LEXIKOLOGIE DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE ...
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Brille — war urspünglich „eine aus Beryll (Edelstein mit schönen Prismenkristallen)<br />
verfertigte Augenlinse“. Für die Linsen der ersten, um 1300<br />
entwickelten Brillen verwandte man geschliffene Berylle (mhd. berillus, berille,<br />
barille), nachdem man deren optische Eigenschaft, Gegenstände stark<br />
zu vergrößern, erkannt hatte. Der Name wurde auch später beibehalten, als<br />
man dazu überging, die Linsen aus Bergkristall bzw. aus dem wesentlich<br />
billigeren Glas zu schleifen.<br />
Eine Sonderart der Metapher ist die Synästhesie 64 , die Übertragung von<br />
einem Sinnesbereich auf einen anderen. Wörter werden aus dem Bereich<br />
eines Sinnes oder einer Gefühlsempfindung auf den Bereich einer anderen<br />
Sinnesempfindung übertragen, z.B. von akustischer zu optischer Wahrnehmung:<br />
schreiende Farben, von optischer zu akustischer Wahrnehmung: dunkle<br />
Töne, helle Stimme.<br />
Bei der synästhetischen Metapher verweist St. Ullmann auf eine Tendenz:<br />
Die Übertragung von den „niederen“ Sinnen auf „höhere“ ist wesentlich<br />
häufiger als umgekehrt. So ist der Ausgangspunkt der synästhetischen<br />
Übertragung vorwiegend der taktile Bereich (der Tastsinn), Ziel der Übertragung<br />
ist am häufigsten die Bezeichnung einer akustischen Wahrnehmung,<br />
vgl. weiche Töne, harte Töne, harte Worte, harte Aussprache.<br />
Die Synästhesie ist seit der Antike in verschiedenen Sprachen bekannt<br />
und produktiv: (engl.) cold voice, piercing sound, loud colors; (franz.) couleur<br />
criarde; (ital.) colore stridente u.a.m.<br />
Die Synästhesie gehört nach St. Ullmann zu denjenigen Erscheinungen<br />
des semantischen Wandels, die als semantische Universalien zu betrachten<br />
sind. Dazu zählt er alle metaphorischen Übertragungen:<br />
(l) „Expansion“ auf Grund emotionaler Ladung, (2) „Anthropomorphismus“,<br />
wie in: Flaschenhals, Flußarm; (3) „Übertragung von konkret zu abstrakt“,<br />
wie in: ein warmer Empfang; (4) „Synästhesie“ 65 .<br />
Die Erweiterung des Bedeutungsumfangs von Lexemen durch metaphorische<br />
Bezeichnungsübertragung ist in der Gegenwartssprache sehr produktiv.<br />
Mit Recht betont Th. Schippan diesen Umstand, indem sie schreibt: „Entgegen<br />
allen Annahmen, dass mit der Tendenz stärkerer Wissenschaftlichkeit<br />
und Abstraktheit die Metapher als semantisches Modell für Neubenennungen<br />
zurücktrete, nehmen metaphorische Bezeichnungsübertragungen zu. In<br />
Wissenschaft und Technik, Politik und Kultur werden Bezeichnungen mit<br />
einer metaphorischen Konstituente gebildet. Ohne Zweifel wirkt hier das<br />
Prinzip der Verdeutlichung und Veranschaulichung als Regulator. Durch die<br />
metaphorische Konstituente werden bestimmte Merkmale des Denotats hervorgehoben:<br />
Impfpistole, Kobaltkanone, Magnetkissen, Schaumbeton, Herzschrittmacher“<br />
66 .<br />
Durch die metaphorische Bezeichnungsübertragung vorhandener Wortformative<br />
entstehen in der Gegenwartssprache Benennungen, die das Denotat<br />
sprachökonomisch und wertend bezeichnen. Vgl. die vor kurzem<br />
aufgekommene übertragene Bedeutung zu Senkrechtstarter (Coleopter):<br />
jmd., der ohne lange Anlaufzeit eine ungewöhnlich steile Karriere macht;<br />
etw., was plötzlich ungewöhnlich großen Erfolg hat, z.B. ein Senkrecht-<br />
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