Online ნახვა - The European Library
Online ნახვა - The European Library
Online ნახვა - The European Library
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die Wasserheilanstalt<br />
am<br />
Giessbach. im Berner Oberland<br />
Balneologische Studie<br />
für<br />
Aerzte xi n cl Gurgäste<br />
von<br />
Dr. med. IC. Wagner. Curarzt<br />
(von 1861 bis 1882 Curarzt in Aibisbrunn)<br />
_«2{ö -<br />
* *<br />
Selbstverlag von Gebr. Hauser am Giessbach<br />
(Sf£
Hotel, Pension & Wasserheilanstalt Giessbach am Brienzersee (Schweiz).
Die Wasserheilanstalt<br />
am<br />
Griessbach im Berner Oberland<br />
Balneologische Studie<br />
für<br />
Aerzte "and Curgäste<br />
von<br />
Dr. med. K. Wagner, Curarzt<br />
(von 1861 bis 1882 Curarzt in Albisbrunn)<br />
(V-<br />
m s - j n<br />
Selbstverlag von Gebr. Hauser am Giessbach
Stämpfli'sche Buchdruckerei in Bern.
Vorwort<br />
Vollkommen Reconvalescent aus einer peinvollen, fast fünf<br />
Jahre dauernden, zeitweilig hofinunglosen Krankheit (Meningitis<br />
spinalis, ascendens, traumatica), welche den Uebergang der<br />
Anstalt Albisbrunn in fremde Hände und damit auch meine<br />
Ausscheidung aus der bisherigen Wirkungssphäre veranlasste,<br />
glaubte ich dem lebhaften Gefühle des Glückes und der Dankbarkeit<br />
beim Wiedereintritte in den Kreis schaffender und<br />
ringender Berufsgenossen nicht besser Ausdruck geben zu<br />
können, als durch die Veröffentlichung dieser Blätter.<br />
Ich übergebe meine balneologische Studie über den Giessbach<br />
vor Allem meinen verehrten Studiengenossen, Collegen<br />
und Freunden, die mich während meiner langen, schweren<br />
Prüfungszeit mit ihrer <strong>The</strong>ilnahme niemals verlassen; ebenso<br />
den mir persönlich bekannten, zahlreichen Fachmännern und<br />
«last, not least» meinen früheren und zukünftigen Curgästen.<br />
Es sollen diese Blätter vor Allem ein klares Bild geben von<br />
meinem neuen Wirkungskreise; allein ich hoffe, dass sie ein<br />
ganz Kleines mehr bieten, als ein gewöhnlicher Prospectus.
In vorliegender Studie habe ich auch versucht, meine<br />
wissenschaftliche Stellung und mein Programm in der Specialität<br />
der Hydrotherapie, der ich die Thätigkeit von 20 Lebensjahren<br />
geweiht, zu characterisiren, und wenn ich damit nur etwelches<br />
Zutrauen zur neuen Wasserheilanstalt am Giessbach und deren<br />
Leitung beim ärztlichen Stande und beim leidenden Publicum<br />
mir erringe, so ist der Zweck dieser kleinen Arbeit erreicht!<br />
Giessbach, im Juni 1886.<br />
Dr. med. R. Wagner,<br />
Curarzt.
Erster Tlieil.<br />
Der Gfessbach.<br />
Seite<br />
I. Topographie und Climatologie 7<br />
II. Giessbachfälle 10<br />
HI. Hötel und Pensionshaus 16<br />
IV. Die Wasserheilanstalt 22
Den 4 Giessbach..<br />
i.<br />
Topographie und Climatologie.<br />
Im Berner Oberlande, diesem ersehnten und gepriesenen<br />
Traumgebiet eines jeden Touristen, ist der Giessbach am Brienzersee<br />
wohl eine der grossartigsten Naturschönheiten. Am oberen<br />
Ende des Sees, 2300 Meter vom Einfluss der Aare entfernt,<br />
am südlichen Ufer, dem reizenden Brienz gegenüber, fällt eine<br />
schäumende, schneeweisse Wassermasse, aus einer engenSchlucht<br />
zwischen Schweibenfluh und Giessbachfluh, mehr als tausend<br />
Fuss hoch über dem Niveau des Sees, sich hervordrängend, in<br />
gewaltigen Sätzen durch dunkelgrünen Tannwald donnernd in<br />
den stillen See. Das ist der Giessbach.<br />
Sein Quellgebiet umfasst ungefähr eine geographische<br />
Quadratmeile und wird begrenzt im Süden durch die schroffen<br />
Wände des Faulhorn (2683 M.), der Simelwan'g (2620 M.), des<br />
Mittaghorn (2625 M.) und des Schwarzhorn (2930 M.). Nach Osten<br />
schliessen Wildgerst (2875 M.) und Axalphorn (2327 M.), nach<br />
Westen Schwabhorn (2376 M.) und Bättenalpburg (2133 M.) die<br />
Wasserzufuhr zum Giessbach ab. Vergleicht man die relativ ganz<br />
bedeutende Höhe dieser das Quellgebiet umschliessenden Wände,<br />
an denen der kleine Hagelsee (21x6 M.), der Hexensee (2476M.)
8<br />
und der Blaugletscher am Schwarzhorn gleichsam die Reservoirs<br />
bilden, mit dem Niveau des Brienzersees (566 M.), so erscheint<br />
sowohl die in der Sommersaison kaum sich mindernde Wassermasse<br />
des Giessbaches, wie auch die elementare Gewalt, mit der<br />
seine Fluthen im engen Felsenrinnsal diese Höhendifferenz von<br />
2364 Meter auf einer Strecke von 7 Kilometer (Luftlinie) durchtoben,<br />
leicht erklärlich.<br />
Die climatologischen Verhältnisse am Oberlaufe des Giessbaches<br />
sind, der bedeutenden Höhenanlage entsprechend, selbstverständlich<br />
diejenigen des Hochgebirges.<br />
Die grossen Alpen Bättenalp und Axalp, von den riesigen,<br />
zum grossen <strong>The</strong>il bewaldeten, schroffen Hängen der vorgenannten<br />
Berge umschlossen, durchweiche die verschiedenen Adern des<br />
Giessbaches in tief ausgefressenen Felsschlünden rauschen, lassen<br />
an grossartiger Gebirgseinsamkeit wenig zu wünschen übrig.<br />
Wo die Wasser sich zu den letzten verzweifelten Sprüngen<br />
durch die Felsklemme zwischen Schweibenfluh und Giessbachfluh<br />
durchzwängen, fallt die Bergwand, überall von mächtigem<br />
Tannforst bekleidet, schroff zum Brienzersee hinab. In der<br />
Mitte des jähen Absturzes, am rechten oder östlichen Ufer der<br />
Fälle, zieht sich als terrassenförmige Stufe ein kleines Wiesenthal,<br />
«Engi» genannt, am Waldhange hin durch eine schroffe,<br />
bewaldete Fluh (der Rauft, 759 M.), die unmittelbar aus dem<br />
Brienzersee aufsteigt, gegen Norden geschützt. Dieses Wiesenthälchen,<br />
von Wald und Berg fast ganz umschlossen, bildet den<br />
eigentlichen Mittelpunkt vorliegender balneologischer Studie,<br />
denn in demselben befinden sich die Curetablissemente «zum<br />
Giessbach».<br />
•<br />
Das Clima von Interlaken ist in ärztlichen Kreisen bekannt<br />
und berühmt. Rossbach sagt in seiner «Uebersieht der
climatischen Curorte » *): «Interlaken (568 M.), warm und doch<br />
nie schwül, in paradiesisch schöner Lage zwischen beiden Seen,<br />
ist einer der besten Luftcurorte der Welt.» Am gleichen Orte<br />
heisst es: c Eine Viertelstunde bergauf vom Brienzersee, 720 M.<br />
über dem Meere, am Giessbach, d. i. sieben übereinanderliegenden,<br />
durch waldbewachsene Felsen 900 Fuss hoch herabstürzen-,<br />
den Wasserfällen, liegt das Giessbachhotel in windgeschützter,<br />
luftfeuchter Lage, eines der besten Schweizerhotels. ><br />
Durch seine Lage geschützt vor den über die beiden Seen<br />
streichender! West- und Ostwinden, durch die unmittelbare<br />
Nähe der harzduftenden Tannwälder und die absolute Staubfreiheit<br />
kann sich der Giessbach-selbst noch eines climatischen<br />
Vorzuges vor dem mit Recht hochgepriesenen Interlaken rühmen.<br />
Mit diesem Orte theilt er aber den für einen Curplatz so schwer<br />
wiegenden Vortheil einer äusserst bequemen und raschen Erreichbarkeit.<br />
Zugangslinien.<br />
Die Eisenbahnlinie Bern-Thun, die Fahrt über den herrlichen<br />
Thunersee, die Bödeli-Bahn durch Interlakens reizendes<br />
Gefilde, die Dampfbootfahrt über den Brienzersee und schliesslich<br />
die kurze, hochinteressante Drahtseilbahn führen den Besucher<br />
in raschem Fluge, in nimmer ermüdender Abwechslung,<br />
bis auf die Terrasse des Giessbachhotels. Umständlicher, aber<br />
durch ihre landschaftlichen Reize weltberühmt, sind die beiden<br />
andern Zugangslinien: von Luzern über den Brünig, oder über<br />
die Grimsel, hinunter durch's Haslithal nach Brienz.<br />
9<br />
*) «Lehrbuch der physicalischen Heilmethoden» von Dr. M. J. Rossbach,<br />
Professor in Würzburg. Berlin 1882, pag. 89.
II.<br />
Die Giessbach-Fälle.<br />
Künstler von hohem Rufe, wie ein Meuron, Lory, Diday,<br />
versuchten am Giessbache das Naturwunder seiner Wasserstürze<br />
auf ihre Leinwand hinzuzaubern. Mit Worten allein ein<br />
lebendiges Bild eines solchen Schauspiels zu geben, ist wohl<br />
eine noch schwierigere Aufgabe, und ich beschränke mich<br />
darauf, im engen Rahmen dieser Studie einige Skizzen zu<br />
reproduciren, welche Berlepsch in seiner Brochure: < Der Giesbach<br />
und seine Umgebungen, 1876»-geliefert<br />
< Der Giessbach zeichnet sich vor anderen Cascaden durch<br />
die Höhe und Schlankheit seiner Fälle, durch die Verschiedenartigkeit<br />
derselben unter einander, durch seinen constanten<br />
Wasserreichthum, durch das scheinbar Abgeschiedene seiner<br />
Lage bei der ausserordentlich bequemen Weise, ihn zu erreichen,<br />
und durch die Pracht seiner Einrahmung aus. Kein einziger<br />
Wasserfall in den Alpen vereint auf so erhabene und so vollendete<br />
Art alle jene Vorzüge des Giessbaches. Droben bei der<br />
Schlucht, die noch keines Menschen Fuss betrat, stürzen von<br />
der obersten Brücke die" Wassermassen 985 Schweizerfuss<br />
(296 Meter) bis zum Niveau des Brienzersees hinab. Man kann<br />
also rechnen, däss die ganze Fallhöhe über tausend Fuss erreicht^<br />
eine Summe, welche den Staubbach überholt Ueber<br />
diese seltene Höhe, welche man mit einem Blicke übersehen<br />
kann, stürzt der Giessbach nicht als geschlossener Körper,<br />
herab, sondern er bekommt durch das Vielgliedrige seiner<br />
wahrhaften Kernformen, durch die Eckvorsprünge seiner Strebe-
Der Schleierfall.
12<br />
massen und durch die Detail-Anordnung seines Aufbaues erst<br />
eine Gesammtwirkung, man möchte sagen eine rhythmische<br />
Einheit, deren wunderbaren Effect treffend zu schildern junsere<br />
Sprache. zu arm ist. Eine jede der einzelnen über einander<br />
sich aufbauenden Sturzgruppirungen weicht, schon für das nur<br />
oberflächlich betrachtende Auge, so auffallend von dem Uebrigeri.<br />
ab, dass der Besuch des ganzen Giessbach bis zur obersten<br />
Brücke fast ein unerlässliches Gebot ist.<br />
«Der unterste, vom Hotel aus sichtbare Fall ist ohne<br />
Weiteres der "graziöseste; er fasst die Massen, welche droben<br />
unbändig wild toben, wie ein guter Redner die einzelnen <strong>The</strong>ile<br />
seines Vortrages am Schlüsse desselben, in Ruhe zusammen,<br />
und insinuirt dem Publicum gleichsam mit dem Hute in der<br />
Hand: «So sieht ein wohlgeordneter Wasserfall aus».<br />
« Schon anders gestaltet sich, namentlich von der ersten<br />
Brücke aus gesehen, der zweite Sturz; der hat bereits einen<br />
eigenen Kopf. Der vehemente Niederprall aus der Höhe und<br />
der im Sturzbecken sogleich empört wieder aufkochende Schaumballen<br />
lässt auf den ersten Blick erkennen, dass man es hier<br />
mit einem ungefügeren Gesellen zu thun hat. Aber die bildende<br />
Hand im Schöpfungs- und Umgestaltungsprocesse der<br />
Natur schlug dem Bruder Ungestüm gleichsam ein Schnippchen,<br />
indem sie hinter dem Wassersturz die Felswand nach Innen<br />
einzog und dadurch einen Gang passirbar machte, so dass<br />
man bei nicht allzu mächtigem Wasserstand trocken und<br />
sicher hinter dem Fall hinweggehen und denselben von der<br />
innern Seite betrachten kann, gewiss ein Schauspiel seltenster<br />
Art Man könnte ihn desshalb den Schleierfall oder den Wasserfall<br />
der Gallerte nennen. Er gab auch die Veranlassung zu<br />
den Illuminationen.
13<br />
«Nun steigern und überbieten<br />
sich aber die Fälle,<br />
wie man eine Etage nach der<br />
andern am Giessbach hinauf<br />
klimmt. Immer abenteuerlicher,<br />
immer seltsamer wird<br />
das grossartige Schauspiel, bis<br />
man den zweitobersten Fall,<br />
der vom Hotel aus kaum<br />
sichtbar ist, erreicht. Das ist<br />
der wildeste, unbändigste,<br />
zugleich höchste, dessen circa<br />
160 Fuss tiefer Sturztrichter<br />
vollkommen rund, von den<br />
unablässig peitschenden Wellen<br />
hohl ausgenagt ist. Heidi,<br />
ist das ein Leben! Seine Fallkraft<br />
erzeugt solch' einen fortwährenden<br />
Sturm unmittelbar<br />
über dem weissen Gischt der<br />
Wellen, dass dieselben theils<br />
wie vom tobendsten Orkan<br />
getragen durch die Lüfte entfliehen,<br />
theils wie Wasser-<br />
Raketen die Felsen anschiessen;<br />
es ist bei vollem Wasserstande,<br />
wenn der Giessbach<br />
hoch geht, ein wildschöner<br />
Anblick, dämonisch zum Mithinabsturz<br />
anregend. Steigt<br />
man endlich zum letzterreich-<br />
Der oberste Giessbachfall.
14<br />
baren Fall an, wo die letzte Beleuchtungshütte steht, so führt<br />
der am Felsen hinlaufende Weg zu einem fest gezimmerten<br />
Stege, der den Ausblick nach Unten (dem Hotel) und den<br />
Einblick Oben, in die schwarze, schaurige Schlucht, aus<br />
welcher der Giessbach hervorkommt, gestattet. Man kann<br />
jedoch in der Regel auf der Brücke sich nicht aufhalten, weil<br />
ein Nebel-Regen aus der unbekannten Felsengasse, oft mit<br />
Sturmeswucht hervorschiessend, den auf der Brücke Weilenden<br />
verscheucht.<br />
«Was dann endlich dem Giessbach noch den höchsten<br />
Reiz verleiht, ist die urgesunde, Winter wie Sommer sich gleich<br />
bleibende, immergrüne Umwaldung, die ihn wie einen Liebling<br />
umfängt. Gerade dadurch, dass es fast durchaus Tannenforst<br />
ist, welcher seine Ufer bis hinauf zur Schweibenfluh und darüber<br />
hinaus bekleidet, erhält das Bild bei aller Bewegung dennoch<br />
einen Grad von Ruhe und Behaglichkeit, der, je länger<br />
man es betrachtet, desto sympathischer wirkt. Dessen ungeachtet<br />
ist diese Einrahmung für den Freund der Natur keineswegs<br />
stets die gleiche; Beleuchtung und Tageszeit und deren<br />
Metamorphosen wirken gerade hier, in diesem abgeschlossenen<br />
Waldcircus, wahre Wunder.»<br />
Wenn wir die Reize und Herrlichkeiten des sonnenbeschienenen<br />
Giessbach auf den letzten Seiten anzudeuten versuchten,<br />
so sei es uns schliesslich noch erlaubt, des «künstlich<br />
beleuchteten» Giessbach, der Illumination desselben, zu<br />
gedenken. Als in den Dreissigerjahren der alte Schulmeister<br />
Kehrli den Wasserfall zum ersten Male künstlich beleuchtete,<br />
indem er hinter dem zweiten Fall einen Haufen Reisigholz<br />
anzündete und dadurch einen unerwartet eigenthümlichen Effect<br />
erzielte, hatte wohl noch Niemand eine Ahnung davon, dass die
Illumination der Wasserfälle, wie dieselbe heutzutage während der<br />
Saison allabendlich stattfindet, sich einen Weltruf verschaffen und<br />
den Giessbach auch «bei Nacht» zu einem gewaltigen Anziehungspunkte<br />
gestalten würde. So einfach auch diese Beleuchtung ist,<br />
indem 15 bengalische Flammen, gleichzeitig entzündet, ihr<br />
Licht auf den Wasserfall werfen, so wunderbar ist doch der<br />
Effect, den die gegenwärtige, das Erreichbar-Mögliche bietende<br />
Illumination hervorbringt<br />
15
III.<br />
Hotel, Pensionshaus und Anlagen.<br />
Im vorhergehenden Abschnitt gönnte ich der poetischen,<br />
farbenreichen Schilderung Berlepsch's Raum, um einen Begriff<br />
von dem ausserordentlichen Reize der Giessbachfälle zu geben,<br />
eine Idee von der Naturschönheit, welcher die Fremden-<br />
Etablissemente am Giessbach ihre Entstehung und ihren Aufschwung<br />
verdanken.<br />
Der gewandte Schilderer unseres schönen Schweizerlandes<br />
{dem ich hier zum letzten Mal das Wort lasse) äussert sich<br />
weiter: «Ist's Wirklichkeit oder Traum, was vor des Wanderers<br />
Blicken steht und }hn wunderbar anmuthet ? Ein Park-Gedanke<br />
grössten Stils entrollt sich hier, ein verkörpertes Bild, das<br />
Seinesgleichen in Europa sucht. Majestätisch, gebieterisch<br />
fordert der Giessbach den ersten Tribut der Aufmerksamkeit;<br />
die Natur-Souveränetät wirkt hier so mächtig ergreifend, dass<br />
Alles rund umher zurücktritt. Und doch verlangt der Gegensatz<br />
von Menschenhand, das palastähnliche Steingebäude, das<br />
träumerisch im Hintergrunde ungemein anmuthende Pensionshaus,<br />
die fröhlichen Chalets und die weichen, sorgfältig unterhaltenen<br />
Kieswege und des Gärtners Kunst in Mitte des Waldes<br />
so unerschrocken und bestimmt das jedem gebührende Mass<br />
von Anerkennung, dass der Reisende von Verständniss im<br />
ersten Augenblicke völlig übernommen dasteht.<br />
c Wer hat dieses Zaubergebilde erschaffen ? wessen Hand<br />
hat Natur und Kunst so verständnissvoll geeint, dass beide<br />
«inander nur ergänzend hier auftreten? Und welche Zeit war<br />
nöthig, aus dem chaotischen Durcheinander ein Naturschau-
spiel durchfühlend, die Gedanken schöpferisch also zu ordnen,<br />
dass dieses vollendete Ganze sich entfaltete?»<br />
Gewiss wird auch der nüchternste Verstand in der Entstehungsgeschichte<br />
der Etablissemente am Giessbach den<br />
schlagenden Beweis finden : dass auch" eine Naturschönheit<br />
ersten Ranges der energischen und genialen Wirksamkeit des<br />
Menschen bedarf, um sich rasch und im vollsten Umfange<br />
dem grossen Publikum zur , Geltung zu bringen.<br />
Zu Anfang dieses Jahrhunderts waren die Giessbachfälle<br />
wohl nur einigen Fischern und Hirten bekannt; doch preist<br />
sie schon 1809 Ebel in der dritten Auflage seiner «Anleitung<br />
die Schweiz zu bereisen >r" Vor 50 Jahren erst erlangte<br />
der Brienzer Schulmeister Kehr Ii von der Regierung; die<br />
Ermächtigung, in seiner schindelnbedeckten Hütte am Giessbach<br />
allfällig einkehrende Wanderer aufzunehmen und zu bewirthen.<br />
Bis zum Jahre 1854 führte daselbst der alte Schulmonarch<br />
mit seinen Söhnen eine ,Sommerwirthschaft im allerprimitivsten<br />
Stile. Sein einfacher, treuherziger Charakter machte<br />
den originellen sangeskundigen Papä Kehrli beliebt und bekannt,<br />
Nach seinem Tode ging der Giessbach 1854 in die<br />
Hände der Gebrüder von Rappard- aus Berlin über. Der Weg<br />
vom See bis hinauf zur Engi wurde neu angelegt; es entstanden<br />
unter-dem Kunstgärtner und nachherigen Verwalter<br />
Schmidlin die ersten Anlagen; sowie im Jahre 1855 bis" .1856<br />
ein Pensionsgeb äuäe, der Grundstock des heutigen Pensionshauses.-Dann<br />
erwarb 1858 die Aktiengesellschaft der Dampfschiffahrt*<br />
auf dem Brienzersee den Besitz des Giessbaches,<br />
dessen Besuch sich nun rasch steigerte. Bis 1865 war unter<br />
Schmidlin's Verwaltung das Pensionshaus zur Aufnahme von<br />
125 Gästen erweitert worden.<br />
2<br />
17
Das älteste Haus am Giessbach.
Den richtigen Aufschwung nahm die Frequenz des Giessbaches<br />
aber erst durch die energische Initiative der Gebrüder<br />
Hauser, welche mit 1870 Eigenthümer desselben geworden<br />
und auf den steil in den See abfallenden Felsen einen geschmackvollen<br />
stolzen Hötelbau aufführten. Von 1873 bis<br />
1875 wurde derselbe vollendet, ein Fremdenpalast mit allen<br />
Hülfsmitteln der Technik, mit allem Comfort ausgestattet, einen<br />
Pavillonbau in der Mitte, fünfstöckig, die Hauptfront von 17<br />
Fenstern, mit Eckthürmen flankirt. Auf eine nähere Beschreibung<br />
des grossen Hotels am Giessbach (125 Herrschaftsbetten)<br />
trete ich hier nicht näher ein, sein Ruf ist weit verbreitet und,<br />
im Bilde wenigstens, ist es wohl überall bekannt. Doch war<br />
das Dasein dieses prächtigen Baues in seiner ursprünglichen<br />
Form ein gar kurzes. Neun Jahre nach seiner Vollendung<br />
brach Feuer aus, das grosse Hotel am Giessbach, eine Zierde<br />
des Berner Oberlandes, ward den Flammen zum Raube und<br />
brannte bis auf den Grund nieder. Dies war am 4. Oktober<br />
1883, und i n der Mitte Juli 1884 war das Giessbachhotel, mit<br />
wenigen Aenderungen des frühern Planes, mit Installation<br />
elektrischer Beleuchtung in allen Räumen, wieder vollständig<br />
soweit neu aufgebaut und eingerichtet, dass die Fremden ohne<br />
Unterbrechung einer einzigen Saison darin Aufnahme finden<br />
konnten. Gewiss ein sprechender Beleg für die Umsicht, Energie<br />
und Leistungsfähigkeit der gegenwärtigen Besitzer des.Giessbaches.<br />
Einen wohlthuenden, eigentlich ergänzenden Gegensatz<br />
zum grossen Hotel bietet das Pensionshaus am Giessbach in<br />
Allem: in seiner Entwicklungsgeschichte, seinem Charakter<br />
und seiner Lage. Das Eine ist aus einem Gusse, in pompöser<br />
Gestalt und Grösse, aus dem Kopfe des Architekten ent-<br />
19
20<br />
Sprüngen, als lebhafter, imponirender Tummelplatz für den<br />
grossen Touristenstrom, trotzig und kühn auf den äussersten<br />
Felsen, angesichts der donnernden Wasserfalle hingezaubert,<br />
hat in • der kurzen Zeit seines Bestehens schon das tragische<br />
Geschick der Zerstörung durch Feuersgewalt, sowie die verblüffend<br />
rasche Wiedererstehung aus dem Schutte durchgemacht<br />
Das Andere bildete sich vor 30 Jahren aus einem<br />
bescheidenen doch wohlplanirten Pensionsgebäude (mit Raum<br />
für blos 60 Gäste) auf grünem Wiesenplane, inmitten des<br />
majestätischen Naturparkes; idyllisch, in wohlthuender Ruhe,<br />
abseits vom Gewimmel der zu- und abgehenden Touristen und<br />
ausser Hörweite der ewig brausenden Wasserstürze.<br />
Das Pensionshaus am Giessbaeh hat sich allmälig, dem<br />
Bedürfnisse entsprechend, doch auch zu einem ganz stattlichen<br />
Bau von 15 Fenstern Front und vier Stockwerken Höhe herangebildet<br />
Längs der ersten Etage läuft der mit wildem Wein<br />
bewachsene, breite Balkon, der vor dem Parterre eine Veranda<br />
bildet<br />
'•<br />
Das Hotel ist mit dem Pensionshause durch eine 280<br />
Schritte lange, im Foresto-rustico-Stil erbaute, gedeckte Wandelbahn<br />
verbunden, so dass man jederzeit trockenen Fusses von<br />
einem Gebäude zum andern gelangen kann. An diesen gedeckten<br />
Gang lehnen sich an: das grosse Holzschnitzereien-<br />
Magazin von Kehrli's Nachkommen, sowie das Chalet, zur<br />
Wohnung des Curarztes bestimmt<br />
Während die Masse des Hotels, als Endziel der vom<br />
Landungsplatze der Dämpfschiffe zum Giessbaeh hinanfiihrenden<br />
Drahseilbahn, gleichsam. die überwältigende Haupt- und Eingangspforte<br />
darstellt, bildet das reizend idyllisch gelegene<br />
Pensionshaus mehr den Centraipunkt der auf dem rechten
21<br />
Das Chalet,<br />
Ufer des Giessbachs gelegenen riesigen Parkanlagen. Ueber<br />
diese in ihrer Art einzigen Anlagen werde ich im zweiten<br />
<strong>The</strong>ile meiner Studie (siehe Bewegungskuren pag. 45) ausführlichere<br />
Beschreibung geben.
* '<br />
IV.<br />
Die Wasserheilanstalt am Giessbach.<br />
Wenn man die (im I. Abschnitte pag. 8) geschilderten,<br />
ganz ausgezeichneten climatologischen Verhältnisse der Gegend<br />
am Giessbache, die wunderbare Naturschönheit und die äusserst<br />
bequeme Zugänglichkeit des Platzes in Betracht zieht, so muss<br />
es nur auffallend erscheinen, dass derselbe nicht längst schon<br />
zu einein Qnrorte für die leidende und erholungsbedürftige<br />
Me«schhe
23<br />
Das Pensionshaus und die Wasserheilanstalt.<br />
Clienten zur Sommerfrische immer mehr in's eigentliche Hochgebirge,<br />
und «Terraincurort» ist ja das neueste balneologische<br />
Schlagwort. Betrachten wir die Höhenlage der namhaften<br />
Wasserheilanstalten der Schweiz, so notirenwir: Champel 375,<br />
Mammern 407, Brestenberg 441, Buchenthal 500, Weid 590,<br />
Albisbrunn 645, Schönbrunn 698 und endlich Schöneck 705<br />
Meter über Meer. In die Reihe tritt nun auch die Wasserheilanstalt<br />
Giessbach mit einer Höhenlage von 720 Meter (der<br />
Rauftpavillon in den Anlagen liegt 759 Meter über Meer).<br />
Im Herbste 1885 traten die Gebr. Hauser in Beziehung mit<br />
Dr. JZ. Wagner, der vom Jahre 1861 bis 1881, zuerst an der
24<br />
Seite seines Schwiegervaters Dr. Brunner (des Nestors de<br />
Hydrotherapie in der Schweiz, gestorben 1885 auf einer Reis<br />
zu Florenz, 80 Jahre alt) als Assistent, dann seit 1871 al<br />
dirigirender Arzt in Albisbrunn sich bethätigt. Nach den meh<br />
als 20 jährigen practischen Erfahrungen dieses Specialisten wurd<<br />
genau nach seinen Detailplänen bis zum Frühjahre 1886 ein«<br />
Installation I. Banges für Hydrotherapie im Pensionshaui<br />
am Giessbach eingerichtet. Die nothwendigen Bedingunger<br />
dazu waren sämmtlich in den möglichst günstigen Verhältnissen<br />
gegeben.<br />
Ungefähr auf mittlerer Höhe der Schweibenfluh, im dichten,<br />
dunkeln Tannforst, am linken Giessbachufer, entspringen reichliche<br />
Quellen des reinsten, schönsten Trinkwassers, die schon<br />
nach dem Baue des grossen Hotels gefasst und bei der Brücke<br />
quer über den Giessbach nach den Trinkwasser-Reservoirs<br />
geleitet wurden. Für die neu errichtete Wasserheilanstalt ist<br />
nun ein eigenes Reservoir gebaut worden, das. ebenfalls durch<br />
diese Trinkwasserquellen gespeist wird. Ebenso vorzüglich<br />
und zweckentsprechend waren die Räumlichkeiten, die zur<br />
Installation der sämmtlichen Badeeinrichtungen zur Verfügung<br />
gestellt wurden.<br />
Der ganze Parterre-Raum des Pensionshauses (s. pag. 23)<br />
ist zu Curzwecken in Beschlag genommen (mit Ausnahme der<br />
beiden Kellerräumlichkeiten). Vollständig zu ebener Erde gelegen,<br />
nirgends vertieft, durch hohe, von der grünumrankten<br />
Veranda beschattete Fenster erleuchtet, aus . zwölf, theilweise<br />
sehr geräumigen Badezimmern und Säälen (nicht blossen<br />
Cabineten) bestehend, macht die ganze Einrichtung einen<br />
harmonischen, behaglichen, äusserst einladenden Eindruck.<br />
Durch den Haupteingang an der Front des Pensionsgebäudes,
in der Mitte der Veranda, gelangt man in den breiten Corridor,<br />
der nun auch das Vestibüle für die Curräume bildet. Links<br />
liegt der Operationssaal des Curarztes mit den Einrichtungen<br />
für Electrotherapie etc. (siehe pag. 37); daran schliesst sich, mit<br />
einer Glasthüre vom Vestibüle aus, die Abtheilung der Damenbäder.<br />
Die ganze rechte Seite, ebenfalls durch eine Glasthüre<br />
für sich abgeschlossen, bildet die Herren-Abtheilung. Beide<br />
Abtheilungen bilden in Bezug auf Einrichtung und Apparate<br />
ein für sich abgerundetes, vollständiges Ganzes.<br />
Die Corridore, sowie die Baderäume sind durch eine vorzügliche<br />
Warmwasserheizung fiir die Perioden des Vorfrühlings<br />
und Spätherbstes zu erwärmen. Ueberall Gasbeleuchtung,<br />
electrische Klingelzüge, Telephonverbindung mit dem Cabinet<br />
des Arztes und dem Büreau des Hotels. Die Räume für den<br />
Warmwasserkessel, der grosse Tröckneraum für die Badwäsche<br />
etc. befinden sich im hintern <strong>The</strong>ile des Gebäudes.<br />
Vor Allem aber suchte man bei der Installation der neuen<br />
Wasserheilanstalt am Giessbach die Cardinalbedingungen zum<br />
richtigen Betriebe eines jeden hydropathischen Apparates sicher<br />
zu stellen — Bedingungen, die bei gar vielen Etablissements<br />
dieser Art, oft aus mehr oder weniger zwingenden Gründen,<br />
unerfüllt geblieben. Es wurde am Giessbach die Leitung sowohl<br />
des kalten wie des warmen Wassers, zu jedem einzelnen<br />
Apparat, aus ganz genau derselben Höhe, mit genau demselben<br />
Röhrencaliber und Verlaufe der Leitung, also unter absolut<br />
identischen Druckverhältnissen, hingezogen. Nur unter solchen<br />
Bedingungen ist es möglich, dass die Temperatur des zu verwendenden<br />
Wassers am Mischhahnen eines jeden Apparates<br />
(mit <strong>The</strong>rmometer) beliebig graduirt werden kann, und während<br />
der Application auch constant bleibt.<br />
25
26<br />
Im Uebrigen wurde bei der Einrichtung jeder Luxus<br />
vermieden, dagegen Nichts unterlassen, um die Wasserheilanstalt<br />
am Giessbach zu einer Installation I. Ranges, allen Anforderungen<br />
der Neuzeit in wissenschaftlicher und technischer Beziehung<br />
entsprechend, jeden Ansprüchen an Comfort genügend, zu<br />
gestalten.
Zweiter Tlteil.<br />
Seite<br />
Cur - Methoden.<br />
A. Hydrotherapie 29<br />
B. Electrotherapie 37<br />
C. Diät- und Bewegungscuren, Gymnastik und<br />
Massage 41<br />
Anhang: Winke für Curgäste . . . 54
Zweiter T h. e i 1.<br />
Cur-Methoden,<br />
A. Hydrotherapie.<br />
Unter den «physicalischen Heilmethoden» nimmt die<br />
Hydrotherapie zur Zeit unbestreitbar den ersten Rang ein,<br />
sowohl in Beziehung ihrer Anwendbarkeit in der grössten<br />
Zahl acuter und chronischer Krankheiten, wie auch hinsichtlich<br />
der Häufigkeit und Vielseitigkeit ihrer thatsächlichen Anwendung.<br />
Doch ist ihre Stellung in der Wissenschaft immerhin<br />
noch eine erst frisch errungene und nur durch ernstliche vorurtheilslose<br />
Arbeit in dieser Specialität immer fester zu begründende.<br />
Von der empirischen Irrlehre der Anpreisung des<br />
«kalten Wassers» als Universalheilmittel ist man schon längst<br />
abgekommen. Auf den positiven Ergebnissen streng wissenschaftlicher<br />
Forschungen der Physiologie allein fussend, hat<br />
man die Anwendung des Wassers in verschiedensten Temperaturen<br />
und Applicationsformen nach physiologischen Gesetzen<br />
und zu ganz bestimmten physiologischen Zwecken experimentell<br />
und klinisch studirt. In ausgezeichneten wissenschaftlichen<br />
Arbeiten (ihre specielle Anfuhrung würde den engen Rahmen<br />
dieser Studie weit überschreiten, und ich beschränke mich<br />
darauf, nur auf das Literaturverzeichniss und die Entwicklungs-
So<br />
geschichte der «Hydrotherapie» von Winternitz, Ziemssen's<br />
Allgem. <strong>The</strong>rapie, II. Band, 3. <strong>The</strong>il, zu verweisen) wurde der<br />
durch Solche Applicationen erreichbare physiologische Einfluss<br />
auf Wärmebildung, Wärmeregulirung, Innervation,. Athmung,<br />
Circulation, Ausscheidung und Stoffwechsel festgestellt. Aus<br />
den Anfängen rohen Empirismus hat sich die Wasserheilkunde<br />
zur « <strong>The</strong>rmotherapie» der Neuzeit emporgerungen, und wir<br />
finden heutzutage in den Werken über specielle <strong>The</strong>rapie<br />
wenige chronische Erkankungen, bei welchen nicht eine<br />
«rationelle Wassercur» als Behandlungsweise indicirt würde.<br />
In vorzüglicher Weise bezeichnet Prof. W. Winternitz 1. c.<br />
den heutigen Standpunkt der Hydrotherapie mit folgenden<br />
Worten: «Was die Medicin des 19. Jahrhunderts erstrebte,<br />
nachdem sie aus der verzweifelnden Periode der absoluten<br />
Skepsis erwacht war, practisches, prophylactisches und therapeutisches<br />
Wirken, das auf den Ergebnissen theoretischer<br />
Forschung in seiper ganzen Breite ruht, und also dem practischen<br />
Arzte die Sicherheit, deren sich der Physiker oder Chemiker<br />
rühmt, zu verleihen mag — die Hydrotherapie ist auf dem<br />
Wege, es zu erreichen. Die Behandlung der acuten fieberhaften<br />
Krankheiten, namentlich des Typhus, der acuten Exantheme,<br />
igt gegenwärtig in den grossen Krankenhäusern Deutschlands<br />
von den Grundsätzen der wissenschaftlichen Hydrotherapie<br />
geleitet.<br />
«Die grossen Erfolge des Kaltwasserverfahrens in. chronischen<br />
Lokal- und Allgemeinerkrankungen, namentlich in<br />
Stoßwechselstörungen, zu leugnen, fallt gegenwärtig wohl keinem<br />
Arzte mehr ein, und ihre rationelle Begründung wird nicht<br />
bezweifelt. Wenn trotzdem die Anwendung des hydriatischen<br />
Heilverfahrens beinahe ausschliesslich auf die allerdings zahl-
! reichen und zum grossen <strong>The</strong>ile wissenschaftlich geleiteten<br />
hydriatischen Institute beschränkt bleibt, so können wir dies<br />
nur dadurch erklären, dass eben die Kenntniss der speciellen<br />
hydriatischen Methodik an Verbreitung unter den Aerzten noch<br />
Vieles zu erstreben hat»<br />
Wer fühlte und begriffe wohl die Berechtigung dieser<br />
letztern Klage lebhafter als der Hydrotherapeute vom Fach,<br />
der sich bewusst geworden, wie es eben der ernsten Arbeit<br />
eines ganzen Lebens bedarf, bis man sich in dieser Specialität<br />
etwas gewandt und sicher fühlt, und der tagtäglich beobachten<br />
kann: wie sinnlos und oft gar unheilvoll dies zweischneidige<br />
Schwert, die Hydrotherapie, von unbefugten und unerfahrenen<br />
Händen geführt wird!<br />
Am verbreitetsten und wissenschaftlich am genauesten<br />
fundirt, ist die Anwendung der Hydrotherapie als antipyretisches<br />
Heilverfahren in acuten Krankheiten; doch fällt hier, der<br />
Natur der Sache entsprechend, dieses Capitel ausserhalb unserer<br />
näheren Betrachtung. In den Wasserheilanstalten kommen wohl<br />
meistens nur die chronischen Erkrankungen zur Behandlung<br />
und es lässt sich ungezwungen und practisch (wenn auch<br />
vielleicht nicht unbedingt wissenschaftlich) das meist combinirte<br />
hydriatische Heilverfahren — wie ich dies in früheren Publicationen<br />
gethan — in drei verschiedene Hauptgruppen abtheilen.<br />
1. Hydriatische Applicationen mit tonisirender, stärkender,<br />
abhärtender Wirkung.<br />
2. Die Anwendung des Wassers zu beruhigenden, schmerzstillenden,<br />
sedativen physiologischen Zwecken, und<br />
3. Curverfahren zur Erzielung eines ableitenden, umstimmenden<br />
oder auflösenden physiologischen Einflusses.<br />
3 1
32<br />
Der Eingeweihte wird auf den ersten Blick ersehen, dass<br />
diese Gruppirung blos eine teleologische, d. h. eine auf den<br />
physiologischen Endzweck der hydriatischen Prozeduren und<br />
nicht auf ihren Constanten absoluten therapeutischen Werthen<br />
basirte Eintheiliing ist. Der therapeutische Werth jeder<br />
hydriatischen Application kann einzig und allein durch ihre<br />
thermische, physicalische Einwirkung auf das Nervensystem<br />
und damit erst indirect auf bestimmte physiologische Vorgänge<br />
im gesunden oder kranken Körper realisirt werden. Die nervöse<br />
Erregbarkeit für thermische Reize ist aber individuell höchst<br />
verschieden Und es kann darum eine im gegebenen Falle noch<br />
beruhigende und schmerzstillende Anwendungsform bei einem<br />
anderen Patienten schon erregend, reizend, wirken.<br />
Es ist daher gewiss die Hauptaufgabe des Hydrotherapeuten,<br />
dass er, genau bekannt mit der gewöhnlichen Wirkungsweise<br />
jeder Procedur, absolut in der Technik geübt, nach eingehendster<br />
persönlicher Untersuchung und Constatirung der<br />
individuellen Reizempfänglichkeit in jedem Einzelfalle eine<br />
combinirte Wassercur vom Gesichtspunkte eines ganz bestimmten,<br />
bewussten physiologischen Endsieles aus verordnen und dirigiren<br />
soll. Ich glaube hiemit von unseren Specialisten nicht mehr<br />
und nicht weniger zu erwarten, als was die Wissenschaft<br />
heutzutage von jedem leistungsfähigen Arzte fordert<br />
Nach der angeführten Gruppirung der hauptsächlichen<br />
Behandlungsmethoden stellen sich die<br />
Indicationen<br />
für die verschiedenen Krankheitsformen, wie folgt: ,<br />
i) Dietonisirenden, abhärtenden Wassercurenempfehlen sich:
ei Ansemie, Chlorose, allgemeiner Schwäche,<br />
Constitutionsanomalien überhaupt, Ueberanstrengung;<br />
bei localer Uebermüdung, Schwäche oder Lähmung<br />
(Schwäche des uropoetischen Systems, Spermatorrhce,<br />
Impotenz, Amenorrhoe etc.);<br />
bei sehr empfindlichem Hautorgan (Neigung zu<br />
Erkältung, chronischen Catarrhen, drohender Phtisis).<br />
2) Beruhigende, schmerzstillende, sedative Methoden kommen<br />
zur Anwendung:<br />
bei der grossen Zahl localer, wie allgemeiner<br />
Reizungszusfände: Neuralgien, Neurasthenien, Neurosen.<br />
Herzklopfen, Basedowsche Krankheit, Schlaflosigkeit,<br />
Veitstanz, Hysterie und Hypochondrie etc.;<br />
. bei beginnenden Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten,<br />
Ataxie, Myelitis, Sclerose, Tabes, Halblähmungen<br />
etc.<br />
3) Wassercuren zur Erzielung einer ableitenden, umstimmenden<br />
und auflösenden physiologischen Wirkung sind von<br />
bewährtem Erfolge:<br />
bei den sogen. Diathesen, Scrophulose, Gicht,<br />
. Rheumatismus, Syphilis, Malaria etc.;<br />
bei Exudationsresten seröser Häute, Pleuritis, Peritonitis,<br />
Gelenkhydrops;<br />
bei Hyperämien, Stallungen und Anschoppungen<br />
der Leber, Milz, Gebärmutter, Ovarien etc.;<br />
bei Magen- und Darmcatarrhen, chronische Dyssenterie,<br />
habitueller Constipation.<br />
Die ordinirenden und Hausärzte werden sich übrigens<br />
bei der Bestimmung ihrer Patienten an die in Extenso gegebenen<br />
Indicationen halten, wie sie in den vorzüglichen Specialwerken<br />
3<br />
33
34<br />
über Hydrotherapie sich finden. Die specielle Entwerfung und<br />
Durchführung des Curplanes im Einzelfalle werden sie beruhigt<br />
dem Fachmanne anheimstellen.<br />
Ich beschränke mich hier darauf, die hauptsächlichsten<br />
hydriatischen Operationen ohne nähere Beschreibung anzuführen,<br />
mit gelegentlichen Bemerkungen, die sich auf deren<br />
besondere Anwendungsweise und die zugehörigen Apparate<br />
in der Wasserheilanstalt am Giessbach beziehen.<br />
Die 'örtlichen, beschränkten Wasseranwendungen wie die<br />
ganze Gruppe der Umschläge, Binden, localen Bäder,<br />
Bähungen etc., die schon von Priessnitz in blos empirischer<br />
Weise viel kultivirt wurden, sind eine Zeit lang fast ganz<br />
ausser Curs gekommen; werden auch heute noch in Frankreich<br />
und Italien fast gänzlich vernachlässigt. Ich halte es<br />
aber für ein ganz besonderes Verdienst der Wienerschule<br />
(besonders Winternitz), dass sie diese bescheidene und doch<br />
so hochwichtige Gruppe localer hydriatischer Applicationen<br />
wieder in wissenschaftlicher Weise mehr zu Ehren gezogen<br />
hat. Auch am Giessbach wird dieser Gruppe eine ganz besondere<br />
Aufmerksamkeit gewidmet werden.<br />
Waschungen in den verschiedensten Temperaturen werden<br />
gewöhnlich zur Einführung in die Wassercur, besonders auch<br />
zur Bestimmung der individuellen Reizempfindlichkeit angewendet.<br />
Bei sehr empfindlichen Individuen, besonders Kindern,<br />
werden diese Waschungen auch Anfangs in den Zimmern,<br />
unmittelbar beim Verlassen des Bettes vorgenommen. Seit<br />
einer langen Reihe von Jahren ist es speciell mein Bestreben<br />
gewesen, die allerverzärteltsten, empfindlichsten Patienten in<br />
absolut schonender Weise in die Cur einzuführen und bis zur<br />
kräftig abhärtenden Anwendung kalter Abreibungen, Douchen<br />
oder Vollbäder zu bringen.
Was ich von den Waschungen und Umschlägen gesagt,<br />
gilt auch für die Anwendung der nassen und trockenen Abreibungen,<br />
sowie der trockenen und der nassen Einpackungen<br />
(Wickel). Auch diese Proceduren können da, wo es der Curarzt<br />
verordnet, im eigenen Zimmer, respective im Bette, des<br />
Patienten vorgenommen werden. Ich lege auf diesen Umstand<br />
einen besonderen Nachdruck: weil ich es fiir wichtig erachte,<br />
wenn bei anämischen, empfindlichen Curanten, besonders im<br />
Anfange, die Proceduren unmittelbar aus der Bettwärme stattfinden.<br />
Für complicirte Wickelungscuren, Trockenwickel etc.<br />
sind in vier verschiedenen Baderäumen eigene Lager installirt,<br />
von denen aus der Gewickelte direct in die verschiedenen Vollbäder<br />
oder Douchen gebracht wird.<br />
Für die Vollbäder, Wannenbäder, Halbbäder in jeder<br />
beliebigen Temperatur, combinirbar mit Douchen der verschiedensteil<br />
Art und stets beliebig und genau bestimmbarer<br />
Temperatur, sind in den zwölf Baderäumen der Wasserheilanstalt<br />
am Giessbach die vorzüglichsten Einrichtungen und<br />
Apparate der Neuzeit installirt.<br />
Im Hauptdouchensaal, sowohl der Damen- wie der Herrenabtheilung,<br />
ist eine grosse Piscine • (Vollbad) aus gemalten<br />
Fayence-Kacheln angebracht. Die verschiedensten Wannenbäder,<br />
ebenfalls aus Fayence, Emailwannen und Holzwannen<br />
für Halbbäder, vervollständigen den hydriatischen Apparatus.<br />
Was sodann die Apparate zu den sogen. Schwitzcuren<br />
anbelangt, so geht meine Ansicht dahin, dass hier das Princip<br />
der Arbeitstheilung practischer ist. Die grossartigen Einrichtungen<br />
von russischen Dampfbädern und von römisch-irischen<br />
(Trockenluft) Bädern passen wohl ganz ausgezeichnet für<br />
grössere Städte, wo sie besonders während der Wintersaison<br />
35
36<br />
einen unbestreitbaren, durch nichts Anderes zu ersetzenden<br />
Nutzen bieten. In einer Wasserheilanstalt mit der herrlichsten<br />
Gelegenheit zu Terrain- und Bewegungscuren, die nur über<br />
die Sommersaison geöfinet ist, sind solche Installationen weder<br />
nothwendig noch practisch oder rentabel. Eigentliche Schwitzcuren<br />
sind oft unter zwanzig Fällen höchstens einmal indicirt,<br />
und wo dies der Fall ist, wird dieser Zweck am Giessbach<br />
theils durch die Trockenwickel, das Lampenschwitzbad<br />
(lampbath der Engländer) oder durch die Rikli schzn. nach<br />
Prof. Quinke verbesserten Apparate erzielt.<br />
In ganz besonders sorgfältiger, zweckmässiger Weise sind<br />
die Apparate zur örtlichen Behandlung von Frauenkrankheiten<br />
und Sexualleiden hergestellt worden. Fliessende Sitzbäder,<br />
aufsteigende und Vaginaldouchen, Irrigationsapparate,<br />
Psychophor etc., sämmtliche mit genau controlirbarer, beliebiger<br />
Wassertemperatur.<br />
Das Badepersonal wird vom Curarzt auf's Genaueste<br />
instruirt und aufs Strengste überwacht; ich werde mit Badewärtern,<br />
die sich theilweise schon während 20 Jahren unter<br />
meiner persönlichen Leitung befanden, arbeiten.
37<br />
B. Electrotherapie.<br />
Wenn die Electrotherapie, diese wissenschaftlich wohl am<br />
Exactesten studirte und am Genauesten fixirte physicalische Heilmethode,<br />
in einer Wasserheilanstalt erst in zweiter Linie zur<br />
Geltung kommt, so liegt dies eben nur in der Natur der Verhältnisse<br />
und es gilt in dieser Beziehung wohl auch zum<br />
grössten <strong>The</strong>ile das im vorangehenden Abschnitt von den<br />
russischen Dampfbädern und römisch-irischen Bädern Gesagte.<br />
Ihre verbreitetste Anwendungsweise findet diese Disciplin in<br />
der Behandlung localer Leiden. Tüchtige Specialisten unternehmen<br />
an jedem grösseren Orte solche electrische Curen zu<br />
jeder Jahreszeit, und wenn endlich die schöne Jahreszeit herangerückt<br />
und der Patient, frei vom drückenden Berufsjoche,<br />
nach einem climatischen Curorte oder einer Wasserheilanstalt<br />
geschickt werden kann, so wünscht sein Arzt wohl eher, dass<br />
Derselbe eine allgemeine Erholungs- und Kräftigungscur durchmache,<br />
als seine Zeit zu electrischen Sitzungen verwende.<br />
In manchen Fällen ist aber doch noch eine Fortsetzung<br />
der electrischen Localbehandlung erwünscht und geboten;<br />
zudem ist oft zur Stellung einer exacten Diagnose eine gründliche<br />
electrische Untersuchung unabweisbares Bedürfniss.<br />
Am Giessbach finden sich darum auch zweckentsprechende<br />
ganz netie Apparate, aus einer der namhaftesten Fabriken<br />
Deutschlands, zur Anwendung des constanten, wie des faradischen<br />
electrischen Stromes.
38<br />
Eine weit grössere Bedeutung wird sich aber in den Curanstalten<br />
dieser Art jene Form allgemeiner Electrisation erringen,<br />
wie sie uns in der neuen Einrichtung der<br />
Hydro-eleetrisch.en Bäder<br />
gegeben ist. (Nicht zu verwechseln mit dem einfachen «Electrisiren<br />
im Bade».)<br />
Zur genaueren Orientirung über diese wichtige und vielversprechende<br />
Anwendungsweise der Electricität muss ich auf<br />
die zwei bedeutendsten Publicationen über diese Novität verweisen.<br />
*)<br />
Nur zum Verständnisse der Benennung der verschiedenen<br />
Formen dieser Bäder mögen folgende flüchtige Notizen dienen.<br />
Hydro-electrisches Bad wird im Allgemeinen jene Anwendungsform<br />
der Electricität genannt, bei welcher durch<br />
Versenkung grosser metallener Electrodenplatten in die Zwischenwände<br />
einer Wanne aus schlecht leitendem Material (Holzwanne)<br />
die ganze den Körper des Badenden umspülende Badeflüssigkeit<br />
in den Strombezirk electrischer Apparate eingeschlossen<br />
werden kann. Geschieht dieser Ketten- oder Stromschluss<br />
dadurch, dass nur der eine Pol in die Badeflüssigkeit<br />
versenkt, oder mit derselben verbunden wird, während der<br />
andere Pol beliebig auf einen ausserhalb der Badeflüssigkeit<br />
befindlichen Körpertheil des Badenden aufgesetzt wird, oder<br />
der Badende einfach die befeuchtete, umwickelte, stabformige<br />
Electrode des zweiten Poles mit den Händen umfasst, so nennt<br />
man dies ein unipolares oder monopolares hydro-electrisches<br />
*) Die Hydro-electrischen Bäder von Prof. A. Eulenburg, 1883. Die Hydroelectrischen<br />
Bäder und ihre ' physiologische und therapeutische Wirkung von<br />
Dr. G. Lehr, 1885.
Bad. In dieser Anwendungsform sind die sämmtlichen electrischen<br />
Stromschlingen gezwungen, ihren Weg von einem Pole<br />
zum andern durch den Körper des Badenden zu nehmen.<br />
Werden beide Pole in die Badeflüssigkeit eingetaucht, so<br />
4°<br />
bares, viel Erfolg versprechendes Behandlungsgebiet weist E.<br />
den electrischen Bädern vor Allem * die Constitution eilen Krankheitsformen<br />
», namentlich Ernährungsstörungen und Schwächezustände<br />
des Nervensystems zu und betont in erster Reihe<br />
Nervosismus und Neurasthenie in ihren verschiedenen Formen<br />
(Kopfdruck, Asthenie des Gehirns, Cerebral- und Spinalirritation,<br />
nervöse Dispepsie u. s. w.), als Hypochondrie und Hysterie<br />
collectivisch bezeichnete diffuse oder allgemeine Neuropathien.<br />
In vorzüglicher Weise wirken die electrischen Bäder auch<br />
zur Hebung der gesammten Ernährung, des Kräftezustandes<br />
und der Widerstandsfähigkeit des Organismus, zur Besserung<br />
des Schlafes, zur Regulirung der Herzthätigkeit, der Blutbewegung<br />
u. s. w.
4i<br />
C. Diät- und Bewegungscuren. Entfettungscuren.<br />
Gymnastik und Massage.<br />
Auf den ersten Blick mag es wohl befremdend erscheinen,<br />
wenn ich in ihrer Natur so heterogene Curmethoden in einem<br />
und demselben Abschnitte zur Sprache bringen will; allein es<br />
erschien mir dies eben einfach practisch, weil die einzelnen<br />
dieser Disciplinen gar so oft mit den übrigen in combinirte<br />
Anwendung gezogen werden.<br />
1. Diätetische Curen.<br />
Seit der Entwicklung der allerersten Wasserheilanstalt in<br />
Grafenberg bis in unsere Tage hat sich mit dem Begriffe einer<br />
solchen Anstalt auch immer, mehr oder weniger ausgeprägt,<br />
die Idee einer ganz besondern Cur-Diät verbunden, und hat<br />
sich der Tisch in diesen Anstalten, auch wieder mit mehr oder<br />
weniger Recht, zu einem Object des Schreckens für manche<br />
Gäste und der oft caustischen Kritik für die Aerzte gestaltet.<br />
Es ist dieses Capitel jedenfalls eines der dunkelsten und<br />
schwächsten in der Entwicklungsgeschichte der Wasserheilanstalten,<br />
und ich beschränke mich hier darauf, so kurz und<br />
bündig als möglich meine Ansichten und Grundsätze in dieser<br />
Beziehung klar zu legen, ganz unbekümmert darum, ob ich<br />
damit vor dem Forum der «eigentlichen, richtigen» Wasserärzte<br />
als Häretiker erscheine.
42<br />
Zur Wassercur als solcher gehört durchaus keine derselben<br />
eigens beigemessene, durch dieselbe absolut bedingte<br />
oder geforderte Cur-Diät. Nach den Grundsätzen der Physiologie<br />
und allgemeinen <strong>The</strong>rapie sind bei Vornahme einer Cur,<br />
die in so lebhafter Weise und nach allen Richtungen den<br />
Stoffwechsel befördert, vor Allem die Anforderungen an den<br />
Cur-Tisch zu stellen, dass derselbe recht vorzüglich gut und<br />
reichlich, aber auch einfach und leicht verdaulich sei. Als<br />
Auswüchse einer längst überlebten Schablone möchte ich es<br />
aber bezeichnen, wenn man ohne Unterschied in einer Wasserheilanstalt<br />
z. B. für alle Curgäste als erstes Frühstück eine<br />
Hafergrützensuppe oder Milch und Butter, und für's Nachtessen<br />
Milchspeise mit gekochtem Obste als obligatorisch erklärt.<br />
Jede Uebertreibung, jede Uniformität ist gewiss auch hier vom<br />
Bösen, und vorurtheilslose Beobachtung und stets individualisirende<br />
Behandlung allein empfehlenswerth. In unseren Tagen<br />
lässt sich doch gewiss die früher aufgestellte Behauptung nicht<br />
mehr festhalten, dass der richtige Erfolg einer Wassercur in<br />
Frage gestellt werde, wenn der Curgast (vielleicht ein anämischer)<br />
zu Tische regelmässig ein Gläschen Rothwein trinkt,<br />
oder wenn zum Braten eine Spur Tafelsenf, oder zum Nachtisch<br />
ein kleines Stück Käse genossen würde.<br />
Man wolle mich aber vor Allem hierin nicht missverstehen!<br />
Nichts liegt mir ferner als die Behauptung, dass die Diät bei<br />
Wassercuren etwas Gleichgültiges oder Bedeutungsloses sei!<br />
Im Gegentheile halte ich hier, wie bei jeder rationellen Behandlungsmethode,<br />
die allereingehendste, sorgfältigste Ueberwachung<br />
und Regulirung der Diät im Einzelfalle für äusserst<br />
wichtig und meine Opposition richtet sich nur gegen schablonenhafte<br />
Uniformität und unwissenschaftliche Einseitigkeit und
Uebertreibung in diätetischer Beziehung. Nach diesen nur im<br />
Allgemeinen geäusserten Grundsätzen wird man begreifen, dass<br />
ich in der Wasserheilanstalt am Giessbach mein Augenmerk<br />
weniger auf eine uniform otcroirte Cur-Diät, als vielmehr auf<br />
eine streng wissenschaftlich, dem Einzelfalle angepasste, Diät-<br />
Cur zu richten gedenke.<br />
Die diätetischen Curen haben überhaupt in der Neuzeit<br />
eine weit grössere Bedeutung gerade durch ihre auf physiologische<br />
Untersuchungsreihen basirte wissenschaftliche Entwicklung<br />
erhalten. Bei der Behandlung chronischer Magenund<br />
Darmkrankheiten, sowie bei vielen sog. constitutionellen<br />
Erkrankungen bildet ja geradezu die genaue Durchführung<br />
einer diätetischen Cur die Hauptsache. Enthaltung von allen<br />
Reizmitteln in jeder Form, Vermeidung Amylum- und Fettstoffe<br />
enthaltender Nahrungsmittel, Beschränkung auf fast ausschliesslich<br />
vegetabilische Kost, absolute Milchdiät u. s. w., das<br />
sind, ganz flüchtig erwähnt, einzelne Formen diätetischer Curmethoden,<br />
die, in ihrer Wirkung wieder äusserst verschieden,<br />
auch nur in verschiedenen, ganz bestimmten Krankheitsfällen<br />
zur Anwendung kommen können.<br />
Einer eingehenderen Erörterung bedarf die diätetische<br />
Cur nach den Principien von Prof. Oertel in München (auch<br />
Schweninger-Cur genannt).<br />
Als im Mai 1884 das Oertel'sche Werk*) erschien, als<br />
III. Band von Ziemssen's allgemeiner <strong>The</strong>rapie, erregte dasselbe<br />
in den wissenschaftlichen Kreisen berechtigtes Aufsehen.<br />
Wie aber erst der grösste jetzt lebende Staatsmann, nach<br />
43<br />
*) Handbuch der allgemeinen <strong>The</strong>rapie der Kreislaufstörungen etc., von<br />
Prof. Dr. M. J. Oertel. Dritte Auflage. 1886.
44<br />
Oertel'schen Principien behandelt, wieder zu ungeahnter frischer<br />
Kraft und Leistungsfähigkeit gekommen, da feierte diese Curmethode<br />
einen Triumph und errang sich augenblicklich rasch<br />
die grösste Popularität. Allein gerade dieser letztern gegenüber<br />
gilt es auch hier wieder klaren, vorurtheilslosen Blick und<br />
ruhig Blut zu behalten.<br />
Oertel's Schrift führte eine Curmethode in die Wissenschaft<br />
ein, nach welcher, eines <strong>The</strong>ils durch Beschränkung der Wasserzufuhr<br />
und besondere Regelung der Diät, anderen <strong>The</strong>ils durch<br />
Vermehrung der natürlichen Wasserausscheidungen durch Haut,<br />
Lungen und Nieren, sowie durch methodische energische Bewegungen<br />
(insbesondere Bergsteigen) eine sehr grosse Zahl<br />
von Kreislaufstörungen behoben, das überflüssige und krankhaft<br />
angesetzte Fett (besonders des Herzens und der Eingeweide)<br />
zum Schwinden gebracht und die Musculatur des Herzens<br />
in vorzüglicher Weise gekräftigt werden kann. Die Oertel'sche<br />
Cur zeigt eine Reihe der überraschendsten und überzeugendsten<br />
Erfolge gerade auf einem Krankheitsgebiete, das bisher für<br />
jede <strong>The</strong>rapie als wenig versprechend galt, und sie gilt als<br />
eine wirkliche, höchst wichtige Bereicherung der allgemeinen<br />
<strong>The</strong>rapie.<br />
In ihren Wirkungen als eigentliche Entfettungscur steht<br />
die Oertel'sche Diät-Cur allen bisher geübten Methoden unerreicht<br />
gegenüber.<br />
Der Raum vorliegender Arbeit gestattet mir nicht, auf die<br />
Beschreibung dieser Cur genauer einzutreten; ich verweise<br />
diesfalls auf das Originalwerk (pag. 43) und begnüge mich mit<br />
der Angabe: dass am Giessbach unter der Leitung des Curarztes<br />
Oertel'sche Curen in ihrem ganzen Umfange (mit genauen<br />
Gewichtsbestimmungen, Controlirung der Flüssigkeits-
aufnähme und -Ausscheidung, sphygmographischen Pulscurvenaufnahmen<br />
etc.) gemacht werden können.<br />
Einen integrirenden, höchst wichtigen Bestandtheil derselben<br />
bilden auch:<br />
3. Die Bewegungs- oder Terrain-Clären.<br />
Es sind diese Curen trotz ihrer modernen Bezeichnung<br />
nichts weniger als etwas Neues in der methodischen Behandlungsweise<br />
chronischer Erkrankungen, und gerade die Wasserheilanstalten<br />
waren es, in denen seit ihrem ersten Bestehen<br />
die Bewegungscuren als eines der wichtigsten Heilagentien<br />
mit mehr oder weniger Verständniss cultivirt wurden. Wenn<br />
man allerdings erlebt hat, in welch' planloser, verrückter Weise<br />
in solchen Anstalten früher die Patienten herumgejagt wurden,<br />
so kann man auch begreifen, wenn die ganze Thätigkeit in<br />
dieser Richtung von wissenschaftlicher Seite grösstentheils in<br />
das Sündenregister der rein empirischen Wasserheilmethode<br />
notirt wurde. Allein auch heutzutage wird man mit den<br />
modernen Bewegungs- und Terraincuren Unheil genug stiften,<br />
wenn dieselben auf eigene Faust oder in unwissenschaftlicher<br />
Weise vorgenommen werden. Auch hier gilt, wie bei sämmtlichen<br />
bisher erwähnten Heilmethoden, der fundamentale Grundsatz,<br />
dass nur nach genauester, wissenschaftlicher Untersuchung<br />
und strengster Individnalisirung eine Curverordnung mit be-<br />
"misstem physiologischem Endziele von erspriesslichem Nutzen<br />
sein kann! Unter meinen Krankengeschichten der letzten 20<br />
Jahre finden sich nicht wenige Fälle verzeichnet, in denen bei<br />
Individuen von über 6o Jahren, mit längst bestehenden Herzklappenfehlern<br />
und anderen Kreislaufstörungen, durch methodisches<br />
Bergsteigen ganz überraschende und constante Kräftigung<br />
45
46<br />
der Herzmusculatur und Wiederherstellung der gestörten Compensationsbedingungen<br />
erzielt wurden. In all' diesen Fällen<br />
wurden entweder gar keine oder dann nur die allermildesten<br />
Wasserapplicationen (temperirte Waschungen oder Abreibungen)<br />
nebenher als Cur verordnet Es war dies eben zu einer Zeit,<br />
in welcher; jede hydriatische Behandlung bei Herzkranken als<br />
contraindicirt bezeichnet wurde.<br />
Sicherlich empfindet Niemand eine grössere Genugthuung,<br />
wenn in der Neuzeit den Bewegungscuren eine hervorragende<br />
Stelle unter den Heilmethoden angewiesen wird, als der Hydrotherapeut.<br />
In möglichster Kürze erlaube ich mir hier auf die gans<br />
ausserordentlichen Vorzüge hinzuweisen, welche der Giessbach<br />
als<br />
Terrain-Curort<br />
besitzt Obgleich schon eine oberflächliche Durchsicht der vorzüglichen,<br />
gebräuchlichsten Reisehandbücher, sowie ein Blick<br />
auf eine gewöhnliche Reisekarte genügt, um diese Vorzüge<br />
auch dem Laien sofort zum Verständniss zu bringen, so möchte<br />
ich doch Demjenigen, der sich specieller dafür interressirt,<br />
empfehlen, die folgenden Detailangaben, besonders über Rayon<br />
II und III, an der Hand des Blattes XIII des Dufour-Atlas<br />
oder Blatt 392 des topographischen Atlas der Schweiz, zu<br />
durchgehen. Die verschiedenen Touren oder Excursionen zu<br />
Bewegungscuren am Giessbach lassen sich zwanglos in drei<br />
Kreise oder Rayons von stetig wachsendem Umfange einreihen.<br />
In den I. Rayon zähle ich die Touren, zu denen die<br />
eigentlichen Anlagen am Giessbach Gelegenheit bieten, wie dies<br />
an wenig Curplätzen der Welt der Fall ist. Die im ersten
Abschnitte (pag. 7) gegebenen topographischen Notizen, lassen<br />
mich hier Wiederholungen vermeiden*). Man vergegenwärtige<br />
sich eine meist mit Nadelholz bewachsene, durch grüne Matten<br />
unterbrochene riesige Berghalde vom Seespiegel schroff ansteigend,<br />
in der Luftlinie von blos 500 Meter horizontaler Distanz<br />
auf eine wirkliche Erhebung von 364 Metern Höhe über der<br />
Seefläche (zum Grate der Schweibenfluh) sich aufthürmend.<br />
Ungefähr auf mittlerer Höhe dieser Bergwand, die man vom<br />
Landungsplatze auf Zikzakwegen (beliebig auch mittelst Drahtseilbahn)<br />
erreicht, entwickelt sich eine fast ganz horizontal an<br />
der Bergslehne sich nach Osten hinziehende Thalstufe das<br />
«Engi-Thal», südlich von der Giessbachfluh, nördlich vom<br />
«Rauft» überragt. Auf dieser Thalstufe befinden sich die<br />
ebenen Partien der Giessbachanlagen, herrliche Parkwege von<br />
vielen Kilometern Länge, wie geschaffen für die ersten Debüts<br />
der Terraincuren, nirgends befahrene Strassen und deren Staub.<br />
An diese fast horizontalen Parkwege schliessen sich an, mit<br />
ebenfalls minimen Terrainschwankungen, ostwärts der Weg<br />
durch Engithal nach Brienz, 5 V2 Kilometer, und westwärts das<br />
Strässchen durch Iseltivald, ebenfalls 5V2 Kilometer.<br />
Vor allem aber haben wir uns hier für die Touren mit<br />
gradweise anwachsenden Terrainerhebungen zu interessiren, und<br />
ich bitte um Entschuldigung, wenn ich von hier aus den Leser,<br />
wie es die Natur dieses Capitels erheischt, nur mit dem Meterstabe<br />
und dem Aneroid in der Hand weiter führe, ohne ihm<br />
einen Blick auf die wundervolle Aussicht und Umgebung zu<br />
gestatten.<br />
Die ersten Steigetouren in den Anlagen gehen wohl nach<br />
den verschiedenen Brücken, die, fünf an der Zahl, in ver-<br />
*) Siehe Sitnationsplan.<br />
47
48<br />
schiedener Höhe über die einzelnen Giessbachfälle führen (siehe<br />
pag. 10). Durch Einfügung eines immer neuen Bogens der<br />
Anlagen, zu einer immer höhern Brücke, lassen sich diese<br />
Touren ganz allmälig bis zur Gewinnung einer Terrainerhöhung<br />
von 150 Metern über den Etablissements ausdehnen. Eine vorzügliche<br />
Tour für den Anfang ist auch der Parkweg vom<br />
Pensionshaus nach dem Rauftpavillon (H 759) und zurück durch<br />
die Engi. Doch alle diese Touren im I. oder Parkrayon mögen<br />
noch so schön und malerisch sein, wer zu eigentlichen Terraincuren<br />
nach dem Giessbach kommt, wird sich sobald als möglich<br />
in den<br />
II. Hayon<br />
aufzuschwingen suchen. In diesem zweiten, von der Natur<br />
scharf abgegrenzten Kreise, sind die im Quellgebiete des Giessbaches<br />
zu unternehmenden Alpentouren, sowie eigentlichen<br />
Hochgebirgstouren eingeschlossen. Zu den ersteren zähle ich<br />
die Touren, die auf theilweise sehr gut betriebenen, jedenfalls<br />
leicht findbaren, ohne Führer zu begehenden Alpen- oder Saumpfaden,<br />
eine mehr oder minder bedeutende Gruppe von Sennhütten<br />
am unmittelbaren schroffsten Fusse der eigentlichen<br />
Gebirgsstöcke erreichen.<br />
(In Klammern eingeschlossen bedeutet die mit LD bezeichnete<br />
Zahl jeweilen die Luftlinie-Distanz in Metern vom<br />
Giessbachhotel aus gemessen, und die mit H bezeichnete Zahl<br />
die absolute Höhe des Ortes über Meer. Zieht man von der<br />
letztern Zahl jedesmal die Höhe der Giessbachlage = 720 Meter<br />
ab, so erhält man die wirklich erstiegene Höhendifferenz.)<br />
Von den Parkanlagen am Giessbach führt gegen Osten,<br />
dann scharf gegen Westen sich umwendend, den östlichen<br />
Grat der Giessbachfluh durch den Neurüti-Wald erklimmend,
der sogenannte Faulhorn-Weg. Durch denselben gelangt man<br />
in den II. Rayon unserer Bewegungscuren, iri's Quellengebiet<br />
des Giessbaches, bei Brau (LD 700, H IOOO Mtr.) Von hier<br />
aus sind folgende Alpen - Sennhüttengruppen oder Bergsättel<br />
auf Saumpfaden erreichbar, von ostwärts nach West gezählt:<br />
Tour 1 über Meiershofstatt. Gaugüter (H 1300 Mtr.) Rost,<br />
nach den Alphütten Bidmer und dem Hinterburg-Seeli (LD 4000,<br />
H 1524 Mtr.).<br />
Tour 2. Schwarzenberg, ob Hägli, Krautmättli nach den<br />
Sennhütten im Urscrli (LD 4500, H 1855 Mtr.) zwischen<br />
Oltschikopf und Axalphorn.<br />
Tour 3. Ueber Schyburg, Kühmaad, Lütschenthal<br />
(H 1866 Mtr.), dann scharf nach Ost auf's Grätli, zwischen<br />
Axalpburg und Weiss-Schilt, mit Blick in's Oltscherenthal<br />
(Grätli LD 4300, H 2178 Mtr.).<br />
Tour 4. Wie Tour 3 auf's Grätli, dann Abstieg in's<br />
Oltscherenthal und durch dasselbe in's Haslithal.<br />
Tour 5. Wie Tour 3, doch nur bis Lütschenthal, dann<br />
genau südwärts bis zur Alphüttengruppe Oberberg, am Fusse<br />
der Hundsfluh (LD 6000, H 1923 Mtr.) zwischen Hagelsee<br />
(H 2325 Mtr.) und Hexensee (H 2476 Mtr.) in nächster Nähe<br />
des Schwarzhorns gelegen.<br />
Tour 6. Von Brau auf das linke Giessbachufer über<br />
Schwend (H 1335 Mtr.) auf dem eigentlichen Faulhornwege<br />
bis Plangäuli (H 1687 Mtr.) über den Bergsattel Gey eggen<br />
(LD 4500, H 1687 Mtr.), Wetzisboden, Sihlboden, Twerweg ob<br />
Iseltwald und von da auf dem (pag. 47 erwähnten) Strässchen<br />
nach Giessbach zurück.<br />
Tour 7. Zusammenfallend mit Tour 6 bis Plangäuli, bildet<br />
diese Tour den Uebergang der Alpentouren zu den Hoch-<br />
4<br />
49
SO<br />
gebirgstouren; denn auf einem gut gebahnten Wege führt sie<br />
von Plangäuli aus über die Fangisalp (H 1910 Mtr.) am Absturz<br />
des Schwabhorns (H 2275 Mtr.) hin, fällt hier mit dem von<br />
Gsteig aus vorzüglich angelegten Faulhornwege zusammen und<br />
endet auf der, Spitze des Faulhorns (LD 6500, H 2683 Mtr.).<br />
Tour 8. Dieselbe macht den Schritt in den Rayon III der<br />
Terraintouren vom Giessbach, indem sie den Weg auf das Faulhorn<br />
(Tour 7) mit dem Abstieg nach dem Sägisthal-See und<br />
dem Uebergang über die Schynige Platte nach Gsteig verbindet.<br />
Das Gleiche, wie von Tour 8, gilt von Tour 9. Besteigung<br />
des Faulhorn vom Giessbach aus mit Abstieg gegen Südost<br />
nach dem Bachsee und von hier aus nach Grindelwald etc.,<br />
sowie von<br />
Tour 10. Faulhornbesteigung mit Abstieg nach der grossen<br />
Scheidegg, Rosenlaui etc.<br />
Mit der Namhaftmachung dieser 10 Hauptalpentouren im<br />
II. Rayon der Terraincuren, im Quellengebiet des Giessbaches,<br />
ist aber deren Zahl keineswegs vollständig erschöpft. Es Hessen<br />
sich der Reihe nach einige, allerdings immer nur mit Führern,<br />
vorzunehmende Uebergänge durch Hochgebirgssättel in den<br />
HL Rayon hier erwähnen, z. B. über's Grätli am Hinterberg<br />
(H 2400 Mtr.), durch die kleine und grosse Krinne u. s. w.<br />
Bevor wir aber den III. Rayon betreten, muss noch der<br />
eigentlichen Hochgebirgstoiiren Erwähnung gethan werden, zu<br />
denen Rayon II Gelegenheit bietet. Wie schon bei der topographischen<br />
Beschaffenheit des Quellengebietes vom Giessbach<br />
erklärt worden, setzt sich das abgerundete, gegen Südost, Süd<br />
und Südwest durch das Rosenlauithal, das Grindelwaldthal und<br />
Zweilütschinenthal umsäumte Gebirgsmassiv, das sich im Süden<br />
des Brienzersees aufthürmt, aus ganz respectablen Hochgebirgs-
Pyramiden zusammen. Ich erwähne hier nochmals das Axalphorn<br />
(2327 Mtr.), Oltschikopf (2238 Mtr.), Gerstenhorn (2875 Mtr.),<br />
Wildgerst (2893 Mtr.), Schwarzhorn (2930 Mtr.), Schwabhorn<br />
(2376 Mtr.), Bättenalpburg (2133 Mtr.) u. s. f. Auf diese sämmtlichen<br />
Hochgebirgsgipfel können — selbstverständlich nur nach<br />
specieller Berathung mit dem Curarzte und unter Mitwirkung<br />
erprobter Bergführer — die verschiedenen Touren 1—8 des<br />
II. Rayons zu Terrain- Touren höchster Leistungsfähigkeit ausgedehnt<br />
werden.<br />
Der m. Bayon für Bewegungscuren am Giessbach begreift<br />
sodann die ausserhalb des Quellgebietes liegenden Touren.<br />
Zuerst ist hier die prachtvolle Tour der Besteigung des<br />
Brienzer Rothhorn (LD 6000, H 2351 Mtr.) zu nennen, die<br />
sich hin und zurück leicht in einem Tage machen lässt.<br />
Weltbekannte und mit Recht weltberühmte Touren lassen<br />
sich unternehmen über Meiringen nach ßosenlaui, Reichenbachfälle,<br />
über die grosse Scheidegg, Grindelwaldgletscher, über<br />
die kleine Scheidegg, Wengernalp, Lauterbrunnen u. s. w.<br />
Ich erwähne dieses ganzen III. Rayons nur ganz im Fluge und<br />
mehr der Vollständigkeit wegen. All' diese Besteigungen mit<br />
ihren wunderbaren Naturschönheiten, wie sie das Berner Oberland<br />
in einziger Weise wohl in der ganzen Welt darbietet, sind<br />
dermassen bekanntes Gemeingut geworden und in den meisten<br />
Reisehandbüchern in eingehender, oft vorzüglicher Weise beschrieben,<br />
dass ich mich füglich mit einer Verweisung auf die<br />
Letzteren begnügen kann.<br />
5i
52<br />
3. Gymnastik und Massage.<br />
Wenn ich endlich im Anschlüsse an die Besprechung der<br />
von Prof. Oertel in wissenschaftlicher Weise begründeten und<br />
als neueste Heilmethode « en vogue» gebrachten Bewegungsund<br />
Terraincuren die beiden älteren activen und passiven<br />
Bewegungscuren der Gymnastik und Massage nur noch mit<br />
wenigen knappen Worten in Erinnerung bringe, so geschieht<br />
dies ja nicht etwa aus dem Grunde; weil ich denselben in<br />
einer Wasserheilanstalt nur eine ganz untergeordnete Stellung<br />
anweisen möchte. Gegen diesen Verdacht dürfte mich schon<br />
genügend die Constatirung der Thatsache schützen, dass ich<br />
in meinem früheren Wirkungskreise durch 18 Jahre tagtäglich<br />
während der Saison die Freiübungen der Schreber'sehen Zimmergymnastik<br />
persönlich vorgeturnt habe. Auch mit den Principien<br />
der schwedischen Heilgymnastik, passive Widerstandsübungen<br />
etc. habe ich mich während vieler Jahre in passenden Fällen<br />
theoretisch und praktisch gründlich vertraut gemacht.<br />
Für Alle, die sich näher für das Wesen dieser beiden<br />
hauptsächlichsten Methoden interessiren, verweise ich hiemit<br />
auf das Originalwerk «Schreber, die Zimmergymnastik», sowie<br />
auf das (pag. 9 citirte) Handbuch der physicalischen Heilmethoden<br />
von Prof. Rossbach.<br />
Die Massage bildet an und für sich schon einen wichtigen,<br />
durchaus unentbehrlichen Bestandtheil einer ganzen Reihe<br />
hydriatischer Applicationen und wird als solcher in jeder gut<br />
geleiteten Wasserheilanstalt auf eigens dazu bestimmten Lagern<br />
durch gewandte Hände ausgeübt Ganz überraschende Erfolge<br />
erzielt die Massage in selbstständiger Anwendung besonders
ei Contusionen, Verstauchungen, Gelenksleiden, einzelnen<br />
Geschwulstbildungen u. s. w.<br />
Wenn ich auch. Gymnastik und Massage als hochwichtige,<br />
oft durch nichts Anderes voll zu ersetzende, Behandlungsmethoden<br />
anerkenne, so betone ich doch auch gerade hier<br />
wieder den Grundsatz, dass jede Uebertreibung, jede Verallgemeinerung<br />
zu vermeiden und nur von wissenschaftlich<br />
individualisirender, physiologisch-zielbewusster Methode wirklich<br />
ein Heilerfolg zu erwarten ist.<br />
53
A.nliaiig.<br />
Winke für Cur gaste.<br />
In der grossen Mehrzahl der Wasserheilanstalten liegt die<br />
ärztliche Direction wie auch die ökonomische und wirtschaftliche<br />
Oberleitung des Etablissements in einer und derselben<br />
Hand. Dies ist nun allerdings am Giessbach nicht der Fall.<br />
Ich trete hier in keiner Weise in die Erörterung der offenen<br />
Frage ein: ob dies für eine Anstalt dieser Art überhaupt eine<br />
Empfehlung oder ein Nachtheil in Betracht der Anforderungen<br />
der Neuzeit ist. Für mich möge die Wiederholung des (pag. 9<br />
citirten) Ausspruches eines der competentesten Kritikers genügen,<br />
der den Giessbach «eines der besten Schweizer Hotels »<br />
nennt.<br />
Ein anderes, weit wichtigeres Bedenken, das bei Aerzten<br />
wie beim Publikum bestehen könnte, möchte ich hier aber<br />
gründlich heben. Ob nämlich der Giessbach bei seiner grossartigen<br />
Frequenz, als Durchgangsstation des gewaltigen Touristenstromes<br />
im Berner Oberlande, auch die gewünschte ländliche<br />
Ruhe und Isölirtheit bieten kann, die für eine seriöse<br />
Curanstalt so sehr wünschbar f<br />
Diese Frage darf mit einem ganz entschiedenen Ja beantwortet<br />
werden. Die Wasserheilanstalt ist, wie im Abschnitte IV<br />
ersichtlich, im Pensionshaus am Giessbach errichtet und es
liegt dies Gebäude idyllisch und still im reizenden Parke als<br />
ländlich, ruhiger Gegensatz zum pompösen, geräuschvollen<br />
grossen Hotel (vergleiche pag. 19). Wenige Schritte vom Peni<br />
sionshaus entfernt, kann sich der Curgast stundenweit in der<br />
Waldeinsamkeit des Naturparkes verlieren. Im Pensionshause<br />
fehlt das Zu- und Abströmen des Touristenschwarmes und es<br />
geniesst die Anstalt noch eines ganz besonderen Vortheils der<br />
Ruhe. Es wird nämlich im Pensionshause den Gästen nur das<br />
erste Frühstück verabreicht und zum Mittagstische und Abendessen<br />
begeben sich die Curgäste und Pensionäre in den grossen<br />
Speisesaal des neuen Hotels. Der Wegfall der ganzen Küchenund<br />
Speisewirthschaft aus den Räumen der Curanstalt macht<br />
dieselbe erst recht zum ruhigen Familienhause. Andererseits<br />
ist der Weg bis zum Hotel durch die gedeckte Wandelbahn<br />
stets trockenen Fusses zu machen. Im Speisesaale nehmen die<br />
Curgäste einen eigenen Curtisch ein, an welchem auch der<br />
Curarzt theilnimmt.<br />
Dass aber auch für solche Pensionäre, die Unterhaltung<br />
und Zerstreuung suchen, an einem so bedeutenden Platze, wie<br />
der Giessbach ist, mit Curorchester, geselligen Unterhaltungsspielen<br />
(Kegelbahn, Lawn-tennis, Croquet, Turngeräthe, Salonschiessen,<br />
Ruderboote etc.) auf das Beste gesorgt ist, braucht<br />
wohl kaum der ausdrücklichen Erwähnung.<br />
Als<br />
Our - Saison<br />
am Giessbach ist die Zeit vom Mai bis October in Aussicht<br />
genommen.<br />
Vor allem möchte ich aber die Aerzte wie das curbedürftige<br />
Publicum daran erinnern, wie sehr oft in den Monaten<br />
55
56<br />
Mai und Ende September, wie Anfangs October die Witterungsverhältnisse<br />
zur Vornahme von Curen in der Höhenlage des<br />
Giessbach ganz ausserordentlich günstig sind. Zieht man dabei<br />
auch noch in Betracht, dass zu diesen Zeiten der. grosse<br />
Fremdenstrom noch nicht Alles überfluthet, Curarzt und Badewärter<br />
noch mit eingehendster Sorgfalt sich den einzelnen<br />
Curgästen widmen können, so wird der Vortheil von recht<br />
frühen Curen, wie auch von Spätherbstcuren, recht augenfällig<br />
sein.<br />
Die Badewäsche: Leintücher,Frottirtücher, Wolldecken etc.<br />
werden von der Anstalt geliefert und ist deren Benutzung im<br />
Tarife für die betreffenden Applicationen inbegriffen. Grosse<br />
Badeschwämme, Leibgurt und sonstige Bade-Utensilien, die sich<br />
der Curgast persönlich anzuschaffen wünscht, sind in der Anstalt<br />
erhältlich. Damen werden ihre Badehauben aus Wachsleinwand<br />
meist selbst mitbringen und sich auch (wenn sie die<br />
hydroelectrischen Bäder zu nehmen gedenken) mit einem weiten<br />
Bademantel oder Badehemde versehen.<br />
Wenn ich am Schlüsse meiner balneologischen Studie<br />
noch mit einem Worte der Stelltmg des Curgastes zum Curarzte<br />
gedenke, so soll dies nicht blos eine oratio pro domo<br />
sein. Wenn überhaupt an keinem Curorte eine ernsthafte Cur<br />
irgendwelcher Art mit nennenswerthem Heilerfolge zu machen<br />
ist, ohne dass dieselbe ärztlich genau überwacht und dirigirt<br />
wird, so ist bei Wassercuren, sowie auch den eingreifenden<br />
Oertel'schen Curen eine genauere Wechselbeziehung zwischen<br />
Arzt und Curgast erforderlich als irgend anderswo. Es ist vor<br />
Allem auch zu empfehlen, dass der Patient dem Curarzte eine,<br />
wenn auch noch so kurze, schriftliche Notiz des ihn gewöhnlich<br />
behandelnden Arztes vorlegen kann. Ohne genaue Ver-
Ordnung des Curarztes dürfen am Giessbach keine hydriatischen<br />
Curproceduren vorgenommen werden, und es ist den einzelnen<br />
Badewärtern bei Androhung sofortiger Entlassung untersagt,<br />
irgendwie andere, als die vom Curarzte verordneten Applicationen<br />
zu verabreichen<br />
Die Wohnung des Curarztes am Giessbach befindet sich<br />
im Chalet, zwischen Hotel und Pensionshaus, an der gedeckten<br />
Wandelbahn gelegen. Das Consultationszimmer ist in der<br />
Wohnung des Arztes, und es liegt im ganz besonderen Interesse<br />
der geregelten ärztlichen Cur-Leitung, dass von den<br />
Tit. Curgästen auch die täglichen bestimmten Consultationsstunden<br />
genau innegehalten werden.<br />
57
Hotel, Psion iflfceMaistalt Giessöacli.<br />
Tarif des Hotels.<br />
Frühstück (Kaffee, <strong>The</strong>e, Chocolat) Fr. i. 50<br />
Table d'hote-Dejeüner um 12 v ,z Uhr<br />
€ t Diner « 1 «<br />
. .<br />
. .<br />
. .<br />
. .<br />
«3-50<br />
«5.—<br />
«<br />
t<br />
«<br />
t<br />
Souper<br />
c<br />
«<br />
e<br />
7V2<br />
8<br />
c<br />
«<br />
. . . . • « 3.—<br />
«4*<br />
Wohnung, per Bett, inbegriffen Eclairage und<br />
Service. . . . . . . . . . von Fr. 3. — an<br />
Privatsalons. . . . . . . . . . . > c 10.— *<br />
Dejeuners und Diners z« fixen IVeisen.<br />
Restauration ä la carte zu jeder Zeit.<br />
Peiisions-Preis<br />
im Pensionshaus, per Tag und per Person bei einem Aufenthalt<br />
von mindestens 5 Tagen:<br />
Zimmer im I. Stock mit Aussicht . . . Fr. 10. —<br />
« c II. « « « . . . « 9.50<br />
« « III. « « « « 9- ——<br />
< « I., II., III. « ohne « • • * • * 7-5°<br />
mit Ausnahme einiger grösserer Zimmer, inbegriffen Wohnung,<br />
Bedienung und drei Mahlzeiten.<br />
Die ausserhalb der Table d'höte oder auf dem Zimmer servirten Mahlzeiten erleiden<br />
einen T&xenzuschlag von 25 Cts. per Frühstück und 50 Cts. für Mittag- oder Abendessen.<br />
Im Zimmer essen zahlt keinen Taxenzuschlag, wenn es vom Arzt verordnet wurde.<br />
Kinder: Fr. 2 a 7. — Dienerschaften: Fr. 5.<br />
Für Dienerschaßen,<br />
Wohnung und Wein inbegriffen.<br />
die Herrschaftszimmer bewohnen, sind dieselben extra zu vergüten.<br />
Musik per Woche Fr. 2.<br />
Tarif für Curproceduren.<br />
Fttr jede einfache Wasserapplication (dazu werden gezählt Umschlüge, Waschung, Sitzbad,<br />
kalte Douchen) Fr. —. 50<br />
Für jede complicirte Application (nasse Abreibung, Einpackung, Halbbad und Vollbad, compl.<br />
Douchen, fliessende Sitzbäder) Fr. 1. —<br />
För Schweissproceduren (Dampfkasten, Lampenbad etc.) und medieamentöse Bäder, Douchen<br />
6cossaise . Fr. 1.50<br />
Die vorgeschriebene Wäsche ist in obigen Taxen inbegriffen.<br />
Den Cnrgästen werden für ärztliches Honorar keine Rechnungen gestellt,<br />
dagegen im Allgemeinen als Minimaitaxen für die Consultation Fr. 10« —» für jede<br />
fernere Fr. 3. — in Aussicht genommen.<br />
Post, Telegraph und. Telephon,
Hotel, Pension und Wasserhellanstalt Giessbach<br />
am Brienzersee, Schweiz<br />
710 Meter über Meer<br />
Neues HoterI. Ranges . . . 125 Betten<br />
Pensionshaus 125<br />
Hotel & Pension Beau-Site<br />
am Giessbach<br />
Zweiten Ranges — Massige Preise — 40 Betten<br />
Hdtel Schweizerhof<br />
Stadt Bern<br />
Gegenüber dem Bahnhof, der Post und dem Telegraphenamt<br />
Telephon — HO Betten<br />
HOTEL DE LA REINE<br />
OSPEDALETTI<br />
Zwischen San Remo und Bordighera<br />
"Winterstation in herrlicher, geschützter I^age<br />
Gebröder Hauser zum Giessbach<br />
-«jäte—.—<br />
Etablissements der Familie Hauser:<br />
Hotel Schweizerhof, Luzern<br />
Hotel Luzernerhof, Luzern<br />
Bad Gurnigel, Canton Bern<br />
Bad Weissenburg, Canton Bern<br />
I<br />
Kurort Rigi-Scheideck<br />
Hotel Steinbock, Chur<br />
Grand Hotel Neapel, Neapel<br />
Grand Hotel Spezia, Spezia
ooks2ebooks.eu<br />
www.books2ebooks.eu<br />
eBooks from your library by<br />
eBooks on Demand<br />
digitised by<br />
Swiss National <strong>Library</strong>