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04.11.2013 Aufrufe

Die lehramtliche Sozialverkündigung und die Christliche Sozialethik gehören zu den vergleichsweise „jungen“ Erscheinungsformen kirchlicher Verkündigung und akademischer Theologie. Ihre Entstehung im Zeitalter der Industrialisierung ist Ausdruck der Geschichtlichkeit und Entwicklungsfähigkeit kirchlicher Lehre und wissenschaftlicher Theologie. „Einsatzzeichen“ für die (relativ späte) Antwort auf das geschichtlich Neue dieser Epoche sind die vor 120 Jahren erschienene erste Sozialenzyklika Rerum novarum Papst Leos XIII. (1891) und die bald darauf folgende Errichtung der ersten Professur für „Christliche Gesellschaftslehre unter besonderer Berücksichtigung der praktischen Seelsorge“ an der Universität Münster (1893). Beide stehen auf je eigene Weise unter dem Anspruch der Praxis: Kirchliche Sozialverkündigung ist eine Form der Auslegung des Evangeliums im Wandel der Zeit. Sie will die Weltdeutung und das Handeln der Gläubigen orientieren. Christliche Sozialethik begleitet und kritisiert mit wissenschaftlichen Methoden Muster (christlicher) Praxis in der Gesellschaft und auch in der Kirche, die – soziologisch betrachtet – Teil der Gesellschaft ist, in der sie sich vorfindet. Sie entwirft und begründet Verstehensmodelle und Handlungsnormen, die der Wahrheit über den Menschen in seinem sozialen Zusammenhang gerecht werden und Ausdruck geben sollen. Das kann nur gelingen, in dem die Erfahrungen des Menschen mit sich selbst und seiner Welt je neu ins Verhältnis gesetzt werden zu dem, was die biblische Botschaft und deren Auslegung in der Tradition der Kirche über den Menschen in seiner Relation zu Gott zu sagen weiß. Die Christliche Sozialethik bezieht sich daher auf die gesellschaftlichen Funktionssysteme der Politik und des Rechts, der Ökonomie, der Ökologie usw. Sie steht in ausgezeichneter Weise unter der Herausforderung, die „Zeichen der Zeit“ im gesellschaftlichen Prozess „zu erkennen und im Licht des Evangeliums zu deuten“ (Pastoralkonstitution Gaudium et spes [GS] 4). Sie leistet einen Beitrag zur Entfaltung und menschengerechten Gestaltung des Zusammenlebens unter den Bedingungen der jeweiligen geschichtlichen und gesellschaftlichen Situation. Gesellschaftsanalyse, ethische Urteilsbildung, Handlungsorientierung Dem Ansatz bei der konkreten gesellschaftlichen Wirklichkeit entspricht eine Methode, welche die genaue Wahrnehmung der zeit- und situationstypischen gesellschaftlichen Herausforderungen mit einer sorgfältigen ethischen Urteilsbildung vermittelt und auf Handlungsorientierung hin ausrichtet. Oft wird dafür der Dreischritt Sehen – Urteilen – Handeln zitiert, den der Gründer der Christlichen Arbeiterjugend, der spätere 3

Kardinal Joseph Cardijn, für die Orientierung der jungen Christen in der Arbeitswelt in den 1920er-Jahren eingeführt hat. In der Sozialenzyklika Mater et magistra (1961) empfiehlt Papst Johannes XXIII. diesen Weg, der die Wahrnehmung und die Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit an die erste Stelle der theologischen Methodik setzt, für die Soziallehre der Kirche: „Die Grundsätze der Soziallehre lassen sich gewöhnlich in folgenden drei Schritten verwirklichen: Zunächst muß man den wahren Sachverhalt überhaupt richtig sehen; dann muß man diesen Sachverhalt anhand dieser Grundsätze gewissenhaft bewerten; schließlich muß man feststellen, was man tun kann und muss, um die überlieferten Normen nach Ort und Zeit anzuwenden, Diese drei Schritte lassen sich in den drei Worten ausdrücken: sehen, urteilen, handeln.“ (MM 236). Das „Sehen“ ist an die Perspektive desjenigen gebunden, der etwas sieht (das gilt für Vertreter des kirchlichen Lehramtes ebenso wie für Wissenschaftlerinnen). Die Perspektive wird durch verschiedene Faktoren bestimmt: durch Erfahrungen und Überzeugungen, durch Voreinstellungen, durch bereits vorhandene normative Orientierungen und sittliche Urteile, die aus der Vermittlung zwischen dem überlieferten Wertwissen und der Lehre der Kirche mit dem zeitgenössischen Wissensbestand über die zur Debatte stehenden Sachverhalte gewonnen werden. Spontane Wahrnehmungen werden durch wissenschaftliche Problembearbeitung unterstützt, verfeinert, eventuell auch korrigiert. Die möglichst genaue und vollständige Erfassung eines Problems ist Voraussetzung dafür, dass es sachlich richtig und ethisch angemessen beurteilt werden kann. In der Regel reicht es nicht, vorgegebene Grundsätze auf eine besondere Situation anzuwenden; angemessene Antworten und Lösungsansätze können nur gefunden werden, wenn konkrete Erfahrung, Sachanalyse und ethische Bewertungskriterien im Prozess der ethischen Urteilsbildung miteinander vermittelt werden. Ziel der gesellschaftswissenschaftlichen, sozialethischen und theologischen Analyse ist es, Orientierungen zu entwerfen, die zu größerer Gerechtigkeit, zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung, zur Vermenschlichung der Gegenwart in einer konkreten Situation beitragen können. So bildet die (Verbesserung der) Praxis den verbindlichen Ausgangs- und Zielpunkt des sozialethischen Vorgehens. Gegenwartsanalyse und die Deutung der „Zeichen der Zeit“ Der Vorgehensweise des Dreischritts entspricht die Aufgabe, die das Zweite Vatikanum der Kirche ins Stammbuch geschrieben hat: „Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags [die Botschaft Christi vom Heil für alle Menschen in Wort und Tat zu verkündigen, mhs] obliegt der Kirche allzeit die 4

Kardinal Joseph Cardijn, für die Orientierung <strong>de</strong>r jungen Christen in <strong>de</strong>r<br />

Arbeitswelt in <strong>de</strong>n 1920er-Jahren eingeführt hat. In <strong>de</strong>r Sozialenzyklika<br />

Mater et magistra (1961) empfiehlt Papst Johannes XXIII. diesen Weg,<br />

<strong>de</strong>r die Wahrnehmung und die Analyse <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Wirklichkeit<br />

an die erste Stelle <strong>de</strong>r theologischen Methodik setzt, für die Soziallehre<br />

<strong>de</strong>r Kirche: „Die Grundsätze <strong>de</strong>r Soziallehre lassen sich gewöhnlich in<br />

folgen<strong>de</strong>n drei Schritten verwirklichen: Zunächst muß man <strong>de</strong>n wahren<br />

Sachverhalt überhaupt richtig sehen; dann muß man diesen Sachverhalt<br />

anhand dieser Grundsätze gewissenhaft bewerten; schließlich muß man<br />

feststellen, was man tun kann und muss, um die überlieferten Normen<br />

nach Ort und Zeit anzuwen<strong>de</strong>n, Diese drei Schritte lassen sich in <strong>de</strong>n drei<br />

Worten ausdrücken: sehen, urteilen, han<strong>de</strong>ln.“ (MM 236).<br />

Das „Sehen“ ist an die Perspektive <strong>de</strong>sjenigen gebun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r etwas sieht<br />

(das gilt für Vertreter <strong>de</strong>s kirchlichen Lehramtes ebenso wie für Wissenschaftlerinnen).<br />

Die Perspektive wird durch verschie<strong>de</strong>ne Faktoren bestimmt:<br />

durch Erfahrungen und Überzeugungen, durch Voreinstellungen,<br />

durch bereits vorhan<strong>de</strong>ne normative Orientierungen und sittliche Urteile,<br />

die aus <strong>de</strong>r Vermittlung zwischen <strong>de</strong>m überlieferten Wertwissen und <strong>de</strong>r<br />

Lehre <strong>de</strong>r Kirche mit <strong>de</strong>m zeitgenössischen Wissensbestand über die zur<br />

Debatte stehen<strong>de</strong>n Sachverhalte gewonnen wer<strong>de</strong>n. Spontane Wahrnehmungen<br />

wer<strong>de</strong>n durch wissenschaftliche Problembearbeitung unterstützt,<br />

verfeinert, eventuell auch korrigiert. Die möglichst genaue und vollständige<br />

Erfassung eines Problems ist Voraussetzung dafür, dass es sachlich<br />

richtig und ethisch angemessen beurteilt wer<strong>de</strong>n kann. In <strong>de</strong>r Regel reicht<br />

es nicht, vorgegebene Grundsätze auf eine beson<strong>de</strong>re Situation anzuwen<strong>de</strong>n;<br />

angemessene Antworten und Lösungsansätze können nur gefun<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn konkrete Erfahrung, Sachanalyse und ethische Bewertungskriterien<br />

im Prozess <strong>de</strong>r ethischen Urteilsbildung miteinan<strong>de</strong>r vermittelt<br />

wer<strong>de</strong>n. Ziel <strong>de</strong>r gesellschaftswissenschaftlichen, sozialethischen und<br />

theologischen Analyse ist es, Orientierungen zu entwerfen, die zu größerer<br />

Gerechtigkeit, zur Überwindung von Armut und Ausgrenzung, zur<br />

Vermenschlichung <strong>de</strong>r Gegenwart in einer konkreten Situation beitragen<br />

können. So bil<strong>de</strong>t die (Verbesserung <strong>de</strong>r) Praxis <strong>de</strong>n verbindlichen Ausgangs-<br />

und Zielpunkt <strong>de</strong>s sozialethischen Vorgehens.<br />

Gegenwartsanalyse und die Deutung <strong>de</strong>r „Zeichen <strong>de</strong>r Zeit“<br />

Der Vorgehensweise <strong>de</strong>s Dreischritts entspricht die Aufgabe, die das<br />

Zweite Vatikanum <strong>de</strong>r Kirche ins Stammbuch geschrieben hat: „Zur Erfüllung<br />

dieses ihres Auftrags [die Botschaft Christi vom Heil für alle Menschen<br />

in Wort und Tat zu verkündigen, mhs] obliegt <strong>de</strong>r Kirche allzeit die<br />

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