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Dionysios Solomos – Der griechische Nationaldichter. Leben und ...

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Artikel von Andreas Meyer, Steinadlerpfad 1, 13505 Berlin Erstellt: Berlin, 22.06.2012<br />

<strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> <strong>–</strong> <strong>Der</strong> <strong>griechische</strong> <strong>Nationaldichter</strong>. <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> Werk<br />

Einleitung<br />

<strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> (griech. Διονύσιος Σολωμός) (* 8.4.1798 Zakynthos; † 21.2.1857 Kerkyra)<br />

gilt als einer der bedeutendsten Dichter <strong>und</strong> <strong>Nationaldichter</strong> Griechenlands, als „Lyriker par<br />

excellence“ 1 <strong>und</strong> wird als großer Dichter der europäischen Romantik angesehen. Er schrieb als<br />

erster <strong>griechische</strong>r Dichter in der <strong>griechische</strong>n Volkssprache Dimotiki 2 <strong>und</strong> die neu<strong>griechische</strong><br />

Dichtung erreichte mit ihm einen ersten Höhepunkt. Er stellte somit einen Markstein für viele<br />

neu<strong>griechische</strong> Dichter dar.<br />

Eines seiner wichtigsten Werke ist der Hymnus an die Freiheit (Ύμνος εις την Ελευθερίαν), der<br />

in Teilstücken <strong>und</strong> vertont von Nikolaos Mantzaros die Nationalhymne Griechenlands darstellt.<br />

Weitere wichtige Werke sind unter anderem Die Freien Belagerten (Οι Ελεύθεροι<br />

Πολιορκημένοι), Die Frau von Zakynthos (Η γυναίκα της Ζακύνθου), Lambros (Ο Λάμπρος),<br />

<strong>Der</strong> Kreter, der Dialog (Ο Διάλογος) <strong>und</strong> <strong>Der</strong> Hai (Πόρφυρας). Viele seiner Werke sind<br />

fragmentarisch erhalten, vernichtet worden oder verloren gegangen, was zu den Besonderheiten<br />

seines Werkes, seiner Person <strong>und</strong> der Forschung zu <strong>Solomos</strong> gehört.<br />

1 Jens, Walter Hrsg., Kindlers Neues Literatur Lexikon, Bd. Band 15 (Kindler Verlag, 1988), S. 707.<br />

2 Γιώργιος Ανδρειωμένος, „Διονύσιος Σολωμός Η ζωή και το έργο“, in Ύμνος εις την Ελευθερίαν, Hrsg.: H.B.<br />

Schlumm, A. Kertscher, K. Zervopoulos (Paderborn: IFB Verlag Deutsche Sprache, 2010), S. 32.


Inhaltsverzeichnis<br />

1) <strong>Leben</strong><br />

1.1) Kindheit <strong>und</strong> Herkunft<br />

1.2) Studium in Italien<br />

1.3) Rückkehr nach Zakynthos<br />

1.4) Umsiedelung nach Korfu (Kerkyra)<br />

1.4.1) Einsamkeit <strong>und</strong> innere Sammlung<br />

1.4.2) Das kritische Jahr 1833 <strong>und</strong> familiäre Streitigkeiten<br />

1.4.3) Die Arbeit an den Freien Belagerten 1833 bis 1844<br />

1.5) Spätwerk <strong>und</strong> letzte Schaffensperiode<br />

1.6) Tod <strong>und</strong> Nachlass<br />

2) Einzelheiten zu Person <strong>und</strong> Werk des <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong><br />

2.1) Die Sprachfrage <strong>und</strong> Begegnung mit Trikoupis<br />

2.2) Ein ewig Werdender <strong>und</strong> Suchender<br />

2.3) <strong>Solomos</strong> als <strong>Nationaldichter</strong> <strong>und</strong> Europäer<br />

2.4. Die Ionische Schule <strong>und</strong> <strong>Solomos</strong><br />

2.5) <strong>Solomos</strong>` Persönlichkeit <strong>und</strong> Philosophie<br />

3) Werke <strong>und</strong> Schaffensperioden<br />

3.1) Hymne an die Freiheit (΄Υμνος εις την Ελευθερίαν)<br />

3.2) Lambros (Ο Λάμπρος)<br />

3.3) Die Freien Belagerten (Οι Ελεύθεροι Πολιορκημένοι)<br />

3.4) <strong>Der</strong> Kreter (Ο Κρητικός)<br />

3.5) Die Frau von Zakynthos (Η γυναίκα της Ζακύνθου)<br />

4) Bibliographie<br />

2


1) <strong>Leben</strong><br />

1.1) Kindheit <strong>und</strong> Herkunft<br />

<strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> wurde am 8. April 1798 als Sohn des Grafen Nikolaos <strong>Solomos</strong> <strong>und</strong> seines<br />

Dienstmädchens Angeliki Nikli in Zakynthos geboren. Er verbrachte seine Kindheit bis 1808 im<br />

Haus seiner adligen Familie in Zakynthos unter der Aufsicht seines Lehrers, dem italienischen<br />

Abt Santo Rossi. Durch diesen erhielt er eine italienische Erziehung <strong>und</strong> wuchs zweisprachig<br />

auf.<br />

Die Familie Salamon-<strong>Solomos</strong> stammte ursprünglich aus Sitia im östlichen Kreta; auf der Insel<br />

<strong>und</strong> Stadt Zakynthos machte sie sich Anfang des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts ansässig. 3<br />

Sein Vater, Graf Nikolaos <strong>Solomos</strong>, starb, als <strong>Dionysios</strong> 9 Jahre alt war (am 28. Februar 1807).<br />

Kurz zuvor hatte er Angeliki Nikli geheiratet, um seinen Kindern alle Privilegien aus seiner<br />

Abstammung <strong>und</strong> seinem Vermögen zukommen zu lassen <strong>und</strong> den Grafen <strong>Dionysios</strong> Messalas<br />

als Vorm<strong>und</strong> benannt. Die Mutter stammte aus einfachen Verhältnissen <strong>und</strong> dürfte den kleinen<br />

<strong>Dionysios</strong> griechisch geprägt haben; von ihr erlernte er die <strong>griechische</strong> Umgangssprache sowie<br />

Sprache <strong>und</strong> Inhalt der Volks- <strong>und</strong> Kunstpoesie.<br />

1802 wurde sein Bruder Dimitrios geboren, der zweite Sohn seiner Eltern.<br />

1807 bis 1808 erlebte <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> die französisch-napoletanische Epoche der Ionischen<br />

Inseln mit, was er als nationalen Fortschritt empfand <strong>und</strong> ihn wesentlich prägte. Noch in seinem<br />

Gedicht von 1824 auf den Tod des Lord Byron preist er Napoleon in mehreren Anmerkungen<br />

<strong>und</strong> nennt ihn den „Ανθρωπος του Αιώνος“, der „Mensch des Jahrh<strong>und</strong>erts“.<br />

1.2.) Studium in Italien<br />

Nach dem Tod des Vaters wurde er Erbe eines großen Vermögens. Sein Vorm<strong>und</strong>, Graf<br />

Messalas, schickte ihn 1808 mit seinem Lehrer nach Venedig ins Lyzeum der Heiligen<br />

Katharina, damit er dort seine Bildung fortsetzte, so wie es damals in aristokratischen Kreisen<br />

der Ionischen Inseln üblich war. Kurze Zeit später wurde er jedoch in die Heimatstadt von Santo<br />

Rossi, in das Lyzeum von Cremona, zurückgeholt. „<strong>Der</strong> ungezügelte Charakter“ 4 des Knaben<br />

ertrug die in Santa Caterina herrschende Strenge nicht. Er studierte dort u.a. lateinische Literatur<br />

3 Hans Peter Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger: zum 200. Geburtstag des Dichters <strong>Dionysios</strong><br />

<strong>Solomos</strong> (1798 - 1857) (Köln: Romiosini, 1999), S. 15.<br />

4 Ανδρειωμένος, „Διονύσιος Σολωμός Η ζωή και το έργο“, S. 27.<br />

3


ei Prof. Pini, wurde sprachlich <strong>und</strong> naturwissenschaftlich gefördert <strong>und</strong> schrieb bereits 1813<br />

erste lateinische <strong>und</strong> italienische Gedichte.<br />

Er studierte von 1815 an zwei Jahre an der Universität in Pavia Rechtswissenschaften <strong>und</strong><br />

beendete im Juni 1917 sein Studium mit dem Examen als Bacceliere.<br />

Er fühlte sich sehr zur Dichtung hingezogen, „er wurde verzaubert von der schönsten Sprache<br />

der Welt“ 5 , sah als Vorbilder seiner Verse Vergil, Dante, Petrarca sowie die zeitgenössische<br />

„romantische Schule“ <strong>und</strong> beschäftigte sich mit philosophischen Autoren, besonders mit Francis<br />

Bacon, Spinoza <strong>und</strong> Werken der englischen <strong>und</strong> französischen Aufklärung. Das rege<br />

künstlerische <strong>und</strong> geistige <strong>Leben</strong> Italiens beeinflusste in zutiefst. Er lernte in Mailand Vincenzo<br />

Monti kennen, mit dem er sehr vertraut wurde 6 <strong>und</strong> knüpfte Fre<strong>und</strong>schaft mit italienischen<br />

Literaten wie Giovanni Torti <strong>und</strong> Giuseppe Montani.<br />

1.3.) Rückkehr nach Zakynthos<br />

1818 kehrte <strong>Solomos</strong> nach Zakynthos zurück, bereichert mit der Blüte italienischer Weisheit,<br />

beseelt von den Ideen der Demokratie, dem Glauben an nationale Werte <strong>und</strong> dem Interesse an<br />

der <strong>griechische</strong>n Volkssprache. Aus der italienischen Romantik griff er die substantiellsten<br />

Elemente auf, „… die Sprache des Volkes, die Ideale des Volkes, die Dichtung des Volkes <strong>und</strong><br />

eine verschwommene Religiosität. Das alles vereinte er in genialer Ausgewogenheit, ohne die<br />

klassische Klarheit dadurch zu vernachlässigen <strong>und</strong> den Anschluss an die authentischste<br />

volkstümliche literarische Überlieferung, nämlich die kretische, zu verlieren“. 7<br />

Auf der blühenden Insel Zakynthos, welche auch Blume der Levante genannt wird, hatte sich<br />

bereits seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert eine literarische Tradition entwickelt <strong>und</strong> <strong>Solomos</strong> wurde sofort<br />

Mitglied <strong>und</strong> Mittelpunkt des jungen philologischen Kreises, wo er u.a. Antonios Matesis,<br />

Georgios Tertsetis, <strong>Dionysios</strong> Tagiapieras, Dimitrios Pelekasis, Nikolaos Lountzis, Gaetano<br />

Grasetti <strong>und</strong> <strong>Dionysios</strong> Roidis traf. In diesem literarischen Zirkel (κύκλος της Ζακύνθου),<br />

welcher sich in herrschaftlichen Villen wie der des Grafen Pavlos Mercati traf, glänzte <strong>Solomos</strong><br />

mit improvisierten Gedichten, italienischen Sonetten <strong>und</strong> <strong>griechische</strong>n Satiren auf den<br />

genannten Arzt <strong>und</strong> Lehrer <strong>Dionysios</strong> Roidis.<br />

5 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2000).<br />

6 Linos Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur (Romiosini, 1984), S. 118.<br />

7 Mario Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, 1. Aufl., Hueber Hochschulreihe<br />

(München: Max Hueber Verlag, 1972), S. 68.<br />

4


Er verfasste zunächst weiter italienische Dichtung, gab 1822 eine Reihe der improvisierten<br />

Verse in Kerkyra (Korfu) in dem Bändchen mit dem Titel Rime Improvvisate (Improvisierte<br />

Reime) heraus.<br />

Nach zwei bis drei Jahren auf Zakynthos schrieb er seine ersten Werke in <strong>griechische</strong>r<br />

Volkssprache <strong>und</strong> verlieh der volkstümlichen Überlieferung dichterischen Ausdruck. Seine<br />

ersten <strong>griechische</strong>n Gedichte waren u.a. Die Unbekannte, <strong>Der</strong> Traum, Die zwei Geschwister<br />

(wo er erstmals die Idee des Todes darstellt) <strong>und</strong> Die wahnsinnige Mutter (Τρελή μάνα). Seine<br />

frühen Übersetzungen einzelner Texte von Metastasio, Petrarca <strong>und</strong> Shakespeare lassen bereits<br />

ein lyrisches Talent erkennen. Aus derselben Zeit sind etwa achtzig weitere Gedichte bekannt,<br />

welcher alle vor 1822 geschrieben wurden. 8<br />

Er rang um ein immer tieferes Verständnis der <strong>griechische</strong>n Sprache <strong>und</strong> bekam dabei<br />

Unterstützung von Spiridon Trikoupis, der 1822 nach Zakynthos kam <strong>und</strong> <strong>Solomos</strong> besuchte.<br />

Dieser bewegte ihn dazu weiter in <strong>griechische</strong>r Sprache zu dichten <strong>und</strong> empfahl ihm „das<br />

Studium der <strong>griechische</strong>n Sprache mit dem lyrischen Werk von Athanasios Christopoulos zu<br />

beginnen“. 9<br />

Bei seinen weiteren Studien suchte er die Nähe zur Kultur <strong>und</strong> Tradition, dem Ursprünglichen<br />

des Volkes <strong>und</strong> sammelte Redewendungen <strong>und</strong> Begriffe, studierte den lokalen Dialekt,<br />

volkstümliche Dichtung, bedeutende Werke der kretischen Literatur <strong>und</strong> die Literatur seiner<br />

Zeit.<br />

In dieser Periode entstanden Werke, die er als von der Natur inspiriert empfand, wie: <strong>Der</strong> Tod<br />

des Waisenkindes (Ο θάνατος της ορφανής), <strong>Der</strong> Tod des Schäfers (Ο θάντος του βοσκου),<br />

Erykome(Ευρυκόμη), Das blonde Mädchen (Ξανθούλα), Die kleine Seele, <strong>Der</strong> Schatten Homers.<br />

Später stellte er sich auch den theoretischen Fragen nach der Sprache <strong>und</strong> löst diese in seinem<br />

Dialog (1825).<br />

Stark geprägt ist <strong>Solomos</strong>` Dichtung auch vom <strong>griechische</strong>n Freiheitskampf, an dem er innerlich<br />

tiefen Anteil nahm. „Durch die Revolution von 1821 wurde der Dichter tief erschüttert“ 10 lesen<br />

8 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 119.<br />

9 Ανδρειωμένος, „Διονύσιος Σολωμός Η ζωή και το έργο“, S. 28.<br />

10 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 121.<br />

5


wir bei Politis. In seinem Dialog von 1824 sagte er: „Habe ich etwas anderes im Sinn als<br />

Freiheit <strong>und</strong> Sprache?“ 11<br />

Es w<strong>und</strong>ert daher nicht, dass <strong>Solomos</strong> Mitglied <strong>und</strong> Eingeweihter in der 1814 im russischen<br />

Odessa gegründeten Geheimgesellschaft Φιλική Εταιρεία war, welche sich in der Kirche des<br />

Heiligen Georg auf Zakynthos traf . 12<br />

Die Sprache gewann für den Dichter auch als identitätsstiftenden Faktor an Bedeutung. Auch<br />

wenn <strong>Solomos</strong> seine nationale Gesinnung nicht nach außen kehrte, rang er doch innerlich um<br />

das „wahre Griechenland“ <strong>und</strong> glaubte an diese <strong>griechische</strong> Zukunft unerschütterlich.<br />

Im Jahre 1823 schrieb er die 158 Strophen des Hymnus auf die Freiheit, welcher ihn schlagartig<br />

bekannt machte. In der Vertonung von Nikolaos Mantzaros wurde er 1865 zur Nationalhymne.<br />

Die Hymne wurde in viele Sprachen übersetzt <strong>und</strong> übte großen Einfluss auf die Bewegung des<br />

Philhellenismus aus.<br />

Im gleichen metrischem Aufbau folgte die Ode auf den Tod Lord Byrons (Ωδ1825), die er<br />

jedoch nicht veröffentlichte.<br />

In den folgenden Jahren bis 1828 arbeitete er am Lambros, begann im Mai 1826 die sogenannte<br />

erste Fassung von Die freien Belagerten <strong>und</strong> das satirische Prosawerk Die Frau von Zakynthos.<br />

1.4) Übersiedlung nach Korfu (Kerkyra)<br />

1.4.1) Einsamkeit <strong>und</strong> innere Sammlung<br />

Im Jahre 1828 verließ <strong>Solomos</strong> überraschend seine Heimat Zakynthos <strong>und</strong> ging nach Kerkyra,<br />

wo er sich im Haus der gräflichen Familie Woulgaris niederließ. Tochter Elena <strong>und</strong> ihr Mann<br />

Giorgios Polylas wohnten bei Ankunft des Dichters auch in diesem Hause, mit ihrem<br />

zweijährigen Sohn Iakowos Polylas, der spätere Schüler <strong>und</strong> Herausgeber des <strong>Solomos</strong>.<br />

Die Übersiedlung bedeutete für <strong>Solomos</strong> eine Emigration <strong>und</strong> Flucht in die Einsamkeit, welche<br />

er in einer Korrespondenz mit den Worten preist: „Nur allein lebt es sich gut.“ 13<br />

11 zitiert aus: Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 121<br />

12 Chiotis, Panajiotis, Ιστορία του Ιονίου Κράτους, zitiert aus: Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr<br />

Sänger, S. 32 (Zakynthos, 1874), S. 317f.<br />

13 Müller, Dietram, <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> - Ausgewählte Gedichte (Wiesbaden: Chelmos, 2009), S. 12.<br />

6


Iakowos Polylas urteilte später 14 , dass die „vielfältigen familiären <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftlichen<br />

Beziehungen“ in Zakynthos ihn daran hinderten, „so allein zu leben wie er wollte“ <strong>und</strong> sich<br />

„ganz dem Bemühen um die Kunst zu widmen.“<br />

Nach Politis „…verlässt er die enge, provinzielle Umgebung von Zakynthos <strong>und</strong> die fröhliche<br />

Gesellschaft seiner Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> lässt sich auf Korfu nieder, wo er Einsamkeit <strong>und</strong> innere<br />

Sammlung sucht.“ 15<br />

Aus der politisch- ethischen Dimension seiner Arbeit am Lambros <strong>und</strong> an den freien Belagerten<br />

ergab sich nach Drögemüller 16 auch die innere Notwendigkeit, sein Schaffen neu zu überdenken,<br />

was er denn durch seine Studien der deutschen Literatur <strong>und</strong> Philosophie auch bald in Angriff<br />

nahm.<br />

Auf Korfu hatte Lord Guilford mit anderen bedeutenden Persönlichkeiten die kleine Universität,<br />

die „Ionische Akademie“ gegründet, unter Ihnen der bereits erwähnte Komponist Nikolaos<br />

Mantzaros, mit dem <strong>Solomos</strong> fre<strong>und</strong>schaftlich verb<strong>und</strong>en war.<br />

Die ersten Jahre in Korfu sind laut Politis „…die glücklichsten seines <strong>Leben</strong>s“ 17 in<br />

„beglückender Einsamkeit“, wovon auch verschiedene erhaltene Briefe an seine Fre<strong>und</strong>e 18 <strong>und</strong><br />

sein Lied An eine Nonne (Εις Μοναχήν) zeugen. Er hielt auch in dieser Zeit persönlichen<br />

Kontakt zu seinen Fre<strong>und</strong>en, wie beispielsweise ein Brief von <strong>Solomos</strong> an Galvani (Γαλβάνη)<br />

vom 25. März 1834 bezeugt. 19 Darin berät er seinen Fre<strong>und</strong> hinsichtlich dessen geplanter<br />

Hochzeit <strong>und</strong> rät ihm ab. Auch war er gern gesehener Gast in den aristokratischen Kreisen von<br />

Korfu; ob er mit deren Auffassungen gleicher Meinung war, ist bisher umstritten, wie Kapsakis<br />

vermerkt. 20<br />

Er arbeitete zu dieser Zeit auch weiter am Lambros <strong>und</strong> versuchte diesen zu vollenden, sagte<br />

jedoch selbst: „<strong>Der</strong> Lambros wird ein Fragment bleiben.“ 21<br />

In das gleiche Jahrzehnt gehören auch seine einzigen beiden Prosastücke, der Dialog (1824), der<br />

als Credo für die Volkssprache gedacht war, sowie die Frau von Zakynthos, auf die wir unten<br />

weiter eingehen werden. Politis urteilt dazu: „Die Prosa ist eine w<strong>und</strong>erbar reine <strong>und</strong> kraftvolle<br />

Dimotikí, der Ausdruck ist verdichtet, der Ton oft apokalyptisch.“ 22<br />

14 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 27f.<br />

15 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 122.<br />

16 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 175.<br />

17 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 123.<br />

18 Σωκράτησ Καψάκης, Στοιχεία Βιογραφίας τού Διονυσίου Σολωμού (Αθήνα, 1998), S. 307.<br />

19 Ebd., Σ. 419.<br />

20 Καψάκης, Στοιχεία Βιογραφίας τού Διονυσίου Σολωμού.<br />

21 Κριαράς, Εμμανουήλ, Διονύσιος Σολωμός <strong>–</strong> Ο Βιος, Το Έργο (Αθήνα: Κολλάρος, 1969), S. 116.<br />

22 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 124.<br />

7


1.4.2) Das kritische Jahr 1833 <strong>und</strong> familiäre Streitigkeiten<br />

Sein glückliches <strong>Leben</strong> auf Korfu wurde 1833 durch einen Familienprozess zerstört, der durch<br />

seinen Halbbruder Ioannis Leondarakis (der älteste Sohn aus zweiter Ehe seiner Mutter)<br />

angelöst wurde, der sich als gesetzlichen Erben des alten <strong>Solomos</strong> ansah <strong>und</strong> in dieser Position<br />

von der Mutter unterstützt wurde. Da <strong>Solomos</strong> dadurch seines gesamten Vermögens beraubt<br />

worden wäre, war er zusammen mit seinem Bruder Dimitrios gezwungen, sich zu verteidigen<br />

<strong>und</strong> verbrachte 5 Jahre seiner wertvollen Zeit mit diesem Vermögensstreit, den er schließlich<br />

1838 gewann. Die Erfahrungen aus dieser Zeit haben ihn innerlich stark verwandelt <strong>und</strong><br />

verbittert, kosteten ihm das seelische Gleichgewicht <strong>und</strong> stellen einen Wendepunkt in seinem<br />

<strong>Leben</strong> dar. Polylas schreibt dazu: „…doch sein Herz blieb tödlich verw<strong>und</strong>et, da er in jenem<br />

Zeitraum die Gelegenheit erhielt, viele seiner scheinbaren Fre<strong>und</strong>e als falsche<br />

kennenzulernen.“ 23<br />

Er trug sich in dieser Zeit sogar mit dem Gedanken Korfu zu verlassen <strong>und</strong> nach Paris zu<br />

flüchten. 24<br />

Diese Familientragödie wird sein ganzes restliches <strong>Leben</strong> stark prägen <strong>und</strong> führt ihn in eine<br />

tragische Einsamkeit. Er zog sich immer mehr aus der Gesellschaft zurück, studierte deutsche<br />

Literatur <strong>und</strong> Philosophie <strong>und</strong> befasste sich intensiv mit Schiller, Schelling, Schlegel, Goethe<br />

<strong>und</strong> Hegel, die er in italienischen Übersetzungen lesen konnte. Sein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Landsmann<br />

Nikolaos Lountzis fertige für ihn viele Übersetzungen dieser Werke ins Italienische an.<br />

Nur wenige auserwählte Fre<strong>und</strong>e bilden in dieser Zeit den Kreis um <strong>Solomos</strong> <strong>und</strong> er verlässt<br />

seinen Wohnsitz nur wegen einiger Reisen nach Zakynthos wegen familiären Angelegenheiten.<br />

Gerade in dieser für ihn schwierigen Zeit des Jahres 1833 schreibt er jedoch seinen Kreter, das<br />

erste seiner großen Werke, mit dem „…eine neue Periode der Reife, der höchsten geistigen<br />

Inspiration <strong>und</strong> schöpferischen Verwirklichung“ 25 beginnt. Weitere Werke aus der Zeit von<br />

1834 bis 1838 sind, bis auf eine Überarbeitung der Freien Belagerten nicht erhalten 26 . Er<br />

arbeitete jedoch weiter am Lambros <strong>und</strong> nimmt das Thema der Frau die sich vergiftet<br />

(Φαρμακωμένη) wieder auf. 27<br />

23 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 30.<br />

24 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 186.<br />

25 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 124.<br />

26 Δημαράς, Κ. Θ, Ιστορία της νεοελληνικής λογοτεχνίας, 3. ekd. (Αθήνα: Ikaros, 1964), S. 239.<br />

27 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, siehe dazu S. 185.<br />

8


1.4.3) Die Arbeit an den Freien Belagerten: 1833 bis 1844<br />

Im gleichen Versmaß wie der Kreter arbeitete <strong>Solomos</strong> über zehn Jahre hindurch, von 1833 bis<br />

1844 an der zweiten Fassung der Freien Belagerten. Als die Niederschrift schon weit gediehen<br />

war, begann er sie 1844 in einer anderen Versform, wieder dem Fünfzehnsilber („Politischer<br />

Vers“), umzuschreiben, eine Versstruktur „ …mit einer inneren Harmonie, die uns heute noch<br />

mit Erstaunen erfüllt.“ 28 Er vollendete dieses Werk nicht, so dass wir den zweiten <strong>und</strong> dritten<br />

Entwurf als sogenannte „Fragmente“ besitzen, was jedoch eine irreführende Bezeichnung ist,<br />

wie wir weiter unten zeigen werden. In derselben Periode (1840) schrieb er das Carmen<br />

Seculare, ein Gedicht über die gegenwärtige Lage <strong>und</strong> die Zukunft des Griechentums.<br />

Wir dürfen davon ausgehen, dass das Thema Mesolongion den Dichter sehr existenziell<br />

beschäftigte; es zehrte, wie Vitti bemerkt: „ …an seinen Kräften <strong>und</strong> versetzte ihn, zusammen<br />

mit anderen uns nicht bekannten Gründen, in eine seelische Krise.“ 29<br />

1.5) Spätwerk <strong>und</strong> letzte Schaffensperiode<br />

In den letzten zehn Jahren seines <strong>Leben</strong>s, von 1847 bis 1857 arbeitete der Dichter an einer Reihe<br />

von Werken, die teils vollendet, unvollendet oder Entwurf blieben <strong>und</strong> kehrt vorläufig (1847 bis<br />

1851) zur italienischen Dichtung zurück. Das bedeutendste <strong>griechische</strong> Werk aus dieser Zeit ist<br />

der Porphyras (der Hai) (1849). Zu den italienischen Gedichten gehören Die Vergiftete, <strong>Der</strong><br />

<strong>griechische</strong> Kämpfer, Sappho <strong>und</strong> Das <strong>griechische</strong> Schiff sowie Themen wie Sonett auf den Tod<br />

Stylianós Markorás <strong>und</strong> Epigramm auf Alice Ward. Zu den bedeutenderen italienischen<br />

Prosaentwürfen gehören Die <strong>griechische</strong> Mutter(Ελληνίδα μητέρα), Die Frau mit dem Schleier<br />

(Η γυναίκα με το μαγνάδι), Die Nachtigall <strong>und</strong> der Falke (Το αηδόνι και το γεράκι), Orpheus<br />

(Ορφέας) <strong>und</strong> andere.<br />

Politis stellte fest, dass allen italienischen <strong>und</strong> <strong>griechische</strong>n Gedichten <strong>und</strong> Entwürfen dieser Zeit<br />

gemeinsam ist, dass die Wörter „Mysterium, Geheimnis, mystisch“ darin wiederkehren. 30<br />

Trotz seines zunehmenden Ruhmes, welcher 1849 in der Ordensverleihung des Goldenen Kreuz<br />

des Erlöser-Ordens durch König Otto gipfelte (weil er mit seiner Dichtung „die Begeisterung<br />

während des Krieges für die nationale Unabhängigkeit entfacht“ habe 31 ), entfremdete er sich<br />

zunehmend auch von seinen engsten Fre<strong>und</strong>en. Seit 1851 wurde er aufgr<strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlicher<br />

Probleme immer leichter erregbar <strong>und</strong> eigenwilliger.<br />

28 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 125.<br />

29 Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 66.<br />

30 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 127.<br />

31 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 13.<br />

9


1.6) Tod <strong>und</strong> Nachlass<br />

<strong>Solomos</strong> starb am 21. Februar 1857 an einer nicht vollends geklärten Krankheit.<br />

Er litt bereits seit spätestens 1855 an einer Hirnerkrankung oder Herz- Kreislauferkrankung. An<br />

der nach seinem Tod angeordneten Staatstrauer nahmen alle gesellschaftlichen Schichten Korfus<br />

teil. Die sterblichen Überreste des Dichters wurden zunächst in Korfu beigesetzt, dann im Juli<br />

1865 nach Zakynthos überführt <strong>und</strong> dort auf der Μεγάλη Πλατεία beigesetzt, bevor sie 1868<br />

ihren endgültigen Platz in einem Mausoleum fanden, welches für <strong>Solomos</strong> <strong>und</strong> andere<br />

bedeutende Persönlichkeiten der Insel errichtet worden war.<br />

Zum Zeitpunkt seines Todes kannten seine Zeitgenossen nur den <strong>Nationaldichter</strong> der Hymne an<br />

die Freiheit; von seinen großen Dichtungen der reifen Jahre wusste man nichts, weshalb sich<br />

sein Ruhm in Grenzen hielt. Das lag unter anderem daran, dass er zu Lebzeiten fast niemand<br />

mehr seine Werke zeigte, manches nur noch seinen Fre<strong>und</strong>en vorlas <strong>und</strong> selbst <strong>Der</strong> Kreter<br />

später nur als Glücksf<strong>und</strong> auftauchte.<br />

Es ist der Gewissenhaftigkeit <strong>und</strong> dem liebevollen Verständnis seines Schülers Iakowos Polylas<br />

zu verdanken, dass zwei Jahre nach seinem Tod, 1859, die erste Ausgabe des Nachlasses aus<br />

den zuvor ungeordneten Handschriften des Dichters herausgegeben werden konnte. Allerdings<br />

fanden diese nicht das erwartete Echo. Man wartete auf die „…geistigen Schätze, von denen<br />

man nicht nur im Kreis um <strong>Solomos</strong>, sondern sogar im fernen Athen sprach“ 32 , welche freilich<br />

vaterländische Dichtungen sein sollten. Da diese nicht im Nachlass erschienen, fühlten sich<br />

einige „…als seien sie vom Dichter betrogen worden.“ 33<br />

Sein Vermächtnis, von der Einfachheit der Volkslieder auszugehen, wurde von seinen jüngeren<br />

Fre<strong>und</strong>en aufgenommen, aber nicht völlig verstanden, urteilt Vitti, 34 während Politis<br />

abschließend feststellt: „<strong>Der</strong> Dichter war seiner Epoche weit voraus, seine Botschaft wurde nicht<br />

verstanden.“ 35<br />

Vitti sieht in Polylas den „Einzige(n) seiner Nachfolger, der sein Werk in seiner ganzen Tiefe<br />

erfasste <strong>und</strong> die verschiedenen Schaffensphasen mit ihren jeweiligen Errungenschaften zu<br />

unterscheiden wusste“. Polylas war es auch, der unermüdlich als Abgeordneter in Athen für<br />

32 Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 66.<br />

33 Ebd., S. 67.<br />

34 Ebd.<br />

35 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 127.<br />

10


<strong>Solomos</strong> kämpfte <strong>und</strong> ihn gegen Angriffe verteidigte. Seine Prolegomena, als Vorwort zur<br />

ersten Herausgabe sind berühmt geworden <strong>und</strong> bezeichnen <strong>Solomos</strong> zum ersten Mal als<br />

„εθνικός ποιητής“, also als <strong>Nationaldichter</strong>. Die meisten der nachfolgenden <strong>Solomos</strong>-Ausgaben<br />

stützten sich auf die Polylas-Ausgabe. Er unterschlug jedoch bei der Herausgabe u.a. dessen<br />

wichtiges Prosawerk Die Frau von Zakynthos, aus Gründen, welche die Forschung bis heute<br />

beschäftigen.<br />

2) Einzelheiten zu Person <strong>und</strong> Werk des <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong><br />

2.1) Die Sprachfrage <strong>und</strong> Begegnung mit Trikoupis<br />

Die Gründung des neu<strong>griechische</strong>n Staates nach 1821 bedeutete nicht nur eine „Übernahme von<br />

Maßstäben <strong>und</strong> Gestaltungsformen des westeuropäischen Literatur“ 36 , sondern brachte auch dem<br />

Griechischen Sprachstreit (γλωσσικό ζήτημα), also der Frage nach einer einheitlichen<br />

neu<strong>griechische</strong>n Sprache, neue Dynamik.<br />

Während in Athen die Phanarioten der „Athener Schule“ Verfechter der Hochsprache blieben<br />

oder eine „Reinigung“ <strong>und</strong> Archaisierung der <strong>griechische</strong>n Sprache betrieben <strong>und</strong> erst Giannis<br />

Psycharis (1854-1929) im Jahre 1888 mit Meine Reise (Το ταξίδι μου) neue Bewegung brachte,<br />

konnten „Dichterpersönlichkeiten des Übergangs“ 37 wie <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> <strong>und</strong> Andreas<br />

Kalvos (1792-1869) aufgr<strong>und</strong> ihrer italienischen Bildung viel früher den Weg zur Volkssprache<br />

„Dimotiki“ finden. Beide hatten gegen diese Strömungen anzukämpfen <strong>und</strong> <strong>Solomos</strong> versuchte<br />

der Dimotiki eine erhabene Form zu verleihen <strong>und</strong> zu zeigen, dass sie geeignet sei, beliebige<br />

Inhalte auszudrücken, entgegen der Behauptungen der Archaisten <strong>und</strong> Vertreter der<br />

„bereinigten“ <strong>griechische</strong>n Sprache (Katharevousa, griechisch: Καθαρεύουσα). Damit betrat<br />

<strong>Solomos</strong> Neuland, da es an einer <strong>griechische</strong>n Dichtungstradition fehlte. Er orientierte sich<br />

dabei u.a. eng an die <strong>griechische</strong> Volkslied-Tradition, die teilweise bis in das 8./9. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

zurückreicht 38 <strong>und</strong> strebt darüber hinaus. Bereits 1833 schrieb <strong>Solomos</strong> an Georgios Tertsetis:<br />

36 Jens, Walter Hrsg., Ulrich Moenning, Die neu<strong>griechische</strong> Literatur, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon Bd. 19, S.<br />

972 bis 979, Bd. Band 19 (Kindler Verlag, 1988), S. 976.<br />

37 Ebd.<br />

38 Ebd.<br />

11


„Es ist gut, sich auf jene Spuren (der Volkslieder) zu begeben, aber es ist nicht gut, dort<br />

haltzumachen: man muss sich senkrecht aufrichten.“ 39<br />

Unterschiedlich diskutiert wird die Frage, wann <strong>und</strong> durch wen <strong>Solomos</strong> die <strong>griechische</strong><br />

Sprache lernte. Sicherlich ist seine Mutter als seine erste Griechischlehrerin anzusehen, deren<br />

„einfache, aber ausdrucksvolle <strong>und</strong> auch nicht unrhetorische Sprache“ 40 wir aus Briefen kennen.<br />

Drögemüller sieht in ihr die Person, welche ihm „…auch Sprache <strong>und</strong> Inhalte der Volkspoesie<br />

<strong>und</strong> dieser nahestehenden Kunstpoesie…“ 41 nahebrachte. Weiter war die Kirche mit ihrer<br />

altertümlichen Liturgie, die <strong>Dionysios</strong> regelmäßig besuchte, ein wichtiger Einfluss. Dafür, dass<br />

er von „namhaften Lehrern seiner Zeit“ 42 unterwiesen worden sei, sieht Drögemüller keine<br />

Belege. Dimaras erwähnte dagegen den Gelehrten Anastasios Martelaos (dessen Dichtung<br />

<strong>Solomos</strong> jedoch erst in späterer Zeit Anregungen gab) <strong>und</strong> einen „fanatischen<br />

Grammatiklehrer“ 43 . Drögemüller verweist dagegen auf die Schreibeigenheiten <strong>und</strong><br />

Schreibfehler von <strong>Solomos</strong>, welche er sein <strong>Leben</strong> lang beibehielt <strong>und</strong> hält es für ausgeschlossen,<br />

dass <strong>Solomos</strong> jemals Formengrammatik gelernt hat, auch nicht später die phonetische nach<br />

Vilaras. 44 Palamas 45 <strong>und</strong> Polylas 46 erwähnen den französischen Literaten Gallos Fauriel, welcher<br />

ebenfalls Einfluss auf <strong>Solomos</strong>` Sprachentwicklung genommen haben soll.<br />

Andere wiederum behaupten, <strong>Solomos</strong> sei bis zu seiner Rückkehr nach Zakynthos ιταλόφωνος<br />

gewesen <strong>und</strong> habe erst dann innerhalb kürzester Zeit durch Trikoupis die Sprache gelernt. Zu<br />

Recht verweist auch hier Drögemüller darauf, dass <strong>Solomos</strong> erste poetische Versuche 1818 auf<br />

Griechisch „in Struktur, Lexik <strong>und</strong> Wortkomposition eine lange intime Kenntnis der<br />

Muttersprache“ 47 verraten.<br />

Trotzdem hatte sich <strong>Solomos</strong> seit seiner Rückkehr 1818 intensiv dem Studium der <strong>griechische</strong>n<br />

Sprache zugewandt, wozu die Metastasio-Übersetzungen, die Beschäftigung mit der<br />

Volkspoesie <strong>und</strong> einige lyrische Versuche zählen. Seine Zitierung von Homer, Aischylos <strong>und</strong><br />

39 Zitiert nach: Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 67.<br />

40 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 22.<br />

41 Ebd., S.25 f.<br />

42 Ebd., S. 22.<br />

43 Δημαράς, Κ. Θ, Ιστορία της νεοελληνικής λογοτεχνίας, S. 234.<br />

44 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 22.<br />

45 Kostis Παλαμάς, Κωστής, Διονύσιος Σολωμός, Nea hellēnikē bibliothēkē ; 9 (Αθήνα: Ερμής, 1981), Σ. 73.<br />

46 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, Σ. 25.<br />

47 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 23.<br />

12


Platon in alt<strong>griechische</strong>r Literatur zeigt ebenfalls, „dass er des Alt<strong>griechische</strong>n nicht ganz so<br />

unk<strong>und</strong>ig war, wie oft behauptet wird“. 48<br />

<strong>Der</strong> Besuch von Spyridon Trikoupis Ende 1822 war zweifellos ein entscheidender Anstoß für<br />

seine weiteren Studien. Beim ersten Treffen, so wird berichtet, trug <strong>Solomos</strong> ihm angeblich die<br />

Ode per prima messa aus der italienischen Zeit vor. Von Trikoupis wurde behauptet, dass<br />

<strong>Solomos</strong> kein Griechisch sprach, er nur über wenige Worte verfügte <strong>und</strong> der Dichter nach nur<br />

einer Woche Griechischunterricht durch ihn das im Volksliedton gehaltene Gedicht Ξανθούλα<br />

(blondhaariges Mädchen) als erste <strong>griechische</strong> Schöpfung geschrieben habe. 49<br />

Wichtiger erscheint jedoch, das er mit Hilfe von Trikoupis Kenntnisse der kretisch-<strong>griechische</strong>n<br />

Volksliedtradition, vor allem am Werk A. Christopoulos <strong>und</strong> am „Erotokritos“ von<br />

Vitsentzos Kornaros gewann <strong>und</strong> in ihm einen „stets antreibenden Fre<strong>und</strong>“ 50 fand, der ihn<br />

förderte <strong>und</strong> zu ihm gesagt haben soll: „Euer dichterisches Talent sichert Euch einen hohen<br />

Rang im italienischen Parnass. Doch die höchsten Plätze sind dort schon besetzt. <strong>Der</strong><br />

<strong>griechische</strong> Parnass wartet noch auf seinen Dante.“ 51<br />

Obwohl <strong>Solomos</strong> die Volksprache zur Erhabenheit der Kunst emporhob, rang er ein <strong>Leben</strong> lang<br />

um ein immer tieferes Verständnis der <strong>griechische</strong>n Sprache <strong>und</strong> hatte stets Bedenken über seine<br />

Unvollkommenheit, da er fühlte, dass der Reichtum seiner Phantasie noch nicht der Vertrautheit<br />

mit der Sprache entsprach. Er empfand zunehmend die „Würde der Kunst“ <strong>und</strong> erkannte, dass<br />

die Dichtung eine allerhöchste Aufgabe besitzt, die er erfüllen wollte.<br />

Im Dialog, seinem theoretischen Prosawerk, an dem er von 1823 bis 1825 gearbeitet hat, geht es<br />

um die Verteidigung der <strong>griechische</strong>n Volkssprache aus der Perspektive des Dichters gegen eine<br />

künstliche Sprachregelung. Er vertritt darin die Auffassung, dass es Aufgabe des Dichters sei,<br />

die Volkssprache zu bereichern <strong>und</strong> zu veredeln <strong>und</strong> niemand dies von oben herab tun darf.<br />

“Υποτάξου πρώτα στη γλώσσα του λαού και αν είσαι αρκετός, κυρίεψέ την”<br />

“Ordne dich zuerst der Sprache des Volkes unter <strong>und</strong>, wenn du fähig bist, beherrsche sie” 52<br />

48 Ebd., S. 64.<br />

49 Ebd., S. 67.<br />

50 Ebd., S. 68.<br />

51 <strong>Solomos</strong>, <strong>Dionysios</strong>, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian Günther, <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke<br />

(Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2000), S. 209.<br />

52 Müller, Dietram, <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> - Ausgewählte Gedichte, S. 11f.<br />

13


2.2) Ein ewig Werdender <strong>und</strong> Suchender<br />

Es gehört wohl zur Wesensart dieser Dichterindividualität <strong>und</strong> zu den besonderen<br />

Auffälligkeiten, dass die meisten seiner Werke „unvollendet“ sind. Teilweise liegen lediglich<br />

verschiedene Manuskripte, Notizen <strong>und</strong> Entwürfe vor <strong>und</strong> die wenigsten seiner Werke wurden<br />

zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Über die Gründe finden wir in der Forschung die<br />

verschiedensten Meinungen.<br />

So ging Polylas in seiner ersten Ausgabe von <strong>Solomos</strong>' Nachlass noch davon aus, dass<br />

ihm nicht alles, was <strong>Solomos</strong> geschrieben hat vorlag <strong>und</strong> schlussfolgerte, dass Teile entweder<br />

gestohlen worden oder verloren gegangen sein mussten. Sicherlich sind zwar Werke verloren<br />

gegangen oder vom Dichter selbst vernichtet worden, doch hat die Fragmentarizität des Werkes<br />

noch weitere Gründe.<br />

<strong>Der</strong> wichtigste Gr<strong>und</strong> dürfte sein, dass <strong>Solomos</strong> seine Werke ständig überarbeitete <strong>und</strong> mit den<br />

Jahren hinsichtlich seines Ideals von patriotischer Dichtung „immer anspruchsvoller in der<br />

künstlerischen Umsetzung dieses Ideals wurde <strong>und</strong> er geriet dadurch immer öfter in den Zustand<br />

einer gewissen Frustration.“ 53<br />

Ein Musterbeispiel für dieses immerwährende Ringen seines schöpferischen Geistes sind die<br />

Freien Belagerten, von denen uns drei verschiedene Fassungen aus all seinen Schaffensperioden<br />

vorliegen. Allein an der zweiten Fassung hatte er wie oben bereits schon erwähnt zehn<br />

Jahre gearbeitet. Hier zeigt sich deutlich, dass der Begriff „Fragmente“ für <strong>Solomos</strong> meist<br />

unzutreffend ist, denn die Stücke sind nicht Teile eines vollständigen Ganzen, nicht zufällige<br />

Bruchstücke. Sie sind vielmehr eigenständiges Zeugnis eines immerwährenden, fortgesetzten<br />

Schaffensprozesses, den <strong>Solomos</strong> weder beenden, noch die einzelnen Passagen zu einem<br />

„episch-lyrischen“ Ganzen zusammenfügen wollte. Er war auch hierin seiner Zeit voraus.<br />

Gleiches können wir beim Kreter <strong>und</strong> bei anderen „fragmentarischen“ Werken feststellen,<br />

welche man besser als „lyrische Einheiten oder lyrische Episoden“ 54 bezeichnen könnte.<br />

Wir dürfen annehmen, dass der Dichter aus den gleichen Gründen auch auf die Veröffentlichung<br />

seiner Werke verzichtete. Nach Fertigstellung seiner Ode auf den Tod des Lord Byrons<br />

(Ωδή στο θάνατο του Λόρδ Μπάιρον) 1825 überzog er diese mit italienisch geschriebenen<br />

Notizen wie: „alles weg“, „soviel wie möglich straffen <strong>und</strong> Verse einsparen“ oder „muss<br />

nochmal gemacht werden“, was ahnen lässt, dass er die erreichte Fassung schon wieder als<br />

überholt betrachtet <strong>und</strong> weiterstrebte, wie es seinem Wesen entsprach.<br />

53 Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 65.<br />

54 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 126.<br />

14


Es mag auch sein, wie Emmanouil Kriaras vermutet, dass er durch sein ständiges Weiterstreben<br />

<strong>und</strong> durch eine gewisse Ungeduld <strong>und</strong> Rastlosigkeit nicht beharrlich genug gewesen sei, um ein<br />

Werk zu Ende zu bringen. 55 Für wahrscheinlicher halte ich jedoch, dass ein schöpferischer<br />

Mensch wie <strong>Solomos</strong> nie „fertig“ ist, sondern sich ständig weiter entwickeln möchte, es nicht<br />

nötig hat Werk-Stadien zu veröffentlichen <strong>und</strong> die Werke, mindestens teilweise, auch gar nicht<br />

beenden wollte. Dafür spricht auch seine Antwort auf die Frage, wann er seinen Lambros<br />

endlich fertigstelle. Er antwortete, dass dieser wohl ein Fragment bleiben werde, da die<br />

Erhabenheit des gesamten Gedichtes nicht an die Erhabenheit bestimmter einzelner Teile<br />

heranreiche. 56<br />

Wenn also beispielsweise bei Kindler unter Die freien Belagerten zu finden ist: „Er hat viele<br />

Jahre daran gearbeitet, es aber schließlich doch unvollendet hinterlassen“ 57 , so ist dies nur<br />

bedingt richtig.<br />

2.3) <strong>Solomos</strong> als <strong>Nationaldichter</strong> <strong>und</strong> Europäer<br />

Das <strong>Solomos</strong> am <strong>griechische</strong>n Freiheitskampf tiefen Anteil nahm <strong>und</strong> „durch die Revolution<br />

von 1821 …. tief erschüttert“ 58 wurde <strong>und</strong> in seinem Dialog sagte: „Habe ich etwas anderes im<br />

Sinn als Freiheit <strong>und</strong> Sprache?“ 59 , wurde bereits oben erwähnt. Als der Freiheitskämpfer Markos<br />

Botsaris (Μάρκος Μπότσαρης) am 21. August 1823 den Tod fand, war auch <strong>Solomos</strong> bestürzt<br />

<strong>und</strong> schrieb auf den Tod des Botsaris ein Gedicht mit Elementen wie der homerischen<br />

Totenklage für Hektor, der christlichen Auferstehung, die Heldengestalt des „Edelsten aller<br />

Griechen“, welches das Gedicht weit über das aktuelle Geschehen <strong>und</strong> die Zwietracht (διχόνοια)<br />

hinaushebt <strong>und</strong> insofern an den Freiheitshymnus anschließt. 60 Auch beim Tod Lord Byrons teilte<br />

<strong>Solomos</strong>, wie es Drögemüller formuliert, „wie kaum ein anderer … die Trauer der<br />

Mesolongioten“. 61<br />

In seinem lyrischen Gedicht auf den Tod Lord Byrons zeigt sich, dass<br />

„Gesinnung <strong>und</strong> Ton des <strong>Solomos</strong> schärfer geworden sind; er ist enttäuscht <strong>und</strong> zornig.“ 62 Als<br />

politische Haltung, in einer Zeit da das Kranidi-Parlament sich offen einen „fremden König“<br />

herbeiwünscht, formuliert er mit den Worten Lord Byrons von 1809: „Griechenland habe nur<br />

55 Κριαράς, Εμμανουήλ, Διονύσιος Σολωμός <strong>–</strong> Ο Βιος, Το Έργο, S. 110 ff.<br />

56 Ebd., S. 116.<br />

57 Jens, Walter Hrsg., Kindlers Neues Literatur Lexikon, Band 15:S. 706f.<br />

58 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 121.<br />

59 zitiert aus: Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 121<br />

60 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 148.<br />

61 Ebd., S. 151.<br />

62 Ebd., S. 152.<br />

15


drei Möglichkeiten: das Erkämpfen der eigenen Freiheit, die Abhängigkeit von europäischen<br />

Herrschern oder das Schicksal einer türkischen Provinz <strong>–</strong> ein Bürgerkrieg würde zu einem der<br />

letztgenannten Resultate führen“ 63<br />

Zweifellos hat der Hymnus an die Freiheit, der 1824 in Mesalongi erstmals gedruckt wurde,<br />

erheblich zur Identitätsfindung der jungen <strong>griechische</strong>n Nation beigetragen. Die Hymne wurde<br />

sogleich in mehrere europäische Sprachen übersetzt, machte den Dichter so schlagartig in<br />

Europa bekannt <strong>und</strong> trug erheblich zum weitverbreiteten Philhellenismus jener Jahre bei.<br />

Polylas schrieb über die Wirkung des Hymnus: „Wenn es denn wahr ist, dass das reine<br />

Griechentum sich begründet auf die lebende Sprache, auf die ernste Schönheit der Form <strong>und</strong> auf<br />

die klare Tiefe des Logos, dann erschien sicherlich dieses Gedicht als die erste echte Frucht der<br />

<strong>griechische</strong>n Phantasie nach zwanzig Jahrh<strong>und</strong>erten Verfall.“ 64<br />

Dass <strong>Solomos</strong> das Ideal der Freiheit nicht nur für Griechenland sondern europäisch verstand,<br />

zeigt sich unter anderen in Strophe 140, in der die Göttin nicht nur auf Griechenland, sondern<br />

auch nach Europa blickt, Griechen wie Europäer gleichsam ermahnend.<br />

Bezeichnend ist auch, dass am 25. Mai 1940 der britische Gouverneur auf einer Veranstaltung<br />

zu Ehren der Königin Victoria eine musikalische Fassung der Freiheitshymne von jungen<br />

Kerkyräern darbieten lies.<br />

Im Verfassungsjahr 1844 schickte der Fre<strong>und</strong> des <strong>Solomos</strong>, der Komponist Nikolaos Mantzaros,<br />

die von ihm vertonte Fassung an König Otto <strong>und</strong> nannte <strong>Solomos</strong> im Begleitbrief: „den ersten<br />

Großen unter unseren ionischen Dichtern.“ 65<br />

<strong>Der</strong> auf Korfu lebende italienische Romantiker Niccolo Tommaseo bezeichnete <strong>Solomos</strong> als:<br />

„vielleicht in ganz Europa der einzige Dichter, dessen Lieder vom Volk gesungen werden.“ 66<br />

Dass <strong>Solomos</strong> auch einem <strong>Leben</strong> im europäischen Ausland, vorzugsweise in Paris, nicht völlig<br />

abgeneigt gewesen wäre <strong>und</strong> diesem sogar ein <strong>Leben</strong> in Athen vorgezogen hätte, zeigt sich in<br />

seinen Überlegungen zur Flucht von Korfu während der Jahre des Vermögensprozesses mit<br />

63 Ebd., S. 153.<br />

64 Zitiert nach: Ebd., S. 12.<br />

65 Ebd., S. 186.<br />

66 Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 69.<br />

16


seiner Familie 1833 bis 1838. 67 Anstatt jedoch in Paris sicherlich zur Begegnung mit dem<br />

französischen Romantismus <strong>und</strong> seinen dort lebenden Vertretern zu kommen, studiert er die<br />

„deutsche idealistische Philosophie <strong>und</strong> Dichtung, in der Dialektik von Natur <strong>und</strong> Geist“ 68 ,<br />

welche dann in sein Werk, vor allem ab der zweiten Fassung der Freien Belagerten einfließt.<br />

Obwohl <strong>Solomos</strong> „nie das befreite Griechenland betreten wollte, da er im Voraus fühlte, dass er<br />

dort nicht gleichgültig bleiben könnte gegenüber den vielgestaltigen Unschicklichkeiten, die<br />

notwendigerweise ein Volk am Anfang seiner Zivilisation zur Schau stellen musste“ 69 <strong>und</strong> es<br />

nicht gewohnt war „seine nationale Gesinnung herauszukehren“ 70 , baute er doch das wahre<br />

Griechenland „in seines Herzens heilgem Schrein.“ 71 An die <strong>griechische</strong> Zukunft glaubte er „mit<br />

unerschütterlicher Zuversicht“, was in einem seiner Autographe in den Worten formuliert<br />

wurde: „Schließe in deine Seele Griechenland ein, <strong>und</strong> du wirst in deinem Innern eine Sehnsucht<br />

nach jeder Art von Hoheit fühlen.“ 72<br />

So weist <strong>Solomos</strong>` Nationalismus über Griechenland hinaus auf allgemein-menschliche Werte<br />

<strong>und</strong> Kultur. Überzeugend pointiert <strong>und</strong> nach wie vor zeitaktuell kommt diese Haltung zum<br />

Ausdruck, als ein Fre<strong>und</strong> ihn darauf hinwies, dass „die Nation ein nationales Gedicht besser<br />

aufnehmen würde“ (als die geplante Herausgabe des Porphyras) <strong>und</strong> er antwortete: „Die Nation<br />

muss lernen, als national anzusehen, was wahr ist.“ 73 Dennoch ging er auf diese Anregung ein<br />

<strong>und</strong> wollte einen Teil der Freien Belagerten drucken lassen.<br />

Wenn Goethe nach der Lektüre der Freien Belagerten <strong>Solomos</strong> als „Byron des Ostens“<br />

bezeichnete, so zeigt dies, dass Griechenland mit <strong>Solomos</strong> einen großen Dichter der<br />

europäischen Romantik besaß.<br />

67 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 186.<br />

68 Ebd., S. 187.<br />

69 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 31.<br />

70 Ebd., S. 31.<br />

71 <strong>Solomos</strong>, <strong>Dionysios</strong>, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian Günther, <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, S. 163<br />

Die Freien Belagerten, B 50.<br />

72 Zitiert nach: Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-<br />

Christian Günther, Prolegomena, S. 31.<br />

73 Ebd., S. 39.<br />

17


2.4. Die Ionische Schule <strong>und</strong> <strong>Solomos</strong><br />

Die Ionischen Inseln (Heptanes), zu denen auch <strong>Solomos</strong>` Heimatinseln Zakynthos <strong>und</strong> Kerkyra<br />

gehören, fielen nie unter die osmanische Herrschaft <strong>und</strong> bildeten nach dem Fall Kretas 1669 den<br />

Mittelpunkt der <strong>griechische</strong>n kulturellen Entwicklung. Nach der venezianischen <strong>und</strong><br />

napoleonischen Herrschaft standen sie, bis zur Integration in das neu entstandene Griechenland,<br />

unter britischem Protektorat. 74 Neben Venedig waren beide Inseln die Zentren des Druckes<br />

<strong>griechische</strong>r Literatur dieser Zeit sowie des Ideenaustausches mit Nord- <strong>und</strong> Westeuropa sowie<br />

vor allem aus Frankreich, Deutschland <strong>und</strong> Italien. Nach der Staatsgründung 1830 lassen sich<br />

über mehrere Jahrzehnte zwei große, unterschiedliche Linien in der <strong>griechische</strong>n<br />

Literaturlandschaft erkennen: die Athener Schule (Athener Romantik) um Panagiotis <strong>und</strong><br />

Alexandros Soutsos <strong>und</strong> die Ionische Schule der heptanesischen Dichter um <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>,<br />

Aristotelis Valaoritis, Andreas Kalvos <strong>und</strong> Andreas Laskaratos. Während diese heute zu den<br />

wichtigsten neu<strong>griechische</strong>n Lyrikern zählen, genießen die Vertreter der Athener Schule keinen<br />

so großen literaturwissenschaftlichen Status.<br />

<strong>Der</strong> Begriff „Ionische Schule“ (auch „Heptanesische Schule“) umfasst vor allem, aber nicht nur,<br />

die Dichtung der Ionischen Inseln; die Lehre des <strong>Solomos</strong> war die Gr<strong>und</strong>lage dieser Schule.<br />

Politis schildert die Dichter dieser Schule als sehr eng mit <strong>Solomos</strong> verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> teilt diese in<br />

zwei Kategorien: Zeitgenossen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e des Dichters <strong>und</strong> anderseits seine Schüler <strong>und</strong><br />

Anhänger. 75<br />

Das Vermächtnis des <strong>Solomos</strong> wurde von seinen jüngeren Fre<strong>und</strong>en mit jeweils<br />

unterschiedlichen geistigen Voraussetzungen aufgenommen. Vitti bescheinigt diesen, dass sie<br />

sein Bestreben, „von der Einfachheit der Volkslieder <strong>und</strong> von der Literatur Kretas auszugehen“<br />

nicht völlig verstanden haben <strong>und</strong> im Gegensatz zu <strong>Solomos</strong>, auf die äußere Form beschränkt<br />

blieben. <strong>Solomos</strong> sah diese jedoch als Anhaltspunkt zur Wahrung der Kontinuität <strong>und</strong> ging<br />

darüber hinaus. Jedoch, so Vitti: „…für dieses schwierige Unterfangen brauchte es schon eine<br />

Persönlichkeit wie <strong>Solomos</strong>.“ 76<br />

74 Beaton, Roderick, An introduction to modern Greek literature, 1. publ. (Oxford: Clarendon Press, 1994), S. 53.<br />

75 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 131.<br />

76 Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 67.<br />

18


2.5) <strong>Solomos</strong>` Persönlichkeit, Kunstbegriff <strong>und</strong> Philosophie<br />

Die Persönlichkeit eines Menschen zu erfassen <strong>und</strong> zu beschreiben, die unverwechselbare<br />

Wesensart, welche ihn eben von allen anderen Menschen unterscheidet, <strong>und</strong> die Spuren seiner<br />

Entwicklung nachzuzeichnen, gehört zum schwierigsten Unterfangen einer Biografie. Nach dem<br />

was <strong>und</strong> wie soll nun also der Blick auf die Frage gelenkt werden, wer <strong>Solomos</strong> war ohne dabei<br />

den Dichter psychoanalytischen Betrachtungen <strong>und</strong> Deutungen zu unterziehen, wie dies<br />

beispielsweise bei Kalliteraki 77 geschieht.<br />

Schon früh begegnen wir dem Freiheitsdrang des Knaben, dessen „ungezügelter Charakter“ 78<br />

ihn die Strenge des Lyzeums in Venedig nicht ertragen lässt. Zugleich schildert uns Polylas<br />

seine „Begeisterungsfähigkeit“ <strong>und</strong> „weibliche Empfindsamkeit“, welche sich „in den<br />

jungfräulichen Zügen des kleinen <strong>Solomos</strong>“ 79 in einem Portrait von ihm vor seiner Italienreise<br />

zeigen.<br />

Die schon beschriebene starke Prägung des damaligen italienischen Geisteslebens, die<br />

Aufnahme der Ideen der romantischen Schule, der französischen <strong>und</strong> englischen Aufklärung, die<br />

liberalen Ideen der italienischen Gelehrten 80 , die Rezeption von Dante, Vergil <strong>und</strong> Petrarca <strong>und</strong><br />

der Philosophie von Bacon <strong>und</strong> Spinoza, formte seinen Geist. Seine ersten italienischen Verse<br />

schienen seinem Alter so weit voraus, dass sein Lehrer, nach Polylas, gesagt haben soll:<br />

„Grieche, du wirst unseren Monti in Vergessenheit bringen.“ 81<br />

Die vielzitierte Auseinandersetzung mit dem von ihm hoch verehrten Monti gibt uns weiteren<br />

Aufschluss über den jungen <strong>Solomos</strong> <strong>und</strong> zeigt die „kritische Kühnheit“ mit der er seine<br />

Meinung vertrat. Als <strong>Solomos</strong> ihm eine Stelle bei Dante erklärte, soll Monti gereizt erklärt<br />

haben. „Man muss nicht so viel nachdenken“, „man muss fühlen, fühlen“. Darauf soll <strong>Solomos</strong><br />

erwidert haben: „ Zuerst muss der Verstand mit ganzer Kraft begreifen <strong>und</strong> dann muss das Herz<br />

warm fühlen, was der Verstand begriffen hat.“ 82<br />

Politis gesteht ihm bereits 1827, hinsichtlich seiner Gedächtnisrede in der Katholischen Kirche<br />

der Stadt Zakynthos anlässlich des Todes von Foscolo „hohe rhetorische Kunst <strong>und</strong> …<br />

77 Ευτυχία Καλλιτεράκη, Διονύσιος Σολωμός, μια ψυχανάληση προσέγγιση (Αθήνα: Γαβριηλίδης, 2005).<br />

78 Ανδρειωμένος, „Διονύσιος Σολωμός Η ζωή και το έργο“, S. 27.<br />

79 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 13.<br />

80 Ανδρειωμένος, „Διονύσιος Σολωμός Η ζωή και το έργο“, S. 27.<br />

81 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 14.<br />

82 Zitiert nach: Ebd., S. 15.<br />

19


tiefschürfende Ideen“ zu 83 <strong>und</strong> Polylas schildert, dass seine „rhetorische Gewalt nicht geringer<br />

als seine dichterische erscheint.“ 84<br />

<strong>Solomos</strong> gehörte zu den Menschen, die auf andere eine tiefe Anziehungskraft ausüben <strong>und</strong> zur<br />

Seele, zum Zentrum eines Menschenkreises werden. So finden wir unseren Dichter bereits bei<br />

seiner Rückkehr nach Zakynthos als Mittelpunkt, „wenn nicht gar die Seele, eines jungen<br />

philologischen Kreises“ 85 <strong>und</strong> eindeutig bildet er später „das geistige Zentrum“ 86 jenes Kreises<br />

auf Korfu, dessen Mitglieder sich durch „die Qualität ihrer Bildung, ihre fortschrittlichen Ideen<br />

<strong>und</strong> ihr hochentwickeltes Problembewusstsein für künstlerische <strong>und</strong> ästhetische<br />

Fragestellungen“ 87 auszeichnet <strong>und</strong> die ihn „ehrfürchtig verehren.“ 88<br />

Palamas schildert <strong>Solomos</strong> als eine Persönlichkeit, die das Lachen liebte, die Pantomime <strong>und</strong><br />

Musik; er schrieb auch selbst Lieder <strong>und</strong> sang diese zur Gitarre. 89<br />

Was <strong>Solomos</strong> natürlich im tiefsten zu <strong>Solomos</strong> macht ist sein Umgang <strong>und</strong> sein Feingefühl mit<br />

der <strong>griechische</strong>n Sprache <strong>und</strong> sein darin verborgener Kunstbegriff. Er entnahm „mit wachem,<br />

feinem künstlerischem Gefühl aus dem M<strong>und</strong>e des Volkes den Geist der lebendigen Sprache in<br />

jenen Wendungen, welche diejenigen übersehen, die nicht das Glück hatten, diese so seltene<br />

Gabe der Natur zu besitzen“ <strong>und</strong> er „taufte sie“, wie er sagte, „im doppelten Taufbecken des<br />

Gefühls <strong>und</strong> der Phantasie.“ 90 In einer Notiz zu seinem Gedicht auf Byron schreibt <strong>Solomos</strong><br />

selbst: „Die Schwierigkeit eines Schriftstellers ist nicht die Entwicklung von Phantasie <strong>und</strong><br />

Leidenschaft, sondern diese beiden Eigenschaften mit der Zeit <strong>und</strong> in ernsthaftem Bemühen, den<br />

Sinn der Kunst zu unterwerfen.“ 91 In einer Bemerkung zur Hymne schreibt er: „Die Harmonie<br />

der Verse ist keine mechanische Sache, sondern ein Überfließen der Seele“ 92 <strong>und</strong> im Dialog die<br />

berühmten Worte „Habe ich etwas anderes im Sinn als Freiheit <strong>und</strong> Sprache?“ 93<br />

83 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 119.<br />

84 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 26.<br />

85 Αγγελάτος, Δημήτρης, Το έργο του Διονύσιο Σολωμού και ο κόσμος των λογοτεχνικών ειδών (Αθήνα:<br />

Gutenberg, 2009), S. 28.<br />

86 Ανδρειωμένος, „Διονύσιος Σολωμός Η ζωή και το έργο“, S. 31.<br />

87 Ebd.<br />

88 Ebd.<br />

89 Παλαμάς, Κωστής, Διονύσιος Σολωμός, S. 71.<br />

90 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 30.<br />

91 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 122.<br />

92 Ebd.<br />

93 Ebd., S. 121.<br />

20


Was <strong>Solomos</strong> nach Meinung von Kriaras vor allem von den anderen Dichtern seiner Zeit <strong>und</strong><br />

seiner Umgebung unterscheidet, ist sein Idealismus. Nie gibt er sich einem lyrischen Rausch<br />

hin, sondern behält immer Kontrolle über die Worte. 94 <strong>Solomos</strong> „fühlte die Würde seiner Kunst“<br />

<strong>und</strong> erkannte, „dass die Dichtung eine allerhöchste Aufgabe besitzt.“ 95<br />

Sein tiefer Wesenszug, ein ewig Werdender zu sein, sein Anspruch <strong>und</strong> seine Verantwortung<br />

gegenüber sich selbst, gegenüber der Sprache <strong>und</strong> der Kunst, zeigt sich besonders markant an<br />

den vielen „unvollendeten“ <strong>und</strong> „fragmentarischen“ Stadien der meisten seiner Werke.<br />

Bei allen hohen Ideen <strong>und</strong> Idealen war <strong>Solomos</strong> auch starker „Herzensmensch“. In einem Brief<br />

an Georgios Markoras vom September 1830 schreibt er über seine beglückende korfiotische<br />

Einsamkeit: „Es ist w<strong>und</strong>erbar, in der Ruhe seines kleinen Zimmers auszudrücken, was das Herz<br />

dir offenbart.“ 96<br />

Er gab sich existenziell an den Stoff seiner Werke hin (besonders dem<br />

<strong>griechische</strong>n Freiheitskampf, dem Ringen um das „wahre Griechenland“, die Freiheitsfrage<br />

u.a.), er erlitt im wahrsten Sinne des Wortes seine Werke. „Das quälende Thema [Die freien<br />

Belagerten] zehrte an seinen Kräften <strong>und</strong> versetzte ihn, zusammen mit anderen, uns nicht<br />

bekannten Gründen, in eine seelische Krise.“ 97 Sein eigenes <strong>Leben</strong> <strong>und</strong> sein Werk verschmelzen<br />

in seinen Zentralmotiven.<br />

So sehen wir denn auch im <strong>Leben</strong> wie im Werk des Dichters die Rolle des Leids als zentrales<br />

Thema, <strong>und</strong> seinen unerschütterlichen Glauben die Verwandlungskraft der Seele, an den Sieg<br />

der Vernunft über das Gefühl, ganz im Sinne von Schiller: „Das Gemüt erweitert sich nur desto<br />

mehr nach innen, indem es nach außen Grenzen findet.“<br />

Sein Geist ging frei <strong>und</strong> gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor, sein Herz blieb tödlich<br />

verw<strong>und</strong>et, schildert uns Polylas. 98<br />

Eines der Gr<strong>und</strong>motive im Werk von <strong>Solomos</strong>, die<br />

Überlegenheit des Geistes gegenüber allen äußeren Widrigkeiten, war also tief in seinem <strong>Leben</strong><br />

verankert <strong>und</strong> durchlebt <strong>und</strong> er „bewahrte unberührt seine dichterische Sinnesart, indem er, so<br />

gut er konnte, die widrigen Elemente abstieß“ 99<br />

Das Motiv dringt sogar ins Zentrum seiner<br />

Kunstauffassung, denn er „glaubte fest daran, dass die Seele des wahren Gedichts der Sieg der<br />

Vernunft über die Kraft der Empfindungen sein müsse“ <strong>und</strong> „dem Menschen aus dem höchsten<br />

94 Κριαράς, Εμμανουήλ, Διονύσιος Σολωμός <strong>–</strong> Ο Βιος, Το Έργο, S. 119.<br />

95 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 34.<br />

96 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 123.<br />

97 Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 66.<br />

98 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 30.<br />

99 Ebd., Prolegomena XI., S. 31 .<br />

21


Bewusstsein seiner sittlichen Freiheit <strong>und</strong> aus der Notwendigkeit zufließen wird, aus den<br />

süßesten Versuchungen des Herzens als Sieger hervorzugehen, aus dem schrecklichsten Kampf<br />

mit der blinden Wut der unfreien Feinde des Lichts.“ 100 Hier hören wir natürlich Schiller <strong>und</strong> es<br />

ist nicht zufällig, dass sich <strong>Solomos</strong> in genau dieser <strong>Leben</strong>sphase dem deutschen Idealismus<br />

sowie der romantischen Philosophie <strong>und</strong> Dichtung zuwendete. Seine Werke der reifen<br />

dichterischen Schaffensperiode, die ab 1833 mit <strong>Der</strong> Kreter beginnt <strong>und</strong> mit <strong>Der</strong> Hai ihr Ende<br />

findet, sind davon zutiefst beeinflusst.<br />

Die Freiheitsfrage, um die <strong>Solomos</strong> u.a. in seinen Freien Belagerten so viele Jahre gerungen hat,<br />

wird sich ihm nach dem Studium der deutschen Romantiker <strong>und</strong> der Philosophien Schellings<br />

<strong>und</strong> Hegels, mit deren Betonung der absoluten Idee als Geist der Natur, in neuem Licht gezeigt<br />

haben. Er ringt in den Freien Belagerten um das harmonische Gleichgewicht zwischen der<br />

Erhabenheit der Seele <strong>und</strong> „den natürlichen Empfindungen in all ihrer Heftigkeit“, wieder ganz<br />

im Sinne Schillers: „…so können wir dieses hohe Freiheitsgefühl nicht anders als mit Leid<br />

erkaufen. Die gemeine Seele bleibt bloß bei diesem Leiden stehen <strong>und</strong> fühlt im Erhabenen das<br />

Pathos nie mehr als das Furchtbare; ein selbständiges Gemüt hingegen nimmt gerade von<br />

diesem Leiden den Übergang zum Gefühl seiner herrlichsten Kraftwirkung <strong>und</strong> weiß aus jedem<br />

Furchtbaren ein Erhabenes zu erzeugen.“ 101<br />

Ab der zweiten Fassung der Freien Belagerten gibt es denn auch nicht mehr „nach dem<br />

Kampfgetümmel die fre<strong>und</strong>lichen Naturbilder“ 102 wie im Hymnus, sondern Mesolongi stirbt „in<br />

dem Moment, wo die <strong>griechische</strong> «Natur am schönsten» ist, die zauberhaften Kräfte der<br />

Frühlingsnatur «belagern die menschliche Seele»“ sie verstärkt „bei den Belagerten den<br />

Schmerz“ <strong>und</strong> in der dritten Fassung finden wir, aus Sicht der Belagerten, das Motiv der<br />

sogenannten Versuchung (Πειρασμός) aus der erscheinenden Natur. 103<br />

Wir fühlen uns hier an das Wandlungsmotiv der „entsühnten Natur“ im dritten Akt des Parzifal<br />

bei Richard Wagner oder an Goethe`s Osterspaziergang im Faust I erinnert. <strong>Solomos</strong> ergründet<br />

im fortwährenden Durcharbeiten seines Werkes <strong>und</strong> Durchleben seines inneren <strong>und</strong> äußeren<br />

Leides immer tiefer die Geheimnisse der Seele, woraus ihm Moral <strong>und</strong> Ethik erwächst <strong>und</strong> die<br />

Ahnung vom Zusammenhang zwischen Kunst, Geist <strong>und</strong> Natur. Er erlebt „die äußere Natur<br />

…mit all ihrer Lebhaftigkeit ihrer Unberührtheit, Nacht voller W<strong>und</strong>er, Nacht, durch die ein<br />

100 Ebd., S. 34.<br />

101 Zitiert nach: Ebd., S. 34f.<br />

102 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 187.<br />

103 Ebd.<br />

22


Zauber sich verbreitet, <strong>und</strong> stets nahe bei den Geheimnissen der menschlichen Seele.“ 104 Polylas<br />

bemerkt, wie <strong>Solomos</strong> darin Dante ähnelt.<br />

In einem Autograph findet sich das Bild: „Die schweigende Kunst verehrt die Natur, <strong>und</strong> diese,<br />

als Gegengabe für die ferne Liebe, machte sich nackt, um vor ihr zu tanzen. Jene Gestalten<br />

hallten im Verstande der Kunst wider, <strong>und</strong> sie schenkte sie den Menschen.“ 105<br />

Drögemüller scheint zu Recht, „als trete mit der allgemeineren «ethischen» Thematik des<br />

Dichters Persönlichkeit um so stärker hervor.“ 106 Die Rolle des Dichters, als dem „ethischen<br />

Korrektors der Gesellschaft“ 107 kommt am deutlichsten in dem Lied Die Frau die sich vergiftet<br />

zum Ausdruck. <strong>Solomos</strong> wurde sofort ein Verteidiger der Unschuld gegen die ungerechte<br />

Verurteilung von Menschen <strong>und</strong> schildert, wie die Frau zuversichtlich vor das Urteil des<br />

Schöpfers tritt.<br />

Es wurde schon oben darauf hingewiesen, dass in allen seinen italienischen <strong>und</strong> <strong>griechische</strong>n<br />

Gedichten <strong>und</strong> Entwürfen der letzten zehn Jahre die Wörter Mysterium, geheimnisvoll <strong>und</strong><br />

mystisch wiederkehren. <strong>Der</strong> Dichter möchte das „Geheimnis des <strong>Leben</strong>s <strong>und</strong> des Todes<br />

entdecken <strong>und</strong> fordert vom Dichter, Sänger <strong>und</strong> Propheten, von Sappho <strong>und</strong> Orpheus, dass sie<br />

ihm dies enthüllen.“ 108<br />

Es scheint, als befinde sich <strong>Solomos</strong> in seinen reifen Jahren, gleichsam in einem gemeinsamen<br />

Strom mit vielen Künstler <strong>und</strong> Dichtern seiner Zeit, auf der Suche nach dem Geistigen, nach<br />

einer neuen Konzeption der Wirklichkeit, nach dem wahren Ich.<br />

„In seinen Spätwerken gelang es ihm, eine suggestive lyrische Welt entstehen zu lassen, belebt<br />

von Vorstellungen, die in gedrängten, von unmittelbarer Inspiration zeugenden Bildern zum<br />

Ausdruck kommen.“ 109<br />

Den ganzen Bogen dieser Entwicklung, angefangen bei den Naturmotiven, über die wildheftigen<br />

Seelenbewegungen hin zum Kampf um den Sieg der Vernunft bis zur Erkenntnis des<br />

wahren Ich finden wir in seinem Spätwerk verdichtet.<br />

104 Polylas, Iakobos, abgedruckt in: <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian<br />

Günther, Prolegomena, S. 33f.<br />

105 Ebd., S. 33.<br />

106 Drögemüller, Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger, S. 168.<br />

107 Ebd., S. 169.<br />

108 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 127.<br />

109 Vitti, Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 66.<br />

23


„Das von ihm besonders geliebte Thema des Zaubers der Natur“ 110 nimmt im „außerordentlich<br />

erhabenen Gedicht“ vom Porphyras (das korfiotische Wort für Hai) die Verwandlung: ein<br />

junger Mann wird im Wasser, in „den Armen der Natur“, aus einem Augenblick der Ekstase<br />

durch die „vernunftlos wilde Kraft“ des Meerungeheuers herausgerissen <strong>und</strong> findet aber „in<br />

gerade diesem entscheidenden Augenblick die Kraft zum Widerstand <strong>und</strong> lernt sein wirkliches<br />

Ich kennen: «Und mit dem letzten Atemzug füllt sich sein Herz mit Freude <strong>und</strong> wie in grellem<br />

Blitzes Licht erkannte er sich selbst.»“ 111<br />

3) Werke <strong>und</strong> Schaffensperioden<br />

Das Schaffen von <strong>Solomos</strong> kann in drei Perioden seines Wirkens gegliedert werden:<br />

- die jungen Jahre (1818-1823), in denen er italienische Gedichte verfasste<br />

- seine Hauptschaffensphase (1823-1833) mit dem Hymnus an die Freiheit, dem Lambros<br />

<strong>und</strong> den Freien Belagerten<br />

- seine Reifezeit (1833-1857), in die u.a. der Kreter <strong>und</strong> neue Fassungen der Freien<br />

Belagerten fallen.<br />

3.1) Hymne an die Freiheit (΄Υμνος εις την Ελευθερίαν)<br />

<strong>Der</strong> Freiheitshymnus besteht aus 158 vierzeiligen Strophen, wurde 1823 verfasst, Anfang 1824<br />

in Mesolongi erstmals gedruckt, erschien 1825 übersetzt in drei europäische Sprachen<br />

(französisch, englisch, italienisch) <strong>und</strong> wurde so sehr schnell in Europa bekannt.<br />

Das episch-lyrische Poem, in hymnisch überhöhter Volkssprache geschrieben, thematisiert den<br />

<strong>griechische</strong>n Freiheitskampf. Es tritt die Göttin Eleftheria (Ελευθερία), die Freiheit als poetische<br />

Gestalt auf, die mit Griechenland identisch ist <strong>und</strong> die Griechen zur Einigkeit ermahnt <strong>und</strong> vor<br />

Zwietracht warnt.<br />

<strong>Solomos</strong> führt thematisch den Bogen vom nun vergangenen Elend der Sklaverei unter osmanischer<br />

Herrschaft über die ersten Heldentaten der Griechen im Laufe des Freiheitskampfes bis<br />

in seine Zeit fort. Das Gedicht schließt mit einem Appell an die ausländischen Monarchen, für<br />

die Freiheit der Griechen. Im Sommer 1865 wurden die ersten beiden Strophen in der Vertonung<br />

des korfiotischen Komponisten Nikolaos Mantzaros zur <strong>griechische</strong>n Nationalhymne erhoben.<br />

110 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 126.<br />

111 Ebd.<br />

24


3.2) Lambros (Ο Λάμπρος)<br />

<strong>Der</strong> Lambros entstand in ersten Umrissen 1823 bis 1826 <strong>und</strong> wurde 1828 auf Korfu weiter<br />

bearbeitet; er blieb jedoch „unvollendet“. Teile daraus stammen von 1833; die beiden Lieder<br />

Marias stammen aus <strong>Solomos</strong>´ Frühzeit <strong>und</strong> wurden aufgr<strong>und</strong> entsprechender Notizen des<br />

Dichters von Polylas als Teil des Lambros veröffentlicht. 112 1834 wurde ein großer Teil des<br />

Lambros in der Zeitschrift „Ionische Anthologie“ abgedruckt. 113 <strong>Solomos</strong> selbst hatte gesagt:<br />

„<strong>Der</strong> Lambros wird ein Fragment bleiben.“ 114<br />

Die sich wahrscheinlich auf eine wahre Begebenheit beziehende Handlung schildert das <strong>Leben</strong><br />

des <strong>griechische</strong>n Freiheitskämpfers <strong>und</strong> romantischen Helden Lambros Katsonis. Er betrog ein<br />

fünfzehnjähriges Mädchen Maria, indem er ihr die Heirat versprach <strong>und</strong> mit ihr vier Kinder<br />

zeugte, die dann in ein Waisenhaus gesteckt werden. Fünfzehn Jahre später kämpft Lambros<br />

vereint mit den Griechen gegen Ali Pascha, als ein Jüngling zu ihm kommt, sich als Mädchen zu<br />

erkennen gibt <strong>und</strong> er in Liebe zu ihr entbrennt. Er macht Sie zu seiner Geliebten ohne zu wissen,<br />

dass es sich um seine eigene Tochter handelt. Sie begeht Selbstmord durch einen Sprung in den<br />

See; er rettet sie nicht. Nachdem er zuhause Maria sein Verbrechen geschildert hat, stürzt sich<br />

Lambros von einem Felsen <strong>und</strong> fällt dorthin, wo seine Tochter ertrank.<br />

<strong>Solomos</strong> verwendet ein in der italienischen Dichtung gebräuchliches Versmaß „ottava rima“.<br />

Über die Bedeutung des dunklen Stoffes wurde viel gerätselt. Erinnerungen an Byron <strong>und</strong><br />

Anklänge an die italienische Romantik drängen sich auf. Kriaras urteilt, dass der tiefere Sinn mit<br />

der gewählten Form keine harmonische Einheit bildet <strong>und</strong> die angestrebte ethische Aussage<br />

hinter der Handlung kaum zur Geltung komme, eher wie eine Randnotiz erscheine. 115<br />

3.3) Die freien Belagerten (Οι Ελεύθεροι Πολιορκημένοι)<br />

Das erzählende Poem die Freien Belagerten erschien 1859, gehört zur Reifezeit, wird als das<br />

Hauptwerk von <strong>Solomos</strong> angesehen <strong>und</strong> blieb unvollendet. <strong>Der</strong> Dichter hat viele Jahre daran<br />

gearbeitet. Verschiedene Fragmente sind erhalten, welche Polylas zu drei verschiedenen<br />

„Entwürfen“ geordnet hat, welche uns heute vorliegen. 116 Es wurde verschiedentlich darauf<br />

hingewiesen, dass die „fragmentarischen Werke“ besser als „lyrische Episoden“ 117 bezeichnet<br />

112 <strong>Solomos</strong>, <strong>Dionysios</strong>, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian Günther, <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>, Werke, S. 250.<br />

113 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 123.<br />

114 Ebd.<br />

115 Κριαράς, Εμμανουήλ, Διονύσιος Σολωμός <strong>–</strong> Ο Βιος, Το Έργο, S. 77.<br />

116 Jens, Walter Hrsg., Kindlers Neues Literatur Lexikon, Band 15: S. 706f.<br />

117 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 126.<br />

25


werden können, wovon jede einzelne „im Gr<strong>und</strong>e vollständig“ ist <strong>und</strong> „eine abger<strong>und</strong>ete<br />

lyrische Einheit“ bildet. 118<br />

Die erste Version ist 1826, die zweite von 1834 bis 1844 entstanden <strong>und</strong> im reimenden<br />

Fünfzehnsilber abgefasst. <strong>Der</strong> dritte Entwurf von 1844 ist im schlichteren ungereimten<br />

Fünfzehnsilber gehalten.<br />

Die Erzählung konzentriert sich ganz auf „lyrische Momentaufnahmen“ 119 <strong>und</strong> behandelt den<br />

<strong>griechische</strong>n Widerstand im von Türken belagerten Mesolongi 1826. Die Belagerten müssen<br />

vielen Prüfungen bestehen: Hunger, Verlockungen der Schönheit der Natur <strong>und</strong> des <strong>Leben</strong>s,<br />

Erinnerungen an geliebte Personen, bis sie schließlich den „höchsten Augenblick des Opfers<br />

erreichen.“ 120 Sie entschlossen sich angesichts einer sicheren Niederlage den Selbstmord der<br />

Kapitulation vorzuziehen; die Eingeschlossenen bleiben über alle äußeren <strong>und</strong> inneren<br />

Widerstände Herr. Die Gr<strong>und</strong>motive von <strong>Solomos</strong> wie der Sieg des Geistes über die Materie<br />

oder der Sieg der ethischen Freiheit über die physische Gewalt 121 werden entfaltet.<br />

3.4) <strong>Der</strong> Kreter (Ο Κρητικός)<br />

Die große lyrische Dichtung erschien 1859, entstand in den Jahren 1833-1934, ist nur<br />

fragmentarisch erhalten <strong>und</strong> „erweist sich aber bei näherer Betrachtung als ein völlig in sich<br />

geschlossenes Gebilde.“ 122 <strong>Der</strong> Kreter treibt in einer Sturmnacht mit seiner Geliebten<br />

schiffbrüchig im Meer. Als das Boot kentert <strong>und</strong> er versucht seine Geliebte vor dem Ertrinken<br />

zu retten, erscheint ihm die Mondscheinbekleidete (die Seele seiner Geliebten) wie ein W<strong>und</strong>er<br />

<strong>und</strong> er hört überirdische Töne. Als er am Ufer zu sich kommt, findet er die Geliebte tot in seinen<br />

Armen vor.<br />

Dieses erzählende Gedicht mit der bedeutenden Versform reimender fünfzehnsilbriger<br />

Distichen, wird als der eigentliche Beginn seines poetischen Werkes betrachtet <strong>und</strong> zeigt, wie<br />

<strong>Solomos</strong> die unterbrochene Tradition traditionellen kretischen Volksdichtung wieder<br />

aufnimmt. 123<br />

118 Jens, Walter Hrsg., Kindlers Neues Literatur Lexikon, Band 15: S. 707.<br />

119 Ebd.<br />

120 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 126.<br />

121 Κριαράς, Εμμανουήλ, Διονύσιος Σολωμός <strong>–</strong> Ο Βιος, Το Έργο, S. 91.<br />

122 Jens, Walter Hrsg., Kindlers Neues Literatur Lexikon, Band 15: S. 708.<br />

123 Ebd.<br />

26


3.5) Die Frau von Zakynthos (Η γυναίκα της Ζακύνθου)<br />

Das satirische Prosawerk zwischen 1826 <strong>und</strong> 1829 blieb unvollendet, wurde in der Erstausgabe<br />

des <strong>Solomos</strong> von Polylas (1859) nicht aufgenommen (bis auf ein kleines Fragment) <strong>und</strong> erst<br />

1927 veröffentlicht. 124<br />

Das Werk gibt sich als Bericht eines Mönches namens <strong>Dionysios</strong> in dessen Mittelpunkt eine<br />

Frau von Zante (Zakynthos) steht, die sich den Flüchtlingen aus Mesolongion gegenüber<br />

feindselig verhält. Das dritte Kapitel schildert die Frauen von Mesolongion, die während der<br />

Belagerung ihrer Stadt ins freie Zante geflüchtet sind <strong>und</strong> dort der feindlichen Haltung der Frau<br />

begegnen. Im fünften Kapitel, dem <strong>Solomos</strong> dichterisch die meiste Aufmerksamkeit schenkte,<br />

wird der Fall von Mesolongion prophezeit <strong>und</strong> im apokalyptischen Ton des Schlusskapitels die<br />

letzten St<strong>und</strong>en der Frau in ihrem Wahnsinn <strong>und</strong> Selbstmord geschildert.<br />

Es wurde oft versucht den tieferen Sinn des „merkwürdigen <strong>und</strong> rätselhaften“ 125 Werkes <strong>und</strong><br />

seiner Zentralfigur zu deuten. Vorbild <strong>und</strong> Anlass der Dichtung war sicherlich ein konkretes<br />

Ereignis, vermutlich sogar einer Verwandten von <strong>Solomos</strong>. Politis nimmt an, dass „die<br />

neu<strong>griechische</strong> Prosaliteratur eine andere Entwicklung genommen hätte, wäre das Werk schon<br />

zu seiner Zeit bekannt geworden“, da es einer höchst bew<strong>und</strong>ernswerten, harmonisch<br />

geschriebenen Volkssprache geschrieben ist. 126<br />

124 Ebd., Band 15: S. 707.<br />

125 Politis, Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur, S. 124.<br />

126 Jens, Walter Hrsg., Kindlers Neues Literatur Lexikon, Band 15: S. 707.<br />

27


4) Bibliographie<br />

Beaton, Roderick. An introduction to modern Greek literature. 1. publ. Oxford: Clarendon Press, 1994.<br />

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Drögemüller, Hans Peter. Die Freiheit der Griechen <strong>und</strong> ihr Sänger: zum 200. Geburtstag des Dichters<br />

<strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong> (1798 - 1857). Köln: Romiosini, 1999.<br />

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Ulrich Moenning, Die neu<strong>griechische</strong> Literatur, in: Kindlers Neues Literatur Lexikon Bd. 19, S. 972 bis<br />

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Mackridge, Peter. <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>. Studies in modern Greek. Bristol [u.a.]: Classical Press, 1989.<br />

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Christian Günther. Prolegomena. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2000.<br />

<strong>Solomos</strong>, <strong>Dionysios</strong>, übersetzt <strong>und</strong> kommentiert von Hans-Christian Günther. <strong>Dionysios</strong> <strong>Solomos</strong>,<br />

Werke. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2000.<br />

Vitti, Mario. Einführung in die Geschichte der neu<strong>griechische</strong>n Literatur. 1. Aufl. Hueber<br />

Hochschulreihe. München: Max Hueber Verlag, 1972.<br />

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