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Projektbericht 2005 (259 KB, pdf) - wiener wohnbau forschung

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Forschungsprojekt<br />

Entwurfskonzepte und Architekturvermittlung<br />

im Rahmen des 3. Architekturfestivals „Turn On“<br />

unter besonderer Berücksichtigung des geförderten Wohnbaus.<br />

Dipl.-Ing. MARGIT ULAMA<br />

A-1080 Wien. Pfeilgasse 51/21<br />

T&F 01 – 405 80 28<br />

www.ulama.at<br />

April <strong>2005</strong>


1. Architektonische Entwurfskonzepte und Bauaufgaben<br />

2. Die Vermittlung von Architekturinhalten<br />

3. Der aktuelle Stellenwert des geförderten Wohnbaus<br />

4. Zusammenfassung der neuen Erkenntnisse<br />

Das Architekturfestival „Turn On“ fand am 4. und 5. März <strong>2005</strong> bereits zum dritten<br />

Mal im jährlichen Rhythmus statt. 1 Die grundsätzliche Idee beziehungsweise das<br />

Konzept für den Samstag wurde von den Vorjahren übernommen, da es keinen<br />

Grund für essenzielle Veränderungen gab. Es reihten sich an diesem Tag somit<br />

wieder fünfzehn PowerPoint-Vorträge in einer Halbstundenfolge aneinander. Von<br />

diesem Rhythmus lebt die Veranstaltung. Auch heuer bildete das Architekturfestival<br />

eine Plattform für österreichische ArchitektInnen, die neueste Bauten vorstellten. Das<br />

bewährte Programm wurde durch „Turn On Partner“ am Freitag und „Turn On Talk“<br />

am Samstag erweitert.<br />

Über die Darstellung spannender Bauaufgaben und die bunte, qualitätvolle<br />

Vielfalt architektonischer Haltungen sollte die intendierte umfassende Information des<br />

Publikums garantiert werden. Das konzentrierte Programm gab wieder einen<br />

Überblick über innovative Architektur in unserem Land. Mit der Erweiterung des<br />

Programms am Freitag – „Turn On Partner“ – wurde die Idee des Netzwerkes, die<br />

der Veranstaltung von Beginn an zugrunde lag, unmittelbar umgesetzt. Es wurde<br />

dabei den Partnern (den Sponsoren und der Universität für angewandte Kunst Wien<br />

als Veranstalter) die Gelegenheit gegeben, spezifische und durchaus unterschiedliche<br />

Themen aus dem eigenen Unternehmen bzw. der Institution vorzustellen. Damit<br />

sind Hintergrundthemen gemeint; dieses Nachmittagsprogramm war also für den<br />

kleineren Rahmen im ORF KulturCafe konzipiert. In diesem Rahmen sollten auch<br />

direkte Diskussionen mit dem Publikum zwanglos möglich sein.<br />

Das Programm von „Turn On Partner“ inkludierte hochkarätige Vorträge über<br />

„Digital Tools by Cinema 4D“ und neueste Forschungen zu Holzwerkstoffen bis hin<br />

zum avancierten Thema „Integrierte Tragwerksplanung“. Doch das für den Wohnbau<br />

1 Das detaillierte Gesamtprogramm finden Sie unter www.nextroom.at/turn-on/<br />

2


elevante Programm war nach wie vor der Samstag, dessen inhaltliche Struktur<br />

folgendermaßen lautete:<br />

WOHNEN<br />

HOLODECK.at breuss ogertschnig floating house/shifthouse<br />

SPLITTERWERK Wohnbau “Schwarzer Laubfrosch”<br />

Walter Stelzhammer Atriumhäuser Atzgersdorf/Langenlois<br />

Cuno Brullmann Living-Working „Wienerberg City“<br />

HALLE 1 office-city-tower eleven<br />

Baumschlager-Eberle Wohnbau „Verwalter“<br />

NÖ/Kärnten<br />

Steiermark<br />

Wien/NÖ<br />

Wien<br />

Salzburg<br />

Vorarlberg<br />

„Turn On Talk“ mit<br />

Elke Hager, Bauherrin des floating house<br />

Andreas Braun, Geschäftsführer der d. swarovski tourism services gmbh<br />

GÄRTEN, VERWALTUNG, KULTUR etc.<br />

Auböck + Kárász Home Gardens<br />

Bruno Spagolla Gemeindezentrum in Blons<br />

Dietmar Feichtinger Logistikzentrum<br />

Thomas Forsthuber Kinder- und Jugendhaus Liefering<br />

Welzenbacher Köberl+Giner&Wucherer_Pfeifer „Adambräu“<br />

Architektur Consult/Domenig Eisenköck Peyker T-Mobile-Zentrale<br />

Wien<br />

Vorarlberg<br />

Paris<br />

Salzburg<br />

Innsbruck<br />

Wien<br />

Zaha Hadid Spatializing Complexity<br />

Zechner & Zechner Air Control Tower am Flughafen Schwechat<br />

BEHF Restaurant Bar “Yellow “<br />

Niederösterreich<br />

Wien<br />

Das Thema des geförderten Wohnbaus war über verschiedene Projekte in Wien<br />

und ganz Österreich repräsentiert (Wohnbau „Schwarzer Laubfrosch“,<br />

Atriumhäuser Atzgersdorf, Living-Working „Wienerberg City“, office-city-tower<br />

eleven).<br />

3


1. Architektonische Entwurfskonzepte und Bauaufgaben<br />

Seit der ersten Veranstaltung will das Architekturfestival „Turn On“ aktuelle<br />

Haltungen österreichischer ArchitektInnen in ihrer ganzen Breite und Vielfalt<br />

präsentieren und damit einen aktuellen Zeitschnitt machen. Somit sucht „Turn On“<br />

immer wieder die Frage nach dem Status quo der Architekturentwicklung unseres<br />

Landes zu beantworten. Was ist die österreichische Architektur, oder besser: Was<br />

kann unter österreichischer „Qualitätsarchitektur“ – der Rektor der Universität für<br />

angewandte Kunst Wien, Gerald Bast, verwendete in seinen Ansprachen im Rahmen<br />

von ATO <strong>2005</strong> immer wieder diesen Begriff – verstanden werden? Kann für diese ein<br />

Schlagwort geprägt werden, so wie Wolf D. Prix dies im Rahmen der Ausstellung<br />

„Rock over Baroque. Jung und Schön“ in Mürzzuschlag 2004 versucht hat? Versteht<br />

man das Barocke als einen Reichtum der Geste, so ist diese Tradition in Wien<br />

respektive in Gesamtösterreich sicherlich auch heute noch vorhanden. Die<br />

„gemeinsame Lust, den Raum zu zelebrieren“ 2 , die Prix im Zusammenhang mit<br />

dieser Ausstellung ebenfalls konstatierte, ist eine interessante These, die jedoch<br />

aufgrund der Komplexität der Frage nach dem architektonischen Raum von Fall zu<br />

Fall zu beantworten wäre.<br />

Das Programm des Architekturfestivals kann also durchaus mit der Frage<br />

nach der Identität der österreichischen Gegenwartsarchitektur in Verbindung<br />

gebracht werden. Im Folgenden soll diese Thematik auch im Kontext der<br />

internationalen Entwicklung betrachtet werden. Im Rahmen von ATO 2004 wurde<br />

eine „minimalistische“ Tendenz auf der einen und eine „expressive“ auf der anderen<br />

Seite konstatiert. 3 Dies wurde auch auf die erste Veranstaltung im Jahr davor<br />

bezogen. Zugleich wurden die Schlagworte relativiert, denn natürlich muss reflektiert<br />

werden, wie die jeweilige architektonische Praxis im Detail aussieht. Um ein drittes<br />

Schlagwort ins Spiel zu bringen – es bestätigte sich auch bei der dritten<br />

Veranstaltung, dass die Blob-Architektur in Österreich nicht wirklich Fuß gefasst hat,<br />

zumindest was die Realisierungen betrifft.<br />

Dass die gegenwärtige Entwicklung auf konträren Tendenzen beruht, spiegelt<br />

auch das Programm von ATO <strong>2005</strong> wider. Die Begriffe wurden dabei im Vergleich<br />

zum Vorjahr etwas revidiert und ein “Minimalismus“ auf der einen, ein „Neuer<br />

Dekonstruktivismus“ auf der anderen Seite konstatiert. Zugleich agieren die<br />

2 Wolf D. Prix in seinem programmatischen Text, der auf dem Plakat zu dieser Ausstellung abgedruckt ist.<br />

3 Vgl. den Forschungsbericht der Autorin zum 2. Architekturfestival „Turn On“, April 2004, S. 3<br />

4


ArchitektInnen eigenständig, d.h. sie entwickeln eigenständige Entwurfsmethoden.<br />

Dies kann als Qualitätsmerkmal der österreichischen Architektur bezeichnet werden.<br />

Verstärkt war in diesem Jahr die Wiederbelebung traditioneller Bauformen,<br />

Konstruktionsmethoden und Materialien (Backstein) zu beobachten. Die<br />

Gegensätzlichkeit der architektonischen Ansätze besteht also bei den verschiedenen<br />

Architektenteams forciert nebeneinander, einzelne Teams praktizieren diese<br />

Gegensätzlichkeit sogar innerhalb ihrer eigenen Tätigkeit bei den verschiedenen<br />

Bauaufgaben (z.B. BEHF). Die viel zitierte Vielfältigkeit respektive die „von innen so<br />

gepriesene Vielfalt“ 4 österreichischer Architektur ist gegenwärtig auf besondere<br />

Weise eine Realität. Wenn das Programm von „Turn On“ sie auf kalkulierte Weise<br />

widerspiegelt, so stellt sich die Frage, ob dies dazu führt, dass ein roter Faden im<br />

Programm vorhanden ist, den Oliver Elser nicht ausmachen kann. 5 Diese Frage – die<br />

Frage nach der Identität der österreichischen Gegenwartsarchitektur – liegt dem<br />

folgenden Diskurs als allgemeine Frage zugrunde.<br />

„Turn On“ <strong>2005</strong> fokussierte nicht nur besondere architektonische Ansätze,<br />

sondern auch interessante, ungewöhnliche und zeitcharakteristische Bauaufgaben<br />

und Themen. Insofern wird die Form in Verbindung mit dem Inhalt gesehen, und<br />

beides ist am Ende eingebettet in allgemeine Fragestellungen wie jene der<br />

Stadtentwicklung. Während der bunt gemischte zweite Themenblock einige der<br />

gesellschaftlich brisanten Entwicklungen am Beginn des dritten Jahrtausends<br />

widerspiegelt – zum Beispiel die Bedeutung eines potenten Konzerns für die<br />

Stadtentwicklung –, präsentierte der erste Block nun schon zum dritten Mal das<br />

Thema „Wohnen“ in seiner ganzen Breite. Dessen architektonischen Interpretationen<br />

spiegeln in besonderer Weise die Ungleichzeitigkeiten unserer Gesellschaft wider<br />

und reichen vom luxuriösen, architektonisch avancierten Wohnen am Land über den<br />

geförderten Massenwohnungsbau bis zum mondänen Wohnbau an der Schnittstelle<br />

zwischen Städtischem und Ländlichem.<br />

Versucht man eine Kategorisierung zu treffen, so zählen zu den<br />

ArchitektInnen mit dekonstruktivistischem Hintergrund HOLODECK.at, Thomas<br />

Forsthuber, Günther Domenig und Zaha Hadid als prominenter ausländischer Gast. –<br />

Vertreter einer minimalistischen Architektur bzw. klaren Formensprache sind Walter<br />

Stelzhammer, HALLE 1, Baumschlager-Eberle, Auböck + Kárász, Dietmar<br />

Feichtinger, Rainer Köberl, Zechner & Zechner und BEHF. Cuno Brullmann setzt<br />

4 Wolf D. Prix spricht davon kritisch. Vgl. Anm. 2.<br />

5 Vgl. Oliver Elser, Wer zeigt uns mehr als schöne Häuser? In: Der Standard, Album, 5. März <strong>2005</strong>, S. A8<br />

5


diese Haltung mit einem anderen kulturellen Bezug (Schweiz, Frankreich) um. – Jene<br />

Teams, die auf die traditionelle Bauform des Satteldachhauses zurückgriffen und<br />

diese mit einem höchst unterschiedlichen Gestus interpretierten, waren<br />

SPLITTERWERK und Bruno Spagolla. – Doch macht eine solche Kategorisierung<br />

Sinn, wenn die Vertreter der einzelnen „Gruppen“ jeweils so unterschiedlich sind?<br />

Das Programm sei zunächst in seiner tatsächlichen Abfolge diskutiert. Die<br />

vorgeschlagene Kategorisierung wird dabei im Auge behalten, ebenso wie heute<br />

zentrale Topoi wie „Architektur als Landschaft“, die „moderne Urhütte“ und die<br />

„ornamentale Hülle“.<br />

Marlies Breuss und Michael Ogertschnig von HOLODECK.at sind jener<br />

Tradition zugehörig, die seit etlichen Jahren, offiziell gewissermaßen seit der<br />

legendären Ausstellung 1988, den traditionellen Baukörper dekonstruiert und in ein<br />

offenes Gebilde verwandelt, bei dem die einzelnen Elemente eine größere<br />

Selbstständigkeit haben. Anders als früher geht es jetzt aber nicht mehr um die<br />

unmittelbare Zersplitterung. Eine zentrale Grundlage der Methodik von<br />

HOLODECK.at bildet das Falten von flächenhaften Elementen, die sich bereits bei<br />

früheren Projekten im Gegensatz zu massiven Volumina ausdrückte. Die gefalteten<br />

Flächen entwickeln sich immer wieder aus diesen massiven Volumina heraus. Bei<br />

den beiden jüngsten Einfamilienhäuser, die Ende 2004 fertig gestellt wurden, ist<br />

dieser Gegensatz von geschlossenem, schwerem Baukörper, der durchaus auch<br />

schweben kann, und gefalteter Fläche, zwischen die eine pure Glasfläche als<br />

Fassadenelement gesetzt ist, besonders offensichtlich.<br />

Beim floating house und beim shifthouse (2004) verbindet sich das Falten von<br />

Flächenelementen außerdem mit dem Falten und Knicken eines lang gestreckten<br />

dreidimensionalen Elements sowie mit dem gegeneinander Verschieben solcher<br />

Elemente. Die Übergänge sind dabei immer wieder fließend. Und das Konzept der<br />

flächenhaften Faltung zeigt sich gerade dort, wo der Baukörper gleichsam<br />

abgeschnitten ist und die Schnittfläche verglast wurde.<br />

Dieses Vorgehen, das die Möglichkeit eines flexiblen Agierens mit sich bringt,<br />

führt in zweifacher Hinsicht zum Thema Landschaft, das ein zentrales Thema der<br />

aktuellen internationalen Entwicklung darstellt. Einerseits wird die Architektur selbst<br />

zu einer Landschaft, andererseits interpretiert die Architektur die reale, umgebende<br />

Landschaft und reagiert auf die vorhandene Topographie auf sehr unmittelbare<br />

Weise. Die Architekten formulieren dies folgendermaßen: „Unsere Interpretation der<br />

6


Landschaft formulieren wir anhand eines konzeptuellen, räumlichen Faltungssystemes.<br />

Das Fliessen, das Aufklappen, das Umhüllen, das Bewegen, das Loslösen<br />

bilden die räumliche Gestalt. Die endgültige Form definieren wir mittels<br />

Überlagerung, Interaktion und Integration von Wohnform und Landschaftsform. Das<br />

Gebäude entwickelt sich somit interaktiv und prozessiv aus den Parametern<br />

Umgebung und Programm.“ 6 Dieses Vorgehen führt zu einem avancierten Raum<br />

sowie einer neuen Typologie im Inneren.<br />

HOLODECK.at setzen sich bereits seit einigen Jahren mit dem Typus des<br />

Atriumhauses auseinander, 7 und sowohl das floating house in Niederösterreich als<br />

auch das shifthouse in Klagenfurt können als moderne Version dieses Typus<br />

bezeichnet werden. Das Atrium wird dabei als zentraler Innen- oder auch Außenraum<br />

verstanden. Beim shifthouse ist es ein schräg zulaufender Innenraum, der die Treppe<br />

aufnimmt und von oben mit Licht überflutet ist. In seiner Offenheit trennt dieser<br />

Bereich die Wohnküche vom Wohnzimmer, sodass ein räumlich luxuriöser Wohnbereich<br />

entsteht. Von einem solchen Raum kann man auch beim floating house<br />

sprechen. Doch das Atrium ist hier ein Außenbereich, eine kleine Terrasse, das von<br />

den U-förmigen Gebäudeflügeln umfasst wird. Insgesamt werden die offenen Räume<br />

durch eine Dynamik schräger Elemente charakterisiert, die einen eigenen Charakter<br />

hat.<br />

Mit der Gruppe SPLITTERWERK gab es eine thematische Wendung, die für<br />

das Programm von „Turn On“ insgesamt bezeichnend ist. Der Schwarze Laubfrosch<br />

(2004) in Bad Waltersdorf ist ebenfalls ein Wohnbau, und zwar mit zehn geförderten<br />

Mietwohnungen. Im Übrigen erfassen die Unterschiede zu HOLODECK.at praktisch<br />

alle Ebenen und betreffen vor allem die Form des Baukörpers und den Innenraum.<br />

Die Architekten ließen zwei bestehende Häuser samt ihrer Satteldachkonfiguration<br />

unverändert. Ein zentrales Thema bei der Neugestaltung war die Hülle, somit die<br />

Oberfläche und die Materialität der Baukörper. Das Haus mit schrägem Dach –<br />

gewissermaßen die „Urhütte“ der Architektur – konnotiert seit etlichen Jahren nicht<br />

mehr eindeutig das Traditionelle und Konservative. Hermann Czech und Herzog & de<br />

Meuron, um nur zwei Beispiele zu nennen, stehen für eine lange währende<br />

Auseinandersetzung mit diesem Bautypus.<br />

6 Marlies Breuss und Michael Ogertschnig auf www.nextroom.at/turn-on/<br />

7 Vgl. Otto Kapfinger, Emerging Architecture 2. Kommende Architektur 2. 10 More Austrians. Publikation zur<br />

gleichnamigen Ausstellung im Architektur Zentrum Wien. Wien 2002, S. 162<br />

7


SPLITTERWERK bediente sich der vorhandenen Form und behandelte die<br />

Baukörper als skulpturale Volumina, die eine visuelle Einheit bilden. Diese<br />

Verwischung der Grenzen zwischen einzelnen Bauelementen ist wohl eine<br />

allgemeine Tendenz der Gegenwart, die hier dennoch innovativ umgesetzt ist. Denn<br />

wo findet man sonst Baukörper mit einer fast schwarzen, changierenden Hülle, die<br />

sich sogar über die Dachflächen legt? Diese Hülle verleiht dem Bau nicht nur eine<br />

ästhetische Prägnanz (man kann auch von Verfremdung sprechen), sondern hat<br />

auch räumliche Konsequenzen. Zugleich ist diese Hülle ein Rankgerüst für Wein,<br />

sodass sich die Baukörper, wenn sie überwachsen sind, dem Ort (der Landschaft) in<br />

ihrer Erscheinung anverwandeln werden.<br />

Zum Thema Hülle respektive „Umhüllung“ bringen die Architekten den<br />

Themenkomplex der „Entmaterialisierung von Architektur“ ins Spiel. 8 Die Er<strong>forschung</strong><br />

der Oberflächengestaltung habe im letzten Jahrzehnt für sie einen immer höheren<br />

Stellenwert erlangt. Die Arbeiten würden von Beschichtungen über Reliefs bis zu<br />

interaktiven Projektionen und selbstleuchtenden Flächen reichen. „Formenreichtum,<br />

Farbenvielfalt, Mustermischmasch, Ornamentopulenz sind uns nicht nur ein Anliegen<br />

sondern auch Programm.“ 9 Betrachtet man den Wohnbau in Bad Waltersdorf, so wird<br />

der Topos der Entmaterialisierung in der äußeren Hülle umgesetzt. Die dunkle<br />

Erscheinung würde natürlich eine Schwere implizieren, wäre diese Hülle nicht<br />

transluzent. Denn die dünnen Holzlatten – so genannte Rollschatten – sind ganz<br />

leicht und aufgrund der Abstände zwischen den einzelnen Latten etwas durchsichtig.<br />

Die Erscheinung der Bauten in einem adretten, tatsächlich schönen Dorf wird<br />

verfremdet, zusätzlich wird eine räumliche Schicht als Pufferzone zwischen innen<br />

und außen geschaffen.<br />

Die inneren Hüllen spielen zwar auch mit der Entmaterialisierung der Bauteile,<br />

doch auf eine ganz andere Weise als die äußeren Hüllen. Hier kommt nämlich die<br />

Ornamentopulenz, die außen fehlt, forciert zum Tragen. Es handelt sich dabei um<br />

beschichtete Holzwerkstoffe. Unter anderem wird ein Muster aus Weinblättern<br />

verwendet (im Hauptstiegenhaus), sodass dem Bau auch der Gegensatz von Natur<br />

und Kunst inhärent ist. Das innere Blattmuster ist hell und wirkt insofern<br />

8 Vgl. dazu und im Folgenden das Abstract von SPLITTERWERK zum Vortrag „Umhüllung“, den die<br />

Architekten im Rahmen des Symposiums „new materialsnew technologiesnew architecture“ hielten. Dieses<br />

Symposium fand vom 6.-8. April <strong>2005</strong> in Salzburg unter der Organisation von Peter Ebner statt, das Abstrakt ist<br />

nicht publiziert.<br />

9 Ebenda<br />

8


entmaterialisierend, die Unterschiede zwischen den Bauteilen werden völlig<br />

aufgehoben, da alle mit der gleichen Oberfläche überzogen sind.<br />

Das Thema der Hülle wird in einem unmittelbaren räumlichen Sinn<br />

verstanden. Wenn außen eine räumliche Schicht zwischen Hülle und Umhüllten<br />

(Außenmauer) entsteht, so ist dies im übertragenen Sinn auch im Inneren der Fall.<br />

Die räumliche Schicht zwischen innerer Hülle und massiver Wand (Außenmauer)<br />

nimmt hier die funktionellen Bereiche Küche, Schlafnische, Badnische, Büroplatz etc.<br />

auf. In der Mitte liegt also ein neutraler Raum, dem diese Funktionen durch<br />

Aufklappen von Elementen je nach Belieben zugeschaltet werden können. Der<br />

mittige neutrale Raum mit 22 m2 verändert sich dementsprechend, je nachdem,<br />

welche der Funktionen zugeschaltet werden. Die Architekten sehen darin einen<br />

räumlichen Luxus und sprechen von insgesamt 220 m2 Nettonutzfläche. Die Hüllen<br />

bezeichnen sie als „Multiinzidente Hüllen“ 10 . Sie prägen die Erscheinung des Baus,<br />

doch es handelt sich dabei nicht bloß um eine formale Geste. Das Thema der Hülle<br />

ist räumlich und funktionell interpretiert.<br />

Die drei folgenden Themen stellen die vielfältigen Möglichkeiten des<br />

städtischen Wohnens dar und spiegeln zugleich die Dynamik aktueller<br />

Stadtentwicklung wider. Es handelt sich dabei um einen Wohnbau am Stadtrand, in<br />

einem neuen Zentrum von Wien und in Salzburg. Den Beispielen von Walter<br />

Stelzhammer, Cuno Brullmann und HALLE 1 liegt in ihrer Unterschiedlichkeit doch<br />

allen die Tradition der Moderne zugrunde, und sie wurden alle drei mit öffentlichen<br />

Mitteln gefördert. Sie sind sachlich und klar und entwickeln klassische Attribute<br />

dieser Epoche weiter. Letzteres trifft in erster Linie auf die Bauten von Stelzhammer<br />

und HALLE 1 zu. Der Wohnbau von Brullmann am Wienerberg vermittelt – dies ist<br />

zumindest der Eindruck der Autorin vor Ort – in seiner Klarheit eine Atmosphäre, die<br />

ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergrund spüren lässt, auch wenn der Grund<br />

dafür nicht genau benennbar ist.<br />

Bei der schon erwähnten Vielfalt der architektonischen Ansätze können<br />

thematische Verbindungen zwischen den verschiedenen Architekten konstatiert<br />

werden. Stelzhammer greift ebenso wie HOLODECK.at auf das Atrium zurück, doch<br />

er interpretiert es in einem viel direkteren Sinn als seine Kollegen. Zugleich<br />

verwendet er so wie SPLITTERWERK den nutzungsneutralen Raum. Aber auch hier<br />

wird ein vergleichbares Element ganz anders interpretiert. Stelzhammer knüpft also<br />

10 Vgl. das Abstract von SPLITTERWERK zum Vortrag. In: www.nextroom.at/turn-on/<br />

9


eim Typus des klassischen Atriumhauses der Antike an, bei dem sich um einen<br />

rechteckigen Innenhof ein Kranz rechteckiger Räume – in der modernen<br />

Terminologie „nutzungsneutrale“ Räume – legt. Vermittelt über die Praxis des<br />

verdichteten Flachbaus von Roland Rainer entwickelt Stelzhammer daraus ein in den<br />

unterschiedlichsten Kontexten anwendbares Konzept und steht damit inhaltlich und<br />

ästhetisch in der Tradition der Moderne.<br />

„In Wien findet man trotz forciertem Wohnbau kaum interessante Bauten.“ 11<br />

Was noch 2001 konstatiert wurde, hat sich innerhalb weniger Jahre grundlegend<br />

geändert, und Stelzhammer kann mit seinen zahlreichen Wohnbauten (gerade auch<br />

auf dem Gebiet des geförderten Wohnbaus) durchaus als Vorkämpfer bezeichnet<br />

werden. Seine erste Interpretation des Atriumhauses findet man jedoch nicht im<br />

Wohnbau, sondern beim gründerzeitlichen Firmensitz der Österreichischen<br />

Beamtenversicherung in Wien, dessen Innenhof er in ein glasgedecktes Atrium<br />

verwandelte. Bereits hier wurde ein großer Hof durch eine mattierte Glaswand geteilt.<br />

Diese Art des Atriums bildet auch das Grundelement der Atriumhäuser in Atzgersdorf<br />

(1999) am südlichen Stadtrand von Wien. Diese geförderte Siedlung wurde aus<br />

Betonfertigteilen erreichtet. Das Konzept ist aber auch für den frei finanzierten<br />

Wohnbau denkbar und würde dabei sogar entscheidende Ausführungsvorteile<br />

aufweisen.<br />

Atzgersdorf führt die Praktikabilität des Haustyps im städtischen Kontext vor,<br />

wobei die horizontale Verdichtung – im Gegensatz zum verdichteten Flachbau – in<br />

der Vertikalen weitergeführt wird. Die Siedlung bekommt dadurch ihren „städtischen“<br />

Charakter. Jeweils zwei Einzelhäuser teilen sich ein quadratisches Atrium, das durch<br />

die mattierte Glasscheibe geteilt wird, sodass trotz der räumlichen Trennung ein<br />

erhöhter Lichteinfall erhalten bleibt. Ein minimal dimensioniertes Raumsystem soll<br />

durch diese Lichtwirkung vom benachbarten Hofraum profitieren. Natürlich braucht<br />

die starke Introvertiertheit eine psychische Affinität der Bewohner, und das Konzept<br />

zeigt in seiner Einfachheit gewisse Tücken. In Atzgersdorf wurden die Räume eng<br />

aneinander geschachtelt. Der Raumfluss als Verbindung von Zimmern, Gang und<br />

Atrium wäre daher ein entscheidendes Element zur optischen Erweiterung, auch die<br />

Strenge des Systems würde durch völlig transparente Übergänge gemildert. Doch<br />

11 Margit Ulama, Der private Lichtkörper. Mehrgeschossige Atriumhäuser von Walter Stelzhammer. In: Neue<br />

Zürcher Zeitung, Int. Ausgabe, Nr. 83, 9. April 2001, S. 29.<br />

Vgl. zu den schwierigen Bedingungen, die noch Ende der Neunzigerjahre im sozialen Wohnbau herrschten,<br />

sowie zur hier beschriebenen Grundidee von Walter Stelzhammer weiters: Die Divergenz des Wohnbaus. Walter<br />

Stelzhammer im Gespräch mit Margit Ulama. In: Architektur aktuell 215/1998, S. 112-125.<br />

10


die dafür nötigen feinen Details und großflächigen Glasschiebewände waren im<br />

geförderten Wohnbau aufgrund der Kostenlimits nicht möglich.<br />

Für „Turn On“ ist dieses Konzept als eine Art Universalkonzept, umsetzbar in<br />

den unterschiedlichsten Formen und Kontexten, interessant. Bei einem Bebauungskonzept<br />

für die Gartenstadt Süssenbrunn flottieren einzelne Siedlungsquartiere frei<br />

im Grünland, und die quadratische Grundform taucht auf dieser übergeordneten<br />

ebene wieder auf. Stelzhammer entwickelte außerdem das Konzept eines Zentrumsquartiers<br />

mit infrastrukturellen Einrichtungen in den beiden unteren Ebenen und<br />

mehrgeschossigen Hofhäusern darüber. Insgesamt beeindruckt die Variabilität der<br />

Grundidee, und so entsteht derzeit eine weitere Siedlung in Langenlois, am Rande<br />

einer Kleinstadt mehr oder weniger bereits im Grünen. Hier wird auch der Innenraum<br />

einmal mehr variiert.<br />

Mit dem Projekt Living-Working „Wienerberg City“ (2004) von Cuno Brullmann<br />

wird die Kombination der Funktionen Wohnen und Arbeiten ins Spiel gebracht, und<br />

zwar als unerlässliches Thema der gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung. In<br />

der Mitte des neuen Stadtzentrums am Wienerberg gelegen, entstand der Wohnbau<br />

von Brullmann im Rahmen einer komplexen Stadtentwicklung 12 und in direktem<br />

Dialog mit dem benachbarten Wohnblock von Delugan_Meissl. Vielleicht kann im<br />

Vergleich beider Bauten, die in ihrer grundsätzlichen Form und Orientierung ähnlich<br />

sind, der architektonische Unterschied und damit eine spezifisch österreichische<br />

Dimension der Architektur – falls es diese denn gibt – am besten erfasst werden.<br />

Die Grundlage für die City-Lofts am Wienerberg (2004) von Delugan_Meissl<br />

bildet eine einfache Schottenkonstruktion. Die Räumlichkeit der verschiedenen<br />

Wohnungen ist insofern komplex, als die Raumhöhen differenziert sind und<br />

unterschiedlichste Treppenformationen in der Gebäudemitte die verschiedenen<br />

Niveaus der Wohnungen erschließen. Der Schnitttypus, bei dem niedrigere Räume<br />

auf der einen Baukörperseite mit höheren Räumen auf der anderen kombiniert sind,<br />

knüpft jedenfalls an den Loosschen Raumplan an. Was dieser anhand des<br />

Einzelhauses entwickelte, wird nun im Massenwohnungsbau intelligent eingesetzt<br />

und führt trotz des einfachen Grundschemas zu einer auffälligen räumlichen und von<br />

Wohnung zu Wohnung immer wieder neuen Differenzierung der verschiedenen<br />

Grundrisse. Am Ende wird diese Differenzierung im Inneren mittels der ornamentalen<br />

Fassadengestaltung reflektiert.<br />

12 Das Thema der Stadtentwicklung am Wienerberg kann in seiner Komplexität nur gesondert diskutiert werden.<br />

11


Hier wird – ebenso wie bei den Bauten von HOLODECK.at und<br />

SPLITTERWERK, die bei „Turn On <strong>2005</strong>“ vorgestellt wurden – Raum zelebriert, und<br />

vielleicht behält Wolf Prix mit seinem am Beginn zitierten Statement recht. Jedenfalls<br />

waren Delugan_Meissl bei der genannten Ausstellung vertreten. Brullmann geht<br />

ähnlich wie seine Kollegen am Wienerberg von einem einfachen Grundprinzip aus,<br />

bei dem der Baublock in der Tiefe in vier Zonen gegliedert wird: in eine Mischzone<br />

Wohnen/Arbeiten, eine Erschließungs- und Kommunikationszone, eine flexible<br />

Wohnzone und eine Sonnen- und Blickfilterraumzone. Daraus resultiert ein<br />

Regelgrundriss, bei dem von einem allgemeinen Vorraum – der Architekt spricht von<br />

einem Schleusenraum zwischen Büro- und Wohneinheit – zunächst der Arbeitsraum<br />

erschlossen wird. Von diesem betrifft man dann die Wohneinheit samt eigenem<br />

Vorraum. Diese Einheit ist klar organisiert, funktional, flexibel und auch räumlich<br />

interessant. Doch man kann hier von einer klaren Organisation sprechen, die bei den<br />

österreichischen Kollegen weit überschritten ist. Zwar gibt es auch beim Wohnbau<br />

von Brullmann – übrigens auch ein geförderter Wohnbau – ebenfalls räumlich<br />

kalkulierte Minilofts und ebensolche Maisonettewohnungen mit grandiosem Fernblick<br />

ganz oben. Doch die räumliche Organisation ist direkter als die komplexe<br />

Organisation von Delugan_Meissl.<br />

Großstädtisch gibt sich auch das Projekt office-city-tower eleven (2003) von<br />

HALLE 1 in Salzburg-Schallmoos, bei dem wiederum die Funktionen Wohnen und<br />

Arbeiten kombiniert sind, diesmal jedoch verteilt auf unterschiedliche Baukörper. Es<br />

handelt sich in diesem Fall um einen eigenen Stadtteil, der von der spezifischen<br />

Konzeption und Komposition der Baukörper lebt. HALLE 1 liefern mit diesem Projekt<br />

eine exemplarische Interpretation des architektonischen Repertoires der Moderne,<br />

genauer gesagt des weißen Kubus mit horizontalen Bandfenstern. Dieser ist jeweils<br />

so konsequent formuliert, wie es die klassische Moderne nicht tat bzw. nicht tun<br />

konnte. Doch den Architekten geht es am Ende nicht um eine klassische Haltung,<br />

sondern vielmehr um eine großstädtische Geste, um Urbanität. Wie kann diese heute<br />

umgesetzt werden? Dazu braucht es natürlich den entsprechenden Maßstab, und es<br />

muss städtischer Raum formuliert werden.<br />

„Das Projekt versteht Urbanität nicht als Phänomen der Größe, sondern als<br />

soziale und kulturelle Dichte. Es setzt eine hohe Bebauungsdichte um, und zwar mit<br />

dem Repertoire des metropolitanen Städtebaus. / Großzügige Freiräume für<br />

gemeinschaftliche Nutzungen sind mit Baukörpern verschränkt. Das elastische<br />

12


Gefüge schafft spannungsreiche Beziehungen und Raumsequenzen, die sich nicht<br />

auf den Bauplatz beschränken, sondern das ganze Quartier mit einbeziehen.“ 13 Die<br />

Baumassen werden dabei durch horizontale Einschnitte, die die Bandfenster<br />

paraphrasieren, gegliedert. Dadurch wird der Topos des Schwebens eingeführt, der<br />

bei weit auskragenden Bauteilen noch offensichtlicher wird.<br />

Insgesamt entsteht also ein elastisches Gefüge aus massiven und gleichsam<br />

leeren Volumina, aus Baukörpern und „voids“, das zudem noch mit anthropomorphen<br />

Anspielungen beim Wohnturm – dem ersten seit Jahrzehnten realisierten Hochhaus<br />

in Salzburg – angereichert ist. Dieser Wohnturm spielt nämlich mit der Gliederung in<br />

Basis, Korpus, Hals und Kopf und fungiert dabei als architektonisches Zeichen für<br />

das gesamte Areal. Die räumliche Komplexität, von der im Zusammenhang mit den<br />

anderen Architektinnen hinsichtlich des Innenraumes gesprochen wurde, vermittelt<br />

sich hier in der äußeren Konfiguration, im Außenraum, und somit im Kontext der<br />

Stadtentwicklung.<br />

Mit dem letzten Beispiel, dem Wohnbau „Verwalter“ (2003) von Baumschlager-<br />

Eberle, machen wir einen Sprung nach Westen an den Rand einer Kleinstadt.<br />

Während der office-city-tower eleven ebenfalls ein gefördertes Projekt darstellt, ist<br />

dieser Wohnbau in Dornbirn frei finanziert, was sich vor allem auf der Ebene der<br />

Detailgestaltung zeigt. Die Anlage hat einen noblen, mondänen Charakter. Das<br />

Projekt nimmt die Struktur der Umgebung, die aus freistehenden Einzelbauten<br />

gebildet wird, auf und setzt sich aus drei großen Kuben zusammen, die jedoch durch<br />

niedere Bauteile verbunden sind. Dies führt im Grundriss zu einer im weitesten Sinn<br />

mäandrierenden Form. Während in den untersten Niveaus die Grundrisse ineinander<br />

fließen, verdeutlicht sich in den oberen Geschoßen die Konfiguration der drei<br />

selbstständigen Baukörper. Die Grundrisse scheinen auf den ersten Blick simpel und<br />

lassen doch schnell Finessen im Detail erkennen.<br />

Baumschlager-Eberle führen mit diesem Bau eine weitere Facette im reichen<br />

Spektrum an architektonischen Ansätzen vor und verbinden das traditionelle Material<br />

Ziegel mit der modernen Kubusform. Sie machen den städtischen Gestus einer<br />

Kleinstadt angemessen und reichern ihn mit üppigem Grün an, um dem privilegierten<br />

Wohnquartier gerecht zu werden. „Das Paradoxon der Wohnanlage besteht darin,<br />

dass sie städtische Dichte herstellt, ohne jedoch übermäßig dicht zu erscheinen.“ 14<br />

Die hochwertigen Wohnungen stellen – wie Wolfgang Jean Stock ebenfalls bemerkt<br />

13 Roman Höllbacher, office-city-tower eleven: In: www.nextroom.at/turn-on/<br />

14 Wolfgang Jean Stock, Wohnbau „Verwalter“. In: www.nextroom.at/turn-on/<br />

13


– eine anziehende Alternative zum herkömmlichen Einfamilienhaus dar. Während die<br />

Grundrisse sensibel gestaltet und die Baukörper einfühlsam in ihre Umgebung<br />

eingebettet sind, verdichtet sich in diesem Fall die Komplexität, die wir bereits bei<br />

den anderen Architekten konstatierten, in der Fassade.<br />

Damit ist ihre Vielschichtigkeit gemeint. Dem dunklen Ziegel mit rauer<br />

Oberfläche haftet natürlich Traditionelles an, und in einem Interview bezeichnete sich<br />

Dietmar Eberle kürzlich als eher „konservativen“ Menschen, der mehr aus dem Werk<br />

eines Clemens Holzmeister schöpft als aus den Werken der Funktionalisten. 15 Das<br />

traditionelle Material verbindet sich mit der klassisch modernen Kubusform. Dabei ist<br />

der Gegensatz von geschlossener und damit Schwere implizierender Fassade<br />

einerseits und stark durchbrochener, in ihrer Massivität aufgelöster Außenwand<br />

auffällig. An diesen Seiten setzt sich die Fassade nur mehr aus unregelmäßigen<br />

Rahmen zusammen, sodass ein grafisch anmutendes, lineares Muster entsteht, bei<br />

dem die Glasflächen gegenüber dem Backstein dominieren. Gewissermaßen<br />

dazwischen liegt ein Bereich, bei dem die Öffnungen in der Mauer noch als solche<br />

erkennbar sind, die massive Backsteinmauer also im Sinne traditioneller Öffnungen<br />

aufgebrochen ist. Die hohen und schmalen, zum Teil eng gesetzten Öffnungen<br />

erzeugen nicht nur eine prägnante Rhythmik sondern bergen auch eine<br />

klassizistische Anspielung in sich. Zuletzt müssen die vertikalen Streifen erwähnt<br />

werden, bei denen die unregelmäßige Setzung der Ziegel ein Muster kreiert.<br />

Der Themenblock „Wohnen“ führte auch in diesem Jahr die Vielfalt von<br />

Architekturansätzen in ästhetischer, typologischer und räumlicher Hinsicht vor. Die<br />

Komplexität der Raumgestaltung sowie im letzten Fall die Komplexität der<br />

Fassadengestaltung bilden dabei – bei aller Unterschiedlichkeit – eine<br />

Gemeinsamkeit auf einer allgemeinen Ebene. Der folgende Programmteil erweiterte<br />

die bereits genannte architektonische Vielfalt um die Vielfalt der Inhalte, also der<br />

Bauaufgaben. „Turn On“ präsentiert Architektur dabei in einem umfassenden Sinn:<br />

vom Innenraum über das eigentliche Bauwerk bis zum Thema der Stadt, vom kleinen<br />

bis zum ganz großen Objekt, vom poetischen bis zum sozial engagierten Projekt,<br />

vom explizit künstlerischen Entwurf bis zum technologisch determinierten Bauwerk.<br />

15 Vgl. Jürgen Tietz, Von Menschen und Häusern. Die Vorarlberger Architekten Baumschlager & Eberle. In:<br />

Neue Zürcher Zeitung, Int. Ausgabe, Nr. 36, 12./13. Februar <strong>2005</strong>, S. 49 (Literatur und Kunst)<br />

14


Die „Architektur des Gartens“ reicht weit in die Geschichte zurück und stellt zugleich<br />

ein poetisches Thema par excellence dar, insbesondere wenn es sich um private<br />

Gärten handelt. Maria Auböck und János Kárász führen mit ihren Home Gardens<br />

anschaulich vor Augen, wie der Garten den Raumbegriff erweitert und als<br />

Komplementärform zur eigentlichen Architektur wirksam sein kann. Das Team führt<br />

neue Dimensionen der Gestaltung in unsere Diskussion ein, denn die „Entwürfe<br />

reichen vom Raumgerüst bis zum Bepflanzungskonzept. Dabei handelt es sich um<br />

ein vierdimensionales Unterfangen, bei dem das Element Zeit gleichsam zum<br />

Baumaterial wird.“ 16 Die Gartenentwürfe spannen den Bogen vom strengen,<br />

geometrischen bis zum freien assoziativen Konzept. Da es sich jeweils um einen<br />

Dialog mit einer spezifischen Situation handelt, können die Resultate schließlich sehr<br />

unterschiedlich sein.<br />

Die abstrakte Geste zieht sich durch mehr oder weniger alle Entwürfe und<br />

verbindet gewissermaßen die unterschiedlichen Konzepte. Der Garten Währing<br />

(2000) stellt mit seiner linearen Gliederung der Grünfläche mittels Betonstufen einen<br />

zurückhaltenden, zarten Eingriff dar. Paraphrasiert werden die Betonstufen durch die<br />

polygonalen Baumscheiben, die auch als Sitzelemente dienen können. Der Garten<br />

Sievering (2003) bildet hingegen eine architektonische Landschaft im engeren Sinn,<br />

die die Architektur der Siedlung Kaasgrabengasse von Josef Hoffmann reflektiert –<br />

streng geometrisch und klassisch in weißem Marmor. Eine Stufenanlage mit<br />

Wasserlauf, ein Pool, die Terrasse – die Architektur der Gartengestaltung setzt die<br />

Architektur des Hauses fort, ist dabei doch eigenständig und grenzt sich von der<br />

Bepflanzung klar ab. Nur bei den Buchskugeln, die ebenfalls streng angeordnet sind,<br />

überlagern sich künstliche Natur und architektonische Gartengestaltung.<br />

Der Garten Grinzing (2003) zu einer Villa von Paul Katzberger stellt die<br />

Gestaltung mittels „massiver“ Elemente und jene mittels Pflanzelementen in<br />

unterschiedlichen Gartenteilen einander gegenüber. An der einen Seite der lang<br />

gestreckten Villa wurde ein „Rasentheater in steiler Hanglage“ 17 realisiert, der grüne<br />

Hang also durch entsprechende sanfte Schwünge gegliedert. Auf der anderen Seite<br />

des Hauses findet man eine weite Terrasse in der Art einer geometrischen Fläche,<br />

die in die Landschaft greift und am Ende mittels einiger Stufen ausläuft. Immer<br />

wieder findet man bei den Home Gardens also konträre Ansätze, die oft eng<br />

beieinander liegen. Beim Garten Wieden (2003) wurde schließlich eine vorhandene<br />

16 Auböck + Kárász in ihrem Abstract zum Vortrag. In: www.nextroom.at/turn-on/<br />

17 Ebenda<br />

15


parkartige Anlage erneuert. Auch hier findet man den Gegensatz von vorhandener<br />

organisch geschwungener Gartengestaltung und geometrisch konzipiertem, neuen<br />

Wasserbecken und Salettl.<br />

Reflektiert man die thematische Vielfalt dieses zweiten Programmteiles mit<br />

seiner die besonderen Divergenz der Themen, so ist gerade diese Divergenz ein<br />

Zeichen der fortgeschrittenen Gesellschaft am Beginn des dritten Jahrtausends,<br />

denn diese ist von Ungleichzeitigkeiten auf den verschiedensten Ebenen – in<br />

sozialer, technologischer und auch ökonomischer Hinsicht – geprägt. Die<br />

unterschiedlichen Bauaufgaben drücken aus, dass es heute nicht mehr eindeutig um<br />

Repräsentation in der Architektur geht, so wie dies zu früheren Zeiten der Fall war.<br />

Dies bedeutet weiters, dass auch „unwichtige“ Themen – in den Niederlanden zählen<br />

die infrastrukturellen Bauaufgaben dazu – zu Themen der architektonischen<br />

Gestaltung werden können.<br />

Das nächste Beispiel vereint auf exemplarische Weise traditionelle Themen:<br />

eine traditionelle Hausform mit einer ebensolchen Konstruktion und dem<br />

entsprechenden Material sowie eine traditionelle Komposition, was die<br />

Bebauungsstruktur in einem kleinen Bergdorf betrifft. Altes bleibt gewahrt, aber die<br />

architektonische Haltung ist nicht rückwärtsgewandt; sie ist empathisch – bezogen<br />

auf die örtliche Situation. Wir sprechen vom Gemeindezentrum Blons (2004) von<br />

Bruno Spagolla, dessen Modernität in seiner Abstraktion liegt. Der Topos der Urhütte<br />

ist in diesem Fall viel unmittelbarer vorhanden als beim Wohnbau „Schwarzer<br />

Laubfrosch“, der diesen verfremdend und skulptural interpretiert. Spagollas<br />

Vorgehensweise ist eine Reaktion auf den Ort, haben doch seine bisherigen Bauten<br />

einen höchst unterschiedlichen Charakter. Zugleich spiegelt der Bau in Blons die<br />

jüngere Architekturgeschichte des westlichsten Bundeslandes wider und hat in der<br />

Schule in Warth (1992) von Roland Gnaiger ein Pendant. Auch dieser Bau fügt sich<br />

in die dörfliche Struktur ein und ist konservativ und modern zugleich. 18<br />

Findet man bei diesem Beispiel wieder einen Reichtum der Geste, eine<br />

besondere Komplexität des Raumes oder eine anders geartete Vielschichtigkeit –<br />

oder charakterisiert dies vielmehr die Architektur in den östlichen Bundesländern?<br />

Gibt es vielleicht eine architektonische West-Ost-Differenz entsprechend den<br />

18 Vgl. dazu: Roland Gnaiger, Schule in Warth. Hg. vom Kunsthaus Bregenz, archiv kunst architektur, Edelbert<br />

Köb. Mit einem Text von Otto Kapfinger und Fotos von Margherita Spiluttini. Stuttgart 1993. Der Holzbau<br />

spielte natürlich im Rahmen der generellen Entwicklung der „Vorarlberger Baukünstler“ am Ende des 20.<br />

Jahrhunderts eine ganz zentrale Rolle.<br />

16


unterschiedlichen Mentalitäten des Landes? – Dem Gemeindezentrum Blons liegt<br />

zunächst eine bekannte Geschichte zugrunde. Die kleine bergbäuerliche Gemeinde<br />

im Großen Walsertal wurde vor 50 Jahren von einer verheerenden Lawinenkatastrophe<br />

heimgesucht, die das Bewusstsein der Dorfgemeinschaft bis heute prägt. Das<br />

Gemeindezentrum samt Volksschule, neuer Unterkunft für die Gemeindeverwaltung,<br />

Gasthaus und Dorfladen übernimmt nicht nur zentrale Funktionen für die<br />

Dorfgemeinschaft, sondern verdichtete auch eine typische Streusiedlung, die nie<br />

einen markanten Ortskern hatte.<br />

Spagolla beschreibt sein Vorgehen präzise: „Zum ersten Mal wird ganz<br />

bewusst ‚Ortsraum’ gebaut, das heißt die neuen Objekte bilden mit den bestehenden<br />

Bauten (Kirche, altes Gasthaus, alte Schule) einen konkreten, öffentlichen Raum.<br />

Dieser wiederum steht in einer akzentuierten Wechselbeziehung mit dem imposanten<br />

Landschaftsraum des Großen Walsertals. / Die Topografie und Enge dieses Tals<br />

bringen es mit sich, dass man von der einen Seite die jeweils gegenüberliegenden<br />

Dörfer in ihrer ganzen Dimension – fast wie in einem Modell – nah vor sich liegen<br />

sieht. Der Begriff ‚Ortsbild’ bekommt dadurch eine ganz besondere, eine<br />

ganzheitliche Bedeutung. Maßstäblichkeit, Typologie und Lesbarkeit sind daher bei<br />

der Einfügung neuer Objekte auch unter Berücksichtigung dieser gesamtheitlichen<br />

Wahrnehmung zu sehen.“ 19 Entlang einer prägnanten, gekurvten Straßenführung<br />

entstehen tangential erschlossene Platzbereiche – diese sind also nicht geschlossen,<br />

sondern offen – zwischen den beiden neuen Gebäuden und der Kirche. Die<br />

Wahrnehmung von Architektur ist schließlich wieder in einem traditionellen Sinn<br />

verstanden.<br />

Bei dem Gemeindezentrum kann man weniger von Reichtum und Komplexität<br />

im Sinne von Vielschichtigkeit als vielmehr von Präzision sprechen. Die neuen<br />

Gebäude sind im Kontext des Dorfes, mit der Absicht „Raum“ zu bilden, präzise<br />

gesetzt und schließlich in sich ebenso organisiert. Auch der Dialog der beiden<br />

konträren Gebäude ist klar und präzise. Sogar die Symbolik entwickelt sich in diesem<br />

Sinn, liegt diese doch in der bloßen Verwendung des Holzes aus dem<br />

gemeindeeigenen Schutzwald, der nach der Lawinenkatastrophe erweitert wurde.<br />

Das Holz wurde als Massivholz verwendet, also „direkt und authentisch“ 20 , und nicht<br />

als „zeitgemäßerer“ Holzwerkstoff. Die Konstruktionsmethode hat zur Folge, dass die<br />

Fassaden am Ende betont flächig wirken, insbesondere beim giebelständig in den<br />

19 Spagolla in seinem Abstract zum Vortrag. In: www.nextroom.at/turn-on/<br />

20 Ebenda<br />

17


Hang hineingeschobenen Satteldachhaus. Die flächige Wirkung der Holzkonstruktion<br />

zeigt sich auch im Dachraum, wo sie von der Verglasung an der Giebelseite ergänzt<br />

wird. Deren flächige Wirkung kommt wiederum durch eine äußerst präzise<br />

Ausführung zustande kommt.<br />

Mit Dietmar Feichtinger machte „Turn On“ einen Sprung noch weiter nach<br />

Westen, zu einem Auslandsösterreicher, der vor mehr als zehn Jahren sein Büro in<br />

Paris und vor drei Jahren ein weiteres Büro in Wien eröffnet hat. Das Programm<br />

machte aber auch einen Sprung zu einem nicht-repräsentativen Thema bzw. Ort.<br />

Das Logistikzentrum (2004) in der Nähe von Paris dient der Verwaltung von<br />

Containern am Schnittpunkt zwischen Schifffahrt und Straßenverkehr. Dort, wo<br />

Container gestapelt und zwischengelagert werden, spielt das Bauwerk mit eben<br />

diesem Bild und transponiert es. Trotzdem bleibt eine unmittelbare Ähnlichkeit<br />

erhalten und diese verleiht dem minimalistischen Bauwerk seinen spezifischen<br />

Charakter.<br />

Typisch für den aktuellen Minimalismus der internationalen Entwicklung ist die<br />

beständige Anreicherung einer reduzierten Architekturhaltung. Bei manchen<br />

Architekten kippt der Minimalismus, der im letzten Jahrzehnt noch charakteristisch für<br />

deren Projekte war, heute bereits in das völlige Gegenteil um. 21 Dietmar Feichtinger<br />

bleibt noch nah am Minimalistischen verstanden als quaderförmiges Bauvolumen<br />

und einfache Fassaden- und Raumkonzeption. 22 Der Innenraum des Volumens wird<br />

dabei durch zwei Einschnitte differenziert, und die raumhohe Verglasung der Büros<br />

zeigt sich nur vermittelt. Denn das Volumen ist ganz von drehbaren Lamellen<br />

umhüllt, die die praktische Funktion des Sonnenschutzes übernehmen. Auf der<br />

semantischen Ebene spielt diese äußere Hülle bewusst mit dem Bild des Containers<br />

und übernimmt die Charakteristika des Kontextes. Die Anspielung ist direkt und klar<br />

decodierbar, der Bau insgesamt elegant in einer spröden Umgebung.<br />

Elegant in einer weniger spröden Umgebung präsentiert sich die Passerelle<br />

Bercy-Tolbiac, die derzeit von Feichtinger Architectes in Paris realisiert wird und ein<br />

Beispiel aus einer ganzen Reihe spannender Brückenentwürfe darstellt. Hier ist eine<br />

Hängekonstruktion mit einem Bogen kombiniert, beide mit geringem Stich und großer<br />

Spannweite, sodass keine Stützen in der Seine nötig sind. Die Überlagerung beider<br />

21 Ein konkretes und besonders ausdrucksstarkes Beispiel dafür ist das Informations-, Kommunikations- und<br />

Medienzentrum in Cottbus von Herzog & de Meuron, das 2004 fertig gestellt wurde.<br />

22 Ein weiteres Beispiel für diese Haltung ist das Bildungszentrum Campus Krems, das von Feichtinger<br />

Architectes als größtes Bildungsbauvorhaben Österreichs <strong>2005</strong> fertig gestellt wird.<br />

18


Kurven lässt in der Mitte ein räumliches Volumen entstehen. Eleganz und klare<br />

architektonische Themen zeichnen auch dieses Projekt aus.<br />

Wenn das Logistikzentrum konzeptionell und gestalterisch seinen Kontext und<br />

damit seine Bauaufgabe reflektiert, so gilt dies auch für das Kinder- und Jugendhaus<br />

Liefering (2001) von Thomas Forsthuber. Umgesetzt ist diese Reflexion und<br />

Interpretation der Bauaufgabe dennoch in einem ganz anderen Sinn. Das Kinderund<br />

Jugendhaus vereint architektonische Innovation mit sozialem Engagement,<br />

wobei der dekonstruktivistische Architekturansatz auf exemplarische Weise auf seine<br />

Benutzer reagiert bzw. eine lebendige Form des Benutzens ermöglicht. Die Ästhetik<br />

ist kein bloßer Schein, sie verbindet sich gewissermaßen interaktiv mit dem Thema<br />

des Baus und stellt zugleich verschiedenste Bezüge zur Kunst- und Architekturgeschichte<br />

her. Wir haben damit wieder jene Form von Komplexität erreicht, von der<br />

wir früher bereits gesprochen haben. Die Verbindung von avancierter Form und<br />

neuem Inhalt setzte Thomas Forsthuber gemeinsam mit Christoph Scheithauer im<br />

aktuellen Entwurf einer Schule für Mattsee fort. 23<br />

Die Architektur des Kinder- und Jugendhauses wird zum Zeichen ihres Inhalts.<br />

Zunächst setzt sie sich in ihrer Andersartigkeit bewusst von der Umgebung – einem<br />

Stadtteil in Salzburg, in dem soziale Randgruppen seit vielen Jahrzehnten<br />

konzentriert wurden – ab. Sichtbeton, Metallhüllen, Glas, durchlässige Gitter sowie<br />

prägnante Farben tragen zur Charakteristik des Baus auf der Materialebene bei.<br />

Formal ist der Bau in unterschiedlichste, dynamisch zugeschnittene Volumina<br />

aufgesplittet; dies ist gewissermaßen der dekonstruktivistische Ansatz. Die vielfältig<br />

differenzierten Außen- und Innenräume sind jedoch nicht rein ästhetisch gedacht,<br />

denn sie ermöglichen eine der sozialen Bauaufgabe adäquate Benutzung. Es wurde<br />

versucht, über „das dynamische Prinzip der Raumentwicklung“ 24 aussichtslosen<br />

gesellschaftlichen Strukturen entgegenzuwirken und dem sozial benachteiligten<br />

Stadtteil einen Impuls zu geben.<br />

Das Bauwerk kann wie eine begehbare Skulptur durchwandert werden und<br />

bildet eine „eine bespielbare, artifizielle Landschaft“ 25 . Einen zentralen Bestandteil<br />

der Architektur stellen folglich – neben den kleineren, dynamisch zugeschnittenen<br />

Volumina und einem großen Quader mit auskragendem oberen Teil – die Wege<br />

23 Vgl. dazu Christian Kühn, Schule, neu gedacht. In: Die Presse/Spectrum, 25. September 2004. Zitiert nach:<br />

www.nextroom.at<br />

24 Forsthuber aus seiner website www.architektforsthuber.at. Auf dieser website dokumentiert Forsthuber den<br />

konzeptionellen Ansatz des Bauwerkes in aller Ausführlichkeit.<br />

25 Forsthuber in seinem Abstract zum Vortrag. In: www.nextroom.at/turn-on/<br />

19


diese. 26 Die Pflege der architektonischen Tradition gehört natürlich zu einer<br />

(Brücken, Treppen, Rampen) dar, die immer auch die Wahrnehmung von Architektur<br />

lenken und leiten. In seinem Vortrag bei „Turn On“ stellte Forsthuber spezifische<br />

Referenzen her. Dabei knüpfte er nicht bei der Tradition des Dekonstruktivismus an,<br />

sondern – was öffentliche Plätze aber auch städtische Wege, Brücken und Rampen<br />

betrifft – bei der anonymen Architektur zum Beispiel Italiens, wobei er einige<br />

Beispiele direkt und überzeugend mit dem Kinder- und Jugendhaus in Verbindung<br />

brachte.<br />

Was die vielfältig geführten Brücken und Treppen seines Baus betrifft, so<br />

führte der Architekt andererseits Piranesis Carceri aus dem 18. Jahrhundert als<br />

Referenz an. Diese ließen schon früh in der Geschichte sowohl die<br />

zentralperspektivische als auch die logische Raumkonzeption hinter sich. Hier<br />

schließt sich am Ende doch wieder der Bogen zur dekonstruktivistischen Architektur,<br />

denn Piranesis Carceri wurde in den vergangenen Jahren nicht nur mit Bauten<br />

Bernard Tschumis in Verbindung gebracht, Wolf D. Prix bezog sich selbst auf<br />

aufgeschlossenen kulturellen Haltung, und sie hat in Österreich dann besondere<br />

Relevanz, wenn es sich um eines der spärlich vorhandenen Werke der klassischen<br />

Moderne handelt. Mit der Revitalisierung des Adambräu (1927/<strong>2005</strong>) von Lois<br />

Welzenbacher durch die Architektengruppe Köberl+Giner&Wucherer_Pfeifer wenden<br />

wir uns diesem Thema zu, und Welzenbacher war es, der Österreich bei der<br />

legendären Ausstellung zum Internationalen Stil 1932 in New York vertrat. Man kann<br />

hier also von einer Inkunabel des Neuen Bauens sprechen, 27 und die<br />

Industriearchitektur ist ein bekannter Topos dieser Epoche. Die Umnutzung von<br />

Industriebauten ganz allgemein in kulturell genutzte Bauten ist ein ebensolcher<br />

Topos der letzten Jahrzehnte.<br />

Um eine solche Umnutzung geht es beim Sudhaus des Adambräu, denn<br />

genau formuliert wurde eben dieses transformiert. Es wird jetzt vom "Archiv für<br />

Baukunst" – einer universitären Institution – und "aut. architektur und tirol" – einer<br />

vereinsmäßig strukturierten Plattform – genutzt. Wenn das Architekturfestival „Turn<br />

On“ unter anderem die Reflexion und Weiterführung der Moderne fokussiert, so wird<br />

26 Vgl. Margit Ulama, Dynamische Differenzierung des Raumes. In: Dies., Architektur als Antinomie. Aktuelle<br />

Tendenzen und Positionen, Wien, Bozen 2002, S. 103-106<br />

27 Vgl. Hubertus Adam, Vom Brauen zum Bauen. Neunutzung eines Denkmals der Moderne in Innsbruck. In:<br />

Neue Züricher Zeitung, Int. Ausgabe, Nr. 66, 19./20. März <strong>2005</strong>, S. 34<br />

20


nun diese selbst zum Thema. Auf klare, präzise und sachliche Weise wurde der<br />

architektonische Raum aus dem Altbau mit seinen zahlreichen technischen<br />

Einbauten herausgelöst und renoviert. Das neue Sudhaus führt damit Köberls<br />

konsequente Haltung fort (auch wenn dieser in einem Team arbeitete), die Otto<br />

Kapfinger folgendermaßen charakterisierte: Köberl „reduziert Material, Struktur und<br />

Konstruktion so weit, dass all das in den Hintergrund tritt, anstelle von Banalität aber<br />

eine stimmige Atmosphäre Platz greift.“ 28 Als logische Konsequenz wurde bei der<br />

Eröffnung des Hauses der pure Raum ohne weitere Objekte inszeniert und<br />

ausgestellt.<br />

Überschwänglichkeit und Reichhaltigkeit fehlen dieser Transformation. Es<br />

geht um architektonische Komposition und Raum in einem präzisen und direkten<br />

Sinn. Damit reiht sich der Bau in jene Tradition ein, die man eher in Westösterreich<br />

findet. Ein Ausstellungsgebäude war das Sudhaus insofern schon immer, als hinter<br />

den großen Glasflächen mit der für die Zeit typischen feingliedrigen Teilung früher die<br />

Braupfannen der Öffentlichkeit „präsentiert“ wurden. So waren an einer zentralen<br />

Stelle des Gebäudes im weitesten Sinn repräsentative Räume bereits vorhanden.<br />

Aufgrund der ungewöhnlichen Konzeption als Hochhaus birgt das ehemalige<br />

Sudhaus schließlich ein Thema in sich, das die Gegenüberstellung mit dem<br />

Hochhaus des office-city-tower eleven von HALLE 1 ebenso ermöglicht wie die mit<br />

dem Air Control Tower von Zechner & Zechner.<br />

Bauwerke sind unter anderem dann besonders brisant, wenn sie Ausdruck<br />

dialektischer Gegensätze sind. Exemplarisch ist der Gegensatz von<br />

baukünstlerischen Interessen und ökonomisch-funktionalen Anforderungen. Dass<br />

beides durchaus vereinbar ist, beweist Günther Domenig bereits seit langem und<br />

immer wieder in Partnerschaften. Die T-Mobile-Zentrale (2004) der Architektur<br />

Consult / Domenig Eisenköck Peyker ist der jüngste Ausdruck dessen. Der<br />

werbewirksame Bau eines expandierenden Mobilfunkunternehmens steht zugleich<br />

dafür, dass Unternehmen heute für die Öffentlichkeit zentrale Funktionen, die zum<br />

Beispiel die Stadtentwicklung betreffen, übernehmen. Der Bau wertet die Peripherie<br />

an dieser Stelle entscheidend auf. Die T-Mobile-Zentrale soll in der Folge der<br />

Weiterentwicklung des dahinter liegenden Schlachthofareals einen entscheidenden<br />

Impuls geben.<br />

28 Otto Kapfinger, Emerging Architecture 1. Kommende Architektur 1. 10 Austrian Offices. Publikation zur<br />

gleichnamigen Ausstellung im Architektur Zentrum Wien. Wien 2000, S. 108<br />

21


Die T-Mobile-Zentrale ist Werbeträger und ein weithin sichtbares Landmark im<br />

Südosten der Großstadt und strahlt dabei auch etwas Behäbiges aus. Von der Kritik<br />

wurde der Bau als „Dinosaurier“ bezeichnet, „der eine glänzende Figur macht“. 29 Die<br />

glänzende Figur kann bezweifelt werden, es ist eher ein Dahinwinden und schließlich<br />

Aufragen eines lang gestreckten, horizontalen Volumens im Häusermeer, das eben<br />

auch etwas von einem behäbigen Tier hat. Man darf dabei nicht vergessen, dass der<br />

Bau überaus große Dimensionen hat und als Bürobau ökonomisch organisiert und<br />

konzipiert sein muss. Als liegende Skulptur, die sich bewusst von den<br />

Wolkenkratzern distanziert, hat der Bau eine Prägnanz, die mit den phallischen<br />

Bauten gut konkurrieren kann.<br />

Interessant ist der Eindruck, der sich entscheidend verändert, sobald man<br />

näher kommt. Denn dann verwandeln sich die großen Baumassen in eine<br />

differenzierte Architektur – auch wenn dies nicht an allen Stellen der Fall ist. Von der<br />

Stadt kommend durchwandert man zum Eingang hin eine vielfältige Gebäudelandschaft<br />

zwischen massiven, v-förmigen Stützen, die das an dieser Stelle nur knapp<br />

über dem Boden schwebende Bauvolumen tragen. An der Stadtseite erschließt eine<br />

Treppenkaskade das Areal hinter dem Gebäudekomplex. Wenn man schließlich<br />

durch die innenliegende Plaza wandert, erlebt man nicht nur einen ruhigen<br />

öffentlichen Raum in einer eher unwirtlichen peripheren Gegend, sondern auch die<br />

architektonische Differenzierung im Detail sowie die mächtigen Dimensionen eines<br />

hoch aufgestelzten Baukörpers. Der Gegensatz von architektonisch anspruchsvollem<br />

und ökonomisch organisiertem Raum setzt sich schließlich im Inneren fort. In der<br />

Dialektik von Ökonomie und anspruchsvoller Architektur stellt dieser Bau eines der<br />

anspruchsvollsten Großprojekte der letzten Jahre in Wien dar.<br />

Mit Zaha Hadid folgte der special guest des Programms, wobei der Bezug zu<br />

Österreich ihre Lehrtätigkeit an der Universität für angewandte Kunst in Wien<br />

(Veranstalter des Architekturfestivals „Turn On“) sowie ihre bisherige und laufende<br />

Bautätigkeit (Sprungschanze am Berg Isel in Innsbruck, Wohnbau Spittelau in Wien<br />

u.a.) ist. Hadid hielt ihren Vortrag zum allgemeinen Thema „Spatializing Complexity“.<br />

Sie ist die prominenteste Vertreterin jener dekonstruktivistischen Traditionslinie,<br />

deren Vertreter beim heurigen Programm des Architekturfestivals außerdem<br />

HOLODECK.at und Thomas Forsthuber als Vertreter der jungen Generation sowie<br />

Günther Domenig waren. Domenig und Hadid – obwohl auch sie unterschiedlichen<br />

29 Oliver Elser, Der Dinosaurier an der Autobahn. Domenig und Eisenköck stemmen T-Mobile in den Himmel<br />

über der Südosttangente. In: Der Standard, 31. Jänner 2004, S. A 8 (Album)<br />

22


Generationen angehören – verbindet der künstlerische Ansatz, der bei beiden<br />

Architekten auf das zweidimensionale Medium der Malerei zurückgeht. Domenigs<br />

Ansatz ist jedoch autobiographisch geprägt, insbesondere was sein Steinhaus am<br />

Ossiachersee (ab 1986) betrifft. Seine früheren Bauten haben zudem einen stark<br />

organisch-skulpturalen Charakter.<br />

Hadids Projekte können in ihrer Reichhaltigkeit und Komplexität mit den<br />

Entwürfen österreichischer Architekten verglichen werden. Kenneth Frampton<br />

bezeichnete ihre expressive Architektur als „dekonstruktiven Barock“ 30 und<br />

verwendete damit einen Begriff, den Prix – wie am Beginn angeführt – erst kürzlich<br />

auf die österreichische Gegenwartsarchitektur bezog. 31 Die Inszenierung der<br />

Instabilität, die zunächst ein Novum dekonstruktivistischer Architektur bildete, stellt<br />

heute bereits einen gängigen Topos dieser vergleichsweise jungen Tradition dar, die<br />

eben auch bei „Turn On“ repräsentiert war. Natürlich ist Hadids Position zugleich<br />

einzigartig.<br />

Hadid knüpfte in ihren Anfängen bekanntlich bei der russischen Avantgarde,<br />

im speziellen bei Malewitsch an. Ihre Entwürfe inkludieren schließlich Themen des<br />

Explosiven, der Fragmentierung und Collagierung bis hin zu Reflexionen von<br />

Landschaften im weiten Sinn – von Wäldern, Canyons oder auch Dünen. Ihr jüngst<br />

fertig gestellter Bau, das Rosenthal Center for Contemporary Art (2003) in Ohio,<br />

USA, überträgt das Thema der Collage auf unterschiedlichste Kuben, deren<br />

räumliche Versetzung die Fassaden charakterisieren. Der Bau wird deshalb als<br />

Wende im bisher von aggressiven Formen geprägten Schaffen Hadids bezeichnet. 32<br />

Im Innenraum bleibt die für ihre Entwürfe typische Dynamik erhalten, auch wenn<br />

diese im Vergleich zu früher nun etwas zurückgenommen ist.<br />

Es folgte ein harter Schnitt im Programm von den betont künstlerischen<br />

Ansätzen in der Architektur zu einem Bauwerk mit ausschließlich technologischen<br />

Prämissen, zum neuen Air Control Tower am Flughafen Schwechat (<strong>2005</strong>) von<br />

Zechner & Zechner, der ein zentrales Bauwerk im Rahmen der Flughafenerweiterung<br />

darstellt. Als Turm respektive Hochhaus stellt er ein Wahrzeichen für den neuen<br />

Flughafen dar. Bei „Turn On“ <strong>2005</strong> wurden verschiedene Hochhäuser gezeigt, die<br />

30 Kenneth Frampton in seinem Beitrag zu Zaha Hadid in: Vittorio Magnago Lampugnani (Hg.), Hatje-Lexikon<br />

der Architektur des 20. Jahrhunderts. Ostfildern-Ruit 1998, S. 153<br />

31 Dass andererseits eine große ideelle Nähe zwischen Prix und Hadid besteht, ist bekannt. Ihre aktuelle<br />

Lehrtätigkeit an der Universität für angewandte Kunst ist vor allem auf ihn zurückzuführen.<br />

32 Vgl. Roman Hollenstein, Schwebende Kisten. In: Neue Zürcher Zeitung, 2. Juni 2003. Zitiert nach:<br />

www.nextroom.at<br />

23


unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Wohnturm des Projektes office-city-tower<br />

eleven von HALLE 1 spielt mit einer Drei- oder vielmehr Vierteilung – die Architekten<br />

sprechen auf ihrer Website von „Basis, Korpus, Hals und Kopf“ 33 ; Zechner & Zechner<br />

beziehen sich klar auf die klassische Dreiteilung von Basis, Schaft und Kapitell. Die<br />

Metaphorik geht also in eine ähnliche Richtung, doch die Resultate könnten<br />

unterschiedlicher nicht sein.<br />

Die Gliederung des Air Control Tower ergibt sich aus funktionellen und<br />

technologischen Prämissen. Die Basis bildet eine sechsgeschossige Sockelzone für<br />

die Flugsicherungstechnik, konkret handelt es sich um einen Würfel mit Büroetagen<br />

im Inneren. An der Spitze des Turmes sitzt die Kanzel für die Kontrollräume, die das<br />

funktionelle Zentrum des Bauwerkes bildet. Die Zone dazwischen ist nur insofern<br />

vorhanden, um die nötige Höhe für die Kanzel zu erreichen. Statisch notwendig, ist in<br />

diesem Bereich ein nutzbarer architektonischer Raum aufgrund der hohen<br />

Sicherheitsanforderungen nicht möglich. So wurde um den Betonschaft in diesem<br />

Bereich ein architektonisches Volumen realisiert, das ausschließlich als solches<br />

fungiert und somit leer bleibt. Indem Membrane die unterschiedlichen Formen von<br />

Basis und Kopf verbindet, entsteht eine unexakte Hülle als Gegenteil zu den exakten<br />

Vorgängen im Inneren.<br />

Diese Hülle bildet eine organisch verformte Fläche und spiegelt damit einen<br />

aktuellen Trend wider, der in der österreichischen Architektur bei Coop Himmelb(l)au<br />

zwar eine seltene, dafür umso prominentere Umsetzung erfährt. Was die<br />

Membranhülle betrifft, so bezog sich Martin Zechner in seinem Vortrag auch auf<br />

traditionelle und moderne Reifröcke, bei denen kreisförmige, horizontale Versteifungen<br />

als „Gerüst“ für den umhüllenden Stoff dienen. In einem durchaus trendigen Sinn<br />

soll die Hülle auch für Projektionen dienen. In der Entwurfsphase mag dies innovativ<br />

gewesen sein, und einige Jahre waren so genannte Medienfassaden gleichsam das<br />

Markenzeichen avancierter Architektur. Doch in jüngster Zeit verstärkte sich in der<br />

Wiener Stadtlandschaft die großflächige Umhüllung von Fassaden mit Werbeflächen<br />

derart stark, dass Projektionsflächen dieser Art heute kritisch betrachtet werden<br />

müssen.<br />

Mit BEHF (1995 von Erich Bernard, Armin Ebner, Susi Hasenauer und<br />

Stephan Ferenczy gegründet) wandte sich „Turn On“ nochmals einem bereits<br />

klassischen Thema der Veranstaltung zu, jenem der Lokal- und Geschäftsarchitektur,<br />

33 Dabei wird die architektonische und die anthropomorphe Begrifflichkeit vermischt, doch es ist klar, was<br />

gemeint ist.<br />

24


das gerade in Wien eine prominente Tradition hat. Das Team BEHF realisierte in<br />

jüngster Zeit sehr unterschiedliche Entwürfe und steht damit paradigmatisch für die<br />

Vielfalt des Programms von „Turn On“. Das Restaurant Fabios (2002) in Wien<br />

repräsentiert das Elegante und Mondäne, das im Restaurant Yellow (2004) – beides<br />

übrigens mit Bar und Lounge – ein trendiges, billigeres Gegenstück hat. Der<br />

Wohnbau in der Kollmayergasse in Wien (2004) ist ein Beispiel für ambitionierten<br />

geförderten Wohnbau und zugleich für den durchaus modernen Rückgriff auf<br />

traditionelles Material, indem Sichtmauerwerk aus gesinterten manganbraunen<br />

Ziegeln verwendet wurde. Die Fassade ist plastisch-räumlich strukturiert und<br />

überträgt die in unserer Zeit immer wiederkehrende skulpturale Gestaltung auf eine<br />

traditionelle Bauweise. Diese Differenzierung wirkt sich aber auch positiv auf die<br />

prinzipiell klassisch konzipierten Grundrisse aus.<br />

Das Restaurant Yellow schafft eine ganz eigene Atmosphäre, die man als<br />

großstädtisch, pur, elegant, roh, witzig, räumlich interessant und einprägsam in<br />

seinem Gelb-Schwarz-Kontrast bezeichnen kann. Eine Verwandtschaft zum Fabios<br />

ist trotz der Unterschiedlichkeit vorhanden, denn beide Lokale sind bewusst räumlich<br />

komponiert und strukturiert, wobei die direkte architektonische Korrespondenz in den<br />

kleinen Sitznischen mit eigener Beleuchtung zu finden ist. Das Yellow besticht<br />

außerdem durch seine Lage am Gürtel, und der vorbeiflutende Verkehr vermittelt ein<br />

für Wien ungewöhnliches Gefühl des Metropolitanen. Zugleich hat das Lokal – bei<br />

aller Eleganz, die es auch in sich birgt – in seiner Ausführung und Materialität auch<br />

etwas Brutalistisches, das dieses metropolitane Gefühl im Sinne von London oder<br />

New York weiter verstärkt.<br />

Die Architekten vergleichen den Grundriss mit Downtown Manhattan, doch die<br />

Gemeinsamkeit liegt nur im Umriss. Beim Lokal ist die V-Form interessant, sodass<br />

sich für Bar und Restaurant große Flächen an den beiden unterschiedlichen Seiten<br />

angeboten haben, farblich hervorgehoben durch den Schwarz-Gelb-Kontrast. In der<br />

zwickelförmigen Fläche, die beide Teile einschließen, verdichtet sich die Konzeption.<br />

Hier gibt es schmale, schräge Gänge, die die Nebenräume bis hin zu einer kleinen<br />

Telefonnische, von der man auf einen winzigen Gartenhof mit Bambus blickt,<br />

erschließen. Diese dichte räumliche Konzeption bietet aber auch verschiedenste<br />

Durchblicke. Dieses komprimierte Gefüge paraphrasiert die Höfe und Seitenstraßen,<br />

in denen noch gewohnt, gearbeitet und produziert wird. 34 Es steht zugleich im<br />

34 Vgl. das Abstract der Architekten zum Vortrag. In: www.nextroom.at/turn-on/<br />

25


etonten Gegensatz zu den großzügigen Raumteilen an den beiden Straßenfronten<br />

steht.<br />

2. Die Vermittlung von Architekturinhalten<br />

Die Vermittlung folgte wieder dem bewährten Halbstundenrhythmus, der den<br />

Vortragenden genügend Zeit gibt, das jeweilige Bauwerk ausführlich vorzustellen,<br />

und der zugleich den nötigen rhythmischen Wechsel bei einem überaus langen<br />

Programm bietet. Um zusätzliche Abwechslung zu garantieren wurde heuer erstmals<br />

die Gesprächsrunde „Turn On Talk“ in der Halbzeit des Programms am Samstag<br />

eingeführt. Während die ArchitektInnen wieder ihre Entwurfsideen bzw. die<br />

Hintergründe und Geschichten zu den Bauten präsentierten, wurden bei „Turn On<br />

Talk“ die Perspektiven von BauherrInnen fokussiert.<br />

Ein weiterer zusätzlicher Vermittlungsinhalt war das Zusammenwirken von<br />

Entwurfsidee mit den Produkten von Unternehmen, die an „Turn On“ als Sponsoren<br />

teilnahmen: „Turn On Partner“ am Vortag des eigentlichen Festivals wollte die Idee<br />

des Netzwerkes zwischen ArchitektInnen und Unternehmen bzw. Partnern<br />

intensivieren und verstärken. Der Kinderworkshop „Die bewegte Stadt“ fand wie in<br />

den Vorjahren statt und wurde wieder sehr gut angenommen. Die zeitliche<br />

Vorverschiebung um eine Stunde, mit der man den Kindern entgegenkommen wollte,<br />

bewährte sich gut.<br />

Das Programm am Freitag fand im ORF KulturCafe statt. Da diese<br />

spezifischen Vortragsthemen an ein Fachpublikum gerichtet waren, wurde<br />

angenommen, dass ein Raum mit einer Kapazität von maximal ca. 80 Personen<br />

ausreichend wäre. Trotz mancher Skepsis, dass der Raum zu klein sein würde<br />

(seitens der Vortragenden am Beginn des Nachmittags sowie des Geschäftsführers<br />

der Firma Nemetschek), hat die Größe genau gepasst. Der Vortragsraum war den<br />

ganzen Nachmittag gut besetzt bis leicht überfüllt. Der Rahmen hat sich auch für die<br />

Publikumsdiskussion, die an diesem Tag stattfand, gut bewährt. Der Große<br />

Sendesaal wäre dafür zu repräsentativ und ganz einfach auch zu groß gewesen.<br />

26


Die einzelnen Vorträge von „Turn On Partner“ waren in ihrer Art unterschiedlich<br />

und reichten von der gehobenen Produktpräsentation von Firmen, die die<br />

Veranstaltung sponserten, bis zu Fachvorträgen im engeren Sinn (Klaus Bollinger als<br />

Vertreter der Universität für angewandte Kunst Wien, Heinz Geza Ambrozy, dessen<br />

Vortrag von der Firma Isover unterstützt wurde). „Turn On Partner“ verband also<br />

durchaus erfolgreich die Idee, Sponsoren für die Gesamtveranstaltung zu<br />

akquirieren, indem man ihnen die Möglichkeit zur inhaltlichen Präsentation gab.<br />

Wobei festgestellt werden muss, dass einzig die Firma Nemetschek unter dieser<br />

Voraussetzung als Sponsor des Architekturfestivals auftrat. Doch die Idee von „Turn<br />

On Partner“ als Vermittlungsform erscheint der Organisatorin durchaus ausbaufähig,<br />

auch wenn dies einer besonderen kuratorischen Betreuung in unterschiedlicher<br />

Hinsicht bedarf, um die angestrebte Qualität zu erreichen.<br />

Das Programm von „Turn On“ am Samstag war – gemessen am überaus<br />

großen Publikumsinteresse, das alle bisherigen Veranstaltungen übertraf – ein<br />

besonderer Erfolg, was sich auch an zahlreichen Reaktionen via email ausdrückte.<br />

So schrieb die Vortragende Marlies Breuss von HOLODECK.at nach der<br />

Veranstaltung: „nochmals gratulation zum erfolg bei turn on. habe noch niemals<br />

soviele leute anstehen sehen bei einer architekturveranstaltung. das heisst schon<br />

viel!!“ Der Vortragende Rainer Köberl gratulierte, begleitend zur Honorarnote, dafür,<br />

dass solch ein Tag stattfindet und auch zum Ort als würdigen Rahmen. Zur Idee<br />

dieser Veranstaltung meinte er, in „der Architektur wäre das wohl ein städtebaulich<br />

prägender Eingriff in einer Stadt“, was als besonderes Lob gewertet wird.<br />

Neben zahlreichen mündlichen Gratulationen kam auch eine Rückmeldung<br />

von einer Mitarbeiterin des Graphik-Büros Perndl+Co: „wollte dir auch nochmals<br />

persönlich zum Erfolg des heurigen Turn on gratulieren. Ich war am Nachmittag mit<br />

meiner Familie dort und war ganz hin und weg von dem vollen Saal und den<br />

Schlangen vor dem Eingang. Meine Tochter war beim Kinder-Workshop und sehr<br />

schwer zum nach Hause gehen zu bewegen. Tolle Veranstaltung!“<br />

Der Große Sendesaal hat auch in diesem Jahr wieder einen adäquaten,<br />

schönen und auch bequemen Rahmen geboten, wobei hervorgehoben werden<br />

muss, dass die besondere Stimmung und Atmosphäre nur dadurch entsteht, dass<br />

der Saal gedrängt voll ist. Aufgrund der breiten Sitze und großen Abstände der<br />

Reihen wirkt es sonst leicht etwas leer. Der Rhythmus der Veranstaltung war wie im<br />

Vorjahr, statt der Pause fand heuer jedoch die Gesprächsrunde statt. Das war gut so,<br />

27


so riss die Veranstaltung nicht ab, dennoch nützten einige Leute im Publikum diesen<br />

Teil für eine Pause. Die „StararchitektInnen“ am Abend bewährten sich insofern gut,<br />

als der Saal von Anfang bis ganz ans Ende voll besetzt war (letztes Jahr reduzierte<br />

sich der überaus gute Besuch in den Abendstunden etwas, was auf die fehlenden<br />

Highlights am Abend zurückgeführt wird).<br />

Die bisherigen Erfahrungen zeigen außerdem, dass die professionelle<br />

Moderation für das Architekturfestival von entscheidender Bedeutung ist. Dass heuer<br />

wieder Barbara Rett gewonnen werden konnte, war also entscheidend. Michael<br />

Kerbler von Ö 1 war eine weitere gute Ergänzung, sodass das Team des heurigen<br />

Jahres (Kerbler-Rett-Ulama) insgesamt das professionellste der bisherigen drei<br />

Veranstaltungen war (im Vorjahr war Ines Mitterer enttäuschend).<br />

Der Erfolg der Veranstaltung wurde dort zum Problem, wo viele Interessierte<br />

aus Sicherheitsgründen nicht mehr in den Großen Sendesaal gelassen wurden. Die<br />

Rückmeldung eines Architekturstudenten via email: „Einerseits wollen Sie über ‚Turn<br />

On’ Architektur einer breiteren Öffentlichkeit näher bringen, sorgen aber nicht dafür,<br />

dass dies auch allen zugänglich ist. Frustriert stand eine Menschentraube vor dem<br />

Saal und wurde davon abgehalten, sich die Vorträge anzuhören, und nur eine<br />

Tonschaltung ins Foyer ist auch nicht die Lösung, da ja über Bilder ein Großteil der<br />

Inhalte vermittelt wurde.“ Da sich dieses Problem erst bei der diesjährigen<br />

Veranstaltung vehement zeigte, wird eine Bildübertragung für nächstes Mal auf jeden<br />

Fall ins Auge gefasst. Das Bild ist für die Übertragung aufgrund der Videoaufzeichnung<br />

bereits vorhanden. Ein anderer Vortragsort ist prinzipiell natürlich auch zu<br />

überlegen, doch das Angebot an Sälen, die alle Anforderungen erfüllen, fehlt. Zudem<br />

ist der Publikumsandrang nicht jedes Mal garantiert; ein nicht ganz gefüllter Saal soll<br />

jedoch eher vermieden werden.<br />

Die Vermittlung und ihre große Resonanz wurden auch von den Förderern der<br />

öffentlichen Hand unmittelbar erlebt und anerkannt. Hervorgehoben soll der Auftritt<br />

von Staatssekretär Franz Morak am Samstag. Im Vorjahr wurde durch den Vortrag<br />

des „Raumlabor Schule“, den Morak nach seiner Eröffnung mit Interesse hörte, eine<br />

direkte Förderung dieser Initiative an allgemein bildenden höheren Schulen in<br />

Salzburg durch das Bundeskanzleramt eingeleitet. Ebenfalls im Vorjahr erwähnte<br />

Morak bei seinem Auftritt sein besonderes Anliegen, das Thema Garten. Dass im<br />

Programm von „Turn On“ <strong>2005</strong> mit dem Vortrag Home Gardens auf seine Anregung<br />

reagiert wurde, bemerkte er im positiven Sinn. Die Idee eines produktiven<br />

28


Netzwerkes, die der Veranstaltung insgesamt zugrunde liegt, wird auch durch eine<br />

solche Vorgehensweise umgesetzt.<br />

3. Der aktuelle Stellenwert des geförderten Wohnbaus<br />

Generell kann festgestellt werden, dass der Wohnbau weiterhin ein brisantes Thema<br />

darstellt. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Situation nicht grundlegend geändert.<br />

Es entsteht höchstens der Eindruck, dass die Brisanz weiter zugenommen hat und<br />

dass sich die Heterogenität hinsichtlich architektonischer Gestaltung und Inhalt, von<br />

der bereits gesprochen wurde, weiter verstärkt hat. Die Pionierrolle hinsichtlich des<br />

sozialen Wohnbaus, die Wien in den Zwanzigerjahren eingenommen hat, kann auch<br />

für die Gegenwart konstatiert werden. Wien spielt also auch heute eine Vorreiterrolle,<br />

und zwar sowohl was die Quantität als auch was die Qualität betrifft. 35 Das Thema<br />

des sozialen Wohnbaus hat sich besonders in Wien in jüngster Zeit weiter gefestigt.<br />

Qualität im sozialen Wohnbau findet man aber auch in den Bundesländern.<br />

Dass dieser in Österreich eine besondere Rolle einnimmt, belegt unter<br />

anderem die UNECE-Konferenz, die vom 28.-30. November 2004 im Wiener<br />

Rathaus stattgefunden hat. Der etwas doppeldeutiger Leitsatz dieser Konferenz, die<br />

die politisch-organisatorischen aber auch ökonomischen Hintergründe bzw.<br />

Rahmenbedingungen auf internationaler Ebene präsentierte und diskutierte, lautete:<br />

„The future of social housing is considered to be crucial.“ 36 Im Rahmen dieser<br />

internationalen Konferenz war ein grundsätzliches Statement: „Der Soziale Wohnbau<br />

wird von der UNECE (United Nations Economic Commission for Europe) als<br />

Schlüsselfaktor für eine nachhaltige Stadtentwicklung gesehen.“ 37 Gerade im<br />

Rahmen der Wiener Stadtentwicklung wird dies bestätigt, nimmt doch der geförderte<br />

Wohnbau sowohl in der Donau-City als auch im neuen Zentrum am Wienerberg eine<br />

35 Dies untermauerte Dr. Wolfgang Förster, der die Stadt Wien/Stadtrat Werner Faymann bei der im Folgenden<br />

genannten UNECE-Konferenz vertrat, aufgrund seiner bisherigen internationalen Erfahrungen in einem<br />

Telefonat mit der Autorin im November 2004.<br />

36 Dieser Leitsatz war auf der Titelseite des Programmfolders abgedruckt.<br />

37 Auf der Website www.socialhousing2004.at der UNECE-Konferenz „Sozialer Wohnbau“, 28.-30. November,<br />

im Wiener Rathaus.<br />

29


zentrale Stelle ein. Eine qualitativ hochwertige Planung ist punktuell zu finden. Positiv<br />

hervorgehoben wurden im Zusammenhang des Architekturfestivals 2004 die City<br />

Lofts am Wienerberg von Delugan_Meissl. Der benachbarte Bau von Cuno<br />

Brullmann wurde dieses Jahr vorgestellt.<br />

Seitens des Stadtrates für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung in Wien,<br />

Werner Faymann, wird die Wohnbauförderung vehement verteidigt, und die<br />

Förderung ist nun für die nächsten vier Jahre weiter gesichert. 38 Faymann sieht die<br />

Notwendigkeit der Wohnbauförderung im Zusammenhang mit der generellen<br />

bauwirtschaftlichen und wohnungspolitischen Entwicklung. Zugleich wird von<br />

politischer Seite die architektonische Qualität gefördert, und es ist ein Zeichen dieser<br />

aufgeschlossenen Haltung, dass Wolf D. Prix als international prominenter Architekt<br />

Vorsitzender des Grundstücksbeirates des Wiener Bodenbereitstellungsfonds<br />

(WBSF) ist.<br />

Hervorgehoben werden soll weiters, dass im Rahmen der Projektentwicklung<br />

des WBSF im Vorjahr ein öffentliches Bauträgerauswahlverfahren mit<br />

JungarchitektInnen durchgeführt wurde, denn gerade junge Teams sind bei vielen<br />

Verfahren aufgrund mangelnder Referenzen benachteiligt. Im Rahmen eines<br />

öffentlichen Auswahlverfahrens für einen Wohnbau im zehnten Bezirk wurden –<br />

ebenfalls im Vorjahr – 35 BewerberInnen für die erste Bearbeitungsstufe ausgewählt<br />

bzw. eingeladen. Die Liste ist beinahe ein Who’s who der österreichischen<br />

Architekturszene. Die Qualitätssicherung im sozialen Wohnbau – eine der zentralen<br />

Aufgaben des WBSF – wird dadurch weiter vorangetrieben.<br />

Die Aktualität des Wohnbaus ist auch auf internationaler Ebene weiter zu<br />

verfolgen. Im Rahmen des Forschungsprojektes zum Architekturfestival „Turn On“<br />

2003 wurde bereits die Entwicklung in der Schweiz diskutiert, wo unter dem Titel<br />

„Stand der Dinge“ der Wohnbau regelmäßig präsentiert und diskutiert wird. Nach<br />

Zürich (2002) und Bern (2003) stand letztes Jahr Basel im Mittelpunkt. Der Titel<br />

lautete: „Stand der Dinge. Wohnen in Basel“ (2004). Die zugehörige Ausstellung in<br />

der Markthalle Basel wurde von Veranstaltungen mit den unterschiedlichsten<br />

Themen begleitet, die den Immobilienmarkt ebenso inkludierten wie den<br />

Architekturwettbewerb als Qualitätssicherung im Wohnungsbau. 39 Im Forschungs-<br />

38 Zum Thema „Wohnen in Wien. Wohnbauförderung nützt allen“ erschien im Oktober 2004 eine Promotionsbeilage<br />

in der Tageszeitung „Der Standard“. Ich beziehe mich im Weiteren auf ein Interview mit Werner<br />

Faymann in dieser Beilage.<br />

39 Vgl. weiters: www.logisbale.ch und www.arch.ethz.ch/wohnforum<br />

30


projekt zu „Turn On“ 2004 wurde bereits auf den Wettbewerb Ziegelmatte in Horgen<br />

am Zürichsee hingewiesen. Die Gemeinde machte den ungewöhnlichen Versuch, ein<br />

Grundstück samt Architekturentwurf, der aus diesem Wettbewerb resultierte, zu<br />

verkaufen. Insgesamt bietet sich die forcierte Entwicklung in der Schweiz nach wie<br />

vor als Vorbild und Vergleichsreferenz an.<br />

Eine besondere Entwicklung hat auch Ostdeutschland erfasst. Während hier<br />

einerseits Rückbau und Schrumpfung aktuelle Themen sind, entsteht zugleich ein<br />

neues Wohnquartier mit prominenter Architektenbesetzung in Weimar: das Projekt<br />

„Neues Bauen am Horn“. Neben der sinnvollen Nachnutzung bestehender<br />

Kasernengebäude ist das Etablieren der Stadt als Wohnort wichtigster Schwerpunkt,<br />

verkündet die Website. 40 An den Planungen ist auch der im Wohnbau erfahrene<br />

Wiener Architekt Adolf Krischanitz beteiligt. Es handelt sich um Musterplanungen für<br />

Häuser, an denen neben Krischanitz so prominente Architekten wie Peter Märkli aus<br />

Zürich, Hermann Czech aus Wien, Giorgio Grassi aus Mailand und Tony Fretton aus<br />

London beteiligt sind. 41 Das Projekt „Neues Bauen am Horn“ wurde von 2. Dezember<br />

2004 – 3. Feber <strong>2005</strong> im Architekturfoyer der ETH Zürich präsentiert, zur Eröffnung<br />

hielt Krischanitz einen Vortrag zu seinen spannenden Einzelhäusern.<br />

Musterhäuser sind also en vogue. Das Thema ist klassisch, beinahe<br />

traditionell, auch wenn prominente Architekten an den Planungen beteiligt sind. Das<br />

Thema der Wiener Werkbundsiedlung von 1932 waren ebenfalls Musterhäuser,<br />

deren Planung natürlich unterschiedlich motiviert war. Und in Wien entsteht derzeit<br />

eine weitere Mustersiedlung in Hadersdorf, womit sich der Bogen zum geförderten<br />

Wohnbau in der Bundeshauptstadt wieder schließt. Hinter diesem Projekt steht<br />

jedoch die Wirtschaft, genauer gesagt ein Konsortium von neun Firmen, wobei der<br />

Einsatz von Beton im Wohnbau das Thema ist.<br />

Die führende Figur ist hier einmal mehr Krischanitz, der acht Kollegen aus<br />

Österreich, Deutschland und der Schweiz einlud, Stadtvillen – also jeweils ein Haus<br />

mit drei bis fünf Wohnungen – zu planen. So gibt es denn auch personelle<br />

Überlappungen zum Projekt in Weimar. Es wurden zu Teilnahme ausschließlich<br />

männliche Kollegen der mittleren bis älteren Generation eingeladen (sic!). Doch es<br />

stellt sich die Frage, ob die Idee der Stadtvilla, auch wenn sie architektonisch<br />

40 Vgl. die Projektbeschreibung auf www.uni-weimar.de/horn<br />

41 Vgl. Ursula Seibold-Bultmann, Im Bauhaus-Terrain. Das städtebauliche Projekt „Neues Bauen am Horn“ in<br />

Weimar. In: Neue Züricher Zeitung, Int. Ausgabe, Nr. 261, 8. November 2004, S. 22; Lars-Christian Uhlig und<br />

Walter Stamm-Teske (Hg.), neues bauen am horn. Eine Mustersiedlung in Weimar. Weimar <strong>2005</strong>. Details zu<br />

den Musterplanungen außerdem unter www.uni-weimar.de/horn/download/Musterplanungen_horn.<strong>pdf</strong>.<br />

31


anspruchsvoll entworfen ist, heute noch eine zeitgemäße Idee sein kann. 42 Die<br />

Planungen spiegeln andererseits den Status quo der Entwicklung wider bzw. stellen<br />

sie bestimmte Haltungen im Rahmen der allgemeinen Entwicklung dar. Der bereits<br />

totgesagten Schweizer Kiste wohnt im Wohnungsbau noch einiges Potenzial inne,<br />

wurde anlässlich dieses Siedlungsprojektes konstatiert. 43<br />

Dass es auch Projekte auf der Ebene des Wohnbaus in ganz großem<br />

Maßstab gibt, beweist derzeit das Projekt mit dem groß angelegten Titel einer „Stadt<br />

für die Zukunft“, die den Namen SocióPolis trägt. Diese stellt einen ganzen Stadtteil<br />

dar und ist für die Peripherie von Valencia konzipiert. Es sollen Wohnbereiche für<br />

spezifische soziale Gruppen – soziale Randgruppen – geschaffen werden, die mit<br />

ergänzender Infrastruktur kombiniert sind. Auf den ersten Blick steht im Vordergrund,<br />

dass die einzelnen Entwürfe für die Wohnbauten von internationalen Größen wie<br />

Greg Lynn, Toyo Ito, MVRDV und Foreign Office Architects stammen, deren Projekte<br />

auffällige, höchste unterschiedliche skulpturale Formen repräsentieren und die als<br />

Einzelprojekte mehr oder weniger nebeneinander stehen. Das lang gestreckte<br />

Baugebiet wirkt formalistisch konzipiert, denn es ist fast durchgängig in vertikale<br />

Streifen geteilt, die den einzelnen Teams zugeordnet sind.<br />

Dem Projekt liegen jedoch ambitionierte inhaltliche Überlegungen zugrunde,<br />

die architekturimmanente Ansprüche übersteigen. Und so plädiert der Stadtrat für<br />

Regionalplanung und Wohnbau von Valencia für „die Entwicklung unkonventioneller<br />

Projekte, die unterschiedliche Merkmale miteinander vereinigen: die Qualität der<br />

Gebäude und Wohnungen zur erschwinglichen Preisen; die Schaffung von<br />

Stadtstrukturen, die das harmonische Zusammenleben der verschiedenen sozialen<br />

Schichten garantieren …“ 44 Doch es stellt sich immer die Frage nach der konkreten<br />

Auffüllung solcher begrüßenswerter Forderungen.<br />

Zumindest wurden soziale, städtebauliche und umweltrelevante Fragen als<br />

Prämissen formuliert. Man kann schließlich von einem sozial integrativen Ansatz in<br />

Verbindung mit engagierter, experimenteller Architektur sprechen, was durchaus neu<br />

ist. 45 Der Begriff des sozialen Wohnbaus wird bei diesem Beispiel also nicht bloß auf<br />

42 Kritische Fragen zu dieser Siedlung stellt auch Christian Kühn im Rahmen seines Textes Typen in getarnter<br />

Landschaft. 9 gleich 12: Eine Mustersiedlung in Hadersdorf. In: UmBau 19, S. 15-25.<br />

43 Vgl. Roman Hollenstein, Thema und Variationen. Wiener Wohnungsbau in Basel. In: Neue Zürcher Zeitung,<br />

4. April 2003. Zitiert nach: www.nextroom.at<br />

44 Rafael Blasco Castany, Eine Gelegenheit zur Innovation. In: SocióPolis. Projekt für eine Stadt der Zukunft.<br />

Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Architekturzentrum Wien vom 28.10.2004 – 31.1.<strong>2005</strong>. Barcelona<br />

2004, S. 5<br />

45 Vgl. das Vorwort von Dietmar Steiner in: SocióPolis, a.a.O., S. 10<br />

32


die Einhaltung eines Budgets bezogen, sondern er wurde ganz unmittelbar inhaltlich<br />

interpretiert. Die letztendliche Umsetzung der architektonischen Entwürfe sowie der<br />

umfassenden inhaltlichen Überlegungen bleibt die große Herausforderung und kann<br />

mit Spannung erwartet werden.<br />

Ein vergleichbares Projekt, was die Größenordnung betrifft, ist das bereits<br />

erwähnte Zentrum am Wienerberg, im Rahmen dessen bestimmte Wohnbauten<br />

bereits hervorgehoben wurden. Wenn in Österreich bzw. Wien der Wohnbau im<br />

Allgemeinen und der geförderte Wohnbau im Speziellen einen besonderen<br />

Stellenwert hat, so zeigt sich dies vor allem in der punktuellen Entwicklung von<br />

hochwertigen Projekten, mittels der in jüngster Zeit insbesondere unterentwickelte<br />

Stadtbezirke von Wien zunehmend aufgewertet wurden.<br />

Beispiele dafür gibt es schon viele, sodass das kostengünstige, architektonisch<br />

anspruchsvolle Wohnen in einem so genannten schlechten Bezirk beinahe<br />

schon zum Trend für ein aufgeschlossenes Publikum wird. Patricia Zacek stellte bei<br />

„Turn On“ 2003 ihren Wohnbau Siccardsburggasse vor, Geiswinkler & Geiswinkler<br />

präsentierten ihre Siedlung Am Hofgartel (diese liegt jedoch nicht in einem unterentwickelten,<br />

sondern einem neuen Stadtteil von Wien). Neben Walter Stelzhammer<br />

mit seinen Atriumhäusern in Atzgersdorf kann in diesem Zusammenhang auch das<br />

Team BEHF genannt werden, das jüngst mit dem Wohnbau Kollmayergasse<br />

ebenfalls einen Bau dieser Kategorie vollendet hat. Und all diese Bauten sind in ihrer<br />

Konzeption und Ästhetik höchst unterschiedlich.<br />

Um bei den Vortragenden von „Turn On“ zu bleiben: ARTEC Architekten<br />

stellten in jüngster Zeit mehrere besonders anspruchsvolle Bauten fertig, darunter<br />

auch zwei geförderte Wohnbauten: das Wohnhaus Alxingergasse (2004) im zehnten<br />

Bezirk und das Wohnhaus Am Hundsturm (2004) im fünften Bezirk von Wien. Mit<br />

dem zweiten Projekt setzten die Architekten ihre Auseinandersetzung mit den<br />

Betonfertigteilen der Firma Mischek fort und extrahierten in asketischer Art aus dieser<br />

Prämisse die Ästhetik des Baus. Der Wohnbau in Favoriten fällt zunächst durch<br />

seine Titanzinkblechfassade auf. Doch der Bau ist auch räumlich durchkomponiert<br />

und setzt sich aus unterschiedlichen kleineren Volumina zusammen. Die<br />

Ausführungsqualität ist für den sozialen Wohnbau außergewöhnlich, und anlässlich<br />

dieses Baus wird außerdem festgestellt, Favoriten würde sich zu einem<br />

Architekturparcours entwickeln. Ambitionierte soziale Wohnbauten ersetzen mehr<br />

33


und mehr baufällige Häuser im Gründerzeitraster. 46<br />

4. Zusammenfassung der neuen Erkenntnisse<br />

Das Architekturfestival „Turn On“ versteht sich als alljährlicher Zeitschnitt durch die<br />

aktuelle Szene Österreichs und will deren hohes Potenzial aufzeigen. Im Sinne einer<br />

Metareflexion stellt sich dabei die Frage: Was kann das Festival hinsichtlich der<br />

Definition österreichischer Gegenwartsarchitektur leisten? Gibt es eine gemeinsame<br />

Identität innerhalb dieser Szene oder ist diese letztlich so vielfältig wie die<br />

österreichische Landschaften oder auch die Mentalitäten unseres Landes, die<br />

zwischen dem äußersten Westen und dem Osten stark differieren, sodass eine<br />

Suche nach einer übergreifenden Identität müßig ist?<br />

Das Programm von „Turn On“ ist einfach strukturiert. Im Halbstundenrhythmus<br />

werden von den ArchitektInnen bereits fertig gestellte Bauten präsentiert, zunächst<br />

Wohnbauten, dann bunt gemischte Bauaufgaben. Doch das Programm, das ganz<br />

einfach konsumiert werden kann (und das Publikumsinteresse ist dabei auffällig<br />

groß), beruht auf einer impliziten Programmatik: der kritischen Auswahl der<br />

ArchitektInnen bzw. Bauten und der breit gestreuten Architekturansätze und<br />

Bauaufgaben. Das Lob des kreativen Potenzials im eigenen Land ist natürlich noch<br />

immer so etwas wie ein Sakrileg, doch es ist in anderen Ländern wie der Schweiz<br />

durchaus üblich. Die österreichischen Filmschaffenden haben bereits seit einigen<br />

Jahren ihr großes Festival.<br />

Was kann nun unter österreichischer „Qualitätsarchitektur“ – ein Begriff, den<br />

Gerald Bast als Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien und damit als<br />

Vertreter des Veranstalters von „Turn On“ bei seinen diesjährigen Ansprachen<br />

verwendete – verstanden werden? Was zeichnet diese aus? Eine Antwort darauf<br />

lautet: die eigenständige Weiterentwicklung und Umsetzung aktueller Tendenzen, die<br />

46 Vgl. dazu: Isabella Marboe, Feinfacettierte Wohnjuwel in Favoriten. In: Der Standard, 29. Jänner <strong>2005</strong>. Zitiert<br />

nach: www.nextroom.at.<br />

Zur besonderen Aktualität des sozialen Wohnbaus vgl. weiters: Wojciech Czaja, Nichts als städtische Poesie. In:<br />

Die Presse/Spectrum, 16. Oktober 2004. Zitiert nach: www.nextroom.at.<br />

34


in der Tradition des Minimalismus einerseits und des Dekonstruktivismus<br />

andererseits stehen. Hinzu kommt die zeitgemäße Interpretation von traditionellen<br />

Bauformen und Konstruktionsmethoden. So kann mit Fug und Recht behauptet<br />

werden, dass die österreichische Architektur heute so vielfältig ist wie in kaum einem<br />

anderen Land. Vielfalt bedeutet dabei nicht Beliebigkeit, sondern kann präzise<br />

benannt und eingeordnet werden. Die Vielfalt fächert sich in ihrer ganzen Breite auf,<br />

wenn einzelne Bauten im Detail betrachtet werden.<br />

Wenn man vor einigen Jahren noch die Entwicklungen mit Kategorisierungen<br />

wie „Grazer Schule“ und „Vorarlberger Baukünstler“ fassen wollte, so gehören diese<br />

heute der Vergangenheit an. Im Sinne einer allgemeinen Einordnung kann man<br />

heute unter anderem von Komplexität, also Vielschichtigkeit, auf der einen Seite und<br />

Präzision und Direktheit auf der anderen sprechen. Beides kann als Ausdruck einer<br />

kulturellen Haltung, auch einer Mentalität, verstanden werden. In diesem Sinne ist die<br />

Präzision eher im Westen, die Vielschichtigkeit eher im Osten zu finden. Komplexität<br />

und Vielschichtigkeit könnten auch als Barockes apostrophiert werden, und diesen<br />

Begriff brachte Wolf D. Prix erst letztes Jahr im Rahmen einer Ausstellung in<br />

Mürzzuschlag wieder ins Spiel. Prix formulierte in diesem Zusammenhang aber auch<br />

eine zentrale These, nämlich dass es um die gemeinsame Lust der ArchitektInnen,<br />

den Raum zu zelebrieren, ginge.<br />

Die österreichische Qualitätsarchitektur kann – wie das Programm des<br />

diesjährigen Architekturfestivals belegt – nicht auf einen gemeinsamen Nenner<br />

reduziert werden, aber sie lässt sich durch gemeinsame benennbare Charakteristika<br />

beschreiben. Die Vielfalt der Architekturhaltungen wird durch die Vielfalt der<br />

Bauaufgaben ergänzt, innerhalb derer der geförderte Wohnbau eine zunehmend<br />

wichtige, bereits heute herausragende Rolle einnimmt. Das Architekturpotenzial in<br />

Österreich – und außerhalb Österreichs durch im Ausland tätige Architekten – ist also<br />

besonders hoch, zugleich ist es noch lange nicht ausgeschöpft. Durch gezielte<br />

Initiativen wäre es möglich, den internationalen Ruf zu stärken und unwiderruflich zu<br />

etablieren.<br />

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