Nr. 12669/87).
197
BVerfG, 2 BvR 366/10 vom 5.4.2010.
48

seien bei der Bestimmung von Inhalt und
Reichweite der grundgesetzlichen Unschuldsvermutung
Art. 6 Abs. 2 der EMRK und die
dazu ergangene Rechtsprechung des EGMR
als Auslegungshilfe heranzuziehen. 198 Anschließend
prüft das BVerfG relativ
kleinschrittig die Anwendbarkeit der Unschuldsvermutung
aus Art. 6 Abs. 2 durch den
EGMR. 199 Hier erfolgen bereits Verweise auf
sechs EGMR-Entscheidungen. Das BVerfG
setzt sich in diesem Zusammenhang mit der
autonomen Auslegung des Begriffs „Straftat“
(criminal offence) durch den EGMR auseinander.
Diese wendet er auf den vorliegenden
Fall an, um die Anwendbarkeit der Unschuldsvermutung
aus der EMRK in Frage zu
stellen. Das Landgericht habe lediglich im
Rahmen der Strafzumessung das Verhalten
des Straftäters vor dem Tatzeitraum in seine
Überlegungen einbezogen. Der Angeklagte sei
aber nicht wegen dieser Taten angeklagt gewesen
noch sei dieses Verhalten Gegenstand
eines anderen Strafverfahrens gewesen.
Gutachterlich prüft das BVerfG weiter, ob die
EMRK bei Anwendbarkeit verletzt wäre. Dabei
kontrastiert das BVerfG den vorliegenden
Fall mit der Rechtssache Böhmer v. Deutschland.
Das straffrechtliche Hauptverfahren sei
geeignet, die Unschuldsvermutung zu widerlegen
sofern darin die in Art. 6 Abs. 3 EMRK
statuierten Verfahrensrechte beachtet werden.
200 Die Verteidigungsrechte aus Art. 6 Abs.
3 EMRK seien vollständig gewahrt worden;
das BVerfG prüfte hier insbesondere das
Recht eines Angeklagten, von den Strafverfolgungsbehörden
über den Grund der Anklage
in allen Einzelheiten unterrichtet zu werden.
201
5.3.5 „Positive komplexe Verweise“
– Recht auf ein Verfahren in
angemessener Zeit, Beschleunigungsgebot
Im Bezug auf die oben bereits erwähnte „Vollstreckungslösung“
zur Kompensation rechts-
198
BVerfG, 2 BvR 366/10 vom 5.4.2010, Rn. 6.
199
BVerfG, 2 BvR 366/10 vom 5.4.2010, Rn. 7.
200
BVerfG, 2 BvR 366/10 vom 5.4.2010, Rn. 10.
201
BVerfG, 2 BvR 366/10 vom 5.4.2010, Rn. 11.
staatswidriger Verfahrensverzögerungen hat
sich der BGH in einem Beschluss von 2008
detailliert mit der Rechtsprechung des EGMR
auseinandergesetzt und seine geänderte
Rechtsauffassung begründet. 202 Diese Entscheidung
ist mit knapp dreißig Verwiesen
auf den EGMR die mit Abstand komplexeste
Entscheidung des BGH.
Den Übergang zum neuen Kompensationsmodell
erklärte der BGH damit, dass die neue
Form der Entschädigung gemäß den Vorgaben
der EMRK in ihrer Auslegung durch den
EGMR in allen Fällen rechtsstaatswidriger
Verfahrensverzögerung eine Kompensation
ermögliche. 203
Mit Blick auf fehlende Vorgaben der EMRK
und de EGMR zur Rechtsfolgenseite von Verstößen
gegen das Beschleunigungsgebot war
der BGH zunächst davon ausgegangen, dass es
ausrechend sei den Verstoß gegen Art. 6 Abs.
1 Satz 1 MRK bei der Abwägung der strafmildernden
und -schärfenden Aspekte selbständig,
auch neben dem schon für sich mildernden
Umstand eines langen Zeitraums zwischen
Tat und Urteil, zu berücksichtigen. 204
Nach der Rechtssache E. v. Bundesrepublik
Deutschland - EuGRZ 1983, 371 hat das
BVerfG diese Praxis in zwei Entscheidungen
korrigiert. Nunmehr war die Verletzung des
Gebots der Verfahrensbeschleunigung als
Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen und
dabei das Ausmaß Herabsetzung der Strafe
durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung
der Verzögerung angemessenen Strafe
exakt zu bestimmen. 205 An diese Rechtsprechung
hatten sich auch die Strafsenate
des BGH angepasst. 206
Mit der Entscheidung von 2008 wird die bisherige
Rechtspraxis verworfen, dazu werden
auch ausführlich konventionsrechtliche
Gründe angeführt. 207 Weil das Vollstrek-
202
BGH GSSt 1/07 vom 17. Januar 2008.
203
ibid., Rn. 15.
204
BGH NStZ 1983, 167; 1986, 217, 218; 1987, 232. f.;
1988, 552; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung
2).
205
BVerfG, 2 BvR 2173/96 vom 07.03.1997.
206
BGH NJW 1999, 1198, 1199; NStZ-RR 2000, 343; StV
1998, 377; 2002, 598; wistra 1997, 347; 2001, 177; 2002,
420.
207
BGH GSSt 1/07 vom 17.1.2008, Rn. 30. „In Fällen, in
denen eine Kompensation nur durch eine Unterschreitung
der gesetzlichen Mindeststrafen möglich wäre, gerät
49

kungsmodell den Ausgleich für die Verletzung
von Art. 6 Abs. 1 von der Schuld und der
Strafhöhe entkopple, entspreche es in vollem
Umfang den vom EGMR entwickelten Kriterien.
208 Weiterhin erläutert der BGH, dass die
Vollstreckungslösung auch den Anforderungen
von Art. 13 und 34 EMRK genüge. 209 Dort
wo keine weiteren Vorgaben des EGMR bestehen,
welche Entschädigungsformen dem
Entschädigungsprinzip der EMRK gerecht
werden. 210
In einer Strafsache von 2011 hat der BGH
erneut die Auffassung des EGMR widergegeben,
dass die Selbstbelastung auch in Fallgestaltungen
anwendbar ist, in denen von den
Behörden kein Zwang ausgeht. 211 Der BGH
erwähnt in diesem Zusammenhang die
Rechtssache Allan v. Vereinigtes Königreich, in
der die Befragung eines Beschuldigten, der
sich auf sein Schweigerecht berufen hatte,
durch einen in derselben Gefängniszelle einsitzenden
Informanten als konventionswidrig
befunden wurde. 212 Diese wurde dem Fall
Bykov v. Russland gegenübergestellt, in der
der Beschuldigte nicht in Haft saß und damit
die bisher von der Rechtsprechung angewandte Strafabschlagslösung
jedoch an ihre Grenzen und läuft Gefahr,
das Rechtsfolgensystem des StGB in Frage zu stellen.
Dieser Konflikt zwischen Straf- und Strafprozessrecht auf
der einen und verfassungs- sowie konventionsrechtlichen
Vorgaben auf der anderen Seite muss in einer Weise
aufgelöst werden, welche die Bindung der Gerichte an die
einfachgesetzlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs
und der Strafprozessordnung so weit wie möglich respektiert.
Im Bereich der Strafzumessung bedeutet dies, dass
die gesetzliche Untergrenze der angedrohten Strafe nur
dann unterschritten wer-den darf, wenn keine andere
Möglichkeit zur Verfügung steht, das vom Ange-klagten
erlittene Verfahrensunrecht in einer nach den Maßstäben
des Grundgesetzes und der MRK hinreichenden Weise
auszugleichen. Diese Möglichkeit ist mit dem Vollstrekkungsmodell
jedoch vorhanden, das seine rechtlichen
Grundlagen in den Bestimmungen der MRK und deren
Entschädigungsprinzip findet sowie den Rechtsgedanken
des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB fruchtbar macht
(s. unten). Indem es die Kompensation für die von staatlichen
Stellen verursachten Verfahrensverzögerungen in
einem gesonderten Schritt nach der eigentlichen Strafzumessung
vornimmt, respektiert es im Ausgangspunkt
die im Gesetz vorgegebenen Mindeststrafen, die nach der
Bewertung des Gesetzgebers auch im denkbar mildesten
Fall.“
208
BGH GSSt 1/07 vom 17. Januar 2008, Rn. 32.
209
BGH GSSt 1/07 vom 17. Januar 2008, Rn. 38-39.
210
BGH GSSt 1/07 vom 17. Januar 2008, Rn. 40-41.
211
BGH, 3 StR 400/10 vom 31. März 2011, Rn. 12, unter
Verweis auf EGMR, vom 5.11.2002 , Bykov v. Russland,
(Nr. 48539/99).
212
BGH, 3 StR 400/10 vom 31. März 2011, Rn. 13.
die Wahl hatte, ob er sich mit einem Informanten
der Polizei zu unterhalten. 213
5.3.6 „Positive komplexe Verweise“
– Selbstbelastungsfreiheit,
Recht auf konfrontative Befragung
Auch zum Recht auf konfrontative Befragung
nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK verweist
der BGH ausführlich. 214 Der BGH verwendet
hier die EGMR-Rechtsprechung, dass es bei
ausbleibender Gelegenheit zur konfrontativer
Befragung darauf ankommt, ob dieser Umstand
der Justiz zuzurechnen ist (Ferrantelli &
Santangelo, Haas). Im Fall Haas hatte der
EGMR unter Verweis auf die Rechtssachen
Artner v. Österreich, vom 28. August 1992;
Ubach Mortes v. Andorra Nr. 46253/99;
Scheper v. Niederlande Nr. 39209/02 vom
5. April 2005; Mayali v. Frankreich,
Nr. 69116/01 vom 14. Juni 2005 ausgeführt,
dass aktive Schritte unternommen werden
müssen damit eine konfrontative Befragung
stattfinden kann, dass die Strafverfolgungsbehörden
dabei aber nicht zum Unmöglichen
verpflichtet werden können. Sofern sie ihrer
Sorgfaltspflicht nachkommen, liegt in der
fehlenden Gelegenheit zur konfrontativen
Befragung keine Konventionsverletzung. 215
Ob nun die fehlende Gelegenheit der Justiz
zurechenbar ist, wird vom BGH ebenfalls mit
Verweis auf EGMR-Rechtsprechung begründet.
Der EGMR hatte in der Rechtssache
Artner dargelegt, dass eine Verurteilung im
Strafverfahren dann möglich sei, wenn sie
sich nicht allein auf die Aussage eines nicht
kontradiktorisch vernommenen Zeugen
213
ibid. Rn 14.
214
BGH 1 StR 493/06 vom 29.11.2006.
215
“With respect to statements of witnesses who proved
to be unavailable for questioning in the presence of the
defendant or his counsel, the Court recalls that paragraph
1 of Article 6 taken together with paragraph 3
requires the Contracting States to take positive steps so
as to enable the accused to examine or have examined
witnesses against him (see, in particular, Sadak, cited
above, § 67). However, impossibilium nulla est obligatio;
provided that the authorities cannot be accused of a lack
of diligence in their efforts to award the defendant an
opportunity to examine the witnesses in question, the
witnesses’ unavailability as such does not make it necessary
to discontinue the prosecution”
50

stützt. In der Rechtssache Delta hatte der
EGMR eine Konventionsverletzung festgestellt,
nachdem sich die Anklage in entscheidendem
Ausmaß und bei gleichzeitigem Vorliegen
von Verfahrensfehlern auf eine solche
Aussage gestützt hatte. 216 Der BGH entwickelt
daraus unter Verweis auf die Berücksichtigungspflicht
eine Art Leitsatz. 217
Nach Auffassung des BVerfG hat das Verbot
des Selbstbelastungszwangs aus Art. 2 Abs. 1
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG zum Kern,
dass niemand gezwungen werden darf, durch
eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine
strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung
einer entsprechenden Sanktion zu
liefern (vgl. BVerfGE 56, 37 ; BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats
vom 21. April 1993 - 2 BvR 930/92 -, NStZ
1993, S. 482). Auch der Große Strafsenat des
BGH hatte in seiner Entscheidung den nemotenetur-Grundsatz
als Verbot von Zwang ausgelegt.
218 Dagegen hat der EGMR die Verhinderung
von unzulässigem Zwang zwar als
wichtigste Funktion des Grundsatzes bezeichnet,
gleichzeitig aber hervorgehoben, dass die
Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 2
EMRK auch auf Fälle anwendbar sei, in denen
kein Zwang ausgeübt werde. 219 Mit diesem
Unterschied setzt sich der BGH offen auseinander.
220 Dabei unterstreicht er aber, dass
der Große Senat im Bezug auf die vernehmungsähnliche
Befragung von Tatverdächtigen
ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht
die rechtsstaatlichen Grenzen betont habe.
Mit dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit
sei es jedenfalls nicht vereinbar dem Beschuldigten,
der sein Schweigerecht in An-
216
EGMR, vom 18.11.1991, Delta v. France, (Nr.
11444/85).
217
Bei der Anwendung des deutschen Strafprozessrechts
ist die MRK in der Auslegung, die sie durch Rechtsprechung
des EGMR erfahren hat, zu berück-sichtigen
(BVerfG NJW 2004, 3407; BGHSt 45, 321, 328 f.). Daher
gilt für die tatrichterliche Beweiswürdigung: Ist die
unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der
Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen
Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere
gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt
werden (BGHSt 46, 93, 106; BGH NStZ 2005, 224,
225; NStZ-RR 2005, 321; vgl. auch BGH NJW 2003, 3142,
3144; NStZ 2004, 505, 506 f.).
218
BGH GSSt 1/96 vom 13.05.1996.
219
EGMR, vom 5.11.2002, Allan v. Großbritannien (Nr.
48539/99).
220
BGH 3 StR 104/07 vom 26. Juli 2007.
spruch genommen hat, in gezielten, vernehmungsähnlichen
Befragungen auf Initiative
der Ermittlungsbehörden und ohne Aufdekkung
der Verfolgungsabsicht, selbstbelastende
Angaben zur Sache zu entlocken. Das stünde
trotz der scheinbar restriktiveren Auslegung
durch den großen Senat fest. 221
5.3.7 Fazit EGMR-Verweise
Der BGH hat sich in einer Reihe von Entscheidungen
ausführlich mit der EGMR-
Rechtsprechung auseinander gesetzt. Alle hier
in die Detailanalyse eingeflossenen, „positiven,
komplexen Verweise“ zu Art. 6 sind
durch den BGH ergangen. Die Verweise sind
dort am ausführlichsten, wo vom EGMR häufig
eine Konventionsverletzung festgestellt
wurde (Verfahrensdauer und dessen Kompensation).
Der ausführlichste Verweis betrifft
die Begründung einer grundsätzlichen
Änderung der Rechtspraxis in diesem Bereich.
Durch das BVerfG ist nur im Bezug auf die
Unschuldsvermutung, die im deutschen
Grundgesetz nicht statuiert ist, ebenso ausführlich
auf den EGMR verwiesen worden.
Dieser Unterscheid ist möglicherweise weniger
durch eine stärkere Souveränitätsbetonung
im BVerfG beeinflusst als durch die Sonderstellung
des BGH bei Art. 6 EMRK als
höchstes deutsches Strafgericht. Allerdings ist
beim einzigen ausführlichen Verweis des
BVerfG die Tendenz zu erkennen, die EGMR-
Rechtsprechung durch die Brille des GG zu
lesen.
Beide Gerichte verweisen häufig „einfach“ auf
eine EGMR-Rechtssache. Sofern Verweise
komplex sind, wird der EGMR nicht nachrangig,
sondern ebenbürtig zitiert. Beim BVerfG
ist die Komplexität von Verweisen unabhängig
davon, ob das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde
zur Entscheidung annimmt. So wird
die Verfassungsbeschwerde in der Rechtssache
mit dem umfangreichsten Verweis auf den
EGMR vom BVerfG nicht zur Entscheidung
angenommen. 222
221
BGH 3 StR 104/07 vom 26. Juli 2007, Rn. 30.
222
BVerfG, 2 BvR 366/10 vom 5.4.2010, siehe unten.
51

Die am häufigsten einschlägige Norm bei
Verweisen auf den EGMR ist Art. 6 Abs. 1
EGMR.
5.4 Fazit
Im Bezug auf Art. 6 EMRK scheinen BGH und
BVerfG ihrer Berücksichtigungspflicht ganz
überwiegend adäquat nachzukommen. Die in
der Erhebung festgestellte Varianz zwischen
einer hohen Anzahl an EMRK-Verweisen und
der dazu relativ niedrigen Anzahl an EGMR-
Verweisen ist nicht mit einer fehlenden Berücksichtigung
der Rechtsprechung des EGMR
gleichzusetzen. Vor allem im BVerfG bleibt die
inhaltliche Auseinandersetzung mit der
Rechtsprechung des EGMR - gemessen daran,
dass vom BVerfG die meisten EGMR-Verweise
Art. 6 betreffen.
52

6. Artikel 8 EMRK – Recht auf Achtung
des Privat- und Familienlebens
6.1 Bedeutung im Verhältnis
der Grundrechtsordnung
mit dem EMRK-
Menschenrechtsschutzsystem
Sowohl im BGH als auch im BVerfG nehmen
Art. 8 EMRK betreffende Verweise auf den
EGMR den zweithäufigsten Platz ein. Dies gilt
auch für die Verweise der beiden Gerichte auf
die EMRK. Beim Blick auf das Gesamtvolumen
an Entscheidungen mit Grundrechtsbezug
hatte die Erhebung nichtsdestoweniger ergeben,
dass in Fällen zu Art. 10 GG, dem inhaltlichen
Äquivalent von Art. 8 EMRK, relativ selten
auf den EGMR verwiesen wird.
Demgegenüber haben die Verweise für die
Untersuchung des Verhältnis‘ zwischen BGH,
BVerfG und dem EGMR einen hohen inhaltlichen
Wert. Alle BGH-Verweise wurden bei der
Erhebung als „komplex“ eingestuft, vier Fünftel
der Verweise im BVerfG.
Die besondere Bedeutung von Art. 8 EMRK
liegt auch in seiner Stellung zur in Art. 10
EMRK statuierten Meinungsfreiheit, die analog
zur Wortwahl des BVerfG, ein mehrpoliges
Rechtsverhältnis begründet in dessen Kontext
auch die Debatte um die „Ebenenkollision“ 223
zwischen Grundrechtsordnung und EMRK
geführt wurde. Fälle von vor 2005, in denen
das BVerfG die Möglichkeit eines Konflikts
zwischen seiner eigenen und der Rechtsprechung
des EGMR einräumt hat, betrafen
Art. 8 EMRK allein sowie im Verhältnis zu Art.
10 EMRK. Im oben erwähnten Görgülü-
Beschluss des BVerfG wurde als Beispiel für
solch interpretatorischen Konflikte der Persönlichkeitsschutz
erwähnt und auf die erste
von-Hannover-Entscheidung des EGMR verwiesen.
224
Stärker als bei den Verweisen auf EGMR-
Rechtsprechung zu Art. 5 und 6 EMRK konzentrieren
sich die Verweise daher nach wie
vor auf wenige EGMR-Rechtssachen. Vom
BGH wird in älterer Rechtsprechung fast ausschließlich
auf drei Rechtssachen verwiesen
(EGMR vom 24.06.2004, von Hannover v.
Deutschland [Nr. 59320/00]; vom
17.10.2006, Gougenidze v. Georgien
[71678/01]; vom 16.11.2004, Karhuvaara
und Iltalehti v. Finnland [Nr. 53678/00]). Das
BVerfG verweist auf wesentlich mehr EGMR-
Fälle, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf
von Hannover v. Deutschland und Görgülü v.
Deutschland (EGMR vom 26.02.2004 [Nr.
74969/01]).
Die Bedeutung von Art. 8 EMRK für deutsche
Gerichte ist eng verknüpft mit der Auslegung
des Wesensgehalts der Norm durch den
EGMR. Dies betrifft sowohl die Auslegung des
Begriffs des Privat- und Familienlebens als
auch den Umfang an Verpflichtungen zu dessen
Achtung. Zum Begriff des Privat- und
Familienlebens ist zum Beispiel anzumerken,
dass der EGMR in ständiger Rechtsprechung
Art. 8 EMRK auf ausländerrechtliche Sachverhalte
angewendet hat, wo Abschiebehindernisse
durch die soziale „Verwurzelung“ des
Beschwerdeführers im ausweisenden Land
entstehen. 225 Zum Umfang der Achtungspflichten
ist der EGMR über die zunächst rest-
223
Hong, S. 254.
224
EGMR vom 24.06.2004, von Hannover v. Deutschland
(Nr. 59320/00).
225
Z.B. in BVerfG, 2 BvR 1392/10 vom 21.2.2011 Rn. 20.
53

iktive Formulierung des Art. 8 EMRK hinausgegangen.
Die staatliche Achtung des Privatund
Familienlebens umfasst demnach nicht
nur eine negative Unterlassungspflicht; der
Staat hat auch die Entwicklung von Privatbeziehungen
zwischen Individuen zu erlauben
und zu fördern. 226 Dabei hat der EGMR auch
eine umfängliche Drittwirkung des Art. 8 bejaht
und hier auf den Ausgleich von konkurrierenden
Interessen einzelner, der Gemeinschaft,
und des konventionsstaatlichen Beurteilungsspielraums
hingewiesen. 227 Fälle, in
denen durch den BGH und das BVerfG auf den
EGMR im Zusammenhang mit Art. 8 EMRK
verwiesen wird, betreffen überwiegend solche
Konstellationen der Drittwirkung.
Kaum Auswirkung auf die Anzahl der Verweise
scheint die Verzahnung von Art. 8 mit Art. 6
EMRK zu haben. Die in Art. 8 EMRK enthaltenen
Rechte sind zwar zum Großteil zivilrechtliche
Ansprüche im Sinne von Art. 6 EMRK,
Verweise auf beide Artikel bzw. Rechtsprechung
zu beiden Artikeln innerhalb der
gleichen Rechtssache sind aber die Ausnahme.
6.2 Verweise auf die EMRK
durch das BVerfG und den
BGH
6.2.1 Verweise ohne Auslegung
Das BVerfG verweist in fünfzehn Fällen auf die
EMRK. ohne Rechtsprechung des Gerichtshofs
zu benennen. Wie bei Verweisen auf Art. 6
EMRK ergehen die Verweise auf Art. 8 meistens
in Zusammenhang mit der Widergabe
der Rüge des Beschwerdeführers. Dies betrifft
sowohl Beschwerde, die zur Entscheidung
angenommen werden und Erfolg haben, als
auch nicht zur Entscheidung angenommene
Beschwerden. Sofern hier der Beschwerdeführer
die Verletzung des EMRK rügt ist fraglich,
ob sich ein Verweis auf die Rechtsprechung
des EGMR aufdrängen müsste.
Unproblematisch sind auch hier Fälle, in denen
der EMRK im Zusammenhang der Widergabe
einer nicht substantiierten Beschwerde
erwähnt wird, 228 sowie nicht begründete 229
oder verfristete 230 Beschwerden. Fehlende
Verweise sind auch wenig problematisch,
wenn mittelbar auf den EGMR verwiesen
wird. 231 Unter eine dieser beiden Kategorien
fällt die ganz überwiegende Mehrheit der
Fälle, in denen auf die EMRK, nicht aber auf
den EGMR verwiesen wird.
Unter den verbleibenden Fällen sind zwei
Fälle zum Umgangsrecht und ein Fall zur
rechtlichen Anerkennung der Elternschaft
erwähnenswert, in denen angesichts des Bestands
an Vorgaben des EGMR auf dem Gebiet
Verweise hätten erfolgen können. 232 Das Gleiche
gilt für die Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung,
233 in denen ein nicht gerechtfertigter
Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG
festgestellt wurde, und für eine jüngere Entscheidung
zur Verfassungsmäßigkeit des
Kommunikationsgesetztes. 234 Hier blieben
Verweise möglicherweise aufgrund der Stellung
der angefochtenen Regelungen im
Mehrebenensystem europäischer Rechtsnormen
aus: die Regelungen waren zum Teil zur
Umsetzung europarechtlicher Vorgaben ergangen,
eine Aussage zur Position der EMRK
hätte damit politische Implikationen über die
Landesgrenzen hinaus haben können. 235
226
Harris, S. 362.
227
EMRK vom 19.09.2000, Glaser v. Vereinigtes Königreich
(Nr. 32346/96), Ziff. 63: „The essential object of Article 8
is to protect the individual against arbitrary interference
by public authorities. There may however be positive
obligations inherent in an effective “respect” for family
life. These obligations may involve the adoption of
measures designed to secure respect for family life even
in the sphere of relations between individuals, including
both the provision of a regulatory framework of adjudicatory
and enforcement machinery protecting individuals’
rights and the implementation, where appropriate, of
specific steps […]. In both the negative and positive contexts,
regard must be had to the fair balance which has to
be struck between the competing interests of the individual
and the community, including other concerned third
parties, and the State’s margin of appreciation […].”
228
BVerfG, 2 BvR 173/06 vom 23.2.2006.
229
BVerfG, 1 BvR 2275/08 vom 20.10.2008, BVerfG, 2
BvR 1076/09 vom 17.6.2009, BVerfG, 2 BvR 1957/08
vom 9.12.2009.
230
1 BvR 1883/10 vom 17.11.2010.
231
BVerfG, 2 BvR 2341/06 vom 4.12.2007, BVerfG, 2 BvR
1413/10 vom 25.3.2011.
232
BVerfG, 1 BvR 746/08 vom 5.12.2008, BVerfG, 1 BvR
2911/07 vom 23.1.2008, BVerfG, 1 BvR 1548/03 vom
13.10.2008.
233
BVerfG, 1 BvR 256/08 vom 2.3.2010.
234
BVerfG 1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012.
235
Vgl. dazu die Argumentation der Beschwerdeführer in
1 BvR 1299/05 vom 24.1.2012 , Rn. 67: „Die Richtlinie
2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von
Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher
54

Nicht weiter verfolgt wirf vom BVerfG auch
die Argumentation des Beschwerdeführers in
einer Verfassungsbeschwerde von 2006 zum
Umgangsrecht von leiblichen Vätern auch
ohne tatsächliche soziale Beziehung zum Kind
(§ 1685 II BGB). 236 Dem Beschwerdeführer
war als mutmaßlicher leiblichem Vater ein
Umgangsrecht zu Gunsten des rechtlichen
Vaters, dem Ehepartner der Mutter, verwehrt
worden. Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 8 EMRK schütze vornehmlich die familiäre
Verbundenheit, die auf Übernahme von
Verantwortung für das Kind beruhe und sich
schon aus dem Verhalten vor der Geburt ergeben
könne. 237 Ein anderes Verständnis
würde der Mutter, so der Beschwerdeführer,
ein faktisches Vetorecht im Hinblick auf den
Schutz des leiblichen Vaters verleihen. 238 Die
Beschwerde wurde vom BVerfG nicht zur
Entscheidung angenommen führte aber vor
dem EGMR in einer Entscheidung vom 15.
September 2011 zur Feststellung einer Konventionsverletzung.
239 Die deutschen Gerichte
hätten nicht geprüft, ob es im Interesse des
Kindeswohls gelegen hätte, Kontakt zwischen
dem mutmaßlichen Vater und dem Kind zuzulassen
und genügte damit nicht den Verhältnismäßigkeitsanforderungen
des EGMR für
Eingriffe in Art. 8 EMRK. 240
elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher
Kommunikationsnetze erzeugt und verarbeitet werden,
und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl L 105
vom 13. April 2006, S. 54; im Folgenden: Richtlinie
2006/24/EG) stehe der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
nicht entgegen. Die angegriffenen Regelungen
seien von ihr nicht zwingend vorgegeben; im Übrigen
bestünden auch Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Richtlinie. Sie sei kompetenzwidrig erlassen und verstoße
gegen die Menschenrechte auf Achtung des Privatlebens
und der Korrespondenz nach Art. 8 EMRK und die Freiheit
der Meinungsäußerung nach Art. 10 Abs. 1 EMRK.
Selbst wenn man eine Umsetzungspflicht bejahe, sei die
Verfassungsbeschwerde zulässig, um zur Klärung ihrer
Gültigkeit die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof
durch das Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen.“.
236
BVerfG, 1 BvR 1337/06 vom 20.9.2006.
237
BVerfG, 1 BvR 1337/06 vom 20.9.2006, Rn. 7.
238
ibid.
239
EGMR, vom 15.9.2011, Schneider v. Deutschland (Nr.
17080/07).
240
ibid., Ziff. 104. „[…] the Court, referring, mutatis mutandis,
to the detailed reasoning in its judgment in the
case of Anayo (§§ 67-73), therefore considers that the
domestic courts did not fairly balance the competing
interests involved in the decision-making process and
thus failed to provide the applicant with the requisite
protection of his interests safeguarded by Article 8. They
failed to give any consideration to the question whether,
in the particular circumstances of the case, contact be-
Diese Rechtssache ist dem der EGMR-Sache
Anayo v. Deutschland 241 zugrunde liegenden
Sachverhalt ähnlich, wo die leibliche Vaterschaft
von den Beschwerdeführern unbestritten
war. Auch hier hatte das BVerfG die Verfassungsbeschwerde
nicht zur Entscheidung
angenommen. 242
Auch vor der nunmehr vom BMJ geplanten
gesetzlichen Neuregelung wäre eine EMRKkonforme
Auslegung des geltenden Rechts
möglich. 243 Sie müsste leiblichen Vätern ohne
tatsächliche Beziehung zu ihrem Kind die
Möglichkeit der Klärung der Abstammung
und des Umgangsrechts im Wege des Umgangsverfahrens
einräumen. 244 Insofern ist
das Fehlen von Verweisen auf den EGMR hier
ein Indiz, dass die „stille“ Berücksichtigung
der EMRK in ihrer Auslegung durch den
EGMR keineswegs Garant für eine konventionskonforme
Auslegung des deutschen
Rechts war.
Der BGH verweist in acht Fällen auf Art. 8
EMRK, ohne den EGMR zu erwähnen. In vier
Fällen wird mittelbar auf den EGMR verwiesen,
indem BVerfG-Entscheidungen genannt
werden in denen die Rechtsprechung des
EGMR berücksichtigt wird. Diese betreffen
den Persönlichkeitsschutz bei Bildberichterstattung.
Bei den restlichen Fällen ist eine
genauere Analyse nicht weiter angezeigt: In
einem Fall konnte die Anwendung der EMRK
laut Gericht dahinstehen, weil eine Anhörung
im Beschwerdeverfahren auch nach dem
FamFG hätte erfolgen müssen, 245 in einem
tween F. and the applicant would be in F.’s best interest.
They further did not examine whether, in the particular
circumstances of the case, allowing the applicant’s request
to be given at least information about F.’s personal
development would be in the child’s best interest or
whether, at least in this regard, the applicant’s interest
should have been considered as overriding that of the
legal parents. They thus did not give sufficient reasons to
justify their interference for the purposes of paragraph 2
of Article 8. The interference with the applicant’s right to
respect for his private life was therefore not “necessary in
a democratic society”.”
241
EGMR vom 21.12.2010 Anayo v. Deutschland (Nr.
20578/07).
242
BVerfG, 1 BvR 183/07 vom 29.3.2007.
243
Rixe, Georg, Anmerkungen zu EGMR vom 21.12.2010,
Anayo v. Deutschland (Nr. 20578/10), Zeitschrift für das
gesamte Familienrecht (FamRZ) 2011, 1363-1367.
244
ibid.
245
BGH vom 19.05.2011, V ZB 36/11.
55

anderen Fall ist die Rechtsverletzung durch
die Revision nicht begründet worden. 246
Im BVerfG wird sehr selten auf die EMRK
verwiesen, ohne dessen Auslegung durch den
EGMR anzuführen. Ist dies der Fall, wird mittelbar
auf den EGMR verwiesen. 247
6.2.2 Eigenständige Auslegungen
der EMRK
Im BGH lässt sich in auf die EMRK verweisende
Fälle nur eine eigenständige Auslegung
finden. Demnach fordert eine Verletzung von
Persönlichkeitsrechten durch Hostprovider
eine Abwägung zwischen dem Recht des Betroffenen
auf Schutz seiner Persönlichkeit
sowie Achtung seines Privatlebens aus Art. 1
Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK
und dem durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK
geschützten Recht des Providers auf Meinungs-
und Medienfreiheit. 248 Diese Äußerung
ist grundlegend, sie ergibt sich aus der Systematik
der einschlägigen EMRK-Rechtsnormen
selbst und bedarf daher auch keines weiteren
Verweises auf den EGMR.
In einer Verfassungsbeschwerde von 2005 249
wird eine Regelung des deutschen Ausländerrechts
angegriffen, die im Bundesgebiet geborenen
ausländischen Kinder, deren Mutter
eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung
hat, gegenüber denjenigen
Kindern besser stellt, bei denen allein der
Vater einen solchen Aufenthaltsstatus hat. Das
BVerfG stellt hier eine Bevorzugung wegen
des Geschlechts im Sinne von Art. 3 Abs. 3
Satz 1 GG fest, die auch nicht gerechtfertigt ist.
Die Urteilsbegründung verweist weder auf die
EMRK noch den EGMR, ein Verweis ergeht
allein bei der Schilderung des Verfahrensgangs.
Insofern keine speziellen Rechtssachen
des EGMR zum Sachverhalt vorlagen wäre ein
Verweis auf den EGMR allerdings aus Gesichtspunkten
des gerichtlichen Dialogs und
der Transparenz erstrebenswert gewesen.
246
BGH vom 12.07.2011, VI ZR 214/10.
247
Z.B. BVerfG 2 BvL 16/09 vom 16.12.2010, zur „Verwurzelung“
als Abschiebehindernis, mit Verweis auf
BVerfG, 2 BvR 304/07 vom 10.5.2007.
248
BGH vom 25. Oktober 2011 VI ZR 93/10.
249
BVerfG, 2 BvR 524/01 vom 25.10.2005.
6.3 Verweise auf den EGMR
durch das BVerfG und den
BGH
6.3.1 Systematische Stellung
Die systematische Stellung der EGMR-
Verweise durch BGH und BVerfG lässt sich
weniger eindeutig in die beiden Pole „vorrangig“
und „nachrangig“ einordnen als beispielsweise
die Verweise im Bezug auf Rechtsprechung
zu Art. 6 EMRK. Dies ist in der
Komplexität der Verweise begründet. „Komplexe“
Verweise sind zu differenziert, als dass
sie sich in diese Einordnung einfügen würden.
Für gewöhnlich 250 wird in komplexen Verweisen
weiter unten in der Urteilsbegründung
auf den EGMR verwiesen, Formulierungen zur
systematischen Stellung der Verweise finden
sich selten. 251
Wie eingangs festgestellt sind die Verweise
meist „komplex“. In Ausnahmefällen wird nur
kursorisch auf den EGMR verwiesen, die substantielle
Berücksichtigung erfolgt dann über
einen mittelbaren Verweis. Ein Bespiel dafür
ist eine Verfassungsbeschwerde von 2007 zur
Frage der sozialen Verwurzelung als Abwägungskriterium
für die Verhältnismäßigkeit
von Abschiebungen in Folge von Straffälligkeit.
252 Hier hätte freilich auch ein Verweis auf
die einschlägige EGMR-Rechtsprechung erfolgen
können. 253 Gleiches gilt für eine Entschei-
250
Zum Kriterium, dass heimlich aufgenommene Fotos als
Belästigung die abgebildete Person in ihren Persönlichkeitsrecht
verletzten kann auch wenn diese Fotos in
räumlich nicht abgeschiedenen Orten aufgenommen
wurden, führt der BGH zuerst die Rechtsprechung des
EGMR an, siehe BGH vom 6. März 2007, VI ZR 51/06, Ziff.
15.
251
Subsidiär in einer Verfassungsbeschwerde von 2010,
in der das BVerfG nach der Anwendung der deutschen
Rechtsordnung „im Übrigen“ darlegt, dass auch kein
Verstoß der EMRK vorläge. Dabei gibt das BVerfG erneut
die EGMR-Rechtsprechung wider um dann festzustellen,
dass die EGMR-Vorgaben zu Eingriffen in die Vertraulichkeit
der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant
vorinstanzlich vom BGH als gegeben angesehen wurden,
2 BvR 1413/09 vom 20.5.2010, Rn. 17
252
BVerfG, 2 BvR 535/06 vom 10.8.2007.
253
EGMR, vom 15.7.2003 Mokrani v. Frankreich (Nr.
52206/99) InfAuslR 2004, S. 183 f.). Eine Prüfung der
Befristung sei vom Gerichtshof selbst dann verlangt
worden, wenn der Betroffene erst im Alter von zwölf
Jahren eingereist und schon vier Jahre später wieder
ausgewiesen worden sei (EGMR, vom 6.2.2003 Jakupovic
v. Österreich (Nr. 36757/97) InfAuslR 2004, S. 184).
Selbst nach Tötungsdelikten überprüfe der Gerichtshof
56

dung des BVerfG von 2011 mit Ähnlichem
Sachverhalt. 254
6.3.2 “Positive komplexe Verweise”
– Bildberichterstattung
und Persönlichkeitsschutz
Mit den interpretatorischen Konflikten bei der
individuellen Grundrechtskollision durch
Bildberichterstattung hat sich die Rechtswissenschaft
in Folge der ersten von Hannover-
Entscheidung des EGMR 255 eingehend befasst.
256 Der Bundesgerichtshof hatte 1995
geurteilt, dass die Abbildung von Hannovers
im Einzelfall kein berechtigtes Interesse gegen
die Veröffentlichung gemäß § 23 Abs. 2
KUG begründete, obwohl dies in Bereichen
örtlicher Abgeschiedenheit grundsätzlich
möglich sei. 257 Diese BGH-Entscheidung war
1999 Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde,
die nicht zur Entscheidung angenommen
wurde weil das BVerfG die vorinstanzliche
Prüfung ausreichend ansah, ob von
Hannover auf den veröffentlichten Fotos in
herabsetzender, verzerrender oder ehrenrühriger
Weise dargestellt wurde. 258 Die Verweigerung
des Schutzes durch den BGH war damit
verfassungskonform.
Demgegenüber hat der EGMR festgestellt,
dass von Hannover durch die Veröffentlichung
in ihren Rechten aus Art. 8 EMRK verletzt
wurde. Die Entscheidung des BVerfG in
der Sache Görgülü war auch Reaktion hierauf.
Diese „prominenten“ Entscheidungen zur
Bildberichterstattung in der Mehrpoligkeit
der aus Art. 8 und Art. 10 EMRK folgenden
Rechtspositionen sind auch im Untersuchungszeitraum
inhaltliche Schwerpunkte der
EGMR-Verweise.
Im BGH-Urteil vom 6. März 2007 259 befand
der BGH, dass die Veröffentlichung eines Fotos,
das von Hannover auf öffentlicher Straße
im Urlaub zeigte, rechtens sei, stellte aber
gleichzeitig das vom Landgericht Hamburg
verhängte Verbot der Veröffentlichung zweier
anderer Fotos wieder her. 260
Der BGH hat dabei das „abgestuftes Schutzkonzept“
der Rechtsprechung aus dem Gesetz
betreffend das Urheberrecht an Werken der
bildenden Künste und der Photographie
(KUG) angewendet. Die Auffassung des Oberlandesgerichts
als Berufungsgericht hat der
BGH insbesondere unter dem Hinweis verworfen,
dass es diesem Schutzkonzept unter
Berücksichtigung der in der Rechtsprechung
des EGMR entwickelten Grundsätze nicht gerecht
werde. 261
Zunächst setzt sich der BGH dabei mit der
Kritik des EGMR an der Zuordnung von Personen
in den Bereich der Zeitgeschichtete
auseinander. Dieser begegnet er mit der Auffassung,
dass die widerstreitenden Rechte
und Grundrechte aus Art. 8 und Art. 10 EMRK
bereits bei der Einstufung als solche Personen
zu berücksichtigen seien. Die Beschränkung
der persönlichen Sphäre des einzelnen durch
die Bildberichterstattung, die durch eine weite
Auslegung des Begriffs des Zeitgeschehens
der Presse möglich gemacht werden muss,
werde durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
in der Berücksichtigung der Einzelfallumstände
begrenzt. Der EGMR habe das
Konzept der „absoluten Person der Zeitgeschichte“
nur insoweit kritisiert, wie es die
Voraussetzungen regelt, unter denen über
eine solche Person berichtet werden darf.
Nach der Wiedergabe der Grundsätze des
abgestuften Schutzkonzepts kommt der BGH
die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung anhand des
Kriteriums ihrer Befristung (EGMR, vom 5.7.2005 Üner v.
Niederlande (Nr. 46410/99) InfAuslR 2005, S. 450 f.
254
BVerfG, 2 BvR 1392/10 vom 21.2.2011, Rn. 19.
255
EGMR vom 24.06.2004, von Hannover v. Deutschland
(Nr. 59320/00).
256
Haug, Thomas, „Bildberichterstattung über Prominente:
unter besonderer Berücksichtigung der Zulässigkeit
der gerichtlichen Beurteilung des Informationswertes
von Medienberichten“ (Baden-Baden: Nomos 2011).
257
BGH vom 19. Dezember 1995, VI ZR 15/95.
258
BVerfGE 101, 361.
259
Das Landgericht hatte unter Verweis auf die Berücksichtigungspflicht
von EGMR-Urteilen die Entscheidung
von Hannover v. Deutschland vom 24. Juni 2004 angeführt,
um der Beschwerde führenden Illustrierten die Veröffentlichung
von Fotos aus dem Privat- und Alltagsleben zu
untersagen. Das Oberlandesgericht hob dieses Urteil auf
Berufung auf, weil es aus der Bindung an die BVerfG-
Entscheidung vom 15. Dezember 1999 (BVerfGE 101,
361) ableitete, dass Art. 8 hinter dem Grundrechtsschutz
aus Art. 5 Abs. 1 GG zurücktrete.
260
BGH vom 6. März 2007, VI ZR 51/06.
261
BGH vom 6. März 2007, VI ZR 51/06, Rn. 9 mit Verweis
auf 24. Juni 2004 in dem Verfahren von Hannover
gegen Deutschland (Nr. 24/06/2004) und vom 16. November
2004 (53678/00) Karhuvaara und Iltalehti gegen
Finnland.
57

im „richtigen“ Verständnis desselben und
Berücksichtigung der Auffassung des EGMR in
der Prüfung zu einem anderen Ergebnis als
das Berufungsgericht. 262 Wenn berechtigte
Interessen der abgebildeten Person verletzt
seien, sei eine Abbildung nicht rechtens, Ausnahmen
von der Einwilligung entstünden nur
dadurch, ob über ein weit auszulegendes
„zeitgeschichtliches Ereignis im Sinn des allgemein
interessierenden Zeitgeschehens“
berichtet wird. 263 Dafür kann auch der Bekanntheitsgrad
von Bedeutung sein. 264
Der BGH führt EGMR-Rechtsprechung in Verbindung
mit Rechtsprechung des BVerfG an
um den Kern der Pressefreiheit zu umschreiben
265 und die Bedeutung der Pressefreiheit
zu betonen. 266 Des Weiteren wird auf den
EGMR verwiesen um darzulegen, dass zur
Beurteilung des Informationswerts einer
Abbildung die Beurteilung der Wortberichterstattung
mit der Konvention im Einklang
steht. 267 Dabei wird im gesamten Urteil allerdings
auf lediglich zwei EGMR-Rechtssachen
verwiesen.
Im Ergebnis deutet der BGH die EGMR-
Rechtsprechung als Äquivalent zum abgestuften
Schutzkonzept der deutschen Rechtsprechung:
Soweit der Gerichtshof der Presse dieses Recht [der
Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit, der Verf.]
nur "in bestimmten Grenzen" (EGMR NJW 2004,
2647, 2649 Rn. 58) zugesteht, betrifft diese Einschränkung
ersichtlich die Abwägung zwischen Pressefreiheit
und Informations-recht der Öffentlichkeit
einerseits und dem Schutz der Privatsphäre andererseits,
mithin eine Abwägung, wie sie auch nach dem
oben dargestellten Schutzkonzept geboten ist. […] Eine
solche Gewichtung bei der Interessenabwägung
trägt nach Auffassung des erkennenden Senats den
Anforderungen des Gerichtshofs (EGMR NJW 2004,
2647, 2651 Rn. 76) an einen wirksamen Schutz der
Privatsphäre ebenso Rechnung wie dem Schutz der
Grundrechte aus Art. 5 GG. Ihr steht - anders als das
262
Die Abwägungsmaßstäbe führten dazu dass die Bildberichterstattung
über den Urlaub von Hannovers unzulässig
war, weil sie kein zeitgeschichtliches Ereignis
betrafen. Die Veröffentlichung eines Urlaubsfoto auf
öffentlicher Straße und ein Bericht von zeitgeschichtlichem
Interesse bebilderte war hingegen rechtens.
263
ibid., Rn. 17.
264
ibid., Rn. 21.
265
ibid., Rn. 18.
266
ibid., Rn. 18.
267
ibid., Rm. 23.
Berufungsgericht meint - auch eine Bindungswirkung
des § 31 BVerfGG nicht entgegen.
In den Untersuchungszeitraum fällt auch die
zweite von Hannover-Entscheidung des
BVerfG, die sich mit der BGH-Entscheidung
vom 6.März 2007 auseinandersetzt. 268 Die
Beschwerdeführende Caroline von Hannover
beruft sich in der Verfassungsbeschwerde im
Wesentlichen auf den EGMR, der in von Hannover
v. Deutschland den Informationswert
der Berichterstattung als Abwägungskriterium
in den Vordergrund gestellt habe. 269 Der
BGH habe ein zu weites Verständnis des zeitgeschichtlichen
Ereignis, die weite Auslegung
würde den Schutz der Privatsphäre gegenüber
dauernder Belästigung und Nachstellung
durch Fotoreporter nicht gewährleisten. 270
Das BVerfG kommt zum Ergebnis, der BGH
habe die berührten Belange „in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise einander
zugeordnet und dabei auch die maßgeblichen
Vorgaben aus der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
berücksichtigt.“ 271 Eine Verletzung des
Grundrechts auf Schutz der Persönlichkeit aus
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1
GG liege nicht vor. Hingegen stellt das BVerfG
im Bezug auf ein Foto eine Verletzung der
Pressefreiheit fest, weil der BGH eine nähere
Würdigung des zum Foto gehörenden Berichts
im Hinblick auf seinen Informationsgehalt
unterlassen habe. 272
Die Nennung der EMRK erfolgt nach der Darlegung
der einschlägigen Grundrechte. Art. 8
EMRK sei eine Schranke der Pressefreiheit, in
der Auslegung und Anwendung der Schranken
müssten die Gerichte ihrer Berücksichtigungspflicht
nachkommen. 273 Dass das Ergebnis
in einer solchen Auslegung und Anwendung
anders ausfallen könnte, zeuge nicht
automatisch von einer mangelhaften Berücksichtigung
der Grundrechte und der EMRK. 274
Das BVerfG verweist anschließend zunächst
grundsätzlich auf den EGMR, um den Schutz
268
BVerfG, 1 BvR 1602/07 vom 26.2.2008.
269
ibid., Rn. 26.
270
ibid.
271
BVerfG, 1 BvR 1602/07 vom 26.2.2008, Rn. 89.
272
ibid., Rn. 104.
273
ibid., Rn. 49.
274
ibid., Rn. 49.
58

vor Veröffentlichung von Fotos in den Schutzbereich
von Art. 8 einzuschließen und zu belegen,
dass sein Verhältnis zu Art. 10 im Wege
einer Abwägung zu bestimmen sei. 275 Anschließend
wird die Schrankenregelung aus
§§ 22 ff. KUG und Art. 10 EMRK besprochen,
wobei auf vier Entscheidungen des EGMR
verwiesen wird. 276
Das BVerfG prüft ausführlich auch, ob der
BGH seiner Berücksichtigungspflicht nachgekommen
ist und verweist die dahingehende
Rüge als unbegründet. 277 Das BVerfG legt im
Folgenden die Eckpunkte der EGMR-
Rechtsprechung zur Rechtskollision von Art. 8
und Art. 10 dar. Diese Darlegung ist umfänglich
und verweist auf sechs Entscheidungen
des EGMR. 278 Welchen Kriterien die Auswahl
dieser Entscheidungen folgt ist nicht ersichtlich.
Das BVerfG verweist auf den EGMR im Bezug
auf
i. den Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung
als ausschlaggebendes
Kriterium die Zulässigkeit der Veröffentlichung
von Fotos von Personen
ii. Die weiteren Faktoren, die in die
Abwägung einzubeziehen sind: Anlass
und Umstände der Entstehung
des Fotos (Heimlichkeit)
i. Die für die Abwägung vorgenommene
Typisierung des EGMR von Politikern
("politicians/personnes
politiques") und "public
figures/personnes publiques" sowie
275
Die Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 EMRK kann auch
einen Anspruch auf Schutz durch die staatlichen Gerichte
vor Veröffentlichung von Bildnissen des Einzelnen aus
seinem Alltagsleben einschließen (vgl. EGMR, vom
24.6.2006, von Hannover gegen Deutschland (Nr.
59320/00), §§ 50 ff., NJW 2004, S. 2647 ). Über
dessen Reichweite im konkreten Fall ist unter Berücksichtigung
der von Art. 10 EMRK gewährleisteten Äußerungsfreiheit
und ihrer in Art. 10 Abs. 2 EMRK geregelten
Schranken im Wege einer Abwägung zu entscheiden (vgl.
EGMR vom 14.6.2005, Minelli gegen Schweiz (Nr.
14991/02); EGMR, vom 17.10.2006, Gourguenidze gegen
Georgien, (Nr. 71678/01) §§ 38 ff.).
276
EGMR, vom 14.12.2006, (Nr. 10520/02)Verlagsgruppe
News GmbH gegen Österreich Nr. 2, § 29; EGMR, vom
24.6.2004, von Hannover gegen Deutschland (Nr.
59320/00), Ziff. 59, EGMR, vom 17.10.2006, (Nr.
71678/01), Gourguenidze gegen Georgien, § 55).
277
BVerfG, 1 BvR 1602/07 vom 26.2.2008, Rn. 98.
ii.
iii.
"ordinary person/personne
ordinaire"
die Auswirkung der Typisierung auf
die Abwägung: öffentliches Informationsinteresse
an einem Bericht erlaubt,
Bilder der betroffenen Person
zu veröffentlichen auch wenn sie
dem Bereich des öffentlichen Alltagslebens
entstammen
Anhaltspunkte zur Konkretisierung
des Begriffs Beitrag von öffentlichem
Interesse: Ermöglichung öffentlicher
Kontrolle auch des privaten Gebarens
einflussreicher Personen etwa
des Wirtschaftslebens, der Kultur
oder des Journalismus
Nach dieser Darstellung kommt der BVerfG
zum Ergebnis, dass es im Einklang mit dem
Grundgesetz stehe, wenn der BGH die ihm im
Fall von Konkretisierung der EGMR-
Rechtsprechung obliegende Einzelfallentscheidung
unter Berücksichtigung der EGMR-
Grundsetzte in eine bestimmte Richtung getroffen
habe: 279
cc) Der Bundesgerichtshof ist in konkreter Würdigung
des Informationsgehalts der vorliegend maßgeblichen
Berichterstattung zu der Einschätzung gelangt,
dass darin für die demokratische Gesellschaft
belangvolle Sachthemen angesprochen worden seien.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
in seinem Urteil vom 24. Juni 2004 nicht grundsätzlich
ausgeschlossen, dass eine Berichterstattung, die
einen Beitrag zur Behandlung für die Allgemeinheit
bedeutsamer Sachfragen leistet, auch mit Abbildungen
aus dem Alltagsleben einer im öffentlichen oder
politischen Leben stehenden Person bebildert werden
dürfe […]. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
dass der Bundesgerichtshof die ihm bei
der konkretisierenden Berücksichtigung der Rechtsprechung
des Gerichtshofs im Einzelfall obliegende
Wertung und Gewichtung dahingehend vorgenommen
hat, dass vorliegend ein hinreichender Informationswert
gegeben war.
Für die Methode der Verweise bleibt hier
mithin festzuhalten, dass Verweise auf den
EGMR in der Darlegung der Grundsätze, auf
dem diese Entscheidung beruht, eine große
Rolle spielen, dass diese aber ein Ergebnis der
Entscheidung ebensowenig wie die Grundrechte
vorgeben. Das BVerfG verweist hier auf
den Beurteilungsspielraum von Fachgerichten
bei der Abwägung komplexer multipolaren
279
ibid., Rn. 101.
59

Grundrechtsverhältnissen. 280 Der vom BVerfG
verfolgte Ansatz wurde treffend als „Korridorlösung“
bezeichnet. 281 In einem solchen verfassungsrechtlichen
Korridor sind unterschiedliche
Ergebnisse in der Sache möglich,
allein bei Verlassen des Korridors wird die
Entscheidung vom BVerfG zurückverwiesen.
282
An der Rechtssache der BVerfG-Entscheidung
lässt sich auch zeigen, welche Maßstäbe der
EGMR an die Berücksichtigung setzt. Der
EGMR war in der Folge der BVerfG-
Entscheidung 2012 mit der Sache befasst und
äußerte sich relativ umfänglich zur Berücksichtigung
von EGMR-Spruchpraxis durch
deutsche Gerichte, insbesondere durch das
BVerfG. Dieses habe eine „detaillierte Analyse“
der Konvention vorgenommen: 283
The Court also observes that the national courts explicitly
took account of the Court’s relevant case-law.
Whilst the Federal Court of Justice had changed its
approach following the Von Hannover judgment, the
Federal Constitutional Court, for its part, had not only
confirmed that approach, but also undertaken a detailed
analysis of the Court’s case-law in response to
the applicants’ complaints that the Federal Court of
280
BVerfG, 1 BvR 1602/07 vom 26.2.2008, Rn. 71 „Es ist
Sache der Fachgerichte, den Informationswert einer
Berichterstattung und ihrer Bebilderung anhand ihres
Bezugs zur öffentlichen Meinungsbildung im konkreten
Einzelfall zu ermitteln und der Pressefreiheit abwägend
die beeinträchtigenden Wirkungen für den Persönlichkeitsschutz
gegenüberzustellen, die mit der Gewinnung
und Verbreitung der Abbildungen verbunden sind. Bei
derartigen Abwägungsentscheidungen verfügen die
Gerichte über einen Einschätzungsspielraum. In Übereinstimmung
hiermit ist auch für die bei der Auslegung der
deutschen Grundrechte bedeutsamen Vorgaben der
Europäischen Menschenrechtskonvention in der Rechtsprechung
des Gerichtshofs ein eigenständiger Beurteilungsspielraum
der nationalen Gerichte anerkannt (vgl.
EGMR, vom 4.12.2007, Dickson gegen Großbritannien
(Nr. 44362/04) Rn. 77 ff.“
281
Hong 288 in Bezugnahme auf die Argumentation der
Bundesregierung in der EGMR-Sache von Hannover v.
Deutschland (Nr. 2), EGMR vom 7.2. 2012 (Nr. 40660/08
und 60641/08), Ziff.81. “The Government argued that
the special nature of certain cases, such as the present
ones, in which the domestic courts were required to
balance the rights and interests of two or more private
individuals lay in the fact that the proceedings before the
Court were in fact a continuation of the original legal
action, with each party to the domestic proceedings
potentially able to apply to the Court. It was precisely for
that reason that one result alone of the balancing exercise
of the competing interests was insufficient, and that there
should be a “corridor” of solutions within the confines of
which the national courts should be allowed to give
decisions in conformity with the Convention.”
282
ibid.
283
EGMR vom 7.2.2012, von Hannover v. Deutschland (Nr.
2) (Nr. 40660/08 und 60641/08), Ziff.125-126.
Justice had disregarded the Convention and the
Court’s case-law.
[..] In those circumstances, and having regard to the
margin of appreciation enjoyed by the national courts
when balancing competing interests, the Court concludes
that the latter have not failed to comply with
their positive obligations under Article 8 of the Convention.
Accordingly, there has not been a violation of
that provision.
Das Gericht schließt sich mithin der Argumentation
der deutschen Regierung an, es habe
ein „Korridor“ möglicher Ergebnisse gegeben.
Bemerkenswert ist weiterhin, dass der EGMR
möglicherweise auch beim Ausbleiben der
„detaillierten Analyse“ seiner eigenen Rechtsprechung
keine Konventionsverletzung festgestellt
hätte. Seine obige Äußerung macht
deutlich, dass es dem Gerichtshof vor allem
um die Anpassung der BGH-Rechtsprechung
an die Sache von Hannover, und die Bestätigung
des neuen Schutzkonzepts durch den
BVerfG, ging.
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu
kritisieren, dass der BGH in späteren Urteilen
zur Sache relativ sporadisch auf den EGMR
verweist. 284
In jüngeren Urteilen des BGH zum Persönlichkeitsrecht
bei der Bildveröffentlichung hat
sich ferner die Varianz und Anzahl der EGMR-
Verweise erhöht: Im an den BGH vom BVerfG
zurückverwiesenen Verfahren 285 kommt es zu
einer noch ausführlicheren Auseinandersetzung
des BGH mit der EGMR-Rechtsprechung.
In seiner Entscheidung vom 6. März 2007
hatte der Gerichtshof sich zwar relativ detailliert
mit der EGMR-Rechtsprechung befasst,
sich dabei aber auf nur zwei Entscheidungen
gestützt. Hier wird nun auf insgesamt acht
Entscheidungen des EGMR verwiesen, Zusätzliche
Urteile, auf die verwiesen wird, sind vor
284 BGH vom 5. Juli 2008, I ZR 96/07, Rn. 17: "Die Bekanntheit
einer Person im öffentlichen Leben kann ein
besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit
begründen, das es rechtfertigen kann, über bestimmte
Verhaltensweisen dieser Person auch mit Namensnennung
und Abbildung zu berichten (vgl. BVerfG, 1
BvR 565/06 vom 13.6.2006, NJW 2006, 2835 Tz. 11; BGH,
Urt. v. 15.11.2005 - VI ZR 286/04, GRUR 2006, 257 Tz. 22
= WRP 2006, 261). Einer Berichterstattung mit Namensnennung
und Abbildung über solche Ereignisse von
gesellschaftlicher Relevanz steht auch nicht der Schutz
der Privatsphäre nach Art. 8 EMRK (vgl. dazu EGMR
GRUR 2004, 1051 Tz. 76 - von Hannover/Deutschland)
entgegen (BVerfG NJW 2006, 2835 Tz. 14 f.; BGH GRUR
2006, 257 Tz. 26; BGH GRUR 2007, 902 Tz. 9).“
285
BGH vom 1. Juli 2008, VI ZR 67/08.
60

allem nach 2007 ergangene Urteile des
EGMR. 286 Aber auch auf Urteile, die vor der
BGH-Entscheidung ergingen, wird verwiesen.
287 Diese Beobachtung deckt sich mit anderen
Beispielen jüngerer BGH- und BVerfG-
Rechtsprechung. wo ebenfalls Varianz und
Häufigkeit der Verweise zugenommen hat. In
weiteren Urteilen von 2008 288 wird auf neun
Entscheidungen verwiesen, darunter ebenfalls
Fälle von vor und nach 2007. 289 Einzig
die Auswahl der EGMR-Entscheidungen ist
nicht immer nachvollziehbar. So verweist zum
Beispiel der BGH in einem Urteil von 2008 290
auf die Sache Wirtschafts-Trend-Zeitschriften-
Verlagsgesellschaft mbH v. Österreich 291 um
den Wert von Unterhaltung für die Pressefreiheit
zu verdeutlichen. Dafür möglicherweise
besser geeignete Rechtssachen wie
News GmbH v. Österreich 292 oder Colaço Mestre
and SIC – Sociedade Independente de
Comunicação, S.A. v. Portugal 293 bleiben unbenannt.
In einer Verfassungsbeschwerde zur Bildberichterstattung
von 2008 294 wird auffällig
selektiv auf den EGMR verwiesen. Laut
BVerfG beträfen die beiden Abwägungskriterien,
dass ein Vorgang von allgemeinem Inter-
286
Im Bezug auf nur den Spielraum, die Gewährleistung
des Art. 10 Abs. 1 EMRK einzuschränken wenn bei einer
Medienberichterstattung einen Bezug zu einer Sachdebatte
von allgemeinem Interesse besteht. Urteile vom 22.
Oktober 2007, Beschwerde-Nr. 21279/02 u.a., Lindon u.a.
gegen Frankreich.
287
EGMR, vom 14.12.2006, Verlagsgruppe News GmbH
gegen Österreich Nr. 2, (Nr. 10520/02) Ziff.29; vom 24.
Juni 2004.
EGMR, vom 1.3.2007, Tønsbergs Blad u.a. gegen Norwegen,
(Nr. 510/04), Ziff.82.
288
BGH vom 28.10.2008, VI ZR 307/07; BVerfG 1 BvR
1602/07 vom 26.2.2008.
289
Zur Unterscheidung des EGMR von Person des öffentlichen
Lebens ("public figure") im Gegensatz zu "ordinary
person". EGMR vom 14.12.2006, Verlagsgruppe News
GmbH v. Österreich Nr. 2 (Nr. 10520/02, § 40) und EGMR,
vom 11.1.2005, Sciacca v. Italien (Nr. 50774/99).
Diese bedeutsame Funktion der Presse kann auch berührt
sein, wenn die Berichterstattung eine Verfehlung ohne
engeren Bezug zum politischen Leben zum Gegenstand
hat (vgl. BVerfG, NJW 2006, 2835, 2836; EGMR, vom 25.
4.2006, Dammann gegen Schweiz (Nr. 77551/01), Ziff.54;
vom 24.11. 2005, Tourancheau und July gegen Frankreich
(Nr. 53886/00), Ziff.66.
290
BGH vom 24. Juni 2008, VI ZR 156/06.
291
EGMR vom 13.12.2005 Wirtschafts-Trend-
Zeitschriftenverlag v. Österreich (Nr. 66298/01).
292
EGMR vom 22.2.2007 Nikowitz v. Österreich (Nr.
5266/03) Ziff.25.
293
EGMR, vom 26.4.2007, Colaco Mestre and Sic. v. Portugal
(Nr. 11182/03 and 11319/03), Ziff.28,
294
BVerfG, 1 BvR 927/08 vom 8.12.2011.
esse oder ein zeitgeschichtliches Ereignis sein
müsse, lediglich die Bildberichterstattung.
Dabei verweist er auf die von Hannover-
Entscheidung des EGMR, in der dieser auf die
Besonderheiten der Bildberichterstattung
hinweist. 295 Der EGMR hatte allerdings die
genannten Kriterien auch in Fällen angewendet,
in denen die Berichterstattung ein Kontextunabhängiges
Foto enthielt und es in erster
Linie um den Inhalt der Wortberichterstattung
ging. 296
6.3.3 „Positive komplexe Verweise“
– Umgangsrecht/Sorgerecht
Nach der oben erwähnten Rechtsache Görgülü
war das Thema Umgangs- und Sorgerecht
auch im Untersuchungszeitraum von 2005 bis
2011 Gegenstand einiger Urteile, in denen
„komplex“ auf den EGMR verwiesen wurde.
Eine zweite Verfassungsbeschwerde desselben
Beschwerdeführers, in der dieser die
Ausweitung der Umgangszeiten begehrt, 297
nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an.
In der Begründung zur Sache wird nicht auf
den EGMR verwiesen. Allerdings erfolgt mittelbar
ein Verweis über die erste Görgülü-
Entscheidung des BVerfG. Auch lässt sich an
der Begründung des BVerfG erkennen, dass
eine Auseinandersetzung mit der Görgülü-
Entscheidung des EGMR auch hier erfolgte.
Die vom EGMR angemahnte Möglichmachung
einer langfristigen Beziehung zwischen Vater
und Kind 298 wurde aufgegriffen. 299 Insofern
295
Ziff.59 “Although freedom of expression also extends
to the publication of photos, this is an area in which the
protection of the rights and reputation of others takes on
particular importance. The present case does not concern
the dissemination of “ideas”, but of images containing
very personal or even intimate “information” about an
individual. Furthermore, photos appearing in the tabloid
press are often taken in a climate of continual harassment
which induces in the person concerned a very strong
sense of intrusion into their private life or even of persecution.”
296
EGMR, vom 22.2.2007, Nikowitz and Verlagsgruppe
News GmbH v. Austria, (Nr.5266/03) Ziff.25
297
BVerfG, 1 BvR 217/07 vom 9.2.2007.
298
Ziff.46: “Instead, the Court of Appeal apparently only
focussed on the imminent effects which a separation from
his foster parents would have on the child, but failed to
consider the long-term effects which a permanent separation
from his natural father might have on Christofer. The
solution envisaged by the District Court, namely to increase
and facilitate contacts between the applicant and
Christofer, who would at an initial stage continue to live
61

wäre hier lediglich aus Gründen des sichtbaren
Dialogs ein expliziter Verweis auf den
EGMR angezeigt gewesen. Dies ist umso mehr
gegeben, als dass das BVerfG eine erste Verfassungsbeschwerde
des Beschwerdeführers
abgelehnt hatte, nachdem ein deutsches Gericht
eine die EMRK verletzende Entscheidung
gefällt hatte.
Nicht zu beanstanden sind fehlende Verweise
auf den EGMR in einer Verfassungsbeschwerde
von 2008. 300 Hier hatte das BVerfG auf die
EGMR-Sache Marckx v. Belgien verwiesen, in
welcher der EGMR den Schutz der Beziehung
zwischen Großeltern und Enkeln in den
Schutzbereich von Art. 8 einbezogen hatte. 301
Von der in Art. 8 enthaltenen positiven Verpflichtung
hatte das BVerfG subsidiär zur
eigenen Rechtsprechung abgeleitet, dass auch
die EMRK die bevorzugte Berücksichtigung
der Familienangehörigen bei der Auswahl von
Pflegern und Vormündern gebiete. 302 Da zu
dieser Frage keine spätere oder speziellere
Entscheidung des EGMR vorliegt, wäre in der
Urteilsbegründung auch keine exaktere Berücksichtigung
möglich gewesen. Insofern ist
auch einer BGH-Entscheidung, die über die
BVerfG referiert und dabei auf den EGMR
verweist, nicht vorzuwerfen die Konvention
oder die Rechtsprechung des EGMR nicht
ausreichend berücksichtig t zu haben. 303
Ausführlich hat sich das BVerfG auch mit dem
Thema Umgangs-/Sorgerecht in Verbindung
mit dem Zaunegger-Urteil des EGMR 304 bewith
his foster family, was seemingly not taken into
consideration.”
299
BVerfG, 1 BvR 217/07 vom 9.2.2007 Rn. 34: Die Entscheidung
befördert vor dem Hintergrund der getroffenen
Sorgerechtsregelung die Intensivierung und Erleichterung
des Aufbaus einer familiären Beziehung zwischen
dem Beschwerdeführer und seinem Kind. Der Umgang
wird auf Übernachtungen des Kindes beim Beschwerdeführer
ausgeweitet und über einen unbestimmten Zeitraum
mit klaren festgelegten Terminen geregelt, um dem
Kind hierdurch einen vom Gericht für erforderlich gehaltenen
festen, verbindlichen zeitlichen Rahmen zu bieten,
der das Kind von Loyalitätskonflikten entlasten soll.
300
BVerfG, 1 BvR 2604/06 vom 18.12.2008
301
Ziff.45 : « Aux yeux de la Cour, la "vie familiale" au sens
de l’article 8 (art. 8) englobe pour le moins les rapports
entre proches parents, lesquels peuvent y jouer un rôle
considérable, par exemple entre grands-parents et petitsenfants.
»
302
BVerfG 1 BvR 2604/06 vom 18.12.2008, Rn. 21.
303
BGH vom 2.2.2011, XII ZB 241/09, Rn. 15.
304
EGMR vom 03.12.2009, Zaunegger v. Deutschland, (Nr.
22028/04).
fasst. 305 Der Gerichtshof hatte hier die gesetzliche
Regelung des §1626a BGB, wonach Väter
nicht-ehelicher Kinder von der elterlichen
Sorge bei Zustimmungsverweigerung durch
die Mutter ausgeschlossen werden, ohne dies
gerichtlich anfechten zu können, als Konventionsverstoß
von Art. 14 in Verbindung mit
Art. 8 EMRK befunden. Vom BVerfG war 2003
eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung
angenommen worden, was Fragen
hinsichtlich der Berücksichtigungspflicht
aufwirft. Der EGMR hatte bereits in früheren
Fällen festgestellt, dass sehr gewichtige Gründe
angeführt werden müssen um eine Andersbehandlung
auf Grundlage des Geschlechts
oder eine Andersbehandlung eines
Kindes danach zu rechtfertigen, ob ein Kind
einer ehelichen oder nichtehelichen Beziehung
entsprungen ist. 306 Diese Argumentation
hat der Gerichtshof auch auf die Andersbehandlung
von Vätern ehelicher Kindern
gegenüber Vätern nichtehelicher Kinder erstreckt.
307 Allerdings hatte das BVerfG die
Regelung aus §1626a BGB insofern in Einklang
mit dem übergeordneten Prinzip des
Kindeswohls und damit des GG gesehen, als
dass die Zustimmungsverweigerung von Müttern
auf einem sich nachteilig auf das Kind
auswirkenden elterlichen Konflikt basiere
und damit nicht Eigeninteressen der Mutter,
sondern der Wahrung des Kindeswohls dienen.
308 Diese Argumentation hatte der Gerichtshof
als „nicht überzeugend“ zurückgewiesen.
309
In seinem Urteil von 2010 stellt das BVerfG
fest, dass die Regelung mit Art. 6 Abs. GG unvereinbar
sei. Die Änderung der Spruchpraxis
begründet das BVerfG bemerkenswerterweise
zunächst mit der auch vom EGMR kritisierten
Inkohärenz der obigen Prämisse zur Zustimmungsverweigerung
von Müttern mit anderen
das Sorgerecht betreffende Regelungen
(§§ 1671 BGB). 310 In einem zweiten Schritt
305
BVerfG, 1 BvR 420/09 vom 21.7.2010
306
EGMR, vom 22.3.1996, Karlheinz Schmidt v. Deutschland
(Nr. 13580/88) Ziff.24; Mazurek v. Frankreich,
Ziff.49.
307
EGMR, vom 8.7.2003, Sommerfeld v. Germany, (Nr.
31871/96) Ziff.93.
308
EGMR vom 03.12.2009, (Nr. 22028/04), Ziff.58.
309
ibid.
310
BVerfG, 1 BvR 420/09 vom 21.7.2010, Rn. 57
62

führt er „vor allem aber“ neue empirische
Erkenntnisse an, die diese Prämisse widerlegen.
311 Insgesamt liest sich das Urteil dabei
wie ein Versuch, die verfassungsgerichtliche
Souveränität und die Kohärenz der eigenen
Rechtsprechung zu konstruieren. Lediglich
wenn der BVerfG die materielle Rechtskraft
der Zaunegger-Entscheidung begründet, tritt
dies zurück. Das BVerfG schließt die weitere
Anwendbarkeit der verfassungswidrigen
Normen bis zu einer Neuregelung durch den
Gesetzgeber mit Verweis auf dann verursachte
Konventionsverletzungen aus:
Vor allem aber hätten die Fachgerichte weiterhin
Normen anzuwenden, die nicht nur unvereinbar mit
dem Grundgesetz sind, sondern mit § 1626a Abs. 1
Nr. 1 BGB auch eine Norm, die vom Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte für unvereinbar mit der
Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt
worden ist, weil sie Art. 14 in Verbindung mit Art. 8
EMRK verletzt […]. Da die Fachgerichte gehalten sind,
im Rahmen der Rechtsanwendung die Gewährleistungen
der Europäischen Menschenrechtskonvention
und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
für Menschenrechte ausreichend zu berücksichtigen
(vgl. BVerfGE 111, 307 ), und
eine Aussetzung einschlägiger Sorgerechtsverfahren
dem verfahrensrechtlichen Beschleunigungsgebot in
Kindschaftssachen zuwiderlaufen könnte, ist es zur
vorübergehenden Sicherstellung eines verfassungsund
konventionsgemäßen Zustandes angezeigt, eine
Übergangsregelung zu treffen.
In einem späteren Fall zu einem ähnlichen
Sachverhalt verweist der EGMR ausschließlich
auf die Verfassungs- nicht aber die Konventionswidrigkeit
der deutschen Gesetzeslage.
312
6.3.4 Weitere „komplexe Verweise“
Umwelteinflüsse, Ausweisungsschutz
Zwei Entscheidungen des BVerfG betreffen
die gerügte Einschränkung des Rechts auf
Schutz des Privatlebens und der Familie
durch Fluglärm. 313 Das BVerfG äußert sich in
diesem Zusammenhang auch generell zur
Berücksichtigungspflicht. Er bejaht die An-
311
ibid., Rn. 59.
312
BVerfG 1 BvR 476/09 vom 19.01.2011.
313
BVerfG 1 BvR 1606/08 vom 29.7.2009; BVerfG, 1 BvR
3474/08 vom 15.10.2009,
wendbarkeit von Art. 8 EMRK auf den Sachverhalt,
314 betont aber, dass die vom EGMR
entwickelten Vorgaben daraus nicht im Rahmen
nur eines der einschlägigen EMRK-Norm
ähnlichen Grundrechts wie Art. 13 Abs. 1 GG
berücksichtigt werden müssten. Die Rechtsprechung
des EGMR zur Umwelteinwirkung
passe sich besser in den Rahmen von Art. 2
Abs. 2 Satz 1 GG und die Eigentumsgarantie
aus Art. 14 Abs. 1 GG. 315 In beiden Entscheidungen
prüft das BVerfG reaktiv auf die Argumentation
der Beschwerdeführer, ob durch
die EMRK/die EGMR ein weitergehender
Schutz gewährleistet wird und verweist dabei
auf zwei Rechtsachen des EGMR. 316 Die Berücksichtigung
ist hier transparent und relativ
ausführlich. 317
Auch zur Verhältnismäßigkeit des Ausweisungsschutzes
ist im Untersuchungszeitraum
komplex auf den EGMR verwiesen worden. In
einem Fall hatte der Verwaltungsgerichtshof
wesentliche Kriterien der EMRK in ihrer Auslegung
durch den EGMR nicht berücksichtigt,
darunter insbesondere die Schutzwürdigkeit
von anderen als familiären sozialen Bindungen.
318 Die bisherige Behandlung der Vereinbarkeit
von Ausweisungen mit Art. 8 EMRK
sei daher unzureichend. Das BVerfG übt sich
anschließend in völkerrechtsfreundlicher
Auslegung indem es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
in Abschiebesachen in der
Auslegung durch den EGMR nachzeichnet und
anwendet. Dieser lasse nicht zu, für die Bewertung
des Gewicht des für eine Ausweisung
sprechenden öffentlichen Interesses allein auf
die Typisierung der den Ausweisungsanlass
bildenden Straftaten abzustellen. Daher genüge
es nicht, ohne Berücksichtigung und Gewichtung
der Tatumstände auf schwerwiegende
Gründe der öffentlichen Sicherheit zu
314
Verweis auf EGMR, vom 8.7.2003, Hatton
u.a./Vereinigtes Königreich (Nr. 36022/97) NVwZ 2004,
S. 1465 Rn. 96 in BVerfG 1 BvR 1606/08, vom 29.7.2009,
Rn. 35.
315
ibid.
316
EGMR, vom 19.1.1998, Powell und Rayner v. Vereinigtes
Königreich (Nr. 9310/81) Ziff.40 ff.; EGMR vom 8.7.2003,
Hatton u.a./Vereinigtes Königreich (Nr. 36022/97)
Ziff.96 ff. und 116 ff.
317
BVerfG 1 BvR 1606/08 vom 29.7.2009 Rn. 35; BVerfG,
1 BvR 3474/08 vom 15.10.2009 Rn. 53.
318
BVerfG, 2 BvR 304/07 vom 10.5.2007, Rn. 35.
63

ekurrieren. Das BVerfG kritisiert den Verweis
auf den EGMR durch den Verwaltungsgerichtshof
als „pauschal“ und mahnt zu unter
Verweis auf die Vorgaben des EGMR zu einer
„differenzierten Würdigung“ an. 319
6.4 Fazit
Die Verweispraxis in Rechtssachen mit Bezug
zu Art. 8 EMRK wurde durch die Diskussion
um Bildberichterstattung und Persönlichkeitsschutz
dominiert. Hier hat im Untersuchungszeitraum
eine Entwicklung hin zu häufigeren
Verweisen und stärkerer Varianz in
den zitierten Entscheidungen stattgefunden.
Das BVerfG und der BGH haben sich in vielen
Fällen sehr ausführlich mit der Rechtsprechung
des EGMR auseinandergesetzt und
dabei auch die Entwicklung des neuen
Schutzkonzeptes an den Vorgaben des EGMR
orientiert.
Gleichzeitig gibt es im Untersuchungszeitraum
aber auch Entscheidungen, in denen die
Auswahl zitierter Entscheidungen nicht nachvollziehbar
ist oder selektiv auf eine differenzierte
Darstellung der EGMR-Rechtsprechung
scheinbar verzichtet wird.
Im weiteren Schwerpunkt der Verweise, dem
Sorge- und Umgangsrecht, hat das BVerfG
mehrmalig auf die explizite Berücksichtigung
verzichtet und der EGMR in diesen Rechtssachen
später eine Konventionsverletzung festgestellt.
In weiteren Fällen wird häufig mittelbar
auf den EGMR verwiesen, was die Berücksichtigungspflicht
transparenter macht als
„stille Verweise“.
319
Rn. 42. „Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof in der
angegriffenen Entscheidung pauschal darauf beruft, dass
der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung großes Verständnis
für eine konsequente Bekämpfung der Drogenkriminalität
durch die Konventionsstaaten aufbringe,
genügt dies diesen Anforderungen nicht und wird im
Hauptsacheverfahren einer differenzierenden Würdigung
zu weichen haben. Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit
der Ausweisungsverfügung erfordert angesichts der
Vielschichtigkeit der dabei zu berücksichtigenden tatsächlichen
Umstände und der rechtlichen Komplexität
eine umfassende Prüfung unter Einbeziehung der aktuellen
Entwicklung des Beschwerdeführers (vgl. EGMR, vom
2.8.2001. Boultif v. Schweiz (Nr. 54273/00); EMGR vom
31.10.2002 Yildiz v. Türkei (Nr. 37295/97).
64

7. Sonstige „komplexe“ Verweise
7.1 Verweis auf Konventionsrecht
als Ausdruck des völkerrechtlichen
Standards,
Einbindung in EU
Neben den oben genannten Bereichen häufig
wiederkehrender Rechtsfragen lassen sich in
der Rechtsprechung des BGH und des BVerfG
noch vereinzelt andere Rechtsfragen ausmachen,
in denen „komplexe“ Verweise erfolgen.
Diese betreffen Fragen der Gerichtsbarkeit,
Reparaturzahlungen an Opfer der deutschen
Besetzung Griechenlands, das Folterverbot,
oder den Eigentumsschutz aus Art. 1 ZP1.
Die Verweise auf die Konventionsnormen und
ihre Auslegung durch den EGMR erfolgen im
Hinblick auf die „gebotene völkerrechtsfreundliche
Auslegung des Grundgesetzes“. 320
Die Vorgaben der EMRK in ihrer Auslegung
durch den EGMR werden damit unter die
„völkerrechtlichen Maßgaben“, die „internationalen
Standards in Menschenrechtsfragen“
321 oder auch „für alle europäischen Staaten
rechtverbindliche Rechtsgrundsätze“
gefasst. 322 In einer Verfassungsbeschwerde
von 2006 zur Verpflichtung Deutschlands,
Reparaturzahlungen für Enteignungen unter
deutscher Besatzung Griechenlands zu leisten,
führt das BVerfG die Rechtspruchpraxis des
EGMR zur Frage der Staatenimmunität als
Ausdruck des geltenden Völkerrechts an. 323
Der EGMR hatte im einschlägigen Verfahren
das Völkerrecht dahingehend ausgelegt, dass
die Staatenimmunität vor zivilrechtlichen
320
BVerfG, 1 BvR 2624/05 vom 20.7.2011 Rn. 42
321
Im Bezug auf die Zwangsbehandlung eines Strafgefangene
in BVerfG, 2 BvR 882/09 vom 23.3.2011, Rn. 66.
322
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009 Rn. 283.
323
BVerfG, 2 BvR 1476/03 vom 15.2.2006 Rn. 18.
Ansprüchen für außerhalb des Territoriums
begangene Folter schütze. 324
Auch in der Prüfung der Rechtsschutzstandards
des europäischen Patentamts, in der
Frage, ob supranationale Rechtsakte im Wege
einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden
können, zog das Bundesverfassungsgericht
die Rechtsprechung des EGMR heran. 325 Diesbezüglich
hat das BVerfG ausgeführt, dass das
vom europäischen Patentabkommen eingerichtete
Rechtsschutzsystem im Wesentlichen
der des Art. 24 (1) GG entspreche. 326 Dabei
verweist es auch auf die Entscheidung des
EGMR, welches einen konventionsadäquaten
Rechtschutzstandard des europäischen Patentamtes
in seiner Rechtsprechung bejaht. 327
Auch in den Organstreitverfahren zum Vertrag
von Lissabon stellt das BVerfG einen
Zusammenhang zwischen der Einbindung
Deutschlands in supranationale Organisationen
und seinen Verpflichtungen aus der Europäischen
Menschenrechtskonvention her. 328
Bei der Vereinbarkeitsprüfung des Zustimmungsgesetzes
zum Vertrag von Lissabon
prüfte es vorrangig das erreichte Niveau
selbstständiger Herrschaftsausübung auf
europäischer Ebene. Dabei ging es im
324
EGMR, vom 21.11.2001, Al-Adsani v. Vereintes Königreich,
(Nr. 35763/97) Ziff.66: « la Cour ne juge pas établi
qu'il soit déjà admis en droit international que les Etats
ne peuvent prétendre à l'immunité en cas d'actions civiles
en dommages-intérêts pour des actes de torture qui
auraient été perpétrés en dehors de l'Etat du for. ».
325
BVerfG, 2 BvR 2253/06 vom 27.1.2010.
326
BVerfG, 2 BvR 2253/06 vom 27.1.2010 Rn. 21.
327
BVerfG, 2 BvR 2253/06 vom 27.1.2010 Rn. 20. Der
Verweis erfolgt dabei auf das Urteil Waite und Kennedy
gegen Deutschland (EGMR, vom 18.2.1999 (Nr.
26083/94)), in welchem der EGMR eine Konventionsverletzung
verneint und die Immunität internationaler
Organisationen vor der deutschen Gerichtsbarkeit für
diejenigen Fälle als zulässig erachtet, in denen ein adäquater
Rechtsschutz zur Wahrung fundamentaler Rechte
vorausgesetzt werden kann (Ziff.68).
328
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009.
65

Zusammenhang mit dem Wahlgesetz und der
Strafrechtspflege auch auf die europäischen
Standards ein, welche aus der Rechtsprechung
des EGMR hervorgehen. 329 Bezüglich
des Grundrechtsschutzes der EU erwähnt
das BVerfG den Art. 6 (2) des Vertrages von
Lissabon der die EU „ermächtigt und verpflichtet“
der EMRK beizutreten. 330
7.2 Vergleich mit dem Sachverhalt
eines EGMR-Urteil
Sofern ein Beschwerdeführer eine Verfassungsbeschwerde
mit dem Verweis auf ein
EGMR-Urteil begründet, welches in einem
ähnlichen Fall eine Konventionsverletzung
festgestellt hat, vergleicht das BVerfG ob die
Umstände des EGMR entsprechend vorliegen.
In einer Verfassungsbeschwerde gegen die
Zwangsmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft
331 rügte der Beschwerdeführer die
Verletzung seiner Grundrechte in Bezugnahme
auf das EGMR Urteil Chassagnou v. Frankreich.
332 Darin hatte der EGMR entschieden,
dass eine solche Zwangsmitgliedschaft in die
Beschwerdeführer in ihren Rechten aus Art.
11, 14 und Abs. 1 des ZP 1 verletze. Das
BVerfG argumentierte, dass sich der vorliegende
Fall von dem Fall Chassagnou unterscheide,
und zitiert den EGMR selektiv. Das
BVerfG führt etwa an, dass die Zwangsmitgliedschaft
im Einklang mit dem Chassagnou
v. Frankreich stünde, „wonach es unzweifelhaft
im Allgemeininteresse liegt, eine ungeordnete
Jagdausübung zu vermeiden und
eine vernünftige Hege und Pflege des Wildbestandes
zu fördern […].“ Die Bejahung des
Allgemeininteresses war allerdings nur Teil
der spezifischen Prüfungssystematik des
EGMR, in der dem Eingriff die Verfolgung
eines legitimes Ziel zuerkannt wurde. 333 Die
Verhältnismäßigkeit des Eingriffs hatte der
329
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009 Rn. 253, 283.
330
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009 Rn. 35.
331
BVerfG, 1 BvR 2084/05 vom 13.12.2006.
332
EGMR, vom 29.4.1999, Chassagnou v. Frankreich (Nr.
25088/94).
333
EGMR, vom 29.4.1999, Chassagnou v. Frankreich (Nr.
25088/94) Ziff.79 (unter dem ersten Punkt : « but de
l’ingérence »).
EGMR allerdings trotz des legitimen Ziels klar
verneint. 334
Nachdem das BVerfG eine Grundrechtsverletzung
verneint hatte wurde der Fall auch vom
EGMR entschieden. 335 Auch der EGMR verweist
auf die Unterscheidung zu Chassagnou,
um mit knapper Mehrheit eine Konventionsverletzung
zu verneinen. Diese Umkehrung in
der Rechtsprechung des EGMR wurde von
drei Richtern in einer gemeinesamen abweichenden
Meinung unter Verweis auf die
Ähnlichkeit der Fälle „zutiefst bedauert“. 336
Der Fall ist derzeit vor der Großen Kammer
des EGMR anhängig. 337 Die Verweise des
BVerfG in dieser Verfassungsbeschwerde
lassen sich schwer bewerten. Auf der einen
Seite scheint es als habe das BVerfG durch
„selektive“ Verweise vermeiden wollen, in
diesem Fall der Rechtsprechung des EGMR zu
folgen. Andererseits ist die Position des EGMR
zu diesem Thema kontrovers und unklar, wie
sich auch in den abweichenden Meinungen im
Fall Chassagnou und im Fall Herrmann v.
Deutschland 338 und dem Verweis vor die Große
Kammer zeigt. Vor dem Hintergrund dieser
Unschärfe ist die Position des BVerfG gegenüber
der des EGMR in diesem Falle nicht zu
beanstanden, wenngleich die Methodik des
Verweises kritisiert werden kann.
7.3 Verweise auf den EGMR als
Auslegungshilfe verfassungsrechtlicher
Begriffe
334
Ibid. Ziff.85: „En conclusion, nonobstant les buts légitimes
recherchés par la loi de 1964 au moment de son
adoption, la Cour estime que le système de l'apport forcé
qu'elle prévoit aboutit à placer les requérants dans une
situation qui rompt le juste équilibre devant régner entre
la sauvegarde du droit de propriété et les exigences de
l'intérêt général : obliger les petits propriétaires à faire
apport de leur droit de chasse sur leurs terrains pour que
des tiers en fassent un usage totalement contraire à leurs
convictions se révèle une charge démesurée qui ne se
justifie pas sous l'angle du second alinéa de l'article 1 du
Protocole n o 1. Il y a donc violation de cette disposition.“
335
EGMR, vom 20. Januar 2011, Herrmann v. Deutschland,
(9300/07).
336
Ibid., Abweichende Meinung der Richter Lorenzen,
Berro-Lefèvre und Kalaydjeva
337
Die Anhörung fand am 30 November 2011 statt.
338
EGMR vom 2o.01.2011 (Nr. 9300/07).
66

7.3.1 Positive Verpflichtungen des
Staates
Das BVerfG führt in der Auslegung des Grundgesetztes
die Rechtsprechung des EGMR zu
positiven Verpflichtungen aus Art. 2 und Art.
3 EMRK, speziell zur Verpflichtung des Staates
zur Untersuchung von verdächtigen Todesfällen,
an. 339 Bei Verletzung grundrechtlich
geschützter Rechtsgüter durch Private könne
ein grundrechtlicher Anspruch auf Strafverfolgung
bestehen, wenn der Verzicht auf eine
Untersuchung zu einer ernstlichen Gefahrenlage
für Leben und Gesundheit führen könne.
340 Das BVerfG verweist hier auf den EGMR,
der in seiner Rechtsprechung vorrangig aus
Art. 2 und 3 EMRK positive Verpflichtungen
für den Staat herleitet, welche auch die Pflicht
wirksamer Ermittlungen, bei Todesfällen
durch Gewalteinwirkung beinhalten. 341 Das
BVerfG führt in seiner Entscheidung die Bedingungen
aus, welche der EGMR an „wirksame
Ermittlungen“ stellt. 342 Darauf folgend
prüft es am konkreten Sachverhalt, ob diesen
Anforderungen genügt wurde, um zu beurteilen
ob der Staat in konventionskonformer
Weise seinen Verpflichtungen nachgekommen
ist. 343 Im vorliegenden Fall kommt das BVerfG
zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung den
konventionsrechtlichen Anforderungen genügt.
7.3.2 Definition der Folter in der
Auslegung der Menschenwürde
Das Folterverbot wird im innerstaatlichen
Recht aus dem Schutz der Menschenwürde
339
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 4.2.2010.
340
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 4.2.2010 Rn. 19.
341
EGMR, vom 27.9.1995, McCann u.a. v. Vereinigtes
Königreich (Nr. 18984/91), Ziff.161; vom 2.9.1998, Yasa c.
Türkei, (Nr. 22495/93) Ziff.100; vom 22. März 2005,
Güngör/Türkei (Nr. 28290/95), Ziff.67.
342
BVerfG, 2 BvR 2307/06 vom 4.2.2010 Rn. 20: „Die
Ermittlungen müssen prompt, umfassend, unvoreingenommen
und gründlich sein. Sie müssen darüber hinaus
geeignet sein, zur Identifizierung und Bestrafung der
verantwortlichen Person zu führen.“
343
Ibid. Rn. 22: „Heranziehung als Auslegungshilfe bedeutet
dabei auch, sich bei der Überprüfung, ob der Staat
dieser Verpflichtung nachgekommen ist, mit den vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten
Anforderungen an eine effektive Untersuchung
auseinanderzusetzen.“
aus Art. 1 Abs.1 hergeleitet und ist auch in Art.
104 Abs. 1 verankert. In der EMRK ist das
Folterverbot explizit in Art. 3 festgelegt, der
auch keine “interne“ Schranke oder Derogationsmöglichkeit
vorsieht. In einigen Fällen
bezüglich der Unterbringung von Strafgefangenen
prüfte das BVerfG auf Grundlage des
Art. 1 Abs.1 GG, inwieweit Haftbedingungen in
den Bereich unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Strafe fallen können.
344 Das BVerfG verweist in diesem
Zusammenhang auf die EGMR-Sache
Kalashnikov v. Russland. 345 Es übernimmt die
Kriterien des EGMR, um den Schutzbereich
von Artikel 3 EMRK zu definieren und berücksichtigt
dies in seiner Auslegung der Menschenwürde.
346 Durch den Verweis auf
Kalashnikov hat das BVerfG die Haftbedingungen
des Beschwerdeführers mit einer der
Situation russischer Haftverhältnisse verglichen
um zu dem Schluss zu kommen, dass
vorliegend eine fehlende räumliche Abtrennung
der sanitären Anlagen in Hafträumen
keine unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung darstellt. Vergleichbar hiermit
verweist das BVerfG auch auf den EGMR um
die Überbelegung eines 11,7 m² großen Haftraums
für zwei Personen zu verneinen .347 Der
Verweis erfolgt dabei auf ein Urteil des EGMR,
in dem dieser die Belegung einer 12 m² großen
Zelle mit sechs Personen als Verstoß
gegen Art. 3 gewertet hatte. 348 Der EGMR
hatte dabei unter Bezugnahme auf die Richtlinien
des European Committe for the
Prevention of Torture eine Haftraumgröße
von mindestens 4 m 2 pro Person als erforderlich
für eine menschenwürdige Unterbringung
erachtet. 349 Das BVerfG hat vorliegend geprüft,
ob die Mindestanforderungen die der
EGMR an die Haftraumgröße stellt, eingehalten
wurden., orientiert sich dabei allerdings
an einem von Meinungen des nationalen
Schrifttums abweichenden Minimalstandard,
der keinen weitreichenderen Schutz des Be-
344
BVerfG, 2 BvR 939/07 vom 13.11.2007.
345
EGMR vom 15.07.2002, Kalashnikov v. Russland, (Nr.
47095/99).
346
BVerfG, 2 BvR 2201/05 vom 13.11.2007.
347
BVerfG, 2 BvR 2201/05 vom 13.11.2007 Rn. 11.
348
EGMR, vom 12.7.2007, Testa v. Kroatien, (Nr.
20877/04) Rn.56 ff.
349
Ibid.
67

troffenen zur Folge hat. Dies wird auch in
einer Entscheidung des BGH zu derselben
Problematik deutlich. 350 In diesem Fall hatte
das Berufungsgericht dem Kläger eine Entschädigung
über 2300 Euro wegen menschenunwürdiger
Behandlung, aufgrund der
zu geringen Grundfläche pro Person zuerkannt,
die deutlich unter der in der Literatur
als Mindestgrenze angeführten Größe liege. 351
Das beklagte Land hatte auf das Urteil Testa v.
Kroatien 352 hingewiesen und argumentiert, es
liege nach den Anforderungen des EGMR keine
unwürdige Behandlung vor. Der BGH führte
dazu an, „die etwaige Einhaltung des dort
niedergelegten und für die Konventionsstaaten
verbindlichen Mindeststandards hindert
nicht eine tatrichterliche Würdigung, dass
bestimmte Haftbedingungen gegen das
Grundgesetz verstoßen.“ 353 Ein Verweis auf
den EGMR kann somit auch eine Orientierung
an einem „Minimalstandard“ bedeuten, der in
bestimmten Fällen unter dem innerstaatlich
anerkannten Niveau liegen kann.
7.3.3 Schutzbereich und Begrenzung
des Eigentumsbegriffs
Einige Verweise des BGH und des BVerfG
betreffen den Eigentumsbegriff aus Artikel 1
des ZP 1 EMRK. Der BGH weist explizit auf
den Gewährleitungsgehalt dieser Norm hin,
welcher bei der Auslegung und Anwendung
innerstaatlichen Rechts berücksichtigt werden
muss. 354 Die Verweise auf die Rechtsprechung
des EGMR erfolgen dabei häufig in
Reaktion auf ein Einbringen dieser Norm
durch die Revision oder den Beschwerdeführer
und dienen dazu sowohl den Schutzbereich
als auch die Schranken der Norm genauer
zu definieren. So führt das BVerfG beispielsweise
aus, dass nach ständiger Rechtsprechung
des EGMR nicht nur „existing possessions“
sondern auch „legitimate
expectations“ in den Schutzbereich des Art. 1
ZP 1 fallen. 355 Unter diese fallen jedoch, nach
ständiger Rechtsprechung des EGMR keine, in
Folge des zweiten Weltkrieges entzogenen
Eigentumsrechte, wie das BVerfG in einer
Verfassungsbeschwerde bezüglich Enteignungen
unter sowjetischer Besatzungsmacht
anführt. 356
Häufig geht es bei den Verweisen darum festzustellen,
ob aus der Konventionsnorm ein
weiterer Schutz als aus den Normen des
Grundgesetzes folgt. 357 In Bezug auf Zahlungsansprüche
gegen den Staat ist hierbei
die Schwierigkeit, dass aus der Rechtsprechung
des EGMR wegen des eingeräumten
Ermessensspielraums keine Ansprüche in
gewisser Höhe abzuleiten. 358 Auf diesen Ermessenspielraum
können sich nationale Gerichte
berufen, solange der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
gewahrt ist. 359
Bezüglich der stufenweisen Abschaffung des
Sterbegeldanspruches hat das BVerfG darauf
hingewiesen, dass aus der Rechtsprechung
des EGMR keine weitreichenderen Ansprüche
an eine Rückwirkung zu stellen sind, als diejenigen
die aus dem Grundgesetz hervorgehen.
360
Bei Enteignungen verweist der BGH auch auf
die Rechtsprechung des EGMR, der einen
Verstoß gegen Art. 1 ZP 1 nur in den Fällen
zuerkennt, in denen diese Enteignung ohne
gesetzliche Grundlage erfolgt, nicht im öffentlichen
Interesse liegt, oder unverhältnismäßig
ist. 361
Die Auslegung des Eigentumsschutzes wird
mithin durch die Verweise auf die EMRK in
der Interpretation durch den EGMR konkretisiert.
Die explizite Berücksichtigung erscheint
zumeist als Reaktion auf die Argumentation
des Beschwerdeführers. Daraus gehen jedoch
keine erweiterten Ansprüche der Beschwerdeführer
hervor, was die Zahlung von Sozialleistungen
und Rentenansprüchen betrifft.
350
BGH vom 11. März 2010 III ZR 124/09.
351
Ibid. Rn. 3.
352
EGMR, vom 12.7.2007, Testa v. Kroatien (Nr.
20877/04) Ziff. 56 ff.
353
Ibid.
354
BGH vom 4.9.2005, IV ZR 198/04, Rn. 14.
355
BVerfG, 2 BvR 955/00 vom 26.10.2004, Rn. 145.
356
BVerfG, 2 BvR 955/00 vom 26.10.2004 Rn. 148.
357
BVerfG, 1 BvR 2624/05 vom 20.7.2011; BGH vom
20.Juni 2008, V ZR 149/07.
358
Meyer-Ladewig, EMRK- Handkommentar, Artikel 1
Z¨P1.
359
BGH, vom 17.9.2007, IV ZR 191/05 Rn. 24.
360
BVerfG, 1 BvR 2624/05 vom 20.7.2011 Rn.42.
361
BGH, vom 20. Juni 2008, V ZR 149/07, Rn. 28.
68

7.4 Fazit
Das BVerfG berücksichtigt die Rechtspruchpraxis
des EGMR in seiner eigenen Rechtsprechung
bei der Auslegung verfassungsrechtlicher
Begriffe sowie bei der Anwendung
konventionsrechtlicher Prinzipien. Bei der
Einbindung in supranationale Organisationen
prüft das BVerfG den Menschenrechtsstandard
an den Maßstäben der Konvention, es
verweist ferner auf den EGMR als Referenz für
die völkerrechtliche Frage der Staatenimmunität.
Insgesamt vermeidet das BVerfG dabei
Widerspruch zu den Entscheidungen des
EGMR, konnte allerdings durch selektives
Verweise auch einen anderen Standpunkt als
der EGMR begründen. Die Berücksichtigung
der Rechtsprechung des EGMR hat nicht
zwangsläufig einen größeren Schutz zur Folge.
Wie die Fälle zum Eigentumsschutz, den
Haftbedingungen oder zu den Schadensersatzansprüchen
aus Kriegshandlungen beweisen,
wird die Referenz zum EGMR gerade
auch herangezogen um zu begründen, dass
auch aus der Konvention kein weitreichenderer
Schutz hergeleitet werden kann oder dass
ein „Minimalstandard“ eingehalten worden
ist.
69

8. Ergebnis und Schlussbetrachtung
Erklärtes Ziel des Berichts war die Analyse
und Bewertung der Form der Berücksichtigung
sowie damit auch der Wirkung der
EGMR-Rechtsprechung im BGH und dem
BVerfG.
Die Analyse bestätigt zunächst die intuitiven
Befunde, dass besonders häufig auf den EGMR
verwiesen wird, wenn in einer ähnlichen
Rechtssache durch den EGMR eine Konventionsverletzung
festgestellt wird sowie bei
Grund- bzw. Menschenrechten, die nicht explizit
im GG normiert sind. Dazu gehört insbesondere
die Unschuldsvermutung. Das Ungleichgewicht
zugunsten des BGH in der Häufigkeit
der Verweise lässt sich aus der Stellung
als höchstes Strafgericht erklären, die häufige
Verweise auf Art. 6 EMRK in der Auslegung
durch den EGMR begründen.
Die eingangs festgestellte Disparität zwischen
Verweisen auf die EMRK und demgegenüber
relativ seltenen Verweisen auf den EGMR folgt
nicht aus einer eigenständigen Anwendung
der Konvention durch BGH oder BVerfG. Eigenständige
Auslegungen der EMRK, ohne
dass es zur Nennung von EGMR-
Rechtsprechung kommt, sind extrem selten.
Das heißt, dass dort wo eine intensivere Auseinandersetzung
mit der Konvention erfolgt,
auch nahezu ausnahmslos auf Rechtsprechung
verwiesen. Die Detailanalyse hat
auch nicht ergeben, dass dort, wo der Verweis
auf den EGMR bei gleichzeitiger Nennung der
EMRK (z.B. nach Widergabe der Rüge einer
Beschwerdeführerin, sie sei in ihren Rechten
aus der EMRK verletzt), ein Verweis aus anderen
Gründen denn der Transparenz und des
gerichtlichen Dialogs angezeigt gewesen wäre.
Die Untersuchung war auf solche Fälle beschränkt,
in denen explizit auf die EMRK oder
den EGMR verwiesen wurde. Die implizite,
oder „stille“ Berücksichtigung der Konvention
bleibt hinter der Argumentation der Gerichte
verborgen. Eine implizite Berücksichtigung ist
im Lichte der „Ergebnispflicht“ der EMRK-
Vertragsstaaten, die in der EMRK gewährten
Rechte zu achten und zu schützen, durchaus
ausreichend sofern sie dieses Ergebnis produziert.
Die EMRK räumt den Konventionsstaaten
Spielraum dabei ein, wie sie die Konformität
des nationalen Rechtssystems mit der
EMRK sicherstellen. Insbesondere folgt aus
der Konvention keine Pflicht zur Inkorporation
derselben ins nationale Recht.
Das rechtliche Konzept der Berücksichtigungspflicht
der EMRK galt während des gesamten
Untersuchungszeitraums in deutschen
Gerichten, dementsprechend erlaubt die Gesamtschau
der Erhebung und Detailanalyse
auch, eine vorläufige Bilanz über die Anwendung
der Berücksichtigungspflicht zu ziehen.
Eine „stille“ Berücksichtigung findet spätestens
dort ihre Grenze, wo anhaltend Konventionsverstöße
vorliegen. Dies ist in Deutschland
nicht der Fall. Nichtsdestoweniger sind
die Verfasser der Ansicht, dass auch darüber
hinaus, das heißt dort wo keine konventionswidrigen
Entscheidungen getroffen werden,
eine explizite Berücksichtigung der stillen
Berücksichtigung vorzuziehen ist.
Im Untersuchungszeitraum nach der Görgülü-
Entscheidung des BVerfG gab es mehrere
Konventionsverstöße, deren vorangegangene
Verfassungsbeschwerden ohne explizite
EMRK/EGMR-Berücksichtigung als unbegründet
abgewiesen wurden. Dies muss notwendigerweise
auch die Anwendung der Berücksichtigungspflicht
in Frage stellen.
Insofern ist zu begrüßen, dass sich eine leichte
Tendenz hin zu ausführlicherer, expliziter
Berücksichtigung durch die beiden Gerichte
feststellen lässt. Zweifellos wird die EGMR-
Rechtsprechung vom BGH und dem BVerfG
70

ernst genommen und auch herangezogen, um
Gewährleistungen des GG zu konkretisieren.
So scheint sich im Bezug auf den Persönlichkeitsschutz
bei Bildberichterstattung mit der
vom EGMR ausdrücklich übernommenen,
vom BVerfG vorgeschlagenen „Korridorlösung“
bei der Anwendung des geänderten,
abgestuften Schutzkonzepts eine konventionskonforme
Rechtspraxis etabliert zu haben.
Vorangegangen ist dem eine sehr ausführliche
Berücksichtigung und Auseinandersetzung
mit der Rechtsprechung des EGMR.
Problematisch bleiben nach wie vor die Bereiche
Umgangsrecht und Sicherheitsverwahrung.
Der BGH hat sich im Bezug auf die
Sicherheitsverwahrung sehr ausführlich mit
der EGMR-Rechtsprechung auseinander gesetzt
was bis zur gesetzlichen Neuregelung
die die Feststellung von Konventionsverletzungen
durch den EGMR verhindern sollte.
Solche explizite ausführliche Berücksichtigung
der EMRK in der Rechtsprechung des
EGMR wurde vom EGMR jüngst begrüßt. Zur
konventionskonformen Auslegung deutscher
Regelungen des Umgangsrechts gibt es nach
wie vor keine höchstrichterliche Rechtsprechung.
Insgesamt ergibt sich eine gemischte Bilanz,
in die sowohl selektive Verweise, fehlende
Verweise oder unklare Berücksichtigung, als
auch sehr ausführliche Auseinandersetzungen
mit der EGMR-Rechtsprechung eingehen. Die
starke und differenzierte „Grundrechtskultur“
362 erscheint nach wie vor zu prägend, als
dass es zu einer umfangreichen expliziten
Berücksichtigung käme. Die Rechtsprechung
ist allerdings gleichzeitig völkerrechtsfreundlicher
geworden und vermeintliche Konflikte
zu Fragen zur Bindungswirkung haben an
Dramatik verloren. Dies ist vor allem dem
verstärkten Dialog durch das BVerfG zu verdanken.
Für eine bessere Bewertung der tatsächlichen
Anwendung der Berücksichtigungspflicht
wäre schließlich auch ein Vergleich mit anderen
Mitgliedsstaaten des Europarates lohnenswert.
Hier wäre insbesondere eine Analyse
der Verweispraxis in Ländern lohnend, in
denen die EMRK eine ähnliche Position im
innerstaatlichen Rechtssystem einnimmt wie
in Deutschland.
Ausgehend von den Beobachtungen der Analyse
ist zu fragen, inwiefern der Konvention
zu noch stärkerer Berücksichtigung im BGH
und dem BVerfG verholfen werden sollte.
Dies ist zunächst eng verknüpft mit der Diskussion,
wie der EMRK innerstaatlich am
wirkungsvollsten Geltung zu verschaffen ist.
Dabei sind verschiedene Ansätze, die nicht
notwendigerweise strikt voneinander getrennt
werden müssen, denkbar. Zum einen
könnten die in der EMRK gewährten Rechte
allgemeine Regeln des Völkerrechts begründen.
Sie könnten weiterhin in das Rechtsstaatsprinzip
zu inkorporieren seien, oder,
wie bisher, als Auslegungsmaximen für das
GG gelten. 363 Um auf Grundlage der hier analysierten
Berücksichtigungspflicht eine Beurteilung
für eine veränderte Position der EMRK
in der deutschen Rechtsordnung zu geben
wäre verfrüht.
362
Grothe, Thilo, Marhaun, Rainer (Hrsg.), Konkordanzkommentar
zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz
(Tübingen: Mohr Siebeck 2009), S. 96.
363
ibid. S. 94.
71

Anhang
A1 Übersicht über EGMR-Fälle gegen Deutschland seit 01.01.2005, in
denen eine Konventionsverletzung festgestellt wurde (absteigend)
Datum EGMR-
Entscheidung
Streitparteien Beschwerdenummer(n) Konventionsverletzung
betrifft
Artikel
EMRK
07.02.2012 Axel Springer AG v. Deutschland Nr. 39954/08 Art. 10
15.09.2011 Schneider v. Deutschland Nr. 17080/07 Art. 8
13.01.2011 Haidn v. Deutschland Nr. 6587/04 Art. 5
13.01.2012 Schummer v. Deutschland (Nr. 1) Nr. 27360/04; 42225/07 Art. 5(1); 7(1)
21.12.2010 Anayo v. Deutschland Nr. 20578/07 Art. 8
16.12.2010 Dudek v. Deutschland Nr. 39778/07; 11171/08;
43336/08; 52719/08;
15895/09; 16123/09;
16127/09; 16129/09;
27529/09; 27533/09;
27596/09
Art. 6(1)
18.11.2010 Wagner v. Deutschland Nr. 38187/08 Art. 6(1)
21.10.2010 Schliederer v. Deutschland Nr. 2651/07 Art. 6(1)
21.10.2010 Ewald v. Deutschland Nr. 2693/07 Art. 6(1)
21.10.2010 Grumann v. Deutschland Nr. 43155/08 Art. 6(1)
21.10.2010 Träxler v. Deutschland Nr. 32936/09 Art. 6(1)
21.10.2010 Niesen v. Deutschland 32513/08 Art. 6(1)
23.09.2012 Schüth v. Deutschland Nr. 1620/03 Art. 8
02.09.2012 Rumpf v. Deutschland Nr. 46344/06 Art. 6(1); 13
24.06.2010 Perschke v. Deutschland Nr. 25756/09 Art. 6(1); 13
24.06.2010 Afflerbach v. Deutschland Nr. 39444/08 Art. 6(1); 13
24.06.2010 Schädlich v. Deutschland Nr. 21423/07 Art. 6
24.06.2010 Kuchejda v. Deutschland Nr. 17384/06 Art. 6(1)
30.03.2010 Ritter-Coulais v. Deutschland Nr. 32338/07 Art. 6(1)
30.03.2010 Sinkovec v. Deutschland Nr. 46682/07 Art. 6(1)
30.03.2010 Volkmer v. Deutschland Nr. 54188/07 Art. 6(1); Art. 13
25.03.2010 Petermann v. Deutschland Nr. 901/05 Art. 9(1)
25.03.2010 Wetjen v. Deutschland Nr. 30175/07 Art. 6(1); 13
25.03.2010 Reinhard v. Deutschland Nr. 485/09 Art. 6(1)
22.12.2009 Kressin v. Deutschland Nr. 21061/06 Art. 6 (1)
22.12.2009 Jesse v. Deutschland Nr. 10053/08 Art. 6 (1)
17.12.2009 M v. Deutschland Nr. 19359/04 Art. 5(1)/ 7(1)
03.12.2009 Zaunegger v. Deutschland Nr. 22028/04 Art. 8
28.05.2009 Brauer v. Deutschland Nr. 3545/04 Art. 14
13.11.2008 Omer v. Deutschland Nr. 26073/03 Art. 6
16.11.2008 Leela Förderkreis e.V. und andere Nr. 58911/00 Art. 6
v. Deutschland
23.07.2006 Storck v. Deutschland Nr. 38033/02 Art. 6
11.07.2006 Jalloh v. Deutschland Nr. 54810/00 Art. 3
72

25.10.2005 Niedzwiecki v. Deutschland Nr. 58453/00 Art. 14
25.10.205 Okpisz v. Deutschland Nr. 59140/00 Art. 14
28.04.2005 Buck v. Deutschland Nr. 41604/98 Art. 8
A2 Übersicht aller Entscheidungen des BVerfG seit 01.01.2005, in denen
auf den EGMR verwiesen wird (absteigend)
Datum Aktenzeichen Verweis EMRK Artikel
07.02.2012 1 BvL 14/07 6 (1)/3
02.12.2012 1 BvR 314/11 6 (1)
08.12.2011 1 BvR 927/08 8
07.12.2011 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10 8
17.11.2011 1 BvR 3155/09 6 (1)
20.07.2011 1 BvR 2624/05 1 ZP 1
21.06.2011 2 BvR 1879/10 5 (1)/ 7(1)
06.06.2011 2 BvR 960/11 6 (1)
04.05.2011
2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR
2333/08, 2 BvR 1152/10, 2 BvR
571/10 7 (1); 5 (1)
23.03.2011 2 BvR 882/09 3
21.02.2011 2 BvR 1392/10 8
15.11.2010 2 BvR 1183/09 6 (1)
04.11.2010 1 BvR 3389/08 6 (1)
05.10.2010 1 BvR 772/10 6 (1)
24.08.2010 2 BvR 1113/10 5 (3)/ 8
21.07.2010 1 BvR 420/09 8; 15
15.07.2010 2 BvR 1023/08 3
14.07.2010 1 BvR 3189/09 8
02.07.2010 1 BvR 666/10 8
23.06.2010 1 BvR 324/10 6 (1)
20.05.2010 2 BvR 1413/09 8; 6
19.05.2010 2 BvR 769/10 5 (1)/ 7 (1)
27.04.2010 2 BvL 13/07 6
27.04.2010 2 BvR 1848/07 6 (1)
05.04.2010 2 BvR 366/10 6 (2)
09.03.2010 1 BvR 1891/05 8
04.02.2010 2 BvR 2307/06 2
27.01.2010 2 BvR 2253/06 6 (1)
22.12.2009 2 BvR 2365/09 5 (1)/ 7 (1)
15.10.2009 1 BvR 3474/08 8
08.10.2009 2 BvR 547/08 6 (1) +(3)
25.09.2009 2 BvR 1113/06 8; 14
02.09.2009 1 BvR 3171/08 6 (1)
30.07.2009 1 BvR 2662/06 6 (1)
29.07.2009 1 BvR 1606/08 8
07.07.2009 1 BvR 1164/07 14 / 8
73

30.06.2009 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR
1259/08, 2 BvR 182/09
25.06.2009 1 BvR 134/03 10
13.05.2009 2 BvR 388/09 5 (3)/6 (2)
15.01.2009 2 BvR 2044/07 6 (1)/13
18.12.2008 1 BvR 2604/06 8
07.11.2008 2 BvR 629/06 5/13
12.08.2008 2 BvR 1448/08 6 (2)
06.05.2008 2 BvR 337/08 10
26.02.2008
1 BvR 1602/07, 1 BvR 1606/07, 1 BvR
1626/07 8
25.02.2008 1 BvR 3255/07 8
23.02.2008 2 BvR 2652/07 5 (1)/6 (1)+(2)
13.11.2007 2 BvR 939/07 3
13.11.2007 2 BvR 2201/05 3
13.11.2007 2 BvR 2354/04 3
11.09.2007
1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR
830/06 34/10
10.08.2007 2 BvR 535/06 8
08.08.2007 2 BvR 1609/07 5(3)/8
10.05.2007 2 BvR 304/07 8
29.03.2007 2 BvR 1977/06 3
21.03.2007 1 BvR 2231/03 10
09.02.2007 1 BvR 3219/06 10
09.02.2007 1 BvR 125/07 8
09.02.2007 1 BvR 217/07, 1 BvQ 2/07 8
13.12.2006 1 BvR 2084/05 9, 11, 14
20.10.2006
2 BvR 1742/06, 2 BvR 1809/06, 2 BvR
1848/06, 2 BvR 1862/06 5 (3)
26.09.2006
1 BvR 605/04, 1 BvR 674/04, 1 BvR
1580/04 5/6/3/14
21.08.2006
1 BvR 2606/04, 1 BvR 2845/04, 1 BvR
2846/04, 1 BvR 2847/04 8
18.07.2006 1 BvL 1/04, 1 BvL 12/04 8
03.07.2006 2 BvR 1458/03 6 (1)
13.06.2006 1 BvR 565/06 6 (2); 10
13.06.2006 1 BvR 2622/05 8
16.03.2006 2 BvR 170/06 6 (2)
15.02.2006 1 BvR 2597/05 6 (1)
15.02.2006 2 BvR 1476/03 3/6 (1)
19.01.2006 2 BvR 1075/05 6 (1)
29.12.2005 2 BvR 2057/05 5 (3)/ 8
05.12.2005 2 BvR 1964/05 6 (1)/5 (3)
13.11.2005 2 BvR 792/05 6 (1)
23.09.2005 2 BvR 1315/05 5 (3)
10.06.2005 1 BvR 2790/04 8
05.04.2005 1 BvR 1664/04 8
29.03.2005 2 BvR 1610/03 6 (1)
22.02.2005 2 BvR 109/05 6 (1)
28.12.2004 1 BvR 2790/04 8
74

09.12.2004 2 BvR 2314/04 6 (2)
26.10.2004 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01 1 ZP 1
14.10.2004 2 BvR 1481/04 8
A3 Übersicht aller Entscheidungen des BGH (Straf- und Zivilsenate) seit
01.01.2005, in denen auf den EGMR verwiesen wurde (absteigend)
Datum Aktenzeichen Verweis EMRK Artikel
24.01.2012 VI ZR 132/10 6 (1)
28.03.2012 III ZR 177/11 35 (1)
09.03.2012 V ZR 61/11 1 ZP (1)
18.01.2012 I ZR 187/10 1 ZP (1)
20.12.2011 VI ZR 261/10 8 (1); 10 (1)
22.11.2011 VI ZR 26/11 8 (1); 10 (1)
08.11.2011 1 StR 231/11 5; 7
26.10.2011 IV ZR 150/10 8; 14
18.10.2011 VI ZR 5/10 8
23.08.2011 1 StR 153/11 6 (1)
02.08.2011 3 StR 208/11 7(1)
30.06.2011 V ZB 274/10 5
07.06.2011 VI ZR 108/10 8 (1)
07.06.2011 4 StR 643/10 13
31.05.2011 3 StR 97/11 34
31.03.2011 3 StR 400/10 6(1)
24.03.2011 IX ZR 180/10 41
11.03.2011 III ZR 124/09 3
22.02.2011 VI ZR 346/09 10
22.02.2011 VI ZR 115/09 10
22.02.2011 VI ZR 114/09 10
09.02.2011 5 StR 471/10 5
04.02.2011 4 StR 553/10 7(1)
02.02.2011 XII ZB 241/09 8
01.02.2011 VI ZR 347/09 10 (1)
01.02.2011 VI ZR 345/09 8 (1)
20.01.2011 4 StR 650/10 6 (1)
18.01.2011 4 ARs 27/10 7 (1)
12.01.2011 GSSt 1/10 6 (1)
22.12.2010 2 ARs 456/10 7 (1); 5 (1)
15.12.2010 1 StR 254/10 6 (1+2)
02.11.2010 1 StR 544/09 6
26.10.2010 VI ZR 190/08 8 (1); 10 (1)
14.10.2010 I ZR 191/08 10
28.09.2010 5 StR 330/10 6(1)
16.09.2010 V ZB 120/10 6(1)
14.09.2010 3 StR 573/09 3
21.07.2010 5 StR 60/10 5
08.07.2010 III ZR 249/09 6(1)
17.06.2010 V ZB 9/10 8
17.06.2010 V ZB 127/10 8
16.06.2010 XII ZB 35/10 8
75

15.06.2010 3 StR 157/10 6(3)
18.05.2010 5 StR 51/10 6(1)
11.05.2010 4 StR 577/09 7(1)
29.04.2010 5 StR 18/10 3
21.04.2010 GSSt 1/09 6 (3)
20.04.2010 VI ZR 246/08 10 (1)
20.04.2010 VI ZR 245/08 10 (1)
15.04.2010 4 StR 650/09 9
13.04.2010 VI ZR 125/08 8
19.03.2010 1 StR 554/09 5 (1)
04.03.2010 V ZB 222/09 6(1)
09.02.2010 VI ZR 244/08 10 (1)
09.02.2010 VI ZR 243/08 8 (1)
28.01.2010 V ZB 2/10 6(1)
20.01.2010 2 StR 403/09 6 (1)
14.01.2010 1 StR 595/09 5 (1)
13.01.2010 XII ZB 248/09 5 (1)
13.01.2010 3 StR 494/09 6 (1)
15.12.2009 VI ZR 228/08 10 (1)
15.12.2009 VI ZR 227/08 10 (1)
08.12.2009 5 StR 433/09 6 (1)
17.11.2009 VI ZR 226/08 10 (1)
28.10.2009 5 ARs 53/09 6 (1)
22.09.2009 VI ZR 19/08 10 (1)
22.09.2009 5 StR 363/09 5(3); 6(1)
04.08.2009 5 StR 253/09 6
16.07.2009 3 StR 148/09 5(3)
09.06.2009 4 StR 461/08 6 (3)
26.05.2009 VI ZR 191/08 10
29.04.2009 1 StR 701/08 6(1)
10.03.2009 VI ZR 261/07 8
17.02.2009 VI ZR 75/08 8/10
27.01.2009 4 StR 296/08 6 (1)
18.12.2008 4 StR 455/08 6
18.11.2008 1 StR 541/08 6 (1)
28.10.2008 VI ZR 307/07 8
16.10.2008 IX ZR 177/06 6 (1)
14.10.2008 VI ZR 272/06 8
14.10.2008 VI ZR 271/06 8
14.10.2008 VI ZR 260/06 8
14.10.2008 VI ZR 256/06 8
09.10.2008 1 StR 238/08 5(3)
17.09.2008 IV ZR 191/05 1 ZP1
01.07.2008 VI ZR 67/08 8
24.06.2008 VI ZR 156/06 8
20.06.2008 V ZR 149/07 1 ZP1
05.06.2008 I ZR 96/07 8
05.06.2008 I ZR 223/05 8
23.04.2008 XII ZR 195/06 6 (1)
17.01.2008 GSSt 1/07 6
06.12.2007 5 StR 478/07 6 (1)
21.11.2007 1 StR 539/07 5(3); 6
13.11.2007 VI ZR 269/06 8; 10 (1)
11.09.2007 5 StR 276/07 6 (1)
26.07.2007 3 StR 104/07 6
03.07.2007 VI ZR 164/06 8; 10
29.06.2007 XII ZB 229/06 8
76

19.06.2007 VI ZR 12/06 8; 10
17.04.2007 5 StR 541/06 6 (1)
04.04.2007 4 StR 345/06 6 (3)
06.03.2007 VI ZR 53/06 8
06.03.2007 VI ZR 50/06 8 (1)
06.03.2007 VI ZR 13/06 8; 10
06.03.2007 VI ZR 14/06 8 (1)
06.03.2007 VI ZR 51/06 8; 10
06.03.2007 VI ZR 52/06 8 (1)
01.02.2007 5 StR 494/06 6 (1+3)
06.12.2006 XII ZR 164/04 8
29.11.2006 1 StR 493/06 6(3)
26.10.2006 3 StR 326/06 6 (1)
23.08.2006 1 StR 466/05 6 (1)
18.05.2006 III ZR 183/05 5
08.03.2006 2 StR 565/05 6 (1)
17.02.2006 V ZR 236/03 14; 1 ZP 1
07.02.2006 3 StR 460/98 5(3)
24.01.2006 XI ZR 320/04 6(1)
12.01.2006 1 StR 466/05 6
16.12.2005 V ZR 83/05 1(1) ZP1
16.11.2005 VIII ZR 5/05 10
27.09.2005 XI ZR 216/04 6(1)
14.09.2005 IV ZR 198/04 1(1) ZP1
21.06.2005 2 Str. 4/05 6(3)
27.05.2005 2 StR 203/05 6(1); 5(3)
13.04.2005 XII ZB 54/03 8
07.04.2005 1 StR 326/04 8
A4 Übersicht aller EGMR-Entscheidungen, auf die BVerfG und BGH seit
01.01.2005 verwiesen haben (absteigend)
EGMR Sache Datum Beschwerde-Nr. Betrifft Art. EMRK
Achleitner u.a. v. Österreich 02.12.11 53911/00 6 (1)
Schmitz v. Deutschland 09.06.11 30493/04 5 (1)
Kallweit. v. Deutschland 13.01.11 17792/07 5
Mautes v. Deutschland 13.01.11 20008/07 5
Schummer v. Deutschland 13.01.11 27360/04 5
Haidn v. Deutschland 13.01.11 6587/04 5
Grosskopf v. Deutschland 21.10.10 24478/03 5 (1)
Uzun v. Deutschland 02.09.10 35623/05 6 (1); 8
Schalk und Kopf v. Österreich 24.06.10 30141/04 8; 12; 14
Gaefgen v. Deutschland 01.06.10 22978/05 3
M. v. Deutschland 17.12.09 19359/04 5
Zaunegger v. Deutschland 03.12.09 22028/04 14
Stojanovski v. Ehemalige Jugoslawische Republik
Mazedonien 22.10.09 1431/03 5
77

Brauer v. Deutschland 28.05.09 3545/04 14
Bykov v. Russland 10.03.09 4378/02 5 (3); 6; 8
Times Newspapers v. Vereinigtes Königreich 10.03.09 23676/03 10
Sophia Andreou v. Türkei 27.01.09 18360/91 1 ZP 1; 8
Kaemena und Thöneböhn 22.01.09 45749/06 6; 13
Sorvisto v. Finnland 13.01.09 19348/04 6 (1); 8
Zeugen Jehovas v. Österreich 31.07.08 40825/98 9;14;6;13
Vokoun v. Tschechische Republik 03.07.08 20728/05 6
Maslov v. Österreich 23.06.08 1638/03 8
Elezi v. Deutschland 12.06.08 26771/03 6
Kovach v. Ukraine 07.02.08 39424/02 3
Saadi v. Vereinigtes Königreich 29.01.08 13229/03 5
Mooren v. Deutschland 13.12.07 11364/03 5
Dickson v. Großbritannien 04.12.07 44362/04 8; 12
Lindon u.a. v. Frankreich 22.10.07 21279/02 6 (1); 10
Asnar v. Frankreich 18.10.07 12316/04 6
Paeffgen GmbH v. Deutschland 18.09.07 25379/04 1 ZP 1
Testa v. Kroatien 12.07.07 20877/04 3
O'Hallodran v. Vereinigtes Königreich 29.06.07 15809/02 6 (1+2)
Bosch v. Österreich 03.05.07 17912/05 6
Tønsbergs Blad u.a. v. Norwegen 01.03.07 510/04 10
Herbst v. Deutschland 11.01.07 20027/02 6 (1)
Verlagsgruppe News GmbH v. Österreich (Nr.2) 14.12.06 10520/02 10
Verlagsgruppe News GmbH v. Österreich 14.12.06 76918/01 10
Österreichischer Rundfunk v. Österreich 07.12.06 35841/02 10
Krone Verlags GmbH v. Österreich 09.11.06 72331/01 10
Mamere v. Frankreich 07.11.06 12697/03 10
Chraidi v. Deutschland 26.10.06 65655/01 5 (3)
Weber v. Deutschland 23.10.06 55878/00, 1 ZP 1
Üner v. Niederlande 18.10.06 46410/99 8
Gourguenidze v. Georgien 17.10.06 71678/01 8
Schwarzenberger v. Deutschland 10.08.06 75737/01 6 (1)
Jalloh v. Deutschland 11.07.06 54810/00 3
Weber und Saravia v. Deutschland 29.06.06 54934/00 10
Sürmeli v. Deutschland 08.06.06 75529/01 6 (1); 13
Vermeire v. Belgien 23.05.06 32570/03 8; 1 ZP 1
Dammann v. Schweiz 25.04.06 77551/01 10
Buchheit u. Meinberg v. Deutschland 02.02.06 70130/01 6 (1); 14
Sezen v. Niederlande 31.01.06 50252/99 8
Senkpiel v. Deutschland 12.01.06 77207/01 1 ZP 1
Wirtschafts-Trend-Zeitschriften-
Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich 13.12.05 66298/01 10
Shofman v. Russland 24.11.05 74826/01 8
Tourancheau und July v. Frankreich 24.11.05 53886/00 10
Haas v. Deutschland 17.11.05 73047/01 6 (1+3)
78

Dzelili v. Deutschland 10.11.05 65745/01 5 (1+3); 6 (1)
Keles v. Deutschland 27.10.05 32231/02 8
Okpisz v. Deutschland 25.10.05 59140/00 8; 14
Caplik v. Türkei 15.07.05 57019/00 6(1)
Jahn u. a. v. Deutschland 30.06.05 46720/99 1 ZP 1
Bosphorus Hava Yollari Turzim ve Ticaret
Anonim Sirketi v. Irland 30.06.05 45036/98 1 ZP 1
Kolanis v. Vereinigtes Königreich 21.06.05 517/02 5
Storck v. Deutschland 16.06.05 61603/00 5
Minelli v. Schweiz 14.06.05 14991/02 6 (1); 8
Diamantides v. Griechenland 19.05.05 71563/01 6 (1)
Steck-Risch v. Liechtenstein 19.05.05 63151/00 6 (1)
Öcalan v. Türkei 12.05.05 46221/99 2; 3; 5; 6; 14
A.L. v. Deutschland 28.04.05 72758/01 6 (2)
Güngör v. Türkei 22.03.05 28290/95 2; 13
Maltzan v. Deutschland 02.03.05 71916/01 1 ZP 1; 6 (1)
Steel und Morris v. Vereinigtes Königreich 15.02.05 68416/01 6
Sciacca v. Italien 11.01.05 50774/99 8
Pedersen und Baadsgaard v. Dänemark 17.12.04 49017/99 6 (1); 10
Karhuvaara und Iltalehti v. Finnland 16.11.04 53678/00 10
Edwards u. Lewis v. Vereinigtes Königreich 27.10.04 39647/98 6
Cevizovic v. Deutschland 29.07.04 49746/99 5 (3); 6 (1)
Von Hannover v. Deutschland 24.06.04 59320/00 8
Broniowski v. Polen 22.06.04 31443/96 1 ZP 1
Radovanovic v. Österreich 22.04.04 42703/98 8
Weh v. Österreich 08.04.04 38544/97 6 (1)
Radio France v. Frankreich 30.03.04 53984/00 7 (1); 6 (2)
Görgülü v. Deutschland 26.02.04 74969/01 8
Maestri v. Italien 17.02.04 39748/98 11
Voggenreiter v. Deutschland 08.01.04 47169/99 6
Rachdad v. Frankreich 13.11.03 71846/01 6
Slivenko v. Lettland 09.10.03 48321/99 8; 14; 5 (1)
Poirrez v. Frankreich 30.09.03 40892/98 14; 6 (1)
Karner v. Österreich 24.07.03 40016/98 8; 14
Mokrani v. Frankreich 15.07.03 52206/99 8
Benhebba v. Frankreich 10.07.03 53441/99 8
Hatton u.a. v. Vereinigtes Königreich 08.07.03 36022/97 8; 13
Yilmaz v. Deutschland 17.04.03 52853/99 8
Walderode v. Tschechische Republik 04.03.03 40057/98 6 (1); 1 ZP 1
Forrer-Niedenthal v. Deutschland 20.02.03 47316/99 1 ZP 1; 6 (1)
Hutchison Reid v. Vereinigtes Königreich 20.02.03 50272/99 5
Y. v. Norwegen 11.02.03 56568/00 6 (2)
Jakupovic v. Österreich 06.02.03 36757/97 8
Peck v. Großbritannien 28.01.03 44647/98 8; 13
Wittek v. Deutschland 12.12.02 37290/97 1 ZP 1
79

König von Griechenland v. Griechenland 28.11.02 42184/05 1 ZP 1
Allan v. Großbritannien 05.11.02 48539/99 8
Demuth v. Schweiz 05.11.02 38743/97 10
Böhmer v. Deutschland 03.10.02 37568/97 6 (1+2)
Goodwin v. Vereinigtes Königreich 11.07.02 28957/95 8; 12; 14
Gratzinger v. Tschechische Republik 10.07.02 39794/98 1 ZP 1; 14
Kalashnikov v. Russland 15.06.02 47095/99 3
Ziegler v. Schweiz 21.02.02 33499/96 6
P.S. v. Deutschland 20.12.01 33900/96 6
Bankovic u.a. v. Belgien u.a. 12.12.01 52207/99 2; 10; 13
Al Adsani v. Vereinigtes Königreich 21.11.01 35763/97 3; 6 (1)
N.F.B. v. Deutschland 18.10.01 37225/97 6 (1+3)
Lenz v. Deutschland 27.09.01 40862/98 1 ZP 1; 14
Boultif v. Schweiz 02.08.01 54273/00 8
Prinz Hans-Adam II von Liechtenstein v. Deutschland
12.07.01 42527/98 6 (1); 1 ZP 1;14
Erdem v. Deutschland 05.07.01 38321/97 5
Metzger v. Deutschland 31.05.01 37591/97 6 (1)
J.B. v. Schweiz 03.05.01 31827/96 6
Thoma v. Luxemburg 29.03.01 38432/97 10
Luca v. Italien 27.02.01 33354/96 6
Lietzow v. Deutschland 13.02.01 24479/94 5
Kudla v. Polen 26.10.00 30210/96 3; 5(3); 6 (1)
Daktaras v. Litauen 10.10.00 42095/98 6 (1+2)
Klein v. Deutschland 27.07.00 33379/96 6
Scozzari u. Giunta v. Italien 13.07.00 39221/98 8; 6 (1)
Kahn v. Vereinigtes Königreich 12.05.00 35394/97 8
Gast und Popp v. Deutschland 25.02.00 29357/95 6 (1)
Baghli v. Frankreich 30.11.99 34374/97 8
Grams v. Deutschland 05.10.99 33677/96 2
Douiyeb v. Niederlande 04.08.99 31464/96 5 (1+4)
Selmouni v. Frankreich 28.07.99 25803/94 3; 6 (1)
Ogur v. Türkei 20.05.99 21594/93 2
Chassagnou u.a. v. Frankreich 29.04.99 28443/95 1 ZP 1; 9; 11
Péllisier und Sassi v. Frankreich 25.03.99 25444/94 6
Matthews v. Vereinigtes Königreich 18.02.99 24833/94 14; 3 ZP 1
Waite u. Kennedy v. Deutschland 18.02.99 26083/94 6 (1)
Fressoz und Roire v. Frankreich 01.01.99 29183/95 10
Yasa v. Türkei 02.09.98 22495/93 2; 13
Aerts v. Belgien 30.07.98 25357/94 5 ; 6
Djavit An. v. Türkei 14.04.98 20652/92 11;13
Kopp v. Schweiz 25.03.98 23224/94 8
Mehemi v. Frankreich 26.09.97 25017/94 8
Probstmeier v. Deutschland 01.07.97 20950/92 6
Van Mechelen v. Niederlande 23.04.97 21363/93 6
80

A.M. v. Italien 11.04.97 21068/92 6 (1)
De Haes und Gijsels v. Belgien 24.02.97 19983/92 10; 6 (1)
Chahal v. Vereinigtes Königreich 15.11.96 22414/93 3; 5(1+4); 13
Gaygusuz v. Österreich 16.09.96 17371/90 14; 1 ZP 1
Ferrantelli und Santangelo v. Italien 07.08.96 19874/92 6
Weidlich u.a. v. Deutschland 04.03.96 19549/92 1 ZP 1
Pressos Compania Naviera S.A. ua v. Belgien 20.11.95 17849/91 1 ZP 1
McCann u.a. v. Vereinigtes Königreich 27.09.95 18984/91 2
Diennet v. Frankreich 26.09.95 18160/91 6 (1)
Fayed v. Vereinigtes Königreich 21.09.94 17101/90 6 (1)
Janssen v. Deutschland 31.08.94 21554/93 10
Dombo Beheer v. Niederlande 27.10.93 14448/88 6 (1)
Vogt v. Deutschland 26.09.93 17851/91 10; 11
Artner v. Österreich 28.08.92 13161/87 6
S. v. Schweiz 28.11.91 12629/87 6
Helmers v. Schweden 29.10.91 11826/85 6
Asch v. Österreich 26.04.91 12398/86 6
Moustaquim v. Belgien 18.02.91 12313/86 8
Delta v. Frankreich 19.12.90 11444/85 6
Windisch v. Österreich 27.09.90 12489/86 6
Autronic AG v. Schweiz 22.05.90 12726/87 10
Powell und Rayner v. Vereinigtes Königreich 21.02.90 9310/81 6; 8; 13
Kostovski v. Niederlande 20.11.89 11454/85 6
Sydow v. Schweden 12.05.87 11464/85 6
Leander v. Schweden 26.03.87 9248/81 8; 10; 13
Mathieu-Mohin und Clerfayt v. Belgien 02.03.87 9267/81 1 ZP 1
Bozano v. Frankreich 18.12.86 9990/82 5 (1)
Gillow v.Vereinigtes Königreich 24.11.86 9063/80 8
James u.a. v. Vereinigtes Königreich 21.02.86 8793/79 6 (1)
Foti v. Italien 21.11.83 7604/76 6 (1);13
Zimmermann und Steiner v. Schweiz 13.07.83 8737/79 6
Sporrong u. Lönnroth v. Schweden 23.09.82 7151/75 1 ZP 1
Eckle v. Deutschland 15.07.82 8130/78 6 (1)
X. v. Schweiz 05.07.82 9402/81 6
X. v. Vereinigtes Königreich 05.11.81 7215/75 5
Winterwerp v. Niederlande 24.10.79 6301/73 5 (1+4)
König v. Deutschland 28.06.78 6232/73 6
Marckx v. Belgien 13.06.76 6833/74 8; 14; 1 ZP 1
Engel v. Niederlande 08.06.76 5100/71 5 (1)
Swedish Engine Drivers Union v. Schweden 21.02.76 5614/72 11; 13; 14
Ringeisen v. Österreich 16.07.71 2614/65 6 (1)
Matznetter v. Österreich 10.11.69 2178/64 5 (3+4)
81

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