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Ausgabe 1995 - Hohenzollerischer Geschichtsverein

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HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

M 3828 F<br />

Herausgegeben vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

45. Jahrgang Nr. 1 / März <strong>1995</strong><br />

Wilflingen, die ehemalige hohenzollerische Exklave unter dem Lemberg, dem höchsten Berg der Schwäbischen Alb (1014 m).<br />

Foto: Oswin Angst<br />

Termin bitte vormerken:<br />

Die Jahresversammlung des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s findet am 9. Mai <strong>1995</strong> statt (siehe S. 3)


CASIMIR BUMILLER<br />

900 Jahre Wilflingen - Geschichte einer hohenzollerischen Exklave<br />

Als am 15. Januar <strong>1995</strong> die Bevölkerung von Wilflingen (Teilgemeinde<br />

von Wellendingen, Kreis Rottweil) das Jubiläumsjahr<br />

mit einem kleinen Festakt zur Vorstellung des neuen Geschichts-<br />

und Heimatbuches beging, intonierte der traditionsreiche<br />

Musikverein Wilflingen zum Auftakt das »Hohenzollernlied«.<br />

Nichts vermochte die Anhänglichkeit der<br />

Wilflinger an Hohenzollern und seine Geschichte besser zu<br />

demonstrieren. Während in Wilflingen das Bewußtsein, Hohenzollern<br />

zu sein, bis heute also wach ist, ist den meisten Bewohnern<br />

der hohenzollerischen Stammlande das Wissen um<br />

die ehemals hohenzollerische Exklave am Fuß des Lembergs,<br />

unweit von Rottweil, verloren gegangen.<br />

1974 stimmten die Wilflinger nach einem schmerzhaften Prozeß<br />

der Eingemeindung in den Nachbarort Wellendingen zu.<br />

Das Sträuben gegen diese Fusion hatte nicht zuletzt mit der<br />

jahrhundertealten hohenzollerischen Tradition zu tun: Man<br />

war immer hohenzollerische Exklave gewesen, die umliegenden<br />

Orte gehörten immer zu Vorderösterreich bzw. seit<br />

1806 zu Württemberg.<br />

Die herrschaftlichen<br />

Verhältnisse<br />

Dabei läßt sich nicht genau ergründen, seit wann Wilflingen<br />

tatsächlich hohenzollerisch war. Gelegentlich ist zu lesen, daß<br />

dies schon zur Zeit der Ersterwähnung im Jahr 1095 der Fall<br />

gewesen sein soll. Aber belegen läßt sich dies nicht. Die Schenkung<br />

vom 10. Januar 1095 auf der Burg Haigerloch - die<br />

Ersterwähnung Haigerlochs verdankt sich derselben Quelle<br />

- erwähnt lediglich, daß ein Ritter Wortwin und seine Familie<br />

zwei Höfe bei Wilflingen an das damals noch junge Kloster<br />

St. Georgen im Schwarzwald geschenkt habe. Von Zollern<br />

ist da nicht die Rede.<br />

Gesicherte Herrschaftsverhältnisse in Wilflingen offenbaren<br />

sich erst um das Jahr 1300. Erst da läßt sich von einer hohenzollerischen<br />

Ortsherrschaft in Wilflingen sprechen, aber<br />

immer noch mit einer Einschränkung. Eine Urkunde von<br />

1318, in dem Graf Friedrich Ostertag den Ort als Lehen vergab,<br />

spricht davon, daß das Haus Zollern das Dorf von alter<br />

her von dem Gotzhuse ze der Richen owe ze rechtem Mannlehen<br />

gehabt habe. Die Oberherrschaft an Wilflingen stand<br />

also bis ins 14. Jahrhundert dem Kloster Reichenau zu. Dies<br />

ist allerdings die einzige Erwähnung dieses Rechtes, es bleibt<br />

unklar, wie die Reichenau in den Besitz des Ortes gelangte<br />

und wann es sich wieder zurückgezogen hat. Um die Mitte<br />

des 14. Jahrhunderts gab das Inselkloster mehrere Besitztitel<br />

in nächster Umgebung auf, vielleicht auch die Lehenschaft an<br />

dem kleinen Ort unterhalb des Lembergs.<br />

Geblieben sind die hohenzollerischen Rechte. Zur Orts- und<br />

Gerichtsherrschaft gesellte sich eine Grundherrschaft, die im<br />

15. Jahrhundert fünf Höfe umfaßte, darunter den umfangreichen<br />

zollerischen Maierhof (1413 erstmals genannt), und<br />

Rechte über leibeigene Bauern. Dabei war Hohenzollern in<br />

Wilflingen weder der größte Leibherr noch der größte<br />

Grundherr. Noch 1548 im ältesten Leibeigenenverzeichnis<br />

waren nur 19 von 75 Einwohnern dem Haus Hohenzollern<br />

mit dem Leib verwandt, und es dauerte bis weit in die frühe<br />

Neuzeit, bis es Hohenzollern gelang, die Mehrzahl der Wilflinger<br />

unter die eigene Leibherrschaft zu zwingen.<br />

Was die Grundherrschaft anging, so verfügte Hohenzollern<br />

allenfalls über ein Siebtel der gesamten Gemarkungsfläche.<br />

Der größte Grundherr im Dorf war dagegen das Zisterzienserinnenkloster<br />

Rottenmünster bei Rottweil, das seit dem<br />

14. Jahrhundert in Wilflingen über sechs, später sogar acht<br />

Höfe gebot. Daneben gab es zahlreiche weitere Grundherren,<br />

so z. B. das Kloster Alpirsbach, die Dominikaner und die<br />

Johanniter in Rottweil, die St.-Michaels-Pflege in Feckenhausen<br />

und Vorderösterreich.<br />

Wilflingen war seit dem frühen 15. Jahrhundert der einzige<br />

hohenzollerische Ort, der getrennt vom Territorium unter<br />

der weiß-schwarzen Fahne fortexistierte. Es wird sich kaum<br />

je ergründen lassen, warum die Grafen an der abgelegenen<br />

Exklave festhielten. Es könnte aber sein, daß sich die Hohenzollern<br />

in der Nähe der Reichsstadt Rottweil mit ihrem<br />

Reichsgerichtshof einen kleinen Besitz bewahren wollten.<br />

Diese Vermutung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn wir<br />

sehen, daß Hohenzollern das Dorf seit 1311 an die Rottweiler<br />

Patrizierfamilie von Balgingen zu Lehen vergab. Im Jahr<br />

1314 stellte Graf Friedrich II. von Zollern-Schalksburg für<br />

Konrad von Balgingen, seinen »Wirt«, einen Schutz- und<br />

Schirmbrief aus. Es ist also denkbar, daß diese herausragende<br />

Patrizierfamilie in jenen Jahren so etwas wie die Statthalterschaft<br />

der Grafen von Zollern in und um Rottweil innehatte.<br />

Es ist übrigens zu vermuten, daß die Familie von Balgingen<br />

aus dem Baiinger Ortsadel hervorgegangen ist. Aber bereits<br />

vor der Stadterhebung Balingens um 1250 war das Geschlecht<br />

in die Reichsstadt übersiedelt und dort in die ersten Kreise<br />

der Stadtgeschlechter aufgestiegen.<br />

Bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts versank die Familie allerdings<br />

in Schulden und damit in die Bedeutungslosigkeit. Das<br />

hohenzollerische Lehen Wilflingen, das die von Balgingen bis<br />

1426 innehatten, ging nun an die weitläufige Verwandtschaft<br />

dieser Familie über. Die Hohenzollern haben für den Rest<br />

des Mittelalters keine Ordnung mehr in die Lehensverhältnisse<br />

gebracht, ja sie gingen aus ihrer eigenen pekuniären Bedrängnis<br />

immer mehr dazu über, den abgelegenen Ort zu einem<br />

Pfandobjekt zu machen. Die Entwicklung kannte verschiedene<br />

Abstufungen. Verschiedentlich mußten die Bürger<br />

Wilflingens Bürgschaften für die Schulden ihres Herrn übernehmen,<br />

dann in der frühen Neuzeit gingen die Grafen von<br />

Hohenzollern dazu über, Teile des Dorfes zu verpfänden -<br />

so war seit 1654 das hohenzollerische Hofgut an den Schaffhauser<br />

Handelsmann Hans Conrad Peyer versetzt. Dies führte<br />

unweigerlich zur Verpfändung des gesamten Ortes an interessierte<br />

reiche Adlige.<br />

Die Pfandschaft<br />

Wilflingen<br />

Der erste Pfandherr Wilflingens von 1688 bis 1697 war der<br />

österreichische Obervogt von Spaichingen, Baron Meinrad<br />

von Arzt. Dieser erneuerte hier das zollerische Hofgut und<br />

errichtete sogar eine Brauerei. Aber als guter Rechner hat er<br />

es auch verstanden, seine Einkünfte in dem Dorf von den Untertanen<br />

einzutreiben. Er betrieb dies so erbarmungslos, daß<br />

sich im Januar 1697 die Wilflinger Bauern gegen ihren Pfandherrn<br />

erhoben und dieser sich aus der Wilflinger Pfandschaft<br />

zurückzog.<br />

An seine Stelle trat der exaltierte Abenteurer Sigmund Regnat<br />

von Schellenberg, der sich an seinem bisherigen Wohnsitz<br />

Bräunlingen unmöglich gemacht hatte und nun am Fuß<br />

der Schwäbischen Alb ein ruhigeres Leben suchte. Seine<br />

Skandalgeschichten verfolgten ihn jedoch bis hierher. Ein<br />

Blutschandeverdacht brachte ihn mehrere Jahre in Verwahrsam,<br />

unter anderem auf Burg Hohenzollern. Als er - angeb-<br />

2


SÜßifeSofrenaoHerifd*<br />

•vOTittetiungen au£ bem<br />

I. Mitgliederversammlung <strong>1995</strong><br />

©efcE)tcf)töt>eretn<br />

Die Jahresversammlung <strong>1995</strong> findet am Dienstag, 9. Mai,<br />

um 18.30 Uhr im Nebenzimmer des Hotels »Bären« in<br />

Sigmaringen statt. Hierzu sind alle Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s e. V. herzlich eingeladen.<br />

Tagesordnung<br />

1. Begrüßung und Nachrufe<br />

2. Tätigkeitsberichte des Vorsitzenden und des Schatzmeisters<br />

3. Veranstaltungen in den kommenden Monaten<br />

4. Anträge und Verschiedenes<br />

Anträge sind bis spätestens 2. Mai an das Sekretariat des<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s, Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

(Telefon 07571) 101558) zu richten.<br />

An die Mitgliederversammlung schließt sich um 20 Uhr<br />

ein öffentlicher Vortrag an:<br />

Sibylle Rebholz M.A., Kunsthistorikerin, Bayreuth:<br />

»Die Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen und<br />

ihre Denkmäler im 19. und 20. Jahrhundert«.<br />

Die Referentin, die über dieses Thema ihre Magisterarbeit<br />

an der Universität Bamberg verfaßt hat, zeigt mit Lichtbildern<br />

die Entstehung der einzelnen Fürstendenkmäler<br />

und deren kunsthistorischen Bezüge auf und macht auf<br />

ihre Bedeutung als historische Quelle aufmerksam.<br />

Rektor Otto Werner, Hechingen:<br />

»Die jüdischen Gemeinden in Hohenzollern«<br />

Montag, 22. Mai, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus<br />

Dr. Andreas Zekorn, Balingen:<br />

»Die Stadt Sigmaringen zwischen dem Fürstenhaus<br />

und Habsburg im 17. und 18. Jahrhundert«<br />

Montag, 29. Mai, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus<br />

Weitere Vorträge über Aspekte der hohenzollerischen<br />

Geschichte finden im September und Oktober statt. Diese<br />

Veranstaltungen werden in Heft 2 der Hohenzollerischen<br />

Heimat <strong>1995</strong> sowie in der Hechinger und Sigmaringer<br />

Lokalpresse noch rechtzeitig angekündigt.<br />

III.<br />

Exkursion<br />

Am 1. Juli <strong>1995</strong>: Ganztagesexkursion zum Hohentwiel<br />

und nach Stein am Rhein unter der Leitung von<br />

Herrn Dr. Casimir Bumiller mit örtlichen Führern.<br />

Abfahrt: Hechingen um 8 Uhr (Obertorplatz)<br />

Sigmaringen um 9 Uhr (Bushaltestelle bei der ehemaligen<br />

EZS)<br />

Rückkehr: Sigmaringen um ca. 19 Uhr<br />

Hechingen um ca. 20 Uhr<br />

Anmeldungen sind zu richten:<br />

Teilnehmer von Hechingen an Herrn Dr. Vees<br />

(Telefon 07471/5620)<br />

Teilnehmer von Sigmaringen an Frau Liebhaber<br />

(Telefon 07571) 101558<br />

Dr. Otto Becker:<br />

II.<br />

Vorträge<br />

»Das Kriegsende 1945 in Sigmaringen«<br />

Am Montag, 24. April, um 20 Uhr im Sitzungssaal<br />

»Kapelle« des Landratsamtes Sigmaringen, Leopoldstraße,<br />

72488 Sigmaringen<br />

(Vortrag des Kreisarchivs Sigmaringen in Verbindung<br />

mit dem Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>)<br />

Sibylle Rebholz M. A.:<br />

»Die Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen und<br />

ihre Denkmäler im 19. und 20. Jahrhundert« (hierzu<br />

s.o. Mitgliederversammlung)<br />

Im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg <strong>1995</strong> in<br />

Sigmaringen veranstaltet der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong><br />

e. V. mit Unterstützung des Arbeitskreises<br />

Heimatpflege im Regierungsbezirk Tübingen e.V. zwei<br />

Vortragsreihen mit Themen zur Geschichte Hohenzollerns.<br />

Im ersten Zyklus werden die folgenden Vorträge<br />

angeboten:<br />

Prof. Dr. Wilfried Schöntag, Stuttgart:<br />

»Die schwäbisch-brandenburgischen Hohenzollern.<br />

Dynastische Verbindungen und deren politische<br />

Wirkkraft«<br />

Montag, 15. Mai, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus<br />

(Staatsarchiv) in Sigmaringen<br />

Aus organisatorischen und Kostengründen wurde das<br />

Konto beim Postgiroamt Stuttgart Nr. 12363707 aufgelöst.<br />

Für den Verein besteht somit nur noch das Konto<br />

Nr. 803 843 bei der Hohenz. Landesbank, Kreissparkasse<br />

Sigmaringen (BLZ 653 510 50)<br />

Wir bitten Mitglieder, die den Vereinsbeitrag mit Dauerauftrag<br />

bisher auf das Postscheckkonto überwiesen haben,<br />

diesen zu ändern. Andere Überweisungen sind ebenfalls<br />

auf das Konto der Landesbank-Kreissparkasse Sigmaringen<br />

zu leiten.<br />

Beitragseinzug durch Abbuchungsermächtigung<br />

Es kommt immer wieder vor, daß Mitglieder oder Bezieher<br />

ihren Wohnsitz wechseln und sich damit auch die<br />

Bankverbindung ändert. Meist wird es dann vergessen,<br />

dem <strong>Geschichtsverein</strong> diese Veränderung mitzuteilen.<br />

Damit verbunden ist:<br />

1. daß Sendungen unzustellbar an uns zurückkommen<br />

2. daß Lastschrift mit dem Bankeinzug für Beiträge unbezahlt<br />

mit Gebühren zurückbelastet werden.<br />

Dies alles ist mit Kosten und enormer Mehrarbeit für das<br />

Sekretariat und die Kasse verbunden. Aus diesem Grund<br />

bitten wir alle Mitglieder und Abonnenten, Veränderungen<br />

des Wohnsitzes oder der Bankverbindung dem Sekretariat<br />

schriftlich oder telefonisch<br />

(Telefon 07571/101-558) mitzuteilen. Sie erleichtern uns<br />

damit die Arbeit.


lieh rehabilitiert - wohl 1702 nach Wilflingen zurückkehrte,<br />

hatte sein Stiefsohn alles verscherbelt, was nicht niet- und nagelfest<br />

war, so daß Sigmund Regnat von Schellenberg mit seinen<br />

eigenen Worten nichts mehr besaß als einen Stecken in<br />

der Hand, 1 Gulden bares Geld und ein alt zerrissenes Hemd,<br />

worin 7 Katzen würden keine Maus erwischt haben.<br />

Der für das Dorf Wilflingen wichtigste Pfandinhaber war die<br />

Familie von Baratti, die mit einer Unterbrechung von 1703<br />

bis 1764 hier gebot. Der aus Südtirol stammende Johann Paul<br />

von Baratti diente am Hechinger Hof seit 1696 als Kammerrat<br />

und Landrichter. In der Geschichte des Hauses Hohenzollern<br />

ist Baratti als Admodiator, als Unternehmer in Sachen<br />

Steuerpacht, bekannt geworden. Admodiation, Steuerverpachtung<br />

war damals ein gebräuchliches Mittel kleinerer Landesherren,<br />

sich die mühselige Steuerverwaltung ihrer Territorien<br />

vom Hals zu halten und sie interessierten Admodiatoren<br />

gegen eine bestimmte Summe in die Hand zu legen. Da<br />

solche Steuerpächter ihr vorgeschossenes Geld natürlich mit<br />

Gewinn hereinzuholen trachteten, waren sie als rigide Steuereintreiber<br />

gefürchtet.<br />

Baratti hatte zwischen 1712 und 1731 verschiedentlich die<br />

Grafschaften Hohenzollern-Hechingen, Sigmaringen und<br />

die Herrschaften Haigerloch und Wehrstein in Pacht. Er<br />

machte sich wegen seiner teilweise perfiden Politik nicht nur<br />

bei den hohenzollerischen Untertanen unbeliebt, sondern zuletzt<br />

auch beim Haus Hohenzollern selbst, weil er in den Verdacht<br />

von Unterschlagungen geriet. Dieser Steuerpächter Johann<br />

Paul von Baratti erwarb also 1703 erstmals und 1717<br />

wieder das Pfandobjekt Wilflingen, lebte aber weiterhin vorwiegend<br />

in Hechingen und ist so in der Wilflinger Geschichte<br />

nicht so sehr in Erscheinung getreten wie sein Sohn Franz<br />

von Baratti, der 1737 nach dem Tod des Vaters den Ort übernahm<br />

und sich hier mit seiner Familie seßhaft machte. Die<br />

Barattis haben sich sehr um die maroden kirchlichen Verhältnisse<br />

der kleinen Pfarrei angenommen, im Jahr 1742 stifteten<br />

sie etwa ein ewiges Licht.<br />

Aber durch die Nähe der Herrschaft zu den Wilflingern wurde<br />

das Untertanenverhältnis zunehmend belastet, bis es unter<br />

dem strengen Herrn zwischen 1750 und 1753 erneut zu<br />

erheblichen Unruhen im Dorfe kam. Die Wilflinger baten den<br />

Fürsten damals schon, den Fleckhen Wilflingen Zu dero gnädigsten<br />

Herrschafft widerum zu nemen und außzulösen, weil<br />

bey denen Barattischen in diesem grossen Elend... nit mer zu<br />

leben sei. Es dauerte allerdings bis 1764, daß das Haus Hohenzollern<br />

die Barattis auslöste. Die 27300 Gulden, die Baratti<br />

erhielt, stammten übrigens zum größten Teil von den<br />

Wilflingern selbst, die im Jahr 1765 dem Haus Hohenzollern<br />

das alte Hofgut um 20000 Gulden abkauften.<br />

Wie vergiftet am Ende des Verhältnis zwischen Baratti und<br />

den Wilflingern war, zeigte sich in zwei Brandfällen 1761 und<br />

1766, denen einmal das Wohnhaus, das andere Mal Scheune<br />

und Stallungen der Barattis zum Opfer fiel. Der Verdacht der<br />

Brandstiftung konnte damals nicht erwiesen werden, hat sich<br />

aber bis heute im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung erhalten.<br />

Der Streit zwischen Hohenzollern-Hechingen<br />

VOrderösterreich um Wilflingen<br />

und<br />

Nebeneffekt der Neuordnung von 1764/1765, bei der Wilflingen<br />

wieder direkt der hohenzollerischen Verwaltung unterstellt<br />

wurde, war also der Verkauf des zollerischen Hofgutes<br />

an die Gemeinde, d. h. Hohenzollern besaß seit damals<br />

in Wilflingen gar keine Grundherrschaft mehr. Das fügt sich<br />

in die politische Linie der Fürsten gegenüber ihrer Exklave<br />

während des 18. Jahrhunderts. Es ging den Hohenzollern zunehmend<br />

darum, mit dem entfernten Flecken Wilflingen so<br />

wenig wie möglich, am besten jedoch gar nicht mehr belastet<br />

zu sein. Schon im Jahr 1727 hatte Fürst Friedrich Ludwig,<br />

den Wert Wiblingens veranschlagen lassen, um das Dorf zu<br />

verkaufen. Kaufverhandlungen mit dem Kloster Salem zerschlugen<br />

sich jedoch damals. Und erst als Verhandlungen mit<br />

dem Deutschen Orden und mit Württemberg 1740 ebenfalls<br />

im Sand verlaufen waren, hatte sich Hohenzollern auf eine<br />

Verlängerung der Barattischen Pfandschaft eingelassen.<br />

Es ist übrigens interessant, weshalb ein Verkauf um 1730/40<br />

nicht zustande gekommen ist. Alle Interessenten hatten letztendlich<br />

deshalb abgelehnt, weil Hohenzollern gar nicht die<br />

volle Hoheit über das Dorf Wilflingen besaß. Tatsächlich geht<br />

aus verschiedenen Dokumenten seit dem 15. Jahrhundert hervor,<br />

daß die Hohe Gerichtsbarkeit über Wilflingen nicht bei<br />

Hohenzollern, sondern bei Osterreich lag. Die Herkunft dieses<br />

Rechtes läßt sich nicht genau klären. Entweder war Österreich<br />

im 14. Jahrhundert zum Nachfolger der Abtei Reichenau<br />

in der Oberherrschaft geworden oder aber die Teilung<br />

der Gerichtsbarkeit zwischen Hohenzollern und Osterreich<br />

in Wilflingen geht auf die ursprüngliche Trennung dieser<br />

Rechte zwischen Zollern und Hohenberg zurück - Osterreich<br />

trat hier ja bekanntlich 1371 die Rechtsnachfolge der<br />

Hohenberger an.<br />

Dieses alte Recht Österreichs, das die Grafen von Zollern z.B.<br />

im Pfefferschen Lagerbuch von 1598 anerkannten, hatte offensichtlich<br />

nie Probleme bereitet bzw. war von den vorderösterreichischen<br />

Behörden nicht in Anspruch genommen<br />

worden. Es ist sogar möglich, daß Fürst Friedrich Ludwig so<br />

etwas wie schlafende Hunde weckte, als er 1739 in Wien mit<br />

der Bitte einkam, er wolle dieses dorff geren auff art und weiß<br />

wie mein übrigens Land mit all- und jeden Herrlichkeiten...<br />

besitzen. Jedenfalls sollten schon wenige Jahre darauf heftige<br />

juristische, aber auch handgreifliche Auseinandersetzungen<br />

zwischen Zollern und Österreich beginnen, in denen Österreich<br />

aufgrund der hohen Gerichtsbarkeit die Territorialherrschaft<br />

über Wilflingen einforderte.<br />

Zankäpfel waren nacheinander die Salpetergräberei in Wilflingen,<br />

um die es zu militärischen Interventionen Österreichs<br />

kam (1745 ff.), das Jagdrecht und schließlich 1797 der Zollstock,<br />

den Österreich für sich reklamierte. Wäre nicht der<br />

große Franzose Napoleon in jenen Jahren mit seinen Truppen<br />

in unser Land eingefallen, es wäre zu befürchten gewesen,<br />

Österreich hätte mit seiner Ubermacht die Rechtsverhältnisse<br />

in Wilflingen zu seinen Gunsten umgekehrt. Aber<br />

durch die Protektion Napoleons konnte Hohenzollern seine<br />

Rechte in Wilflingen wahren, auch wenn Württemberg als<br />

Rechtsnachfolger Österreichs in Hohenberg das österreichische<br />

Spiel noch eine Zeitlang fortsetzte.<br />

1806 besetzte Württemberg das hohenzollerische Dorf und<br />

beanspruchte die alten österreichischen Rechte, also auch die<br />

Territorialherrschaft. In jenen Jahren wußte niemand so<br />

recht, ob Wilflingen hohenzollerisch oder württembergisch<br />

war. Nicht zuletzt die Anhänglichkeit der Wilflinger an Hohenzollern<br />

und ihr passiver Widerstand gegen die württembergischen<br />

Ansprüche ließ Württemberg im Jahr 1821 auf das<br />

Dorf unter dem Lemberg verzichten. Erst seit damals war<br />

Wilflingen erstmals in seiner Geschichte ohne jegliche Einschränkung<br />

hohenzollerisch. In diesen unsicheren Zeiten war<br />

das Fürstenhaus erneut versucht, Wilflingen an Württemberg<br />

zu verkaufen oder zu vertauschen. Entsprechende Verhandlungen<br />

waren schon 1811 aufgenommen worden und verliefen<br />

1820 im Sande, als sich Württemberg doch ganz zum Verzicht<br />

auf das unverdauliche Wilflingen entschloß.<br />

Nur 30 Jahre noch verblieb Wilflingen damals uneingeschränkt<br />

beim Fürstentum Hohenzollern, bis dieses sich aufgrund<br />

der Revolutionswirren von 1848 zwei Jahre später an<br />

die Brust des großen preußischen Bruders warf. Von 1850 an<br />

bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges lebte Wilflingen unter<br />

dem preußischen Adler. Die Jahre nach 1850 bedeuteten<br />

4


Älteste Ansicht Wiblingens auf der<br />

Rottweiler Pirschgerichtskarte<br />

von 1564.<br />

für Wilflingen wie für ganz Hohenzollern den Eintritt in die<br />

Moderne, mit der ein Zeitalter äußerst labiler wirtschaftlicher<br />

und sozialer Verhältnisse zu Ende ging.<br />

Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse<br />

Das Dorf am Fuß des Lembergs lebte immer unter bescheidenen<br />

Verhältnissen. Es läßt sich aufgrund der Quellenlage<br />

kaum vermeiden, große Passagen der Ortsgeschichte unter<br />

dem Stichwort drückender Armut abzuhandeln. Zwar läßt<br />

sich schon im Mittelalter zeigen, daß es hier langlebige bäuerliche<br />

Familien gab, die auf auskömmlichen Bauerngüter<br />

recht gut lebten, aber an einigen mittelalterlichen Familien<br />

kann auch nachvollzogen werden, wie eng Auskömmlichkeit<br />

und Verarmung beisammen lagen. Uberhaupt ist die mittelalterliche<br />

Geschichte Wiblingens durch die überaus gute<br />

Uberlieferung der Reichsstadt Rottweil und des Klosters<br />

Rottenmünster mit über 70 Urkunden bis zum Jahr 1500 wesentlich<br />

besser dokumentiert als in jedem anderen hohenzollerischen<br />

Dorf.<br />

Das Dorf war immer sehr klein. Im 16. Jahrhundert lebten in<br />

Wilflingen nie wesentlich mehr als hundert Personen. Zu Beginn<br />

des Dreißigjähjrigen Krieges war die 200-Einwohner-<br />

Grenze erreicht, erst im 18. Jahrhundert erfolgte die für Europa<br />

typische Bevölkerungsexplosion. Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

beherbergte Wilflingen rund 350 Einwohner, um<br />

1800 wurde die 500-Einwohner-Marke überschritten, 1905<br />

lebten hier 597 Menschen und 1994 858 Einwohner.<br />

Die schlechten landwirtschaftlichen Grundlagen in Verbindung<br />

mit verheerenden Kriegszeiten (Dreißigjähriger Krieg<br />

1618-1648; Franzoseneinfälle 1677 und 1692) und einer anwachsenden<br />

Bevölkerung führten zu extremen Besitzverhältnissen<br />

im Dorf. Um 1740 verfügten 15 Familien über rund<br />

180 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, während 53 weiteren<br />

Familien nur knapp 200 ha zur Verfügung standen.<br />

Allgemeine drückende Armut ist schon im 16. Jahrhundert<br />

spürbar. Diesem Umstand war es schon zu verdanken, daß<br />

die Gemeinde zwar im Jahr 1545 mit Hilfe Graf Jos Niclas'<br />

von Zollern die Loslösung der seit 1472 belegten Kapelle von<br />

der Mutterkirche St. Pelagius in Rottweil-Altstadt erreichte,<br />

dann aber jahrzehntelang wegen der geringen Dotation der<br />

Pfründe keinen Pfarrer gewinnen konnte und gleich als eine<br />

Herde Vieh, so keinen Hirten hat, leben mußte.<br />

Verheerende wirtschaftliche und soziale Verhältnisse herrschten<br />

endgültig seit Ende des Dreißigjährigen Krieges. Jetzt waren<br />

auch die reichsten Wilflinger Familien durch die Kriegsschäden<br />

in Armut geraten und hatten Schulden gemacht (bei<br />

reichen Bürgern, bei den Klöstern Stetten und Rottenmünster),<br />

aus denen sie nicht mehr herauskamen. Der Tiefpunkt<br />

der Entwicklung war erreicht, als im Jahr 1675 ein Kaufmann<br />

aus Stein am Rhein den ganzen Flecken Wilflingen wegen seiner<br />

Zahlungsunfähigkeit in die Reichsacht tat. Da auch das<br />

Haus Hohenzollern, das ja selbst unter notorischem Geldmangel<br />

litt, der Gemeinde nicht aufhelfen konnte, sondern<br />

sie eher noch durch Schätzungen (so 1669) auspreßte, ist<br />

in diesen Jahren die Idee der Verpfändung der Gesamtgemeinde<br />

herangereift. Das hat zwar das Haus Hohenzollern<br />

entlastet, aber die Wilflinger Bauernfamilien zusätzlich<br />

gefordert und somit die schon erwähnten Unruhen hervorgerufen.<br />

Als Versuch, die allgemeine wirtschaftliche Zerrüttung zu lindern,<br />

muß der Aufkauf des hohenzollerischen Hofgutes mit<br />

73 ha Land durch die Gemeinde im Jahr 1765 angesehen werden.<br />

Doch auch die Verteilung dieser Felder auf die armen<br />

Familien brachte nur vorübergehend Besserung. Tatsächlich<br />

hat sich die ökonomische Zerrüttung des Ortes trotz aller gemeindlichen<br />

Rettungsversuche über das Ende des Alten Reiches<br />

erhalten und im frühen 19. Jahrhundert noch verstärkt.<br />

Seit 1831 nahm die Gemeinde beim Württembergischen Kreditverein<br />

in sieben Tranchen insgesamt 66860 Gulden auf,<br />

der mit großem Abstand höchste Betrag, den eine hohenzollerische<br />

in jenen Jahren anforderte. Tatsächlich waren fast alle<br />

hohenzollerischen Dörfer damals gezwungen, sich über die<br />

gerade entstehenden Banken zu verschulden, aber als die<br />

preußischen Behörden nach Übernahme des Landes 1854 die<br />

wirtschaftlichen Verhältnisse prüften, sah sich der Beamte zu<br />

der Bemerkung veranlaßt: Eigentlich verzweifelt ist der Zustand<br />

nur in Wilflingen.<br />

Der Weg in die Moderne<br />

Bald war klar, daß die Gemeinde aus eigener Kraft die Situation<br />

damals nicht meistern konnte. Den Vogt Karl Burkhard<br />

aus Hausen im Killertal hielt man indes für den geeigneten<br />

Mann, um die »ökonomische Zerrüttung« Wilflingens zu<br />

meistern. Tatsächlich ist ihm dies in seiner Wilflinger Amtszeit<br />

(1852-1868) auch gelungen. Der Preis war allerdings der<br />

5


Einschlag eines riesigen Gemeindewaldes, der unter Wert, allerdings<br />

immer noch mit Gewinn verkauft werden mußte.<br />

Vogtamtsverweser Burkhard war auch der Initiator verschiedener<br />

frühindustrieller Anschubmaßnahmen wie der<br />

Errichtung einer Webermusterwerkstätte 1856, wie sie damals<br />

auch in Grosselfingen oder Jungingen betrieben wurden,<br />

und einer mechanischen Werkstätte, die zu ersten industriellen<br />

Versuchen des Drehers Karl Leibold führte. Diese<br />

Maßnahmen führten zwar noch nicht zu einer eigenständigen<br />

Industrialisierung, trugen aber bereits zur Linderung der<br />

Armut auf dem Dorf bei.<br />

Ein ganz eigener und erfolgreicher Versuch zur Uberwindung<br />

der Armut war die Entstehung des saisonalen Wanderhandwerks,<br />

ebenfalls in den Jahren nach 1850. In zunehmendem<br />

Maße wandten sich junge Wilflinger Männer dem<br />

Maurer- und Gipserberuf zu, um in kleineren Gruppen oder<br />

Kolonnen nach auswärts auf Arbeitssuche zu gehen. Anlaufstellen<br />

waren zunächst die großen Bahnbaustellen in den 60er<br />

und 70er Jahren, später die Stadterweiterungsmaßnahmen<br />

zum Beispiel in Freiburg, wo jahrzehntelang um die Jahrhundertwende<br />

zahlreiche Wilflinger Bauhandwerker über<br />

den Sommer Arbeit fanden.<br />

Zwar argwöhnten schon im Jahr 1855 Vogt Burkhard und<br />

der damalige Pfarrverweser, daß das Umherziehen der dortigen<br />

arbeitsfähigen Bevölkerung den Sommer hindurch<br />

hauptsächlich zu ihrer sittlichen Verwilderung führe, doch<br />

nahm das Arbeiten auf der Walz unaufhaltsam zu. Um die<br />

Jahrhundertwende war eine große Anzahl der Waffenfähigen,<br />

ungefähr 65 Mann, in Württemberg und Baden, im<br />

Schwarzwald arbeiten. Das saisonale Wanderhandwerk in<br />

Wilflingen spielte für die wirtschaftliche Gesundung des<br />

Dorfes in etwa dieselbe Rolle wie gleichzeitig der Hausierhandel<br />

für die Killertalgemeinden.<br />

Als schließlich im Jahr 1899 die Industrie nach Wilflingen<br />

vordrang, war die Gemeinde, gestützt auf das Handwerk, eine<br />

erweiterte Gewerbestruktur, Nebenerwerbslandwirtschaft<br />

und Fabrikarbeit wirtschaftlich über dem Berg. Allerdings<br />

kam dieser erfolgreiche Industrialisierungsschub immer<br />

noch nicht aus eigener Kraft. Es war der Harmonikahersteller<br />

Andreas Koch in Trossingen, der in den Expansionsjahren<br />

um die Jahrhundertwende in Wilflingen wie in<br />

vielen Heuberggemeinden eine Filiale errichtete. Diese Filiale,<br />

im Volksmund die »Bläslefabrik«, gab jahrzehntelang<br />

zahlreichen Arbeiterinnen und Arbeitern in Wilflingen Lohn<br />

und Brot. 1930 wurde die Fa. Koch vom Konkurrenten Hohner<br />

übernommen, der die Wilflinger Filiale bis zur Schließung<br />

1987 fortführte.<br />

Eine wichtige Quelle für die Verhältnisse um die Jahrhundertwende<br />

ist die Chronik des gebürtigen Wilflingers Johann<br />

Muschal (1862-1934), der jahrzehntelang in Neufra Lehrer<br />

war, aber getreulich Buch geführt hat über die sozialen Veränderungen<br />

seiner Heimatgemeinde in jener Zeit. Ihm verdanken<br />

wir zahlreiche wertvolle Einblicke in Sitten und<br />

Brauchtum Wilflingens, aber auch in die Begleitphänomene<br />

des kulturellen Wandels, auch in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen<br />

um die Jahrhundertwende.<br />

Der Weg aus der wirtschaftlichen Misere in die Moderne war<br />

von heftigen sozialen Erschütterungen begleitet, die zur Spaltung<br />

der Bevölkerung in zwei Parteiungen führte, wie man<br />

dies in anderen Orten ähnlich findet. Diese Spaltung des Dorfes<br />

in die »Roten« und die »Schwarzen« offenbarte sich erstmals<br />

im Kulturkampf der Jahre 1874 bis 1884. Vordergründig<br />

wurde hier um die Einsetzung eines neuen Pfarrers unter<br />

Bismarcks Maigesetzen von 1873 gestritten, die dem Staat eine<br />

Mitwirkung bei Pfarreibesetzungen einräumte. Im Grunde<br />

ging es jedoch in diesem Kampf um die Zurückdrängung<br />

kirchlichen Einflusses auf die politischen Verhältnisse.<br />

Opfer dieses Streites in Wilflingen war der Pfarrer Josef Pfister,<br />

der hier tatsächlich nicht eingesetzt wurde. Ahnlich hohe<br />

Wellen schlug der Kulturkampf in Hohenzollern nur noch<br />

in Bärental und Hausen im Killertal.<br />

Erneut kam die Spaltung des Dorfes Wilflingen in den Jahren<br />

nach 1896 zum Ausdruck, als es um den Bau der Wasserleitung<br />

ging, der hier wie anderswo in Hohenzollern die<br />

Bevölkerung in eine Partei der Erneuerer und der Bewahrer<br />

schied. Die Kämpfe zwischen den »Roten« und den<br />

»Schwarzen« setzten sich fort anläßlich der Bürgermeisterwahlen<br />

von 1906 und 1913, wo es jeweils zu heftigen handgreiflichen<br />

Auseinandersetzungen mit gefährlicher Körperverletzung<br />

kam.<br />

Es ist kaum verwunderlich, daß sich die Kämpfe zwischen<br />

den »Roten« und »Schwarzen« damals auch im kulturellen<br />

Bereich niederschlugen. Der erst im Jahr 1906 gegründete<br />

Musikverein spaltete sich bald schon in den »Musikverein«<br />

und die »Musikkapelle«, die beide 1911 beim Preisspielen in<br />

Gammertingen einen ersten Preis errangen. Anders als bei der<br />

Musik, der im Ersten Weltkrieg die Vereinigung gelang, ist<br />

der damals existierende Gesangverein über dem Fahnenstreit<br />

zwischen »Roten« und »Schwarzen« zerbrochen.<br />

Um beim Vereinswesen zu bleiben, so ist zu erwähnen, daß<br />

es in Wilflingen früh schon vereinsähnliche Gruppierungen<br />

aller Art gab, daß aber die Vereinsbildung im rechtlichen Sinn<br />

sehr spät erfolgte. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind Musikantengesellschaften<br />

in Wilflingen erwähnt, eine Vereinsgründung<br />

erfolgte jedoch erst 1906. Der älteste bekannte Verein<br />

Wilflingens war der Militärverein von 1867, der bis in den<br />

Zweiten Weltkrieg hinein bestand. Eine organisierte Fastnacht<br />

in Wilflingen ist schon zum Jahr 1845 als damals neuer<br />

Brauch belegt. Die Narrenzunft wurde jedoch erst 1930<br />

gegründet. Der Fußballverein VfR Wilflingen wurde ebenfalls<br />

1930 gegründet, der erfolgreiche Radfahrerverein »Alpenrose«<br />

geht ins Jahr 1925 zurück. Zu erwähnen ist noch<br />

der Kirchenchor, der schon einmal um die Jahrhundertwende<br />

existierte und 1988 neu gegründet wurde.<br />

Stationen des 20.<br />

Jahrhunderts<br />

Eine herausragende Persönlichkeit der Wilflinger Geschichte<br />

in unserem Jahrhundert war der langjährige Pfarrer Dr.<br />

Emil Dimmler, der die Pfarrei St. Gallus von 1904 bis 1949<br />

betreute. Er war in den zwanziger Jahren als religiöser Volksschriftsteller<br />

bekannt und zeigt sich in seiner Betreuung des<br />

Pfarrarchivs auch als ein Mann mit lokalhistorischem Interesse.<br />

In dem von ihm geordneten Archiv finden sich Quellen,<br />

die man ansonsten in einem Pfarrarchiv nicht vermutet,<br />

unter anderem die Abschrift aller Karten und Briefe, die ihn<br />

während des Ersten und Zweiten Weltkrieges von Wilflinger<br />

Soldaten im Feld erreichten. Dies ist eine einmalige, aber auch<br />

erschütternde Quelle für die Erfahrungen und die Mentalität<br />

der Weltkriegsteilnehmer.<br />

Pfarrer Dimmler gehörte zwar nicht zu den katholischen<br />

Geistlichen, die sich in die erste Reihe des Widerstands gegen<br />

den Nationalsozialismus stellten, dennoch spielte er in<br />

den Jahren der Machtentfaltung der Nazis in Wilflingen eine<br />

nicht zu unterschätzende Rolle, als er sich mit einem mutigen<br />

Brief öffentlich gegen den Lehrer und NS-Ortsgruppenleiter<br />

Alois Erath, einen nationalsozialistischen Scharfmacher,<br />

wandte und 1934 dessen Versetzung nach Gammertingen<br />

erreichte. Damit blieben dem Dorf möglicherweise noch<br />

bittere Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus erspart.<br />

Von den unmenschlichen Greueln des Nazi-Regimes konnten<br />

die Wilflinger spätestens gegen Ende des Krieges erfahren,<br />

als im Rahmen des Unternehmens »Wüste« im benachbarten<br />

Schörzingen ein KZ für ausländische Zwangsarbeiter<br />

errichtet wurde. Die Schüsse der Exekutionen habe man<br />

6


nachts bis nach Wilflingen gehört, ist einem zeitgenössischen<br />

Bericht des Gosheimer Pfarrers Schilling zu entnehmen.<br />

In der Nachkriegszeit wurde wiederum ein Pfarrer, Dimmlers<br />

Nachfolger Andreas Mors (1949-1961), zu einer wichtigen<br />

Persönlichkeit in Wilflingen. Ihm verdankt die Gemeinde<br />

eine Gedenkkapelle für die Opfer der Weltkriege auf dem<br />

Friedhof von 1953 und den Umbau der Pfarrkirche St. Gallus<br />

im Jahre 1957. Zu den Glanzpunkten des Bauprogramms<br />

gehört ein Zyklus von neun Kirchenfenstern von Prof. Albert<br />

Birkle, das sog. »Wilflinger Credo«.<br />

In der politischen Gemeinde Wilflingen der Nachkriegszeit<br />

ist insbesondere Bürgermeister Hugo Kiene (1960-1974) zu<br />

erwähnen, dessen Wahl 1958 zwar noch ein letztes Mal die<br />

Kräfte des »roten« und des »schwarzen« Wilflingen in Bewegung<br />

setzte, der dann aber nach seiner Einsetzung die Entwicklung<br />

des Dorfes zur modernen Gemeinde erfolgreich betrieben<br />

hat. Kiene konnte allerdings 1973 die Eingemeindung<br />

Wilflingens nach Wellendingen nicht verhindern und stimmte<br />

der »Vernunftehe« zu. Schon früher, im Jahr 1969, wurde<br />

die Eingliederung Wilflingens in den Kreis Rottweil vollzogen.<br />

Mit dem Abschied vom Kreis Hechingen war die Brücke<br />

zu Hohenzollern verwaltungsmäßig abgebrochen. Der Abschied<br />

nach einem so langen, gemeinsamen geschichtlichen<br />

Weg ist nicht leicht, sagte damals Landrat Dr. Mauser in einer<br />

Sitzung des Kreisrates in Wilflingen.<br />

Umso erstaunlicher ist es, wie stark die innere Verbundenheit<br />

der Wilflinger mit Hohenzollern heute noch zum Ausdruck<br />

kommt. Im heutigen Gemeindeleben Wilflingens spielen<br />

die Vereine eine wichtige Rolle. Sie tragen wesentlich zur<br />

Identität des Dorfes als ehemals hohenzollerischer Ort auch<br />

unter dem Dach der neuen Gemeinde Wellendingen bei.<br />

Literatur<br />

Casimir Bumiller, Wilflingen. Ein Geschichts- und Heimatbuch.<br />

Horb a. N. 1994 (erhältlich über das Bürgermeisteramt 78669 Wellendingen).<br />

OTTO H. BECKER<br />

Über das Tanzen im 18. Jahrhundert<br />

Die urwüchsige Lebensfreude der vornehmlich bäuerlichen<br />

Landbevölkerung in der Neuzeit äußerte sich neben den häufigen<br />

Gastereien bei Taufen, Hochzeiten, Begräbnissen und<br />

zur Kirchweih, bei denen in der Regel unmäßig gegessen und<br />

getrunken wurde, und der Narretei an Fastnacht vor allem in<br />

den beliebten Tanzvergnügungen. Auch bei den zuletzt genannten<br />

Veranstaltungen ging es zumeist recht derb und ausgelassen<br />

zu. So gehörten damals, wie es Peter Thaddäus Lang<br />

einmal formuliert hat, »das Drehen und Hochwerfen der<br />

Mädchen zum Grundrepertoire der Tanzfiguren«. Dabei<br />

sollten sich die Röcke heben, unter welchen keine Unterwäsche<br />

die Körper weiters verhüllte. Nicht selten arteten solche<br />

Belustigungen auch zu richtigen Wirtshausschlägereien aus,<br />

die in dieser Epoche zu den häufigsten Delikten zählten.<br />

In den damals gültigen Landes-, Stadt- und Polizeiordnungen<br />

waren das Saitenspiel und das Tanzen an Sonn- und Feiertagen<br />

denn auch generell verboten. Diese Vorschriften zum<br />

Schutz der Feiertage waren jedoch keineswegs unumstritten.<br />

Auch ließen die Regierenden je nach Umständen Ausnahmen<br />

von dieser Norm zu, wie wir aus einem Vorgang erfahren,<br />

der im Bestand Ho 171 (Herrschaft Jungnau) des Staatsarchivs<br />

Sigmaringen verwahrt wird. Danach übertrug der Fürst<br />

von Fürstenberg mit Reskript vom 11. August 1778 auf Bitten<br />

der Wirte den Obervögten in seinem Territorium die Befugnis,<br />

nach ihrem Gutdünken Tanzveranstaltungen an<br />

Sonn- und Feiertagen gegen die Entrichtung einer Gebühr<br />

zwischen dreißig Kreuzern und einem Gulden zu gestatten,<br />

sofern die »gute Ordnung« gewährleistet war.<br />

Wie wir aus einer Anordnung der Fürstl. Fürstenbergischen<br />

Regierung in Donaueschingen vom 12. November 1784 dann<br />

aber entnehmen können, wurde bald danach das strikte Tanzverbot<br />

an Feiertagen wieder eingeführt, was bei dem damals<br />

häufigen Ausarten dieser Lustbarkeiten nicht verwunderlich<br />

ist. Die Obervögte und Amtleute durften jeweils nur noch an<br />

einem Werktag pro Woche in einem Ort das Tanzen genehmigen.<br />

Wohl in der Einsicht, daß solche Lustbedürfnisse weiter<br />

Kreise durch behördliche Maßnahmen kaum zu reglementieren<br />

waren, hatten Obervögte dann aber die Forderung<br />

erhoben, das Tanzverbot an Sonn- und Feiertagen ganz aufzuheben.<br />

Der Landesherr blieb gegenüber dieser Initiative jedoch hart.<br />

In der erwähnten Anordnung heißt es hierzu: »Serenissimus<br />

wollen aber dessen ohngeachtet die ergangene Verordnung<br />

beharret wissen, an denen Wärktäg, doch in jedem Ort in der<br />

Woche niehmals mehr als nur an einem Tage das Tanzen gegen<br />

die in den Schulfond zu entrichtende Recognition zu erlauben«.<br />

Quellennachweis<br />

StA Sigmaringen Ho 171 (Herrschaft Jungnau) NVA II 15.196<br />

Literaturnachweis<br />

Peter Thaddäus Lang: Die Polizeiordnung der Herrschaft Lautlingen<br />

aus dem Jahre 1587. In: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte<br />

27 (1991) S. 29-51, hier S. 30.<br />

ROLF VOGT<br />

Hechingen und der 30. Juni 1934<br />

Überlegungen zu den Auswirkungen der SA-Entmachtung auf eine südwestdeutsche<br />

Kleinstadt<br />

Röhm-Putsch oder Röhm-Affaire sind nach wie vor die gängigen<br />

Begriffe für das Blutbad, das am 30. Juni 1934 und den<br />

folgenden Tagen Adolf Hitler und die ihm ergebene SS mit<br />

wohlwollender Duldung der Reichswehr im Deutschen<br />

Reich anrichteten. Gleichwohl besteht seit langem Einigkeit<br />

darüber, daß der Staatsstreich von oben eine gewollte Inszenierung<br />

war, die die SA unvorbereitet und weitgehend arglos<br />

traf, weil sie trotz der Machtansprüche ihres Stabschefs<br />

Ernst Röhm nicht an eine gewaltsame Lösung des Konflikts<br />

mit der Parteihierarchie der NSDAP dachte 1 . Für die Ge-<br />

7


schichte des NS-Staates markierte jener hemmungslose<br />

Ausbruch der Gewalt auf jeden Fall einen Einschnitt. Die<br />

NSDAP entledigte sich ihres revolutionären Flügels und<br />

wurde hoffähig für Deutschlands konservative Führungsschicht,<br />

die - auf Seiten des greisen Reichspräsidenten Paul<br />

von Hindenburg - am neuen Regime vor allem Hitlers Leistung<br />

bei der Ausschaltung der Gefahr von links schätzte, die<br />

radikalen Töne der »Bewegung« aber als Bedrohung auffaßte.<br />

Nach dem 30. Juni 1934 wurde das Verhältnis einfacher.<br />

Was bedeutete das folgenschwere Wochenende für eine<br />

Kleinstadt wie »des Reiches älteste Zollernstadt« Hechingen?<br />

Die Entwaffnung der SA-Schule auf dem Lindich<br />

Der Martinsberg, jenseits des Eisweihers vor den Toren der<br />

Stadt, war schon immer ein gern besuchtes Naherholungsziel<br />

der Hechinger. Doch die Insassen des Mietautos, das in den<br />

Abendstunden des 30. Juni 1934 den Hügel hinaufschnaufte,<br />

hatten nicht die Schönheiten der Landschaft und das satte<br />

Grün von Büschen und Bäumen im Blick. In dem Wagen, den<br />

sie sich bei der Autovermietung Johann Wiest geholt hatten,<br />

saßen Bedienstete des Landratsamts Hechingen. Sie waren<br />

auf dem Weg zum Lindich. Ihr Auftrag: Erkundigungen über<br />

das Verhalten des Personals der SA-Sportschule einzuholen,<br />

die Anfang Mai des Jahres in dem ehrwürdigen Schloß ihren<br />

Einzug gehalten hatte.<br />

Alarmiert worden war das Landratsamt vorsorglich vom Regierungspräsidenten<br />

in Sigmaringen 2 . Dort, in der Funkstelle<br />

der Staatspolizei, gingen im Laufe jenes Samstags laufend<br />

neue Funksprüche aus Berlin ein, von denen einer beunruhigender<br />

war als der andere. In der Hauptstadt ging es drunter<br />

und drüber, Klarheit über die verworrene Situation zu erhalten,<br />

war nicht einfach. Regierungspräsident Dr. Carl Simons<br />

zog es deshalb vor, selbst aktiv zu werden. Konnte es<br />

nicht sein, daß auch die Hechinger SA-Schule an den vermeintlich<br />

hochverräterischen Umtrieben beteiligt war, die im<br />

ganzen Reich eine Polizeiaktion sondergleichen ausgelöst<br />

hatten?<br />

Die Hechinger Schule war daran nicht beteiligt, jedenfalls<br />

wurden vom Hechinger Landratsamt keine beunruhigenden<br />

Meldungen an das Regierungspräsidium weitergeleitet. So<br />

blieb der SA-Schule auf dem Lindich noch ein Tag bitterer<br />

Ungewißheit.<br />

Als am Abend des Sonntag, 1. Juli 1934, aus Berlin der Funkspruch<br />

einging, der preußische Ministerpräsident Hermann<br />

Göring habe der Polizei Befehl zu einer »allgemeinen Entwaffnungsaktion«<br />

bei der SA erteilt, schaltete sich der Regierungspräsident<br />

erneut ein. Von Sigmaringen aus setzte sich<br />

eine Kolonne von Gendarmeriebeamten unter der Leitung<br />

des Gendarmeriehauptmanns Dorgerloh in Bewegung, die<br />

zuerst in Gammertingen Station machte. Mit Unterstützung<br />

eines dort in Alarm liegenden SS-Zuges wurden kurz nach<br />

22 Uhr die Gammertinger SA-Schule besetzt und die Straße<br />

nach Hechingen gesperrt, »damit die Aktion nicht vorzeitig<br />

bei der Schule im Schloß Lindich bekannt werden konnte« 3 .<br />

Gammertingens SA-Schule leistete keinen Widerstand, ihre<br />

Besatzung lieferte ihre Waffen zwar mit »Bedenken«, aber<br />

ohne Zögern aus.<br />

Die Hechinger Schule war nicht so einfach zu überwältigen.<br />

Die Sigmaringer Gendarmerie hatte das erwartet und deshalb<br />

Unterstützung von der Hechinger Gendarmerie angefordert<br />

und sich der Hilfe eines aus Tübingen angerückten SS-Zuges<br />

versichert. 4 Gegen 1.15 Uhr in der Nacht zum 2. Juli standen<br />

die Einsatzkräfte, insgesamt etwa 60 Mann, vor dem Tor des<br />

Schlosses. Ihr Befehlshaber Dorgerloh forderte den Posten<br />

auf, das Tor zu öffnen, und verlangte, zum Schulleiter gebracht<br />

zu werden. Doch dem Befehl wurde nicht Folge geleistet.<br />

Vielmehr kamen mehr und mehr SA-Angehörige hinter<br />

dem Tor zusammen, die ihre Gewehre zu laden und zu<br />

sichern begannen. Der Gendarmeriebefehlshaber gab darauf<br />

hin seinen Männern den Befehl, über das Tor zu klettern und<br />

die Schule von innen zu öffnen. Der Coup gelang, die SAMänner<br />

am Eingang konnten entwaffnet werden, das Schloß wurde<br />

von Gendarmerie und SS besetzt. Dorgerloh selbst begab<br />

sich zu Schulleiter Anton Gabel 5 und forderte die Herausgabe<br />

der in der Schule gelagerten Waffen. Der Schulleiter zögerte.<br />

Ihm war mitgeteilt worden, daß Sportschulen der SA<br />

von der Entwaffnung ausgeschlossen seien. 6 Wohl nicht zuletzt<br />

deshalb hatten Gendarmerie und SS die wohl etwa<br />

40köpfige Belegschaft der Schule - ein Kurs war gerade nicht<br />

im Schloß - schlafend angetroffen. Sich entwaffnen zu lassen,<br />

widerstrebte Gabel trotzdem. »Gabel zeigte fast die ganze<br />

Zeit über ein Wesen, das seine Leute in der Neigung zu Widersetzlichkeiten<br />

bestärken oder diese wecken mußte«, notierte<br />

Dorgerloh am nächsten Tag in seinem Bericht.<br />

Bei der Suche nach den Waffen kam es deshalb mehrfach zu<br />

brenzligen Situationen. Die Besatzung der Schule provozierte<br />

die Polizeibeamten, indem sie Kampflieder, darunter das<br />

Horst-Wessel-Lied, sang und immer wieder lautstark »Sieg<br />

Heil« und »Deutschland erwache« ausrief. Einzelne Gendarmen<br />

wurden bedrängt und beschimpft. Fast zwei Stunden<br />

dauerte es, bis alle Waffen gefunden und auf zwei Lastwagen<br />

verladen waren, die die Brauerei St. Luzen und die Autovermietung<br />

Wiest gestellt hatten. Zusammen kamen dabei 197<br />

Gewehre und mehrere Munitionskisten. Die Schlüssel für ein<br />

größeres Munitionslager im Schloß wurden beschlagnahmt.<br />

Die Entwaffnung der SA-Schulen in Gammertingen und Hechingen<br />

war nicht die einzige Aktion, mit der sich Behörden<br />

in Hohenzollern an der staatlich verordneten Racheaktion an<br />

der SA beteiligten.<br />

Bereits in der Nacht zum 1. Juli 1934 war die SA-Standarte,<br />

die ihren Sitz in Haigerloch hatte, von einer SS-Einheit entwaffnet<br />

worden, einzelnen Angehörigen der Wehrformation<br />

wurden ihre Waffen ebenfalls abgenommen. Weitere 65 Gewehre,<br />

Karabiner und Pistolen lieferte die SA-Standarte am<br />

5. Juli 1934 der Gendarmerie aus, nachdem Standartenführer<br />

Vincenz Stehle dem Landratsamt das Vorhandensein einer<br />

weiteren Waffenkammer angezeigt hatte. 7 Insgesamt wurden<br />

im Regierungsbezirk Sigmaringen - vornehmlich im Kreis<br />

Hechingen - gut 100 Gewehre beschlagnahmt, die sich im Besitz<br />

der SA befunden hatten. Weil angeblich Anhaltspunkte<br />

dafür vorlagen, daß Teile der Standarte auf einen Einsatz am<br />

30. Juni 1934 vorbereitet waren, leitete die Staatspolizeistelle<br />

in Sigmaringen ein Ermittlungsverfahren gegen Standartenführer<br />

Stehle ein, das aber zu keinem Ergebnis führte. 8<br />

Die Nacht- und Nebel-Aktion im Schloß Lindich dürfte sich<br />

in Hechingen schnell herumgesprochen haben, auch wenn<br />

sich in den beiden Zeitungen der Stadt, dem katholischen Zoller<br />

und den nationalsozialistischen Hohenzollerischen Blättern,<br />

kein Wort darüber fand. Die Schule auf dem Lindich<br />

war den Hechingern ein Ärgernis. Mit großem Aufwand hatte<br />

die Stadt in dem vom Fürsten Friedrich von Hohenzollern<br />

bereitgestellten Schloß Anfang des Jahres 1934 den Wasseranschluß<br />

herstellen und die Räumlichkeiten renovieren lassen.<br />

Anfang Mai wurde die Schule, die auf dem Truppenübungsplatz<br />

Heuberg der Reichswehr weichen mußte, mit<br />

einer pompösen Kundgebung auf dem Marktplatz eingeweiht.<br />

9 Etwa 250 Männer belegten das Schloß während der<br />

Kurse. 10 Mit monatlichen Kameradschaftsabenden bemühte<br />

sich die Schule zwar um ein freundschaftliches Verhältnis zu<br />

den Hechingern, doch blieb der Erfolg aus: »Das Verhältnis<br />

der auf dem Schloß Lindich untergebrachten SA-Führerschule<br />

zur Bevölkerung der Stadt Hechingen ... ist bedauerlicherweise<br />

nach wie vor äußerst gespannt«, beschrieb Landrat<br />

Paul Schraermeyer Ende Juni in seinem Lagebericht an<br />

die Staatspolizei das Zusammenleben. 11<br />

8


Mehrere unerfreuliche Vorgänge hatten zu den Spannungen<br />

beigetragen. Im Mai etwa war es in zwei Wirtshäusern in<br />

Schlatt und in Hechingen zu Schlägereien gekommen, an denen<br />

Angehörige der Schule beteiligt waren. Bei dem Zwischenfall<br />

in Hechingen hatte ein Unterführer der Schule ein<br />

Mitglied des Turnvereins angepöbelt, weil es eine Uniform<br />

des Stahlhelm trug. Als der SA-Mann dem Turner die Uniform<br />

zerriß, wurde er von anderen Mitgliedern des Turnvereins,<br />

die bei dem Vorfall zugegen waren, verprügelt. Auch im<br />

Schützenhaus, wo die Schule ihre Schießübungen absolvierte,<br />

hatten Kursteilnehmer und Personal wenig Einfühlungsvermögen<br />

in das nationale Empfinden der Hechinger gezeigt.<br />

Ehrenscheiben, die der Schützengilde besonders wertvoll waren,<br />

wurden von den Schulangehörigen bedenkenlos zertrümmert,<br />

wenn ihnen die Darstellungen nicht zeitkonform<br />

erschienen. Hinzu kam, daß Kursteilnehmer und Personal in<br />

Gasthäusern immer wiederüber die Stränge schlugen. Im Hotel<br />

Rad widersetzten sie sich mehrfach sogar den städtischen<br />

Polizeibeamten. Der Korpsgeist in der Schule erschwerte die<br />

Aufklärung der Vorfälle. Die Polizei stieß dort auf eine Mauer<br />

des Schweigens, die die Ermittlung der Täter unmöglich<br />

machte.<br />

Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit: Das Cafe'<br />

Röcker zu besuchen, hatte Schulleiter Anton Gabel sowohl<br />

Personal als auch Kursteilnehmern der Schule verboten, weil<br />

die »Frau Konditormeister« mit abfälligen Bemerkungen<br />

über das Verhalten der Schule aufgefallen sein soll. 12<br />

Nach dem 30. Juni 1934 drängten Landrat und Regierungspräsident<br />

deshalb mit Nachdruck auf die Ablösung des Schulleiters,<br />

dem die Schuld an den Spannungen gegeben wurde.<br />

Da der von Hitler nach der Ermordung Röhms als SA-Chef<br />

eingesetzte Viktor Lutze in seinem ersten Stabsbefehl angeordnet<br />

hatte, daß »SA-Führer, die sich ... vor den Augen der<br />

Öffentlichkeit unwürdig benehmen, randalieren oder gar Exzesse<br />

veranstalten«, aus der SA zu entfernen seien, und von<br />

staatlichen Stellen in solchen Fällen bei Strafverfahren härtere<br />

Urteile forderte 13 , fühlten sich Landrat und Regierungspräsident<br />

ermutigt, gegen die SA-Schule vorzugehen.<br />

Bei der Hechinger Staatsanwaltschaft lag seit dem Mai 1934<br />

eine Anzeige gegen Schulleiter Anton Gabel wegen Widerstands<br />

gegen die Staatsgewalt, Nötigung, Beamtenbeleidigung<br />

und groben Unfugs vor. Beim Regierungspräsidenten<br />

verwandte sich der Hechinger Landrat Paul Schraermeyer energisch<br />

dafür, das Verfahren voranzutreiben, und Regierungspräsident<br />

Dr. Simons machte sich in einem Bericht an<br />

das preußische Innenministerium die Forderung des Landrats<br />

nach einer Ablösung des Schulleiters zu eigen, »insbesondere<br />

auch wegen seines Auftretens bei der Entwaffnung«.<br />

Erfolg hatte ihre Intervention nicht. Obwohl der Hechinger<br />

Oberstaatsanwalt Dr. Poth Anfang August beim Amtsgericht<br />

Hechingen einen Strafbefehl beantragte, blieb der Schulleiter<br />

unbehelligt. Sein Vergehen fiel unter die Amnestie, die das<br />

nationalsozialistische Regime nach dem Tode von Reichspräsident<br />

Paul von Hindenburg und dem Ubergang der obersten<br />

Staatsgewalt auf Adolf Hitler verkündete. Für die Abberufung<br />

des Schulleiters war das Innenministerium zudem<br />

nicht zuständig. Der Kanzlei des preußischen Ministerpräsidenten<br />

Hermann Göring, an die die Forderung des Sigmaringer<br />

Regierungspräsidenten weitergeleitet worden war, erschien<br />

die Hechinger SA-Schule möglicherweise zu unbedeutend<br />

für eine Reaktion. In den Akten des Regierungspräsidiums<br />

findet sich jedenfalls kein Hinweis auf eine Antwort<br />

aus Berlin. 14<br />

(2. Teil folgt im nächsten Heft)<br />

Anmerkungen<br />

1 Vgl. in Handbüchern Erdmann, Karl Dietrich, Deutschland unter<br />

der Herrschaft des Nationalsozialismus 1933 - 1939, (= Gebhardt,<br />

Handbuch der deutschen Geschichte), München, 1980, S. 94 ff.,<br />

oder in Monographien Broszat, Martin, Der Staat Hitlers, München,<br />

1969, S. 244 ff.<br />

2 Staatsarchiv Sigmaringen (StaS), Ho 235, 20, I, VIII, F 18 (neue<br />

Nummer 334), Röhm-Revolte vom 30.6.34. Die Akte erwähnt die<br />

Erkundung nur beiläufig.<br />

3 StaS, ebd., Bl. 19 ff., Der Bericht, an den sich die Darstellung der<br />

Entwaffnungsaktion anschließt, wurde vom Leiter der Einsatztruppe,<br />

Dorgerloh, verfaßt. Beurteilungen der Entwaffnungsaktion<br />

finden sich auch in den politischen Lageberichten, StaS, Ho 235,<br />

20, I, VIII, A 21 (neue Nummer 57), Neuorganisation der politischen<br />

Polizei hier Lageberichte.<br />

4 StaS, Ho 235, 20,1, VIII, F 18, Bl. 19 ff., 54 f.<br />

5 Anton Gabel, geboren 18. 9. 1894 in Heilbronn, gestorben 26. 6.<br />

1935 in Heilbronn. Gabel war Weltkriegsteilnehmer und<br />

Freikorpskämpfer. Seit dem 15. 10. 1933 leitete er die SA-Unterführerschule<br />

auf dem Heuberg, mit der er Anfang Mai 1934 nach<br />

Hechingen kam. 1935 wurde er Hauptmann der Wehrmacht in<br />

Heilbronn. Bei einer Übung erlitt er einen tödlichen Unfall. Vgl.<br />

Hohenzollerische Blätter (Hz Bl.) 148/28.6.1935,149/29. 6.1935,<br />

152/3. 7. 1935.<br />

6 Eine entsprechende Anordnung lag dem Regierungspräsidenten<br />

in Sigmaringen zum Zeitpunkt der Entwaffnung nicht vor. Der<br />

Funkspruch Nr. 112 des SSD Berlin mit der Anordnung, »daß<br />

sa-sportschulen und sa-führerschulen nicht zu entwaffnen sind<br />

wo dies schon geschah, sind Waffen ... zurück zu geben«, trägt<br />

in den Akten des Regierungspräsidiums den Eingangsstempel mit<br />

Datum vom 3. 7. 1934. Der Regierungspräsident sah sich nach<br />

der Entwaffnungsaktion massivem Druck seitens des Beauftragten<br />

des Chefs des Ausbildungswesens der SA, Gruppe Südwest,<br />

in Stuttgart, Zybon, ausgesetzt. Das Regierungspräsidium wollte<br />

die Rückgabe der Waffen von der Abberufung des Schulleiters<br />

abhängig machen und intervenierte deshalb beim preußischen<br />

Innenministerium in Berlin, s. u. Das Innenministerium verfügte<br />

die Rückgabe der Waffen, ohne auf die Forderung des Sigmaringer<br />

Regierungspräsidenten einzugehen, StaS, Ho 235, 20,1, VIII, Fl 8,<br />

Bl. 54 ff. 61,67 f.<br />

7 StaS, Ho 235, 20, I, VIII, A 21, Lagebericht Regierungspräsident<br />

8. 8. 1934, Ho 235, 20,1, VIII, F 18, Bl. 29 ff., 85 f., 100.<br />

8 StaS, Ho 235, 20, I, VIII, A 21, Lagebericht Landrat Hechingen<br />

26. 7. 1934, Lagebericht Regierungspräsident 8. 8. 1934.<br />

9 Hz. Bl. 104/ 7. 5. 1934, Zoller (Z) 104/ 7. 5.1934. Das Schloß stand<br />

zuvor leer. Die Stadt Hechingen stellte für den Umbau 50000 RM<br />

und für die Herstellung des Wasseranschlusses 45 000 RM zur Verfügung,<br />

Hz. Bl. 287/14.12.1933. Der Umbau begann Anfang 1934,<br />

Hz. Bl. 27/2.2. 1934, Z 27/2. 2. 1934. Im März 1934 schaltete die<br />

Stadt Hechingen im katholischen Zoller eine Anzeige, mit der zehn<br />

Wohnungen für das Lehrpersonal der Schule gesucht wurden,<br />

Z 65/ 19. 3. 1934. Die Eröffnung der Schule wurde in den Zeitungen<br />

mehrfach angekündigt, Hz. Bl. 100/2. 5. 1934, 102/4. 5. 1934,<br />

Z 103/ 5. 5. 1934. Eine Einladungskarte ist in der Hohenzollerischen<br />

Heimatbücherei, K 64 II, archiviert. Die Eröffnung der Schule<br />

wurde als Großkundgebung organisiert, bei der die Hechinger<br />

SA Personal und Kursteilnehmer am Brielhof abholte. Auf dem<br />

Marktplatz wurden sie von Bürgermeister Paul Bindereif empfangen,<br />

der den »herzlichsten Willkommensgruß unserer schönen Zollernstadt«<br />

entbot, Hz. Bl. 104/ 7. 5. 1934. Die Schule selbst wurde<br />

in Anwesenheit von Regierungspräsident Dr. Carl Simons und des<br />

Kreisleiters Dr. Theodor Johannsen offiziell eingeweiht. Am nächsten<br />

Tag schlossen sich eine Totengedenkfeier an der Hechinger<br />

Kriegergedächtnisstätte und ein Kameradschaftsabend im Museum<br />

an.<br />

StaS, Ho 235, 20, 1, VIII, Fl 8, Bl. 24.<br />

11 ebd., s. a. StaS, Ho 235, 20, 1, VIII, A 21, Lageberichte Staatspolizeistelle<br />

2. 6. 1934, 5. 7. 1934, Tagesbericht 5. 7. 1934.<br />

12 ebd., Bl. 24, 25 f.<br />

13 Völkischer Beobachter, Sondernummer, 1. 7. 1934. Ein Exemplar<br />

ist in der Akte des Regierungspräsidiums, Bl. 48, abgelegt worden.<br />

14 StaS, Ho 235,20,1, VIII, F18, Bl. 61, 79, 80 f.<br />

9


HERBERT RÄDLE<br />

Der Bingener Hochaltar, Vorbild für Exportaltäre der<br />

Ulmer Weckmann-Werkstatt in die Schweiz<br />

Die Reichsstadt Ulm, im Spätmittelalter eines der wichtigsten<br />

Kunstzentren Süddeutschlands, bot vielen bedeutenden<br />

Bildhauern und Malern reiche Arbeitsmöglichkeiten. Unter<br />

den Bildschnitzern war Nikiaus Weckmann (Schaffenszeit<br />

1481-1528) der bedeutendste. Die Weckmann-Werkstatt lieferte<br />

in den Jahrzehnten um 1500 Schnitzaltäre auch für das<br />

Gebiet des heutigen Kreises Sigmaringen, Meisterwerke, die<br />

sich teilweise noch am ursprünglichen Standort befinden wie<br />

die Altarfiguren der Pfarrkirchen Bingen und Ennetach, zum<br />

größeren Teil jedoch abgewandert sind in verschiedene Museen,<br />

wie das Retabel von Roth bei Meßkirch (heute Riss-<br />

Museum Mannheim) oder der Meßkircher Eligius-Altar<br />

(heute Schnütgen-Museum Köln).<br />

Weckmann arbeitete seit der Wende zum 16. Jahrhundert<br />

auch für den Export in die Schweiz. An der Verbreitung seiner<br />

Werke bis nach Graubünden läßt sich in besonderer Weise<br />

die Bedeutung dieses Ulmer Meisters und seiner Werkstatt<br />

ablesen 1 .<br />

In dem zum Bistum Chur gehörigen Kanton Graubünden<br />

wurde im 15. und 16. Jahrhundert eine Reihe neuer Kirchen<br />

gebaut. Da jedoch für deren künstlerische Ausstattung die<br />

einheimische Produktion nicht ausreichte - selbst in der alten<br />

Bischofsstadt Chur sind keine nennenswerten malerischen<br />

oder bildhauerischen Traditionen faßbar - ging ein<br />

Großteil der Aufträge für die Ausstattung der neugebauten<br />

Kirchen mit Altären an oberschwäbische Werkstätten.<br />

Den Löwenanteil der Aufträge sicherte sich Ivo Strigel aus<br />

Memmingen, dessen Werkstatt ab 1486 eine Vielzahl von Flügelaltären<br />

nach Graubünden lieferte, von denen noch rund<br />

20 als Ganzes oder in Teilen nachweisbar sind. Der bedeutendste<br />

Auftrag, der Hochaltar des Domes zu Chur von 1492,<br />

ging an Jakob Ruß aus Ravensburg. Aus Ravensburger Werkstätten<br />

stammt mit großer Wahrscheinlichkeit auch der 1477<br />

datierte Hochaltar der Klosterkirche des 10 km südlich von<br />

Chur gelegenen Churwalden 2 .<br />

Die Altäre der nahen, ebenfalls zum Bistum Chur gehörigen<br />

Graubündner Orte Alvaneu, Salouf und Domat (Ems) wurden<br />

1935 von Gertrud Otto als Export der Ulmer Weckmann-<br />

Werkstatt erkannt. Darüberhinaus stellte Gertrud Otto die<br />

Abhängigkeit der Skulpturen dieser drei Graubündner Altäre<br />

von denen des Bingener Hochaltars heraus 3 .<br />

Bei dem Altar der katholischen Pfarrkirche St. Maria Geburt<br />

in Alvaneu handelt es sich um einen großen barocken Hochaltar,<br />

in den gotische Teile eingebaut sind. Die gotischen Teile<br />

wurden so wiederverwendet, daß die Schreinfiguren aus<br />

der Weckmann-Werkstatt das Zentrum über dem Tabernakel<br />

bilden und darüber die ehemaligen Altarflüge 4 montiert<br />

wurden. Der »Schrein« enthält - entsprechend der Anordnung<br />

in Bingen - in der Mitte die Muttergottes und rechts<br />

und links zwei Heiligenpaare: Mauritius und Johannes Baptista,<br />

sowie Magdalena und Ursula. Besonders bei den Figuren<br />

der Magdalena und Johannes des Täufers in Alvaneu<br />

springt die Abhängigkeit von den gleichnamigen Figuren des<br />

Bingener Altars ins Auge. Die Magdalena stellt dabei eine<br />

vorzügliche, der Johannes eine eher durchschnittliche Arbeit<br />

der Weckmann-Werkstatt dar.<br />

Auch die Kreuzigungsgruppe aus dem Gesprenge des ursprünglichen,<br />

gotischen Altars von Alvaneu und die Halbfiguren<br />

der Apostel, die beim gotischen Altar wohl an der Predella<br />

angebracht waren, haben im Barockaltar Wiederver-<br />

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1<br />

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Abb. 1: Hl. Magdalena, Pfarrkirche Bingen, Ulm 1503<br />

wendung gefunden: die Kreuzigungsgruppe ist im Auszug<br />

des heutigen - barocken - Altars zu sehen, während die Halbfiguren<br />

der Apostel nunmehr in die Rahmung des Hauptgeschosses<br />

des Barockaltars eingefügt sind.<br />

Auch bei dem vollständig in alter Fassung erhaltenen, etwas<br />

kleineren Retabel von Salouf (um 1500) ist als Vorbild der<br />

Bingener Altar ersichtlich. Der rechteckige Saloufer Schrein<br />

enthält - wie die Altäre in Bingen und Alvaneu - in der Mitte<br />

die Muttergottes, flankiert von je zwei weiblichen und zwei<br />

10


männlichen Heiligen, wobei es sich in Salouf um die hll. Jungfrauen<br />

Katharina und Barbara und die hll. Ritter Georg und<br />

Mauritius handelt. (Die Saloufer Kirche ist eine St. Georgskirche).<br />

Auch der ebenfalls gut erhaltene 1504 datierte Hochaltar der<br />

alten Pfarrkirche von Domat (Ems) entspricht im Typus dem<br />

Bingener Altar. Doch steht hier in der Mitte nicht die Muttergottes,<br />

sondern der Kirchenpatron Johannes d. T., der flanf<br />

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Sf 5 \f-<br />

gesprochen werden muß. Der Domat-Emser Johannes ist<br />

aber eine Kopie, die vorzüglich die Qualitäten des »Urbilds«<br />

wiederholt. In beiden Fällen beeindruckt vor allem die »expressive<br />

Gestaltung des Kopfes, der mit seinen zahlreichen<br />

Falten und den eingefallenen Wangenpartien das Gesicht eines<br />

Asketen zeigt« (Claudia Lichte). Zum Schluß ist es interessant,<br />

noch eine Graubündener und eine Bingener<br />

Weckmann-Figur zum Vergleich einander gegenüberzustellen,<br />

um daran verbindende Stilmerkmale sichtbar zu machen.<br />

Es sei dazu die Bingener Magdalena (Abb. 1) und die Saloufer<br />

Madonna (Abb. 2) herausgegriffen.<br />

Bei einem Vergleich stellt man zunächst fest, daß beide Figuren<br />

einen ähnlichen Gesamtumriß aufweisen bei gleichzeitiger<br />

Seitenverkehrtheit. Auffallend ähnlich ist aber vor allem<br />

die Gewandgestaltung: sowohl die Gewandführung wie<br />

auch die Faltengebung des Mantels, dessen freies Ende jeweils<br />

hochgezogen und mit dem Unterarm festgehalten wird, ist<br />

bei beiden Figuren fast identisch 6 . Die Gestalt der Magdalena<br />

wirkt dabei etwas aufrechter, ein Eindruck, der durch den<br />

erhobenen Blick und den geraden, unterhalb der rechten<br />

Hand niederfallenden Mantelzipfel unterstützt wird. Beide<br />

Figuren zeigen eine ovale, nach unten spitz zulaufende Gesichtsform<br />

mit schmalem Mund und leichtem Doppelkinn.<br />

Auch die Gestaltung der lang wallenden Haare und die hochgeschnürte<br />

Taille verbindet die Figuren.<br />

Der Bingener Altar ist im übrigen wahrscheinlich mit Mitteln<br />

des Klosters Zwiefalten angeschafft worden. Dieses hatte<br />

bis 1803 in Bingen Patronatsrechte. Auch der Bau des Bingener<br />

Pfarrhauses aus dem Jahr 1602 geht auf einen Zwiefalter<br />

Abt, Michael Müller, zurück, dessen Wappen und Name<br />

über der Tür zu sehen ist 7 .<br />

Anmerkungen<br />

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N Ji; fl<br />

iT<br />

WJ<br />

Abb. 2: Saloufer Madonna, Pfarrkirche St. Georg, Ulm um 1500<br />

kiert wird von den hll. Florinus und Urban, sowie den Jungfrauen<br />

Katharina und Dorothea. Der stilistische Befund entspricht<br />

weitgehend dem Werk in Salouf. Auch hier basieren<br />

die Schreinfiguren »auf dem Stil Weckmanns der Zeit des Bingener<br />

Altars« 5 . Der im Domat-Emser Altar im Zentrum stehende<br />

Kirchenpatron entspricht dabei so weitgehend dem Johannes<br />

des Bingener Altars, daß wiederum von einer Kopie<br />

1 Die Zollern hatten übrigens bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts<br />

Herrschaftsbesitz in Graubünden: 1497 tauscht Eitelfriedrich II.<br />

(1452-1512) die Herrschaft Rhäzüns (bei Chur) mit Kaiser Maximilian<br />

gegen die Herrschaft Haigerloch. Vgl. R. Seigel, Schloß Sigmaringen,<br />

Thorbecke 1966, S. 10.<br />

2 Alle Informationen entstammen dem Aufsatz von Albrecht Müller,<br />

Nikiaus Weckmann und Graubünden, in: Ausstellungskatalog<br />

Stuttgart 1993, S. 357. Vgl. ebd. S. 40.<br />

3 Gertrud Otto, Der Export der Weckmann-Syrlin-Werkstatt nach<br />

Graubünden, in: Anzeiger für Schweiz. Altertümerkunde, 1935,<br />

S. 283 ff., 288 f.<br />

4 Es handelt sich um zwei Flügelreliefs: eine Anbetung der Könige<br />

und eine Marienkrönung aus der Weckmann-Werkstatt. Abb. im<br />

Katalog, wie Anm. 2, S. 359.<br />

5 Albrecht Müller, wie Anm. 2, S. 259.<br />

6 Der gleichsam vom Wind hochgewehte Mantelsaum der Saloufer<br />

Madonna ist übrigens ein Motiv, das zum Repertoire der Weckmann-Werkstatt<br />

gehörte. Vgl. die Abbildungen im Katalog (wie<br />

Anm. 2) S. 80.<br />

7 Vgl. Genzmer, Kunstdenkmäler des Kreises Sigmaringen, Stuttgart<br />

1948, S. 81, 91. Über Abt Michael Müller als Bauherrn in Zwiefalten<br />

vgl. H. J. Pretsch (Hrsg.), 900 Jahre Zwiefalten, Ulm 1989,<br />

S. 189 ff. Weckmann hatte übrigens um 1515 für Zwiefalten die<br />

großen Passionsreliefs geliefert, die sich heute im Württ. Landesmuseum<br />

Stuttgart (Inv. Nr. 375 a-g) befinden. Sie standen ursprünglich<br />

in den Schreinen der Seitenschiffaltäre der Zwiefalter<br />

Klosterkirche. Als diese 1740 abgebrochen wurde, gelangten die Tafeln<br />

zunächst in die Armenhauskapelle in Tigerfeld, von dort 1846<br />

als Staatseigentum nach Stuttgart. Die ebenfalls in. der Weckmann-<br />

Werkstatt geschnitzten Seitenflügel wurden 1761 in das Frauenkloster<br />

Mariaberg gebracht und sind heute verschollen.<br />

H.J. Pretsch, wie oben, S. 182 und Katalog, wie Anm. 2, S. 438.<br />

11


HANS PETER MÜLLER<br />

Bechtoldsweiler anno 1295<br />

Bechtoldsweiler ist nicht nur einer der kleinsten altzollerischen<br />

Orte, sondern, historisch gesehen, auch einer der quellenärmsten.<br />

Von daher kommt es, daß laut Landesbeschreibung,<br />

der Ortsname erst ab 1363 urkundlich überliefert ist.<br />

Aufgrund eines Dokuments aus dem Bestand der ehemaligen<br />

Johanniterkommende Hemmendorf im Hauptstaatsarchiv<br />

Stuttgart (B 352 Bü 44) läßt sich dieses relativ späte Erstnennungsdatum<br />

möglicherweise um einige Jahrzehnte vorverlegen.<br />

Es handelt sich um ein Archivverzeichnis der besagten<br />

Kommende aus der Zeit um 1600, das zwar nur sehr flüchtig<br />

geschrieben ist, jedoch einige ältere Urkunden erwähnt, die<br />

weder im Original, noch als Abschrift erhalten sind.<br />

Eine dieser verlorenen Urkunden stammt aus dem Jahre 1295<br />

und betrifft Bechtoldsweiler. Die Notiz hat folgenden Wortlaut:<br />

»Ein gesigleter Kauffbrieff über 2 Höfe zu Bechtoldsweyhler,<br />

so Hug Frige von Werstein an Herrn Bruder Bertolden<br />

den Luppen Commenthur zue Hemmendorff verkauft<br />

anno 1295«.<br />

Da die genannten Personen durchaus historisch sind, läßt sich<br />

weder am Datum, noch am Sachverhalt zweifeln. Berthold<br />

Liupe ist von 1290 bis 1302 als Komtur der Hemmendorfer<br />

Kommende bezeugt. Bei dem Wehrsteiner Adligen handelt<br />

es sich um den Edelfreien (nobilis) Hugo, der von 1294 bis<br />

1310 nachweisbar ist. Sein mutmaßlicher Sohn Hugo war<br />

übrigens 1322/43 Kirchherr oder Pfarrer in Stein, dem Mutterort<br />

von Bechtoldsweiler. Vermutlich besaßen die<br />

Wehrsteiner sogar den Kirchensatz von Stein; jedenfalls sind<br />

sie dort bis zum Ende des 14. Jahrhunderts begütert.<br />

Leider läßt sich der Johanniterbesitz in Bechtoldsweiler in<br />

den Lagerbüchern nicht verfizieren, so daß anzunehmen ist,<br />

daß er bald wieder veräußert wurde. Das älteste Hemmendorfer<br />

Lagerbuch über zollerische Ortschaften stammt erst<br />

von 1605 (H 218 Bd 49) und enthält nur Besitz in Starzein,<br />

Jungental, Hausen, Jungingen, Burladingen, Ringingen, Salmendingen<br />

und Hechingen.<br />

Eine weitere zollerische Urkunde aus dem Archiwerzeichnis<br />

datiert von 1291 und scheint ebenfalls verloren zu sein:<br />

»Ein Verzügsbreiff uff die Altendickinger Wise Graff Friderichs<br />

von Zollern de anno 1291«.<br />

Hinzuweisen ist an dieser Stelle noch auf eine hohenbergische<br />

Urkunde von 1280, die besagt, daß Graf Albrecht von<br />

Hohenberg ein Gut in Schwalldorf an die Johanniterkommende<br />

abtrat.<br />

Als Ergänzung zu den Studien von K. F. Eisele (1956) lassen<br />

sich für das Amt Stein noch folgende Grundherren anführen.<br />

Die Gemeinde Frommenhausen dotierte 1428 eine Kaplaneipfründe<br />

in ihrer Kirche mit Gütern und Zinsen zu<br />

Bechtoldsweiler, Stein und Sickingen (B 19 PU 346). Im Jahre<br />

1431 verkauften die Gebrüder Baiinger von Hechingen an<br />

die Heiligenpflege in Ringingen mehrere Lehengüter zu Stein,<br />

Weiler vor dem Rötenberg und Sickingen um 138 1/2 Pfund<br />

Heller (B 201 PU 435).<br />

Über die politischen Verhältnisse Bechtoldsweilers ist dagegen<br />

nur wenig bekannt, weshalb man annimmt, daß es wie<br />

auch Sickingen das Schicksal des Mutterortes Stein geteilt hat.<br />

Stein gehörte den Schwarzgrafen von Zollern, war aber vor<br />

1404 an die Herren von Ow von Bodelshausen verpfändet<br />

worden. Letztere konnten 1407 vom Kloster Alpirsbach auch<br />

das Gut Schönrain bei Stein als Zinslehen erwerben. Im Jahre<br />

1409 trugen die von Ow ihren gesamten Besitz, bestehend<br />

aus Burg und Dorf Bodelshausen sowie Oberhausen, Schönrain,<br />

Stein, Sickingen und Weiler den Grafen von Württemberg<br />

zu Lehen auf, ehe sie dies alles 1446/53 an Württemberg<br />

verkauften. Ein Schiedsgericht stellte j edoch 1456/57 fest, daß<br />

die Lehensauftragung und Veräußerung Steins widerrechtlich<br />

gewesen war und sprach den Grafen von Zollern das Lösungsrecht<br />

zu. Schließlich kaufte Graf Josnikiaus von Zollern<br />

1472 die Orte Stein, Weiler, Sickingen und Schönrain um 1836<br />

Gulden von Württemberg zurück.<br />

EMIL GRUPP<br />

Siedlungsspuren der mittleren Bronzezeit auf der Gemarkung von Hausen i. K.<br />

Wenngleich zahlreiche Hügelgrabfunde auf der Schwäbischen<br />

Alb, vor allem auch in unserer Gegend, eine verhältnismäßig<br />

dichte Besiedlung während der mittleren Epoche<br />

der Bronzezeit anzeigen, fehlt es weitgehend an Spuren von<br />

Niederlassungen. Der Lochenstein, Erlaheim, Binsdorf und<br />

Dautmergen konnten 1979 als einzige Örtlichkeit im Kreis<br />

Balingen genannt werden, die Befunde aufzuweisen hatten 1 .<br />

Nur wenige Jahre später, beim Straßenbau 1984 anläßlich der<br />

Neutrassierung der B 32 zwischen Hausen und Burladingen,<br />

gelang nun die von der Öffentlichkeit kaum registrierte Entdeckung<br />

einer weiteren Siedlung. H. Schaudt aus Bitz meldete<br />

Ende September Lesefunde an das Landesdenkmalamt.<br />

Dessen Außenstelle Tübingen führte dann umgehend im Oktober<br />

eine Notgrabung durch 2 .<br />

Das Flurstück Kälberwiesen, auf einer Höhe von 695 m am<br />

Albaufstieg gelegen, zeigte durch dunkle Verfärbungen des<br />

Bodens, durch eingebettete Scherben und eine Feuersteinklinge<br />

an: hier waren prähistorische Spuren zu sichern.<br />

Hauptsächlich aus Scherben und Tierknochen setzte sich das<br />

Fundmaterial zusammen. Eine beinahe rechteckige Verfärbung<br />

von 2 auf 2,6 m enthielt, ebenso wie eine etwa 1,2 m 2<br />

große Grube und der Kalkschotter des Geländes, außerdem<br />

noch Holzkohleneinschlüsse. Einige der Scherben scheinen<br />

von der sich anschließenden kleinen Terrasse angeschwemmt<br />

worden zu sein. Metallsachgut tauchte bei den Untersuchungen<br />

nicht auf.<br />

Die keramischen Bruchstücke wurden dem Beginn der mittleren<br />

Bronzezeit zugeordnet, dürften also etwa 1500 v. u. Z.<br />

entstanden sein 3 . Nicht nur die günstige Lage der Kälberwiesen,<br />

sie befinden sich in der Nähe des Neubrunnens und<br />

sind durch Berge geschützt, sondern auch das zahlreiche<br />

Fundmaterial veranlaßte die Archäologen, davon auszuge-<br />

12


hen, daß hier, trotz nicht ganz eindeutiger Befunde, eine Siedlung<br />

bestanden haben muß.<br />

Diese Siedler sind der Alb-Gruppe der süddeutschen Hügelgräberkultur<br />

zuzurechnen. In der Bronzezeit lebten die Menschen<br />

in der Regel von Ackerbau und Viehzucht, wobei in<br />

unserer Region die Weidewirtschaft aller Voraussicht nach<br />

im Vordergrund gestanden hat, denn die Alb war in jener<br />

Epoche schwächer bewaldet und bot mit grasreichen Hochflächen,<br />

Hängen und Auen Nahrung den Herden und<br />

Uberblick ihren Hirten. Die Siedlungen entsprachen sicher<br />

der Wirtschaftsweise und waren selten auf Dauer angelegt.<br />

Erwies sich die Gegend nach einigen Jahren als abgeweidet,<br />

dann zog die Dorfgemeinschaft weiter und ließ sich an einem<br />

unberührten Flecken Erde nieder.<br />

Erst in der Hügelgräberzeit wurde die Schwäbische Alb in<br />

die Bronzekultur einbezogen. Da die Siedlung auf der Hausemer<br />

Gemarkung an den Beginn dieser Epoche datiert ist<br />

und keine Kupfer- bzw. Bronzefunde freigab, könnte sogar<br />

angenommen werden, daß sie vielleicht noch nicht von dieser<br />

Bewegung integriert worden war.<br />

Anmerkungen<br />

1 H. Reim, Vor- und Frühgeschichte, in: K. Theiss/H. Schleuning<br />

(Hg.), Der Zollernalbkreis, Stuttgart/Aalen 1979, S. 65.<br />

2 P. Streicher, Eine Siedlung der mittleren Bronzezeit bei Hausen<br />

i. K., Gemeinde Burladingen, Zollernalbkreis, in: Archäologische<br />

Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1984, Stuttgart 1985,<br />

S. 49f.<br />

3 Zeittafel der Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in Württemberg<br />

und Hohenzollern, Stuttgart 1994.<br />

JOSEF SCHULER<br />

Junginger Dorfgeschichten<br />

Kindereia<br />

Ema Flecka uff dr Alb doba, it weit vo Burladinga hot a junger<br />

Maa a Mädle gheired, dia vo ma Andera a Kind ghett hot.<br />

D'Leit hand en z-daud-gfopped. Ma kennt jo dia alta, kuttriga<br />

Schbrüch. Aber dear glückleg Hauzeiter isch im siebeta<br />

Himmel - und dees isch weit doba, do ka-ma sozuasaga uff<br />

andere ra-gucka. Sei oazege Antwort isch gsei: »I hett se noch<br />

au gheired, und wenn se koi Kind gheet het.«<br />

Reschbekt!<br />

JOHANN ADAM KRAUS f<br />

Aus den Visitationsakten des ehemaligen Kapitels Trochtelfingen 1574-1709<br />

(Fortsetzung)<br />

Oberstetten, dem Gotteshaus Zwiefalten untertänig. Hier ist<br />

Pfarrer der Magister Martin Benkler von Sentenhart, der seine<br />

Schwester bei sich hat. Er beichtet alle 14 Tage in Zwiefalten,<br />

hält auch Katechese. Gegen die Pfleger hat er eine Klage<br />

wegen der Kirchengüter. Deren Rechnungstellung will ich<br />

selber beiwohnen. In der Kirche ist alles Nötige vorhanden.<br />

Der Pfarrer ist ein großer Gelehrter und führt ein priesterliches<br />

Leben.<br />

Feldhausen, den Spethen zugehörig. Der Pfarrer Johannes<br />

Heß von Pfullendorf will weg, und zwar nach Dürrenwaldstetten.<br />

Seine Schwester führt den Haushalt. Er beichtet, so<br />

oft Gelegenheit, führt ein priesterliches Leben und kommt<br />

seinen Pflichten in allem nach.<br />

Kettenacker. Der Pfarrer Udalrich Rättich von Sigmaringen<br />

hat beide Eltern bei sich. In der Kirche war nichts zu beanstanden,<br />

die sie neu erbaut und geweiht ist. Er genügt nach<br />

Kräften seinen Pflichten und führt ein ehrbares Leben.<br />

Neiffren (Neufra) an der Fehlen. Der Pfarrer Johannes Forster<br />

v on Pfullendorf hat seine Schwester bei sich. An Lebenführung,<br />

fleißiger Verwaltung und Zustand der Kirche ist<br />

nichts zu wünschen übrig.<br />

Trochtelfingen in der Grafschaft Fürstenberg hat z. Zt. keinen<br />

Pfarrer. Die vier Kapläne sind nicht investiert, aber zur<br />

Seelsorge zugelassen und leisteten dem Dekan den gewohnten<br />

Eid. Sie verwalten die Pfarrei bis zur Ankunft des neuen<br />

Pfarrers. Alle sind ehrbar geboren und beichten im Kloster<br />

Mariaberg. In der Pfarrkirche fehlt nichts, doch ist die Pyxis<br />

für Aufbewahrung des Allerheiligsten nur aus Holz. Da keine<br />

andere aus Gold oder Silber zu beschaffen ist, ordneten<br />

wir an, sie wollen innen mit einem weißen Tüchlein ausgelegt<br />

werden. Kaplan Jakob Langenstein aus Lautlingen wird<br />

wegen häufigen Hausbesuchen getadelt. Wir trugen ihm auf,<br />

wegzubleiben, da er sich verteidigt, er habe nur Krankenbesuche<br />

gemacht. Der zweite Kaplan Michael Wertz stammt aus<br />

einem Dorf bei Meßkirch (Hörschwag bei Trochtelfingen?).<br />

Von ihm sagt man ähnliches, auch besuche er die Wirtshäuser<br />

zu viel. Bücher zum Studieren haben beide genügend. Der<br />

dritte, Johannes Seufried von Sigmaringen, hat den Vater und<br />

die Schwester bei sich. Uber ihn klagen die Trochtelfinger,<br />

daß er mit seinem Hund auf die Wachteljagd gehe und dabei<br />

schon mehrere Male Feldfrüchte verderbt habe. Ihm wurde<br />

auch neulich beim Gastmahl wegen verweigertem Geldbetrag<br />

ein Faustschlag versetzt von dem Müller Matthias Nollhart<br />

von Trochtelfingen. Dieser ging dann nach Hechingen<br />

zu den Franziskanern, um die Absolution zu erhalten, was<br />

auch erreicht wurde.<br />

Der vierte ist Georg Dietmann von Trochtelfingen, der seine<br />

Eltern noch hat und ein guter Priester ist. Nur liebt er den<br />

Wein etwas zu sehr. Geschehen den 3.-10. Oktober 1612, niedergeschrieben<br />

am 23. Oktober in Gammertingen«.<br />

1614<br />

(Fol. 660). Am 17. Februar dieses Jahres erging ein neuer Bericht<br />

des gleichen Dekans an den Generalvikar, der naturgemäß<br />

nicht viel neues bringt. Daraus sei entnommen:<br />

Pfarrer von Trochtelfingen ist Martin Benckler von Senten-<br />

13


hart, zuvor in Oberstetten. Kaplan Mich. Wertz könne gut<br />

predigen, lasse sich aber vom Besuch des öffentlichen Wirtshauses<br />

nicht abhalten. Der andere, Joh. Seyfried, gehe auf die<br />

Jagd, verkehre viel mit dem Schultheiß. Der dritte Johann<br />

Mock von Pfullendorf führe sich, durch Erfahrungen belehrt,<br />

jetzt gut. Der vierte, Mathias Binger von Trochtelfingen,<br />

wohne als Neupriester noch bei seinen Eltern.<br />

Der Pfarrer von Ringingen heißt hier Jakob Böler, der sich<br />

nicht immer in Gewalt habe. Der von Salmendingen ist Johannes<br />

Wochner, schon sehr alt, mache hie und da seinem<br />

Unmut den Hausleuten gegenüber Luft mit Schimpfen, Verfluchen<br />

und selbst mit der Peitsche. Pfarrer Martin Numachius<br />

zu Melchingen stammt aus Beuren bei Heiligenberg, ist<br />

fromm und bewährt. Oberstetten hat als Seelsorger Andreas<br />

Wurwetzel, von unehel. Geburt, sonst gelehrt, der gut predigt<br />

und eifrig ist. Die Fehler des Pfr. Küferle von Stetten u.<br />

Holst, sind bekannt. Er scheint zum Händelstiften geboren.<br />

Er sei neuerlich von einem genannt der Geiger und seinen<br />

Söhnen mit Wort und Schlägen angegriffen worden. Hat auch<br />

eine Magd aus andersgläubigem Ort (Erpfingen), die mit<br />

Häretikern in die Kirche geht, und die ich dringend zu entlassen<br />

empfahl. In Hettingen ist Laurentius Wild von Mengen<br />

Pfarrer, der teils im Predigen lässig sei. Außerdem sind<br />

dort in der Stadt zwei Priester Alexander Herp von Riedlingen<br />

und Johannes Glattis von Kettenacker. Beide haben guten<br />

Ruf. Pfarrer in Feldhausen (mit Harthausen) ist Magister<br />

Johannes Dreher, der in allem sorgfältig ist. Nur hält er gelegentlich<br />

keine Kinderleiche, weiß nicht ob aus Nachlässigkeit<br />

oder Scheu. Wirds in Zukunft bleiben lassen. In Kettenacker<br />

hatte Pfr. Udalrich Rättich von Sigmaringen im vorigen<br />

Jahre unter seinen Pfarrkindern schwere Mißhelligkeiten<br />

und Feindschaften, die jetzt beigelegt sind. Zur Zeit leidet der<br />

gute Mann an großen Schulden, die er sich auflud, als in den<br />

letzten Jahren bei der Seuche sein gesamtes Vieh einging. Teils<br />

hat auch die ungünstige Witterung seinen Fruchtertrag zunichte<br />

gemacht. Und endlich ist seine Pfründe so mager und<br />

nimmt noch täglich ab, daß sie kaum hinreicht, den Geistlichen<br />

auch nur frugal zu ernähren.<br />

1615<br />

(Fol. 665) Der Dekan Johann Rieger von Gammertingen berichtet<br />

u. a. an Generalvikar Johannes Hausmann nach Konstanz:<br />

Der neueingesetzte Pfarrer von Oberstetten Mag. Jakob Loser<br />

mußte widerrechtlich 45 Gulden zum Wiederaufbau des<br />

vor 3 Jahren abgebrannten Pfarrhauses zahlen und zwar auf<br />

Befehl des Heiligenberger »Erzschreibers«, dessen Graf die<br />

Baupflicht hat.<br />

In Großengstingen werden vom Edlen von Neuhausen dem<br />

neuen Pfarrer- Michael Wertz einige Fruchteinkünfte abverlangt<br />

zum Bezahlen von Schulden eines früheren Pfarrers.<br />

Dann beklagt sich unser Kammerer und Pfarrer von Burladingen<br />

über die (ehem.) Pfarrei Gauselfingen, daß die Ortsbehörde<br />

ungerechter, sakrilegischer und geiziger Weise schon<br />

früher einige Zehnten in weltliche Hände gebracht habe. Der<br />

Herr von Jungingen, Mich. Agrikola, habe Feindschaft mit<br />

seinen Pfarrkindern, auch gebrauche er Feuerrohre und suche<br />

solche nach Art der Weltkinder zu erwerben. Lasset sich<br />

beim öffentlichen Schießen finden.«<br />

Die Kinderlehre (catechistica institutio) war einige Monate<br />

hindurch wegen einfallenden Kirchweihen und anderen weltlichen<br />

Veranstaltungen behindert und wurde meist nicht gehalten.<br />

Jetzt aber wird eifrig darauf gedrängt. Kaplan Alexander<br />

Herp in Hettingen ist bisher weder vom Herrn von<br />

Speth präsentiert, noch investiert, trotz der Mahnung des<br />

bischöfl. Fiskals.<br />

Endlich sind je 2 Personen zu Salmendingen und Kettenacker<br />

noch nicht vom Ehebruch dispensiert. Sie können nicht nach<br />

Konstanz kommen wegen zu großer Armut. Wir bitten, einen<br />

Priester hier herum zur Absolution zu bevollmächtigen.<br />

Endlich bitten wir, den Überbringer dieses Schreibens, Stephan<br />

Gnupfer, zu dispensieren. Er hat seine zänkische und<br />

weinsüchtige Frau versehentlich mit der Schere gestochen.<br />

Die Frau kommt nächstens nieder und seine Kinder sind<br />

arm.«<br />

1650. Dezember<br />

(Ha. 76, fol. 676-697) Beim Fehlen eines Dekans berichtet in<br />

besonderem Auftrag Johann Emmanuel Schmidt, der seit<br />

3 Monaten Pfarrer in Trochtelfingen ist über den Stand des<br />

Landkapitels:<br />

»Die Dekanstelle ist seit Pfingsten vakant durch den Tod<br />

(29. 5.) des Mag. Martin Benkler. Daher wurde auch dieses<br />

Jahr keine Kapitelskonferenz gehalten. Kammerer ist der<br />

Ringinger Pfarrer Jakob Böler, der an Leib und Geist wegen<br />

hohen Alters gebrechlich ist und selbst zugibt, die Geschäfte<br />

des Kapitels nicht weiterführen zu können. Deputate (heute<br />

Definitoren) sind die Pfarrer zu Gammertingen und Engstingen.<br />

Einkünfte hat das Kapitel an jährlichen Zinsen ungefähr<br />

41 Pfund Heller, die jedoch seit einigen Jahren noch<br />

ausstehen. Es zählt z. Zt. 15 Pfarreien, deren Inhaber ich einzeln<br />

befragte und folgendes erfuhr:<br />

1. Stadt Trochtelfingen. Hier bestehen außer der Pfarrkirche<br />

noch fünf Kapellen und außerdem gehören drei Filialkirchen<br />

hierher. An der Pfarrkirche existieren 4 Kaplaneien mit Seelsorge.<br />

Patron aller ist der Graf zu Heiligenberg. Seit Oktober<br />

ist Inhaber der Pfründe Johann Emmanuel Schmidt, Bürger<br />

der Stadt und Doktor der Theologie.<br />

An jährlichen Einkünften aus Trochtelfingen und den Dörfern<br />

Steinhilben, Wilsingen, Herschwag und Meidelstetten<br />

sind, soweit ich sehe folgende zu nennen:<br />

An Geld: Aus Grundzinsen und 5 Lehengütern der Pfründe,<br />

genannt Widemgüter, ehemals 20 Pfund Heller, jetzt aber wegen<br />

Armut der Leute kaum 3-4 Pfund. An Opfergeld etwa<br />

30 Pfund, an tägl. Präsenzgeldern für Anwesenheit im Chor<br />

einst 26 Pfund, jetzt nichts. Für Jahrtage einst etwa 10 Pfund,<br />

jetzt nur 6 Pfund. -<br />

An Getreide, teils Dinkel, teils Haber: Ein Fixum vom Herzog<br />

von Württemberg als Zehntherrn zu Steinhilben 11<br />

Scheffelsäcke, vom Patron (von Heiligenberg) 18 Sack und<br />

von 2 Pfarrlehen 14 Sack, von denen jedoch mangels einer Lehensbeschreibung<br />

8 Sack fehlen. Vom Großzehnten (Vi zu<br />

Wilsingen und Hörschwag und vor der GlaubensspaltungVb<br />

zu Meidelstetten) hatte die Pfründe einst etwa 129 Scheffel<br />

Frucht aller Art, jetzt aber nicht über 88 Scheffelsäcke. -<br />

An Novalzehnten (ganz in Steinhilben und Hörschwag, in<br />

Wilsingen Vi. in Meidelstetten vor der Spaltung Vi) ehedem<br />

etwa 60 Sack, jetzt etwa 15. Der Novalzehnt zu Trochtelfingen<br />

steht dem Pfarrer ganz zu, nicht nur kraft der Synodalbeschlüsse,<br />

sondern auch laut eines besonderen Vertrags zwischen<br />

dem Bischof und dem Patron vom J. 1600. Er wird aber<br />

bis heute nicht vollständig geliefert, weil wie sie sagen, die<br />

Vertragsakten nicht zu Stelle seien. Unterdessen gibt man der<br />

Pfründe 15 Säcke Getreide. Ein Drittel des Novalzehnten von<br />

Wilsingen erhält der Hochw. Abt von Zwiefalten aus mir unbekanntem<br />

Rechtstitel, denn es sind Schriften aus dem J. 1481<br />

da, nach denen er ganz der Pfarrei Trochtelfingen zusteht. -<br />

An Kleinzehnten von Erbsen, Hanf, Raps und Gemüse hat<br />

die Pfarrei in Trochtelfingen 'A, wo seit alters her kein Heuzehnt<br />

gegeben wird, außer von der einen oder anderen Wiese.<br />

In Steinhilben hat sie Vi aller Zehnten, also auch von Heu,<br />

Hülsenfrüchten, Hanf, Raps, Obst und Kraut. In Wilsingen<br />

nur Vi vom Hanf und Flachs. Andere Kleinzehnten kennen<br />

14


sie dort nicht, angeblich laut eines Privilegs von Konstanz,<br />

dessen Erlangung mir aber unbekannt ist. In Hörschwag hat<br />

sie nur Vi vom Hanf- und Rapszehnten. Von all diesen Kleinzehnten<br />

wird vom Pfarrer nur der Familienbedarf gesammelt,<br />

alles übrige verkauft, was einst 60, jetzt aber nur 22 Pfund<br />

Heller einbringt.<br />

(Fortsetzung<br />

folgt)<br />

Berichtigung<br />

In Nr. 4/1994 auf S. 51 vom Beitrag »Ende der Meßkircher Fürstenherrlichkeit«<br />

wurde der letzte Satz vergessen. Er lautet »Die<br />

ehemalige Residenzstadt Meßkirch sank nach 1744 in einen<br />

über hundert Jahre währenden Dornröschenschlaf, ehe die Entstehung<br />

eines liberalen Bürgertums dem Städtchen um die Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts neues Leben einzublasen begann.<br />

Buchbesprechungen<br />

Walter Fauler, Geschichte der<br />

Fauler-Familien<br />

Die heute weit verbreitete Familie Fauler dürfte wohl die älteste<br />

namentlich bekannt bürgerliche Familie in Hohenzollern<br />

sein. Als Müller waren die Fuler, wie sie sich früher<br />

schrieben, schon vor Jahrhunderten in Veringendorf und<br />

Hettingen ansäßig. 1469 wird in Veringendorf ein Kaplan Jodokus<br />

Fuler erwähnt, 1478 stiftete Adelheid Fulerin die Fauler-Frühmesse<br />

in Hettingen. Die Hettinger Fuler waren<br />

wohlhabende Müller. Schon 1521 und 1528 studierten ihre<br />

Söhne in Freiburg. Nach dem Dreißigjährigen Krieg gab es<br />

jedoch in Hettingen keine Fauler mehr. Das Wappen der Familie,<br />

ein gevierter Schild mit je einem halben Mühlrad und<br />

einer Forelle läßt sich erstmals im 17. Jahrhundert nachweisen.<br />

Stammvater der heutigen Familien ist der Müller Johannes<br />

Fauler, der 1616 in Veringendorf geboren wurde. Sein zweiter<br />

Sohn, Michael, wurde Wirt in Kettenacker, von ihm stammen<br />

die Kettenacker, Burladinger, Ittenhauser und die Gammertinger<br />

Fauler ab. Im Lauf der Zeit gab es an 22 Orten Fauler<br />

Familien, sogar in Amerika. Soweit bekannt, gingen aus<br />

den Familien 13 Geistliche und sechs Klosterfrauen hervor.<br />

Aber auch in weltlichen Berufen standen die Fauler ihren<br />

Mann, als Verwaltungsbeamte, Freiberufler, Kaufleute und<br />

Handwerker.<br />

Schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg kam der Wunsch auf,<br />

der Geschichte der weit verzweigten Familie nachzugehen.<br />

Zu nennen sind Anton Fauler, Bürgermeister von Freiburg<br />

i.B. und Eugen Fauler in Sigmaringen. Auch Dr. Gustav<br />

Hebeisen, der aus Veringendorf stammte, befaßte sich mit der<br />

Faulergeschichte. 1977 wurde eine Stammtafel gedruckt, die<br />

Frau Maria Doldinger, geb. Fauler aufgestellt hatte. Dr. Walter<br />

Fauler aus Bad Krozingen übernahm die Herausgabe eines<br />

Buches, das seine und frühere Forschungsergebnisse und<br />

vor allem auch zahlreiche Abbildungen bringt. Etwa 200 Exemplare<br />

wurden an die Faulerfamilien zum Preis von 50.- DM<br />

abgegeben. Weitere Exemplare sind beim Verfasser, Herrn<br />

Dr. Walter Fauler, Hofackerstraße 8; 79189 Bad Krozingen<br />

erhältlich.<br />

Zwischen Wallfahrt, Armut und Liberalismus, Die Ortsgeschichte<br />

von Engelswies in dörflichen Selbstzeugnissen.<br />

Heimatkundliche Schriftenreihe des Landkreises Sigmaringen<br />

Band 3.<br />

Anläßlich der ersten Erwähnung des Ortes in einer Urkunde<br />

des Klosters St. Gallen am 27. März 793 beging die Gemeinde<br />

Engelswies 1993 eine 1200-Jahr-Feier. Im Lauf des<br />

Jahres wurden zwei Vorträge gehalten, die im Rahmen dieses<br />

Bandes in überarbeiteter Form veröffentlicht werden.<br />

»Von den Anfängen bis zum 16. Jahrhundert« berichtet Dr.<br />

Wolf Gerhard Frenkel und Dr. Edwin Ernst Weber führt die<br />

Ortsgeschichte weiter »Vom Wallfahrtsdorf zum Industriestandort.«<br />

Das Buch, an dem auch Rektor Willy Deifel mitgearbeitet<br />

hat, ist mit über 70, teilweise farbigen Abbildungen<br />

versehen, welche den Text anschaulich machen.<br />

Schon 1717 schrieb der Pfarrvikar Johann Georg Brendle eine<br />

Wallfahrtschronik, die im vorliegenden Band von Edwin<br />

Ernst Weber ediert wird. Bei den Vorbereitungen für die<br />

1200-Jahr-Feier wurden außerdem eine Ortschronik aus dem<br />

vorigen Jahrhundert von Bürgermeister Erasmus Bücheler<br />

und 1963/64 niedergeschriebene »Lebenserinnerungen« des<br />

Bürgers Alfons Gitschier gefunden. Dazu kamen Erinnerungen<br />

an Kindheit und Jugend in Engelswies des 1993 verstorbenen<br />

Lehrers und Heimatforschers Anton Teufel. 1112<br />

wird in Engelswies, heute Teilort der Gemeinde Inzigkofen,<br />

eine kleine Kirche erwähnt mit einem Gnadenbild der<br />

Schmerzhaften Mutter Gottes. In den kriegerischen Zeiten<br />

um 1230 ging der Ort jedoch zugrunde. Eine Neugründung<br />

im 14. Jahrhundert scheiterte. Erst durch Graf Gottfied Werner<br />

von Zimmern, der ab 1516 die Wallfahrtskirche neu erbaute,<br />

kam es zur Wiedergründung von Engelswies. In der<br />

Wallfahrtskirche wurden zwei Wallfahrtsbilder verehrt, eine<br />

Schmerzhafte Mutter Gottes und die hl. Verena von der eine<br />

Hauptreliquie vorhanden ist. In der Brendleschen Wallfahrtschronik<br />

wird über zahlreiche Gebets-Erhörungen und<br />

Wunderheilungen vom 16. bis 18. Jahrhundert berichtet. Der<br />

Neubau einer prächtigen barocken Wallfahrtskirche erfolgte<br />

seit 1721. Durch die Aufklärung zu Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

kam die Wallfahrt weitgehend zum Erliegen.<br />

Verschiedene Faktoren wie Bevölkerungszunahme bei<br />

gleichbleibender landwirtschaftlicher Nutzfläche, Verschuldung<br />

durch Kriegskontributationen und die Ablösung von<br />

Feudallasten führten zu einer Verarmung der Gemeinde und<br />

der Bevölkerung, die sich vorwiegend in der ersten Hälfte des<br />

19. Jahrhunderts auswirkte. Es dauerte immerhin bis zum Ende<br />

des Jahrhunderts bis die Gemeinde durch die allgemeine<br />

Verbesserung der Verhältnisse und kluges Wirtschaften den<br />

gewaltigen Schuldenberg abtragen konnte. Eine speziell badische<br />

Angelegenheit war das Anwachsen eines militanten<br />

und antiklerikalen Liberalismus in der zweiten Hälfte des<br />

19. Jahrhunderts. Erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg übertrafen<br />

die Stimmen für das katholische Zentrum die der<br />

Liberalen.<br />

Nach Drittem Reich, Krieg und Besatzung brachte die Mitte<br />

des 20. ¡Jahrhunderts die Umwandlung vom Bauerndorf<br />

zum Industriestandort.<br />

Ein Einblick in die Verhältnisse des Dorfes zu verschiedenen<br />

Zeiten wird durch die »Ortskronick« von Erasmus Bücheler,<br />

die Lebenserinnerungen von Alfons Gitschier und die Erinnerungen<br />

von Anton Teufel in interessanter Weise vermittelt.<br />

Ein Zitat aus der Chronik von Erasmus Bücheler: »Nach<br />

meines seligen Vaters Aussage war ihnen (den Engelswiesern)<br />

die Losreißung vom Kaiser und Reich ein Donnerschlag, und<br />

an Württemberg wollten sie gar nicht kommen. Lieber noch<br />

wurden sie badisch. Aber solange mein Vater lebte, schlug<br />

sein Herz östreichisch, war sein Verlangen, wieder dasselbe<br />

zu werden, und so mag es kommen, daß sein Alltagslied in<br />

den Ohren des Sohnes Wiederhall gefunden hat.«<br />

15


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Heimatgeschichtlicher Wanderweg Straßberg<br />

mit Kaiseringen<br />

Herausgegeben vom Arbeitskreis Jan von Werth in Straßberg<br />

Die Broschüre mit zwei Kartenskizzen bringt eine Einleitung<br />

mit der Geschichte von Straßberg und von Kaiseringen. Insgesamt<br />

werden 18 Baudenkmäler bzw. Kunstwerke beschrieben,<br />

deren Bedeutung kurz und prägnant erläutert<br />

wird. Teilweise sind sie als hübsche Federzeichnungen abgebildet.<br />

Gedacht wird auch der abgegangenen Gebäude. Um<br />

den handlichen und preiswerten Führer, in dem eine Menge<br />

von orts- und kunstgeschichtlichem Wissen vermittelt wird,<br />

kann man Straßberg nur beneiden.<br />

Peter Thaddäus Lang, Tagolf der Siedler<br />

Ein spannender und witzig geschriebener historischer Roman<br />

um eine Alemannensippe, die nach vielen Abenteuern<br />

auf der Schwäbischen Alb seßhaft wird.<br />

Auf der Suche nach einem fruchtbaren Land im Westen<br />

kommt eine Alemannengruppe ins heutige Württemberg. Im<br />

Remstal schlagen sich die Tagolfinge, wie sie nach ihrem Anführer<br />

heißen, mit einem Trupp Römer. Dann ziehen sie<br />

neckaraufwärts bis zum Schwarzwald. In Sumelocenna, dem<br />

heutigen Rottenburg lernt Tagolf den Hebräer Simon kennen,<br />

der ihm rät, lieber die Richtung Bodensee einzuschlagen.<br />

In der Nähe von Hechingen besetzen sie das römische<br />

Landgut Stein und Tagolf nimmt sich die (glücklicherweise)<br />

verwitwete Hausherrin Aurelia, die zudem Christin ist, zur<br />

Frau. Nach einem Umweg durch das Donautal, Lauchertund<br />

Fehlatal, kommen sie zu dem Dorf der Eboniter (Ebingen).<br />

Nach einem Zweikampf Tagolfs mit deren Häuptling<br />

Ebo, lassen sie sich schließlich in der Nähe nieder, wo heute<br />

noch die Stadt Tailfingen an die Tagolfinger erinnert.<br />

Mit seiner Gattin Aurelia kommt Tagolf auch zu einem römischen<br />

Knecht, Sedulius der ein gewandter Schreiber ist.<br />

Ohne ihn gäbe es dieses Buch nicht, denn er hat die Geschichte<br />

seines neuen Herrn unter dem Titel »Memorabilia Tagolfi<br />

Cultoris« aufgeschrieben. Leider ging der Kodex, der wohl<br />

aus einem oberitalienischen Kloster stammte, in den Wirren<br />

des Zweiten Weltkrieges verloren. Auch ein Exzerpt, das später<br />

unerwartet aufgetaucht war, ist spurlos verschwunden, so<br />

daß der ursprüngliche Text mühsam aus dem Gedächtnis rekonstruiert<br />

werden mußte.<br />

Peter Thaddäus Lang, Tagolf der Siedler, 280 Seiten mit vier<br />

Abbildungen, DM 29,80, Silberburg-Verlag, Tübingen und<br />

Stuttgart.<br />

Heinz Rainer Reinhardt, Mein immergrüner Christian<br />

Eine heitere Erzählung aus Schwaben<br />

Im Mittelpunkt dieser reizvollen Erzählung steht Christian<br />

August Balthasar Sonntag, der sich lieber Christian Immergrün<br />

nennet. Nach dem Schulabgang, man schreibt die zwanziger<br />

Jahre, lernt er in Tübingen Liane kennen, die wenig später<br />

als Diebin gefaßt wird. Während sie in Schwäbisch Gmünd<br />

ihre Strafe verbüßt, kümmert sich Christian um sie. Doch Liane<br />

erwidert seine schüchterne Zuneigung nicht, sondern bereitet<br />

ihm eine herbe Enttäuschung. Zu dieser Zeit studiert<br />

Christian schon in Stuttgart Architektur und Bildhauerei. Seine<br />

erste Stelle findet er als Assistent bei Professor Schönfeld.<br />

Doch als er mit einer Bauaufgabe betraut wird, kommt ihm<br />

Veronika Fechter, die Tochter des Bauherrn ins Gehege.<br />

Prompt tappt Christian in die Falle, die sie ihm stellt. Aber<br />

er läßt sich nicht unterkriegen und das Schicksal ist ihm hold:<br />

Das Unglück wandelt sich in Glück.<br />

Heinz Rainer Reinhardt, Mein immergrüner Christian,<br />

DM 24,80, Silberburg-Verlag Tübingen und Stuttgart.<br />

Scho gschwätzt. Heitere und zornige schwäbische Gedichte,<br />

gesprochen von den Autoren.<br />

Diese CD erschien ebenfalls im Silberburg-Verlag. Mancher<br />

hört gern Schwäbisch, aber es ist ihm ein Graus, schwäbische<br />

Texte zu lesen. Fritz Schray, Manfred Mai, Thaddäus Troll,<br />

Peter Schlack und Helmut Pfisterer lesen insgesamt siebzig<br />

ihrer Gedichte und Geschichten. Über eine Stunde ungetrübtes<br />

Mundartvergnügen.<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: DM 11,00 jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Dr. Otto H. Becker<br />

Hedinger Straße 17,<br />

72488 Sigmaringen<br />

Dr. Casimir Bumiller<br />

Hexental 32, 79283 Bollschweil<br />

Emil Grupp<br />

Panoramastraße 70,<br />

72393 Burladingen<br />

Hans Peter Müller<br />

Weiherplatz 7, 72186 Empfingen<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13a,<br />

92318 Neumarkt<br />

Josef<br />

Schuler<br />

Killertalstraße 55, 72417 Jungingen<br />

Rolf Vogt<br />

Marktplatz 6, 72379 Hechingen<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

Verlagsanstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />

Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />

an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.<br />

16


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMÄT<br />

M 3828<br />

Herausgegeben vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

45. Jahrgang Nr. 2/Juni <strong>1995</strong><br />

Die Donautalstraße bei Gutenstein. Holzstich aus den Blättern des Schwäbischen Albvereins 1896, S. 233<br />

WILHELM ROSSLER<br />

Der Bau der Donautalstraße 1847 bis 1860<br />

Die Situation vor 1850<br />

Die Erschließung des Tales erfolgte erst in der zweiten Hälfte<br />

des letzten Jahrhunderts. Darüber machen sich sicher viele<br />

Autofahrer heute keine Gedanken mehr. Die Weiler im<br />

Donautal waren vor 1850 nicht direkt untereinander verbunden;<br />

ebensowenig das Kloster Beuron mit den Ortsadeligen<br />

von Hausen, Thiergarten, Gutenstein oder Dietfurt. Die<br />

Felsen setzen vor allem auf der Nordseite der Donau ihren<br />

Fuß an vielen Stellen in den Fluß, so daß für einen Weg kein<br />

Platz blieb. Alle Wege führten über den Berg, meist auf der<br />

Südseite der Donau.<br />

Wer von Laiz nach Dietfurt wollte, mußte über Inzigkofen,<br />

mit dem Fuhrwerk besser gleich über Vilsingen, weil der Weg<br />

über den Buzach immer in schlechtem Zustand war. Von<br />

Dietfurt aus mußte man über das »Dietfurter Staigle« des<br />

Benzenberges nach Gutenstein. Nach Thiergarten konnte


T<br />

man nur über den sogenannten Sauhaldenweg. Er führte vom<br />

Schloß aus aufwärts auf die Straße Langenhart-Thiergarten.<br />

Die Albbauern fuhren ihr Getreide über die »Mühlsteigen«<br />

nach Gutenstein, Neidingen, Thiergarten, Langenbrunn und<br />

Beuron, vom 17. bis zum 19. Jahrhundert auch die Bohnerze,<br />

den Torf und die Holzkohle nach Thiergarten ins Eisenwerk.<br />

Von Thiergarten führte eine Straße etwa auf der heutigen<br />

Trasse nach Hausen, Langenbrunn bis zum Schmiedebrunnen.<br />

Beuron konnte von Hausen aus nicht erreicht werden.<br />

Zugänge gab es nur von Buchheim, von Leibertingen über<br />

den ehemaligen Steighof, von Irndorf und von Bärenthal über<br />

die Kohlplatte.<br />

trug. Vorgesehen war eine Straße, die von Thiergarten links<br />

der Donau unterhalb des Bröllers entlangführte, dann den<br />

Donauwiesen entlang etwa parallel zur Donau bis zur oberen<br />

Brücke von Gutenstein; hier sollte die Straße durch<br />

Gutenstein verlaufen, über die untere Brücke donauabwärts<br />

wieder links der Donau, unter dem Teufelslochfelsen vorbei<br />

in Richtung Dietfurt. Bei der Schmeiemündung war eine<br />

Brücke vorgesehen, sodann sollte die Straße immer dem Felshang<br />

entlang bis Laiz führen. Für die damalige Zeit war dies<br />

ein mutiges Unternehmen. Sicher hat man die Schwierigkeiten<br />

unterschätzt, die sich aus »den von Natur geschaffenen<br />

Hindernissen des Donauthales und der drei verschiedenen<br />

Ländern angehörigen Besitzverhältnisse« ergaben, sonst hätte<br />

man nicht eine Bauzeit von etwas über zwei Jahren geplant.<br />

Wege zum Donautal vor dem Bau der Talstraße (Topogr. Atlas des Königreichs Württemberg 1850)<br />

Der Ausbau der Straße Langenhart-Beuron um den Umlaufberg<br />

Käpfle an Maurus vorbei und entlang der Donau<br />

durch ein Tunnel erfolgte erst in den Jahren 1835 bis 1837.<br />

Fürst Karl von Hohenzollern ließ durch den Oberforstmeister<br />

Carl den Weg anlegen. Letzterer hatte beim Straßenbau<br />

den reichhaltigen Pflanzenwuchs und die würzigen Kräuter<br />

an den Hängen des Donautales erkannt und hat über den Fürsten<br />

dem Besitzer des Klosterwirtshauses »Zudrelli« vorgeschlagen,<br />

in Beuron eine Molkekuranstalt zu errichten. »Im<br />

Frühjahr 1837 weideten Ziegenherde munter meckernd an<br />

den steinigen Felsabhängen«, sie lieferten die würzige Ziegenmilch.<br />

Schon im ersten Jahr zählte man in Beuron 54 Kurgäste.<br />

So hat der Straßenbau Beuron zu einem Kurort gemacht.<br />

Die Planungen des Fürstenhauses<br />

Hohenzollern<br />

Die Idee zum Bau einer Donautalstraße links der Donau ging<br />

von der Fürstlich Hohenzollerischen Domänenverwaltung<br />

aus. Das Haus Hohenzollern hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

durch die Einbeziehung des Klosterbesitzes Beuron<br />

erheblichen landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen<br />

Grundbesitz erworben. Der Zugang zu diesen Besitztümern<br />

sollte erleichtert werden. Zwischen Beuron und<br />

Thiergarten war die Talstraße mit 18 Fuß Breite bereits ausgebaut<br />

worden, es fehlte das Verbindungsstück von Thiergarten<br />

nach Laiz. Es war vor allem Oberforstmeister Carl,<br />

der auf diesen Ausbau drängte. Er konnte Geheimrat von<br />

Weckherlin von der Notwendigkeit des Ausbaues überzeugen,<br />

der am 5. Juli 1847 das Vorhaben dem Fürstenhaus vor-<br />

Die Straße sollte eine Kronenbreite von 18 Fuß erhalten, es<br />

lag eine Kostenberechnung von 55000 Gulden vor. Schon bei<br />

der Geländeausmessung mußte man erkennen, daß wegen der<br />

außerordentlich schwierigen Lage Kostenerhöhungen notwendig<br />

würden.<br />

Der Vertrag mit der Gemeinde<br />

Gutenstein<br />

Auch die Gutensteiner drängten auf den Ausbau der Donautalstraße,<br />

war doch ein 1845 geplanter Straßenbau von<br />

Gutenstein über Dietfurt nach Vilsingen wegen zu hoher Kosten<br />

gescheitert. In einem Vertrag mit der Gemeinde Gutenstein,<br />

unterzeichnet von Bezirksamtmann Heuberger für die<br />

Gemeinde und Oberforstmeister Carl für das Haus Hohenzollern,<br />

wurde am 20. August 1847 folgendes festgestellt:<br />

1. Die Notwendigkeit des Straßenbaues wird von der Gemeinde<br />

Gutenstein anerkannt.<br />

2. Das Haus Hohenzollern übernimmt die Kosten der Herstellung<br />

der Straße einschließlich des Grunderwerbs.<br />

3. Die Gemeinde Gutenstein gibt unentgeltlich gemeindeeigene<br />

Grundstücke für den Straßenbau ab.<br />

4. Die Gemeinde übernimmt die künftige Unterhaltung der<br />

Straße.<br />

5. Die Rechte an den beiden Brücken verbleiben bei der Gemeinde<br />

beziehungsweise dem Haus Langenstein. Sie sollen<br />

im bisherigen Zustand verbleiben.<br />

Hierzu muß vermerkt werden, daß die Brücken vermutlich<br />

in keinem besonders guten Zustand waren und die Gutensteiner<br />

Brückenzoll verlangten. Für beladene Wagen wurden<br />

18


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@efcf)icf)tgDeretn<br />

Dr. Casimir Bumiller, Bollschweil:<br />

Die Hohenzollerische Landessammlung. Eine viel<br />

gerühmte, aber wenig beachtete museale Einrichtung.<br />

Montag, 9. Oktober, um 20 Uhr im Sitzungssaal des Landeshauses<br />

(Antonstraße 11) in Sigmaringen.<br />

I. Die Mitgliederversammlung am 9. Mai<br />

in Sigmaringen<br />

Im Mittelpunkt der Aussprache auf der Jahresversammlung,<br />

die in diesem Jahr turnusgemäß in Sigmaringen stattfand,<br />

standen die Finanzen des <strong>Geschichtsverein</strong>s, die vor<br />

allem infolge der drastischen Gebührenerhöhungen der<br />

Deutschen Post AG und der gestiegenen Druckkosten angespannt<br />

sind. Bereits im Herbst 1993 hatte der Vorsitzende,<br />

um Portokosten zu sparen, vorgeschlagen, auf die<br />

Versendung von Einladungsschreiben und Ankündigungen<br />

an die einzelnen Mitglieder zu verzichten und statt<br />

dessen solche Mitteilungen in der vierteljährlich erscheinenden<br />

Hohenzollerischen Heimat, dem zweiten Publikationsorgan<br />

des <strong>Geschichtsverein</strong>s, zu veröffentlichen.<br />

Dieser Vorschlag ist im Vorstand und im Beirat auf eine<br />

positive Resonanz gestoßen. Am 30. November 1994 beschlossen<br />

diese beiden Vereinsorgane, Einladungen und<br />

Mitteilungen für die Vereinsmitglieder in Zukunft nur<br />

noch in der Hohenzollerischen Heimat sowie in der Hechinger<br />

und Sigmaringer Lokalpresse zu publizieren. Da<br />

jedoch nur etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder auch<br />

Bezieher der Hohenzollerischen Heimat sind, sollte nach<br />

der Auffassung der beiden Organe fortan der Bezug dieser<br />

Zeitschrift für alle Mitglieder obligatorisch sein.<br />

Der Vorstand und der Beirat faßten überdies einstimmig<br />

den Beschluß, auf der Mitgliederversammlung den Antrag<br />

zu stellen, den jährlichen Mitgliedsbeitrag einschließlich<br />

Bezugsgeld für die Hohenzollerische Heimat,<br />

die zur Zeit 30 DM - seit 1984 übrigens - plus 11 DM<br />

pro Jahr betragen, auf insgesamt 50 DM zu erhöhen. Die<br />

Mitgliederversammlung hat nach sehr lebhafter Aussprache<br />

beschlossen, den Mitgliedsbeitrag inklusive Bezug<br />

der Hohenzollerischen Heimat auf 45 DM zu erhöhen.<br />

II. Veranstaltungen in den kommenden<br />

Monaten<br />

1. Hohenzollern-Vorträge im Rahmen der Heimattage<br />

Baden-Württemberg <strong>1995</strong> in Sigmaringen:<br />

Prof. Dr. Fritz Kallenberg, Darmstadt:<br />

Die Sonderentwicklung Hohenzollerns im 19. und<br />

20. Jahrhundert.<br />

Montag, 25. September, um 20 Uhr im Sitzungssaal des<br />

Landeshauses (Antonstraße 11) in Sigmaringen.<br />

Dr. Otto Becker, Sigmaringen:<br />

Die Kreisreform 1973 und Hohenzollern.<br />

Montag, 16. Oktober, um 20 Uhr im Sitzungssaal des Landeshauses<br />

(Antonstraße 11) in Sigmaringen.<br />

Diese Vortragsveranstaltungen werden vom Arbeitskreis<br />

Heimatpflege im Regierungsbezirk Tübingen e. V. im<br />

Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg <strong>1995</strong> in Sigmaringen<br />

unterstützt. Der Vorsitzende wird sich aber<br />

darum bemühen, daß die Vorträge im November/Dezember<br />

in Hechingen wiederholt werden.<br />

2. Besuch des Vorstandes des Freiberger Altertumsvereins<br />

e. V.:<br />

Mitglieder des Vorstandes und des Beirates statteten vom<br />

21. bis 23. Oktober 1994 dem Freiberger Altertumsverein<br />

e. V. in Sachsen (s. hierzu den Bericht in der HH 44,<br />

1994, S. 62) einen Besuch ab. Inzwischen hat der Vorstand<br />

des Altertumsvereins auf unsere Einladung hin beschlossen,<br />

dem Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong> vom 1. bis<br />

3. Oktober <strong>1995</strong> in Hechingen und Sigmaringen einen Gegenbesuch<br />

zu machen. - Das Programm für den Besuch<br />

wird zur Zeit noch erörtert.<br />

3. Tagung der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg<br />

und des Staatsarchivs Sigmaringen:<br />

Geschichtswerkstätten, Historische Vereine und Archive<br />

- Möglichkeiten und Formen der Zusammenarbeit.<br />

Samstag, 9. September, um 10.15 bis 13 Uhr im Sitzungssaal<br />

des Landeshauses (Antonstraße 11) in Sigmaringen.<br />

An die Veranstaltung schließen sich um 14.30 Uhr<br />

Führungen durch das Staatsarchiv Sigmaringen und die<br />

Ausstellung »Preußen in Hohenzollern« an.<br />

Die Mitglieder des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

sind zu der Tagung und den anschließenden Führungen<br />

herzlich eingeladen.<br />

gez. Dr. Otto Becker<br />

Vorsitzender<br />

26. Mai <strong>1995</strong><br />

vier, für leichte Wagen zwei Heller verlangt. Die Domänenverwaltung<br />

beantragt eine Verbilligung des Brückengeldes<br />

mit Rücksicht auf die Weganlage.<br />

Das badische Ministerium des Inneren in Karlsruhe machte<br />

nach Prüfung des Vertrags die Gemeinde Gutenstein mit<br />

Schreiben vom 10. März 1848 aufmerksam, daß sie die<br />

»Brücken durch neue ersetzen müsse, wenn die vorhandenen<br />

nicht mehr benutzt werden könnten«. Da die Unterhaltung<br />

der Straße der Gemeinde Gutenstein obliegt, könnte Sigmaringen<br />

den Neubau der Brücken verlangen. Vielleicht war<br />

dies ein Grund, weshalb sich die Königlich preußische Regierung<br />

1852 entschloß, die Straße nicht durch den Ort<br />

Gutenstein zu führen.<br />

Wegen des Vertrags erheben die Städte Meßkirch und<br />

Stockach Einspruch. Nachdem jedoch bei einer Befragung<br />

der Gutensteiner nur vier Bürger gegen den Ausbau stimmten,<br />

hat Meßkirch seinen Einspruch zurückgezogen (8. Oktober<br />

1847).<br />

Der Vertrag mit dem Fürstenhaus Fürstenberg<br />

Neben der Gemeinde Gutenstein mußte mit der Fürstlich<br />

Fürstenbergischen Domänenverwaltung ein Vertrag geschlossen<br />

werden. Dieser Vertrag wird mit Beschluß vom 16.<br />

Oktober 1847 von der Fürstlich Hohenzollerischen Domänenverwaltung<br />

Sigmaringen ausgefertigt und am 2. Dezem-<br />

19


er 1847 von der Fürstlich Fürstenbergischen Domänenkanzlei<br />

gegengezeichnet. Er sieht vor:<br />

1. Das Haus Hohenzollern übernimmt die Anlage und Ausführung<br />

eines Verbindungsweges vom Hüttenwirtshaus<br />

Thiergarten bis zum Ort Laiz auf seine Rechnung. Der Weg<br />

wird nach Plan in einer Kronenbreite von 18 Fuß durchgehend<br />

linksseitig - mit Ausnahme von Gutenstein - verlaufen.<br />

2. Die Vollendung der Straße ist bis 1. Mai 1850 vorgesehen.<br />

3. Die Kosten für das Haus Fürstenberg werden auf 12000<br />

Gulden veranschlagt. Enthalten sind hierbei die Kosten für<br />

die Vorarbeiten, den Straßenbau, den Grunderwerb, das<br />

Schutzgeländer und die Baumpflanzung.<br />

4. Die Straße soll »in einer die höchsten Wasserstände übersteigenden<br />

Höhe und ohne Einengung des Donaubettes zu<br />

Thiergarten« in guter »Soliditätund Sicherheit« ausgeführt<br />

werden.<br />

In vielen weiteren Schreiben wurde von der Fürstenbergischen<br />

Domänenkanzlei eine Auslegung der Solidität verlangt;<br />

man zweifelte die Wahrhaftigkeit des Vertrages an.<br />

Daraufhin erwiderte am 3. Februar 1848 Geheimrat von<br />

Weckherlin, daß die Straße entsprechend der »neuen Straße<br />

nach Beuron« ausgeführt wird. Dieser Straße fehlten jedoch<br />

Steinsatz und Straßengräben. Weckherlin sicherte später lediglich<br />

zu, »daß die Straße mit schwereren Fuhrwerken als<br />

die Beuroner Straße befahren werden kann«.<br />

Der Schriftverkehr mit dem Haus Fürstenberg wegen der Donautalstraße<br />

endet im März 1848.<br />

Auf eine Anfrage des Hauses Fürstenberg teilt die Domänenverwaltung<br />

Sigmaringen mit Schreiben vom 20. April<br />

1849 mit, daß wegen der »Schwierigkeiten und Umstände,<br />

welche durch die Zeitverhältnisse gegeben waren, der Bau der<br />

Donauthalstraße eingestellt werden mußte«. Auf eine andere<br />

Anfrage teilt Oberforstmeister Carl mit, daß er seit Frühjahr<br />

1848 nicht mehr die Verantwortung für den Straßenbau<br />

habe.<br />

Das Fürstenhaus Hohenzollern hat wegen der politischen Ereignisse<br />

der Jahre 1848/49 die Weiterführung der Maßnahme<br />

aufgegeben. Fürst Karl dankt am 27. August 1848 ab, sein<br />

Sohn Karl Anton tritt das Fürstentum Hohenzollern am 7.<br />

Dezember 1848 an die Königlich preußische Regierung ab.<br />

Dennoch begannen die Straßenbauarbeiten im Herbst 1847.<br />

Oberforstmeister Carl war der Straßenbau übertragen worden.<br />

Er beantragte am 11. September 1847 beim Fürsten:<br />

-dem Rentmeister Huber Vollmachten zur Bereitstellung<br />

des Geldes zu geben;<br />

- den Bau der Schmeiebrücke zu genehmigen;<br />

- Verhandlungen mit dem Haus Fürstenberg über den Ausbau<br />

Gutenstein-Thiergarten aufzunehmen;<br />

- mit dem Bau von Laiz bis zur unteren Brücke Gutenstein<br />

baldmöglichst zu beginnen.<br />

In der Tat wurde bereits im Frühjahr 1848 mit Planierungsarbeiten<br />

bei Laiz begonnen. Ab März 1848 (Märzrevolution)<br />

wird der Bau eingestellt und für vier Jahre unterbrochen.<br />

Baumaßnahme durch die Königlich preußische Landesregierung<br />

1852 bis 1858<br />

Die Königlich preußische Landesregierung, vertreten durch<br />

Oberinspektor Flaminius nahm 1850 neue Verhandlungen<br />

mit der Gemeinde Gutenstein und der Fürstenbergischen<br />

Domänenkanzlei aufgrund der abgeschlossenen Verträge auf.<br />

Über die Weiterführung der Straße von Beuron über Fridingen<br />

nach Tuttlingen wird mit der Württembergischen Hofkammer<br />

verhandelt. Die Donautalstraße soll als Staatsstraße<br />

über Ländergrenzen hinweg ausgebaut werden.<br />

Am 19. Oktober 1852 wird Geometer Schwenk von Haigerloch<br />

beauftragt, die Planungsarbeiten der Donautalstraße<br />

zwischen Laiz und Thiergarten zu übernehmen. In dem Vertrag<br />

war die Aufnahme des bereits ausgeführten Teils, die<br />

Herstellung der Längs- und Querprofile, beinhaltet. Am 25.<br />

Februar 1853 legt Schwenk die Planung vor, die jetzt eine<br />

linksseitige Führung auch bei Gutenstein »in einer die höchsten<br />

Wasserstände übersteigenden Höhe« vorsieht. Die Breite<br />

der Straße wird auf 24 Fuß erweitert. Man kann annehmen,<br />

daß wegen der »baufälligen Brücken« in Gutenstein die<br />

schwierige Straßenführung links der Donau gewählt wurde.<br />

Schwenk berichtet, daß die Vermessungsarbeiten zeitraubend,<br />

ja lebensgefährlich seien, weil man nur vom Kahn aus<br />

mit Leitern die entsprechenden Teilstücke erreichen könne.<br />

Er bittet deshalb um Zeitaufschub.<br />

Der Grundstückserwerb im Raum Gutenstein ergab ebenfalls<br />

Schwierigkeiten, mit 51 Grundstücksbesitzern mußte<br />

verhandelt werden. Wegen der unterschiedlichen Bonitäten<br />

lagen die Grundstückspreise weit auseinander. Wegen der<br />

Zerschneidung der Grundstücke wurden Nachforderungen<br />

gestellt. Die Akten zeigen eine Fülle von Verhandlungen und<br />

Prozessen.<br />

Am 3. April 1853 erhält Baumeister Laur den Auftrag, die<br />

Straße zu bauen. Seine monatlichen Berichte an die Königlich<br />

preußische Verwaltung geben einen chronologischen<br />

Überblick über den Fortgang der Baumaßnahmen. »Der Bau<br />

wird gleichzeitig am oberen und unteren Ende in Angriff genommen«,<br />

das heißt vom Hüttenwirtshaus Thiergarten und<br />

vom Ortsrand von Laiz. Am 19. April 1853 erfolgt die Genehmigung<br />

zum Bau durch die königlichen Majestäten.<br />

Die Gesamtstrecke wird in Sektionen und Lose aufgeteilt. Begonnen<br />

wird im März 1853 auf der Strecke Laiz-Schmeiemündung<br />

(1590 Ruthen lang). Die Straße wird 24 Fuß breit<br />

gebaut mit einer Steinbahn von 18 Fuß. Die Straßenbauarbeiten<br />

umfassen:<br />

- Abtragen des Gerölls, Sprengen<br />

- Planieren<br />

- Steinbahn setzen, Zwischenräume auffüllen<br />

- Abwälzen, Feinschüttung und<br />

- Durchlässe, Dohlen für Entwässerungen<br />

- Böschungen und Setzmauern errichten<br />

- Randsteine setzen, eventuell mit Geländer versehen<br />

- Schutzbäume pflanzen<br />

Die Gemeinden drängen auf den raschen Beginn der Arbeiten.<br />

Im Raum des unteren Donautales hat es 1852 einen starken<br />

Hagelschlag gegeben. Die betroffenen Landwirte suchen<br />

für den Ausfall einen Nebenverdienst. Auf die Ausschreibungen<br />

im März melden sich sodann:<br />

- von Laiz 8 Maurer, 25 Handlanger<br />

- von Jungnau 2 Maurer, 8 Steinhauer, 19 Handlanger<br />

- von Vilsingen 3 Maurer, 1 Steinhauer, 56 Handlanger<br />

und 43 weibliche<br />

- von Inzigkofen 12 Handlanger<br />

- von Frohnstetten 12 Maurer<br />

- von Straßberg 30 Maurer<br />

In den Jahren 1853 bis 1857 arbeiten auf der Gesamtstrecke<br />

90 bis 120 Arbeiter, während der Erntezeit und im Winter<br />

weniger. Dennoch wurde während der Wintermonate vor allem<br />

in den Tunnels ohne Unterbrechung weitergearbeitet.<br />

Für die Arbeiten mußten zunächst die notwendigen Gerätschaften<br />

besorgt werden: zweirädrige Karren zum Transport<br />

des Materials, Kähne und Leitern, um vom Fluß aus an die<br />

Baustelle heranzukommen.<br />

Bis die Arbeiten richtig anlaufen, wird es Sommer 1853. Ein<br />

Fond von 5000 Gulden (2. Juli 1853) für den 1. Bauabschnitt<br />

wird geschaffen; die Gesamtkosten müssen erhöht werden.<br />

20


Vor 106 Jahren war der Verkehr<br />

auf der Donautalstraße noch recht<br />

gemütlich. Neben der Straße die<br />

neue Bahnstrecke, noch ohne<br />

Schienen. Das Foto wurde 1889<br />

von Baurat E. Eulenstein aufgenommen.<br />

Die Planierarbeiten, der Steinsatz, das Setzen der Begrenzungssteine<br />

und der Bäume von Laiz bis zur Schmeiemündung<br />

nimmt noch die erste Jahreshälfte 1854 in Anspruch.<br />

Die Straße erhielt eine 15 bis 18 Zentimeter starke Packlage.<br />

Die für den Steinsatz notwendigen Kalksteine waren vorhanden.<br />

Die groben Steine wurden sodann mit kleineren verkeilt.<br />

Dann wurde zunächst einmal abgewalzt. Uber den<br />

Steinsatz wurde eine 6 bis 15 Zentimeter starke Lage aus Feinmaterial<br />

aufgebracht. Dieses Feinmaterial wurde durch Zerschlagen<br />

der Grobsteine gewonnen. Das Abwälzen war sehr<br />

wichtig, der Belag mußte dicht werden, damit kein Wasser in<br />

die Hohlräume eindringen konnte und die Straße vor Auffrieren<br />

geschützt wurde. Gewalzt wurde mit einer bis zu 70<br />

Zentner schweren Walze, einer Eisenwalze, die mit Wasser<br />

gefüllt wurde. Es handelte sich um Gespannwalzen, die von<br />

4 Pferden gezogen wurden. Nach jedem Walzengang mußte<br />

umgespannt werden. Die notwendige Dichte war erst nach 5<br />

bis 8 Walzengängen erreicht.<br />

Ab Juli 1 854 beginnt der Ausbau der Strecke bis Dietfurt. Allerdings<br />

scheint hier eine Stockung eingetreten zu sein, denn<br />

erst im März 1855 beginnt man mit dem Abbruch der alten<br />

Schmeiebrücke, im Juni sind die Fundamente gesetzt, im Oktober<br />

wird das Gewölbe fertig und im November wird die<br />

Decke aufgetragen, das Steingemäuer und das gußeiserne<br />

Geländer gesetzt. Die Quadersteine zum Bau der Brücke<br />

stammen aus Frohnstetten.<br />

Die Sprengarbeiten an den Galerien unterhalb des Bröller laufen<br />

schon seit 1854/55. Im Mai 1855 erhalten die Steinhauer<br />

Amman und der Maurer Bix, beide aus Thiergarten, den Auftrag<br />

zum Bau des großen Durchlasses bei Thiergarten. In<br />

Thiergarten bestand bereits ein Steinbruch, hier wurden<br />

Grabsteine gebrochen. Ebenfalls im Jahr 1855 wird die Aussprengung<br />

des Tunnels bei der Schmeiemündung, der drei<br />

Tunnel unterhalb des Teufelslochfelsens in Angriff genommen.<br />

Die Tunnelsprengung wird beidseitig vorangetrieben.<br />

Je 6 bis 8 Mann arbeiten an einer Seite. Es war eine mühsame<br />

Arbeit. Mit Kronenbohrer oder Kreuzmeißel wurden die<br />

Bohrlöcher auf eine Tiefe von 30 bis 50 Zentimeter geschlagen,<br />

dazu verwendete man einen 4,5 Kilogramm schweren<br />

Bohrfäustel. Nach jedem Schlag wurde der Bohrer gedreht.<br />

Die Bohrer mußten immer wieder neu geschärft werden.<br />

Nach Beseitigen des Bohrstaubes wurde die Patrone mit der<br />

Sprengladung eingeschoben, die Zündschnur befestigt, die<br />

Bohröffnung verschlossen und abgefeuert. In der Regel wurden<br />

mehrere Bohrlöcher auf einmal gezündet.<br />

Das Gestein ist teilweise so hart, daß die Arbeiter im Monat<br />

nur 6 bis 7 Fuß (1,8 bis 2,1 Meter) vorankommen. Gearbeitet<br />

wird in zwei Lagen, zunächst wird die obere Lage abgesprengt,<br />

das Steinmaterial abtransportiert auf zweirädrigen<br />

Karren, sodann erfolgt die Absprengung der unteren Lage.<br />

Das Tunnel bei der Schmeiemündung wird im Herbst 1855,<br />

die Tunnel unterhalb des Teufelslochfelsens im Oktober 1856<br />

und das Tunnel gegenüber dem Thiergarter Hof im Dezember<br />

1856 fertig. Die »Chaussierungsarbeiten« (Planieren und<br />

Steinsatz) wurden jeweils bis zum Tunnel soweit vorangetrieben,<br />

daß diese Straßenstücke mit Fuhrwerken befahrbar<br />

waren.<br />

Im Oktober 1856 beginnt der Ausbau der Straße gegenüber<br />

dem Ort Gutenstein, wohl das schwierigste Stück der Baumaßnahme.<br />

Zwei Tunnel müssen ausgebrochen werden, der<br />

größere mit 256 Fuß; zwischen den Tunnels sind im Bereich<br />

der Galerien ebenfalls große Felsbereiche zu sprengen. Hierzu<br />

werden zur Sicherheit der Arbeiter Stege um die Felsen<br />

errichtet. Uber die Sprengungen berichtet Baumeister Laur:<br />

»Gutensteiner Bürger werden von den Sprengungen unterrichtet,<br />

um Menschen und Thiere vor Schaden zu schützen.<br />

Jeweils vor der Sprengung wird eine Fahne ausgehängt. Ebenso<br />

wird einigemal geläutet, so daß jeder, der die Fahne nicht<br />

sah, durch Glockengeläut rechtzeitig erinnert wird - meist<br />

zur Mittagszeit, wo sich die Bürger in Häusern befinden.«<br />

Klagen und Ersatzansprüche von Grundstücksanliegern gibt<br />

es über Beschädigung von Obstbäumen und Gebäuden. Der<br />

Müller beanstandet, daß oberhalb vom Wehr das Flußbett etwas<br />

eingeengt wurde - obwohl im Vertrag ausdrücklich untersagt;<br />

er befürchtet einen »verstärkten Wasserangriff auf<br />

seine gegenüberliegenden Wiesen« und fordert Schadenersatz.<br />

Im Januar 1857 wird mit der Sprengung der Galerien und der<br />

Errichtung der Böschungsmauern begonnen; im Juni ist das<br />

kleine Tunnel in der Wölbung (oberer Satz) fertig; im Oktober<br />

der große Tunnel im oberen Satz. Von der Sohle sind nur<br />

noch 110 Fuß zu sprengen; am 13. Januar 1858 konnte Laur<br />

melden, daß der große Tunnel in seiner ganzen Länge ausgesprengt<br />

ist.<br />

Im Laufe des Jahres 1857/58 werden die Planierungsarbeiten<br />

21


fortgesetzt. Im Bereich Gutenstein wurde eine »Steinbahn«<br />

auf Schienen zeitweise eingesetzt. Sie diente auch zum Transport<br />

von »Wassertonnen mit Brausen«. Mit diesen hat man<br />

die Straße vor dem Abwälzen abgespritzt, weil der Herbst<br />

1857 sehr trocken gewesen sein muß.<br />

Im Jahr 1858 geht der Straßenbau der Donautalstraße mit dem<br />

Setzen von Begrenzungssteinen und der Bäume zu Ende.<br />

Große Sorgfalt wurde auf das Setzen der Begrenzungssteine<br />

verwendet, sie wurden aus dem Schwarzwald herbeigeschafft,<br />

mit Schutzstangen versehen. An der alten Straße stehen diese<br />

Randsteine heute noch. Zum damaligen Straßenbau war<br />

das Pflanzen von Bäumen gerade Pflicht. Sie sollten einerseits<br />

den Zugtieren Schatten spenden, andererseits boten sie<br />

Schutz vor dem Abstürzen von Fahrzeugen.<br />

Im November 1858 wird die Donautalstraße wohl dem Verkehr<br />

übergeben, von einer offiziellen Verkehrsübergabe wurde<br />

keine Aufzeichnung gefunden. Die Höhe der Baukosten<br />

zwischen 1854 und 1858 wird mit 103000 Gulden angegeben,<br />

also fast die doppelte Summe des Voranschlages.<br />

In dem Wanderführer von Schlude aus dem Jahr 1859 wird<br />

die Straße wie folgt beschrieben: »Gleich hinter Thiergarten<br />

wandern wir die neue Donauthalstraße von Laiz her, die eben<br />

und glatt wie ein Tanzboden uns durch eine Reihe kleiner<br />

Tunnels führt. Rechts hart an der Straße wälzt sich die Donau<br />

in stürmischer Hast über die Steine und Felstrümmer<br />

(vermutlich noch vom Bau her), links ragen die nakten Scheitel<br />

der Felsklippen drohend über unseren Häuptern herein.«<br />

Die Donautalstraße von Sigmaringen nach Beuron wurde zu<br />

einem wichtigen Bindeglied der Orte im Tal. Die Beförderung<br />

von Erzen, Kohle und Eisenerzeugnissen spielte kaum<br />

mehr eine Rolle, weil das Eisenwerk Thiergarten bereits 1863<br />

den Betrieb einstellte. Der Ausbau von Beuron nach Tuttlingen<br />

über Fridingen wurde vorangetrieben. Besucher des<br />

Unterlandes kamen in Eilwagen von Stuttgart über Tübingen,<br />

Rottweil nach Tuttlingen; täglich befuhren zwei Postwagen<br />

diese Linie. Sigmaringen wurde täglich von einem Eilwagen<br />

von Balingen her angefahren. 1871 drängte das Kloster<br />

Beuron auf einen Postanschluß nach Beuron.<br />

Die Bahnlinie Sigmaringen-Tuttlingen bringt neue Akzente<br />

ins Donautal<br />

Die Situation ändert sich mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes<br />

Ende des letzten Jahrhunderts. Sigmaringen konnte ab<br />

1872 von Ulm her, ab 1878 von Tübingen her erreicht werden.<br />

Der Bau der Donautalstrecke erfolgte in den Jahren<br />

1889/1890. »Sie wurde als strategische Bahn und Teilstück einer<br />

wichtigen Verbindung von Ulm zum Oberelsaß erstellt.«<br />

Viele italienische Arbeiter wurden hierfür angeworben, aber<br />

einheimische Landwirte fanden mit Fuhrarbeiten einen guten<br />

Nebenverdienst. Im Gegensatz zur Straße konnte sich die<br />

Bahn nicht den topographischen Verhältnissen, vor allem den<br />

vielen Mäandern der Donau anpassen. So mußten viele<br />

Brücken und Tunnels gebaut werden. Die Straßenführung<br />

änderte sich kaum, allerdings mußten mehrere Unter- und<br />

Uberführungen gebaut werden.<br />

Die Bahn sollte nicht nur die Einwohner des Tales aufnehmen,<br />

die Bewohner der Albdörfer sollten in die Beförderung<br />

einbezogen werden. Hierzu waren jedoch Verbindungswege<br />

zu den Bahnhöfen notwendig. So wurden die Bergstraßen<br />

von Hausen nach Schwenningen und Kreenheinstetten sowie<br />

die Straße Thiergarten-Stetten ausgebaut.<br />

Die Bahn brachte von nun an viele Besucher in das Donautal.<br />

Es waren einerseits Wallfahrer, die nach Beuron kamen, andererseits<br />

Wanderer. Die 1863 errichtete Benediktinerabtei<br />

Beuron ließ die Wallfahrt zum Gnadenbild der Schmerzhaften<br />

Maria neu aufleben. Die Pilger reisten zunächst zu Fuß<br />

oder mit dem Wagen über die neu errichtete Donautalstraße<br />

an; bis zu 10 000 Pilger pro Jahr wurden in den ersten Jahren<br />

gezählt. Später brachten Pilgerzüge mit bis zu 1000 Fahrgästen<br />

wesentlich mehr Pilger nach Beuron. Mit dem Ersten<br />

Weltkrieg flaute die Wallfahrt allerdings ab.<br />

Ende des letzten Jahrhunderts setzte eine starke Wanderbewegung<br />

ein. Die Wanderer nutzten die Eisenbahn für ihre<br />

Ausflüge. Der Fahrplan der Züge ließ es zu - es gab damals<br />

noch Frühzüge -, daß Wanderer vom Unter- und Oberland<br />

das Donautal mit dem Zug leicht erreichen konnten. Der<br />

Schwäbische Albverein schilderte um die Jahrhundertwende<br />

Wanderwege aus und errichtete Aussichtspunkte an beherrschenden<br />

Felsköpfen. Viele begeisterte Wanderberichte über<br />

die Schönheit des Oberen Donautales stammen aus der Zeit<br />

vor dem Ersten Weltkrieg.<br />

Der Autoverkehr fordert den Ausbau der<br />

Donautalstraße<br />

Bis in die zwanziger Jahre hinein wurde die Donautalstraße<br />

nur von Fußgängern und Gespannfuhrwerken benutzt. Der<br />

Autoverkehr kam erst in den dreißiger Jahren, vor allem auch<br />

durch den Verkehr des Truppenübungsplatzes Stetten am<br />

kalten Markt. Die Donautalstraße wurde in dieser Zeit mit<br />

einem Teerbelag versehen.<br />

Der letzte große Ausbau der Straße erfolgte genau 100 Jahre<br />

nach der Anlage. Im Juni 1959 wurde die Strecke Gutenstein<br />

vom letzten Tunnel in Richtung Thiergarten ausgebaut. Die<br />

Tunnel bei Gutenstein.<br />

Foto Kreisarchiv Sigmaringen<br />

22


neue Straße wurde nun nördlich der Bahnlinie verlegt, zwei<br />

schienengleiche Bahnübergänge konnten damit aufgehoben<br />

werden. Auf der alten Straße verläuft heute der Radweg.<br />

Am 23. Januar 1961 begann der Ausbau der Strecke vom<br />

Schmiedebrunnen (westlich von Langenbrunn) nach Beuron.<br />

Die Linienführung um das Käpfle herum an St. Maurus vorbei<br />

wurde aufgegeben, die neue Straße wurde in einem großen<br />

Einschnitt zwischen Käpfle und Vögelesruh angelegt. Die<br />

Strecke wurde dadurch um einen Kilometer verkürzt und begradigt.<br />

Im weiteren Verlauf wurde die Straße auf 7,5 Meter<br />

verbreitert und das Tunnel mit einer Halbröhre eingeschalt.<br />

Diese Maßnahme wurde 1962 abgeschlossen.<br />

Die Strecke Bahnhof Inzigkofen-Dietfurt wurde in den Jahren<br />

1962 bis 1967 gebaut. Der Bau der Schmeietalbrücke<br />

nahm sehr viel Zeit in Anspruch, des weiteren wurde die<br />

Straße westlich der Schmeiemündung oberhalb der Bahnlinie<br />

verlegt. Dies erforderte nicht nur einen starken Eingriff<br />

in die Felspartien des Schmeierberges, es mußte auch eine hohe<br />

Stützmauer zur Bahn hin gebaut werden. Hierbei wurden<br />

drei Unterführungen und zwei schienengleiche Bahnübergänge<br />

überflüssig. Sehr gut erhalten ist heute noch die alte<br />

Straße zwischen Dietfurt und der Schmeiemündung.<br />

1965/66 folgte der Ausbau zwischen Laiz und Inzigkofer<br />

Bahnhof. Die Straße wurde entlang der Bahnlinie geführt, sie<br />

wurde dadurch übersichtlicher und kürzer. Leider wurde die<br />

Strecke unterhalb des Gespaltenen Felsens verbreitert und ein<br />

Tunnel gesprengt und beseitigt. Mit der Umgehung Laiz in<br />

den Jahren 1970/71 wurde der Ausbau der Donautalstraße<br />

abgeschlossen.<br />

In den siebziger und achtziger Jahren war die Straßenbauverwaltung<br />

bemüht, weitere Ausbaumaßnahmen zwischen<br />

Thiergarten und Neumühle vorzunehmen. Ebenso war eine<br />

Verbreiterung der Tunnel vorgesehen. Aus Gründen des Natur-<br />

und Denkmalschutzes unterblieb bis heute der Ausbau,<br />

so daß die Tunnelstrecken als Denkmale des Gebirgs-<br />

Tunnel zwischen Dietfurt und Gutenstein. Foto Kreisarchiv Sigmaringen<br />

straßenbaues des letzten Jahrhunderts erhalten blieben. Es<br />

gibt heute in deutschen Mittelgebirgen kaum eine Strecke,<br />

welche so stark in den Fels eingehauen ist und sich so stark<br />

an die topographischen Verhältnisse anpassen muß. Die<br />

Straße ist einmalig im deutschen Raum und für die Zukunft<br />

erhaltenswert. Sehr interessant sind natürlich die erhaltenen<br />

Strecken der alten Straße, die teilweise als Radweg benutzt<br />

wird.<br />

ROLF VOGT<br />

Hechingen und der 30. Juni 1934<br />

(Fortsetzung)<br />

Überlegungen zu den Auswirkungen der SA-Entmachtung auf eine südwestdeutsche Kleinstadt<br />

Die »Zweite Revolution« in Hechingen<br />

Da schließlich auch die Waffen zurückgegeben werden mußten,<br />

blieb der 30. Juni 1934 für die SA-Sportschule in Hechingen<br />

letztlich eine Episode. 15 Nicht so für die »Bewegung«.<br />

Wie andernorts hatte sich in der Zollernstadt der Kern<br />

der NS-Kämpfer in den letzten Monaten zunehmend radikalisiert.<br />

Die SA - aber auch die Hitlerjugend und andere Organisationen<br />

- war unzufrieden mit dem Fortgang der nationalsozialistischen<br />

Umgestaltung: Zu viele der alten Honoratioren<br />

saßen noch an den Hebeln der Macht und entschieden<br />

über Wohl und Wehe der Stadt. Landrat und Bürgermeister<br />

waren das beste Beispiel. Paul Schraermeyer hatte Rückendeckung<br />

aus dem Regierungspräsidium, gegen die nicht anzukommen<br />

war, Bürgermeister Paul Bindereif war das Paradebeispiel<br />

der »Konjunkturritter« - so hießen damals die<br />

»Wendehälse« 16 -. die auf den fahrenden Zug aufgesprungen<br />

waren und jetzt in Uniform und strammer Haltung dasselbe<br />

taten wie zuvor.<br />

Das »ungehörige Vordrängen der neuen Parteigenossen«<br />

rügte der Sigmaringer Kreisleiter Karl Maier beim ersten<br />

Kreiskongreß der Hechinger NSDAP im September 1933<br />

ebenso wie der Ulmer Gauinspekteur Maier, der über die<br />

»Tröpfe« herzog, »die glauben, auf dem Rücken der Bewegung<br />

ihre persönlichen Vorteile ergattern zu können und auf<br />

diese Art und Weise die Volksgemeinschaft bewußt zerstören«.<br />

17<br />

Der Aufbau dieser »Volksgemeinschaft« ging nur schleppend<br />

voran. Zwar hatten sich die Hechinger 1933 an den öffentlichen<br />

Kundgebungen in überwältigender Form beteiligt, doch<br />

vielen in der Bewegung schienen das allenfalls Lippenbekenntnisse<br />

zu sein. Der erste Kreiskongreß, den die NSDAP<br />

im September 1933 in Hechingen veranstaltete, zeigte das:<br />

»So selten«, klagten die Hohenzollerischen Blätter, die sich<br />

gern zum Sprachrohr der radikalen Kräfte in der Hechinger<br />

NSDAP machten, seien die Hakenkreuzfahnen an den Häusern<br />

zu sehen gewesen, wobei besonders auffiel, daß »an den<br />

Häusern der Geschäftsleute« kein Fahnenschmuck angebracht<br />

war. 18 Die »teilweise sehr spärliche Beflaggung« kritisierte<br />

die Zeitung auch beim Erntedankfest, das mit immerhin<br />

10000 Kundgebungsteilnehmern aus dem ganzen<br />

Kreis die wohl größte Demonstration in der Geschichte der<br />

Stadt war. 19 23


7<br />

Das Hechinger Bürgertum benötigte einige Zeit, um zu lernen,<br />

was von ihm verlangt wurde, so daß »eine leise Warnung«<br />

ausgesprochen werden mußte, den deutschen Gruß -<br />

der in Behörden und Schulen schon Pflicht war - auch in der<br />

Öffentlichkeit nicht zu verweigern. 20<br />

Die Interessenlage der Hechinger - allen voran Geschäftswelt<br />

und Beamtenschaft - zeigte nicht zuletzt die Entwicklung der<br />

von der NSDAP ins Leben gerufenen sozialen Organisationen.<br />

Das Winterhilfswerk 1933/34, deren öffentlichen Sammlungen<br />

die Spende zwar kaum verweigert werden konnte,<br />

mußte noch von der Stadt organisiert werden, weil die NS-<br />

Volkswohlfahrt in Hechingen noch nicht errichtet war. Auch<br />

als es ein Hechinger Kreisamt der NSV gab, blieb der Zuspruch<br />

dünn. Im August 1934 rangierte die Hechinger NSV<br />

bei den Mitgliederzahlen an letzter Stelle im ganzen Gau<br />

Württemberg-Hohenzollern. Mit seinen 283 Mitgliedern<br />

hatte sie den Kreis der Parteimitglieder und engagierten NS-<br />

Aktivisten nicht überschritten. 21<br />

Obwohl Hitler im Juli 1933 verkündet hatte, die nationalsozialistische<br />

Revolution sei beendet, wurde der Ruf nach einer<br />

»zweiten Revolution« lauter. Auch in Hechingen. »Die Revolution<br />

ist im großen Ganzen beendet, für uns aber keineswegs«,<br />

erklärte im Januar 1934 der Unterbannführer der Hitlerjugend,<br />

Rudolf Oppermann, und betonte, die HJ werde<br />

sich »allem, was sich uns entgegenstemmt, den Kampf ansagen.«<br />

22 Der Hitlerjugend waren vor allem die kirchlichen Vereine<br />

ein Dorn im Auge. Als der katholische Gesellenverein<br />

im April 1934 im Museum einen Theaterabend veranstaltete,<br />

störte die HJ die Aufführung massiv mit einer Flugblattaktion.<br />

23<br />

Daß Hohenzollern ein »Spießbürgernest« geblieben sei, war<br />

sich die Hitlerjugend mit anderen Organisationen der Partei<br />

einig. Hort des Unmuts war neben der SA vor allem die Deutsche<br />

Arbeitsfront (DAF), die seit der Machtergreifung von<br />

Eduard Her aufgebaut und Anfang 1934 von Willy Paul übernommen<br />

worden war. Mit den Möglichkeiten der Arbeitsfront<br />

ließ sich immerhin ein gewisser Ausgleich schaffen für<br />

die Benachteiligung, denen sich die »alten Kämpfer« der Bewegung<br />

weiterhin ausgesetzt fühlten. Aber viel war das nicht.<br />

»Gerade in Hohenzollern ist die nationale Revolution nichts<br />

als eine Gleichschaltung gewesen«, klagte der DAF-Leiter im<br />

April 1934 und forderte die »zweite Welle«, die »vollbringen«<br />

müsse, »was uns nicht gelungen ist«. 24<br />

NS-Hago, die in den Kinderschuhen steckengebliebene Parteiorganisation<br />

des Mittelstands, und die NS-Frauenschaft,<br />

die weiterhin ein kleines Häuflein unverdrossener Volksgenossinnen<br />

war, gehörten ebenfalls zu den Gruppen, denen die<br />

nationalsozialistische Neuordnung nicht weit genug gegangen<br />

war. 25<br />

In der SA prallten die Gegensätze unmittelbar aufeinander.<br />

Die einstige Elitetruppe, die bei Parteiveranstaltungen Leibwächter<br />

und Saalschutz gestellt hatte, war im Laufe des Jahres<br />

1933 zu einer Massenformation geworden, in der auch Zuflucht<br />

suchte, wer durch den Mitgliederstopp der NSDAP<br />

das Parteiabzeichen nicht mehr direkt erwerben konnte.<br />

Trotzdem wurde ihren Mitgliedern immer wieder beteuert,<br />

daß sie die Keimzelle der neuen Gesellschaft seien. Die SA<br />

sei die »revolutionäre Garde« der Bewegung und »Garant des<br />

neuen Staates«, betonte etwa der Reichstagsabgeordnete Vincenz<br />

Stehle aus Bittelbronn bei der Aufnahme der Stahlhelmangehörigen<br />

in die Hechinger SA. 26 Die »alten Kämpfer« hätten<br />

die Aufgabe, über den reinen Nationalsozialismus zu wachen,<br />

forderte Kreisleiter Dr. Theodor Johannsen bei der Feierstunde<br />

zum Führergeburtstag am 20. April 1934. 27<br />

Für die »alten Kämpfer«, ein Titel, der sich auch in Hechingen<br />

zunehmend einbürgerte, dürften die Loblieder vielmals<br />

wie blanker Hohn geklungen haben. Schon im Winter<br />

1933/34 stellte die Staatspolizeistelle in Sigmaringen eine »erhebliche<br />

Beunruhigung« in der SA fest, weil »Angehörige der<br />

früher nicht nationalen Parteien« zu Trupp- und Sturmführern<br />

avanciert waren. Auch die Neuordnung der SA nach der<br />

Eingliederung des Stahlhelm führte zu Mißtönen. 28 Viele der<br />

Angehörigen der SA fühlten sich benachteiligt, weil sie an<br />

dem Aufschwung nach der Machtergreifung nicht teilgenommen<br />

hatten. Die nationalsozialistische Revolution war<br />

an ihnen vorbeigegangen.<br />

Die »Kameraden der alten SA« begannen auch in Hechingen,<br />

sich abzusondern. Ende Juni 1934 luden sie zu einem Kameradschaftsabend<br />

ein, für den sie nicht das damalige Parteilokal<br />

»Mohren«, sondern das Gasthaus »Traube« wählten. 29<br />

Die »Traube« war 1932, vor der Machtergreifung, Treffpunkt<br />

der damals noch kleinen Gruppe Hechinger Nationalsozialisten<br />

gewesen. Das Treffen der »alten Garde« im Juni 1934<br />

blieb aber nicht in Erinnerungen haften. Deutliche Klage geführt<br />

wurde auch über die »mangelhafte Unterbringung vieler<br />

Kameraden, die vordem aus politischen Gründen ohne<br />

Arbeit und Brot waren«. 30<br />

Für die Hechinger Öffentlichkeit bedenklicher als die interne<br />

Verärgerung waren die massiven Propagandafeldzüge, die<br />

die Partei 1934 begann. Im Jahr davor hatten die Massenkundgebungen<br />

vor allem politische Entwicklungen begleitet,<br />

die auf Reichsebene oder in der internationalen Politik auch<br />

die Sympathien der meisten Hechinger gefunden haben dürften.<br />

Im Frühjahr 1934 nahm die »Versammlungswelle« ganz<br />

neue Formen an. Diesmal ging es gegen »Miesmacher und<br />

Kritikaster«. Erfaßt wurden von der Kampagne nahezu alle<br />

Städte und Gemeinden im weiten Umkreis. Die Hechinger<br />

Kundgebung war für den 28. Juni 1934 angesetzt. Sie sollte<br />

eine »gründliche Abrechnung mit jenen erbärmlichen Wichten<br />

mit sich bringen ..., die gerade in letzter Zeit, aus dem<br />

Schwarzen Lager kommend, in die Reihen unserer Gegner<br />

gestoßen sind«, brachten die Hohenzollerischen Blätter im<br />

Vorfeld der Versammlung die Erwartungen zum Ausdruck:<br />

»Wer an diesem Tage durch Nichterscheinen glänzt, zeigt damit<br />

sein schlechtes Gewissen.« 31<br />

Die massive Einschüchterung hatte Erfolg. Die Rede von<br />

Gauinspekteur Richard Blankenhorn aus Ehingen hörten<br />

sich etwa 800 Hechinger im Museum an, eine »Massenkundgebung,<br />

wie sie Hechingen selten sah«. Für viele Zuhörer muß<br />

es ein ungemütlicher Abend gewesen sein. Für manchen<br />

Zuhörer aber mag der Abend erhebliche Genugtuung gebracht<br />

haben, als der Gauinspekteur hemmungslos begann,<br />

gegen die »bestimmte Sorte schwarzer Reaktionäre« zu wettern,<br />

»die sich in die Reihen der Parteigenossenschaft gedrängt<br />

haben und hier eifrig dabei sind, die besten Plätze für<br />

sich zu gewinnen«. 32<br />

Nachspiele<br />

Zwei Tage später gab es eine vollkommen neue Situation. Die<br />

Vorgänge im Reich wurden anhand der Verlautbarungen der<br />

NS-Spitze auch von den beiden Hechinger Zeitungen in<br />

großer Aufmachung verbreitet. Es galt, sich neu zu orientieren.<br />

Schockierend für die Öffentlichkeit war an der Ausschaltung<br />

der SA und ihrer Führung um Ernst Röhm vor allem<br />

die Offenheit, mit der die nationalsozialistische Partei die<br />

homosexuellen Verfehlungen der zuvor als Prototypen des<br />

neuen Menschen dargestellten SA-Spitze ausbreitete.<br />

Die Gerüchteküche brodelte auch in Hechingen. Der Führer<br />

der SA-Standarte, zu der Hohenzollern zusammengefaßt<br />

worden war, der Reichstagsabgeordnete Stehle, sah sich jedenfalls<br />

im Juli 1934 genötigt, darauf hinzuweisen, daß »die<br />

von gedankenlosen Schwätzern ... in Umlauf gesetzten<br />

Gerüchte jeder Grundlage entbehren«. Stehle lancierte in der<br />

national-sozialistischen Zeitung Hechingens eine Meldung,<br />

die deutlich machte, daß er auch nach dem Scherbengericht<br />

vom 30. Juni zur politischen Elite zählte. 33 Handlungen<br />

»mehr oder weniger anrüchiger Natur« wurden dem Kreis-<br />

24


Feier auf dem Marktplatz in Hechingen am 7. Mai 1934 zur Eröffnung der SA-Schule auf dem Lindich<br />

walter der DAF, Willy Paul, nachgesagt, den mancher Hechinger<br />

zeitweise auch für ein Opfer der Verfolgungswelle<br />

hielt, weil er seit Ende Juni einen Lehrgang auf einer Reichsführerschule<br />

in Berlin besuchte. Paul wehrte sich gegen die<br />

Gerüchte, indem er ihren vermeintlichen Urheber zur Rede<br />

stellte. Er handelte sich damit ein Verfahren wegen Körperverletzung<br />

ein, das mit seiner Verurteilung endete. 34<br />

Die nationalsozialistische Welt geriet für kurze Zeit in Unordnung.<br />

Beim Aufmarsch des HJ-Bannes 127 am Sonntag,<br />

1. Juli 1934, in Sigmaringen waren »infolge der neuesten politischen<br />

Ereignisse Hunderte am Kommen verhindert«. 35<br />

Aufführungen des zuvor hochgelobten Parteitagsfilms »Der<br />

Sieg des Glaubens« mußten abgesagt werden 36 : Die Darstellung<br />

der bisherigen SA-Spitze paßte nach dem 30. Juni 1934<br />

nicht mehr in das Bild, das die NSDAP von sich und ihrer<br />

Arbeit verbreiten wollte.<br />

Insgesamt aber kehrte die NSDAP rasch zum Alltag zurück.<br />

Noch am Abend des 1. Juli 1934 - vor der Entwaffnungsaktion<br />

in der Hechinger SA-Schule also - ließ sich der Hechinger<br />

Kreisleiter der NSDAP, Dr. Theodor Johannsen, bei einer<br />

Schulungstagung des Reichsbunds der Deutschen Beamten<br />

in Hechingen zu den erst in Ansätzen erkennbaren Ereignissen<br />

vernehmen. Seine »Ausführungen über die Politik<br />

des Tages fanden den ungeteilten Beifall aller Anwesenden«,<br />

hieß es am nächsten Tag in den Hohenzollerischen Blättern,<br />

auch wenn die Zeitung sich vornehm zurückhielt bei der inhaltlichen<br />

Wiedergabe. 37 Der Aufmarsch der Hitlerjugend in<br />

Sigmaringen am selben Tag mündete in ein Treuebekenntnis<br />

zum Führer: »Kein einziger«, meinte der Sigmaringer Kreisleiter<br />

Karl Maier, sei »hier, der nicht voll hinter dem Führer<br />

steht«, und er wandte sich verächtlich gegen die »Verschwörer,<br />

die auf Schleichwegen an die Macht kommen wollten«.<br />

Daß das »Gerede« über die zweite Revolution angesichts der<br />

Ereignisse des Vortages nun »endgültig zu verstummen habe«,<br />

forderte Regierungspräsident Dr. Carl Simons in seiner<br />

Ansprache. 38 Schon bald war das Thema erledigt: »Politisch<br />

denken und handeln verlangt kaltes, der Person des Einzelnen<br />

ungeachtetes Durchgreifen«, schrieb HJ-Führer Rudolf<br />

Oppermann Mitte Juli in den Hohenzollerischen Blättern:<br />

»Die Arbeit in der HJ ... ist keine Gefühlsduselei«. Oppermann<br />

verwies dabei ausdrücklich auf die Ereignisse nach dem<br />

30. Juni. 39<br />

Die Ausschaltung der SA als ernstzunehmender und unabhängiger<br />

Machtfaktor, der »definitive Stop der Parteirevolution<br />

von unten« 40 wird als wichtigstes Ergebnis der Ereignisse<br />

im Gefolge des 30. Juni 1934 angesehen. Auch für Hechingen<br />

läßt sich erkennen, daß die »Bewegung« an Schwungkraft<br />

verlor. Die SA blieb zwar noch einige Zeit ein Unruheherd,<br />

wie nicht zuletzt die Zwischenfälle bei der Gedenkfeier<br />

am Tage der Beerdigung von Reichspräsident Paul von<br />

Hindenburg und beim Christkönigsfest in Hechingen zeigen<br />

sollten. Bei der Gedenkfeier zu Ehren Hindenburgs am 7.<br />

August 1934 war die Hechinger SA nicht bereit, die verabredete<br />

Umzugsordnung einzuhalten, die ihr zugunsten der<br />

Weltkriegsteilnehmer nur einen hinteren Platz eingeräumt<br />

hatte. Als sich der Zug in Bewegung setzte, marschierte die<br />

SA geschlossen an den übrigen Formationen vorbei und setzte<br />

sich an die Spitze der Kolonne. 41 Beim Christkönigsfest am<br />

28. Oktober 1934 mündete ein Propagandamarsch der Hechinger<br />

SA in eine massive Störung der Lichterprozession,<br />

die die Pfarrgemeinde St. Jakobus von St. Luzen hinauf zur<br />

Stiftskirche führte. 42<br />

Doch die Disziplinierung der Wehrformation auf Reichsebene<br />

verfehlte ihre Wirkung auf Hechingens SA nicht. Sie<br />

fand mit ihren Unterabteilungen ihren Platz im Konzept der<br />

Wehrertüchtigung, das für das nationalsozialistische<br />

Deutschland seit 1935 - der Einführung der Wehrpflicht -<br />

höchste Priorität erlangte. In Reichswettkämpfen durften die<br />

SA-Männer fortan ihre Tüchtigkeit erproben. Soweit sie sich<br />

nicht disziplinieren lassen wollten, wurde ihre Energie zunehmend<br />

auf die »Judenfrage« gelenkt. 43<br />

Eliteeinheit der Partei wurde auch in Hechingen die SS. Sie<br />

hatte zuvor nur vereinzelt Mitglieder in der Stadt. Nach der<br />

Niederwerfung der SA auf Reichsebene, die zur Stärkung der<br />

SS und ihrer Ausgliederung aus der SA führte, erhielt auch<br />

die Zollernstadt einen eigenen Zug. Im August 1934 wandte<br />

sich Walter Wuttke, Personalamtsleiter der DAF und einziger<br />

Ehrendolchträger der SS in Hohenzollern, in einer Anzeige<br />

an die Hechinger. Bei arischer Abstammung, einer Mindestgröße<br />

von 1,70 Metern, einwandfreiem Gesundheitszustand<br />

und einem Alter von 18 bis 23 Jahren konnte unter Vorlage<br />

eines Führungszeugnisses die Mitgliedschaft im neuen<br />

Hechinger SS-Trupp beantragt werden. 44 Der Hechinger Zug<br />

übernahm ein Jahr später das frühere Stahlhelm-Heim - das<br />

Weiße Häusle im Fürstengarten - als »Vereinsheim«. 45 Spätestens<br />

von da an hatte die Hechinger SS der SA den Rang abgelaufen.<br />

Der Bedeutungsverlust wurde auch deutlich in der Rathauspolitik.<br />

Die Suche nach einer dem Nationalsozialismus angemessenen<br />

Form der Gemeindeverwaltung hatte zur Ablö-<br />

25


~r<br />

sung der bisherigen Selbstverwaltung durch ein auf das Führerprinzip<br />

aufgebautes Ratsherrensystem geführt, das in Hechingen<br />

am 28. Juni 1934 mit der Vereidigung der neuen Gemeinderäte<br />

eingeführt wurde. Der SA wurde in diesem System<br />

ein bevorzugter Platz eingeräumt, indem dem dienstältesten<br />

Führer der Wehrformation ein Sitz im Rat garantiert<br />

wurde. Ihn nahm in Hechingen Franz Josef Simmendinger<br />

ein, einer der Veteranen der Hechinger NSDAP. Simmendinger<br />

behielt zwar sein Mandat, als 1935 die Gemeindeverfassung<br />

erneut reformiert wurde. Doch in dem neuen Gemeinderat<br />

gab es keinen Sitz mehr, der speziell für die SA reserviert<br />

gewesen wäre. Deren eigentliche Spitze - Sturm- und<br />

Sturmbannführer - war allerdings schon 1934 nicht mehr<br />

berücksichtigt worden. Franz Xaver Haug, Sturmbannführer,<br />

war zwar Ende 1933 bei den unzähligen Rochaden, die<br />

die Gleichschaltung des Gemeinderats bewirkte, für den zum<br />

Beigeordneten gewählten Amtsgerichtsrat Karl Lutterbeck<br />

in die Gemeindevertretung nachgerückt, aber 1934 nicht wieder<br />

berufen worden.<br />

Der Gemeinderat, der 1935 berufen wurde, war weitgehend<br />

entpolitisiert. Ein Jahr zuvor hatten die eigentlichen NS-Aktivisten<br />

noch fünf der zehn Sitze eingenommen. Es waren Parteigenossen<br />

berufen worden, die sich allesamt schon in der<br />

»Kampfzeit« der Sache der NSDAP verpflichtet gefühlt hatten.<br />

1935 wurde ihre Dominanz zurückgedrängt, das Hechinger<br />

Bürgertum gewann seinen Vorrang zurück. Da die<br />

Hechinger NSDAP - wie es scheint - in der großen Mehrheit<br />

demselben Mittelstand entstammte, der schon in der Weimarer<br />

Republik den Gemeinderat dominiert hatte 46 , läßt sich<br />

die Veränderung zwar nicht an der sozialen Herkunft der<br />

»Ratsherren« festmachen. Doch hatten im Gemeinderat seit<br />

1935 Vertreter dieses Mittelstands die Oberhand, die erst nach<br />

der Machtergreifung zur NSDAP gefunden hatten. Sie hatten<br />

sich vor 1933 politisch kaum betätigt und waren so für<br />

die Partei tragbar. 47<br />

Ausgeschaltet aus dem politischen Leben der Stadt war die<br />

Arbeiterschaft. Die Machtergreifung 1933 hatte ihr ihre traditionelle<br />

politische Heimat - SPD und KPD, aber auch das<br />

Zentrum - genommen. Als Mitte 1934 auch der Ruf nach der<br />

»zweiten Revolution« verstummte, verlor auch der Flügel in<br />

der NSDAP an Gewicht, der in den unteren sozialen Lagen<br />

der Stadt den meisten Rückhalt hatte.<br />

Aus dem Kreuzfeuer der Kritik genommen, konnte die konservative<br />

Führungsschicht der Stadt beruhigter der Zukunft<br />

entgegensehen. Sie arrangierte sich bis auf Einzelfälle, die wegen<br />

ihrer Verbindung zu Parteien der sogenannten »Systemzeit«<br />

diskreditiert waren, mit dem nationalsozialistischen<br />

Staat.<br />

Diese Wendung war schon unmittelbar nach der blutigen<br />

Ausschaltung der SA-Spitze festzustellen. Die Ereignisse des<br />

30. Juni 1934 und die Reichstagssitzung vom 13. Juli 1934, in<br />

der Hitler sein Vorgehen rechtfertigte und über die vorgeblichen<br />

Putschpläne Bericht erstattete, hätten in der Bevölkerung<br />

den »stärksten Eindruck« hinterlassen, schrieb Hechingens<br />

Landrat Paul Schraermeyer in seinen Lagebericht:<br />

»Man hat erkannt, daß ohne das mutige persönliche Zugreifen<br />

des Führers Bürgerkrieg und Chaos unvermeidlich geblieben<br />

wären.« »Das Zutrauen zur Reichsregierung hat sich<br />

durchweg gefestigt«, setzte Regierungspräsident Dr. Simons<br />

hinzu, und die Staatspolizeistelle Sigmaringen meldete dem<br />

Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin, daß nach dem 30. Juni<br />

1934 »eine allgemeine Befreiung eingetreten und die Gesamtheit<br />

von einem ganz außerordentlichen Vertrauen zu<br />

dem Führer erfüllt« sei. 48 Hechingens Bürgertum, jetzt zwar<br />

braun gewandet, hatte seine Stellung behauptet.<br />

Anmerkungen<br />

15 Die Schule wurde Mitte 1935 aufgelöst, seit April 1935 gab es dort<br />

keine Kurse mehr. Die Einführung der Wehrpflicht führte zu einer<br />

Neuordnung des Ausbildungswesens bei der SA. Die Hechinger<br />

Schule gab am 12. 7. 1935 noch einen Abschiedsabend, Hz. Bl.<br />

161/13.7.1934. Anfang August hatten die »letzten Mannschaften«<br />

der SA den Lindich verlassen, Hz. Bl. 179/ 3. 8. 1934.<br />

16 Im Sprachgebrauch gab es auch die »Märzgefallenen« oder die<br />

»Maiveilchen«, vgl. Martin Broszat, a. a. O., S. 252, 254, oder Benigna<br />

Schönhagen, Tübingen unterm Hakenkreuz, Stuttgart, 1991,<br />

S. 181.<br />

" Hz. Bl. 220/ 25. 9. 1933.<br />

18 Hz. Bl. 222/ 27. 9. 1933.<br />

19 Hz. Bl. 235/ 12.10.1933.<br />

20 Hz. Bl. 223/ 28. 9. 1933. Noch 1935 gab es nach Feststellung des<br />

NS-Organs »viele Volksgenossen«, die den deutschen Gruß nicht<br />

erwiderten, Hz. Bl. 113/ 15. 5. 1935.<br />

21 Hz. Bl. 194/ 25. 8. 1934. Die Mitgliederzahl zum 15. 8. 1934 entsprach<br />

0,75 Prozent der gesamten Kreisbevölkerung.<br />

22 Hz. Bl. 25/ 31.1. 1934. Oppermann wurde im Juni 1933 Standortführer<br />

der HJ in Hechingen und im Juli Kreisbeauftragter der nationalsozialistischen<br />

Jugendorganisation. Ende des Jahres wurde<br />

das Kreisgebiet zum Unterbann VII/ 127 zusammengefaßt, dessen<br />

Führer Oppermann auch blieb, als er im Februar 1934 zum Führer<br />

des die Kreise Hechingen, Sigmaringen, Balingen und Rottweil<br />

umfassenden HJ-Bannes 127 ernannt wurde. Im Juli 1934 gab er<br />

den Unterbann ab, im Oktober 1934 auch die Bannführung. Er<br />

wechselte nach Stuttgart, wo er Führer des HJ-Traditions-Bannes<br />

180 wurde. Oppermann war Mitte 1934 in die Kritik geraten, nachdem<br />

die HJ im Kreis Hechingen im Mai 1934 Betriebe und Handwerksmeister<br />

aufgefordert hatte, Lehrlingen einen 14tägigen Urlaub<br />

und Taschengeld zu gewähren, Hz. Bl. 118/ 25.5.1934. Staatspolizei<br />

und Regierungspräsidium beobachteten darauf hin aufmerksam<br />

die Verlautbarungen des Hechinger HJ-Führers, dem<br />

nach dem 30. Juni 1934 - möglicherweise von der Kreisleitung -<br />

untersagt wurde, »Zeitungsartikel zu schreiben, da er mit diesen<br />

besonderen Anstoß erregt hatte«, StaS, Ho 235, 20,1, VIII, A 21,<br />

Lagebericht Staatspolizeistelle 4. 8. 1934, s. a. Lageberichte 2. 6.<br />

1934, 5. 7. 1934, Tagesbericht 5. 7. 1934.<br />

23 Z 99/ 30. 4.1934. Der Gegensatz zwischen HJ und kirchlichen Jugendvereinen<br />

hatte schon 1933 zu heftigen Auseinandersetzungen<br />

im Vorfeld des von der NSDAP reichsweit organisierten »Festes<br />

der Deutschen Jugend« geführt. Damals war den kirchlichen Jugendorganisationen<br />

das Führen von Fahnen im Umzug untersagt<br />

worden, weshalb diese ihre Teilnahme absagten, Hz. Bl. 140/ 21.<br />

6. 1933, 143/ 24. 6. 1933, Z 139/ 20. 6. 1933, 143/ 24. 6. 1933. Der<br />

Disput um das Jugendfest ist im Zusammenhang mit dem Konflikt<br />

zu sehen, der das Zentrum etwa zeitgleich zur Selbstauflösung trieb.<br />

24 Hz. Bl. 84/12. 4. 1934.<br />

25 Die NS-Hago verfolgte einen an die radikalen Thesen des Parteiprogramms<br />

von 1920 angelehnten Kurs, der im Hechinger Einzelhandel<br />

offenbar wenig Sympathien fand. Die Mitgliederwerbung<br />

ging schleppend voran, so daß Hechingens Ortsgruppenleiter Wilhelm<br />

Fecker, Inhaber eines Kolonialwarengeschäfts, noch Anfang<br />

Januar 1934 enttäuscht den Hechinger Geschäftsleuten ins Gewissen<br />

redete: »Ich bin mir darüber ... klar, daß der Kern und das innere<br />

Wesen des Nationalsozialismus auch heute noch von einem<br />

großen Teil nicht recht erfaßt und begriffen sein will... Lassen Sie<br />

sich doch zu diesem idealen Gedanken nicht immer schieben.« Hz.<br />

Bl. 4/ 5. 1. 1934. Der möglicherweise größte politische Erfolg der<br />

Hechinger NS-Hago war die Einführung einer Zweigstellensteuer<br />

durch die Hechinger Gemeindevertretung im August 1933, Hz.<br />

Bl. 188/ 17. 8. 1933, Z 187/ 18. 8.1933. Der 20prozentige Zuschlag<br />

zur Gewerbesteuer, der die alte Forderung zum Inhalt hatte, das<br />

Monopol der großen Warenhäuser zu brechen, war für Hechingens<br />

Stadtkasse unbedeutend. Die eher symbolische Steuer erbrachte<br />

350 RM und traf die Filiale der Bankkommandite Siegmund<br />

Weil, das Kaufhaus Euler und das Kaffeegeschäft Kaiser. Wilhelm<br />

Fecker wurde immerhin im Juni 1934 als Vertreter des Hechinger<br />

Einzelhandels in den Gemeinderat der Stadt berufen, Hz. Bl. 144/<br />

26. 6. 1934, 147/ 30. 6. 1934, Z 136/ 26. 6. 1934, 139/ 30. 6. 1934.<br />

Sein Amt hatte er nur ein Jahr inne. Bei der Neuberufung des Gemeinderats<br />

nach der Reform der Deutschen Gemeindeordnung<br />

1935 wurde er nicht mehr berücksichtigt. Seine Verwicklung in den<br />

Zusammenbruch des Bankhauses Weil in Horb brachte ihm Ende<br />

26


1935 eine Untersuchungshaft und 1936 die Verurteilung zu acht<br />

Monaten Gefängnis und 8000 RM Geldstrafe wegen Vergehens gegen<br />

die Devisen-Amnestieverordnung ein, Hz. Bl. 273/ 22.11.1935,<br />

102/ 2. 5.1936,104/ 5. 5. 1936,105/ 6. 5.1936. Auch die NS-Frauenschaft<br />

um ihre Ortsgruppenführerin E. Köster und Kreisleiterin<br />

Paula Dersch hatte keine nennenswerten Erfolge beim Ausbau der<br />

Organisation. »Das Interesse der Frauen von Hechingen an der<br />

Frauenbewegung von heute und ihrer vielseitigen Arbeit« sei »sehr<br />

gering«, stellte die Frauenschaftsleiterin noch im April 1934 fest,<br />

Hz. Bl. 91/ 20. 4. 1934. Mehr Interesse erfuhr der erst im Herbst<br />

1933 gegründete Bund Königin Luise, ein Ableger des Stahlhelm,<br />

zu dem die NS-Frauenschaft ein zweispältiges Verhältnis entwickelte.<br />

Aber auch die Auflösung der Stahlhelm-Frauenorganisation<br />

im Frühjahr 1934 brachte die NS-Frauenschaft nicht voran.<br />

Der Durchbruch kam erst durch eine massive Werbeaktion Ende<br />

1935.<br />

26 Hz. Bl. 35/ 12. 2.1934.<br />

27 Hz. Bl. 92/21.4.1934.<br />

28 StaS, Ho 235, 20,1, VIII, A 21, Lageberichte Staatspolizeistelle 3.<br />

1. 1934, 3.3. 1934.<br />

2' Hz. Bl. 142/ 23. 6. 1934.<br />

30 Hz. Bl. 144/ 26. 6. 1934.<br />

" Hz. Bl. 116/23.5. 1934, 144/26.6. 1934, 145/ 27. 6. 1934.<br />

32 Hz. Bl. 147/ 30. 6. 1934. Die »Versammlungen gegen das Miesmachertum«<br />

hätten bei den kritisierten Bevölkerungskreisen »lebhafte<br />

Verstimmung« hervorgerufen, berichtete die Staatspolizeistelle<br />

Sigmaringen in ihrem Tagesbericht vom 5. 7. 1934, StaS, Ho 235,<br />

20,1, VIII, A 21.<br />

33 Hz. Bl. 158/ 13. 7. 1934, vgl. oben, S. 4.<br />

34 Hz. Bl. 247/ 26.10.1934,252/ 2.11.1934, Z 239/26.10.1934. Opfer<br />

der Selbstjustiz Pauls wurde der frühere Zentrumspolitiker<br />

Franz Dreher, der in der katholischen Arbeiterbewegung engagiert<br />

war und 1933 als einziges Mitglied des Hohenzollerischen Kommunallandtags<br />

von der NSDAP als Hospitant abgelehnt wurde.<br />

35 Hz. Bl. 149/ 3. 7. 1934.<br />

36 Hz. Bl. 158/ 13. 7. 1934.<br />

37 Hz. Bl. 148/2. 7.1934.<br />

38 Hz. Bl. 148/ 2. 7.1934, StaS, Ho 235,20,1, VIII, A 21, Lagebericht<br />

Regierungspräsident 8. 8.1934, auch Lagebericht Staatspolizeistelle<br />

4. 8. 1934. Daß diese Passage der Rede im Bericht der Hz. Bl.<br />

verschwiegen wurde, führte zu ernsthafter Verstimmung im Regierungspräsidium.<br />

3' Hz. Bl. 167/24. 7. 1934.<br />

40 Martin Broszat, a. a. O., S. 271.<br />

41 StaS, Ho 235, 20,1, VIII, A 21, Bericht Bürgermeister Bindereif 7.<br />

8. 1934, Bericht Fliegerortsgruppe Hechingen des Deutschen<br />

Luftsport-Verbandes 7. 8. 1934.<br />

42 StaS, Ho 13, 1, 1001, Vorfälle in Hechingen aus Anlaß des Christ<br />

König Festes, StaS, Ho 235,20,1, VIII, F24, Sonderaktion Schraermeyer.<br />

Die Schwierigkeit, die SA-Schule auf dem Lindich zu kontrollieren,<br />

mag für die Hechinger SA unterstützend gewirkt haben.<br />

Jedenfalls randalierten Angehörige der Schule auch im Juli 1934<br />

noch im Schützenhaus. Die Schützengilde um ihren Vorsitzenden<br />

Paul Richter fand danach allerdings den Mut, mit einer Strafanzeige<br />

zu reagieren, StaS, Ho 235, 20,1, VIII, Fl 8, Bl. 69 f.<br />

43 Zur Geschichte der Hechinger Judengemeinde während des Nationalsozialismus<br />

s. Manuel Werner, Die Juden in Hechingen als<br />

religiöse Gemeinde, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte,<br />

21/ 1985, S. 49 ff. Schon im Herbst 1934 kam es zu einem ernsthaften<br />

Zwischenfall, als SA-Männer einen Juden verprügelten, der in die<br />

Schweiz ausgewandert war und sich zu einem Besuch in Hechingen<br />

aufhielt, StaS, Ho 235, 20,1, VIII, A 21.<br />

44 Hz. Bl. 187/ 17. 8.1934.<br />

«5 Hz. Bl. 268/ 18. 11. 1934.<br />

46 Nach dem Ergebnis der Volkszählung hatte Hechingen 1933 unter<br />

den hauptberuflich Erwerbstätigen 17,2 Prozent (470) Selbständige<br />

oder leitende Angestellt, 8,2 Prozent (223) mithelfende Familienangehörige,<br />

die - in Landwirtschaft und Einzelhandel - wohl<br />

vor allem den Haushalten der Selbständigen zuzurechnen sind, 5,9<br />

Prozent (162) Beamte, 14,7 Prozent (400) Angestellte, 48,1 Prozent<br />

(1312) Arbeiter und 5,8 Prozent (158) Hausangestellte, Statistik des<br />

Deutschen Reichs, Berlin, 1935, Bd. 456, Heft 26, S. 32 f. Diese soziale<br />

Aufteilung fand sich in den Gemeindevertretungen nie wieder.<br />

Dort machte nach der Kommunalwahl 1929 der Anteil der<br />

Selbständigen und leitenden Angestellten 68,8 Prozent, der Beamten<br />

und Angestellten jeweils 6,3 Prozent und der Arbeiter 18,8 Prozent<br />

aus. Oder in der Zahl der Sitze: Elf Selbständige und leitende<br />

Angestellte, jeweils ein Beamter und Angestellter und drei Arbeiter.<br />

Die am 5.3.1933 gewählte Gemeindevertretung - jetzt mit vier<br />

NSDAP-Vertretern - hatte dieselbe Zusammensetzung. Wegen der<br />

Gleichschaltung konnte sie in der vom Wähler bestimmten Form<br />

nicht zusammentreten. Von den am 28.6.1934 berufenen zehn Gemeinderäten<br />

waren acht Selbständige oder leitende Angestellte und<br />

jeweils einer Beamter und Arbeiter. Im Juli 1935 wurden sieben<br />

Selbständige oder leitende Angestellte, zwei Beamte und ein Arbeiter<br />

berufen. Daß die Ausschaltung der Arbeiterschaft als politische<br />

Kraft das Ergebnis der nationalsozialistischen Machtergreifung<br />

war, wird auch in dieser Beziehung deutlich. - Anhaltspunkte<br />

für die soziale Herkunft der NSDAP-Anhänger und - -mitglieder<br />

könnte - solange eine soziologische Analyse nicht vorliegt -<br />

der Blick auf die Wahlergebnisse liefern: Bei den Wahlen 1932/33<br />

gab es die besten Ergebnisse stets im Stimmlokal Rathaus, also in<br />

der eigentlichen Oberstadt, wo die Wirtschaftskrise und das Erstarken<br />

der KPD Einzelhandel und Handwerk um seine Existenz<br />

fürchten ließ. Das mittelständisch dominierte Zentrum öffnete sich<br />

der NSDAP als erstes.<br />

47 Dem Gemeinderat von 1935 gehörten Hermann Bumüller, Fritz<br />

Müller jr., Josef Löffler, Felix Riester, Albert Schmid, Franz Josef<br />

Simmendinger, G. Barthold Strobel, Hermann Wagner, Paul Weidle<br />

und Richard Wolf an. Simmendinger und Weidle waren Exponenten<br />

der NSDAP. Albert Schmid, Landwirt, hatte sich vor 1933<br />

im Bauernverein engagiert, der nach der Machtergreifung 1933<br />

bruchlos in der NSDAP aufgegangen war. Die übrigen Gemeinderäte<br />

hatten nach 1933 durch ihre Arbeit in Handwerker- und Einzelhandelsorganisationen<br />

die Neuordnung unterstützt oder - wie<br />

Richard Wolf - ihren Betrieb frühzeitig der Partei geöffnet. Felix<br />

Riester war der einzige Arbeiter in der Hechinger Gemeindevertretung<br />

1935.<br />

48 StaS, Ho 235, 20,1, VIII, A 21, Lageberichte 3. 8. 1934, 4. 8. 1934,<br />

5. 7. 1934.<br />

Eine gekürzte Fassung ist erschienen im Schwarzwälder Bote, Nr.<br />

148/ 30. 6. 1994, 149/ 1. 7. 1994, 150/ 2. 7.1994,151/ 4. 7.1994,152/<br />

5. 7. 1994.<br />

JOSEF SCHULER<br />

Junginger Dorfgeschichten<br />

Dr<br />

Haadlanger<br />

Ma sotts it glauba, daß schau ieber hundertdreißg Johr vrganga<br />

sind. Dr Ludwig und dr Coanrad sind Brüeder gsei, a<br />

Tatsach, dia au i iehrem Firmaschild »Gebr. Bosch« zum Ausdruck<br />

komma isch. All zwee sind diftelege Mechaniker gsei,<br />

und älls, was se a'gregt hand, hot under iehrena gschickta<br />

Hend Form a'gnumma, sei's a Dieraschloß fiers Pfarrhaus, a<br />

Fuurschbritz ge Bechtoldsweiler num oder gar a Durmuhr<br />

uff da grad wieder uffbauta Zoller nuff. Iehra Temprament<br />

isch aber so vrschieda gsei, wies no zwisched zwee Brüeder<br />

sei ka. Griebeg und bsonna dr Ludwig, laut und tempramentvoll<br />

dr Coanrad. Ma hot s'Johr 1856 gschrieba und<br />

s'ischd a bsunderer Dag gsei, mo'se dia Uhr mondert hand, i<br />

luftiger Haih uff em Zollerdurm doba. Grund gnueg zum<br />

Ei'kehra uff em Hoaweag, zum Veschbera und a'weng feira<br />

z'Boll im »Hiisch«. Und dr Coanrad braachted und vrzehlts<br />

älla Leit, mo's hand wissa wella, daß se a nuie Durm-Uhr<br />

mondiert hand uff dr Burg doba, bis's am Ludwig z'dumm<br />

woara isch: »Jo«, sait'r, und dr Schnauzbart juckt em aweng,<br />

»i hau se mondiert, und du hoschd d'Loater ghebt.«<br />

27


EDWIN ERNST WEBER<br />

Stadtrechts-Verleihung an Pfullendorf durch König Friedrich II. - Urkunde vom<br />

2. Juni 1220 (GLAK D 26)<br />

Stadtrechts-Verleihungsurkunde<br />

Friedrichs II. für Pfullendorf von<br />

1220 (Generallandesarchiv Karlsruhe<br />

D 26)<br />

6) ribus et pacis inimicis conculcentur<br />

et dampna seu incommoda<br />

patiantur sicut<br />

hucusque multis retro temporibus<br />

perpessi sunt, presertim<br />

cum locus idem cum<br />

omniui<br />

T iw * —-<br />

1) In nomine sánete et individué<br />

trinitatis. Fridericus secundus<br />

divina favente dementia<br />

Romanorum rex<br />

semper augustus et rex Sycilie.<br />

2) Regalis eminentie interesse<br />

decernimus inveterata renovare,<br />

dissipata ad honorent<br />

et utilitatem imperii<br />

recolligere, destructa queque<br />

restau-<br />

3) rare atque ad eorum relevationem<br />

regie eminentie robur<br />

et benivolentiam omnimodis<br />

adhibere. Considerantes<br />

damp na atque lesiones<br />

que<br />

4) et quas hactenus sustinuit<br />

imperium ex dispersione<br />

optime ville nostre in Pfullendorf,<br />

ex innata quoque<br />

nobis munificentia compassi<br />

la-<br />

5) boribus et erumpnis quas<br />

incole ipsius ville nimio ignis<br />

Ímpetu et voracitate nuper<br />

sunt perpessi; nolentes<br />

super omnia quod ipsi de cetera<br />

a malefacto-<br />

Mjtù t'. U_J<br />

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1<br />

I<br />

7) bus attinentiis suis paterna hereditate ad nos propie dinoscatur<br />

pertinere, locum ipsum in perpetuam instituimus<br />

libertatem, in fundo eiusdem loci civi-<br />

8) tatem de cetero esse volentes, omnia iura omnesque iustas<br />

et honestas consuetudines secundum instituitiones et liberates<br />

aliarum civitatum nostrarum eidem<br />

9) civitati in Pfullendorf liberaliter inpendentes atque presentís<br />

scripti nostri patrocinio perpetuo confirmantes. Volumus<br />

etiam quod omnes persone que usque<br />

10) ad témpora ista in loco sepedicto commorate sunt, cuiuscumque<br />

sint conditionis, in iure et honore nunc a nostra<br />

recepto largitate de cetero permaneant. Inhibe-<br />

11) mus omnino ne servus alicuius sive censualis vel cuiuscumque<br />

sint conditionis, ministerialium tantummodo nostrorum,<br />

in civitatem ipsam in ius istud recipiatur nisi<br />

12) de domini sui fuerit volúntate. Superaddimus etiam ne aliquis<br />

in ipsa civitate pro cive habeatur vel ius civis hebeat<br />

nisi faciat ibidem residentiam.<br />

13) Regio etiam edicto sanccimus quod quicumque in loco<br />

sepedicto civis esse voluerit et iure atque honore ipsius civitatis<br />

gaudere voluerit omnia civitatis<br />

14) faciat servida exceptis clericis ad divinum cultum ibidem<br />

destinatis. Ceterum decernimus et perpetuo volumus a civibus<br />

illius civitati nostre observari<br />

15) quod, si quis civium eius unam vel plures habuerit areas<br />

nudas scilicet non superedificatas nec eas a proximo die<br />

festo sancti Michahelis infra spatium unius<br />

16) anni superedifacaverit, area illa vel si plures fuerint, ad nostrum<br />

devoluantur domanium; dummodo paupertas non<br />

intreveniat vel eiusdem aree ad concivem<br />

28


17) suum secundum instituta civitatis iusta venditio. Si etiam<br />

de novo aqueductus ad facienda molendina ibidem capiantur,<br />

volumus et statuimus,<br />

18) ut molendina illa ad munitionem cedant civitatis ad nostram<br />

voluntatem. Ad maiorem autem gratie nostre circa<br />

eundem locum nostrum evidentiam<br />

19) et quod cives civitatis illius promptiores existant ad eius<br />

constructionem seu munitionem usque ad sex continuos<br />

annos ab omni exactio-<br />

20) ne cives eius, qui nunc sunt vel in posterum istis succedent,<br />

totaliter absolvimus, statuentes tarnen quod his annis<br />

quolibet anno<br />

21) ad munitionem civitatis 20 marce a civibus eius communiter<br />

persolvantur. Verum quia dilectus clericus noster<br />

Ulricus huius facti ex-<br />

22) titit auctor et fidelissimus cooperator ex gratia regie serinitatis<br />

ipsum et totam familiam suam cum areis suis a tota<br />

conditione preta-<br />

23) xata volumus esse exemptum. Ut itaque huius nostre largitatis<br />

donatio perpetuo vigoro pro futuris observetur<br />

temporibus nec ab aliquo in poste-<br />

24) rum valeat aliquomodo infringi, hoc scriptum tarn civitati<br />

memorate eiusque civibus tarn presentibus quam futuris<br />

quam ad memoriam ommnium<br />

25) indulsimus sigillo maiestatis nostre communitum. Hii<br />

sunt testes: Sifridus Moguntinus, Engelbertus Coloniensis<br />

archiepiscopi, Ha-<br />

26) inricus Wormatiensis electus, Ekkemphertus Babenbergensis<br />

episcopus, Lodwicus comes palatinus Reni et dux<br />

Bawarie, comes Gerardus de Diets,<br />

27) Eberhardus nobilis de Eberstein, Hainricus nobilis de<br />

Niffen, Wernherus de Bonlanden, dapifer imperii, et frater<br />

suus Philippus, Eberhardus,<br />

28) dapifer de Walpurch, Chunradus de Winterstet, pincerna,<br />

et alii quam plures.<br />

29) Ego Chunradus, Metensis et Spirensis episcopus, imperialis<br />

aule cancellarius, vice domini Sifridi Moguntinensis<br />

archiepiscopi totius Germanie arcicancellarii, recognovi.<br />

30) Datum Wormatie in presentia gloriosi Hainrici ducis Suuevie<br />

in Romanorum regem electi anno dominie millesimo<br />

ducentesimo vigentesimo Indictione octa<br />

31) quarto nonas iunii regnante domino nostro Friderico secundo<br />

divina favente dementia Romanorum rege Semper<br />

augusto et rege Siciliae invictissimo,<br />

32) anno Romani regni eius in Germania octo, Sicilie vero trevigintesimo.<br />

Übersetzung:<br />

Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit.<br />

Friedrich II., durch göttliche Gunst und Milde Römischer<br />

König, allzeit Mehrer des Reiches und König von Sizilien.<br />

Zum Nutzen unserer königlichen Hoheit haben wir beschlossen,<br />

das alt Gewordene zu erneuern, das Zerstreute zur<br />

Ehre und zum Nutzen des Reiches wieder zu sammeln, auch<br />

das Zerstörte wiederherzustellen und zu deren Wiederaufrichtung<br />

auf alle Weise die Macht und Gunst der königlichen<br />

Hoheit anzuwenden. In Erwägung der Verluste und Schäden,<br />

welche das Reich bisher aus der (Besitz-)Zerstreuung<br />

Besitzverschleuderung lt. Groner unseres trefflichen Dorfes<br />

in Pfullendorf erlitten hat, auch aus der uns angeborenen Milde<br />

und aus Mitgefühl für die schweren Nöte und Mühsale,<br />

welche die Einwohner dieses Dorfes durch eine Feuersbrunst<br />

unlängst erduldet haben, und da wir vor allem nicht wollen,<br />

daß dieselben im übrigen von Übeltätern und Friedensbrechern<br />

belästigt werden und Schäden und Unannehmlichkeiten<br />

erleiden, wie sie dies bisher verschiedentlich erdulden<br />

mußten, vor allem aber, weil dieser Ort mit allem seinem Zubehör<br />

uns aus dem väterlichen Erbe eigentümlich zugehört,<br />

haben wir diesem Ort immerwährende Freiheit verliehen und<br />

wünschen weiterhin, daß auf dem Boden dieses Ortes eine<br />

Stadt sei. (Um dies zu fördern,) verleihen wir freigebig dieser<br />

Stadt Pfullendorf alle Rechte und alle rechtmäßigen und<br />

ehrenvollen Gerechtsame Rechtsgewohnheiten gemäß den<br />

Ordnungen und Freiheiten anderer unserer Städte und bestätigen<br />

dies durch den Schutz unserer vorliegenden Urkunde<br />

auf immer.<br />

Wir wollen auch, daß alle Personen, welche bis zu dieser Stunde<br />

am oftgenannten Ort sich aufgehalten haben, gleichgültig<br />

welchen Standes sie sein mögen, in dem von unserer Großmut<br />

empfangenen Recht und der ehrenhaften Stellung künftighin<br />

verbleiben. Überhaupt verbieten wir, daß irgendein Höriger<br />

oder Zinspflichtiger gleich welches Herrn und welchen Standes<br />

er sei - mit Ausnahme unserer Dienstleute -, in dieser<br />

Stadt im Bürgerrecht aufgenommen werde, es sei denn, es sei<br />

mit Willen seines Herrn geschehen. Fernerhin wollen wir,<br />

daß keiner in dieser Stadt als Bürger angenommen werden<br />

oder das Bürgerrecht erhalten soll, der dort nicht seinen<br />

Wohnsitz nehmen will. Durch königlichen Befehl bestimmen<br />

wir auch, daß wer immer am oftgenannten Ort Bürger sein<br />

und das Recht und die ehrenhafte Stellung dieser Stadt genießen<br />

will, alle Pflichten der Stadt erfüllt; davon ausgenommen<br />

sind lediglich die dort zum Gottesdienst bestimmten<br />

Geistlichen.<br />

Weiterhin entscheiden und wollen wir, daß die Bürger dieser<br />

unserer Stadt stets beachten, daß, wenn ein Bürger einen oder<br />

mehrere leere beziehungsweise nicht überbaute (Haus-)Plätze<br />

vermutlich i. S. von Hofstatt besitzt und diese ab nächstem<br />

St. Michaelisfest nicht binnen eines Jahres überbaut hat, dieser<br />

Platz beziehungsweise diese Plätze in unseren Besitz übergehen<br />

- es sei denn, Armut sei der Grund oder der Platz sei<br />

durch einen rechtmäßigen Verkauf gemäß den Satzungen der<br />

Stadt an einen Mitbürger gelangt. Falls neuerlich Wasserleitungen<br />

zum Bau von Mühlen dort angelegt werden, wollen<br />

und bestimmen wir, daß jene Mühlen zur Stadtbefestigung<br />

beitragen gemäß unserem Willen.<br />

Zum größeren Beweis unserer Gnade gegenüber diesem Ort<br />

und damit die Bürger jener Stadt bereitwilliger zum Bau ihrer<br />

Befestigung sich zeigen, haben wir sie auf sechs Jahre von<br />

jeder Steuer völlig befreit - ungeachtet, ob es sich um Bürger<br />

handelt, die jetzt dort leben oder künftig an ihre Stelle treten.<br />

Jedoch haben wir festgesetzt, daß die Bürger miteinander<br />

während dieser Zeit alljährlich 20 Mark zur Stadtbefestigung<br />

aufbringen. Weil aber unser geliebter Kleriker Ulrich der Urheber<br />

und getreuliche Mitarbeiter dieses Rechtsaktes war,<br />

wollen wir aus Gnade der königlichen Hoheit, daß er selbst<br />

und seine ganze Hausgenossenschaft mit seinem Gut von der<br />

ganzen vorgenannten Verpflichtung ausgenommen wird.<br />

Damit daher die aus unserer Großmut erfolgte Schenkung<br />

dauerhaften Bestand behält für künftige Zeiten und von niemandem<br />

künftig auf irgendeine Weise gebrochen werden<br />

kann, haben wir bewilligt, daß diese Urkunde sowohl für die<br />

erwähnte Stadt und ihre jetzigen und zukünftigen Bürger wie<br />

auch zur Erinnerung aller durch das Siegel unserer Majestät<br />

bekräftigt wird.<br />

Diese sind die Zeugen: Sifrid Erzbischof von Mainz, Engelbert<br />

Erzbischof von Köln, Heinrich erwählter Bischof von<br />

Worms, Ekkemphert Bischof von Bamberg, Ludwig Pfalzgraf<br />

bei Rhein und Herzog von Bayern, Graf Gerard von<br />

Diez, der Edle Eberhard von Eberstein, der Edle Heinrich<br />

von Neiffen, Reichstruchseß Wernher von Bolanden und sein<br />

Bruder Philipp, Eberhard Truchseß von Waldburg, Schenk<br />

Konrad von Winterstetten und viele andere.<br />

Ich, Konrad, Bischof von Metz und Speyer, Kanzler des kaiserlichen<br />

Hofes, habe in Vertretung des Herrn Sifrid, Erzbi-<br />

29


schof von Mainz und Erzkanzler für ganz Deutschland, die<br />

Urkunde anerkannt.<br />

Gegeben zu Worms in Gegenwart des glorreichen Herzogs<br />

Heinrich von Schwaben, erwählter Römischer König, im Jahre<br />

des Herrn Eintausend zweihundert zwanzig, in der 8. Indiktion,<br />

am 2. Juni, unter der Regierung unseres unüberwindbaren<br />

Herrn Friedrichs II., durch göttliche Gunst und<br />

Milde Römischer König, allzeit Mehrer des Reiches, und König<br />

von Sizilien, im 8. Regierungsjahr seines Römischen und<br />

23. seines sizilischen Königtums.<br />

ARMIN HEIM<br />

»Der Herold der Sigmaringer Landschaft«<br />

Der Landschaftsmaler<br />

Gustav Meinrad Steidle starb vor 50 Jahren<br />

Einfache Wiesenraine, Baumgruppen, waldumsäumte<br />

Flußtäler - meist sind es die ganz einfachen Bildthemen, die<br />

den Reiz seiner Landschaftsmalerei ausmachen. Den »Herold<br />

der Sigmaringer Landschaft« hat man ihn genannt. Vor fünfzig<br />

Jahren, am 29. Juni 1944, ist er in seiner Vaterstadt Sigmaringen<br />

gestorben, der Maler und Kirchenrestaurator Gustav<br />

Meinrad Steidle.<br />

Steidle gehörte nicht zu den Avantgardisten seiner Generation.<br />

Seine Landschaftsmalerei - neben der Porträtmalerei der<br />

eigentliche künstlerische Schwerpunkt in seinem Schaffen -<br />

zeigt sich weitgehend der Tradition verpflichtet, den süddeutschen<br />

und französischen Realisten. Was den Maler allerdings<br />

von seinen Vorbildern unterscheidet, ist die auffallende<br />

Breite seiner Farbpalette, die schon in der besonderen Ausdrucksstärke<br />

seiner frühen Werke zur Geltung kommt. Steidles<br />

Kunst zielt nicht auf intellektuelle Selbstbespiegelung:<br />

wohl gelingt es dem Maler aber, traditionelle Bestrebungen<br />

der realistischen Landschaftsmalerei der Jahrhundertwende<br />

mit einer selbstbewußter gewordenen künstlerischen Subjektivität<br />

in Einklang zu bringen, das Aufdecken von Schönheit<br />

und Harmonie im Einfachen und natürlich Gewachsenen<br />

also nicht als Selbstzweck zu begreifen, sondern mit der<br />

Darstellung individueller Empfindungswerte zu verbinden.<br />

Seine erste künstlerische Ausbildung hatte der am 3. Oktober<br />

1878 in Sigmaringen geborene Gustav Meinrad Steidle bereits<br />

in seiner Heimatstadt genossen, nämlich in der Werkstatt<br />

des berühmten Hofmalers Gustav Bregenzer<br />

(1850-1919). Die weiteren Studienjahre hatten den jungen<br />

Künstler nach Karlsruhe, Stuttgart, München, Paris, Berlin<br />

und Florenz geführt, ehe er sich als Kirchenrestaurator in seiner<br />

Vaterstadt Sigmaringen niederließ und das Atelier seines<br />

Lehrers Bregenzer in der Buchhaldenstraße weiterführte.<br />

Neben seiner künstlerischen Tätigkeit hat sich Steidle auch<br />

als Restaurator in verschiedenen Kirchen Hohenzollerns wie<br />

etwa St. Johann in Sigmaringen, Wald, Habsthal, Hettingen,<br />

Oberschmeien, Vilsingen, Bachhaupten und Bittelschieß<br />

oder im Diözesanmuseum Rottenburg - Steidle gilt als der<br />

Entdecker des sogenannten »Meisters von Sigmaringen« -<br />

Gemälde von G. Steidle, Foto Armin Heim<br />

verdient gemacht. In seinem eigentlichen künstlerischen<br />

Schaffen ist Gustav Steidle von der Kunstwelt kaum zur<br />

Kenntnis genommen worden. Zu schnell ist die allgemeine<br />

kunstgeschichtliche Entwicklung über seine Auffassung von<br />

Malerei hinweggeschritten. So finden sich heute - abgesehen<br />

vom Sigmaringer Heimatmuseum - keine Arbeiten des Malers<br />

in öffentlichen Kunstsammlungen. Die allermeisten seiner<br />

Landschaftsbilder und Porträts sind in Sigmaringer Bürgerhäusern<br />

verstreut. Gleichwohl sind diese Gemälde in<br />

ihrem unverkennbaren und originellen Stil ein beredtes Zeugnis<br />

dafür, daß in der Kunst des 20. Jahrhunderts auch auf dem<br />

Boden des Traditionellen durchaus fruchtbare künstlerische<br />

Auseinanderetzungen und stilistische Weiterentwicklungen<br />

möglich waren. Gerade unter mittlerweile veränderten<br />

kunsthistorischen Perspektiven erscheint eine Künstlerpersönlichkeit<br />

wie Gustav Meinrad Steidle einer Neuentdeckung<br />

und -bewertung würdig.<br />

Das Buch zum Jubiläum<br />

Das Leben und Wirken der Weißenauer Mönche<br />

durch die Jahrhunderte steht im Mittelpunkt<br />

dieser reich bebilderten und repräsentativ<br />

gestalteten Festschrift zur 850. Wiederkehr<br />

der Gründung der Prämonstratenserabtei. Die<br />

23 facettenreichen Einzelbeiträge zeigen dabei<br />

nicht nur einen historisch bedeutsamen und interessanten<br />

Ausschnitt der Geschichte Oberschwabens,<br />

sie werfen auch ein durchaus differenziertes<br />

Licht auf die prämonstratensische<br />

Geisteshaltung.<br />

DM 48.-<br />

580 Seiten mit 136 Abbildungen, davon 27 farbig,<br />

17 x 24 cm, Leinen mit Schutzumschlag<br />

ISBN 3-7995-0414-1<br />

-a^.<br />

/I"<br />

Jan Thorbecke Verlag<br />

Sigmaringen<br />

30


Buchbesprechungen<br />

An die Autoren der Hohenzollerischen<br />

Heimat<br />

Unter dem Titel 200 JAHRE FREUDENWEILER ist vor<br />

kurzem ein Geschichts- und Heimatbuch erschienen, das die<br />

Entwicklung dieser am nördlichsten Zipfel des Kreisgebietes<br />

Sigmaringen gelegenen Ortschaft von ihrer Gründung unter<br />

Baron Marquard Carl Anton von Speth bis in unsere Tage in<br />

vielen Details nachzeichnet. (Anlaß für die Gründung und<br />

den Bau der Wirtschaft zum »Löwen« im Jahre 1795 war damals<br />

das Bedürfnis gewesen, Wanderern und Reisenden auf<br />

der langen Wegstrecke zwischen Neufra und Ebingen v. a.<br />

im Winter Schutz und die Möglichkeit zu einer Stärkung zu<br />

bieten.)<br />

Die Verfasser, das Ehepaar Siegfried und Annemarie Lorch,<br />

haben neben bereits veröffentlichtem Material insbesondere<br />

auch die vorhandenen archivalischen Quellen genutzt (Gemeinde-<br />

und Pfarrarchiv Neufra, Kreisarchiv Sigmaringen)<br />

und sich zusätzlich durch Gespräche mit älteren Mitbürgern<br />

eine breite Wissensbasis verschafft.<br />

Hervorzuheben ist auch die gute sprachlich-stilistische Gestaltung<br />

der Ausführungen und die Bebilderung. (Hrsg. von<br />

der Gemeinde Neufra, 78 Seiten, fest gebunden, ca. 25 DM).<br />

Konrad und Ulrich von Jungingen<br />

(Dr. H. Rädle)<br />

Beiträge zur Biographie der beiden Deutschordenshochmeister<br />

von Casimir Bumiller und Magdalene Wulfmeier.<br />

Herausgegeben von der »Arbeitsgemeinschaft Heimat Jungingen«<br />

mit Unterstützung des Deutschordensmuseums Bad<br />

Mergentheim. Casimir Bumiller berichtet ausführlich über<br />

die Geschichte der Familie von Jungingen und die beiden<br />

Hochmeister. Daß einer oder gar zwei Herren von Jungingen<br />

Hochmeister des Deutschen Ordens waren, ist wohl allgemein<br />

bekannt, aber nur wenige dürften Einzelheiten darüber<br />

wissen. Die Herren von Jungingen gaben nämlich schon<br />

1278 ihre Burg oberhalb des Dorfes Jungingen auf und gingen<br />

nach (Bad) Waldsee. Doch schon 1316 zog es sie wieder<br />

nach Norden, ins Laucherttal. Sie erwarben die Burg Schiltau,<br />

bei der die neue Burg und Siedlung Jungnau entstanden.<br />

Wolfgang von Jungingen kam 1352 durch seine Frau Ursula<br />

in Besitz der Herrschaft Neu-Hohenfels. Vermutlich zwischen<br />

1355 und 1360 wurden, wohl schon in Neu-Hohenfels,<br />

die Söhne Konrad und Ulrich, die späteren Hochmeister geboren.<br />

1393 wurde Konrad von Jungingen Hochmeister des deutschen<br />

Ordens. Vielleicht hatte er seine Ordenslaufbahn in der<br />

Kommende auf der Mainau begonnen. Auch sein Bruder Ulrich<br />

machte in der Ordenshierarchie einen schnellen Aufstieg.<br />

Zweck des Ritterordens war der Kampf gegen die Heiden.<br />

Nachdem die heidnischen Prussen missioniert waren, kämpften<br />

die Ritter gegen die Litauer. Als sich 1386 die Dynastien<br />

Polens und Litauens zusammenschlossen und Litauen christlich<br />

wurde, standen dem Orden mächtige und feindliche<br />

Nachbarn gegenüber. Hochmeister Konrad versuchte auf diplomatischem<br />

Wege mit den Gegnern zurecht zu kommen.<br />

Nach seinem Tode 1407 wählte das Generalkapitel Konrads<br />

Bruder, Ulrich von Jungingen zum Hochmeister. Schon drei<br />

Jahre später kam es zum Krieg mit Jagiello, dem König von<br />

Litauen und Polen. In der Schlacht bei Tannenberg und<br />

Grunwald erlitt der Orden eine vernichtende Niederlage. Zusammen<br />

mit fast allen ausgerittenen Ordensbrüdern fiel auch<br />

Hochmeister Ulrich von Jungingen.<br />

Magdalene Wulfmeier vom Deutschordensmuseum in Bad<br />

Mergentheim schreibt über Hochmeister Konrad von Jun-<br />

Ihnen allen herzlichen Dank für Ihre Beiträge, ohne<br />

die unsere Heimatzeitschrift nicht existieren könnte.<br />

Leider werden manche von Ihnen enttäuscht sein, daß<br />

ihr Beitrag wieder nicht dabei ist. Dies hängt nicht nur<br />

mit der an sich sehr erfreulichen Zunahme der Beiträge<br />

zusammen, sondern vor allem mit deren Länge. Zudem<br />

möchten wir allen Lesern etwas bringen, was aber<br />

nicht möglich ist, wenn die ganze Zeitschrift von zwei<br />

bis drei Beiträgen gefüllt ist. Daher unsere Bitte: Ein<br />

Beitrag der ungeteilt erscheinen soll, nicht mehr als<br />

vier bis fünf Schreibmaschinenseiten. Anmerkungen<br />

nur die allernotwendigsten oder die Möglichkeit, daß<br />

Interessenten Kopien anfordern können. Bitte lassen<br />

Sie sich dadurch nicht entmutigen und senden Sie weiterhin<br />

Ihre Beiträge. Nochmals herzlichen Dank für<br />

Ihre Mitarbeit.<br />

Die Schriftleitung der Hohenzollerischen Heimat.<br />

gingen und die Verhältnisse im Deutschen Orden zu seiner<br />

Zeit. Trotz der Kürze des Kapitels bekommt der Leser einen<br />

sehr guten Überblick über den Deutschen Orden an der Wende<br />

vom 14. zum 15. Jahrhundert.<br />

Verblendung, Mord und Widerstand<br />

Aspekte nationalsozialistischer Unrechtsherrschaft im Gebiet<br />

des heutigen Zollernalbkreises von 1933- 1945<br />

Herausgeber Zollernalbkreis Jugendring e. V. und Zollernalbkreis.<br />

Anläßlich der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des 20. Juli 1944<br />

in Lautlingen veranstaltete der Jugendring Zollernalbkreis die<br />

Sommerakademie »Nationalsozialismus und Widerstand«.<br />

Die dort gehaltenen Vorträge wurden jetzt als Buch herausgegeben.<br />

Drei der Aufsätze handeln von Claus Schenk Graf von Staufenberg:<br />

»Claus Schenk Graf von Stauffenberg - ein württembergischer<br />

Preuße im Widerstand gegen Krieg und Diktatur«<br />

von Prof. Dr. Doering-Manteuffel, Tübingen. »Claus<br />

Schenk Graf von Stauffenberg, Prägende Kräfte in Kindheit<br />

und Jugend« und »Schwerste Zeiten, Gräfin Caroline von<br />

Stauffenberg beschreibt ihr Leben nach dem 20. Juli 1944«,<br />

beides von Dr. Peter Thaddäus Lang, Balingen.<br />

Ein Schwerpunkt der NS-Herrschaft im Zollernalbkreis waren<br />

die Konzentrationslager des »Unternehmen Wüste«, der<br />

1944 überstürzt aufgebauten Ölschiefer-Industrie. Aus den<br />

Konzentrationslagern Natzweiler, Auschwitz, Dachau, Buchenwald<br />

und dem estnischen Lager Vaivara brachte die SS<br />

viele tausend Häftlinge als Arbeitskräfte in die insgesamt sieben<br />

Lager. Über die Lager und das Schicksal der Häftlinge<br />

berichtet Dr. Andreas Zekorn, Balingen.<br />

Weitere Aufsätze sind: »Staatssicherheitssystem und Widerstand<br />

im Dritten Reich« von Hermann Weiß, München, »Nationalsozialismus<br />

in einer kleinen Stadt - Balingen<br />

1923-1939« von Dr. Hans Schimpf-Reinhardt, Balingen.<br />

Über die »Euthanasie« im Dritten Reich am Beispiel Hohenzollern<br />

schreibt Dr. Gabriel Richter, Emmendingen. Das<br />

sehr empfehlenswerte Buch hat 120 Seiten und ist mit vielen<br />

historischen Fotos ausgestattet. Es ist zum Preis von<br />

12,80 DM über eine Buchhandlung oder direkt beim Landratsamt<br />

Balingen zu beziehen.<br />

31


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Register 1994<br />

Seite<br />

Seite<br />

Bingen, Zur Kunst- und Baugeschichte der Pfarrkirche<br />

»Mariä Himmelfahrt« in Bingen S. 55<br />

Brodmann, Korbinian, Das Korbinian-Brodmann-<br />

Museum in Hohenfels-Liggersdorf S. 21<br />

Buchbesprechungen: Albstadt (Bildband) S. 31<br />

Spuk, Von Geisterburgen und<br />

Gespensterschlössern in Baden-<br />

Württemberg S. 31<br />

Herdwangen-Schönach,<br />

Heimatbuch S. 64<br />

Zollernalb-Profile 3, Jahrbuch<br />

des Zollernalbkreises S. 30<br />

Burren, Vom Burren und seiner Umgebung S. 11<br />

Dietfurter Kapellenstiftung S. 17<br />

Fidelis-Akademie am 24. April 1993 in Stans<br />

(Schweiz) S. 23<br />

Glatt-Oberhof, Geschichte der fürstlichhohenzollerischen<br />

Domäne (Schluß) S. 32<br />

Gauselfinger Bevölkerung im 16. Jahrhundert S. 2<br />

Geiselhart, Thomas (zum 100. Todestag) S. 36<br />

Hartmann, Joseph, Ein »ausgezeichneter« Lehrer in<br />

Inzigkofen S. 27<br />

<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>, Exkursion nach<br />

Potsdam und in die Mark Brandenburg vom 16. bis<br />

20. Mai 1994 S. 29<br />

<strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong>, Vorstand in<br />

Freiberg in Sachsen S. 62<br />

Junginger Dorfgeschichten - Gambrinus S. 18<br />

Junginger Dorfgeschichten - Geist-reiches S. 29<br />

Junginger Dorfgeschichten - »Rezept« S. 46<br />

Junginger Dorfgeschichten - »Man müßte<br />

Klavierspielen können« S. 63<br />

»Kille«, Stichwort »Kille« S. 15<br />

Killer, Die Geschichte der Peitschenmacher<br />

von Killer S. 9<br />

Leibold, Maria, Neuer Gedichtband S. 64<br />

St. Luzenkirche gibt Rätsel auf - eine Tür, die ins<br />

Leere führt S. 4<br />

Meßkirch, Das Zimmernschloß in Meßkirch -<br />

ein Vorbild für andere Schloßanlagen im Umkreis S. 35<br />

Meßkirch, Das Ende der Meßkircher Fürstenherrlichkeit<br />

S. 50<br />

Mörike, Eduard Mörike und sein Bruder Karl Mörike<br />

in Scheer S. 58<br />

Owingen, Renovation der alten Jakobuskirche S. 47<br />

900 Jahre Owingen - »Aufwiegler, Aufrührer und<br />

Rottierer« S. 52<br />

Sattlerkapelle, Die neue Sattlerkapelle S. 1<br />

Sigmaringen, Ein spätgotischer Altarflügel in<br />

Sigmaringen. Zuweisung an die Weckmannwerkstatt S. 25<br />

Sigmaringen, Musik der Renaissance S. 41<br />

Sigmaringen, Eine mittelalterliche Münze mit dem<br />

Sigmaringer Hirsch S. 44<br />

Tauffeiern, Ein Verbot der Tauffeiern aus dem<br />

Jahr 1778 S. 14<br />

Trochtelfingen, Herstellung eines Fasses in<br />

Handarbeit S. 28<br />

Trochtelfingen, Auf der Walz S. 40<br />

Trochtelfingen, Aus den Visitationsakten des ehemaligen<br />

Kapitels Trochtelfingen 1574-1709 (I) S. 45<br />

Trochtelfingen. Aus den Visitationsakten des ehemaligen<br />

Kapitels Trochtelfingen 1574-1709 (II) S. 60<br />

Veringenstadt, Zur Veringenstädter Heiligen-Sippe S. 13<br />

Wallenstein, Ein Mordplan gegen Wallenstein S. 7<br />

Weil, Alfred, Hechingen in New Vork - Zum<br />

94. Geburtstag von Alfred Weil S. 19<br />

Wiest Joseph (100. Geburtstag) S. 55<br />

v. Zimmern, Vor 400 Jahren erlosch die Dynastie der<br />

Grafen von Zimmern S. 34<br />

Zwiefalten, Ein Magnusstab im Kloster Zwiefalten S. 27<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landes teile mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: DM 11,00 jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803 843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

32<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Armin<br />

Heim<br />

Sonnenhalde la, 88605 Meßkirch<br />

Wilhelm<br />

Rößler<br />

Am Schönenberg 7/1, 72488 Sigmaringen<br />

Josef<br />

Schuler<br />

Killertalstraße 55, 72417 Jungingen<br />

Rolf Vogt<br />

Marktplatz 6, 72379 Hechingen<br />

Dr. Edwin Ernst Weber,<br />

Kreisarchivar<br />

Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

Verlagsanstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />

Mitteilungen der Schrifdeitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />

an die Adresse des Schriftlei tcrs erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

M 3828 F<br />

Herausgegeben vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

45. Jahrgang Nr. 3/September <strong>1995</strong><br />

Vorlage: Fürstlich Hohenzollernsche Sammlungen, Sigmaringen<br />

Karlsplatz und Ständehaus in Sigmaringen um 1880<br />

Das Bild ist dem neu erschienenen Band »Sigmaringen in alten Ansichten« von Maren Kuhn Rehfus und Werner Kuhn entnommen,<br />

das in diesem Heft besprochen wird.<br />

Ohne weiteres ist dieses 115 Jahre alte Foto nicht zu erkennen. Nicht nur, daß Fürst Carl umziehen mußte, um dem Namen<br />

und dem Reiterdenkmal Leopolds Platz zu machen, auch das Gebäude rechts im Hintergrund sieht recht fremd aus. Es ist<br />

der alte Prinzenbau, ursprünglich ein Schlößchen, das für die Fürstin Amalie Zephyerine gebaut und später in den Prinzenbau<br />

einbezogen wurde. Der erste Landtag, auch Ständeversammlung genannt, wurde 1833 im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

gewählt. 1846 wurde mit dem Bau des Ständehauses nach Plänen von Wilhelm Laur begonnen. Wegen der Revolution<br />

von 1848 gab es nie eine Einweihung und der Landtag benützte das Gebäude nur einmal während einer kurzen Sitzungsperiode<br />

im April 1849. Dann kamen die Preußen und es gab keinen Landtag mehr. Der Sitzungssaal wurde als allgemeiner<br />

Festsaal benützt. Spar- und Leihkasse und Amtsgericht teilen sich das Gebäude. Durch Umbauten wurde die Fassade<br />

im Lauf der Zeit nicht gerade zu ihrem Vorteil verändert.<br />

33


Buchbesprechung<br />

Sigmaringen in alten Ansichten<br />

Am 25. August d. J. wurde im Sitzungssaal des Landeshauses<br />

in Sigmaringen von Bürgermeister Gerstner, Dr. Werner<br />

Kuhn und Verleger Dr. Georg Bensch ein neuer Thorbecke-<br />

Bildband »Sigmaringen in alten Ansichten« vorgestellt. Die<br />

Idee zu diesem Bildband hatte Frau Dr. Kuhn-Rehfus bei der<br />

Zusammenstellung ihres 1989 erschienenen historischen<br />

Stadtführers, für den sie schon eine größere Anzahl alter Ansichten<br />

verwendete. Ihr plötzlicher Tod im Jahre 1993 ließ<br />

das Projekt zunächst ruhen. Wie Dr. Werner Kuhn ausführte,<br />

sei ihm irgendwann klar geworden, daß er seiner Frau die<br />

Fortführung und Fertigstellung dieses Bildbandes einfach<br />

schuldig sei.<br />

Dieses Buch mit seinen 229 Abbildungen bereitet nicht nur<br />

ein ästhetisches Vergnügen, sondern es ist auch ein beneidenswerter<br />

Beitrag zur Stadtgeschichte von Sigmaringen.<br />

Zweifellos ist die Darstellung der Stadt Sigmaringen in alten<br />

Ansichten besonders reizvoll, weil es seit der Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts eine große Auswahl von Bildern der damaligen<br />

Residenzstadt gibt. Aus der Zeit vor 1800 sind nur wenige<br />

Abbildungen bekannt. Immerhin gibt eine kolorierte Federzeichnung<br />

auf der »Landtafel des oberen Donautals« von<br />

1587 einen Begriff von der mauerumgebenen Stadt mit dem<br />

stattlichen Schloß und dem weit entfernt liegenden Kloster<br />

Hedingen. Zwei Ölgemälde aus der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

zeigen noch unverändert die »mittelalterliche«Ansicht<br />

von Sigmaringen.<br />

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwandelte sich das<br />

unbedeutende Städtchen in die Haupt- und Residenzstadt des<br />

souveränen Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen und<br />

wurde nun auch für Maler und Zeichner interessant. Es überwiegen<br />

zu dieser Zeit die graphischen Techniken wie Aquatinta<br />

und Lithographie. So z. B. Werke von Bleuler, Eggli,<br />

Obach und Emminger; aber auch Zeichnungen von Hofkavalier<br />

v. Mayenfisch, lithographiert von S. Lütz.<br />

Die ältesten erhaltenen Sigmaringer Fotografien stammen<br />

von Edwin Bilharz, der schon seit 1867 Erfolg mit seinen Fotografien<br />

von Kunstwerken des fürstlichen Museums hatte.<br />

1877 lieferte Mencke, Wandsbeck ausgezeichnete Fotos für<br />

den Fürstenhof. Seit 1880 gab es ca. 50 Jahre lang die Bilder<br />

von Foto-Kugler. Zeichnungen und Fotografien sind auch<br />

von Baurat Eduard Eulenstein (1841-1896) erhalten.<br />

Dem Bildteil vorangesetzt ist eine kurze Stadtgeschichte. Die<br />

einzelnen Bereiche der Stadt werden in sechzehn getrennten<br />

Kapiteln behandelt, denen jeweils eine kurze Einführung vorangestellt<br />

ist.<br />

Aus gutem Grund wurde das Jahr 1945 als Zäsur für »alte<br />

Ansichten« gesetzt, denn Sigmaringen hat seither seine Einwohnerzahl<br />

verdoppelt und sich auf den Höhen beiderseits<br />

der Donau ungehemmt ausgebreitet. Diese Veränderung<br />

wird anhand von Stadtplänen und Luftaufnahmen von 1806<br />

bis in die Gegenwart gezeigt.<br />

Mehr als zwanzig Gesamtansichten zeigen Stadt und Schloß<br />

im Lauf von über zwei Jahrhunderten. Gut dokumentiert ist<br />

z. B. der Schloßbrand von 1893 und der nachfolgende Wiederaufbau.<br />

Uberhaupt wird das Stadtbild vom Schloß und<br />

fürstlichen Bauten wie z. B. der Reithalle dominiert.<br />

Ein früher Anstoß für die Entwicklung der Stadt war der Bau<br />

der Antonstraße durch Fürst Anton Alois um 1810. Die anfangs<br />

recht bescheidene Bebauung wurde erst im Lauf der<br />

Zeit mit der Volksschule und dem Landeshaus »städtischer«.<br />

Aber nicht nur auf Bildern der Vorstadt ist die alte ackerbürgerliche<br />

Kultur noch zu spüren, auch auf dem Marktplatz<br />

stehen 1870 bäuerliche Leiterwagen und sonstiges Gerümpel<br />

herum.<br />

Sehr vornehm, eben fürstlich, nehmen sich dagegen der Leopoldplatz<br />

(früher Karlsplatz) mit Ständehaus und Prinzenbau<br />

und die Karlstraße aus. Zahlreiche Bauten der Karlstraße<br />

sind heute noch hervorragende Baudenkmäler des 19. Jahrhunderts.<br />

Zum Teil standen die Gebäude 1880/90 noch ganz<br />

in freier Landschaft (Abb. 162 u. 163).<br />

Wie z. B. die ehemalige Unteroffiziersvorschule, ist manches<br />

ganz verschwunden. Wer weiß noch, daß die Karlstraße einst<br />

von einer Brauerei »geziert« wurde? Vieles hat sich aber im<br />

Lauf der Zeit auch nicht zu seinem Vorteil verändert.<br />

Die Ausstattung des Buches läßt keine Wünsche offen, dank<br />

namhafter Zuschüsse zu einem moderaten Preis. Natürlich<br />

ist ein solches Buch immer Ergebnis einer Auswahl, aber man<br />

darf wohl sagen, daß das Thema nicht besser und vollständiger<br />

hätte behandelt werden können. B.<br />

Maren Kuhn-Rehfus, Werner Kuhn, »Sigmaringen in alten<br />

Ansichten«. 229 Bilder, davon 28 in Farbe, DM 39.-. Erschienen<br />

im Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen.<br />

OTTO H. BECKER<br />

Französische Quellen zum Kriegsende in Sigmaringen 1944/45<br />

Teill<br />

Bei der Erforschung der Geschichte der Vichy-Regierung<br />

und des Kriegsendes in Sigmaringen 1944/45 stieß der Verf.<br />

u. a. auch auf das von Jean-Luc Barré bearbeitete Buch »Réconquerir«<br />

(Wiedereroberung), in welchem eine Fülle von<br />

Schreiben von und an den Kommandeur der 1. Französischen<br />

Armee »Rhin et Danube«, Armeegeneral Jean de Lattre de<br />

Tassigny, aus der Zeit von 1944 bis 1945 ediert sind. Zwei<br />

Quellen aus dieser Publikation, welche die Einnahme der<br />

Stadt Sigmaringen zum Gegenstand haben, sollen in dieser<br />

<strong>Ausgabe</strong> der Hohenzollerischen Heimat in deutscher Übersetzung<br />

wiedergegeben und kurz kommentiert werden.<br />

1. Befehl des Armeegenerals de Lattre de Tassigny an General<br />

Bethouart vom 21. April 1945<br />

»Mein lieber Bethouart!<br />

Ich habe erfahren, daß Du in Donaueschingen (Brücke intakt)<br />

und in Tuttlingen bist und die Donau bei Mühlheim<br />

überquert hast.<br />

34


QJitttetiungen aug bcm<br />

Veranstaltungen im 4. Quartal <strong>1995</strong><br />

@efcf)tcf)tgt>eretn<br />

I. Vorträge im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg<br />

in Sigmaringen<br />

Dr. Casimir Bumiller,<br />

Bollschweil:<br />

»Die Hohenzollerische Landessammlung. Eine viel<br />

gerühmte, aber wenig beachtete museale Einrichtung«.<br />

Montag, 9. Oktober, um 20 Uhr im Sitzungssaal des Landeshauses<br />

(Antonstraße 11) in Sigmaringen.<br />

Dr. Otto Becker,<br />

Sigmaringen:<br />

»Die Kreisreform 1973 und Hohenzollern«<br />

Montag, 16. Oktober, um 20 Uhr im Sitzungssaal des Landeshauses<br />

(Antonstraße 11) in Sigmaringen.<br />

Auf vielfachen Wunsch wird die Vortragsreihe im Rahmen<br />

der Heimattage in Hechingen wiederholt.<br />

Prof. Dr. Wilfried Schöntag,<br />

Stuttgart:<br />

»Die schwäbischen und die brandenburgisch-preußischen<br />

Hohenzollern. Dynastische Verbindungen und<br />

deren politische Wirkkraft«.<br />

Montag, 13. November, um 20 Uhr im Hohenzollern-<br />

Saal der Kreissparkasse in Hechingen.<br />

Den 2. Vortrag der Reihe mit dem Thema »Die jüdischen<br />

Gemeinden Hechingen und Haigerloch« wird Herr Rektor<br />

Otto Werner beim Verein Alte Synagoge in Hechingen<br />

im Januar 1996, zu dem auch die Mitglieder des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s eingeladen sind, wiederholen.<br />

Der genaue Termin wird noch rechtzeitig in der<br />

Hohenzollerischen Heimat sowie in der Hechinger Lokalpresse<br />

bekanntgegeben.<br />

II. Gegenbesuch des Freiberger Altertumsvereins e. V.<br />

beim Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Vom 30. September bis 3. Oktober <strong>1995</strong> wird der Vorstand<br />

des Freiberger Altertumsvereins den Besuch einer<br />

Abordnung des Vorstandes und Beirates des Hohenzollerischen<br />

<strong>Geschichtsverein</strong>s vom 21. bis 23. Oktober<br />

vergangenen Jahres (vgl. Bericht von Herrn Dr. Vees in<br />

der HH Jg. 1994 S. 62 f.) erwidern.<br />

Dabei soll in Hechingen auch eine Zusammenkunft der<br />

Vorstandsmitglieder des Freiberger Altertumsvereins mit<br />

Mitgliedern des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

stattfinden. Der genaue Termin und das Programm dieser<br />

Veranstaltung wird in der Hechinger und in der Sigmaringer<br />

Lokalpresse rechtzeitig bekanntgegeben.<br />

gez. Dr. Otto Becker<br />

Vorsitzender<br />

Bravo!<br />

Nun mit Vollgas nach Sigmaringen!<br />

Nach Mühlheim nimmst Du die nördlichen und südlichen<br />

Straßen nach Sigmaringen. Nach der Verbindungsstraße Tuttlingen<br />

- Stockach fährst Du über Meßkirch nach Sigmaringen.<br />

In Sigmaringen riegle alles ab und zwar mit Gewalt, stelle dazu<br />

einen zuverlässigen und entschlossenen Mann und jemand<br />

an seine Seite, der sofort die Politiker einsperrt und hülle Dich<br />

bis zu meiner Ankunft in Schweigen. Ich habe besondere Anweisungen<br />

von General de Gaulle.<br />

Danach fliege südlich der Donau nach Ulm auf irgendeinem<br />

Weg und mit allen Mitteln.<br />

Die Amerikaner werden uns vielleicht ausquartieren. Aber<br />

die Trikolore wird dort geweht haben.<br />

Das wird uns in nächster Zukunft helfen, Biberach, Memmingen<br />

und Kempten einzunehmen, was für unseren zukünftigen<br />

Stützpunkt in den Alpen unerläßlich ist.<br />

Ich beglückwünsche Dich für Deine schnelle, tatkräftige Aktion.<br />

Mehr denn je vertraue ich Dir und Deinen wunderbaren<br />

Untergebenen.<br />

Richte an alle, an Deinen Stabschef, an de Hesin, an Sudre,<br />

an Lebel meine herzliche Dankbarkeit aus.<br />

Übermittle allen Deinen tapferen Truppen meine Bewunderung<br />

und meine Dankbarkeit.<br />

Das ist eine prächtige Leistung auf französische Art!<br />

Ganz herzlichst«<br />

Nach dieser Quelle bestand der Hauptauftrag an General<br />

Bethouart darin, so schnell wie möglich Sigmaringen einzunehmen,<br />

um dort die »Politiker« einzusperren. Dabei konnte<br />

es sich nur um die Angehörigen der Vichy-Regierung handeln.<br />

Bemerkenswert dabei ist, daß der französischen<br />

Führung damals noch nicht bekannt war, daß die Angehörigen<br />

der Vichy-Regierung Sigmaringen bereits verlassen hatten.<br />

Bekanntlich wurde Marschall Petain als letzter Vertreter<br />

der Kollaborateure am 21. April 1945 um 4 Uhr in der Frühe<br />

am Sigmaringer Schloß abgeholt und zunächst nach Wangen<br />

im Allgäu verbracht.<br />

Zum anderen war Bethouart beauftragt, mit größter Eile nach<br />

Ulm vorzudringen. Der Zweck dieser Operation bestand eindeutig<br />

darin, den Franzosen in Oberschwaben, im Allgäu und<br />

in den Alpen Faustpfänder für die späteren Verhandlungen<br />

mit den Amerikanern über die Einrichtung der französischen<br />

Besatzungszone in Süddeutschland zu verschaffen.<br />

2. Rechenschaftsbericht des Generals Bethouart über die Einnahme<br />

der Stadt Sigmaringen vom 22. April 1945<br />

»Nachdem Sigmaringen diesen Morgen gegen 11 Uhr durch<br />

den Verband Vallin von der 1. Panzerdivision eingenommen<br />

worden ist, begab ich mich ebenfalls dorthin, um eventuell<br />

nötige Maßnahmen zu ergreifen. Bis zu meiner Ankunft hat<br />

mir Kommandant Vallin Rechenschaft gegeben, daß kein<br />

Franzose in Sigmaringen geblieben war mit Ausnahme einiger<br />

vereinzelter Milizionäre, die sich verstecken konnten, und<br />

daß er im Begriffe sei, dem nachzugehen.<br />

35


Ich habe das Schloß und die Appartements des Marschalls<br />

und seines Gefolges besucht. Es zeigte eine ziemlich überstürzte<br />

Abreise, die Visitenkarten waren noch an den Türen,<br />

aber kein Archiv war zu finden. Der Marschall, der den<br />

Wunsch geäußert hatte, in Sigmaringen zu bleiben, war auf<br />

Anordnung des deutschen Botschafters abgereist, der ihn gestern<br />

am 21. April um 4 Uhr morgens im Auto mit der Marschallin<br />

und ihrem letzten Personal, das bei ihnen geblieben<br />

war, begleitete; die viertausend Franzosen, Milizionäre und<br />

andere, hätten die Gegend seit einigen Tagen verlassen.<br />

Im Sigmaringer Schloß lebten der Marschall und die Marschallin,<br />

der General Bridoux, der General Debeney, die Herren<br />

de Brinon, Déat, Luchaire, Darnand, Admirai Bléhaut.<br />

Nach den Wächtern des Schlosses und den Einwohnern sollen<br />

sie sich über Kempten nach Garmisch begeben haben mit<br />

Ausnahme von Darnand, der nach Italien mit dem Vorhaben<br />

abgereist sein soll, nach Frankreich zurückzukehren, um sich<br />

dort einer Widerstandsgruppe anzuschließen, die in der Gegend<br />

von Besançon bestehen soll.<br />

Ich habe im Schloß in Sigmaringen den Prinzen Ernst von<br />

Sachsen getroffen, dessen Frau eine von Hohenzollern ist. Er<br />

ist unmittelbar nach der Abreise des Marschalls in das Schloß<br />

zurückgekehrt. Er hat mir erklärt, daß zwei seiner Stiefschwestern<br />

(belles-soeurs) von den Nazis ins Konzentrationslager<br />

verbracht worden sind und daß die Zivilbevölkerung<br />

darüber erzürnt sei, die Fortsetzung eines Kampfes ohne<br />

Hoffnung mitanzusehen, und daß selbst viele Nazis die<br />

Fortsetzung des Kampfes lächerlich fänden. Darüber hinaus<br />

hat er mich gebeten, ob es möglich wäre, diese guten Neuigkeiten<br />

und die seiner Kinder der Großherzogin von Luxemburg<br />

zu telefonieren, die seine Schwägerin sei, von welcher<br />

er seit fünf Jahren getrennt sei.<br />

P.S.: Eine Sendeanlage von großer Stärke in der Nähe von Sigmaringen<br />

ist völlig zerstört vorgefunden worden.«<br />

Der Bericht des Generals enthält einige interessante Fakten.<br />

So hatten sich offensichtlich nicht alle Milizionäre flüchten<br />

können. Durch diese Nachricht wird der Bericht von Klara<br />

Steidle abgestützt, wonach im Prinzengarten Milizionäre erschossen<br />

wurden. Wichtig ist auch der Hinweis, daß die Mitglieder<br />

der Vichy-Regierung bzw. der »Kommission für die<br />

Verteidigung der nationalen Interessen« keine schriftlichen<br />

Unterlagen zurückgelassen hatten.<br />

Der Bericht, wonach Staatspräsident Pétain in Sigmaringen<br />

bleiben wollte, dann aber auf Weisung des deutschen Botschafters<br />

Reinebeck abreiste, ist durchaus glaubwürdig. So<br />

hat der damals 89jährige Marschall die sichere Schweiz, die<br />

ihm am 24. April die Einreise gestattet hatte, am 26. April<br />

1945 wieder verlassen, um sich in Frankreich den Justizbehörden<br />

zu stellen. Übertrieben ist jedoch die Angabe, daß<br />

sich 4000 Franzosen in Sigmaringen und Umgebung befunden<br />

haben sollen. Nach heutigen Erkenntnissen dürfte selbst<br />

in der Endphase des Krieges die französische Kolonie kaum<br />

die Zahl von 2000 Personen überschritten haben. Wertvoll<br />

sind auch die Ausführungen des Prinzen Ernst Heinrich von<br />

Sachsen (1896-1971), der übrigens ein Bruder der Fürstin<br />

Margarete von Hohenzollern (1900-1962) war, wonach die<br />

deutsche Bevölkerung und selbst Nazis die hoffnungslose<br />

Fortsetzung des Kampfes ablehnten.<br />

Bei der Zerstörung der Donaubrücke in Laiz sowie der Laizer-<br />

und der Sägebrücke durch die Deutschen unmittelbar<br />

vor dem Einmarsch der Franzosen ist es nicht geblieben. Vor<br />

dem anrückenden Feind wurde, wie wir aus dem Post Scriptum<br />

erfahren, ferner eine starke Sendeanlage bei Sigmaringen<br />

zerstört. Dabei handelt es sich vermutlich um die Anlage auf<br />

dem Nonnenhof bei Laiz, wo die militärische Abwehr unter<br />

Admirai Canaris eine Abhör- und Sendeanlage unterhielt.<br />

Quellennachweis<br />

Réconquérir 1944-1945. Textes réunis et présentés par Jean Luc Barré.<br />

Paris 1985.<br />

Klara Steidle: Die Kongregation der Schwestern der christlichen Liebe<br />

in Sigmaringen. Eine Chronik in 5 Bänden. Teil 5: Marien-Lyzeum<br />

1935-1954. Masch. Sigmaringen (1984).<br />

Literaturnachweis<br />

Henry Rousso: Un château en Allemagne. La France de Pétain en exil<br />

Sigmaringen 1944-1945. Paris 1980.<br />

XAVER PFAFF<br />

Zum Frühwerk des Sigmaringer Malers Meinrad von Au (1712-1792)<br />

Unter dem Einfluß der Ideen und Praktiken des aufgeklärten<br />

Absolutismus verfügte der österreichische Monarch Josef<br />

II. im Oktober 1781 die Aufhebung aller Orden, die durch<br />

ihren beschaulichen Charakter zur Stärkung des Staates<br />

nichts beitrügen. Lange vor Eintritt der allgemeinen Säkularisation<br />

bedeutete so das Jahr 1782 auch das gewaltsame Ende<br />

für die hohenzollerischen Klöster Laiz und Gorheim bei<br />

Sigmaringen, in denen franziskanische Terziarinnen nahezu<br />

ein halbes Jahrtausend gelebt und gewirkt hatten. Der Klosterbesitz<br />

wurde in den Folgejahren zugunsten des vorderösterreichischen,<br />

seit 1806 hohenzollerischen Religionsfonds<br />

veräußert.<br />

Laut den Eintragungen in einem Verkaufsprotokoll des fürstlichen<br />

Rentamtes vom 9. Januar 1815 wurde ein Großteil des<br />

Inventars der Gorheimer Michaelskapelle öffentlich versteigert.<br />

Die zwei Nebenaltäre »mit Ausnahme eines Altarblatts,<br />

den hl. Anton darstellend«, gelangten nach Harthausen/Scher,<br />

die »Bildnisse der 12 Apostel, auf Leinwand<br />

gemahlt«, nach Sigmaringendorf, »ein hl. Veit und 4 Tafeln«<br />

nach »Schmeihen«, »ein Bild des hl. Rochus, 1 hl. Anna« nach<br />

Laiz, die Kirchenstühle und zwei große Reliquientafeln in die<br />

Pfarrkirche von Sigmaringen. Den Zuschlag für den Hochaltar,<br />

1782 noch »St. Michels Altar« genannt, die Chorstühle<br />

und die Kreuzwegstationen hatte für 68 Gulden die Heiligenpflegschaft<br />

der Nikolauskirche von Veringenstadt erhalten.<br />

Der Altar wurde dort anstelle des abgebrochenen Hochaltaraufbaues<br />

vom Sigmaringer Schreiner Fidel Schreiber neu<br />

erstellt. Da kein Altar dieser Kirche dem hl. Michael gweiht<br />

war, mußten die Blätter des Gorheimer Altares eine andere<br />

Verwendung gefunden haben. Es spricht alles dafür, daß das<br />

zentrale Gorheimer Hochaltarblatt zu einem ungewissen<br />

Zeitpunkt in die Friedhofs- und Wallfahrtskirche Deutstetten<br />

überführt worden ist. In jener früheren Pfarrkirche von<br />

Veringenstadt hängt nämlich an der Nordseite des Langhauses<br />

ein auf Leinwand gemaltes Ölbild, in dem großformatig<br />

der Erzengel Michael dargestellt ist. Eine thematische Bezie-<br />

36


hung zur Deutstetter Kirche ergibt sich deshalb, weil<br />

Michael von alters her als Patron der Verstorbenen verehrt<br />

wurde und weil der Michaelistag infolgedessen in<br />

Deutstetten ein wichtiger Wallfahrtstag war.<br />

Das Tafelbild bleibt unter den bekannten Stiftungen<br />

für die Wallfahrtskirche unerwähnt. Die Bildmaße<br />

(H. 1,94 m, B. 1,38 m), der offensichtlich beschnittene<br />

Zustand und der in späterer Zeit angefügte schlichte<br />

Rahmen weisen das Gemälde als ehemaliges Altarblatt<br />

aus. Die ursprüngliche Verwendung als Altarblatt in<br />

der Kirche ist ausgeschlossen. Walther Genzmer datierte<br />

das Gemälde in die Mitte des 18. Jahrhunderts.<br />

Die schlechte Bilderhaltung erlaubte eine ikonographische<br />

Deutung erst nach der Erstellung von Detailaufnahmen.<br />

Die dominierende Gestalt in der Bildmitte ist der auf<br />

einem wuchtigen Wolkenband stehende Erzengel<br />

Michael, welcher in der Rolle des Paradiesvorstehers<br />

in der hochgestreckten Linken eine Seelenwaage hält.<br />

Als Seelenwäger wird Michael erst seit dem Hochmittelalter<br />

abgebildet. In Harnisch und Helm gekleidet,<br />

trägt er in seiner Rechten das Flammenschwert als Zeichen<br />

seines Sieges über den Satan. Links von ihm sitzt<br />

Christus, eine Lilie haltend, die ihn als unschuldiges<br />

Lamm Gottes kenntlich macht. Ein Band mit der verdeckten<br />

Aufschrift »Agnus Dei« unterstreicht diese<br />

Eigenschaft Christi ebenso wie das dargestellte Lamm<br />

als Attribut des rückseitig abgebildeten Johannes Baptista,<br />

der sich mit Christus im Zwiegespräch befindet.<br />

Die Wiedergabe Johannes des Täufers ist in zweierlei<br />

Hinsicht nicht zufällig: Zum einen wird er in vielfältiger<br />

Weise zusammen mit Michael in Weltgerichtsszenen<br />

als »Vorläufer« Christi nachgebildet, zum anderen<br />

deutet seine Anwesenheit schon auf die Auftraggeber<br />

des Bildes hin. Denn rechts von Michael steht in<br />

schwarzem Ordenshabit der hl. Franziskus mit dem<br />

auf seine Stigmatisation bezogenen Kruzifix in Händen.<br />

Franz von Assisi, dessen eigentlicher Taufname<br />

Johannes Baptista lautete, hegte zu seinem ersten Namenspatron<br />

zeitlebens eine besondere Verehrung,<br />

weshalb beide des öfteren gemeinsam dargestellt wurden. Der<br />

Ordensgründer wird als Fürbitter in das Bildgeschehen einbezogen.<br />

Etwas versteckt hinter Franziskus ist die hl. Klara von Assisi<br />

mit einer Lilie als ihrem individuellen Attribut wiedergegegeben.<br />

Ihre Darstellung im Verein mit derjenigen des hl.<br />

Franziskus entspricht der ordenseigenen Ikonographie und<br />

bildet einen deutlichen Beleg dafür, daß das Deutstetter<br />

Gemälde franziskanische Auftraggeber hatte. Obwohl die Figur<br />

der Ordensheiligen im Bildaufbau nahezu untergeht, unterscheidet<br />

sie sich in theologischer Hinsicht von den übrigen<br />

heiligen Gestalten: Sie hat das Privileg, dasselbe Attribut<br />

zu tragen wie Christus. Hierdurch wird absichtlich ihre Bedeutung<br />

hervorgehoben, denn Christus wird in der Eigenschaft<br />

des Gotteslammes ansonsten nicht zwangsläufig mit<br />

einer Lilie versinnbildlicht.<br />

Links oben erkennt man unter einer Schar Putten die Heilige<br />

Dreifaltigkeit in der eigenwilligen Form von drei gleichgebildeten<br />

bekrönten Jünglingen, die gesondert Kreuz, Taube<br />

und Weltkugel in Händen tragen. In der christlichen Kunst<br />

taucht die Abbildung der Trinität als drei gleichgebildete Gestalten<br />

seit dem 9. Jahrhundert auf. Dabei bestand jedoch immer<br />

die Gefahr, daß die Künstler den dogmatischen Boden<br />

der kirchlichen Glaubenslehre verlassen. Papst Benedikt<br />

XIV. hat 1745 vor solchen Darteilungen gewarnt und die Wiedergabe<br />

des Heiligen Geistes allein als Jüngling sogar verboten.<br />

In der farblichen Ausführung sticht vor allem das eindringliche<br />

Türkis im Harnisch des Erzengels ins Auge, das sich im<br />

r .<br />

Jr<br />

Hl.<br />

v mi ;<br />

kk ?<br />

A ' . ! 5<br />

Michael als Seelenwäger, ehemaliges Hochaltarblatt der Michaelskapelle<br />

des früheren Tertiarinnenklosters Gorheim in der Wallfahrtskirche Deutstet<br />

Bildhintergrund wiederholt. Bemerkenswert ist auch die Erscheinung<br />

des Johannes Baptista als dunkle, beschattete<br />

Rückenfigur. Joseph Ignaz Wegscheider (1704-1759) verwandte<br />

mit Vorliebe diese Gestaltungsmittel in seinen Werken.<br />

Allein die im Tafelbild sichtbaren kompositioneilen<br />

Schwächen verweisen auf einen anderen Künstler. Neben<br />

dem Mangel an räumlicher Tiefe wirken besonders die Assistenzfiguren<br />

im gestischen Ausdruck undynamisch und statisch<br />

zusammengefügt. Darüber hinaus führt die Rückenfigur<br />

inhaltlich nicht in das Bildgeschehen ein und trägt auch<br />

nicht zur Perspektive bei. In der Behandlung des Lichts läßt<br />

sich dennoch bereits eine künstlerisch hochwertige Hand ersehen.<br />

Meinrad von Au, der während seiner Ausbildungszeit mit<br />

Wegscheider zusammengetroffen sein mußte, hat in seinen<br />

eigenen Werken vorzugsweise die Abbildung von Rückenfiguren<br />

übernommen. In Abhängigkeit von Wegscheider<br />

steht auch das Türkisblau als vorherrschende Farbstufe in einem<br />

Votivbild der Pfullendorfer Wallfahrtskirche Maria<br />

Schray. Das Ölbild aus dem Jahre 1742 stellt die früheste<br />

bekannte Arbeit des Malers in dieser Technik dar. Jener Farbton<br />

verliert sich im späteren Œuvre.<br />

Kennzeichen der Kontrastgestaltung in der Malweise Wegscheiders<br />

und Franz Joseph Spieglers (1691-1757) ist ferner<br />

der von links oben kommende Lichteinfall. Das Merkmal findet<br />

sich im Gesamtwerk des Sigmaringer Malers wieder. Im<br />

Deutstetter Tafelbild ist die verdeckte Lichtquelle gleichermaßen<br />

plaziert und beleuchtet den Erzengel so stark, daß sich<br />

an Harnisch und Helm Lichtreflexe bilden. Die Handschrift<br />

37


Meinrads von Au zeigt sich desgleichen an den langen schlanken<br />

Fingern des Christus und in der Bearbeitung der Physiognomien<br />

des hl. Michaels und der hl. Klara, die mit vorgewölbter<br />

Stirm und schwungvoll betonter Nasenwurzel erscheinen.<br />

Typisch außerdem die erhobenen Hände der Personen<br />

der Dreifaltigkeit, bei denen die abgespreizten kleinen<br />

Finger unnatürlich wirken (vgl. besonders Christus im Chorfresko<br />

der Pfarrkirche St. Johann in Sigmaringen). Solche anatomischen<br />

Verzeichnungen sind unter anderem in der Entwurfsskizze<br />

und in der Ausführung des 1741 geschaffenen<br />

Langhausfreskos der Pfarrkirche von Harthausen/Scher zu<br />

entdecken.<br />

Bei der Bearbeitung der Gewänder verwandte der Maler, wie<br />

beim Erzengel und den Personen der Dreifaltigkeit, gerne<br />

eckig bewegte Tücher und spitz auf den Knöchel zulaufende<br />

Zipfel. Die Wiedergabe der übermäßig großen und hohen<br />

Puttenköpfe erinnert stark an die Darstellungsweise in Benzingen<br />

(Pfarrkirche, südlicher Seitenaltar) oder Otterswang<br />

(Pfarrkirche, Hauptdeckenfresko). Dasselbe gilt für die<br />

Durchführung der Beinstellung des hl. Michael im Vergleich<br />

mit derjenigen des hl. Sebastian in Harthausen/Scher (Pfarrkirche,<br />

südlicher Seitenaltar).<br />

Augenscheinlich ist, daß nur der Erzengel und Klara mit hellem<br />

Inkarnat abgebildet sind, während die übrigen Gestalten<br />

eine dunklere, bräunliche Fleischfarbe aufweisen. Einen derartig<br />

auffallenden Kontrast zur Betonung der Protagonisten<br />

trifft man vornehmlich in den frühen Werken des Meinrad<br />

von Au sehr häufig an.<br />

Auf die Darstellung des Heiligen Geistes als Jüngling verzichtete<br />

unser Maler in all seinen übrigen Bildern. In einem<br />

frühen Andachtsbild hat er ein weiteres Mal den Heiligen<br />

Geist in menschlicher Gestalt abgebildet, wofür wiederum<br />

klösterliche Auftraggeber verantwortlich waren. Daß dabei<br />

der Heilige Geist in Gestalt einer Frau gemalt wurde, könnte<br />

am originellen Bemühen liegen, das päpstliche Verbot von<br />

1745 zu unterwandern.<br />

Bis zur Jahrhundertmitte ließ von Au einen ausgesprägten<br />

Sinn für die Einzelgestalt in kraftvollen Farben erkennen. Jene<br />

Auffassung verrät auch das Deutstetter Bild. In den späteren<br />

Arbeiten schwand die Vorliebe für starke Farben. Sein<br />

volles kompositionelles Vermögen konnte der Maler eigentlich<br />

nur als Freskant ausschöpfen.<br />

Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß die Veringenstädter<br />

Wallfahrtskirche seit dem 18. Jahrhundert von Eremiten betreut<br />

wurde, die dem 3. Franziskanerorden angehörten. Sie<br />

kommen als Auftraggeber deshalb nicht in Frage, weil das Tafelbild<br />

nicht für die Kirche geschaffen war. Zudem sind die<br />

einfachen Laienbrüder erst seit 1753 nachgewiesen.<br />

Schon Franz Anton von Au (1672-1715), der Vater unseres<br />

Künstlers, war von den Gorheimer Konventsfrauen 1699 mit<br />

der Neufassung der Seitenaltäre und 1715 mit der des Hochaltares<br />

betraut worden. Es ist anzunehmen, daß der Faßmaler<br />

noch für weitere, unbedeutendere Arbeiten herangezogen<br />

worden ist. So verwundert es nicht, wenn eine Generation<br />

später in einem Aufhebungsinventar vermerkt ist, die Gemälde<br />

in den Konventszimmern seien »zum theil von Ow gemacht«.<br />

Weiterhin heißt es in den Inventaren bei der Einschätzung<br />

des Hochaltars jedesmal: »Ist von dem Mahler zu<br />

Sigmaringen taxiert worden«. Weder bei den Nebenaltären<br />

noch beim übrigen Inventar wurde ein solcher Zusatz angemerkt.<br />

Daß mit dem »Maler zu Sigmaringen« Meinrad von<br />

Au gemeint war, liegt auf der Hand. Denn in den achtziger<br />

Jahren war der Künstler längst zur berühmten Malerpersönlichkeit<br />

avanciert, aus dessen Schatten Johann Fidelis Wetz<br />

(1741-1820), der andere Sigmaringer Maler aus jener Zeit, erst<br />

nach dem Tode Meinrads von Au treten konnte.<br />

Preußen in Hohenzollern<br />

Eine Ausstellung im Staatsarchiv Sigmaringen<br />

Die Ausstellung wurde vom Staatsarchiv Sigmaringen<br />

und vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg gestaltet.<br />

Das Staatsarchiv zeigt zahlreiche Exponate zur<br />

hohenzollerischen Geschichte und den Beziehungen zu<br />

Preußen, wie man sie in dieser Form noch nie gesehen<br />

hat. Auch das ausgestellte Bildmaterial ist einmalig. Der<br />

Begleitband zur Ausstellung erschien im Thorbecke<br />

Verlag und bietet Gelegenheit, die ausgestellten Dokumente<br />

in Ruhe nachzulesen. Der Band ist mit zahlreichen<br />

Abbildungen ausgestattet.<br />

Öffnungszeiten: Noch bis 29. Oktober täglich 10 bis<br />

17 Uhr außer Montag.<br />

Kult und Wohnen in den<br />

Höhlen des oberen Donautals<br />

Eine zweite Ausstellung aus Anlaß der Heimattage Baden-Württemberg<br />

in Sigmaringen ist in der Alten Schule<br />

zu sehen. Sie zeigt die Leistungen moderner Archäologie<br />

an den Ergebnissen der Grabungen in den Höhlen<br />

des Donautals in den letzten Jahrzehnten. Die Ausstellung<br />

ist ebenfalls hervorragend gestaltet und sehr<br />

sehenswert.<br />

Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 10 bis 12 Uhr,<br />

Samstag und Sonntag 10 bis 17 Uhr, noch bis 29. Oktober.<br />

Dementsprechend steht in einem Laizer Aufhebungsinventar<br />

bei der Wertschätzung des Gnadenaltars, den Meinrad von<br />

Au 1771 gefaßt hatte, der Zusatz: »Von dem Sigmaringer<br />

Mahler von Ow taxiert«.<br />

Ein weiteres Tafelbild, das auf die Hand Meinrads von Au<br />

weist, wird in einer Abstellkammer in der Pfarrkirche von Inneringen<br />

verwahrt. Obgleich das Gemälde einer dringenden<br />

Konservierung bedürfte, ist man überrascht vom stellenweise<br />

frisch wirkenden Kolorit und von der Ästhetik des Bildaufbaus.<br />

Das hohenzollerische Kunstdenkmälerwerk gab als<br />

Entstehungszeit lediglich das 18. Jahrhundert an. Dargestellt<br />

ist die Himmelfahrt Mariens, seit dem Spätbarock ein beliebtes<br />

Thema in der sakralen Kunst.<br />

Maria schwebt in Orantenhaltung über dem offenen Sarkophag.<br />

Die Mondsichel, auf der sie mit einem Fuß steht, verleiht<br />

ihr Züge des apokalyptischen Weibes. Der Sternenkranz<br />

über ihrem Haupt und die verherrlichenden Engel deuten sie<br />

aber in erster Linie als Immaculata Conceptio, das heißt als<br />

Unbefleckte Empfängnis. In typischer Weise ist die Himmelfahrt<br />

mit dem Akt der Krönung verknüpft. Von den zwölf<br />

Aposteln, die um den leeren Sarkophag gruppiert sind, werden<br />

Petrus mit dem Schlüssel, Paulus mit spitzem Bart und<br />

Johannes mit dem Buch traditionsgemäß in den Vordergrund<br />

gerückt. Direkt hinter dem Sarkophag steht in dunkler Barttracht<br />

Jakobus, der ahnungsvoll gegen den Himmel zeigt.<br />

Aus der Bildkomposition in der Form eines Andreaskreuzes,<br />

in dessen Schnittpunkt sich Maria befindet, läßt sich bei diesem<br />

Gemälde eine stärkere Abhängigkeit von Spiegier ableiten.<br />

Die auffahrende Maria ist in Haltung und Farbigkeit eine direkte<br />

Kopie oder vielleicht aufgrund der höheren Qualität<br />

38


eine Vorlage der Mariendarstellung des bereits zitierten Andachtsbildes<br />

(Sigmaringen, Heimatmuseum), das Meinrad<br />

von Au im Jahre 1746 sehr wahrscheinlich im Auftrag des<br />

Augustinerinnenklosters Inzigkofen gemalt hat. Für die Gewänder<br />

von Petrus und Johannes verwendete von Au um 1765<br />

im Deckenfresko »Maria Himmelfahrt« (Mörsingen, Pfarrkirche)<br />

dieselben Grundfarben wie im Inneringer Tafelbild.<br />

Besonders bei Johannes erkennt man ungeachtet der Verschiedenheit<br />

des Werkstoffes das übereinstimmende Lachsrot<br />

des Obergewandes und das gelbgehöhte Grün des Untergewandes.<br />

In beiden Abbildungen zeigt dieses Untergewand<br />

den einzigen deutlichen Grünton im gesamten Bildaufbau.<br />

Das Inneringer Tafelbild weist auch die übrigen Eigentümlichkeiten<br />

der Malweise von Au's auf: Die links oben plazierte<br />

verdeckte Lichtquelle, das helle Inkarnat der Maria und die<br />

im Kontrast stehende bräunliche Fleischfarbe der Assistenzfiguren,<br />

die in die Stirn ragenden Nasenwurzeln bei Johannes<br />

und Petrus, die extrem gefächerte Fingerstellung der<br />

linken Hand Petri, der filigrane Zeigegestus des Jakobus (vgl.<br />

u. a. das Deckenfresko neben der Kanzel in der Haigerlocher<br />

Schloßkirche), die Betonung der Augenlider des Johannes<br />

(vgl. die Ölskizze »Apostelspeisung« in Senden, Privatbesitz),<br />

die hohe und vorgewölbte Stirn des Petrus und Paulus<br />

oder etwa die Kopfform der Putten am rechten oberen<br />

Bildrand.<br />

Da die kräftig gefärbten Hauptfiguren sehr intensiv beleuchtet<br />

sind und dadurch starke Hell-Dunkel-Kontraste erzeugt<br />

werden, darf man eine frühe Arbeit des Malers annehmen.<br />

Der beiderseits angedeutete Architekturrahmen zeigt die Absicht<br />

des Künstlers, Raumtiefe zu erzeugen, obwohl das nur<br />

wenig gelungen ist. Immerhin legt dieser gestalterische Fortschritt<br />

den Schluß nahe, daß das Bild zeitlich nach dem Deutstetter<br />

Gemälde entstanden ist.<br />

Die Bildmaße (h 2,10 m, br 1,15 m) und die Form der erhaltenen<br />

Umrahmung kennzeichnen das Tafelbild ebenfalls als ehemaliges<br />

Altarblatt, das für die Inneringer Pfarrkirche nicht gemalt<br />

sein konnte. Außerdem war der Patroziniumswechsel der<br />

Inneringen Maria Himmelfahrt


früheren Inneringer Liebfrauenkapelle der jetzigen Kreuzkapelle,<br />

zur Entstehungszeit des Bildes bereits vollzogen.<br />

Der Hochaltar der Pfarrkirche im nahegelegenen Harthausen/Scher<br />

ist seit 1742 zu Ehren der in den Himmel aufgefahrenen<br />

Jungfrau Maria konsekriert. Nach einem Eintrag der<br />

dortigen Heiligenrechnungen vom 20. Januar 1747 wurden<br />

»Herrn Meinrad von Au, Mahler in Sigmaringen, für beide<br />

Aldar blätter in den Hoch Aldar« 70 Gulden bezahlt. Weiter<br />

ist zu lesen: »Da die Mahler das Aldar blatt gebracht, selbes<br />

aufgezogen und in den Aldar hinein gericht, Verzöhrt worden,<br />

35 Kreuzer«. Die Altarblätter mußten demnach schon<br />

im Jahre 1746 gemalt worden sein.<br />

Im Jahre 1901 wurde das große Hochaltarblatt entfernt und<br />

durch ein anderes Gemälde ersetzt. Das ursprüngliche Altarblatt<br />

ist seither verschollen. Noch vor der Jahrhundertwen-<br />

de wurde es als Werk des Sigmaringer Malers erkannt. Das<br />

durch unsachgemäße Überarbeitung stark verfälschte Auszugbild<br />

mit der Darstellung des hl. Wendelin hängt heute an<br />

der Südseite des Langhauses.<br />

Das in Inneringen aufbewahrte Tafelbild könnte durchaus<br />

mit dem ehemaligen Harthauser Hochaltarblatt identisch<br />

sein. Dafür sprächen neben dem möglichen Entstehungsjahr<br />

die Maße des Harthauser Barockretabels und die erhaltene<br />

Rahmenform des Auszugbildes. Weitere archivalische Auskünfte,<br />

die einen Zusammenhang erhärten könnten, ließen<br />

sich bislang nicht auffinden.<br />

(Interessenten können eine Kopie des Manuskripts mit zahlreichen<br />

Anmerkungen, Quellen und Literaturangaben bei der<br />

Schriftleitung anfordern - bitte 3,- DM Porto beilegen).<br />

JOSEF SCHULER<br />

Josefs-Dag im »Cive«<br />

Vorbemerkung<br />

der Schriftleitung<br />

Früher fiel der »Cive« jedem Autofahrer auf, der durch Jungingen<br />

kam, denn auf dem Dach stand mit riesengroßen<br />

Buchstaben »Cive« und kein Fremder konnte sich vorstellen,<br />

was Cive bedeutete. Vor mehr als 30 Jahren wurde das alte<br />

Haus abgebrochen. In diesem Jahr feiert der Kirchenchor von<br />

Jungingen sein 215 -jähriges Jubiläum. Dem Chor wird zu diesem<br />

Jubiläum am 19.11.<strong>1995</strong> die Zelter-Plakette und die Palestrina-Medaille<br />

verliehen. Der Autor der »Junginger Dorfgeschichten«,<br />

Josef Schuler, ist Ehrenmitglied des Junginger<br />

Kirchenchores und er schildert, wie die fünf Josefe des Kirchenchores<br />

früher im »Cive« ihren Namenstag feierten.<br />

Josefs-Dag<br />

im »Cive«<br />

»Singe, wem Gesang gegeben!«<br />

Drum bin-e mit 18 Johr au e-da Kircha-Chor eidreatte - und<br />

it weage da Mädle, wia ma vielleicht moana mecht. S hett jo<br />

schließleg sei kenna, denn seallmol hot-s nu junge Menscher<br />

gea im Chor, mo beim Heira wiedr ausgschieda sind.<br />

S isch koa leichte Zeit gsei sealmol am End dr zwanzger Johr.<br />

Am Freitegzobed no zwua Schdund Gsangbrob isch d Gurgl<br />

ausdrickned gsei, und ma hett se geann im »Hiisch« aweng<br />

aagfeichted, abr do hot dr Gealdseggl it mitdau. Also hot ma<br />

»dreimol leer gschluckt« und isch dapfer hoa-maschiert. D<br />

Mädle sind drweil Arm in Arm schdroßnuf - schdroßna flaniert<br />

und hand Volksliadr gsunga. Isch no zuafällig amol a<br />

Auto kumma, sind se ausgschweekt und schbaliergschdanda.<br />

Aber »keine Regel ohne Ausnahme!«<br />

Am odr um da Josefsdag, do isch d Prob kiezr woara, und ma<br />

hot nohear mitenand Namensdag gfeired. Mr häne nämleg<br />

under deam Dutzend Manna it weniger als feif Josef ghett: da<br />

Eibaseppl, Gummiseppl und Schneiderseppl, da Heizelmaa-<br />

Josef und da Clemens. Dear hot au Josef ghoaßa, abr ma hota<br />

no seim Vaddr gschria. Und no isch ma zum »Cive« ganga,<br />

weil dear au a Josef gsei isch.<br />

Abr iebr da »Cive« mues i zeschda no a baar Woat vrliara:<br />

Voar 1888, mo d Landschdroß ge Killer no iebr d Schitte gloffa<br />

und s Obrdoarf no a Sackgaß gsei isch, hot des Wietschäftle<br />

i-dr Kurf dinn no »Zur schönen Aussicht« ghoaßa. Dr jung<br />

Wiet Josef Bumiller hot se seallmol um a Sagg-Geald umgsea<br />

und fier en Hoagrlochr Juda Hasa-, Goaßa- und andre Felle<br />

uffkauft. Dear Jud hot Cive ghoaßa. Merked-r jabbes? Dear<br />

Nama isch bald am Wiet und a-dr Wietschaft hanga blieba<br />

und schließleg am Wietshaus-Giebl gschdanda. Ma isch in<br />

»Cive« ganga. Des isch a alte, oafache, kleine, needere, vrraichte,<br />

abr au saubere, hoammelige, gmüetlege »Boiz« gsei,<br />

dia alt und jung, reich und arm, Männlein und Weiblein aazoga<br />

hot. Am Samschdeg-Zmittag isch sogar d Prominenz -<br />

dr Vogt, Lehrer und Fabrikanta- am Schdammdisch gseatza.<br />

Fier vill Viehgässer, Schittemer und Obrdiarfr, dia nachts uff<br />

em Hoaweag gsei sind, isch des »eweg Liechtle« im »Cive«<br />

zua-ma Hindrnis woara, um des se fäschd it rumkumma sind.<br />

Dr »Kibitz« isch amol mannhaft anera vrbei kumma, no hotr<br />

no zwanzg Mättr umkehrt und zua se sealbr gsait: »Des isch<br />

en Schoppa weat!« (Im »Cive« nadierleg!) Ma hot da Wiet<br />

mega, - i sieh en heit no neabed seira Porzella-Pfeif naus<br />

schmunzla - und sei Dechterle, d »Cive-Luis«, isch a Leabe<br />

lang mit dr Wietschaft vrheired gsei, obwohl-s a Freier it<br />

gfehlt hot.<br />

Wear s eschd mol da »Cive«bsuecht hot, isch glei mittla e-d<br />

Wietschaft nei-gschdolpered. S isch nämleg vom Hof aus a<br />

diafe Schdäffel na-ganga. Zwee oafache Disch mit Schdial, a<br />

kleine Theke, a Gloadr-Reacha und a Kanona-Ofele - des<br />

40


isch de ganz Ausschdatting gsei. Dischdiecher hot ma schbara<br />

kenna, se hette beim Kata-schbiela nu ghindered. A da<br />

Feaschdr sind kleine Schbannerle ghanged, und nachts hot<br />

ma Rollo ra-zoga. Jagd-Szena druff-danna hand da Wiet als<br />

Jäger ausgwiesa. R hot also s Reacht ghett, a Jagdgwehr schbaziera<br />

z-draga. Weiter isch iebr dia Leideschaft it vill bekannt<br />

gsei. (D Reh und Hasa hand drweil Wilderer gschossa.)<br />

S Neabedzimmerle, dur a Brittrwaad a-drennt, isch dr Jugend<br />

iehra Reich gsei. A dr Waad ringsum a Schrand, zwee schmale<br />

Disch, und wenn dia bsetzt gsei sind, hots koa Durkomma<br />

maih gea. Uff ema winziga Dischle im Eck isch a Gramofo<br />

gschdanda mit a baar Blatta dabei. Dia hot dr »Cive-Paul«,<br />

Sohn des Hauses und vo Beruf Schdudent, heardau, daß-r d<br />

Jugend vrzamsa kaa, was em au glunga isch.<br />

Dr »Cive« hots it gean gsea, und de alta Schdammgäschd hand<br />

bruttled. Es mues fier dia Manna koa Vrgniega gsei sei, en<br />

Obed lang z-heira: »Und sollt isch im Leben ein Mädel mal<br />

frein, dann muß es am Rhein nur geboren sein!« Mo dear Satz<br />

au da Junga zum Hals raus ghanged isch, hand sen umtexted:<br />

»Und sollst du im Leben freien einmal, dann nimm dir ein<br />

Mädel, der Fluß ist egal!« Hot dr Schandarm amol i-dr Wietschaft<br />

davann weagem Sitzabieiba kassiert, sind Neabedzimmer-Gäschd<br />

oafach durs Feaschdr naus schdifta ganga. (Foto)<br />

Und wenn naachts a Wunderfitz hot loschora wella, was<br />

im »Cive« no botta isch, hot-r zum Vendilatr neigucked. Isch<br />

dear abr am Laufa gsei, hettesch dr leicht en billiga Rausch<br />

holla kenna. E dr Wietschaft isch normalerweise Bier vom<br />

Faß ausgscheekt woara. Abr s hot au zwua Sorta Wei aus dr<br />

Flasch gea. Wenn oar obeds no a Schinkawuscht-Veschber<br />

wella hot, isch d Luis zeschda zum Feaschdr gloffa und hot<br />

gucked, ob dr »Oite-Metzger« gega-iebr no Liacht hot. No<br />

eschd hot se d Bschdelling a-gnomma.<br />

De sanitära Vrhältnis mues i no extra schildera. Oba, neabed<br />

dr Küche, isch a Blums-Klo gsei, aune Liecht und aune Wasser.<br />

Als Ergänzeng hots i-dr privata Haus-eele hindr dr Dier<br />

a schreege, vrroschtede Bleach-Rinna gea, dia abr nu dags-iebr<br />

benutzt woara isch. Bei Naacht sind d Manna zua iehrem<br />

Gschäft en Reih und Glied naus a-d Mischde na-gschdanda.<br />

(Des isch fier des Gschiechtle wichtig.)<br />

Jetz abr zruck zua ausem Chor. S-ischd a scheener, »feuchtfröhlicher«<br />

Obed gsei. Und mo de letzschda Manna ganga<br />

sind, hots en Neabel ghett. Odr sind gar dia Herra beneabled<br />

gsei? Jedenfalls hot dr Clemens ghereg kämpfa mtiesa da<br />

Käppelesbuckel nuff. A Liacht aus em Schlofzimmer hot em<br />

schliaßleg da Weag gwiesa a sei Bett. D Anges, sei A-getraute,<br />

wachd no und erfaßt d Situazio mit oam Blick. Eisiges<br />

Schweiga! Se hot grad iebrschlaga, was fier en scheena Sunntegs-Brota<br />

dear Rausch gea hett, und des mached se it gschbrächeger.<br />

Am andra Marga isch se ällrdings umso lauter. Se<br />

hebt em Josef sein schene, bloa Kittl undr d Nas na, und dia<br />

schmeckt nadierleg glei, was bodda isch. Dr Kittl-Buckl isch<br />

nämleg dodal vrkotzed und schdingt zum Himmel. Dr Josef<br />

vrbricht se da Kopf, mo-nera doch sowiaso jedes oazelne<br />

Hoor waih duet. Wenn dia Sauerei wenigschdens vanna dann<br />

wär, no wär alles klar! R hot jo it wissa kenna, daß dia Schealte<br />

eigentleg em Heinzelmaa gealta sott. Dear isch nämleg a-<br />

dr Cive-Mischde i-dr zweita Roih, sozuesaga en Warteschdelling,<br />

gschdanda, und dobei hots-en »übermannt«.<br />

Ibrigens isch a-dr gleicha Schdell - as »Cives« Mischde - fufzg<br />

Johr voarher no a »anrüchigere« Sach bassiert, wia dr Atte<br />

villmol vrzehlt hot.<br />

Domols, voar hundrt Johr, isch d Jugend au it vill andrsch gsei<br />

wia heitzuadag. Abr wenn se heit iehre iebrschissige Kraft<br />

beim Fueßball, beim Tennis odr uff hundrt andre Arta Iausweara<br />

ka, hand se seallmol mitenand grauft, daß Featze gfloga<br />

sind. Wenn dabei abr Bluet gflossa isch, no sind se uff em<br />

Königlich Preußischen Amtsgericht z Hechinga dunn augmüetleg<br />

woara. No hand se da oana odr andra Sündr fier vier<br />

odr segs Wocha »in Erholung« gschickt, bei freier Koschd<br />

und Loschie. Isch nohear besser gsei? No hot so a Kerle it nu<br />

en Bick uff da Neabedbuhler ghet, dear em s Mensch ausgschbanned<br />

hot. Jetz isch no a Wuet uff d Obrigkeit dazuakomma,<br />

dia en eigschberrt hot. (Zua Aureacht nadierleg). Am<br />

Sunnteg isch ällamol a Schandarm vo Hechinga ruff-komma,<br />

dear hot müesa no em Reachta sea. Seallmol hots no koa<br />

Neonliacht uff da Schdroßa gea, da ma hett Zeiting leasa kenna.<br />

E da Gassa ischs zeitweileg kuahnaacht gsei.<br />

Und e sora Naacht ischs no bassiert: Da Schandarm - uff em<br />

Kontrollgang zum »Cive« - hand pletzleg segs, ächt kräftege<br />

Jungmanna-Arm umschlunga und - blumps! - es »Cives«<br />

Mischdlachaloch nei-kheit. Husch - hot d Naacht da ganza<br />

Schpuck vrschluckt. Do leit-r also, der Repräsentant des Königs<br />

von Preußen, bis zum Hals e-dr Mischdlacha und hot<br />

Müah, do wiedr raus-z-komma. No mues-r e deam Zuaschdand<br />

- da Tschako hot-r vrlaura - ge Hechinga na maschiara<br />

und voar sei Weib nadreatta und, was no schlimmer isch, seim<br />

Voargesetzta Melding macha. »Landfriedensbruch« schreibt<br />

s Wochablättle e graoßa Leattera. Hechinga tobed, s Ländle<br />

lached. Däglang weand de Vrdächtega vrheirdt, abr dia sind<br />

zuer Tatzeit schau lang em Bett gsei, wia ses fier brave Bürger<br />

gheirt, und ieberhaupt, so jabbes duet ma it und a Junginger<br />

schau gar it! Abr dr Schdaatsanwalt mues a »Exempel<br />

statuieren«. Also hot-r iebr s ganz Oat a Vieteljohr Ausgangsschberre<br />

vrhängt. Des hoaßt, ab obeds um zehne deaff<br />

neamed maih uff dr Schtroß sei. Drei Schandarma mit uffpflanzta<br />

Seitagwehr sind Schtreife gloffa und hand des Vrbot<br />

iebrwacht.<br />

Doch jetz wiedr en graußa Schbrung zum Josefsdag im »Cive«.<br />

Dear Obed isch wia a Abschied gsei. S Johr 1933 isch<br />

kumma, und nohear hot dr Kirchachor nunz maih zum Lacha<br />

gkett. S hot fäschd a-weng Bekennermuet braucht, e dr Kirch<br />

zua singa, und it jedr hot dea ghett. Zua ma Besinnungstag<br />

hot ma 1935 a Genehmigeng vom Landratsamt braucht. Des<br />

hot gschrieba: »Nach Mitteilung der Geheimen Staatspolizei<br />

werden gegen die rein religiöse Veranstaltung Einwendungen<br />

nicht erhoben. Da die unter Ziffer 8 der Einladung vorgesehene<br />

Pflege einer gemütlichen Stimmung durch weltliche<br />

Lieder über das natürliche und bestimmungsgemäße Betätigungsgebiet<br />

der Kirchenchöre hinausgeht, wird gebeten, das<br />

Zusammensein zum Vesper ohne Gesang stattfinden zu lassen.«<br />

Heit sind dia alta Gschichta schau lang vrgeassa. Vrgeassa<br />

fäschd s »Dausedjährige Reich«, mo doch so vill Auheil<br />

brocht hot. Dr »Cive« isch 1962 dr Schbitzhacka zum Opfer<br />

gfalla. Heit schdoht a seira Schdell a moderns Gschäftshaus.<br />

(Killertalstraße 27) Nu dr Kirchenchor singt schener als amol.<br />

Dabei sind nadierleg au wiedr a baar Seppl, halt andre wia<br />

seallmol. Abr Mädle singed koanne maih uff dr Schdroß rum.<br />

Des wär erschdens z-gfährleg. Zweitens geand jetz vrheirede<br />

Weiber da Too a. Und drittens kehrt ma no dr Prob heit ei,<br />

des gheirt zum feschda Programm. Neamed vrsauft maih da<br />

Sunntegsbrotaund iebrhaupt: Kameradschaftspflege schdoht<br />

e da Schdaduta - und dia mues ma eihalta!<br />

P ¿BA WlMÄJiUI<br />

_K. "\T l« *<br />

SIGMARINGEN TIL<br />

«»^hf^ )|b Thorbecke<br />

196 S. mit 229 Abb., davon<br />

28 farbig • 21 x 20 cm • Leinen<br />

ISBN 3-7995-3430-X<br />

Subskriptionspreis<br />

bis 31. 12. <strong>1995</strong><br />

(danach DM 48.-)<br />

Tff<br />

J~7.—<br />

41


WALTER KEMPE UND HERMANN FRANK<br />

Aus der Geschichte Lausheims, Teil 1<br />

Der Ort<br />

Lausheim ist ein kleiner Flecken mit 70 Einwohnern, der nach<br />

wie vor von landwirtschaftlichen Betrieben geprägt wird. Eine<br />

Tierklinik hat kürzlich ihre Pforten geöffnet. Manche Bewohner<br />

gehen heute ihrem Lebensunterhalt außerhalb des<br />

Orts nach.<br />

Lausheim liegt westlich von Magenbuch in Richtung Mottschieß,<br />

auf und an zwei kleinen Hügeln, zwischen denen sich<br />

quellenreiche Wiesen hinziehen.<br />

Im Norden liegt der Lausheimer Weiher, angelehnt an die<br />

Waldungen des Störenbergs. Uber den Staudamm führt die<br />

Straße nach Levertsweiler.<br />

Nicht zu verwechseln ist unser Lausheim mit einem alten<br />

Pfarrdorf gleichen Namens bei Stühlingen, das im ehemaligen<br />

badischen Seekreis, heute Landkreis Waldshut, liegt.<br />

Die verwaltungsmäßige<br />

Gliederung<br />

Lausheim ist mit dem Schicksal Magenbuchs und des früheren<br />

Amtes Ostrach bereits seit dem 13. Jahrhundert verbunden,<br />

so gehörte es auch im Laufe der nächsten Jahrhunderte<br />

zu den 4 Stammdörfern des salemischen Amtes Ostrach.<br />

Ostrach, Levertsweiler, Lausheim und Magenbuch. Die Gemeindeverfassung<br />

von 1838 besagt: »Die beiden Orte Magenbuch<br />

und Lausheim bilden eine Gemeinde ..., aber beide<br />

Orte sind in Beziehung auf Trieb, Weg und Steg, auf Gemeinschaftsnutzen<br />

und Bürgerrecht vollkommen getrennt<br />

und bilden sofern zwei verschiedene Markungen«.<br />

Im Amtsblatt der preußischen Regierung in Sigmaringen vom<br />

13. Juni 1936 lesen wir dann, daß gemäß der neuen Deutschen<br />

Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (sie bedeutete das<br />

Ende der demokratischen kommunalen Selbstverwaltung)<br />

die frühere Teilgemeinde Lausheim als Ortsteil der Gemeinde<br />

Magenbuch eingemeindet wurde, jedoch ihren bisherigen<br />

Namen weiterzuführen habe.<br />

Seit der Gemeindereform von 1975 ist Lausheim ein Wohnbezirk<br />

des Teilorts Magenbuch der Gesamtgemeinde<br />

Ostrach, Landkreis Sigmaringen.<br />

Der Namen<br />

Michel Buck gibt folgende Wortdeutung:<br />

1. Ein Lausgütlein ist soviel wie der kleinste Bruchteil eines<br />

zerteilten Hofes.<br />

2. Laus, mittelhochdeutsch Lüs, aber Lüz, Lüze kann soviel<br />

wie Versteck oder Schlupfwinkel für Wild oder Jäger, aber<br />

auch Hinterhalt bedeuten (die auch heute noch »quasi versteckte«<br />

Lage von Lausheim könnte sehr wohl dafür sprechen).<br />

3. Lussen waren auch Allmendteile (Gemeinschaftsanteile),<br />

die ursprünglich nach dem Los an die Dorfgenossen verteilt<br />

wurden.<br />

Die<br />

Schreibweise<br />

1259 Luzhain, 1266 Luzhaim, 1274 Lüzhain, 1324 Lushain,<br />

1399 Lusshain, 1494 Luhshain, 1514 Lushaym, 1593 und 1700<br />

Laußen, 1734 Lausheimb, später nur noch Lausheim.<br />

Die Chronisten<br />

Im Zusammenhang mit der Geschichte von Magenbuch bzw.<br />

Ostrach, haben sich mit Lausheim u. a. 1845 Eugen Schnell,<br />

um 1870 Pfarrer Melchior Keller von Magenbuch und um<br />

1881 der Magenbucher Lehrer Leo Frank befaßt. Einige geschichtliche<br />

Kenntnisse über Lausheim verdanken wir auch<br />

K. H. Zingeler, Pater Benedikt Hänggi und Pfarrer Friedrich<br />

Eisele.<br />

Die urkundliche Zeit<br />

Sigifrid, Sohn des Wolverad, Edler von Weiler, war Besitzer<br />

eines Gutes bei Magenbuch, das er zur Zeit des Bischofs Otto<br />

I. von Konstanz (1071-1086) dem Kloster Petershausen bei<br />

Konstanz schenkte. Die Familie war auch in der Gegend von<br />

Burgweiler begütert. Etwa 200 Jahre nach dieser ersten urkundlichen<br />

Erwähnung von Magenbuch in der Chronik des<br />

Klosters Petershausen, tritt im Jahre 1274 ein Abt dieses Klosters<br />

zusammen mit Manegold, Graf von Nellenburg, als Lehensherr<br />

von Gütern in und um Magenbuch auf. Diese Güter<br />

hatte der Ritter Friedrich von Magenbuch im Tausch dem<br />

Kloster Salem übereignet, zu Pfullendorf und auf offener<br />

Straße, wie damals üblich.<br />

In dem Vertrag von 1274 werden sowohl Güter- als auch<br />

Flurnamen aufgeführt. Es heißt dann weiter: » seien es<br />

nun Acker, Wiesen, Weiden, Hofräume, gebaute und ungebaute<br />

Felder, Gehölze, Gebüsche, Wege und unwegsame<br />

Plätze, Fußpfade, Wasser und Wasserleitungen nebst allen<br />

Rechten.«<br />

Bei der Aufzählung der Güter wird Lausheim im Anschluß<br />

an Raigers Gut genannt. Es ist nicht auszuschließen, daß es<br />

sich um das oben erwähnte Gut des Sigifrid von Weiler handelte,<br />

das er um 1071 dem Kloster Petershausen übertragen<br />

hatte.<br />

Der Tausch von 1274 dürfte für das Kloster Salem bei der Abrundung<br />

seiner Besitzungen in dieser Gegend von besonderer<br />

Bedeutung gewesen sein. Schon 1259 begann diese, als die<br />

Gebrüder Conradus und Hernestus, genannt Wels, ihren Besitz<br />

in Lausheim an das Kloster Salem gaben.<br />

Vier Jahre nach dem Pfullendorfer Vertrag von 1274 traten<br />

dann die Rosnaer Verwandten der Herren von Magenbuch<br />

in Lausheim in Erscheinung. Es waren die Gebrüder Burkard,<br />

Ebo und Rüdiger von Rosenow (Rosna), die als Vögte<br />

der Geschwister Heinrich, Conrad und Diemout Linder obrigkeitliche<br />

Rechte über deren Besitz Lindersgut in Lausheim<br />

ausübten. Als Käufer des Gutes mit allem Zubehör wird wieder<br />

das Kloster Salem genannt. Der Vertrag wurde diesmal<br />

in Mengen abgeschlossen (siehe Urkunde von 1278 auf Seite<br />

1, Abb. 1). Dabei lernen wir auch weitere Verwandte der Herren<br />

von Rosna und der Familie Linder kennen. Außer dem<br />

Vertreter der Kurie in Konstanz siegelte Heinrich von Anamaechingen<br />

(Emerkingen bei Ehingen/Donau). Die Gebrüder<br />

von Rosenow waren Söhne seiner Schwester. Auch Gerung,<br />

Plebanus von Thalhain - wohl Thalhain unter Rosna<br />

gelegen - bedurfte, wegen erblicher Rechte, der Zustimmung<br />

zum Verkauf. Von Seiten der Familie Linder werden u. a. vorgestellt:<br />

Uolric, genannt Durner, seine Söhne und seine<br />

Schwester Judenta.<br />

Wie bei den Kaufverträgen von 1279 und 1288 auf dem nicht<br />

weit von Ostrach liegenden Arnoldsberg (Schlößlehof),<br />

bleibt auch hier die Frage offen, ob die Grundstücke, die 1259,<br />

1274 und 1278 an Salem fielen, zu einem Gut oder zu verschiedenen<br />

Höfen in Lausheim gehörten.<br />

42


Versteckt im Schatten der großen Höfe, die Lausheimer Kapelle St. Rupertus.<br />

Foto: Dr. Hermann Frank<br />

Ähnlich wie in Bachhaupten errichtete Salem dann in Lausheim<br />

einen Wirtschaftshof, auch Grangie genannt.<br />

Nach Einverleibung der Kirchenpfründe von Ostrach und<br />

Burgweiler durch das Kloster Salem, wurde es 1324 notwendig,<br />

die im Bereich der Grafschaft bzw. Herrschaft Sigmaringen<br />

liegenden wertvollen Salemer Besitzungen abzusichern.<br />

So übernahm damals der Sigmaringer Vogt Ulrich<br />

Mürli die Schirmherrschaft und damit auch den militärischen<br />

Schutz.<br />

Auffallend ist in dem Schirmbrief vom 10. November 1324<br />

die Reihenfolge der Schutzobjekte: das ist Lausheim ihr Hof,<br />

Ostrach, Burgweiler, Magenbuch, Levertsweiler, Spöck und<br />

Wangen.<br />

Die Stellung Lausheims dürfte somit schon vor diesem Vertrag<br />

von Bedeutung gewesen sein. Es ist daher nicht verwunderlich,<br />

daß bereits im Jahr 1294 Ritter Ulrich von Königsegg<br />

und sein Sohn im salemischen Lausheim erscheinen,<br />

um ihre Burg Leiterberg den Vertretern des Klosters Salem<br />

käuflich zu übertragen. Auch einen Magister in Lausheim finden<br />

wir 1297 bei einer Beurkundung, wohl als autorisierten<br />

Vertreter des Klosters Salem: Bruder E. aus Riedlingen.<br />

Die Entwicklung der Güter in Lausheim<br />

1324 gab es in Lausheim »Salem ihr Hof« als Grangie. Eisele<br />

nennt ihn Maierhof.<br />

1465 finden wir dann im Urbar der salemischen Pfleg Pfullendorf,<br />

zu der das Amt Ostrach gehörte, unter Lausheim einen<br />

Oberhof.mit zwei Häusern und einen Unterhof Sie wurden<br />

von zwei Bauern odern Maiern geführt.<br />

I. Im salemischen Oberhof Wirkte Hans Geiger. Bis 1617 läßt<br />

sich der Familienname nachweisen. Im gleichen Jahr wohnte<br />

hier dann Johannes Bernhardt. Etwa hundert Jahre später,<br />

1715, lesen wir im Lehensbrief des Abtes Stephan von Salem,<br />

ausgestellt für den oberen Hof, daß er wieder einem Johannes<br />

Bernhardt verliehen wurde. Er hatte ein 6-käriges (teiliges)<br />

Wohnhaus und eine 3-kärige Scheuer zur Verfügung.<br />

Sein Hof grenzte im Osten und im Süden an den Unterhof.<br />

Nach Unterlagen von 1763 war der Oberhof mit 174 Morgen<br />

etwa gleich groß wie der Unterhof.<br />

Als nach dem Ende der Herrschaft des Reichsstiftes Salem im<br />

Jahre 1803 die Lehensträger dem neuen Landes- und Lehensherren,<br />

dem Fürsten von Thum und Taxis, feierlich huldigten,<br />

wird als Inhaber dieses Lausheimer Gutes Oberhof<br />

Anton Bernhard genannt.<br />

Auch nach Ubergabe der Landesherrschaft an den Fürsten<br />

von Hohenzollern-Sigmaringen im Jahre 1806, blieb Thum<br />

und Taxis hier Lehensherr als Standesherrschaft bis zur Ablösung<br />

der Lehen und Uberführung in Privatbesitz Mitte des<br />

19. Jahrhunderts.<br />

In den zuständigen Urbarien und Grundsteuer-Katastern<br />

läßt sich der Name Bernhardt auf dem Hof bis 1869 nachweisen.<br />

Ab 1846 erhielt er die Nr. 46. Aus dieser Familie<br />

stammte Konrad Bernhardt, ein Sohn des Franz Joseph Bernhardt.<br />

Er feierte am 17. Juni 1798 seine Primiz vor der Mühle<br />

in Magenbuch. Auf der Mühlebrücke war ein Altar aufgerichtet.<br />

Konrad Bernhardt war von 1802 bis zu seinem Tode<br />

1806 Pfarrer von Tafertsweiler. Sein Bruder Johann Ernst<br />

Bernhardt war Laienbruder im Kloster Salem. Er starb 1810<br />

bei einem anderen Bruder, dem Martin Bernhardt, Adlerwirt<br />

in Hausen a. A.<br />

Karl Bühler vom Altschiatterhof, Pfarrei Emmingen bei Engen,<br />

heiratete dann eine Tochter der Familie Bernhardt und<br />

erhielt das Gut. Schließlich kam 1887 Alois Senn aus<br />

Schwäbiishausen. Nach seiner Heirat mit Theresia Bühler<br />

übernahm er den Hof. Das Anwesen brannte am 10. August<br />

1949 ab. Familie Senn ist jetzt auf den Höfen Nr. 111 und 125<br />

(heute Nr. 14 und 10) zu finden.<br />

II. Auf dem ebenfalls 1465 erwähnten Unterhof. finden wir<br />

1519 Hans Grad. 1534 übergab Hans Grad der Alt an Hans<br />

Rechlin (Reichlin, Reichle), der eine M. Störin heiratete.<br />

Bis 1702 erscheint weiterhin der Familienname Rechlin bei<br />

43


den Lehensträgern des Gutes. In diesem Jahr starb Martin<br />

Rechlin, Karl Knäpple aus Einhart heiratete seine Witwe und<br />

übernahm das Gut.<br />

1715 stand hier ein 5-käriges Wohnhaus sowie eine 4-kärige<br />

Scheuer mit Ofenhaus, Speicher und Schweinestall.<br />

Bei der Übernahme der Herrschaft durch den Fürsten von<br />

Thum und Taxis im Jahre 1803 war bei der Huldigung Adrian<br />

Knäpple vom Lausheimer Unterhof vertreten. Im<br />

Primär-Kataster von Lausheim wird der Hof 1846 unter Nr.<br />

43 geführt (heute Nr. 52). Besitzrechte hatte Pankraz Knäpple.<br />

Der Name Knäpple ist bis zum heutigen Tag mit diesem<br />

Hof verbunden, bei dem wohl seit dem 12. Jahrhundert die<br />

romanische Lausheimer Kapelle steht.<br />

Die Scheuern der beiden Höfe standen südlich der Straße.<br />

Der Oberhof hatte um 1846 die Scheuer Nr. 47, der Unterhof<br />

die Scheuer Nr. 44. Bei Teilungen entstanden hier selbständige<br />

Höfe.<br />

III. 1887 erbaute Franz Xaver Bühler westlich der alten<br />

Scheuer an der Straßenbiegung ein neues Wohnhaus mit der<br />

Gebäude Nr. 47 (heute Nr. 63). Bühler heiratete damals Klothilde<br />

Böhm und erhielt die Hälfte von Karl Bühlers Bernhardt'schen<br />

Oberhof (90 Morgen). Die alte Scheuer Nr. 47<br />

brannte 1890 ab und wurde durch eine neue neben dem<br />

Wohnhaus ersetzt (Nr. 47 c). Lorenz Kohler aus Buchheim<br />

kaufte 1903 das Anwesen, das 1924 zwischen Johann und Otto<br />

Kohler nochmals geteilt wurde.<br />

IV. Die Scheuer des Unterhofes, Nr. 44, die damals Pankraz<br />

Knäpples Witwe gehörte, erhielt Melchior Andelfinger um<br />

1851. Er heiratete Karoline Knäpple und baute hier ein<br />

Wohnhaus. Seine Felder bekam er vom Knäpple'schen Hof.<br />

1903 übernahm Anton Riegger aus Moos bei Hattenweiler.<br />

Er mußte den damals abgebrannten Hof neu errichten. Ab<br />

1921 saß dann Anton Steinhart aus Hettingen nach Einheirat<br />

auf diesem Anwesen, das heute noch im Besitz der Familie<br />

ist.<br />

V. Östlich des Knäpple'schen Unterhofes entstand jenseits<br />

der Straße nach Levertsweiler um 1849 ein weiterer Hof, als<br />

Pankratius Knäpple jr. Katharina Fetscher heiratete. Es war<br />

nun Haus Nr. 77, heute Nr. 11. Er erhielt so, wie Melchior<br />

Andelfinger beim Hof Nr. 44, Felder vom Knäpple'schen<br />

Gut.<br />

Durch Einheirat kam um 1897 Joseph Schmid aus Friedberg<br />

in den Besitz des Anwesens, das heute noch der Familie<br />

gehört.<br />

Aus dem Oberhof sind somit später die verschiedenen Höfe<br />

der Familien Senn und Kohler, aus dem Unterhof die Höfe<br />

der Familien Knäpple, Steinhart und Schmid hervorgegangen.<br />

VI. Das Reichsstift Salem führte laut Urbar Nr. 7 von 1705<br />

und laut den Lehensbriefen von 1715 außerdem Oberhof des<br />

Johannes Bernhardt, damals »Gambs«, später »Haas« genannt,<br />

und dem Unterhof des Karl Knäpple, damals »Haas«<br />

später »Gambs« genannt, noch einen dritten Lehenshof Er<br />

wurde 1705 und 1715 Johannes Keller verliehen. Name »Otter«.<br />

Es ist nicht auszuschließen, daß der als 3. Bürger in Lausheim<br />

1593 und 1617 erwähnte Michael Groß auf diesem Hof<br />

angesiedelt war.<br />

Nach dem Ostracher Urbar Nr. 15 mit einer Güterbeschreibung<br />

von Magenbuch und Lausheim aus dem 18. Jahrhundert,<br />

wurde das Lausheimer Lehensgut »Otter«geteilt:<br />

Sebastian Bernhardt hatte einen Hof und ein Gut »1/2 Otter«,<br />

Salemer Eigentum, laut Protokoll auf seinen Leib verliehen,<br />

Marx Bernhardt ein 4-käriges Haus und Garten »1/2<br />

Otter«, das damals auf Parzelle 306 stand. Ob die Gebäude<br />

des noch ungeteilten Gutes »Otter« dem Sebastian Bernhardt<br />

bei der Teilung verblieben sind oder an anderer Stelle standen,<br />

geht aus den verfügbaren Unterlagen nicht hervor.<br />

Auf dem ersten Gut »1/2 Otter«, später Haus Nr. 53, heute<br />

Nr. 26, saß dann Konrad Binder, der Anna Bernhardin (Bernhardt)<br />

heiratete. 1867 ging durch Heirat der Hof Binder auf<br />

Johann Kugler aus Rosna über. 1870 werden hier Joseph Ott,<br />

dann Otto Ott und Maria Ott genannt. Heute wohnt hier Alfons<br />

Andelfinger. Er kam aus dem Futtererhof Nr. 54.<br />

Der zweite Hof »1/2 Otter« war das späterere Haus Nr. 58,<br />

heute Nr. 38. Es lebten hier zunächst Söldner (auch Seidner<br />

genannt), wie auch auf dem gegenüberliegenden Hof Tiger<br />

Haus Nr. 56 (heute Nr. 37).<br />

1736 wohnte in diesem 2. Hof »1/2 Otter« der Weber Josephus<br />

Möhrle aus Mettenbuch, 1759 der Webergesell Franz<br />

Gmeiner aus Krauchenwies und 1763 Joseph Handgrad aus<br />

Rosna. Sie hatten hier eingeheiratet.<br />

Als 1747 Salem keine Felder mehr selbst bestellte, überließ<br />

man den Söldnern Acker und Wiesen zur Benutzung. Sie hatten<br />

dafür bis zur Auflösung des Klosterstaates 1803 besondere<br />

Dienstleistungen zu erbringen. Es waren hiernach keine<br />

reinen Taglöhner, oft aber Handwerker.<br />

Bei der Neuverteilung der Schupflehen (Lehen auf Zeit) in<br />

Lausheim an die drei Söldner Biesenberger, Handgrad und<br />

Matthä Möhrle, erhielt 1803 auch Joseph Handgrads Witwe<br />

die Felder für ihren Hof zugeteilt. Ihr Sohn Balthasar wird<br />

1824 Wirt genannt. 1846 war dem Gehöft Nr. 58 eine Branntweinbrennerei<br />

angeschlossen. Sie war in dem hinter dem<br />

Wohnhaus gelegenen »Brennhäusle« untergebracht. Später<br />

braute hier der Gastwirt Striegel sein Weißbier. Erst in jüngster<br />

Zeit wurde es abgerissen. 1938 heiratete Joseph Nusser<br />

Maria Striegel. Sie betrieben die Gastwirtschaft zur Traube<br />

weiter. Heute befindet sich auf dem Anwesen die Praxis und<br />

Tierklinik von Dr. Kummerer, seine Frau ist eine geborene<br />

Nusser.<br />

Als gastliches Haus finden wir heute in Lausheim das Cafe<br />

Seestüble der Familie Joseph Kohler.<br />

1753 setzte das Reichsstift Salem als neuen Klee- und Wasenmeister<br />

Ignaz Ritter, Sohn des Altshausener Scharfrichters,<br />

ein. Ihm fiel die Entsorgung verendeter Tiere zu. Gleichzeitig<br />

war er zuständig für den Vollzug der Todesstrafe. Seine<br />

Wohnung nahm er in Lausheim auf dem Gütle »Wildschwein«,<br />

später Haus Nr. 52, heute Nr. 23/25. 1784 finden<br />

wir hier den Kleemeister Joseph Sorg. Sein Sohn Johannes besaß<br />

1846 das Haus. Er war der letzte Scharfrichter in Hohenzollern.<br />

1872 zog ein weiterer Joseph Sorg hier ein, der<br />

Waldschütz war und aus Magenbuch stammte. 1901 heiratete<br />

der Forstwart Jakob Dangel aus Betzenweiler am Bussen<br />

Mathilde Sorg, die Tochter des Waldschütz.<br />

Ein Jäger hatte 1569 in Lausheim einen Sitz auf der Schafswiese.<br />

Georg Kugler von Tafertsweiler bekam damals das<br />

Häusle uff der Schafswies. Er durfte hier ohne Erlaubnis weder<br />

Vieh noch Schafe, Schweine oder Hennen halten. 1803 erfahren<br />

wir, daß des Jägers Gütle schon vor langer Zeit von<br />

der Schafswies genommen wurde und das zugehörige Ackerfeld<br />

mit Wiese dem Jäger in Magenbuch zur Benutzung überlassen<br />

wurde. Die Flurbezeichnung »Schafwiese« besteht<br />

heute noch, nordwestlich von Lausheim.<br />

Das Haus Nr. 60 im mittleren Teil von Lausheim, heute Nr.<br />

31, wurde 1816, durch Konrad Riebsam errichtet. 1839 finden<br />

wir hier den Schuhmacher Andreas Riebsam. 1851 besitzt<br />

Fidel Riebsam das Haus Nr. 60, 1903 die Familie des<br />

Schneiders Bachmor. 1937 wohnt die Familie Irmler in diesem<br />

Haus, heute die Familie Holzer.<br />

Es sei hier noch das Haus Nr. 96, heute Nr. 24 erwähnt, das<br />

44


nach 1869 Johann Kugler, 1924 Hermann Rauch, 1928 Anton<br />

Rauch gehörte und heute von der Familie Sturm bewohnt<br />

wird.<br />

Die wehrhaften Männer Lausheims<br />

Die Bürger der kleinen Siedlung Lausheim mußten, neben<br />

ihren Abgabe- und Frohnpflichten, wenn es erforderlich war,<br />

auch ihre Wehrfähigkeit von der Obrigkeit kontrollieren lassen.<br />

Das war schon so zu Zeiten des Reichsstifts Salem, nachdem<br />

der Klosterstaat 1611 die Landesherrschaft über sein Amt<br />

Ostrach von den Grafen von Hohenzollern-Sigmaringen<br />

zunächst pfandweise erhielt. Wie wir aus früheren Ausführungen<br />

dieser Serie wissen, übernahm Abt Thomas I.<br />

Wunn, der Bauernsohn aus Grasbeuren, im Jahre 1615 die<br />

Regierung des Klosterstaates. Er ließ u. a. die Untertanen,<br />

Hintersassen, lehens- und leibeigenen Leute des Amtes<br />

Ostrach zur sogenannten Huldigung zum Amtshaus nach<br />

Ostrach kommen. Die Huldigung war mit einer Vereidigung<br />

verbunden:... mit handgegebner Treu und Erstattung eines<br />

leiblichen Eids mit aufgehobenen Fingern.« Am 6. Juli 1615,<br />

7.00 Uhr, fanden sich auch die zum Amt Ostrach gehörigen<br />

wehrhaften Untertanen aus Lausheim ein. »Nach offenem<br />

Trommelstreich, mit ihren auferlegten Uber- und Seitengewehren«<br />

waren sie vor dem Amtshaus angetreten. Nach der<br />

feierlichen Handlung und Besichtigung der Wehr wurde eine<br />

Musterung in der Ostracher Zehntscheuer durch die salemischen<br />

Beamten vorgenommen. Was an Ubergewehren<br />

fehlte, wurde ergänzt.<br />

Ahnlich dürfte es 1685, nach dem Dreißigjährigen Krieg, bei<br />

der Amtsübernahme des salemischen Abts Emanuel Sulger<br />

zugegangen sein. Hier waren neben anderen Lausheimern<br />

und ihren ledigen Söhnen von den genannten Höfen Johann<br />

Bernhardt und Martin Rechlin vertreten.<br />

Als der Fürst von Thum und Taxis 1803 die Regierung übernahm,<br />

finden wir bei der Huldigung, wie bereits erwähnt, Anton<br />

Bernhardt und Adrian Knäpple.<br />

Zum Kampf mit der Waffe wurden der Lausheimer Bürger<br />

Andreas Riebsam und der Vorfahr des Schneiders Bachmor,<br />

Friedrich Bachmor, unter der Landesherrschaft Hohenzollerns<br />

nach 1806, verpflichtet. Sie gehörten der Nassauischen<br />

Brigade an, die zwischen 1809 und 1813 auf Seiten Napoleons<br />

in Spanien eingesetzt wurde. Später, 1838, erhielten sie von<br />

der Fürstlich Hohenzollerischen Regierung in Sigmaringen<br />

noch ausstehenden Sold nachbezahlt.<br />

Immer wieder, wenn es nun zu kriegerischen Handlungen<br />

kam, in die das Land einbezogen war, mußten Lausheimer<br />

Bürger, ob nah oder fern ihrer Heimat, mitziehen bis in die<br />

Zeit der großen Weltkriege dieses Jahrhunderts.<br />

(Teil 2 folgt im nächsten Heft)<br />

45


HERBERT RÄDLE<br />

Zu einer Sebastiansfigur in Oberschmeien - Frage nach der Herkunft<br />

In der St.-Georgs-Kirche in Oberschmeien befindet sich an<br />

der Nördlichen Langhauswand eine frühbarocke Sebastians-<br />

Figur (Abb. 1). Ihre hohe künstlerische Qualität läßt daran<br />

zweifeln, daß sie ursprünglich für die relativ bescheidene<br />

Oberschmeier Kirche geschaffen wurde. Eher wird sie aus<br />

der Kirche des ehemaligen Franziskanerinnenklosters Laiz<br />

stammen, die seit der Säkularisation Laizer Pfarrkirche ist.<br />

Und Oberschmeien war lange Zeit Filiale von Laiz (vgl.<br />

Genzmer, wie Anm. 1, S. 264).<br />

Der Bildhauer der Figur ist unbekannt. Genzmer datiert die<br />

Figur pauschal auf Mitte 17. Jh., Hermann (wie Anm. 1) nennt<br />

die Zeit zwischen 1615 und 1620 für ihre Entstehung.<br />

Dieser Sebastiansfigur soll im folgenden eine Johannes-Evangelista-Figur<br />

gegenübergestellt werden, die sich in Ellwangen<br />

befindet und die auffallende stilistische Ähnlichkeiten<br />

aufweist (Abb. 2). Die Ellwanger Figur ist datiert 1627, ihr<br />

Bildhauer ist ebenfalls unbekannt.<br />

Abb. 1: Hl. Sebastian in Sigmaringen-Oberschmeien. Lindenholz,<br />

vollrund, neuere Fassung, H. 67,5 cm, B. 30 cm, T. 16 cm. Unbekannter<br />

Bildhauer, 1615/20. Bildnachweis wie Anm. 1, S. 175<br />

Abb. 2: Hl. Johannes Evangelista, ursprünglicher Standort Schloßkapelle<br />

Ellwangen; heute Staatliches Liegenschaftsamt Ellwangen.<br />

Linden(?)holz, alte Fassung, H. 112 cm, B. 55 cm, T. 40 cm. Unbekannter<br />

süddeutscher Bildhauer, dat. 1627. Bildnachweis: V. Himmelein,<br />

in: Die Renaissance, wie Anm. 1, S. 566<br />

Vergleich der beiden ungefähr gleichzeitig entstandenen<br />

Figuren<br />

Die Figuren lassen sich etwa folgendermaßen beschreiben:<br />

Bei beiden Darstellungen handelt es sich um jugendliche<br />

Männergestalten. Beide stehen mit leicht vorgestelltem linkem<br />

»Spielbein« relativ aufrecht da. Auch in der Gewandung<br />

findet man noch wenig barocke Bewegtheit, die Gewandgestaltung<br />

wirkt eher noch spätgotisch. Ein gewisses barockes<br />

Pathos drückt sich - abgesehen von den Händen - lediglich<br />

in der Haltung der Köpfe aus. Beide Figuren haben volles,<br />

lockiges Haar und ein volles, weich-sinnliches Gesicht.<br />

46


Die Frage, ob beide Statuen auf dieselbe Herkunft (Bildhauer,<br />

Werkstatt) zurückgehen, sei zur Diskussion gestellt.<br />

Es ist bekannt, daß zwischen dem Franziskanerinnenkloster<br />

Laiz und dem Stift Ellwangen um 1600 insofern eine Verbindung<br />

bestand, als der Ellwanger Fürstpropst und Herr zu Ellwangen<br />

Wolfgang von Hausen (dort 1584-1602; dann<br />

1602-1613 Bischof von Regensburg) für seine Schwester Barbara<br />

von Hausen, Franziskanerin (Priorin?) in Laiz, um 1600<br />

das schöne Epitaph gestiftet hat, das noch heute in der Laizer<br />

(Pfarr-)Kirche zu sehen ist. Dieses Epitaph gilt als Werk von<br />

Hans Dürner aus Biberach, jenem Bildhauer also, der 1613 in<br />

Ellwangen starb, wo er noch kurz vor seinem Tode die Figuren<br />

für den Hochaltar der St.-Vitus-Kirche fertiggestellt hatte<br />

(heute ebendort im nördlichen Querschiff aufgestellt.<br />

Der Name Hans Dürner verbürgt also eine Verbindung zwischen<br />

Ellwangen und Laiz. Im Falle der in Abb. 1 und 2 gezeigten<br />

Figuren, die meiner Meinung nach dieselbe künstlerische<br />

Handschrift zeigen, bleibt es aber vorerst unmöglich<br />

einen Urhebernamen zu nennen.<br />

Literatur:<br />

W. Genzmer (Hrsg.), Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns, Band 2,<br />

Sigmaringen 1948, 264 ff. M. Hermann, Kunst im Landkreis Sigmaringen,<br />

Sigmaringen 1986, 142; 174. Bruno Bushart, Die Basilika zum<br />

Hl. Vitus in Ellwangen, Ellwangen 1988, S. 23 (Abb.) S. 28 f. Volker<br />

Himmelein, in: Die Renaissance (Ausstellungskatalog), hrsg. vom<br />

Bad. Landesmuseum Karlsruhe, Band 2, 1986, S. 566.<br />

JOHANN ADAM KRAUS |<br />

Aus den Visitationsakten des ehemaligen Kapitels Trochtelfingen 1574-1709<br />

(Fortsetzung)<br />

Bericht des Pfarrers von Trochtelfingen vom Dezember 1650<br />

An Gütern hat die Pfarrei Trochtelfingen: 46 Jauchert verpachtete<br />

Acker, wovon ich bei der spärlichen Bebauung nur<br />

20 Scheffel Frucht erhielt. Wiesen 2 Jauchert, die etwa 6 Wagen<br />

Heu ergaben. Die drei Gärten geben das Gemüse für das<br />

Pfarrhaus.<br />

Aus obigen Einkünften sind dieses Jahr 50 fl abzuschreiben,<br />

die den Franziskanern von Hechingen für Aushilfe im Sommer<br />

an Festtagen mit Predigt und Messe zu zahlen waren<br />

während der Vakanz. Außerdem erhielten sie für ihre Mühe<br />

reichlich Almosen. Dazu kommen noch Unkosten durch<br />

Herrn Johann Christopherus Han, jetzt Pfarrer in Leutweiler,<br />

als er vorübergehend die Pfarrei Trochtelfingen versah.<br />

Außer den Kosten seiner Haushaltung für 14 Tage verkaufte<br />

er aus den Pfarreinkünften 22 Säcke Getreide für 44 fl, von<br />

denen er 20 fl zurückzugeben versprach.<br />

Einige Pfarr- und Kaplaneilehen sind noch verschuldet.<br />

Der Pfarrer hat außer der Seelsorge in der Stadt und den drei<br />

Filialen auch die Pflicht zum täglichen Chorgebet. Und weil<br />

das zu viel ist für ihn, nimmt er zwei Kapläne zu Koadjutoren,<br />

denen er jährlich für die Hilfe zusammen 25 fl gibt und<br />

für sie ein Pferd hält. Die <strong>Ausgabe</strong>n des Pfarrers für die notwendigen<br />

jährlichen Zusammenkünfte mit Mahlzeiten usw.<br />

mögen 100 Pfund Heller ausmachen.<br />

Kapläne sind hier, wie schon gesagt, vier, deren jeder aus der<br />

Stadt und den Filialorten an festem Gehalt bezieht:<br />

Zinsen und vom Patron 45 Pfund hl. Frucht von Lehengilten<br />

und Zehnten vom Herzog von Württemberg und zum kleineren<br />

Teil vom Patron: 60 Säcke. An Präsenzgeld für Anwesenheit<br />

im Chor und für Jahrtage: über 30 Pfund. Von letzteren<br />

werden zur Zeit kaum 2-3 gehalten, die die Einkünfte<br />

der Präsenzpflege nicht eingehen.<br />

Der dritte Kaplan als sog. Nachprediger, der an kleineren<br />

Festen den Pfarrer beim Predigen unterstützt und allander<br />

Sonntag Christenlehre hält, bekommt dafür vom Patron 30<br />

fl. Der vierte ist gewöhnlich Sammler der Präsenzgelder und<br />

Pfleger derselben, wofür er als Lohn 13 Pfund Heller bezieht.<br />

An Gütern hat jeder Kaplan einen Garten und 2 x /i Jauchert<br />

Wiesen. Die Unkosten sind klein.<br />

Nur eine der vier Kaplaneien ist z. Zt. besetzt, und zwar vom<br />

Magister Johannes Hirninger aus Inneringen, der in bisherigen<br />

Kriegszeiten etwa 33 Pfund Heller Geldeinkünfte hatte,<br />

an Getreide 49 Scheffel, dazu das Drittel Kleinzehnten in<br />

Trochtelfingen (nämlich von Tieren, Hülsenfrüchten, Hanf<br />

und Raps, zusammen im Wert von 14 fl), dazu das Heu von<br />

seinen Pfründewiesen und Kraut aus dem Garten. Außerdem<br />

hat er als Koadjutor, wie oben bemerkt, noch 15 fl und für<br />

sein Predigtamt 22 fl. Die andern Kaplaneien sind schon einige<br />

Jahre frei, teils wegen Priestermangel, teils wegen Magerkeit<br />

der Einkünfte. Aus diesen 3 Pfründen gingen dieses<br />

Jahr ein (vorher noch weniger): Geld 10 Pfund H., Getreide<br />

86 Scheffel, Heu 4 Wagen. Dies alles wurde von den Obern<br />

verteilt: ein Drittel an die Vakanzpflege und zwei Drittel dem<br />

Pfarrer und Kaplan, die auch die Lasten der vakanten Benefizien<br />

zu tragen hatten.<br />

Außerdem gibt es an der Pfarrkirche Trochtelfingen noch ein<br />

weiteres Benefizium, das immer unbesetzt ist. Es ist aus Steinhilben,<br />

wo es einst einen Kaplan ernährte, hierher übertragen<br />

worden, und heißt Vakanzpflege. Sie bezieht aus Zinsen und<br />

zwei Dritteln des Kleinzehnten zu Steinhilben etwa 115 fl und<br />

24 Scheffel Frucht. Hieraus soll der Lohn des Schulmeisters<br />

und die notwendigen <strong>Ausgabe</strong>n zum Unterhalt des Pfründehauses<br />

genommen werden. Jedoch ist seit vielen Jahren wenig<br />

Getreide und überhaupt kein Geld eingegangen. Daher<br />

erhält der Schulmeister nur mit Not seinen Lohn und das fragliche<br />

Haus ist ruinös. Zur Reparation waren 80 fl seit langem<br />

gesammelt, aber der genannte Herr Joh. Christophorus Han<br />

ließ sich 30 fl davon vom Gemeindevorsteher auszahlen, die<br />

er bis Martini zurückzugeben versprach, aber es besteht wenig<br />

Hoffnung, sie wieder zu bekommen.<br />

Von den fünf Benefiziatenhäusern bedürfen drei keiner Erneuerung.<br />

Zwei aber sind deren sehr bedürftig, da sie einzufallen<br />

drohen, wenn nichts geschieht, doch sollte dazu der<br />

Herr Han seine Schuld zurückzahlen.<br />

Die Präsenzeinkünfte bestehen in Zinsen, die sich auf 179 fl<br />

belaufen würden, aber längst ist nichts mehr eingegangen, da<br />

die Pfarrkinder ganz ausgepreßt sind. Präsenz- und Vakanzpfleger<br />

ist gewöhnlich ein Kaplan, der vor dem Pfarrer jährlich<br />

abrechnet. /T, £ , ,<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

47


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Hegau-Fahrt des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

Im Rahmen seiner Studienfahrten unternahm der Hohenzollerische<br />

<strong>Geschichtsverein</strong> am 1. Juli <strong>1995</strong> eine Ganztagesexkursion<br />

in den Hegau. Auf dem Hohentwiel, der ersten Station,<br />

führte das Vereinsmitglied Dr. Casimir Bumiller, Bollschweil.<br />

Als Verfasser eines Buches über den Hohentwiel verstand<br />

es Dr. Bumiller, die angereisten Geschichtsfreunde<br />

nicht nur mit profunden Kenntnissen, sondern auch durch<br />

die Fähigkeit, Forschungsergebnisse verständlich und plastisch<br />

zu vermitteln, zu begeistern.<br />

Einführend ging Dr. Bumiller auf die Exklavensituation der<br />

seit 1519 württembergischen Feste im katholischen Vorderösterreich<br />

ein. Ohne direkte Verbindungen zu Württemberg<br />

mußten in der kleinen Exklave alle Versorgungseinrichtungen<br />

wie Schmiede, Bäckerei, Metzgerei, Sattlerei usw.<br />

geschaffen werden. Auf dem Berg entstand so eine kleine<br />

Stadt, in der Schmiede hämmerten und sogar eine Windmühle<br />

klapperte. Die Trauben, die an den Hängen des Vulkankegels<br />

heranreiften, wurden vor Ort gekeltert. Der Wein diente ausschließlich<br />

zur Versorgung der Besatzung; die Tagesration<br />

pro Mann bestand, wie der Führer den verblüfften Zuhörern<br />

mitteilte, aus sage und schreibe vier Litern Wein. Autark war<br />

man schließlich auch bei der Bestattung der Toten. Diese wurden<br />

auf einem eigenen Friedhof beigesetzt.<br />

Zur Aufrechterhaltung der Disziplin in der Festung hatte man<br />

eine äußerst harte Dienstordnung erlassen. Um die Soldaten<br />

vor schweren Straftaten abzuschrecken, war ein Galgen am<br />

Weg zur Feste aufgerichtet. Dennoch waren, wie Dr. Bumiller<br />

ausführte, unter den Soldaten, von denen vor allem auch<br />

Festigkeit im protestantischen Glauben erwartet wurde,<br />

Schlägereien und Besäufnisse an der Tagesordnung.<br />

Vor der äußersten Umwallung erläuterte Dr. Bumiller die<br />

Baugeschichte der Festung, die von Herzog Ulrich von Württemberg<br />

und seinen Nachfolgern zu einem Bollwerk des Protestantismus<br />

in Vorderösterreich ausgebaut wurde. So legte<br />

man in zwei Jahrhunderten Ring um Ring um die frühere mittelalterliche<br />

Burganlage. Nach 1735 versank die Wehranlage<br />

in einem Dornröschenschlaf; sie diente wie andere württembergische<br />

Festungen als Staatsgefängnis, als deren prominentester<br />

Insasse der Staatsrechtslehrer Johann Jakob Moser gilt.<br />

Als 1800 die Franzosen den Hohentwiel belagerten, bestand<br />

die Besatzung nur noch aus Veteranen. Der Kommandant<br />

übergab kampflos die Festung, die danach teilweise geschleift<br />

wurde.<br />

Der schweißtreibende Aufstieg lohnte sich. Auf dem Plateau<br />

angelangt, erschloß sich den Geschichtsfreunden bei strahlendem<br />

Sonnenschein ein herrlicher Blick auf die Hegauberge,<br />

den Hohenkrähen und den Hohenhewen, sowie auf den<br />

Bodensee. Dr. Bumiller sprach nun über die einzelnen Burggeschlechter<br />

des Hegaus, die Herzogin Hadwig, durch Scheffels<br />

Roman Ekkehard allseits bekannt, das Georgskloster auf<br />

dem Hohentwiel, das Kaiser Heinrich II. 1005 nach Stein a.<br />

Rh. verlegte, und den Festungskommandanten Konrad Widerholt,<br />

der sich im Dreißigjährigen Krieg durch seine kühnen<br />

Ausfälle und Streifzüge einen Namen gemacht hat.<br />

Nach dem gemeinsamen Mittagessen im Hegau-Haus visävis<br />

vom Hohentwiel ging es dann nach Stein a. Rh., wo die<br />

Teilnehmer, in zwei Gruppen geteilt, das sehenswerte Lindwurm-Museum<br />

mit seiner kompletten Einrichtung aus der<br />

Biedermeierzeit und das historische Rathaus besuchten. Eine<br />

Gruppe konnte sogar die sonst verschlossene hochromanische<br />

Kirche des ehemaligen Georgsklosters besichtigen, das<br />

bis zur Reformation bekanntlich den Kirchensatz der Verenakirche<br />

in Straßberg innehatte. Auf der Rückfahrt wurde<br />

in Bodman Rast gemacht, wo die Teilnehmer auf einer Terrasse<br />

am Bodenseeufer eine Erfrischung einnehmen konnten<br />

und Zeit zum Gespräch fanden.<br />

Otto H. Becker<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: DM 11,00 jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Die Autoren dieser<br />

Dr. Otto H.<br />

Becker<br />

Hedinger Straße 17,<br />

72488 Sigmaringen<br />

Nummer:<br />

Dr. Hermann Frank<br />

Im Wägner 24, 72070 Unterjesingen<br />

Walter Kempe<br />

Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />

Xaver Pf äff<br />

Dr. Kayser-Straße 40,<br />

72488 Sigmaringen<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13 a,<br />

92318 Neumarkt<br />

Josef Schuler<br />

Killertalstraße 55, 72417 Jungingen<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

Verlags anstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />

Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />

an die Adresse des Schriftleiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.<br />

48


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

M 3828 F<br />

Herausgegeben vom<br />

Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong><br />

45. Jahrgang Nr. 4 / Dezember <strong>1995</strong><br />

Ortsmitte von Rangendingen nach der Ortssanierung. Das Bild der Gemeinde wird von der neugotischen Pfarrkirche St. Gallus und Eulogius<br />

geprägt. Links davon die barocke Kirche des 1804 aufgehobenen Dominikanerinnenklosters.<br />

CASIMIR BUMILLER<br />

1200 Jahre Rangendingen<br />

Zum Ursprung der politischen Gemeinde<br />

Rangendingen<br />

Rangendingen gehört mit Hechingen, Burladingen, Bisingen<br />

oder Wessingen zu den wenigen ehemals hohenzollerischen<br />

Orten, die bereits in der Zeit Karls des Großen ins Licht der<br />

Geschichte traten. Am 7. Mai des Jahres 795 schenkte ein gewisser<br />

Heriker zu seinem Seelenheil alles, was er in Rangendingen<br />

besaß, der dortigen Peterskirche. Der Priester Audadcar<br />

hielt diese Schenkung schriftlich fest und vergaß auch<br />

nicht, die zehn Zeugen, alles wohl Rangendinger Bauern, die<br />

die Schenkung bekräftigten, auf einem Pergament zu verzeichnen.<br />

Diese Urkunde mit der Ersterwähnung des Jubiläumsortes<br />

ist im Archiv des Klosters St. Gallen erhalten, wohl deshalb,<br />

weil schon wenige Jahre später die Rangendinger Peterskirche<br />

in die Verfügungsgewalt dieses mächtigen Reichsklosters<br />

überging. Aus einer beschädigt überlieferten Urkunde des<br />

Jahres 802, die wiederum ein Rangendinger Pfarrer namens<br />

49


Tachari anfertigte, läßt sich jedenfalls dieser Sachverhalt ermitteln.<br />

So wurde damals aus der ursprünglichen Rangendinger<br />

Peterskirche bis auf den heutigen Tag eine Galluskirche.<br />

Damit haben wir bereits ein erstes traditionsbildendes Element<br />

der Rangendinger Geschichte gefunden, das den gesamten<br />

überlieferten Zeitraum von 1200 Jahren überspannt.<br />

Es sind ja in den schnell veränderlichen Verhältnissen und<br />

Strukturen der Geschichte solche langlebigen Elemente, die<br />

wir gerade in einer Zeit radikalen Wandels als identitätsstiftende<br />

Merkmale unserer Heimatgeschichte suchen.<br />

Wir können froh sein um diese frühen urkundlichen Belege<br />

zur Rangendinger Orts- und Kirchengeschichte, denn auch<br />

das pergamentene Gedächtnis der Archive ist löcherig und<br />

vergänglich. Wo Urkunden verloren sind, erscheint die Geschichte<br />

wie ausgelöscht, erscheint ein Dorf wie nicht existent,<br />

obwohl wir wissen, daß es existierte. Ein solches<br />

Schicksal teilt Rangendingen übrigens mit sehr vielen anderen<br />

Orten. Zwischen den Jahren 802 und 1275, also beinahe<br />

500 Jahre lang, schweigen die Quellen über die heutige Jubiläumsgemeinde.<br />

Wir können uns für diese dunkle Zeit nur<br />

an zwei Elemente geschichtlichen Überdauerns klammern:<br />

Auch über diese dunklen Jahrhunderte hinweg werden die<br />

namenlosen Rangendinger zum Heiligen Gallus, ihrem Patron,<br />

gebetet und ihm den Zehnten gereicht haben, und<br />

während dieser ganzen Zeit dürfte Rangendingen wie schon<br />

um das Jahr 800 ein Pfarrort von zentraler Bedeutung gewesen<br />

sein.<br />

Erst um das Jahr 1300 beginnt eine umfangreiche historische<br />

Überlieferung zum Dorf Rangendingen. Und die Quellen des<br />

späteren Mittelalters und in der frühen Neuzeit bestätigen<br />

unsere Einschätzung. Rangendingen beherbergte um 1435<br />

um die 200 Einwohner, was für damals viel war, und es war<br />

im Jahr 1548 mit 393 Einwohnern neben Grosselfingen die<br />

größte Gemeinde der Grafschaft Zollern. Aber die Größe allein<br />

sagt noch nichts über die Bedeutung eines Dorfes aus.<br />

Hören wir also, wie die, die es wissen mußten, den Flecken<br />

charakterisierten. Da finden wir in einem Verzeichnis des Jahres<br />

1467 z. B. folgenden Satz: »Rangendingen ist ein sehr vermögentliches<br />

gutes Dorf an Holz und Feld.« Dieses schmeichelhafte<br />

Urteil hatte natürlich seine Kehrseite, denn wo viel<br />

war, wollten die Herrschaften auch viel holen.<br />

Das Urteil stammt übrigens erstaunlicherweise nicht, wie<br />

man erwarten könnte, aus der zollerischen Kanzlei in Hechingen,<br />

sondern von einem hohenbergischen Beamten in<br />

Haigerloch. Und das lenkt unseren Blick auf die bislang wenig<br />

beachtete Tatsache, daß Rangendingen ja bis zum Jahr<br />

1467 zwischen Hohenzollern und Hohenberg geteilt war. Es<br />

gab in Rangendingen zwei Untertanengruppen: ein Teil der<br />

Bauern mußte seine Abgaben nach Haigerloch, der andere<br />

aber nach Hechingen entrichten. Das war jedoch aus der Sicht<br />

der Untertanen ein unhaltbarer Zustand, und wir werden sehen,<br />

daß sich die Rangendinger mit dieser faktischen Spaltung<br />

des Dorfes nicht abgefunden haben.<br />

Nach dem Aussterben der Herren von Rangendingen um das<br />

Jahr 1300, über die wir leider nicht allzuviel wissen, ging das<br />

allgemeine Gerangel um das wirtschaftlich hochinteressante<br />

Dorf Rangendingen los. Nicht nur die Grafen von Zollern<br />

faßten hier Fuß, sondern alle in der Nähe seßhaften Adelsgeschlechter<br />

wie die Stauffenberger und die von Ow und sogar<br />

Hechinger Patrizierfamilien wie die Bronber und die<br />

Walch besaßen in Rangendingen Grund und Boden, Höfe<br />

und Wälder, Zehnten und andere Einkünfte. Rangendingen<br />

hatte nicht nur relativ gute Ackerflächen und ausgedehnte<br />

Waldreserven, sondern war damals das einzige zollerische<br />

Dorf mit Weinbau - bereits 1412 ist einmal vom Weingarten<br />

des Schwarzgrafen Friedrich von Zollern die Rede.<br />

Der wichtigste Konkurrent der Zollergrafen unter den<br />

Grundbesitzern in Rangendingen waren die Grafen von Hohenberg,<br />

deren Herrschaft 1381 an Osterreich überging.<br />

Österreich und Zollern teilten sich also in Rangendingen die<br />

größten Besitzkomplexe und die größten Gruppen von leibeigenen<br />

Untertanen. Jede Gruppe wählte ihren eigenen Vogt,<br />

der das Dorf gegenüber der jeweiligen Herrschaft vertrat.<br />

Aber wie sollte die Dorfgenossenschaft unter dieser Zersplitterung<br />

der Leibeigenen und unter den vielen Herren ihre<br />

internen Dorfangelegenheiten regeln? Und - was noch<br />

wichtiger war - welcher Herrschaft unterlag überhaupt die<br />

dörfliche Rechtsprechung? Das war der Stein des Anstoßes,<br />

und diese Frage zwang die Rangendinger im späten Mittelalter<br />

zu einer bemerkenswerten kollektiven und d. h. gemeindlichen<br />

Anstrengung.<br />

Die damaligen Ereignisse lassen sich aus einer sogenannten<br />

»Kundschaft« rekonstruieren, die Graf Eitelfriedrich I. am 1.<br />

April 1435 in Rangendingen einholte. Eitelfriedrich war aus<br />

dem verheerenden Krieg mit seinem Bruder als Sieger hervorgegangen<br />

und ließ sich nun in diesem Jahr in einem Lagerbuch<br />

zusammentragen, was ihm in seiner schwer gebeutelten<br />

Grafschaft noch an Rechten zustand. Er trommelte in<br />

Rangendingen nicht weniger als 17 alte Männer zusammen<br />

und ließ sich durch ihre einhelligen Aussagen bestätigen, daß<br />

der Stab und die Vogtei, also die Gerichtsherrschaft in Rangendingen<br />

bei der Herrschaft Hohenzollern lag und vom<br />

Vogt der zollerischen Untertanen, damals einem Burkart<br />

Herre, auszuüben sei.<br />

Die teilweise bis zu achtzig Jahre alten Männer - darunter ein<br />

Bentz Mössing, ein Conrad Schneider, ein Hans Keck, ein<br />

Claus Lins und ein Ulrich Sauer - führten auch den Grund<br />

an, weshalb der Stab bei Hohenzollern liegen solle. Es sei<br />

nämlich vor ungefähr 50 Jahren, so erinnerten sie sich, zu einem<br />

Konflikt der Rangendinger mit der hohenbergischen<br />

Herrschaft gekommen. Die Hohenberger hätten damals in<br />

hohem Maße den Wald Mark geplündert und Bauholz nach<br />

Haigerloch geführt, was ihnen die Untertanen schließlich verwehrt<br />

hätten. Darauf seien die Hohenberger mit einem Banner,<br />

also unter militärischem Schutz wieder aufgetaucht, um<br />

das Abholzen fortzusetzen, aber die Rangendinger hätten ihnen<br />

das Banner abgenommen, also die Waffenknechte wohl<br />

überwältigt.<br />

Aufgrund dieser Vorgänge hätten sich die Untertanen beraten,<br />

und es wurde »die gantz geburschafft ainmündig, das man<br />

sich an die herrschafft von Zolre ergäbe«, »darumb das sie<br />

inen ir zwing und bänne hülfe beschirmen«. Das heißt also,<br />

die ganze Bauernschaft kam damals überein, sich aufgrund<br />

dieses Konflikts der Herrschaft Zollern zu ergeben, wofür<br />

die Zollergrafen den Schutz und Schirm über das Dorf übernahmen.<br />

Man kann den Zeitpunkt dieser dramatischen Ereignisse<br />

näher eingrenzen. Wenn die alten Rangendinger<br />

Männer sich im Jahr 1435 erinnerten, daß sich dies alles vor<br />

etwa 50 Jahren abgespielt habe, so kommen wir ungefähr in<br />

Jahr 1385. Und wenn wir uns erinnern, daß Hohenberg 1381<br />

an Österreich übergegangen war, so liegt es auf der Hand,<br />

daß sich dieser Holzkonflikt bald nach 1381, nach dem Aufzug<br />

der österreichischen Herrschaft in Haigerloch abgespielt<br />

haben muß.<br />

Das heißt aber, damals im späten 14. Jahrhundert war das dörfliche<br />

Entscheidungsgremium der Gemeinde in Rangendingen<br />

voll ausgebildet. Denn das alte Wort »geburschafft«, Bauernschaft<br />

war damals gleichbedeutend mit dem Begriff »Gemeinde«.<br />

Die Gemeinde war die Versammlung der volljährigen<br />

Männer. Was man im Mittelalter übrigens unter volljährig<br />

verstand, lehrt uns die zeitgleiche Dorfordnung von Owingen,<br />

die schon die mehr als 12jährigen Knaben zur Gemeinde<br />

zuließ. Was aber vielleicht das wichtigste an dem frühen<br />

Beleg der Rangendinger Gemeinde ist: sie trat damals schon<br />

50


,5ofcti3oUcrtfd>c fcxnfce %<br />

Mitteilungen aug bem @efcf)icf)t3t>erein<br />

Veranstaltungen im 1. Quartal 1996<br />

I. Vorträge<br />

1. Privatdozent Dr. Tilman Allert, Tübingen:<br />

»Fürstin Eugenie - Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin<br />

von Hohenzollern-Hechingen, eine Ehe am Hechinger<br />

Fürstenhof«.<br />

Montag, 22. Januar, um 20 Uhr im Spiegelsaal des Prinzenbaus<br />

in Sigmaringen.<br />

2. Dr. Andreas Zekorn, Balingen:<br />

»Die Städte Sigmaringen und Hechingen im 17. und 18.<br />

Jahrhundert«<br />

Montag, 5. Februar, um 20 Uhr im Hohenzollern-Saal des<br />

Neuen Schlosses (Kreissparkasse) in Hechingen.<br />

3. Dr. Otto Becker, Sigmaringen:<br />

»Die Kreisreform 1973 und Hohenzollern«<br />

Montag, 4. März, um 20 Uhr im Hohenzollern-Saal des<br />

Neuen Schlosses (Kreissparkasse) in Hechingen.<br />

Hingewiesen wird ferner auf die folgenden Vortragsveranstaltungen<br />

des Vereins Alte Synagoge in Hechingen:<br />

Rektor Otto Werner,<br />

Hechingen:<br />

»Die ehemaligen jüdischen Gemeinden Haigerloch und<br />

Hechingen, benachbart und doch verschieden«.<br />

Montag, 29. Januar, um 20 Uhr in der Alten Synagoge in<br />

Hechingen.<br />

II. Exkursionen<br />

Der Hohenzollerische <strong>Geschichtsverein</strong> veranstaltet am<br />

Samstag, 30. März, eine Halbtagesexkursion nach Straßberg,<br />

wo uns Rektor Gerhard Deutschmann auf dem<br />

»Heimatgeschichtlichen Wanderweg Straßberg«<br />

führen wird. Die Hin- und Rückfahrt erfolgt mit Privatfahrzeugen.<br />

Abfahrt: jeweils um 13.30 Uhr in Hechingen, Oberer<br />

Torplatz, und in Sigmaringen, Parkplatz vor<br />

der Stadthalle.<br />

Treffpunkt: um ca. 14 Uhr vor dem Rathaus in Straßberg.<br />

Rückfahrt: um ca. 17 Uhr.<br />

Anmeldungen von Selbstfahrern sowie für Interessenten,<br />

die eine Mitfahrgelegenheit suchen, sind zu richten<br />

aus dem Bereich Hechingen an Herrn Dr. Vees (Tel.<br />

07471/5620) und aus dem Bereich Sigmaringen an Frau<br />

Liebhaber (Tel. 07571/101-558).<br />

gez. Dr. Otto Becker<br />

mit einer Entscheidung von historischer Tragweite, nämlich<br />

der Weichenstellung zugunsten Hohenzollerns, in ihrer politischen<br />

Funktion hervor.<br />

Dies ist deshalb so wichtig, weil wir über die Gemeindebildung<br />

in Hohenzollern sonst erst relativ spät Bescheid wissen.<br />

Die frühen Nachrichten in Rangendingen zeigen jedoch, daß<br />

wir auch im Zollerischen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts<br />

mit einer recht starken Gemeindebewegung rechnen müssen,<br />

was nichts anderes heißt, als daß die Dörfer ihre Angelegenheiten<br />

in die eigene Hand zu nehmen versuchten und dabei<br />

auch unzumutbare herrschaftliche Verhältnisse verändern<br />

konnten. Gerade in Rangendingen sollte dies zu einem Element<br />

historischer Kontinuität ersten Ranges werden.<br />

Die Entscheidung Rangendingens zugunsten der Herrschaft<br />

Hohenzollern hat wohl dazu beigetragen, daß Österreich im<br />

Jahr 1467 auf seinen Teil am Dorf verzichtete und das Dorf<br />

somit ganz zollerisch wurde. Bekanntlich hat die Entscheidung<br />

dem Dorf nicht nur Glück gebracht. Damals, in den<br />

letzten Jahrzehnten des Mittelalters, mochten die Rangendinger<br />

mit ihrer Vereinigung unter Zollern wohl zufrieden<br />

sein, hundert Jahre später stellte sich dies völlig anders dar.<br />

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurde Rangendingen<br />

nämlich mit den übrigen Dörfern des Fürstentums HohenzollernHechingen<br />

in die jahrhundertelange Auseinandersetzung<br />

der Untertanen mit den Grafen und Fürsten in Hechingen<br />

gezwungen, die aus ihrem viel zu kleinen Land mehr<br />

herauszupressen versuchten, als es hergab.<br />

In diesem Konflikt, der sich nur oberflächlich um die freie<br />

Pirsch drehte und der mit bewaffneter Hand, aber auch juristisch<br />

vor den Reichsgerichten ausgefochten wurde, konnten<br />

die Rangendinger die Tragfähigkeit ihrer politischen Gemeindetradition<br />

erproben. Immer wieder waren sie gezwungen,<br />

in Gemeindeversammlungen darüber zu beraten, ob sie<br />

sich an den provokativen Jagdveranstaltungen der übrigen<br />

Untertanen beteiligten, ob sie an der Generalrebellion von<br />

1619 teilnehmen oder ob sie vom Jahr 1700 an gegen die Herrschaft<br />

vor dem Reichskammergericht prozessieren sollten.<br />

Hatten sich die Rangendinger im Mittelalter für Hohenzollern<br />

entschieden, so protestierten sie jetzt regelmäßig gegen<br />

die von ihnen gewählten »natürlichen« Herren, weil diese<br />

ihren Teil des Herrschaftsvertrags längst aufgekündigt hatten<br />

und von den Untertanen Ungebührliches verlangten.<br />

Nicht weniger als 15 Aufstände mußten sich die Fürsten von<br />

Hohenzollern-Hechingen von ihren Untertanen zwischen<br />

1584 und 1796 gefallen lassen, und immer standen Rangendinger<br />

mit in vorderster Reihe. Insbesondere in der Koordination<br />

der verschiedenen Aktivitäten der »Landschaft« seit<br />

dem Jahr 1700 spielten Rangendinger eine herausragende<br />

Rolle. So befand sich die Kanzlei der Landschaft, also der Vereinigung<br />

der Gemeinden 1700 im Haus des Christian Wannenmacher,<br />

und in späteren Jahren spielte auch der Rangendinger<br />

Nagelschmied Beutter eine führende Rolle.<br />

Was der zollerische Untertanenkonflikt über 200 Jahre hinweg<br />

letztendlich gebracht hat, kann man auch im Nachhinein<br />

nur schwer beurteilen. Das wichtigste Ergebnis erscheint<br />

mir jedoch, daß die hohenzollerischen Gemeinden aus ihrem<br />

51


Zusammenschluß zur »Landschaft« mit dem Landesvergleich<br />

von 1796 so etwas wie ein hohenzollerisches Grundgesetz<br />

erlangt haben, und dies allein wäre in verfassungsgeschichtlicher<br />

Hinsicht ein ausreichender Erfolg der Gemeindebewegung<br />

in Hohenzollern gewesen. Diesen Endpunkt der<br />

Entwicklung im Auge, ist es dennoch wichtig darauf zu verweisen,<br />

daß die politische Gemeindebewegung in Hohenzollern<br />

damals schon auf eine 400jährige Geschichte zurückblicken<br />

konnte, und Rangendingen zählte sicherlich zu den<br />

starken Trägern dieser Bewegung.<br />

Wenn wir so die Gemeinde und ihre politische Funktion als<br />

eine bestimmende Kraft der Rangendinger Geschichte in der<br />

Zeit zwischen 1381 und 1796 beschreiben können, so darf<br />

doch nicht übersehen werden, daß diese Einigkeit und Einmütigkeit<br />

von Dorf und Gemeinde Rangendingen sehr stark<br />

von außen bestimmt war, eben durch den immerwährenden<br />

Konflikt mit der Herrschaft. Diese politisch erzwungene Einigkeit<br />

nach außen verdeckt bis zu einem gewissen Grad die<br />

innerdörflichen Konflikte und Auseinandersetzungen, die es<br />

natürlich auch gab und die öfters, wie das früher auf den Dörfern<br />

üblich war, handgreiflich gelöst wurden.<br />

Anlaß für Konflikte innerhalb der Dorfgemeinschaft gab es<br />

bekanntlich genug. Da herrschte ein ständiger Hader zwischen<br />

den Vollbauern und den ärmeren Hintersassen um die<br />

Anteile am Allmand, da gab es Nachbarschafts- und Grenzstreitigkeiten<br />

aller Art. Aufgestaute Feindschaften und Ehrverletzungen<br />

unter den Dorfgenossen entluden sich unter<br />

dem notorischen Einfluß von Bier und Wein in Schlaghändeln<br />

und mitunter in tödlichen Auseinandersetzungen. Die<br />

älteste Nachricht von zwei Totschlägen in Rangendingen<br />

stammt noch aus dem Mittelalter: schon im Jahr 1463 wurden<br />

ein Klaus Fuchs und ein Ulrich Sauer von Dorfgenossen<br />

im Streit erschlagen. Zwei weitere Totschläge auf Rangendinger<br />

Gemarkung ereigneten sich im 16. Jahrhundert.<br />

Zu einem folgenschweren Totschlag, der eine größere Untersuchung<br />

nach sich zog, kam es um das Jahr 1610 anläßlich<br />

eines Richtfestes. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie nahe dörfliches<br />

Gemeinschaftsgefühl - denn ein Hausbau war immer<br />

eine kollektive Angelegenheit, beim Richtfest war fast das<br />

ganze Dorf versammelt - und das Zerbrechen der Gemeinschaft<br />

im Streit beisammen lagen.<br />

In dieselbe Zeit, in die Jahre 1588 bis 1627 fällt übrigens auch<br />

das düsterste Kapitel der Rangendinger Geschichte, die Hexenverfolgung.<br />

Nicht weniger als 20 Rangendinger Frauen<br />

wurden während dieser Zeit von ihren Nachbarinnen und<br />

Dorfgenossen als Hexen denunziert und den Hechinger<br />

Richtern zugeführt - 12 allein im Jahr 1610. Nicht von allen<br />

wissen wir, ob sie auf dem Scheiterhaufen endeten oder ob<br />

sie, wie auch immer, davon kamen. Auch die Hexenverfolgung<br />

bot einen rechtlichen Rahmen und ein soziales Ventil,<br />

um kollektive Ängste, existentielle Sorgen und lang schwelende<br />

Nachbarschaftskonflikte auszutragen. Es wäre sicherlich<br />

eine lohnende Aufgabe, einmal etwas mehr Licht in diese<br />

40 bedrückenden Jahre Rangendinger Geschichte zu bringen.<br />

Irgendwie in die Geschichte verstrickt war in jener Zeit<br />

auch der Pfarrer Lienhard Klotz, ein leidenschaftlicher Spieler<br />

und Trinker vor dem Herrn, der den Rangendingern öfters<br />

Anlaß zu Klagen gab.<br />

Ich erwähne dieses weniger glorreiche und kaum untersuchte<br />

Kapitel Rangendinger Geschichte, um nicht das Gefühl<br />

aufkommen zu lassen, das Dorfleben in früherer Zeit wäre<br />

die reine Idylle gewesen. Es gab Spannungen im Inneren, und<br />

es gab Konflikte nach außen, und zu allem Überfluß gab es<br />

Katastrophen höherer Gewalt wie Mißernten, Pestzeiten und<br />

den Dreißigjährigen Krieg. Es ist eigentlich erstaunlich, daß<br />

die Gemeinde als regulierendes und steuerndes Instrument<br />

des Dorfes diese Herausforderungen letztendlich unbeschadet<br />

überstanden hat und es sogar inmitten heftiger innerdörflicher<br />

Konflikte es noch geschafft hat, einen Widerstand gegen<br />

die Herrschaft zu organisieren wie die Teilnahme an der<br />

Generalrebellion von 1619 oder den Aufstand von 1732, in<br />

dessen Verlauf die Männer geschlossen mit ihrem Vieh ins<br />

benachbarte Ausland, nach Hirrlingen und Wachendorf ausgezogen<br />

sind.<br />

Nach dem Untergang des Alten Reiches und nach dem Übergang<br />

Hohenzollerns an Preußen im Jahr 1850 kamen auf Dorf<br />

und Gemeinde Rangendingen neue Herausforderungen zu.<br />

Es galt hier wie überall in Deutschland das große Problem<br />

des 19. Jahrhunderts, die soziale Frage, im kleinen zu lösen.<br />

Für die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immerumdie 1300<br />

Einwohner mußten neue Erwerbsmöglichkeiten gefunden<br />

werden. Es ist immer wieder erstaunlich, wie erfinderisch die<br />

Not des 19. Jahrhunderts unsere Ururgroßväter machte: Wie<br />

etwa die Killertäler ein kollektives System des Hausierhandels<br />

entwickelten. Wie die Wilflinger in Scharen als Maurer<br />

und Gipser auf die Walz gingen. Und wie ein Teil der Rangendinger<br />

ihr Heil in der Leineweberei suchte und fand.<br />

All diese gewerblichen Auswege waren Notsäulen des Überlebens,<br />

bis eine neue Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung,<br />

die Industrialisierung, Fuß faßte. Nach Rangendingen ist die<br />

Textilindustrie bekanntlich durch die jüdischen Unternehmer<br />

Löwengard und Levi aus Hechingen gekommen. Damit<br />

war dann schlagartig um die Jahrhundertwende die wirtschaftliche<br />

Grundlage für die Entwicklung zur modernen<br />

EDWIN ERNST WEBER<br />

Vortrag »775 Jahre Stadt Pfullendorf. Gedanken zur Stadtrechtsverleihung durch<br />

König Friedrich II. von 1220«<br />

Pfullendorf feiert <strong>1995</strong> das 775jährige Jubiläum seiner Erhebung<br />

zur Stadt. In einer Pergamenturkunde vom 2. Juni 1220<br />

verleiht der damalige Stauferkönig Friedrich II. der hiesigen<br />

Ortschaft immerwährende Freiheit und bekundet sodann seinen<br />

Willen, daß »in fundo eiusdem loci civitatem (.. .) esse«,<br />

daß also künftighin auf dem Boden dieses Ortes eine Stadt<br />

sei. Dieser königliche Rechtsakt vor genau 775 Jahren ist für<br />

Pfullendorf der Startpunkt einer bemerkenswerten historischen<br />

Entwicklung, die der Stadt im oberen Linzgau zusammen<br />

mit dem benachbarten Überlingen und zeitweise auch<br />

Konstanz unter den Städten des westlichen Bodenseeraums<br />

bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine Sonderstellung einräumt.<br />

Mithin Grund genug, das diesjährige Jubiläum dieses<br />

einschneidenden und folgenschweren Vorgangs zur bewußten<br />

Besinnung auf die eigene Stadtgeschichte und mithin auch<br />

auf die eigenen Wurzeln und die eigene Herkunft zu nutzen.<br />

Die Stadt Pfullendorf ist nicht aus dem Nichts erwachsen, die<br />

Stadt hat vielmehr eine dörfliche Vergangenheit. Offenbar im<br />

Bereich der heutigen Vorstadt existierte bereits einige Jahrhunderte<br />

lang vor der Stadtgründung ein Bauerndorf, dessen<br />

Name - »Dorf am Phuol« - mit einiger Wahrscheinlichkeit<br />

von den zahlreichen Sümpfen und Weihern, die ehedem das<br />

52


Gebiet nördlich des Bodensees durchsetzten, hergeleitet ist.<br />

Eine Abstammung der Siedlung vom antiken Juliomagus und<br />

womöglich gar eine Gründung durch Julius Cäsar, wie dies<br />

die ruhmbegierigen Reichsstädter in der Frühen Neuzeit<br />

wahrhaben wollten, ist eine der historischen Nachprüfung<br />

nicht standhaltende Legende und beruht auf einer Fehlinterpretation<br />

einer spätantiken Straßenkarte! Bis um das Jahr<br />

1400 läßt sich in den erhaltenen Quellen neben der Stadt das<br />

nicht in den ummauerten Bereich einbezogene »Dörflin«<br />

nachweisen. Ausweislich der Ortsnamensendung auf -dorf<br />

ist Pfullendorf eine Siedlung der älteren Ausbauzeit des 7.<br />

und 8. Jahrhunderts. Das bäuerlich-landwirtschaftliche Element<br />

behält darüber hinaus auch in der eigentlichen Stadt stets<br />

einen hohen und unübersehbaren Stellenwert. Im Grunde genommen<br />

bis in unser Jahrhundert hinein ist Pfullendorf zu<br />

einem gewissen Teil immer auch eine Ackerbürgerstadt, in<br />

einer der zuletzt fünf städtischen Zünfte sind die städtischen<br />

Bauern organisiert und wirken im Rahmen der Zunftverfassung<br />

am Stadtregiment mit.<br />

Zur Vorgeschichte der Stadtrechtsverleihung von 1220<br />

gehören darüber hinaus aber auch die Grafen von Pfullendorf<br />

mit ihrer vermutlich im Bereich des ehemaligen Dominikanerinnenklosters<br />

gelegenen Burg. Die Ersterwähnung eines<br />

Gero comes de Phullindorf, also eines Graf Gero von<br />

Pfullendorf, in der Petershausener Klosterchronik für die<br />

Zeitspanne von 1080 und 1084 ist zugleich auch der erste erhaltene<br />

Quellenbeleg für die Ortschaft selbst, nach der sich<br />

die Grafensippe benannte. Soweit dies die spärlichen und in<br />

der Forschung nicht immer einheitlich interpretierten Quellenbelege<br />

zu erkennen geben, sind die Pfullendorfer Grafen<br />

ein Zweig der auf den karolingischen Reichsadel zurückgehenden<br />

»Udalrichinger« und gehören mit ihren Besitzungen<br />

im Linzgau und im Hegau im 12. Jahrhundert zu den bedeutendsten<br />

Adelsfamilien im Bereich des Herzogtums Schwaben.<br />

Der letzte und zugleich wichtigste Sproß dieser Hochadelsfamilie<br />

ist Graf Rudolf von Pfullendorf, der zwischen<br />

1134 und 1180 in einer Vielzahl von urkundlichen Nennungen<br />

für die Verhältnisse dieser Schriftarmen Zeit recht präzise<br />

und bis hin zu persönlichen Zügen zu fassen ist. Graf Rudolf<br />

ist ein treuer Gefolgsmann des Stauferkaisers Friedrich<br />

Barbarossa, der bei den Heerfahrten und Verwaltungsreisen<br />

des Herrschers in Deutschland und Italien stets im engsten<br />

Kreis des Hofstaates anzutreffen ist. In nicht weniger als 41<br />

erhaltenen Kaiserurkunden tritt Rudolf in der Regierungszeit<br />

Barbarossas seit 1152 als Zeuge auf. Darüber hinaus ist<br />

der Pfullendorfer Graf mit seinem zielstrebig ausgebauten<br />

Besitzkonglomerat zwischen Hegau und Linzgau, Bregenz,<br />

St. Gallen und Chur eine entscheidend wichtige Stütze für die<br />

staufische Reichs- und Italienpolitik. Bereits zu Lebzeiten bestellt<br />

Graf Rudolf, der nach 1180 ohne männliche Nachkommen<br />

als Pilger im Heiligen Land stirbt, den mit ihm verwandten<br />

Stauferkaiser zum Alleinerben des größten Teiles<br />

seiner Besitzungen. Im ausgehenden 12. Jahrhundert werden<br />

damit unser Dorf Pfullendorf und die benachbarte, 1183 erstmals<br />

urkundlich genannte Grafenburg (»Castrum«) staufischer<br />

Hausbesitz. Und noch mit einem weiteren Kaiserhaus<br />

stehen die Pfullendorfer Grafen in verwandtschaftlicher Beziehung:<br />

Ita, die Tochter Graf Rudolfs, ist die Gemahlin Albrechts<br />

III. von Habsburg und damit die Urgroßmutter von<br />

König Rudolf von Habsburg.<br />

Soweit sich dies anhand der spärlichen Quellenbelege überhaupt<br />

rekonstruieren läßt, entsteht oberhalb des Dorfes Pfullendorf<br />

im Umfeld der Grafenburg im 12. Jahrhundert eine<br />

stadtähnliche Marktsiedlung, auf die sich die in der Stadtrechtsurkunde<br />

von 1220 vermeldete »villa« mit einiger Wahrscheinlichkeit<br />

bezieht. Wie nicht zuletzt auch die Stadterhebungsurkunde<br />

ausweist, hat diese Siedlung in den<br />

Thronkämpfen nach dem Tod von Barbarossas Sohn, Kaiser<br />

Heinrich VI., überaus harte Zeiten zu bestehen: Von Zer-<br />

An die Bezieher der »Hohenzollerischen Heimat«, die<br />

nicht Mitglieder des Hohenzollerischen <strong>Geschichtsverein</strong>s<br />

sind.<br />

Durch die steigenden Kosten für Porto und Druckkosten<br />

ist leider eine Erhöhung des Bezugspreises unserer<br />

Zeitschrift notwendig. Der Bezugspreis beträgt ab<br />

1. 1. 1996 DM 13,- statt bisher DM 11,-.<br />

Störungen ist hier ebenso die Rede wie von wiederholten<br />

Schäden und Beeinträchtigungen durch Übeltäter und Friedensbrecher<br />

und nicht zuletzt auch von einer offenbar verheerenden<br />

Feuersbrunst. In diesen unruhigen Kriegs- und<br />

Notzeiten im ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhundert<br />

ging offenbar ein Großteil des vom Erbe Rudolfs<br />

herrührenden staufischen Hausbesitzes im Umfeld von Pfullendorf<br />

wieder verloren.<br />

So also sehen in groben Zügen die Vorgeschichte und der<br />

Hintergrund des königlichen Rechtsaktes aus, dessen Jubiläum<br />

wir in diesem Jahr begehen. Was aber hat nun eigentlich<br />

den Stauferkönig und späteren Kaiser Friedrich II. veranlaßt,<br />

die keineswegs sonderlich bedeutsame Siedlung Pfullendorf<br />

durch die Erhebung zur Stadt auszuzeichnen? Neben<br />

dem in der Urkunde genannten allgemeinen Anliegen der<br />

Wiederherstellung der weitgehend zerstörten und ruinierten<br />

staufischen Hausmacht im Linzgau und am Bodensee sowie<br />

der Hilfe und dem Schutz für die zuletzt von allerhand<br />

Schicksalsschlägen getroffenen Pfullendorfer geht es dem<br />

König wohl in erster Linie darum, einen neuen Stütz- und<br />

Konzentrationspunkt für die Königsmacht in der Region zu<br />

schaffen. Dabei mag durchaus auch, wie dies in der Forschung<br />

mitunter betont wird, die Reminiszenz an die Pfullendorfer<br />

Grafen und deren einstige enorme Bedeutung für die staufische<br />

Reichs- und Italienpolitik eine gewisse Rolle gespielt haben.<br />

Die Urkunde enthält jedenfalls den ausdrücklichen<br />

Hinweis, daß die »villa« Pfullendorf samt ihrem Zubehör<br />

dem König aus seinem väterlichen Erbe eigentümlich zugehöre.<br />

Für die weitere Entwicklung der künftigen Stadt haben vor<br />

allen Dingen zwei Bestimmungen in der sogenannten Dispositio<br />

der Königsurkunde höchst konkrete Auswirkungen:<br />

Zum einen erhält die Siedlung als äußeres Merkmal ihrer neuen<br />

Rechtsqualität eine Ummauerung, die von der Bürgerschaft<br />

in gemeinschaftlicher Arbeit zu errichten ist. Gewissermaßen<br />

als Starthilfe für dieses aufwendige Bauunternehmen<br />

wird den Pfullendorfer Stadtbürgern für die Dauer von<br />

sechs Jahren eine Steuerbefreiung gewährt, wobei sie allerdings<br />

gleichzeitig gemeinschaftlich jährlich 20 Mark über ihre<br />

Arbeitskraft hinaus zur Stadtbefestigung beitragen müssen.<br />

Zum anderen und vor allen Dingen aber wird Pfullendorf<br />

jetzt zu einem städtischen Rechtsbezirk, innerhalb dessen,<br />

im absoluten Gegensatz zur ansonsten scharf ausgeprägten<br />

Rechtsungleichheit in der feudalen Gesellschaft, gleiche<br />

Rechte und gleiche Pflichten für alle mit dem Bürgerrecht<br />

ausgestatteten Bewohner gelten. Ausdrücklich wird bestimmt,<br />

daß wer in der neuen Stadt Bürger zu sein wünscht<br />

und das Recht und die ehrenhafte Stellung dieser Stadt genießen<br />

will, er auch alle Pflichten der Stadt erfüllen muß; Ausnahmen<br />

hiervon werden lediglich dem örtlichen Pfarrklerus<br />

zugestanden. Zur Absicherung dieser Rechtsgleichheit aller<br />

Bürger wird weiterhin verfügt, daß kein Höriger oder Zinsmann<br />

irgendeines anderen Herrn - mit Ausnahme allein der<br />

staufischen beziehungsweise königlichen Dienstleute - in der<br />

Stadt im Bürgerrecht aufgenommen werden darf, es sei denn,<br />

dies geschehe mit Zustimmung des jeweiligen Herrn, der damit<br />

indessen seinen Untertan aus seiner herrschaftlichen Bindung<br />

entließe.<br />

53


Zu einem gewissen Teil haben die Pfullendorfer ihre Stadterhebung<br />

der Vermittlung des Klerikers Ulrich zu verdanken,<br />

der in der Kaiserurkunde ausdrücklich als »huius facti<br />

(...) auctor et fidelissimus cooperator« gewürdigt wird, mithin<br />

also als Urheber und Veranlasser der Stadtrechtsverleihung.<br />

Als kleine Entschädigung für seine Mühe wird Ulrich,<br />

den Josef Groner nicht zu Unrecht als »Vater der Stadt« charakterisiert<br />

hat, zusammen mit seiner Hausgenossenschaft<br />

von den übrigen Bürgern zur Stadtbefestigung auferlegten<br />

Lasten befreit.<br />

Mit dem Untergang der Staufer, zu deren Hausbesitz Pfullendorf<br />

seit 1180 gehört hatte, büßt die Stadt in der Mitte des<br />

13. Jahrhunderts ihren unmittelbaren Stadtherrn und gleichzeitig<br />

auch die mediatisierende Herzogsgewalt in Schwaben<br />

ein. Als Stadtherr wird jetzt lediglich noch der König anerkannt,<br />

wobei die herrschaftlichen Rechte in Verwaltung und<br />

Rechtspflege in Pfullendorf wie auch anderenorts in einer langen<br />

Kette von Privilegierungen Schritt für Schritt beschnitten<br />

und ausgehöhlt werden. Von König Rudolf von Habsburg<br />

läßt man sich 1282 eine eigene, unabhängige Gerichtsbarkeit<br />

gewähren, von der allerdings noch das Hochgericht<br />

über todeswürdige Verbrechen ausgenommen ist, das weiter<br />

dem königlichen Stadtherrn beziehungsweise dessen örtlichem<br />

Vertreter, dem Ammann, vorbehalten bleibt. 1331 wird<br />

die Befreiung von fremden Gerichten und mithin die weitgehend<br />

unabhängige städtische Justiz-Ausübung erreicht.<br />

Von König Sigismund erhält Pfullendorf 1415 sodann die<br />

Hochgerichtsbarkeit über das Stadtgebiet verliehen, und im<br />

Jahr darauf vermag man ihm überdies auch noch für 70 Mark<br />

Silber das bisher noch dem Reich gehörende Ammannamt abzukaufen.<br />

Obgleich diesem Erwerb 1434 die erste kaiserliche Verleihung<br />

der Blutgerichtsbarkeit nachfolgt, können sich die Pfullendorfer<br />

ihres Erfolges nur für begrenzte Zeit freuen: Als<br />

nämlich 1460 die bis dahin unbedeutende Herrschaft Sigmaringen<br />

durch kaiserlichen Lehnsbrief zur reichslehenbaren<br />

Grafschaft erhoben und die alten Sigmaringer Forstgrenzen<br />

zu Grafschafts- und Hochgerichtsgrenzen umgestaltet werden,<br />

führt dies rundum zu endlosen Konflikten mit den<br />

Nachbarherrschaften, die sich von den Sigmaringer Grafen<br />

und deren energisch vorgetragenem Anspruch auf die Blutgerichtsbarkeit<br />

in ihrer eigenen Orts- und Territorialherrrschaft<br />

beeinträchtigt sehen. Im Fall der Reichsstadt Pfullendorf,<br />

wo es um die Ausübung der Hochgerichtsbarkeit außerhalb<br />

des eigentlichen, ummauerten Stadtbezirkes geht, ziehen<br />

sich die Streitigkeiten an den obersten Reichsgerichten<br />

durch das gesamte 16. Jahrhundert hin, ohne daß es jemals zu<br />

einer wirklichen, definitiven Klärung der Konfliktfragen gekommen<br />

wäre.<br />

Das große Ziel aller mittelalterlichen und frühneuzeitlichen<br />

Stadt- wie auch Landgemeinden ist die kommunale Autonomie,<br />

also die Erlangung eines Höchstmaßes an innerer Eigenständigkeit<br />

und Unabhängigkeit vom jeweiligen Stadtherrn.<br />

Die größten Autonomiespielräume bis hin zu einer mit<br />

adligen oder geistlichen Reichsständen vergleichbaren Landesherrschaft<br />

erlangen dabei die Reichsstädte, ohne daß indessen,<br />

wie die neuere Forschung nachweisen konnte, der<br />

Kaiser als Stadtherr und als Machtfaktor innerhalb der Stadtverfassung<br />

gänzlich verdrängt worden wäre. Auch in Pfullendorf<br />

läßt sich, dem allgemeinen Trend des Aufstiegs der<br />

Genossenschaftlichkeit im ausgehenden Mittelalter folgend,<br />

im 14. und 15. Jahrhundert unverkennbar das Vordringender<br />

kommunalen Autonomie zu Lasten der Position des kaiserlichen<br />

Stadtherrn konstatieren. Dessen örtlicher Vertreter,<br />

der sogenannte Ammann oder Minister, der übrigens über<br />

lange Zeit von den Herren von Gremiich als der führenden<br />

Stadtadelsfamilie gestellt wird, gerät zu Beginn des 15. Jahrhunderts<br />

endgültig unter städtische Kontrolle und sinkt in<br />

der Folge zum vergleichsweise bedeutungslosen und jährlich<br />

durch Wahl neubesetzten Vorsitzenden beim Stadtgericht<br />

herab. Bereits im 14. Jahrhundert geht der bestimmende Einfluß<br />

innerhalb der Stadt auf die kommunalen Selbstverwaltungsgremien<br />

über: 1273 ist in den Quellen erstmals von den<br />

consules civitatis, also dem städtischen Rat, die Rede, 1330<br />

werden Gericht und Rat genannt.<br />

Das nach der Stadtrechtserhebung von 1220 wohl wichtigste<br />

Datum in der älteren Stadtgeschichte ist sodann das Jahr 1383,<br />

das die Einführung der Zunftverfassung in Pfullendorf und<br />

damit die Institutionalisierung der auf die zunächst sechs und<br />

seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert noch fünf städtischen<br />

Zünfte gestützten stadtgenossenschaftlichen Selbstverwaltung<br />

bringt. Drei Jahre später, 1386, wird mit Hainrich Ortlieb<br />

der erste Bürgermeister von Pfullendorf urkundlich erwähnt.<br />

Organe der Zunftverfassung in Pfullendorf sind der<br />

jährlich nach Weihnachten von der städtischen Bürgerschaft<br />

gewählte 50köpfige Große Rat sowie der aus 17 Mitgliedern<br />

bestehende Kleine Rat, der unter dem Vorsitz des gleichfalls<br />

jährlich neuzuwählenden Bürgermeisters das eigentliche<br />

Stadtregiment in einem höchst umfassenden Sinne ausübt.<br />

Trotz dieser auf den ersten Blick vermeintlich weitgehenden<br />

Bürgerbeteiligung am Stadtregiment sollte man diese mittelalterliche<br />

und frühneuzeitliche Zunftverfassung tunlichst<br />

nicht mit modernen demokratischen und republikanischen<br />

Verfassungsverhältnissen verwechseln. Zum einen ist die<br />

kommunale Mitwirkung stets auf die verbürgerten Familienväter<br />

der Stadt begrenzt, Frauen, unverheiratete Männer<br />

und vor allem auch die zeitweise beträchtliche Zahl nichtbürgerlicher<br />

Beisitzer ist bis in das 19. Jahrhundert hinein generell<br />

von der politischen Teilhabe und Mitsprache ausgeschlossen.<br />

Zum anderen entwickelt sich auch in Städten mit<br />

Zunftverfassung, wie neuere Forschungen etwa zu Rottweil<br />

oder Überlingen ergeben haben, de facto ein sogenanntes<br />

»Quasi-Patriziat«, das die für das Stadtregiment ausschlaggebenden<br />

Positionen und Organe bei nur marginaler Beteiligung<br />

der übrigen Bürgerschaft für sich reserviert und beherrscht.<br />

Mit einer kurzen, durch einen kaiserlichen Eingriff<br />

in das Pfullendorfer Stadtregiment bedingten Unterbrechung<br />

in den 1550er Jahren hat die im ausgehenden 14. Jahrhundert<br />

durchgesetzte Zunftverfassung in Pfullendorf bis zum Übergang<br />

der Stadt an Baden 1803 Bestand.<br />

Im 14. und 15. Jahrhundert wird die Reichsstadt Pfullendorf<br />

dann sogar selbst zum Landesherr über ein kleines ländliches<br />

Territorium in der Nachbarschaft. Über die im weiten Umkreis<br />

besessenen Grund- und zehntherrschaftlichen Rechte<br />

hinaus, vermag die Stadt mit Hilfe ihres bis in die neuere Zeit<br />

hinein vermögenden HeiligGeist-Spitals seit dem ausgehenden<br />

14. Jahrhundert die Ortsherrschaft über die Orte 111-<br />

mensee, Groß- und Kleinstadelhofen, Waldbeuren und Zell<br />

sowie verschiedene benachbarte Weiler käuflich zu erwerben.<br />

Diese in vier Amter eingeteilte sogenannte »Landschaft«<br />

mit 1802 insgesamt 718 Einwohnern gegenüber 1394 Bewohnern<br />

innerhalb der Stadt ist bis in das 19. Jahrhundert<br />

hinein die wichtigste Grundlage für die Einkünfte der Stadt<br />

und zumal des Spitals. Wie allenthalben in der Feudalzeit profitieren<br />

auch die Reichsstadt Pfullendorf und ihre Bürgerschaft<br />

ganz enorm von einem Vermögenstransfer aus dem abhängigen<br />

Land an die Inhaber feudaler Rechts- und Leistungsansprüche.<br />

Innerhalb der Stadtmauern werden das bürgerliche Leben<br />

und der Alltag im Mittelalter und der Frühen Neuzeit in einem<br />

hohen Maße von den sich alsbald nach der Stadtgründung<br />

bildenden frommen Stiftungen und religiösen Gemeinschaften<br />

geprägt. Da ist zunächst das 1257 erstmalig erwähnte<br />

Heilig-Geist-Spital mit seiner wichtigen Funktion in der<br />

Alten-, Armen und Krankenfürsorge zum Nutzen der städtischen<br />

Bürgerschaft. Die Verwaltung des bis in die Mitte des<br />

54


19. Jahrhunderts im Bereich des heutigen Gasthauses »Deutscher<br />

Kaiser« untergebrachten Spitals mit seinem bedeutenden<br />

Vermögen und seinen umfangreichen Feudalrechten obliegt<br />

dem städtischen Bürgermeister und dem Kleinen Rat, als<br />

deren Verwaltungsorgane drei Spitalpfleger und ein sogenannter<br />

Schaffner tätig sind. Gleichfalls bereits im 13. Jahrhundert<br />

entsteht die St.-Katharinen-Stiftung mit der gleichnamigen<br />

Kapelle und dem Leprosenhaus im Bereich des heutigen<br />

Gasthauses »Deutsches Haus« als Isoliereinrichtung für<br />

mit ansteckenden Krankheiten behaftete Stadtbewohner.<br />

Wichtige Bestandteile der sozialen und religiösen Infrastruktur<br />

des alten Pfullendorf sind weiterhin eine ganze Reihe<br />

von geistlichen Stiftungen, Armenfonds und Ausbildungsstipendien,<br />

Pfleghöfe der Klöster Königsbronn, Salem<br />

und Wald, die beiden aus Beginen-Gemeinschaften hervorgegangenen<br />

städtischen Klöster der Dominikanerinnen und<br />

der Franziskanerinnen und nicht zuletzt auch die bis in das<br />

14. Jahrhundert zurückverfolgbare Kapelle Maria Schray mit<br />

ihrer zeitweise florierenden Marienwallfahrt.<br />

Bei ihrer Pfarrkirche, deren Ersterwähnung übrigens in die<br />

Zeit vor der Stadterhebung in das ausgehende 12. Jahrhundert<br />

zurückreicht, vermag die Reichsstadt erst zu einem relativ<br />

späten Zeitpunkt das Präsentations- beziehungsweise<br />

Nominationsrecht für den Stadtpfarrer zu erlangen. Das ehedem<br />

zunächst in gräflichem und sodann in staufischem Besitz<br />

befindliche Patronat war 1347 vom damaligen König Karl<br />

IV. dem Kloster Königsbronn geschenkt und diesem im folgenden<br />

Jahr inkorporiert worden. Die personelle Besetzung<br />

der Stadtpfarrei obliegt damit offiziell bis in das 16. Jahrhundert<br />

hinein dem von Württemberg bevogteten Kloster.<br />

Nach der Säkularisierung von Königsbronn durch Württemberg<br />

in der Reformationszeit einigen sich die Reichsstadt<br />

und das Herzogtum darauf, daß der Pfarrsatz mit der Verpflichtung,<br />

für den Unterhalt von Pfarrhaus sowie des Stadtpfarrers<br />

und zweier Hilfsgeistlichen aufzukommen, bei<br />

Württemberg verbleibt, das Nominationsrecht aber, das Anrecht,<br />

bei Vakanz der Pfarrei dem zuständigen Konstanzer<br />

Bischof einen geeigneten Kandidaten vorzuschlagen, der<br />

Stadt überlassen wird. Der Pfullendorfer Pfarrkirche, der neben<br />

dem eigentlichen Pfarrbenefizium zeitweise noch bis zu<br />

16 weitere Pfründe angegliedert sind, gehören bis in das<br />

19. Jahrhundert hinein die Filialen Denkingen und Aftholderberg<br />

an.<br />

Die Stadterhebung des Jahres 1220 ist mithin der Ausgangspunkt<br />

einer ganz bemerkenswerten stadtgeschichtlichen Entwicklung<br />

mit unmittelbaren politischen und sozialen Auswirkungenbis<br />

in das beginnende 19. Jahrhundert hinein. Erst<br />

durch die Mediatisierung der Reichsstadt durch Baden 1803<br />

büßt Pfullendorf seine letztlich im Rechtsakt des Jahres 1220<br />

angelegte Sonderstellung als staufische und sodann als<br />

Reichsstadt wieder ein und sinkt aufgrund ihrer wirtschaftlichen<br />

Strukturschwäche bis in die Nachkriegszeit zu einer<br />

Landstadt von minderer Bedeutung ab. Im Selbstverständnis<br />

und einem gewissen städtischen Stolz der Pfullendorfer Bürgerschaft<br />

scheinen mir die Folgewirkungen der einstigen<br />

Reichsstadtstellung indessen teilweise bis auf den heutigen<br />

Tag nachzuklingen.<br />

Herangezogene Quellen und Literatur:<br />

- Stadterhebungsurkunde Friedrichs II. von 1220 für Pfullendorf<br />

(GLAK Selektbestand D).<br />

- Karl Schmid, Graf Rudolf von Pfullendorf und Kaiser<br />

Friedrich I. Freiburg 1954 (Bd. I der Forschungen zur oberrheinischen<br />

Landesgeschichte)<br />

- Die Chroniken der Stadt Pfullendorf. Hg. u. bearb. von<br />

Josef Groner, Pfullendorf 1982.<br />

- Josef Groner, Pfullendorf im Linzgau. 30 Themen zur Geschichte<br />

einer ehemals Freien Reichsstadt, Pfullendorf 1988.<br />

—Johanna Sachse, Die Freie Reichsstadt Pfullendorf, in: Die ehemals<br />

Freie Reichsstadt Pfullendorf und ihre Geschlechter. Hg. v. d. Stadt<br />

Pfullendorf, Pfullendorf 1964, S. 7-22.<br />

- Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden. Hg. v.<br />

d. Badischen Historischen Kommission. Bearb. von Albert Krieger,<br />

2 Bde., Heidelberg 1904/05.<br />

- Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen<br />

und Gemeinden, Bd. VII., Regierungsbezirk Tübingen. Hg. v.<br />

d. Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Stuttgart 1978.<br />

-Dieter-Wilhelm Mayer, Die Grafschaft Sigmaringen und ihre<br />

Grenzen im 16. Jahrhundert. Die Rolle des Forsts beim Ausbau der<br />

Landeshoheit, Sigmaringen 1956 (Heft 4 der Arbeiten zur Landeskunde<br />

Hohenzollerns).<br />

WALTER KEMPE UND HERMANN FRANK<br />

Aus der Geschichte Lausheims, Teil 2<br />

Der Futterer Hof<br />

Der Futterer Hof, Haus Nr. 54, heute Nr. 34, hat seine besondere<br />

Geschichte. 1701 und 1708 erfahren wir aus Berichten,<br />

daß der Klosterstaat Salem sechs sogenannte äußere Höfe<br />

unterhielt, die vom salemischen Jägermeister und vom salemischen<br />

Hofmetzger kontrolliert wurden. Es handelte sich<br />

um die Höfe Dornsberg (Gem. Eigeltingen, Kr. Konstanz),<br />

Madachhof (Gem. Mainwangen, Kr. Konstanz), Gründelbuch<br />

(Gemeinde Buchheim, Kr. Tuttlingen), Bachhaupten,<br />

Malaien (bei Denkingen, etwa um die Mitte des letzten Jahrhunderts<br />

abgerissen) und Lausheim.<br />

Um 1738 hatte Salem dann das Hofgut zu Lausheim neu errichtet,<br />

das vorher in anderer Form bestand. Auf Grund eines<br />

Gutachtens des Pflegeamtes Pfullendorf wurden später,<br />

wie oben erwähnt, den 3 Söldnern zu Lausheim 1747 einige<br />

Ackerfelder und Wiesen überlassen. Aus dem Hofgut wurde<br />

ein Viehhof, in dem 30 Stück Schmalvieh (junge<br />

Schlachtrinder) standen und dem nur noch Wiesen zugeteilt<br />

wurden. Ein herrschaftlicher Futterer versorgte diesen Hof.<br />

Er hatte das kleine herrschaftliche Wohnhaus ohne Garten<br />

zur Verfügung.<br />

Der rechte Flügel des Ökonomiegebäudes diente als Zehntscheuer.<br />

Sie wurde 1732 zusammen mit dem damals noch kleinen<br />

Wohnhaus (Nr. 54) errichtet, als die alte Zehntscheuer<br />

nach einem Blitzschlag abgebrannt war. Diese stand südwestlich<br />

der späteren Zehntscheuer, wurde schon 1509 erwähnt<br />

und war bei der Abgabe von Vogtgarben der Zehntscheuer<br />

von Ostrach gleichgestellt.<br />

Um 1793 kam Fidelis Andelfinger als Futterer nach Lausheim.<br />

Und nun hören wir, was kein geringerer als Pater Benedikt<br />

Hänggi, Pfarrer zu Habsthal und den alten Lausheimern<br />

noch als »'s Päterle« ein Begriff, in seinem Büchlein<br />

55


»Aus den klosterherrlichen Zeiten des alten Oberamtes<br />

Ostrach im 18. Jahrhundert«, 1904 über diesen letzten herrschaftlichen<br />

Futterer zu berichten wußte:<br />

»Als reichsäbtlicher Kutscher sah Fidel Andelfinger, ehe ihm<br />

Abt Robert den Futtererhof zu Lausheim verlieh, noch den<br />

vollen Glanz der Reichsabtei in den 80er und 90er Jahren des<br />

vorletzten Jahrhunderts. In dieser Diensteigenschaft, in einer<br />

flotten, goldbetreßten Montur, auf dem Hut mit einem wallenden<br />

Federbusch über dem Salemer Wappen ausgerüstet,<br />

fuhr er mit seinem gnädigen Herrn, selber auch glänzend, in<br />

die »obere Herrschaft« und wer darf sich wundern, wenn des<br />

Kastners »Annemeile« aus Bachhaupten dem prächtigen Burschen,<br />

dem alle Gauschönen im alten Oberamt nur ein Loblied<br />

sangen, die Hand zum Lebensbunde reichte.«<br />

Fidelis Andelfinger wurde 1767 in Grasbeuren geboren. Er<br />

heiratete 1793 Anna Maria (»Annemeile«) Kohlhund, die<br />

Tochter des Kastners (Verwalter) vom Bachhaupter Amtshof.<br />

Als Futterer in Lausheim erhielt er seine Besoldung vom<br />

Bursieramt in Salem. Nach Übernahme der salemischen<br />

Herrschaft Ostrach durch die Fürstlich Thum und Taxis '-<br />

sehe Regierung in Regensburg erfolgte 1803 die Neuplanung<br />

in Lausheim.<br />

Auf Grund reiflicher Überlegungen und Vorschläge des<br />

Oberamts Ostrach entschied 1804 Regensburg, den neuen<br />

Kameralhof zu Lausheim dem Fidel Andelfinger schupflehenweise<br />

zu überlassen. Er mußte sich als Leibeigener einkaufen.<br />

Der Kameralhof bekam 33 Jauchert Ackerfeld, 12<br />

Mannsmahd Wiesen und ca. 2 Tagwerk Garten zugeteilt. Die<br />

Viehhaushälfte der großen Zehntscheuer mußte für das Lehensgut<br />

zu einer Scheuer mit kleineren Stallungen, Frucht -<br />

und Heubehältnissen umgebaut werden, da die Zehntscheuer-Hälfte<br />

weiterhin von der Herrschaft benötigt wurde. Das<br />

Wohnhaus als Futterer wurde ihm belassen. Weil es aber<br />

ziemlich klein war, durfte er es um ein Kar erweitern. Das<br />

Vieh, das jetzt noch im Viehhaus stand, hatte er noch bis zum<br />

Frühjahr zu versorgen, dann wurde es verkauft bzw. versteigert.<br />

Seine Besoldung als Futterer fiel dann weg. Fidel Andelfinger<br />

starb 1839. Seinem Sohn Michael übergab die Witwe<br />

1845 das Erbe. Er kaufte 1861 die Zehntscheuer (Nr. 55)<br />

von der Standesherrschaft.<br />

Pater Hänggi begegnete 1904 dem 99jährigen »Futterer-Näne«<br />

(Großvater) Michael Andelfinger, der auf dem Weg zur<br />

kleinen Lausheimer Kapelle war:<br />

»Er stützte sich auf einen Stock und strebte sicheren Schrittes<br />

vom Bauernhaus bei der stolzen, wappengeschmückten<br />

Zehntscheuer rainabwärts dem lieben Kirchlein zu.«<br />

Der Futterer-Näne hat die hundert Jahre vollgemacht und<br />

noch etwas dazu. Am 19. September 1904 konnte er, hochgeehrt,<br />

seinen lOOsten Geburtstag feiern. Er war der älteste<br />

Mensch von ganz Hohenzollern. Am 28. März 1906 ist er im<br />

Alter von 101 Jahren, 6 Monaten und 9 Tagen gestorben.<br />

Auch dem Enkel des Fidel, Anton Andelfinger, der den Hof<br />

1878 übernahm, war ein langes Leben beschieden. Er starb<br />

1935. Heute wohnt hier wiederum dessen ältester Enkel Joseph<br />

Andelfinger, zusammen mit der Familie seines Schwiegersohnes<br />

Eberhardt.<br />

Die Kapelle St. Rupertus<br />

Kirchlich war Lausheim schon sehr früh ein Filial der Kirche<br />

zu Magenbuch, die seit 1255 dem Kloster Salem gehörte.<br />

Im Bereich der ältesten Güter Lausheims, dem ehemaligen<br />

Ober- und Unterhof, steht nun die bereits erwähnte romanische<br />

Kapelle aus dem 12. Jahrhundert.<br />

Ihr Baujahr ist nicht bekannt, jedoch dürfte ihr Schicksal mit<br />

dem 1324 bekundeten Hof Salems zusammenhängen. In die-<br />

Der Futtererhof, Wohnhaus und Zehntscheuer von 1732.<br />

Foto: Ilse Kempe<br />

sem Jahr sollte der Pfarrer zu Ostrach einmal in der Woche,<br />

sowie am Tage des Patronen und der Kirchweih, in der Kapelle<br />

Messe lesen.<br />

Aufschluß über die Besitzverhältnisse gibt 1461 die Verleihung<br />

der Pfarrkirche zu Magenbuch. Abt Ludwig von Salem<br />

übergab sie Pfaff Johann Stayger aus Veringen. Hierbei wurde<br />

klargestellt, daß der Altar zu Lausheim, bzw. die Kapelle,<br />

mit seiner Nutzung der Kirche zu Magenbuch nicht verhaftet<br />

noch gehörig sei. Als Eigentum Salems empfing sie Pfaff<br />

Stayger jährlich von neuem aus der Hand des Abtes.<br />

1566 mußte Hans Geyger vom Oberhof zu Lausheim u. a.<br />

der Kapelle zu Lausheim 1 Pfund Wachs aus den Öläckern<br />

geben.<br />

Nach der Auflösung des Klosterstaats Salem 1803, finden wir<br />

die Kapelle, laut Primärkataster des Jahres 1846, im Besitz der<br />

Gemeinde Lausheim, Parzelle Nr. 50. Ob die bauliche Unterhaltspflicht<br />

den Erben Salems, nämlich den Fürsten von<br />

Thum und Taxis, oder der Gemeinde zufiel, war noch nicht<br />

geklärt.<br />

Als kirchlicher Patron der Kapelle wird, mindestens seit Abt<br />

Petrus von Salem im Jahre 1594 eine Inventur vorgenommen<br />

hatte, St. Rupertus genannt. Nach älteren Dokumenten war<br />

die Kapelle vorher, z. B. 1494, St. Bernhardus geweiht. Ein<br />

ähnlicher Wechsel des Patroziniums fand um 1592 bei den<br />

Pfarrkirchen St. Pankratius in Magenbuch und in Ostrach<br />

statt, die vorher »Unserer Lieben Frau« geweiht waren.<br />

Die Renovationen der Lausheimer Kapelle<br />

Das ehrwürdige Alter der Kapelle zu Lausheim läßt es als sicher<br />

erscheinen, daß in den 8 bis 900 Jahren ihres Bestehens<br />

der Zahn der Zeit sich immer wieder bemerkbar machte. Besonders<br />

in wirtschaftlich schlechten Zeiten, an denen ja kein<br />

Mangel war, mögen Bereitschaft und Möglichkeit zum Konservieren<br />

und Renovieren nicht besonders groß gewesen sein.<br />

Wir dürfen als sicher annehmen, daß es in der Geschichte der<br />

Kapelle kritische, ja existenzbedrohende Zeiten gegeben hat.<br />

Offensichtlich kam aber immer rechtzeitig Hilfe für ihre Rettung.<br />

Anhaltspunkte über zwei dieser früheren und wohl wesentlichen<br />

Wiederherstellungen der Kapelle, geben uns die erneuten<br />

Weihen durch die Weihbischöfe des Bistums Konstanz,<br />

zu dem Lausheim wohl seit seiner Gründung bis zur<br />

Aufhebung der Diözese im Jahre 1827 gehörte.<br />

56


Zwei Original-Urkunden befinden sich im Staatsarchiv Sigmaringen.<br />

Die erste, bezeugt, daß am 9. August 1494 Daniel,<br />

der Weihbischof des Bischofs von Konstanz - es dürfte Thomas<br />

Berlower gewesen sein - die Kapelle im Ort Lausheim,<br />

Pfarrei Magenbuch, zu Ehren des heiligen Bernhardus wiederum<br />

geweiht hat. Ebenso weihte er den Altar sowohl zu<br />

Ehren desselben, als auch u. a. des St. Rupertus. Den<br />

Kirchweihtag für Kapelle und Altar setzte er auf Sonntag vor<br />

Michaelis fest.<br />

Die nächste uns bekannte, urkundlich überlieferte Altarweihe<br />

in der Filialkirche Lausheim bei Magenbuch fand am 11.<br />

August 1763 statt. Sie wurde durch Franziskus Carolus Josephus<br />

Fugger, Weihbischof des damaligen Bischofs von<br />

Konstanz, Franz Konrad, Kardinal von Rodt, vorgenommen.<br />

Er hat in der Kapelle den Altar zu Ehren des heiligen Bischofs<br />

Rupertus geweiht und Reliquien von heiligen Märtyrern eingeschlossen.<br />

Allen Gläubigen, die den Altar am Weihetag besuchen,<br />

verlieh er einen Ablaß von 40 Tagen.<br />

Sehr starke Verfallserscheinungen der Kapelle werden uns aus<br />

der Zeit um 1850 gemeldet. Ausführliche Unterlagen des Jahres<br />

1854 berichten, daß der Zustand der Decke der Kapelle<br />

zu Lausheim deren Einsturz befürchten ließ und die Gottesdienstbesucher<br />

stark gefährdete. Die königliche Regierung in<br />

Sigmaringen verfügte, daß bis zur Klärung der Unterhaltspflicht<br />

des Baus, die Gemeinde Magenbuch-Lausheim in<br />

Vorlage der Kosten zu treten habe. Das Bürgermeisteramt<br />

Magenbuch berichtete damals dem königlichen Oberamt:<br />

»... das Dach der Kapelle wurde ganz frisch umgeschlagen,<br />

neu verschindelt, der First mit neuen Hohlziegeln versehen<br />

und gut vermauert. Bei der Ausbesserung der Decke fiel ein<br />

Stück nach dem anderen von selbst herunter und mußte erneuert<br />

werden«.<br />

Eine der weiteren, größeren Baufälligkeiten wurde in den<br />

siebziger Jahren dieses Jahrhunderts registriert. Die Kapelle<br />

war wiederum in einem desolaten Zustand. Dies gab den Anstoß<br />

zur Gründung der Bürgerinitiative »Interessengemeinschaft<br />

zur Erhaltung der Lausheimer Kapelle«, am 2.11.1981.<br />

Dank dieser Initiative des damaligen Ortschaftsrates konnte<br />

unter Federführung der Herren Peter Senn und Hubert Frank<br />

das Interesse an der Erhaltung des historischen Kleinods bei<br />

einer breiten Öffentlichkeit mit voller Unterstützung der<br />

amtlichen Stellen geweckt werden. Nach Fertigstellung der<br />

umfangreichen, mit namhaften Kosten und Eigenleistungen<br />

verknüpften Renovierungsarbeiten, stellte sich im Jahre 1985<br />

eine im neuen Glanz erstrahlende Kapelle St. Rupertus dar.<br />

In einer hübschen Festschrift wurde das über die Kapelle bisher<br />

Bekannte, insbesondere ihre Ausstattung, dokumentiert.<br />

EDWIN ERNST WEBER<br />

Der Nachlaß des Heimatforschers Josef Deschler im Kreisarchiv Sigmaringen<br />

Ab sofort steht im Kreisarchiv Sigmaringen der Nachlaß des<br />

hohenzollerischen Lehrers und Heimatforschers Josef Deschler<br />

(1897-1991) für die wissenschaftliche und heimatkundliche<br />

Benutzung zur Verfügung. Der zum 1. April 1994<br />

als Schenkung an das Kreisarchiv Sigmaringen gelangte persönliche<br />

und heimatgeschichtliche Nachlaß wurde mittlerweile<br />

archivfachlich geordnet, neu verpackt und verzeichnet.<br />

Der Bestand mit einem Umfang von 0,3 laufenden Metern<br />

und einer Laufzeit von 1757 bis 1987 ist durch ein Findbuch<br />

erschlossen. Reichhaltige Aufschlüsse birgt der Nachlaß vor<br />

allem zur Ortsgeschichte von Bingen und Ablach und darüberhinaus<br />

des gesamten Sigmaringer Raums.<br />

Josef Deschler wurde am 26. September 1897 in Bingen als<br />

Sohn des Bauern Johann Deschler und seiner Ehefrau Katharina<br />

geb. Kiene geboren. Seine schulische Ausbildung erhielt<br />

er zunächst an der örtlichen Volksschule und von 1910 bis<br />

1913 an der Benediktiner-Oblatenschule (Ordensgymnasium)<br />

Emaus in Prag. Im Herbst 1913 gab er die vor allem auch<br />

auf Veranlassung seines Onkels, des Beuroner Paters<br />

Hieronymus Kiene, gefaßte Absicht, in den geistlichen Stand<br />

einzutreten, wieder auf und nahm im Jahr darauf das Lehrerstudium<br />

an der preußischen Präparandenanstalt in Hechingen<br />

auf. Nach der Unterbrechung durch den Militär- und<br />

Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg und der langen Rekonvaleszenz<br />

nach einer schweren Verwundung an der Westfront<br />

1918 setzte Deschler vom September 1919 bis 1921 sein Lehrerstudium<br />

in Hechingen und sodann am Lehrerseminar in<br />

Boppard a. Rh. bis zur ersten Dienstprüfung fort. Aufgrund<br />

der schlechten Beschäftigungslage im Schuldienst war Deschler<br />

in der Folge bis 1925 zunächst als Büroangestellter bei der<br />

Hauptfürsorgestelle des Landeskommunalverbandes im Sigmaringer<br />

Landeshaus tätig, ehe er zum 1. Mai 1925 den ersehnten<br />

Lehrerberuf mit einer Vertretungstätigkeit an der damals<br />

zweiklassigen Volksschule in Thalheim dann doch antreten<br />

konnte. Nach der zweiten Dienstprüfung 1927 wurde<br />

Josef Deschler die etatmäßige Lehrerstelle an der einklassigen<br />

Volksschule in Rosna übertragen. Unterbrochen von verschiedenen<br />

Dienstvertretungen während des Zweiten Welt-<br />

Der Ablacher Lehrer und Heimatforscher Josef Deschler (1897) -<br />

1991) Foto: Kreisarchiv Sigmaringen XI/12 Nr. 6<br />

57


krieges blieb er der Rosnaer Schulstelle über 17 Jahre bis 1945<br />

treu.<br />

Wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP, in der er zeitweise<br />

als Blockleiter und Presseleiter tätig war, wurde Deschler<br />

nach dem Kriegsende zeitweise vom Lehrerdienst suspendiert,<br />

Ende 1945 an die Volksschule Ablach und schließlich<br />

von 1947 bis 1948 nach Abschluß seines Entnazifizierungsverfahrens<br />

als Sühnemaßnahme für die Dauer eines Jahres<br />

an die Volksschule Scheer strafversetzt. Die Tätigkeit als<br />

Volksschullehrer in Ablach übte er bis zu seiner Pensionierung<br />

im Jahr 1965 und sodann noch ein weiteres Jahr als Vertragslehrer<br />

aus.<br />

Als Schulmeister alter Prägung entwickelte Josef Deschler an<br />

seinen Einsatzorten stets auch eine ausgesprochen rege außerdienstliche<br />

Aktivität. In Rosna bekleidete er über mehrere<br />

Jahre auch das Amt des Gemeinderechners, in Ablach übernahm<br />

er 1946 für lange Jahre den Organisten- und Chorleiterdienst<br />

an der örtlichen Pfarrkirche. Bis 1970 führte er an<br />

seinem Wohnort auch die Ortschronik, weiterhin tätig war<br />

er als Mitglied und sodann als Vorsitzender des Pfarrgemeinderats<br />

sowie des Obst- und Gartenbauvereins Ablach.<br />

Aus seiner 1932 mit Marieluise Engler aus Frankfurt geschlossenen<br />

Ehe sind drei Söhne hervorgegangen. Im hohen<br />

Alter von 93 Jahren ist Josef Deschler am 23. März 1991 in<br />

Ablach verstorben.<br />

Neben seiner Lehrertätigkeit und den verschiedenen von ihm<br />

übernommenen öffentlichen Aufgaben gehörte die große<br />

Leidenschaft von Josef Deschler indessen stets der Erforschung<br />

der Heimatgeschichte. Deschler gehört der Generation<br />

der historisch interessierten und engagierten Schullehrer<br />

an, die das Bild der hohenzollerischen Orts- und Landesgeschichtsforschung<br />

im 19. und 20. Jahrhundert ganz<br />

maßgeblich geprägt und bestimmt haben. Die Ergebnisse seiner<br />

heimatkundlichen Forschungen hat er in einer stattlichen<br />

Reihe von Veröffentlichungen vor allem in der Hohenzollerischen<br />

Volkszeitung und sodann, in der Nachkriegszeit, in<br />

der Hohenzollerischen Heimat einem breiten Publikum vorgestellt.<br />

Schwerpunkte seines historischen Interesses waren<br />

dabei sein Wohnort Ablach und vor allen Dingen das heimatliche<br />

Bingen, dessen Chronist und Ortshistoriker er im<br />

eigentlichen Sinn geworden ist. Neben seinen veröffentlichten<br />

Werken bildet die im Nachlaß enthaltene reiche Materialsammlungen<br />

mit handschriftlichen Niederschriften, Zeitungsausschnitt-<br />

und Aufsatzsammlungen eine Fundgrube<br />

vor allem für die ortsgeschichtliche Forschung des Sigmaringer<br />

Raums und hier zumal der Orte Bingen und Ablach.<br />

Uberraschend ist in seinem Nachlaß eine konkrete Planung<br />

für eine Bingener Ortsgeschichte zum Vorschein gekommen,<br />

die in elf Kapiteln neben bereits veröffentlichten Arbeiten<br />

Deschlers mehrere noch nicht publizierte Manuskripte enthält.<br />

Die Bandbreite der darin abgehandelten Themen reicht<br />

vom dörflichen Fasnetbrauchtum über die örtliche Kirchenund<br />

Wirtschaftsgeschichte bis zur Flurnamensforschung.<br />

Eine überaus fruchtbare Tätigkeit entwickelte Josef Deschler<br />

sodann als Heimat- und Archivpfleger, mit Aktivitäten u. a.<br />

auch in den Bereichen Flurnamens-, Dialekt- und Volksliedforschung.<br />

Sein sprachliches Talent ist neben seiner Tätigkeit<br />

als langjähriger Lokalberichterstatter für die örtliche Presse<br />

in den zahllosen von ihm hinterlassenen Gedichten und Reden<br />

zu allen nur denkbaren Anlässen des dörflichen Lebens<br />

sowie in seinen humorvollen Jugend- und Dorfgeschichten<br />

zu erkennen. Im Nachlaß finden sich auch zahlreiche Proben<br />

dieser Seite von Josef Deschler.<br />

JOHANN ADAM KRAUS t<br />

Aus den Visitationsakten des ehemaligen<br />

Kapitels Trochtelfingen 1574-1709<br />

(Fortsetzung)<br />

Bericht des Pfarrers von Trochtelfingen vom Dezember 1650<br />

(fol. 679a) Die Einkünfte der Nachpredigerpfründe betragen<br />

30 fl, wovon jedoch acht z. Zt. nicht eingehen; die restlichen<br />

22 gibt der Herr Patron. Endlich sind für die hl. Messe, die<br />

täglich nach der Matutin von einem Kaplan gelesen wird, vom<br />

verstorbenen Herrn Mag. Martin Benkler kurz vor seinem<br />

Tode 800 fl gestiftet worden, die bei Riedlinger Bürgern stehen.<br />

Doch ist hierüber noch nichts Schriftliches gemacht, sowenig<br />

wie über die Pfründen.<br />

Der Kirchenheilige (St. Martin) hat jährliche Geldzinsen von<br />

etwa 400 fl, an Getreide 70 Scheffel, an Eigengütern 18 Jauchert<br />

Acker und 11 Jauchert Wiesen. Hiervon sind zu unterhalten:<br />

die Fabriken der Kirche und Kapellen, die Jahrtage,<br />

die Lampen und Lichter der Kirche und die Rosenkranzbruderschaft.<br />

Die Jahrtage wurden seit 3 Monaten wieder gehalten, soweit<br />

dies möglich ist. Eine Rosenkranzbruderschaft hat neulich<br />

die hochgeb. Gräfin von Fürstenberg in der Kirche gegründet<br />

unter Zuweisung eines jährlichen Zinses von 15 fl, doch<br />

ging bisher noch nichts davon ein. Die Lasten werden von<br />

der Stiftung getragen; der Collator versprach Regelung der<br />

Sache. Der Lampen und Lichter in der Kirche sind es sehr<br />

viele, auch einige ewige darunter. Vor dem Allerheiligsten<br />

konnte in den letzten Jahren nicht immer eine brennen, ich<br />

weiß nicht, ob mehr aus Nachlässigkeit oder aus Armut. Doch<br />

wird allmählich alles wieder in Ordnung gebracht.<br />

(fol. 680) Betr. Kirchenfabrik ist zu berichten: Die Pfarrkirche<br />

ist an Bau und Ausstattung in Ordnung. Doch mußten vor einigen<br />

Jahren zur Unterstützung der armen Einwohner die goldenen<br />

Geräte und anderes um 500 fl nach Ulm versetzt werden<br />

an eine katholische Dame von Adel. Doch soll alles innerhalb<br />

Jahresfrist rückgelöst werden. Auch der Baron von Speth zu<br />

Gammertingen seligen Angedenkens hat einen Silberkelch als<br />

Pfand aus unserer Kirche erhalten und verschleudert, auch bisher<br />

weder Ersatz geleistet, noch einen Schuldschein ausgestellt.<br />

Kapellen in und um die Stadt Trochtelfingen gibt es fünf: 1) die<br />

Michaelskapelle mit einem Altar in Nachbarschaft der Kirche,<br />

2) die Erhardskapelle außerhalb der Stadt am Friedhof, ebenfalls<br />

mit nur einem Altar. Sie ist sehr ruinös und soll zeitig im<br />

Frühjahr durch die Pfleger renoviert werden, 3) die Nikolauskapelle<br />

(auf dem Hennenstein) mit drei Altären. Doch sind zwei<br />

davon durch Soldaten zerstört und profaniert. Sonst hat der Bau<br />

nicht gelitten. 4) Die Kapelle U. Lieben Frau vor dem Tor, mit<br />

zwei Altären, ist unversehrt. 5) Die Liebfrauenkapelle in Entfernung<br />

von einer Stunde (auf der Haid) mit 2 Altären, einem<br />

zugehörigen Haus mit Scheuer als Wächterwohnung. Die Kapellewar<br />

einst durch Wunder berühmt, jetzt ganz verlassen und<br />

schadhaft. Sie soll aber zeitig im Frühjahr auf Kosten eines frommen<br />

Mannes in Erfüllung eines Gelübdes erneuert werden.<br />

Der Kirchenpatron (St. Martin) hat außerdem zwei eigene<br />

Häuser in der Stadt, die er auch reparieren muß, sobald dies<br />

geschehen kann.<br />

58


Heiligenpfleger sind außer dem Pfarrer noch zwei Bürger, die<br />

jährlich vor dem Pfarrer und Stadtrat (Senat) abzurechnen haben,<br />

was jedoch in den verflossenen Kriegsläuften nicht immer<br />

geschah. Wegen Größe der Ausstände und Nachlässigkeit<br />

der Rechner ist sehr darauf zu dringen. Der neubestellte<br />

Rechner wird darauf zu sehen haben, daß sein Vorgänger die<br />

Sache in Ordnung bringt. Die Ausstände der Fabrik betragen<br />

einige tausend Gulden, die in den letzen Jahren nicht eingingen.<br />

Die Zeit muß lehren, was da zu tun sei. Bei den meisten<br />

Posten kann man noch Hoffnung haben.<br />

Außerdem existiert noch eine andere fromme Stiftung, die<br />

nicht zur Kirche, sondern zum Friedhof gehört, nämlich ein<br />

kleines Heim für die Übernachtung von Armen. Sie hat nur<br />

einige bescheidene Jahreszinsen. Das Haus wurde von Soldaten<br />

zerstört, auch blieben die Einkünfte aus und keine Abrechnung<br />

mehr wurde gemacht. Die Angelegenheit gehört<br />

vom Stadtrat neu geregelt. Dieser hat auch das Präsentationsrecht<br />

von Studenten auf zwei Freiburger Stipendien, die<br />

einst Weihbischof Melchior Fattlin stiftete. Doch erhält sie<br />

seit einigen Jahren niemand mehr. Es wäre zu wünschen, daß<br />

der alte Rechtszustand wiederhergestellt würde.<br />

Von den Filialen: 1. Steinhilben hat zwei genügend gute Fabriken<br />

d. h. eine Kirche und eine (Johannes-)Kapelle. Deren<br />

Einkünfte betragen an Geld 26 fl und Getreide 2 Scheffel,<br />

worüber zwei Bauern sorgfältig Rechnung führen, obgleich<br />

z. Zt. viele Zinsen ausstehen. (Am Rande bemerkt: Zwei Altäre<br />

sind profaniert, wie auch der einzige Altar in der zur Kirche<br />

gehörigen Kapelle, die nicht weit vom Dorfe steht.)<br />

2. Wilsingen hat eine neue und praktisch verwaltete Heiligenfabrik,<br />

die an Geld jährlich 132 Gulden Zins einnehmen<br />

sollte, aber davon fast nichts erhalten kann. Die Kirche hat 3<br />

Güter, von denen jedoch nur zwei gebaut werden und diese<br />

nur teilweise, so daß heuer lediglich 8 Scheffel Getreide eingingen.<br />

Die beiden Bebauer haben 1633 letztmals vor dem<br />

Abt von Zwiefalten abgerechnet, doch ohne Zuzug des Pfarrers.<br />

Dieser hat daher auch nie Gelegenheit, seine Wünsche<br />

und Beschwerden über die Kirchenverwaltung vorzubringen.<br />

So brennt z. B. auch kein Licht vor dem Allerheiligsten, das<br />

nicht in einem würdigen Gefäß, sondern in einer hölzernen<br />

Schatulle oder Büchse verwahrt wird. Auch ist die Reparatur<br />

der Kirche vernachlässigt.<br />

3. Hörschwag hat ein elendes Hüttlein als Kirche, das zur<br />

Gottesdienstfeier kaum genügend ausgestattet ist, auch keine<br />

Einkünfte besitzt. Der Fürst von Zollern(-Hechingen) bezieht<br />

zwar die Zehnten und hätte folglich die Baupflicht, gibt<br />

aber keine Beihilfe. Der Bau hat keinen konsekrierten Altar.<br />

Ehemals bestand noch eine vierte Filiale in Meidelstetten, das<br />

jetzt andersgläubig ist und einen eigenen Prädikanten hat.<br />

Stadt Gammertingen (fol. 681 fg).<br />

Hier sind zwei Heiligenfabriken, der Pfarrkirche und der St.<br />

Michaelskapelle. An ersterer besteht ein einziges Benefizium,<br />

dessen Collator der Herr Baron von Speth in Gammertingen<br />

ist. Inhaber ist z. Zt. der Hochw. H. Andreas Benkler, Magister<br />

der Philosophie. An Einkünften gibt er an:<br />

Aus allerlei Zinsen 17 fl, an Opfern etwa 3 fl, an Frucht fest<br />

vom Collator 70 Sack, die er die letzten vier Jahre wieder voll<br />

erhielt. Von mehreren Bauern aus deren Gütern ehemals 53<br />

Sack, teils Dinkel, teils Haber, jetzt bekommt er wegen fehlender<br />

Bebauung kaum ein Drittel davon.<br />

Der Pfarrer von Benzingen schuldet dem von Gammertingen<br />

12 Sack Dinkel und Vesen in fixo, was unter den Vorgängern<br />

immer reibungslos einging, während der jetzige Pfarrer von<br />

dort sich nicht dazu verstehen will, weswegen die Hilfe der<br />

Obrigkeit anzurufen sein wird.<br />

Von bestimmten Äckern hat der Pfarrer das Recht, die<br />

neunte Garbe zu sammeln. Da sie jedoch fast wüst liegen, hat<br />

er diesen Sommer nur 12 Garben gekriegt. Die Novalzehnten<br />

werden ihm ganz verweigert, obgleich sein Vorgänger sie<br />

sicher bekam. Die Streitsache ist bisher nicht nach Konstanz<br />

an den kirchlichen Richter berichtet; es ist aber doch gegen<br />

sein Erwarten zu einem Prozeß gekommen, zu dessen<br />

Führung die Mittel fehlen, und der Pfarrer hat, des Streitens<br />

müde, bisher nachgegeben.<br />

An Kleinzehnten erhält der Pfarrer aus Gammertingen und<br />

Bronnen den von Hülsenfrüchten, Hanf, Raps und allem<br />

Gemüse, aber nicht wie seine Vorgänger. Denn diese bezogen<br />

von Hanf- und Flachsländern den Zehnten von allem,<br />

was man darauf baute. Jetzt nimmt den Fruchtzehnten davon<br />

die weltliche Behörde. Den Heuzehnten in Bronnen hat er<br />

von allen Wiesen, in Gammertingen nur von 22 Jauchert, die<br />

jedoch heute teils in Äcker verwandelt sind, so daß der weltliche<br />

Zehntherr den Zehnten nimmt.<br />

Der Pfarrer gibt an, da man ihm den Bohnen- und Linsenzehnten<br />

nicht streitig machen konnte, habe man ein Gesetz<br />

gemacht, wonach die Bauern nur höchstens eine halbe Jauchert<br />

damit anpflanzen durften, was zweifellos gegen den<br />

Pfarrer gemünzt sei. An lebendem Zehnten (von Tieren) erhält<br />

er nur von jedem Stück, ob aufgezogen oder verkauft, einen<br />

Kreuzer oder Denar, was zusammen nicht über einen<br />

Gulden ausmacht.<br />

An Eigengütern hat er 3 Gärten und 4 Jauchert Acker, wovon<br />

nur ein kleiner Teil bebaut wird.<br />

(fol. 682) Als Hauptlast der Pfarrei gibt er an, daß er jährlich<br />

vier opulente Mähler den Stadtbehörden geben müsse.<br />

Das ganz ruinöse Pfarrhaus mit der Scheuer, die in gleichem<br />

Zustand ist, hat der Pfarrer nach langem vergeblichen Betteln<br />

beim Collator um deren Reparierung, endlich notgedrungen<br />

selbst instand setzen lassen, um den Einsturz zu verhindern.<br />

So mußte er nicht nur sein Geld, sondern auch sein Recht<br />

drangeben. Die Fabriken der Kirche und Kapelle, obwohl<br />

beide unversehrt erhalten, sind mit Ornat sehr schlecht versehen.<br />

Beide haben eigene Güter und, wenn auch bescheidene,<br />

Einkommen. Jede hat zwei Bürger als Pfleger, die jedoch<br />

seit Jahren keine Rechenschaft mehr gaben, wohl mehr aus<br />

Schuld des Collators, dem sie in Gegenwart des Pfarrers zu<br />

geben wären.<br />

Keinerlei Urkunden oder Schriften oder Kopien über die Güter<br />

der Kirche sind in Hand des Pfarrers oder der Pfleger, sondern<br />

liegen beim Patronatsherrn (von Speth). Erstere können<br />

also keine genügende Kenntnis besitzen. Auch beklagt sich<br />

der Pfarrer, er habe nicht einmal über die Pfarrgüter und sein<br />

eigenes Benefizium irgendwelche Dokumente und könne so<br />

leicht der Rechte beraubt werden.<br />

Aus Kirchenbesitz hat der verstorbene Herr Johannes Christopherus<br />

Speth vor einigen Jahren 5 Kelche, eine Monstranz,<br />

ein Ziborium und andere Silbergefäße um eine Geldsumme<br />

nach St. Gallen (apud St. Gallum) in die Hände Andersgläubiger<br />

versetzt, zum eigenen Verbrauch, hat dann den Lösetermin<br />

verpaßt und so die Kirche zu seinen Gunsten betrogen,<br />

auch bisher nichts davon gutgemacht.<br />

Einst war hier an der Kirche eine Bruderschaft des Ewigen Rosenkranzes<br />

gestiftet, zu deren Fonds der Baron von Speth jährlich<br />

35 fl stiftungsgemäß zuzuschießen hätte. Aber er gab bisher<br />

nur einen kleinen Teil. Auch wären viele Jahrtage für Verstorbene<br />

zu feiern, die schon lange ausfallen mußten, weil die<br />

vom Baron dazu geschuldeten Beträge nicht gegeben werden.<br />

Endlich schuldet der genannte Herr der Kirche noch viel mehr,<br />

da er deren Güter benützt, oder besser gesagt, ausnutzt. Er hat<br />

jedoch bisher nichts als seine Zahlungsunfähigkeit dargetan.<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

59


HERBERT RÄDLE<br />

Wer schuf das Grabmal des Ritters Albrecht Speth in Neufra?<br />

In dem Bildband Kunst im Landkreis Sigmaringen weist<br />

Manfred Hermann das Laizer Epitaph der Nonne Barbara<br />

von Hausen, einer Schwester des Ellwanger Propstes Wolfgang<br />

von Hausen, mit Recht dem Biberacher Bildhauer Hans<br />

Dürner zu (S. 142). Im Dienst Wolfgangs von Hausen schuf<br />

Dürner in den Jahren 1610-1613 auch den Ellwanger Hochaltar<br />

1 .<br />

Wenn Hermann freilich meint (ebendort S. 142), Dürner habe<br />

auch das Grabmal des Ritters Albrecht Speth in Neufra<br />

(gest. 1608, vgl. Abb. 1) geschaffen, so wird man ihm darin<br />

nur schwer folgen können. Stilistische Gründe sprechen dagegen.<br />

Das Neufraer Denkmal wirkt altertümlicher und weist<br />

nichts von der feinen Bewegtheit im Figurenstil Dürners auf.<br />

Der Urheber des Neufraer Grabmals muß meiner Meinung<br />

nach eher in der Umgebung von Sem Schlör (1530-1598) gesucht<br />

werden, der in Hall eine große Werkstatt führte und<br />

dessen geradezu schon fabrikmäßig arbeitender Betrieb 2 Epitaphien<br />

weit über den lokalen Raum hinaus lieferte.<br />

Sem Schlör hat auch am Hofe Herzog Ludwigs von Württemberg<br />

(1554-1593) gewirkt. Für ihn schuf er seit 1579 die<br />

sog. Alten Herren von Württemberg, jene Reihe der württembergischen<br />

Grafendenkmäler, die sich noch heute im<br />

Chor der Stuttgarter Stiftskirche befinden.<br />

Ihm wird aber auch das Grabmal des Hans Ludwig Speth (gestorben<br />

1583) zugeschrieben, das sich in der gotischen Pfarrkirche<br />

Höpfigheim bei Ludwigsburg befindet. Die beigefügte<br />

Abb. 2 läßt die große Ähnlichkeit erkennen, die das Höpfigheimer<br />

Speth-Denkmal mit dem gut 25 jüngeren Grabmal<br />

Albrecht Speths in Neufra verbindet.<br />

Abb. 2: Grabmal des Hans Ludwig Speth (gestorben 1583). Sem<br />

Schlör zugeschrieben. Höpfigheim, Kreis Ludwigsburg. Bildnachweis<br />

Fleischhauer, Die Renaissance im Herzogtum Württemberg,<br />

Stuttgart 1971 Abb. 72.<br />

Anmerkungen<br />

1 Heute im nördlichen Querschiff der Ellwanger Basilika befindlich.<br />

Vgl. B. Bushart, Die Basilika zum Hl. Vitus in Ellwangen, Ellwangen<br />

1988, S. 30.<br />

1 Vgl. W. Fleischhauer, Neues zum Werk des Bildhauers Sem Schlör,<br />

in: Württembergisch Franken, Bd. 50, 1966, S. 111-123, sowie<br />

H. Ricke, Hans Morinck, Sigmaringen 1973, S. 33 f.<br />

Abb. 1: Grabmal des Ritters Albrecht Speth von 1608. Pfarrkirche<br />

Neufra (Hohenz.)<br />

Maren Kuhn-Rehfus<br />

Werner Kuhn<br />

SIGMARIÜGEN Siemarinsen<br />

m ' 8,;iiniī|ai CUgllliU lllgcil<br />

in alten<br />

Ansichten<br />

196 Seiten mit 229 Abb.,<br />

davon 28 farbig<br />

21x20 cm • Leinen<br />

ISBN 3-7995-3430-X<br />

Subskriptionspreis bis 31.12.<strong>1995</strong> T~V"jy Q<br />

(danach DM 48.-)<br />

UiVl J s<br />

ife Jan Thorbecke Verlag<br />

60


JOSEF SCHULER<br />

Junginger Dorfgeschichten<br />

Vom Chrischtboom zum Narraboom<br />

Weihnächda, was fier a Zauberwoat! Do druumed de Junga<br />

vom Chrischdkendle und de Alta vo dr vrgangena Jugend, au<br />

wenn se no so armseleg gsei isch. Schau mit-m eschda Advent<br />

isch ma vrzaubered gsei, und wenn ma beim Rorate e dr dunkla<br />

Kirch de eschd Keez aabrennt und dia altvrtrauta Lieder<br />

gsunga hot, isch wam warm woara ums Heaz, au wenn ma<br />

kalte Füeß ghett hot. Vo Weihnächda bis Dreikeneg isch oa<br />

Feschd gsei. Wia glückleg ma seallmol - au aune Radio und<br />

Fernsear - gsei isch, ka-ma a deara Schdell garit beschreiba.<br />

Am Dag no Dreikeeneg aber hot dr Luft aus ama andera Eck<br />

blosed. Do hand de junga Leit d Faßned eröffned, ma isch<br />

»Maschgera« ganga. Ma hot d Faßnedkischd uff dr Behne uffdau<br />

und isch es vrruckteschd Häs neigschlupft. No isch des<br />

bunt Völkle, Buaba und Mädle, obeds mit »Narri-Narro« dur<br />

d Gassa tolled. Und weil ma seallmol weneg Geald ghett hot,<br />

isch dia Bande oafach e-d Privathäuser ganga, weils deet<br />

Moschd und Schnaps umasuschd gea hot, vielleicht au, weil<br />

es deet aweng hoammeleger zuaganga isch. (D Wietschafta<br />

sind schbäter »hoagsuecht« woara). Dr Witz dabei isch dear<br />

gsei: Ma isch vrdeckt ganga, hot d Haut mit Gsiechtslarv,<br />

Kapp und Heetscha zuadeckt, daß wan jo neamed kennt. Nu<br />

so ka-ma se auscheniert bewega, ka seim Geganiebr mit vrschdellter<br />

Schdimm ällerhand Bosheita es Gsicht saga, (wa<br />

ma suschd it dät) und sein Wunderfitz wecka, wa wohl under<br />

deara Larv dunna sei. Uff dia Weis hot a Vrliebter au ausloschora<br />

kenna, wia-s dahoam bei seira »Flamme« so aussieht.<br />

S hot ällerdings Schbezialischda gea, wia z. B. da alta »Cive«,<br />

dia fäschd jeden Maschgara kennt hand am Gang, dr Halting,<br />

Beweging, dr Schdimm oder ama Blick hindr d Larv. Wenn<br />

des hot jabber vrzwinga wella, isch schneall a luschdege Rauferei<br />

in Gang kumma. Kuzum, s ganz isch a Riesa-Gaude gsei,<br />

dia zuadeam fäschd nunz koschded hot. Dia Leit, mo fier d<br />

Faßned koan Sinn ghett, oder da Schdroßadreck gfircht hand<br />

(seallmol sind d Gassa neit teert gsei) oder gar z-gnereg fier<br />

en Schnaps gsei sind, hand s Haus halt vrriegled. Jede Gruppe<br />

(2-8 und maih) hot sowiaso iehre schbeziella Häuser ghett.<br />

Era langa Faßned isch dees, wia-ner ui deeka kenned, a zimmlicher<br />

Schlauch gsei.<br />

Vill isch andersch woara, seit dia Junga vo seallmol alt woara<br />

sind. Maschgera e Privathäuser geits schau lang nemme. I<br />

sags nu hälinga, aber d Faßned isch a Gschäft woara. Und<br />

Weihnächda? Ma sieht voar lauter Päckle s Kripple underm<br />

Chrischdboom nemme: S Chrischkindle isch reich und d Kinder<br />

satt und arm woara. A was solle se no a Freid hau, se hand<br />

doch alles.<br />

Aber dr Fortschritt hot aus jetz an nuia Brauch beschert. Mr<br />

kenne jetz dr Nochberschaft en optischa Weihnächtsgrueß<br />

schicka, wenn mr a Liechter-Pyramide es Feaschder schdelle,<br />

a Chrischdbeemle mit elektrescha Keeza uf da Balkon oder<br />

gar en Voargaata setze. Wenn deet schau a schees Bemle<br />

gwaßa isch, wia beim Rudolf, zhendereschd e Bachenau dahin,<br />

isch des no oafacher. Vom eeschda Advent a freit se dear,<br />

wenn-r obeds am Feaschder schdoht und sei Dännle e-de<br />

dunkel, kalt Winternaacht nei leichted, wenn dr Köhlbearg,<br />

dear schwaaz und mächteg am Naachthimmel schdoht, so<br />

heall ieberschdrahlt wuud. Isch des it a Gleichnis fier-d Weihnächdsbotschaft?<br />

Mo aber Dreikeneg vrbei gsei isch, und dear Boom ällawein<br />

no brennt hot, hand seine Musikkamerada afanga foppa, obr<br />

denn Weihnächda it vrgeassa kenn, s gang doch dr Faßned<br />

zua. Aber dr Rudolf isch eisern gsei: »Eschd a Liechtmeaß<br />

vrlischd dr Schdeann am Kripple.« Aber mo-ner ama scheena<br />

Dag uffwached und no em Weatter gucked, draut-r seina<br />

Auga it. Sei scheene Dann isch ibr und ibr mit bunta Bendl<br />

und ällerhand Faßned-Gruschd behanga. Aus seim schdolza<br />

Chrischdboom isch ieber d Naachd a Narra-Boom woara. O<br />

dia Musikanta! Dia hand em jetz beibrocht, daß ma se it gega<br />

d Zeit schdemma kaa, daß ma vierse und it hindersche<br />

gucka mues. Und glei hot se sei Humor gmelded. Wear no,<br />

außer ihm, hot sein oagena, ganz persöhnlega Narraboom.<br />

Geschehen 1990, geschrieben für das Festbuch: 19. Jugendmusiktage<br />

mit Kritikspiel und 125 Jahre Volksmusik in Jungingen,<br />

20.-23. Mai 1993<br />

Buchbesprechungen<br />

Preußen in Hohenzollern, Begleitband zur Ausstellung, die<br />

vom 2. September bis 12. November <strong>1995</strong> im Staatsarchiv Sigmaringen<br />

gezeigt wurde.<br />

Der vorliegende Band beschäftigt sich mit der von 1850 bis<br />

1945 dauernden »Preußenzeit« in Hohenzollern. <strong>1995</strong> sind<br />

es 50 Jahre her, daß diese Zeit zu Ende ging. Unter dem Titel<br />

»Daten, Fakten und Strukturen« zeigte das Staatsarchiv<br />

Sigmaringen in der Ausstellung zahlreiche Exponate zur hohenzollerischen<br />

Geschichte und den Beziehungen zu<br />

Preußen, wie man sie in dieser Form noch nie gesehen hat.<br />

Im Begleitband zur Ausstellung findet man den Inhalt von<br />

ausgestellten Dokumenten mit zusammenfassenden und verbindenden<br />

Texten, dazu zahlreiche Abbildungen von Exponaten.<br />

Dem Abschnitt vorangestellt ist eine Einführung von<br />

W. Schöntag über die Hohenzollerischen Lande als Teil<br />

Preußens.<br />

Auslöser für den Anschluß der beiden hohenzollerischen<br />

Fürstentümer an Preußen war die Revolution von 1848, die<br />

ausführlich dargestellt wird. Obwohl die Revolution schließlich<br />

in ganz Deutschland scheiterte, hatte sie den hohenzollerischen<br />

Fürsten gezeigt, daß sie ohne Hilfe von außen nicht<br />

in der Lage waren, ihre Staatsgewalt aufrecht zu erhalten und<br />

daß die Revolutionäre sie nicht nur um die Macht, sondern<br />

auch um ihren Besitz bringen wollten. Erfreulicherweise sind<br />

die wichtigsten der damals handelnden Personen abgebildet:<br />

Fürst Friedrich Wilhelm Konstantin von Hechingen, Pfarrer<br />

Joseph Blumenstetter, Fürst Carl und Erbprinz Carl Anton<br />

von Sigmaringen. Pfarrer Josef Sprißler und Dr. Karl Otto<br />

Würth.<br />

Nach den Verfassungen der beiden Fürstentümer wäre die<br />

Abtretung an Preußen ohne Zustimmung der Landtage nicht<br />

möglich gewesen. Jedoch wurden weder die Landtage noch<br />

das Volk befragt. Am 12. März 1850 hob König Friedrich<br />

Wilhelm IV. von Preußen die beiden Verfassungen auf und<br />

führte die Preußische Verfassung ein.<br />

Die Gefühle der Bevölkerung in Hohenzollern gibt am be-<br />

61


sten die Festansprache von Rabbiner Dr. Samuel Mayer, Hechingen<br />

am 8. April 1850 wieder (S. 37): »... Bisher lebten wir<br />

in einem ... traulichen Verhältnisse zu unserem Fürsten und<br />

seinen Beamten; wir konnten unsere Wünsche zu jeder Zeit<br />

persönlich vortragen, ... und wir konnten augenblickliche<br />

Abhülfe erwarten ... Der neue König kennt uns noch nicht<br />

und seine Beamten wissen noch wenig von uns; muß da nicht<br />

die Seele ängstlich in die Zukunft schauen?... Unser Fürstentum<br />

zeigt das Bild der Lebens-Unfähigkeit kleiner Staaten<br />

...« Vor allem in Hechingen wußte man, daß es bei der<br />

enormen Verschuldung und der allgemeinen Rückständigkeit<br />

des Fürstentums keine andere Lösung gab. Anders waren<br />

die Verhältnisse im Fürstentum Sigmaringen, wo die Bevölkerung<br />

überwiegend gegen die Aufgabe der Selbständigkeit<br />

war.<br />

Für die Abtretung ihrer Souveränitäts- und Regierungsrechte<br />

an den König von Preußen durften die Fürsten ihren gesamten<br />

Besitz behalten und bekamen vom preußischen Staat<br />

noch eine beachtliche Leibrente. Ihre bisherigen Länder wurden<br />

fortan von Preußen alimentiert.<br />

Am 23. August 1851 nahm der König von Preußen auf der<br />

Burg Hohenzollern die Erbhuldigung seiner neuen Untertanen<br />

entgegen. Schon im Jahr 1850, wenige Monate nach der<br />

Besitznahme durch Preußen, wurde der Grundstein zum<br />

Neuaufbau der Zollerburg gelegt. Freiherr von Stillfried verhalf<br />

den preußischen Zollern, durch Verknüpfung mit der<br />

Familie der schwäbischen Zollern, zu einer bis ins hohe Mittelalter<br />

reichenden Tradition. Neben verschiedenen Dokumenten<br />

werden einige sehr interessante Fotos von den Bauarbeiten<br />

auf der Burg gezeigt.<br />

Der Landeskommunalverband war die eigentliche Klammer,<br />

die Hohenzollern bis 1972 zusammenhielt. Nach der Eingliederung<br />

an Preußen war Hohenzollern durch zwei Abgeordnete<br />

im Preußischen Abgeordnetenhaus vertreten. Im<br />

Lande wurde der Wunsch nach Selbstverwaltung immer wieder<br />

vorgebracht. Durch die Hohenzollernsche Amts- und<br />

Landesordnung vom 2. April 1873 wurde dieser Wunsch erfüllt.<br />

Der Kommunallandtag wurde gegründet und zur<br />

Führung laufender Geschäfte ein Landesausschuß eingesetzt.<br />

Mit dem Landeskommunalverband hatte die Bevölkerung<br />

Hohenzollerns wieder das, was sie seit der Zugehörigkeit zu<br />

Preußen vermißt hatte, eine ortsnahe und persönlich ansprechbare<br />

Verwaltung. Uber die Zuständigkeiten des Landeskommunalverbandes<br />

wird ausführlich berichtet. 1947<br />

wurde die Selbstverwaltung der beiden hohenzollerischen<br />

Kreise in der Verfassung des Landes Württemberg-Hohenzollern<br />

und 1950 in einem Gesetz über den Landeskommunalverband<br />

festgeschrieben.<br />

Durch das Kreisreformgesetz vom 26. Juli 1971 wurde der<br />

Landeskommunalverband der Hohenzollerischen Lande mit<br />

Wirkung zum 1. Januar 1973 aufgehoben. Einzige heute noch<br />

existierende Einrichtung des Kommunalverbandes ist die<br />

Hohenzollerische Landesbahn.<br />

Im Fürstentum Sigmaringen wurden schon früh Maßnahmen<br />

zur Förderung von Landwirtschaft und Gewerbe unternommen,<br />

wozu besonders die 1834 gegründete Spar- und Leihkasse<br />

zu rechnen ist. Neben der Förderung von Industrie und<br />

Landwirtschaft trieb Preußen vor allem den Eisenbahn- und<br />

Straßenbau voran.<br />

Die katholische Kirche in den Fürstentümern Hohenzollern<br />

wurde 1821 durch Staatsvertrag an die badische Landesdiözese<br />

Freiburg angeschlossen. Die Einführung der Preußischen<br />

Verfassung befreite die katholische Kirche in Hohenzollern<br />

vom Staatskirchentum und führte zu einem Aufblühen<br />

des religiösen Lebens (O. Becker). Allerdings wurden<br />

die meisten der kirchlichen Einrichtungen im »Kulturkampf«<br />

(1872 bis 1887) geschlossen und konnten erst 1887 wieder<br />

eröffnet werden.<br />

Nach dem Anschluß an Preußen erfolgte die Bildung von<br />

evangelischen Pfarreien Sigmaringen und Hechingen, zu denen<br />

später Pfarreien in Haigerloch, Dettingen und Gammertingen<br />

kamen. Die Zollerburg war von Preußen zu einer starken<br />

Festung ausgebaut worden. Im Gegensatz zur Zeit der<br />

Fürstentümer, wurden praktisch alle Wehrpflichtigen eingezogen<br />

und mußten ihren Militärdienst in preußischen Garnisonen<br />

ableisten. Im Land selbst gab es aber nur die kleine<br />

Garnison auf der Burg Hohenzollern und seit 1910 eine Unteroffiziers-Vorschule<br />

in Sigmaringen.<br />

Eine besonders kritisch betrachtete Rolle spielten in Hohenzollern<br />

die preußischen Beamten. Eine treffende Charakterisierung<br />

ist auf S. 117 abgedruckt. Wegen des häufigen Beamtenwechsels<br />

sah man in Amtern und Gerichten ständig neue<br />

Gesichter. Da ihnen Sprache und Gebräuche der Eingeborenen<br />

fremd waren, bemühten sich die meisten um eine schnelle<br />

Rückversetzung in die angenehmeren Gefilde des Nordens.<br />

Einige fanden aber auch in Hohenzollern eine Heimat, wie<br />

die im Buch aufgeführte Beamtenfamilie Longard. Ein wenig<br />

zu kurz kommen in der Darstellung die zahlreichen Hohenzollern,<br />

die im preußischen Staatsdienst beschäftigt waren<br />

und Karriere machten.<br />

Preuße oder<br />

Hobenzoller?<br />

Liest man dieses Kapitel, so wird einem bewußt, daß die Hohenzollern<br />

eine weitgehend ausgestorbene Spezies sind. Sie<br />

waren echte Schwaben, sind aber in ihrer Geschichte niemals<br />

Württemberger oder Badener, sondern eben Hohenzollern<br />

gewesen. Dies zu begreifen ist heute ziemlich schwierig. Mit<br />

Anekdoten, Gedichten und anderen Beiträgen wird versucht,<br />

etwas von der »hohenzollerischen Kultur« zu vermitteln.<br />

Wer erinnert sich z. B. noch daran, daß die Schulen in Hohenzollern<br />

eigene Schulbücher hatten?<br />

Die Frage der Integration Hohenzollerns in einen Staat<br />

»Großschwaben« wurde schon 1918/19 debattiert. Mit der<br />

Aufhebung Preußens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine<br />

Lösung unausweichlich. Das Regierungspräsidium Sigmaringen<br />

wurde am 15. März 1946 aufgelöst. Immerhin behielten<br />

1947 in der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern<br />

die beiden Kreise Sigmaringen und Hechingen ihren<br />

Landeskommunalverband. Vieles von dem, was damals erregt<br />

debattiert wurde, ist längst vergessen und schlummert in<br />

den Archiven. 1951 stimmte eine große Mehrheit der hohenzollerischen<br />

Bevölkerung für die Bildung eines »Südweststaates«.<br />

Aber bei der Bildung des neuen Landes Baden-<br />

Württemberg wurde Hohenzollern nicht einmal mehr angesprochen.<br />

Geflissentlich wurde übersehen, daß sich nicht<br />

zwei, sondern drei Staaten zusammengeschlossen hatten. Immerhin<br />

hat Ministerpräsident Teufel in seiner Ansprache zu<br />

den Sigmaringer Heimattagen gezeigt, daß ihm dies bekannt<br />

ist - ein später Trost.<br />

Die Entwicklung des Landes nahm seit 1951 einen Verlauf,<br />

der bald zeigte, daß die alten Strukturen nicht mehr haltbar<br />

waren. Die Gemeinde- und Kreisreform brachte tiefgreifende<br />

Veränderungen im ganzen Bundesland. Seit dem 1. Januar<br />

1973 ist Hohenzollern nur noch eine historische Erinnerung.<br />

Geschichte in<br />

Gegenständen<br />

Dieser Teil der Ausstellung und des Buches wurde vom Haus<br />

der Geschichte Baden-Württemberg bearbeitet und gestaltet.<br />

Von außen betrachtet ist fünfzig Jahre nach dem Ende der<br />

Preußenzeit Hohenzollern nur noch ein Kuriosum, wie es<br />

Dutzende in Baden-Württemberg gibt (und was hatten wir<br />

Hohenzollern uns alles eingebildet). Gezeigt wird »eine Ansammlung<br />

von Gegenständen, die der blinde geschichtliche<br />

Zufall übriggelassen hat.« Es handelt sich um 20 Gegenstände,<br />

wie zum Beispiel ein Brief von Goethe an Erbprinz Carl,<br />

62


das Original der Emser Depesche, die den Krieg von 1870/71<br />

auslöste, die altbekannte Geldtruhe von 1866 und so banale<br />

Dinge wie fünf Böller, mit denen angeblich bei der Ankunft<br />

des Preußenkönigs 1851 geschossen wurde, ein Bild des<br />

Schulschiffes Niobe von 1908 und einige Gegenstände, die<br />

scheinbar mit dem Thema »Preußen in Hohenzollern« nur<br />

wenig zu tun haben. Die Objekte wurden in weißen Gehäusen<br />

ausgestellt, die von dem Wiener Bühnenbildner Thomas<br />

Hamann gestaltet wurden (S. 194 u. 195). Auf dem Behälter<br />

stand jeweils ein Text, der die Geschichte des Objektes beschrieb.<br />

Im Buch steht der Text immer neben der Abbildung<br />

des Objektes. Dies erlaubt es, die Objekte zu betrachten und<br />

die Beschreibungen in Ruhe zu lesen.<br />

Antiquarische Geschichte, der Beitrag von Albrecht Krause,<br />

zeigt wie man Geschichte als »antiquarische Sicht der Vergangenheit«<br />

betrachten kann. Der Preuße und der Hohenzollern,<br />

Preußen und die Hohenzollern, Preußen und Hohenzollern<br />

sind die Kapitel, in denen mehr die persönlichen<br />

Beweggründe der agierenden Personen und die jeweilige<br />

Zeitstimmung als der Lauf der »großen Geschichte« gezeigt<br />

werden.<br />

Das Kapitel »Eine Ausstellung« zeigt Entstehungsgeschichte<br />

und die Intentionen der Ausstellung. Schade, daß man dies<br />

nicht vor dem Besuch der Ausstellung lesen konnte, dann wäre<br />

vielleicht manches verständlicher gewesen.<br />

Preußen in Hohenzollern, Begleitband zur Ausstellung Sigmaringen<br />

<strong>1995</strong>, herausgegeben vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg<br />

und dem Staatsarchiv Sigmaringen, bearbeitet<br />

von Otto H. Becker, Katja Gürtler, Albrecht Krause,<br />

Lioba Schlör, Wilfried Schöntag, Jürgen Treffeisen, Volker<br />

Trugenberger. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen. DM 38,-<br />

H. Burkarth<br />

Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1994<br />

Im Band 1994 wird über zwei Ausgrabungen im Bereich der<br />

früheren Hohenzollerischen Lande berichtet. Ausgrabungen<br />

im Randbereich des römischen Vicus bei Burladingen (H.<br />

Reim).<br />

Die Planung eines Gewerbegebietes im Gewann »Kleineschle«<br />

machte eine archäologische Untersuchung notwendig,<br />

da hier im Bereich des Kastells Burladingen mit den Überresten<br />

einer römischen Zivilsiedlung (Vicus) zu rechnen war.<br />

Das Gebiet liegt am westlichen Stadtrand von Burladingen,<br />

nördlich der Bahnlinie. Nach Voruntersuchungen wurde<br />

1992 mit großflächigen Ausgrabungen begonnen. Diese wurden<br />

1993 fortgesetzt und im Oktober 1994 abgeschlossen.<br />

Am östlichen Rand der Siedlung wurde eine etwa 40 x 39 m<br />

große Viereckanlage mit quadratischen, tief fundierten Holzpfosten<br />

aufgedeckt. Über die Funktion der Anlage ist nichts<br />

bekannt; zu denken wäre ev. an einen kultisch-religiösen<br />

Zweck. In der Nähe fand sich eine römische Straße in Südwest-Nordost-Richtung.<br />

Die Straße konnte auf einer Länge<br />

von ca. 200 m nachgewiesen werden. Sie verläuft schnurgerade<br />

und ist 4,50 -5m breit. Der Straßenkörper besteht aus<br />

mehreren Lagen von Kalksteinschotter. Ostlich der Straße<br />

wurde ein unregelmäßiges Grabengeviert gefunden, das als<br />

Einfriedung eines Gräberfeldes gedeutet werden kann. Darin<br />

wurden die Fundamente eines rechteckigen Steinbaus<br />

nachgewiesen, die ev. Reste eines Grabmals sein könnten. Im<br />

Rahmen der Grabung wurden auch drei Brandgräber aus der<br />

Urnenfelderzeit gefunden. Schon 1899 beim Bahnbau und<br />

1984 bei der Neutrassierung der Bundesstraße 32 wurden<br />

Gräber aus dieser Zeit gefunden. Weitere Grabungen im<br />

2. Bauabschnitt des Gewerbegebietes wurden deshalb vorgesehen.<br />

Hechingen - Stein. Tempelbezirk. Kopf einer lebensgroßen Junostatue.<br />

Ausgrabungen im Tempelbezirk der Gutsanlage von Hechingen-Stein<br />

(S. Schmidt-Lawrenz).<br />

Bei den Grabungen 1993 war ein Tempelbezirk vermutet<br />

worden, was sich dann 1994 bestätigte. Zu den 1993 im Innenbereich<br />

aufgedeckten drei Kapellen kamen fünf weitere.<br />

Sie sind alle gleichartig in Größe und Ausrichtung. Es konnten<br />

wieder zahlreiche Teile von Sandsteinskulpturen freigelegt<br />

werden. Von dem Oberkörper eines Mannes wird vermutet,<br />

daß es sich um den Giganten einer Jupitergigantensäule<br />

handelt. Im vorhergehenden Jahr wurde das Fragment<br />

eines anderen Giganten gefunden, was vermuten läßt,<br />

daß in Hechingen-Stein zwei dieser Denkmäler vorhanden<br />

waren. Der bedeutendste Fund ist der lebensgroße Kopf einer<br />

Junostatue. Frisur und Gesicht sind aufwendig gearbeitet.<br />

In den Augenhöhlen waren ursprünglich Einlagen, die<br />

aus einem anderen Material gefertigt waren. Da alle Statuenfragmente<br />

aus dem vor Ort anstehenden Stubensandstein gefertigt<br />

sind, kann man annehmen, daß sie in der Gutsanlage<br />

selbst geschaffen wurden.<br />

Von den Fundmünzen sind zwei Sesterze der römischen Kaiser<br />

Antonius Pius und Commodus erwähnenswert, die von<br />

der Ofenfelshöhle bei Harthausen a. d. Sch. stammen sollen.<br />

Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1994,<br />

herausgegeben vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg,<br />

zusammengestellt von Jörg Biel, Konrad Theiss Verlag<br />

Stuttgart. B.<br />

Adel am oberen<br />

Neckar<br />

Beiträge zum 900jährigen Jubiläum der Familie von Ow.<br />

Herausgegeben von Franz Quarthai und Gerhard Faix. biblotheca<br />

académica Verlag Tübingen, Leinen DM 89,-<br />

Eine Familie wird 900 Jahre alt und sie blüht bis in unsere Tage<br />

in den zwei gesunden Zweigen der Freiherren von Ow-


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> <strong>Geschichtsverein</strong><br />

Karlstraße 3, 72488 Sigmaringen<br />

M 3828<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Wachendorf und der Freiherren von Ow-Felldorf. Im Jahre<br />

1095 wird der Name von Ow erstmals urkundlich erwähnt,<br />

wie heute noch über dem Schloßtor in Wachendorf zu lesen<br />

Gerbold und Werner, die Freien von Owe,<br />

Albrecht von Wachendorf, Wolf auch von Owe,<br />

halfen zu Kloster Alpirsbachs Baue<br />

1095<br />

Herren von Ow waren mit vielen anderen Adligen des deutschen<br />

Südwestens Zeugen der Stiftung des Klosters Alpirsbach<br />

im Schwarzwald. Franz Quarthai und Gerhard Faix haben<br />

auf Bitten von Sigurd Freiherr von Ow-Wachendorf ein<br />

Buch zu diesem 900-Jahr-Jubiläum herausgegeben. Ist das<br />

nun eine Linear-Geschichte einer Adelsfamilie, wie sie von<br />

Eliten gerne vorgelegt wird, im Gegensatz zum Erleben von<br />

Geschichte der sogenannten »kleinen Leute«, die nur die zyklische<br />

Wiederkehr von Liebe, Haß, Geburt und Tod kennen?<br />

So ist das Buch nicht! Es ist im besten Sinne ein Buch<br />

unserer Heimat, des deutschen Südwestens mit ihrem<br />

Schwerpunkt am oberen Neckar, dem oberen Neckargäu und<br />

dem südwestlichen Albvorland.<br />

Der Glücksfall einer 900jährigen Familienkontinuität hat die<br />

Herausgeber zu einem Konzept umfassender Darstellung<br />

dieses schwäbischen Ländchens verlockt, die uns in 13 Beiträgen<br />

auf fast 600 Seiten, reich bebildert, eine Kulturgeschichte<br />

schenkt, die spannend wie ein Kriminalroman ist und unsere<br />

lebhafte Anteilnahme erfährt. Das Gerüst der Ow'schen<br />

Familie gibt Johann Ottmar; ein differenziertes und kenntnisreiches<br />

Siedlungsbild in den ehemaligen Herrschaften der<br />

Herren von Ow zeichnet Siegfried Kullen. Rudolf Seigel stellt<br />

die Ow'schen Archive und die Dorfordnungen der Herren<br />

von Ow vor, während Hans Harter den Herren von Ow im<br />

11. und 12. Jahrhundert nachgeht und mit viel Vergnügen liest<br />

man seine Gedanken zu Hartmann von der Aue, dem Minnesänger<br />

und Dichter des Armen Heinrich. War er nun ein Mitglied<br />

dieser Ow'schen Familie oder nicht? Gerhard Kittelberger<br />

und Dieter Manz gehen dem Geflecht der Bindungen<br />

der Ow'schen Familien zu Obernau und Rottenburg nach,<br />

und Maren Kuhn-Rehfus läßt uns in einem nachgelassenen<br />

Beitrag einen faszinierenden Blick in die Welt der Klöster tun,<br />

in denen Ow'sche Frauen als Nonnen lebten. Die Wirtschaftsgeschichte<br />

der Güter im 19. Jahrhundert behandeln<br />

Ludwig Gekle und Patrick Baudoux: Daß Adel auch hart Arbeiten<br />

und gut Wirtschaften heißt, wird hier deutlich.<br />

Eine warmherzige und persönliche Note zeigen die beiden<br />

Beiträge über Honor von Ow und Hans-Otto von Ow-Wachendorf,<br />

die von Mitgliedern der Familie verfaßt sind. Der<br />

mit einem umfangreichen Register ausgestattete Band ist ein<br />

Lesebuch und ein Nachschlagwerk zugleich, der allen empfohlen<br />

ist, die hier heimisch sind oder es werden wollen.<br />

Dr. Adolf Vees<br />

Verschenken Sie ein Stück Heimat<br />

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und Schwäbischer Alb<br />

412 Seiten mit 342 Farbabbildungen.<br />

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ISBN 3-7995-5170-0<br />

DM 48.-<br />

Tlb Jan Thorbecke Verlag<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. <strong>Geschichtsverein</strong>.<br />

ISSN 0018-3253<br />

Erscheint vierteljährlich.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine heimatkundliche Zeitschrift. Sie will<br />

besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile mit der Geschichte<br />

ihrer Heimat vertraut machen. Sie<br />

bringt neben fachhistorischen auch populär<br />

gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: DM 13,00 jährlich.<br />

Konto der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

803843 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

(BLZ 65351050).<br />

Die Autoren dieser<br />

Dr. Casimir<br />

Bumiller<br />

Nummer:<br />

Hexental 32, 79283 Bollschweil<br />

Dr. Hermann Frank<br />

Im Wägner 24, 72070 Unterjesingen<br />

Walter Kempe<br />

Silcherstraße 11, 88356 Ostrach<br />

Johann<br />

Adam Kraus f<br />

Dr. Herbert Rädle<br />

Veit-Jung-Straße 13 a,<br />

92318 Neumarkt<br />

Josef<br />

Schuler<br />

Killertalstraße 55, 72417 Jungingen<br />

Dr. Edwin Ernst<br />

Weber<br />

Kreisarchivar<br />

Leopoldstraße 4, 72488 Sigmaringen<br />

Druck:<br />

M. Liehners Hofbuchdruckerei GmbH & Co.,<br />

Verlagsanstalt<br />

72488 Sigmaringen, Karlstraße 10<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstraße 6, 72501 Gammertingen<br />

Telefon 07574/4407<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben die<br />

persönliche Meinung der Verfasser wieder;<br />

diese zeichnen für den Inhalt der Beiträge verantwortlich.<br />

Mitteilungen der Schriftleitung sind<br />

als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare werden<br />

an die Adresse des Schrifdeiters erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.<br />

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