LEXIKOLOGIE DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE ...

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tisch durch bestimmte Bedeutungsmerkmale festgelegt sind. Die Wahl geeigneter Kontextpartner erfolgt auf Grund der Kompatibilität der Bedeutungsmerkmale der beiden Kontextpartner (intralinguistisch), die ihrerseits in der außersprachlichen Realität (extralinguistisch) motiviert ist. So setzen z.B. die Verben des Sagens und Denkens als Subjekt menschliche Wesen, die Verben des Sehens und Erblickens als Objekt konkrete Wesen voraus. So sind Sätze wie Peter stirbt manchmal und Er kennt Peter auf dem Flughafen im Deutschen (bei der ursprünglichen und nicht metaphorischen Bedeutung der Verben) nicht möglich, weil die Adverbialien Bedeutungsmerkmale enthalten (etwa: [+ frequentativ] und [+ lokal]), die den Bedeutungsmerkmalen des Verbs widersprechen und deshalb mit ihnen unverträglich sind. Ein Satz wie Er stirbt manchmal ist nur dann möglich, wenn das Subjekt Prowort für eine Gattungsbezeichnung ist (z.B. Die Operation ist immer lebensgefährlich für den Patienten. Er stirbt manchmal.), nicht aber, wenn es Prowort für eine Individualbezeichnung ist. Bei der semantischen Valenz handelt es sich somit um Selektionsbeschränkungen, die reguliert werden auf Grund der semantischen Kompatibilität zwischen den Kontextpartnern. Darum betont G.Helbig: der Valenzbegriff wird erweitert von der syntaktischen auf die logisch-semantische Ebene57 . 1.2. KOMMUNIKATIV BEGRÜNDETE SYSTEM- VERÄNDERUNG DES WORTSCHATZES BZW. DES LEXIKONS 36 1.2.1. WORTSCHATZERWEITERUNG DURCH SEMANTISCHE DERIVATION BZW. BEDEUTUNGSWANDEL 1.2.1.1. Allgemeines Unter semantischer Derivation bzw. Bedeutungswandel versteht man die Bedeutungsveränderung der Wörter, die sich im Laufe der Zeit bei diesen sprachlichen Zeichen einstellt, bedingt durch Wesen und Charakter der Sprache als soziales Phänomen. Der Bedeutungswandel tritt gesetzmäßig im Zusammenhang mit dem Sachwandel ein, denn die Gegenstände und Erscheinungen der Wirklichkeit befinden sich in einem Zustand dauernder Veränderung. So ist z.B. Bleistift heute „ein von Holz umschlossener Graphitstift zum Schreiben“. Die im 17. Jahrhundert belegte ursprüngliche Form Bleystefft (eine Klammerform für Bleyweißstefft) zeugt davon, dass Stifte zum Schreiben aus einem anderen Material hergestellt wurden. Das Formativ blieb, als man im 18. Jahrhundert zu Graphitstiften (-minen) mit Tonzusatz überging.

Aber außer diesem Bedeutungswandel gibt es auch eine Veränderlichkeit der Bedeutung von einer anderen, viel komplizierteren Art, was aus der Analyse alter Sprachdenkmäler besonders deutlich hervorgeht. Eine der größten Schwierigkeiten für das Verständnis eines mittelhochdeutschen Textes, schreibt W. Porzig58 , bieten Wörter, die scheinbar bekannt und heute noch geläufig sind, aber etwas ganz anderes bezeichnen, als wir heute darunter verstehen. So fängt Walther von der Vogelweide (ca. 1160 —1227) ein Gedicht mit folgenden Worten an: Ich ho – rt ein wasser diessen Und sach die vische fliessen. In der Gegenwartssprache fließt nur das Wasser, bei Walther von der Vogelweide fließen auch die Fische, die im Deutsch von heute schwimmen. Schwimmen konnte zu Walthers Zeit nur ein Mensch oder ein Schiff, überhaupt etwas, was die Oberfläche des Wassers bricht. Was sich ganz im Wasser befand, das floss, wenn es sich selbst bewegen konnte, wenn es nur dahintrieb, so schwebte es. In der Gegenwartssprache dagegen kann etwas nur in der Luft schweben, nicht im Wasser, vgl. ein Adler schwebt hoch in der Luft. Die Verben fließen, schwimmen, schweben sind also heute wie damals vorhanden, aber sie bezogen sich ehemals auf andere Sachverhalte. Aber im Zusammenhang mit der Wortschatzerweiterung wären hier zahlreiche Bedeutungsentwicklungen zu nennen, die den Bedeutungsumfang eines Lexems oder seine Bedeutungsstruktur erweitern. Das geschieht, indem dasselbe Formativ zur Bezeichnung eines neuen Sachverhalts ausgewertet wird neben des bereits vorhandenen. So erhielt ein altes gemeingermanisches Wort Netz zu seiner herkömmlichen Bedeutung „geknüpftes maschenförmiges Gebilde” durch den Metaphorisierungsprozess zusätzlich ein Semem „System aus vielen sich vielfältig kreuzenden, miteinander verbundenen Strecken und Linien” — Stromnetz, Eisenbahnnetz, Verkehrsnetz. Wichtige Erkenntnisse vermittelt in Bezug auf die Polysemie die kognitivorientierte Psycholinguistik. Erstmals in der Geschichte der Semasiologie wurden die grundlegenden Faktoren erschlossen, die den regelmäßigen Charakter dieses Prozesses sichern und abhängig machen vom (I) Typ der Lexeme und (2) vom Typ der begrifflichen Abstraktion. Danach sind semantisch ableitbar in erster Linie Konkreta, weil die semantische Struktur der konkreten Namen über Elemente verfügt, deren Grundlage weitere derivative Prozesse ermöglicht (Metaphoriesierung, Metonymisierung). Der zweite Faktor, der die Produktivität der semantischen Ableitung erklärt, ist Grad der begrifflichen Abstraktion, wie das in der bezeichneten Disziplin unterschieden wird. Danach ist am produktivsten der mittlere Grad bzw. die mittlere Stufe der Abstraktion, so z.B. von den Substantiven: Säugetier — Hund — Spürhund kommt sie dem Substantiv „Hund“ zu, weil Lexeme dieser Stufe dem Menschen begrifflich relevanter sind als die anderen. 37

tisch durch bestimmte Bedeutungsmerkmale festgelegt sind. Die Wahl geeigneter<br />

Kontextpartner erfolgt auf Grund der Kompatibilität der Bedeutungsmerkmale<br />

der beiden Kontextpartner (intralinguistisch), die ihrerseits in der<br />

außersprachlichen Realität (extralinguistisch) motiviert ist. So setzen z.B.<br />

die Verben des Sagens und Denkens als Subjekt menschliche Wesen, die<br />

Verben des Sehens und Erblickens als Objekt konkrete Wesen voraus. So<br />

sind Sätze wie<br />

Peter stirbt manchmal und<br />

Er kennt Peter auf dem Flughafen<br />

im Deutschen (bei der ursprünglichen und nicht metaphorischen Bedeutung<br />

der Verben) nicht möglich, weil die Adverbialien Bedeutungsmerkmale enthalten<br />

(etwa: [+ frequentativ] und [+ lokal]), die den Bedeutungsmerkmalen<br />

des Verbs widersprechen und deshalb mit ihnen unverträglich sind. Ein Satz<br />

wie Er stirbt manchmal ist nur dann möglich, wenn das Subjekt Prowort<br />

für eine Gattungsbezeichnung ist (z.B. Die Operation ist immer lebensgefährlich<br />

für den Patienten. Er stirbt manchmal.), nicht aber, wenn es<br />

Prowort für eine Individualbezeichnung ist. Bei der semantischen Valenz<br />

handelt es sich somit um Selektionsbeschränkungen, die reguliert werden<br />

auf Grund der semantischen Kompatibilität zwischen den Kontextpartnern.<br />

Darum betont G.Helbig: der Valenzbegriff wird erweitert von der syntaktischen<br />

auf die logisch-semantische Ebene57 .<br />

1.2. KOMMUNIKATIV BEGRÜNDETE SYSTEM-<br />

VERÄN<strong>DER</strong>UNG DES WORTSCHATZES BZW. DES LEXIKONS<br />

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1.2.1. WORTSCHATZERWEITERUNG DURCH SEMANTISCHE<br />

<strong>DER</strong>IVATION BZW. BEDEUTUNGSWANDEL<br />

1.2.1.1. Allgemeines<br />

Unter semantischer Derivation bzw. Bedeutungswandel versteht man<br />

die Bedeutungsveränderung der Wörter, die sich im Laufe der Zeit bei diesen<br />

sprachlichen Zeichen einstellt, bedingt durch Wesen und Charakter der<br />

Sprache als soziales Phänomen.<br />

Der Bedeutungswandel tritt gesetzmäßig im Zusammenhang mit dem<br />

Sachwandel ein, denn die Gegenstände und Erscheinungen der Wirklichkeit<br />

befinden sich in einem Zustand dauernder Veränderung. So ist z.B. Bleistift<br />

heute „ein von Holz umschlossener Graphitstift zum Schreiben“. Die im 17.<br />

Jahrhundert belegte ursprüngliche Form Bleystefft (eine Klammerform für<br />

Bleyweißstefft) zeugt davon, dass Stifte zum Schreiben aus einem anderen<br />

Material hergestellt wurden. Das Formativ blieb, als man im 18. Jahrhundert<br />

zu Graphitstiften (-minen) mit Tonzusatz überging.

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