LEXIKOLOGIE DER DEUTSCHEN GEGENWARTSSPRACHE ...

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25.10.2012 Aufrufe

turelle Semantik“ versteht sich als Sammelname für verschiedene strukturalistisch orientierte Modelle der Bedeutungsbeschreibung. Als Vertreter repräsentativer Richtungen seien genannt: in Frankreich A.J.Greimas und B.Pottier, in England J.Lyons, in Deutschland J.Trier, W.Porzig und in der heutigen Zeit E.Coseriu. Die methodologischen Grundlagen der strukturalistischen Theorien der Wortbedeutung wurden in der zeitgenossischen Linguistik wiederholt einer gründlichen Kritik unterzogen32 . Auch für die jüngste Wortforschung ist der Grundsatz aktuell, dass die kontextuelle Wandelbarkeit der Semantik die Wortbedeutung als Substanz nicht aufhebt, sondern eine gesetzmäßige Erscheinung der sprachlichen Zeichen im Sprachsystem und im Text darstellt. (Davon ausführlich in 1.1.3.2.) Die substantielle semantische Theorie wird durch die Analyse der Motiviertheit der Wortbedeutung besonders deutlich. Sprachliche Zeichen sind also Mittel des Denkens (Kognition) und Kommunikation. Kennzeichnend für die Betrachtung der Wortbedeutung in der Lexikologie der Gegenwart ist unter anderem das Bestreben, die kognitiven Fähigkeiten des Menschen (in seiner Rolle als Sprecher-Hörer) und den Ablauf sprachlicher Prozesse adäqat wiederzugeben. Große Beachtung finden hierbei Probleme der Wissensrepräsentation. Bei der Analyse des semantischen Wissens werden die beiden grundlegenden Arten von Wissen in Betracht gezogen: lexikalisches und enzyklopädisches (bzw. Weltwissen) mit allen möglichen Unterarten derselben. Dieser Aspekt wird in den letzten Jahren innerhalb der sprachorientierten Forschung der Künstlichen Intelligenz (KI) intensiv entwickelt und findet in natürlich-sprachlichen Systemen Verwendung. Der Einfluss der KI- Ansätze der Wissenrepräsentation betrifft gegenwärtig vorwiegend die kognitive Psychologie und die Bereiche der Linguistik, die psychologisch orientiert sind. Neu bei der Analyse der Wortbedeutung sind schemaorientierte Repräsentationen. Die beiden bekanntesten Ausprägungen stellen Minskys (1975) Frames und Schank/Abelsons (1977) Scripts dar. Frame ist typischer in der Beschreibung von Sachobjekten, Script dagegen für eine situative Handlung. Aktuell sind auch einige andere Schlüsselbegriffe der kognitivorientierten Analyse wie semantische Netze, Schemata, die zur formalisierten Wortbedeutung verwendet werden. Eine übersichtliche Erschließung dieser Termini33 zeigt die Vielfalt der schemaorientierten Beschreibung der Wortbedeutung (Näheres siehe S.239 ff.). 14 1.1.3.2. Die Motiviertheit bzw. Motivation der Wortbedeutung Die Motiviertheit ist die Beziehung zwischen Formativ und Bedeutung, bei der die Wahl des Formativs durch bestimmte Eigenschaften, Verhaltensweisen u.ä. des Benennungsobjekts bedingt ist. Die Wahl der Lautkomplexe bzw. des Formativs zur Bezeichnung einer Gegenstandsklasse ist aber nicht durch die Natur dieser Gegenstände bedingt, wie das z.B. die unterschiedlichen Bezeichnungen des Gegenstands „Baum“ in verschiedenen Sprachen bezeugen (vgl. deutsch Baum, russ. äåðåâî, lat. arbor, engl. tree usw.). Bei

der Benennung bzw. Nomination eines in der Praxis neu gewonnenen Sachverhalts dient gewöhnlich ein Merkmal, wonach der ganze Nominationsgegenstand benannt wird. So z.B. der Frühling nach dem Merkmal „früh“, und das Eigenschaftswort „früh“ selbst gehen auf die Wurzel *pro – „zeitlich vorn, voran“. Oder die Wörter schlafen, Schlaf gehen auf die Wurzel *[s] le – b-, [s]la – b- „schlaff“, „herabhängend“. Die Motiviertheit ist um so vollständiger, je leichter sich die Anreihung in Bestandteile zerlegen lässt, wie das beispielsweise in abgeleiteten oder zusammengesetzten Wörtern der Fall ist: Friedensfreund, rötlich, Nashorn, Arbeitszimmer. Das Motiv oder das Merkmal der Nomination wird manchmal mit dem Terminus die innere Wortform bezeichnet. Dieser Terminus geht auf W.Humboldt zurück, war aber von ihm auf die Sprache als Schöpfung des „ewigen Volksgeistes“ angewandt, aus der Sicht seiner Betrachtung der Sprache als „die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen“ 34 . Der Terminus „die innere Wortform“ wird in der Fachliteratur der Gegenwart nicht nur im Zusammenhang mit der etymologischen Bedeutung des Wortes gebraucht, sondern auch für die semantische Motiviertheit des Wortes in der Synchronie. Wenn ein historisch adäquates Benennungsmotiv, d.h. die historisch adäquate innere Wortform nicht mehr eindeutig zu erkennen ist, kann auf Grund begrifflicher oder lautlicher Angleichung an durchsichtige Wörter und Wortelemente eine neue Etymologie entstehen. In der älteren Germanistik wurde sie mit dem Namen Volksetymologie, in der jüngeren Wortforschung als Fehletymologie oder Pseudoetymologie bezeichnet. Zu bekannten Beispielen der Fehletymologie gehören folgende: Maulwurf > ahd. mu – wërf heißt ursprünglich „Tier, das Erdhaufen aufwirft“. Unter Anlehnung an „Maul“ wurde, da das ahd. mu – „Haufen“ im Neuhochdeutschen nicht erhalten ist, die innere Form des Wortes umgedeu- tet. Leinwand > mhd. lI – nwa – t „Leinengewebe“ > frühnhd. Umbildung in „Leinengewand, -kleid“ wird im Neuhochdeutschen in der zweiten Komponente der Zusammensetzung als identisch mit „Wand“ empfunden, zumal gespannte Leinwand als Bildwand im Kino dient, beachte dazu die Zusammensetzung des 20. Jhs.: die Leinwandstar. Hagestolz „alter Junggeselle“ > ahd. hagustalt bedeutet wörtlich „Besitzer eines Nebengutes“ im Gegensatz zum Besitzer des Hofes. Da das Nebengut im allgemeinen zu klein war, um dort einen Hausstand zu gründen, musste der Hagbesitzer unverheiratet bleiben. Im Mittelhochdeutschen wurde die zweite Komponente -stalt „Besitzer“ volksetymologisch in -stolz umgedeutet. Der Pseudoetymologie unterliegen auch Fremdwörter, deren innere Form in der entlehnenden Sprache undurchsichtig ist, z.B. Trottoir „Bürgersteig, Gehsteig“. Ende des 18. Jhs. aus dem Französischen übernommen, wurde es scherzhaft umgedeutet in Trittuar. 15

turelle Semantik“ versteht sich als Sammelname für verschiedene strukturalistisch<br />

orientierte Modelle der Bedeutungsbeschreibung. Als Vertreter repräsentativer Richtungen<br />

seien genannt: in Frankreich A.J.Greimas und B.Pottier, in England J.Lyons,<br />

in Deutschland J.Trier, W.Porzig und in der heutigen Zeit E.Coseriu.<br />

Die methodologischen Grundlagen der strukturalistischen Theorien der Wortbedeutung<br />

wurden in der zeitgenossischen Linguistik wiederholt einer gründlichen Kritik<br />

unterzogen32 . Auch für die jüngste Wortforschung ist der Grundsatz aktuell, dass die<br />

kontextuelle Wandelbarkeit der Semantik die Wortbedeutung als Substanz nicht aufhebt,<br />

sondern eine gesetzmäßige Erscheinung der sprachlichen Zeichen im Sprachsystem<br />

und im Text darstellt. (Davon ausführlich in 1.1.3.2.)<br />

Die substantielle semantische Theorie wird durch die Analyse der Motiviertheit<br />

der Wortbedeutung besonders deutlich.<br />

Sprachliche Zeichen sind also Mittel des Denkens (Kognition) und Kommunikation.<br />

Kennzeichnend für die Betrachtung der Wortbedeutung in der Lexikologie<br />

der Gegenwart ist unter anderem das Bestreben, die kognitiven Fähigkeiten<br />

des Menschen (in seiner Rolle als Sprecher-Hörer) und den Ablauf<br />

sprachlicher Prozesse adäqat wiederzugeben. Große Beachtung finden hierbei<br />

Probleme der Wissensrepräsentation. Bei der Analyse des semantischen<br />

Wissens werden die beiden grundlegenden Arten von Wissen in Betracht<br />

gezogen: lexikalisches und enzyklopädisches (bzw. Weltwissen) mit allen<br />

möglichen Unterarten derselben.<br />

Dieser Aspekt wird in den letzten Jahren innerhalb der sprachorientierten<br />

Forschung der Künstlichen Intelligenz (KI) intensiv entwickelt und findet<br />

in natürlich-sprachlichen Systemen Verwendung. Der Einfluss der KI-<br />

Ansätze der Wissenrepräsentation betrifft gegenwärtig vorwiegend die kognitive<br />

Psychologie und die Bereiche der Linguistik, die psychologisch orientiert<br />

sind. Neu bei der Analyse der Wortbedeutung sind schemaorientierte<br />

Repräsentationen. Die beiden bekanntesten Ausprägungen stellen Minskys<br />

(1975) Frames und Schank/Abelsons (1977) Scripts dar. Frame ist typischer<br />

in der Beschreibung von Sachobjekten, Script dagegen für eine situative<br />

Handlung. Aktuell sind auch einige andere Schlüsselbegriffe der kognitivorientierten<br />

Analyse wie semantische Netze, Schemata, die zur formalisierten<br />

Wortbedeutung verwendet werden. Eine übersichtliche Erschließung<br />

dieser Termini33 zeigt die Vielfalt der schemaorientierten Beschreibung der<br />

Wortbedeutung (Näheres siehe S.239 ff.).<br />

14<br />

1.1.3.2. Die Motiviertheit bzw. Motivation der Wortbedeutung<br />

Die Motiviertheit ist die Beziehung zwischen Formativ und Bedeutung,<br />

bei der die Wahl des Formativs durch bestimmte Eigenschaften, Verhaltensweisen<br />

u.ä. des Benennungsobjekts bedingt ist. Die Wahl der Lautkomplexe<br />

bzw. des Formativs zur Bezeichnung einer Gegenstandsklasse ist aber nicht<br />

durch die Natur dieser Gegenstände bedingt, wie das z.B. die unterschiedlichen<br />

Bezeichnungen des Gegenstands „Baum“ in verschiedenen Sprachen<br />

bezeugen (vgl. deutsch Baum, russ. äåðåâî, lat. arbor, engl. tree usw.). Bei

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