03.11.2013 Aufrufe

Download - Institut Peter Held

Download - Institut Peter Held

Download - Institut Peter Held

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

<strong>Institut</strong>sschrift 3 Darmstadt 2002<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Held</strong> und Mike Breitbart<br />

Beziehungen gestalten und Autonomie entwickeln Darmstadt<br />

Dialogvortrag – gehalten zur Eröffnung des 1. Regionalkongresses für<br />

Transaktionsanalyse am 30. November 2002 in Darmstadt<br />

Vor ein paar Wochen rief mich eine Frau an und wollte wissen, wann die Autonomietagung<br />

stattfindet, die ich organisiere.<br />

Ich habe ihr freundlich Ort und Datum genannt. Doch in mir habe ich leisen Protest<br />

wahrgenommen. Nein: wir organisieren doch keine Autonomietagung!. Wir veranstalten<br />

einen Regionalkongress für Transaktionsanalyse, und wir haben Sie eingeladen zu dem<br />

Thema: „Beziehungen gestalten und Autonomie entwickeln“!<br />

Unser Tagungstitel hat zwei Pole: Beziehung auf der einen und Autonomie auf der<br />

anderen Seite. Wenn nur der eine Pol genannt wird, fordert der andere die ihm<br />

gebührende Aufmerksamkeit. So wie es mir bei dem Anruf der Interessentin ging.<br />

Nachdem wir uns intensiver mit dem Tagungsthema beschäftigt haben, könnte man<br />

sagen: Die Interessentin hatte doch recht.<br />

Wir veranstalten wirklich eine Autonomietagung!<br />

Wie es zu diesem Sinneswandel kam – dazu später!<br />

Die nächste halbe Stunde wollen wir als Dialogvortrag gestalten. Wir - das sind mein<br />

Kollege Mike Breitbart und ich. Wir werden unsere Präsentation immer wieder<br />

unterbrechen, um Sie zu kleinen Meditationen oder Übungen einzuladen.<br />

Sie haben im Anschluss Zeit für Rückfragen und kurze Diskussionsbeiträge.<br />

Für den Begründer der Transaktionsanalyse, kurz TA genannt, war das Wort Autonomie<br />

der wichtigste Wert dieser Methode. Alle Arten der Anwendung der Transaktionsanalyse<br />

haben als Ziel, Klienten und Klientinnen zu helfen „ein autonomer Mensch zu werden“.<br />

Autonomie gilt als Ziel von Beratung, Psychotherapie und pädagogischem Handeln.<br />

Autonomie ist der grundlegende Wert für die Persönlichkeitsentwicklung. Der Begriff ist<br />

jedoch Ursache vieler Missverständnisse. Meist wird er mit der Fähigkeit, alleine<br />

1


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

zurechtzukommen, gleichgesetzt. Sprachlich leitet sich der Begriff aus dem Griechischen<br />

ab. „Autos“ heißt „selbst“ und „nomos“ = Gesetz. Folgt man unmittelbar der Übersetzung,<br />

wäre der- oder diejenige als „autonom“ zu bezeichnen, der oder die im Handeln nur den<br />

eigenen, persönlichen Gesetzen folgt. Hier liegt die Wurzel des grundlegenden<br />

Missverständnisses des Autonomiebegriffs: seine Gleichsetzung mit „Unabhängigkeit“.<br />

Wir werden zeigen, dass mit dem psychologischen Konzept „Autonomie“ wesentlich mehr<br />

als persönliche Unabhängigkeit gemeint ist. Eine wirklich autonome Person ist - anders<br />

als der eigengesetzliche Mensch – fähig und bereit, sich unter bestimmten Bedingungen<br />

bewusst anzupassen. Die autonome Persönlichkeit kann sich situativ Zwängen fügen, sie<br />

kann sich aus einer eigenen Entscheidung heraus „unter das Gesetz“ einer anderen<br />

Person begeben. Sie ist in der Lage die Regeln Gesetze von sozialen Systemen,<br />

<strong>Institut</strong>ionen und Organisationen zu akzeptieren und zu respektieren. Wer autonom ist,<br />

zeigt sich gleichzeitig fähig zu einer flexiblen Heteronomie. Mit „Heteronomie“ ist in der<br />

griechischen Sprache das Gesetz der Anderen oder des fremden Gegenübers gemeint. Im<br />

Gegensatz zu Autonomie als „Selbstbestimmtheit“ versteht man unter Heteronomie<br />

folglich „Fremdbestimmtheit“. Anders ausgedrückt: Ich kann mich selbstbestimmt dazu<br />

entscheiden, mich in bestimmten Kontexten fremdbestimmen zu lassen. Wenn ich mich<br />

flexibel autonom verhalten kann, bin ich beziehungs- und anpassungsfähig, ohne dass ich<br />

mich gefährdet fühle, die eigene Identität zu verlieren oder wesentliche Werte, Interessen<br />

oder persönliche Überzeugungen aufzugeben.<br />

Autonomie – so kann man es in der weltweiten politischen und gesellschaftlichen<br />

Entwicklung beobachten – ist ein grundlegendes psychologisches und<br />

gesellschaftspolitisches Konzept. Wann immer es um die Entwicklung von Menschen geht<br />

– sei es als Individuen, Gruppen, Unternehmen, <strong>Institut</strong>ionen, Nationen – stoßen wir auf<br />

das Spannungsfeld zwischen Unabhängigkeit und Anpassungsbereitschaft. Das<br />

Miteinander von Menschen ge-staltet sich immer in der Balance zwischen beiden Polen.<br />

Und eine wohlverstandene Auffassung von Autonomie heißt unserer Auffassung nach<br />

diese Spannung zwischen eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen unserer<br />

Gegenüber zu steuern und auszubalancieren. So gesehen ist der Pol „Beziehungen<br />

gestalten“ in den Aspekt „Autonomie“ entwickeln integriert.<br />

2


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

Ich habe vor kurzem zum Begriff Autonomie eine sehr schöne Formulierung bei Ruppert<br />

Ley gelesen. Ruppert Ley ist ein ehemaliger Jesuitenpater, der im Bereich der Wirtschaft<br />

Manager und Führungskräfte zum Thema Philosophie und Ethik fortbildet. Er übersetzt<br />

Autonomie mit „verantwortetes Dasein“. Dieser Definition möchten wir folgen, da sie beide<br />

Aspekte des Autonomie-Konzeptes sinnvoll integriert.<br />

In unserem Vortrag geht es also darum:<br />

Wie können wir selbstbestimmt unsere eigene Persönlichkeit entwickeln und sinnvolle<br />

zwischenmenschliche Beziehungen gestalten? In der Balance zwischen beidem geschieht<br />

„verantwortetes Dasein“.<br />

Der von uns so verstandene Autonomiebegriff bezeichnet dann einen Balance-Prozess<br />

zwischen den beiden Polen – der Fremdbestimmung und der Eigenbestimmung.<br />

Übung 1:<br />

Halten wir an dieser Stelle inne für eine kurze Meditation:<br />

• Wie verantworte ich mein Dasein?<br />

• Welcher Pol der Autonomie ist bei mir besser ausgebildet: Der Blick auf die<br />

Eigenständigkeit oder der Schwerpunkt auf die Bedürfnisse der Anderen?<br />

• Neige ich eher zu Egoismus und Egozentrik?<br />

• Oder verliere ich mich in Beziehungen und gebe meine Wünsche vorschnell auf?<br />

Nehmen Sie sich bitte Zeit, um diese Fragen kurz zu bedenken. Jeder und jede für<br />

sich.<br />

Vielleicht haben Sie, anregt durch die Meditation, die Spannung zwischen den beiden<br />

Polen der Eigenbestimmung und der Fremdbestimmung spüren können.<br />

Die Fähigkeit zur autonomen Ausbalancierung ist uns in der Regel nicht „in die Wiege“<br />

gelegt, sondern gilt es zu entwickeln. Wir verstehen diese Fähigkeit zur Ausbalancierung<br />

als wesentliches Merkmal einer gelungen und verantworteten Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Wie eines solche Entwicklung gesehen kann werden wir im weiteren Vorgehen<br />

beleuchten.<br />

3


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

Nach Auffassung der Transaktionsanalyse setzt sich die Persönlichkeit eines Menschen<br />

aus drei Ich-Zuständen zusammen: dem Eltern-Ich (EL), dem Erwachsenen-Ich (ER) und<br />

dem Kind-Ich (K). Als Transaktionsanalytiker nennen wir das grafische Modell<br />

„Persönlichkeits-Strukturmodell“. Es wird als drei gleichgroße, übereinanderliegende<br />

Kreise dargestellt. Die gängigen Abkürzungen dafür sind: EL für Eltern, ER für<br />

Erwachsenen-Ich und K für Kind-Ich.<br />

Das Persönlichkeits-Strukturmodell fasst im Eltern-Ich-Zustand diejenigen Systeme von<br />

Gedanken, Gefühlen, Einstellungen und Verhaltensweisen zusammen, die wir von<br />

außenstehenden Personen übernommen haben. Diese Personen waren für uns Modelle.<br />

Ihre Handlungsweisen haben wir kopiert, ihre Reaktionsgewohnheiten haben wir in unser<br />

eigenes Repertoire aufgenommen, ihre Einstellungen haben wir uns zu eigen gemacht,<br />

deren Art, Gefühle zu zeigen oder zurückzuhalten, haben wir uns nachzuahmen<br />

angewöhnt. Wir lernen im Laufe unseres Lebens über Modelllernen. Das, was wir von<br />

Eltern, Verwandten, Autoritätspersonen, Lehrerinnen oder Vorbildern übernommen haben,<br />

ist in uns als sogenannte Introjekte gespeichert.<br />

Das Eltern-Ich ist das System unserer Persönlichkeit, welches das über Modelllernen in<br />

unsere Pesönlichkeitsstruktur aufgenommene Repertoire an Fremd-Erfahrungen<br />

beinhaltet. Mit Eltern-Ich beschreiben wir alles, was von anderen früher oder heute<br />

übernommen wurde. Das so Gelernte steht uns als innerer Speicher zur Verfügung.<br />

In heutigen Situationen können wir solche übernommenen Reaktionsweisen aktivieren.<br />

Ein Beispiel: Angenommen, Sie sind mit Ihrem Vater als Kind öfters im Auto mitgefahren.<br />

Und jedes Mal, wenn ein anderer Autofahrer langsam vor Ihnen hergefahren ist, hat Ihr<br />

Vater ärgerlich „So ein Lahmarsch!“ geschrien. Wenn Sie heute selbst Autofahrerin oder<br />

Autofahrer sind, könnte es passieren, dass ebenfalls ein langsam fahrender<br />

Fahrzeuglenker vor Ihnen herfährt. Wenn Sie sich dabei ertappen, dass Sie in solchen<br />

Fällen auch „So ein Lahmarsch!“ schreien, dann sind Sie im Eltern-Ich. D.h. Sie haben aus<br />

dem inneren Speicher eine Verhaltensweise aktiviert, die sie Ihrem Vater abgeguckt<br />

haben. Ein Mobilisieren übernommener Muster geschieht oft in Sekundenschnelle,<br />

meistens unbewusst.<br />

Auch das Kind-Ich ist ein psychischer Speicher. Im K werden alle Erfahrungen aufbewahrt<br />

- sozusagen archiviert -, die wir in der Vergangenheit, von der Kindheit bis heute gemacht<br />

haben. Das Persönlichkeits-Strukturmodell fasst im Kind-Ich-Zustand diejenigen Systeme<br />

4


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

von Gedanken, Gefühlen, Einstellungen und Verhaltensweisen zusammen, die wir<br />

aufgrund eigener Lebenserfahrungen früher selbst entwickelt haben.<br />

Auch die Erfahrungs-Inhalte dieses Ich-Zustandes haben unsere individuelle<br />

Persönlichkeit geprägt. Elemente auch dieses inneren Repertoires können jeweils situativ<br />

aktualisiert werden.<br />

Beispiel: Angenommen Sie waren meistens schlecht in der Schule. Sie haben als<br />

Schülerin oder Schüler selten Lust gehabt, etwas für die Schule zu tun. Wenn Ihr Lehrer<br />

oder Ihre Lehrerin Sie deswegen kritisiert hat, haben Sie schnell Besserung gelobt, um die<br />

unangenehme Situation zu bewältigen. Danach haben Sie aber trotzdem wieder genauso<br />

wenig für die Hausaufgaben getan wie vorher. Nun könnte es sein, dass dieses<br />

Verhaltensmuster sich so stabil als Element Ihrer Persönlichkeit ausgebildet hat, dass Sie<br />

es auch als Erwachsene oder als Erwachsener reaktivieren. Es könnte also sein, dass Ihr<br />

Chef Sie wegen schlechter Arbeitsleistungen kritisiert. Und sie geloben auch ihm<br />

Besserung, ohne dieses Versprechen danach wirklich umzusetzen. Falls Ihre Reaktion so<br />

abläuft, sind Sie im Kind-Ich!<br />

Als drittes Element des Persönlichkeits-Strukturmodell gilt wir das Erwachsenen-Ich. In<br />

unser Erwachsenen-Ich werden Impulse aus unserer Umwelt und unserem heutigen<br />

Erleben als Erwachsene aufgenommen. In diesem Ich-Zustand entscheidet die Person, ob<br />

geeignetes Verhaltensrepertoire im Eltern-Ich oder im Kind-Ich vorhanden ist. Wenn ja,<br />

kann der oder die Erwachsene auf gespeicherte Möglichkeiten zurückgreifen oder nicht.<br />

Entscheidet er oder sie sich gegen vorhandene Muster werden in diesem System neue<br />

Gedanken, Gefühlen, Einstellungen und Verhaltensweisen entwickelt.<br />

Das Erwachsenen-Ich ist sozusagen der Teil unserer Persönlichkeit, der auf die heutige<br />

Realität adäquat reagiert. Unser Thema „Beziehungen gestalten und Autonomie<br />

entwickeln“ findet also zunächst einmal innerpsychisch statt. Das Erwachsenen-Ich als<br />

steuerndes Element unserer Persönlichkeit ist somit der Sitz unserer<br />

Entscheidungsfindung und unserer Reaktionsbildung nach außen. Ich gestalte Autonomie<br />

als verantwortetes Dasein, indem ich mich auf meine eigenen Persönlichkeitsanteile<br />

innerlich beziehe. Ich entscheide autonom, ob ich Aspekte meiner Erfahrungen oder<br />

meines Modelllernens nutze. Indem ich mich selbstverantwortlich auf mich selbst beziehe,<br />

gestalte ich meine Reaktionen und treffe Entscheidungen. Ich kann mich auf<br />

Übernommenes beziehen oder auch auf das früher selbst Entwickelte. Je nachdem, ob ich<br />

5


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

mein Persönlichkeitsrepertoire aktualisiere oder Neues erfinde, ich kann darüber bewusst<br />

und autonom entscheiden. Wenn ich auf Altes zurückgreife, stabilisiere ich eher meine<br />

bisherige Persönlichkeit. Konstruiere ich Neues, bringe ich meine Persönlichkeit eher auf<br />

einen Entwicklungsweg.<br />

Beziehung zu mir selbst heißt: Ich kann Vorhandenes nutzen oder neues Verhalten<br />

entwickeln. Ich kann mich auch durch Abgrenzung gegenüber meinen Ich-Zuständen auf<br />

sie beziehen.<br />

Übung 2:<br />

Ich leite Sie jetzt zu einer Übung an:<br />

Wählen Sie sich einen Partner oder eine Partnerin, um sich über das bisher Gehörte zu<br />

unterhalten.<br />

Achten Sie jetzt einmal auf Ihre innere Reaktion auf dieses Aufforderung. Ist Ihr Impuls: Ja<br />

– das mache ich gerne? Oder haben Sie gedacht oder gefühlt: Nein, das will ich nicht, ich<br />

bin auf Vortrag eingestellt.<br />

Spüren Sie bitte Ihre innere Autonomiedynamik. Entscheiden Sie autonom, ob Sie sich an<br />

die Anforderung anpassen. Oder gehen Sie mit dem Nein und entscheiden Sie<br />

selbstbestimmt, wie Sie die nächsten Minuten verbringen wollen!<br />

Neben der innerpsychischen Qualität der Autonomie, also der bewussten Entscheidung<br />

wie ich mit meinem biografisch Erfahrenen umgehe, legt die Transaktionsanalyse einen<br />

weitren Schwerpunkt auf die Beziehungsgestaltung. Grundlegendes Element der<br />

Beziehungsgestaltung ist die Begegnung mindestens zweier Individuen. Diese Begegnung<br />

manifestiert sich in der bewussten und unbewussten Interaktion der Menschen. Die<br />

Transaktionsanalyse bezeichnet diese Interaktion als eine Transaktion – einen Austausch.<br />

Wie der Begriff es schon verdeutlicht, ist die Analyse der zwischenmenschlichen<br />

Interaktionen vor dem Hintergrund der eigenen Biographie und der gegenwärtigen<br />

Begegnungen das Zentrum der TA.<br />

Zur Analyse der Transaktionen entwickelte Eric Berne das Funktionsmodell. Anders als im<br />

bereits vorgestellten Strukturmodell geht es im Funktionsmodell um beobachtbare<br />

Verhalten, um das „Wie“ der Interaktion. Berne stellte in seiner langjährigen Berufspraxis<br />

6


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

fest, dass Klienten und Klientinnen in der gegenwärtigen Kommunikation unterschiedliche<br />

Verhaltensweisen präsentierten, die eine Ähnlichkeit zu dem Verhalten, der<br />

Ausdrucksweise eines Kindes, einer Elternperson oder einer Erwachsenperson hatten.<br />

Ausgehend von diesen Bebachtungen entwickelte er das Funktionsmodell, in dem er<br />

unterschiedliche Qualitäten - im Sinne von Beschaffenheiten - der nonverbalen und<br />

verbalen Kommunikation beschrieb. Wesentliche Qualitäten sind dabei: Eine elternhafte,<br />

kindhafte und eine erwachsene Haltung in der Kommunikation.<br />

Die einzelnen Haltungen werden im Funktionsmodell ebenfalls als Ich-Zustand<br />

beschrieben. Eltern-Ich-Zustand, Erwachsenen-Ich-Zustand und Kind-Ich-Zustand. Dabei<br />

lassen sich die Ich-Zustände wie folgt charakterisieren. Der Eltern-Ich-Zustand ist ein<br />

elternhaftes Erleben und Verhalten. Dies kann sein: wohlwollend-entmutigend,<br />

wohlwollend-verwöhnend, kritisch Grenzen setzend und kritisch abwertend. Der Ich-Kind-<br />

Zustand ist ein kindhalftes Verhalten, welches als frei, natürlich, unbefangen erlebt werden<br />

kann, aber auch auf Autoritäten regierend, angepasst und rebellisch. Der Erwachsen-Ich-<br />

Zustand ist eine erwachsene Haltung, welche sich mit einem logischen, rational überlegten<br />

Verhalten charakterisieren lässt.<br />

Treten nun zwei Menschen in Interaktion, so kann dies als eine Abfolge von Stimulus (z.B.<br />

Guten Tag! oder Wie geht es ihnen?) und einer Erwiderung = Respons (Guten Tag, mir<br />

geht es gut!) dargestellt werden. Im Funktionsmodell verortet heißt dies, aus einem Ich-<br />

Zustand heraus sende ich einen Stimulus an mein Gegenüber. Dieses erwidert mit einem<br />

Respons aus einem seiner Ich-Zustände. Jedoch liegt schon im Stimulus, z.B. „Wie spät<br />

ist es?“ eine Intention, aus welchem Ich-Zustand der Sender von seinem Gegenüber eine<br />

Erwiderung wünscht, in diesem Fall die Uhrzeit. Dieser Vorgang wird als eine Transaktion<br />

bezeichnet. Vor allem Botschaften aus dem Eltern-Ich-Zustand bauen darauf, dass sie aus<br />

dem Kind-Ich-Zustand erwidert werden und umkehrt. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:<br />

Eine Mutter sagt zu ihrem Sohn: „Draußen ist es kalt, zieh einen Schal und eine Mütze an,<br />

damit Du dich nicht erkältest. Diese fürsorglich elterliche Botschaft baut auf eine<br />

Erwiderung aus dem Kind-Ich auf. Die Mutter erwartet, dass der Sohn sich einen Schal<br />

und eine Mütze anzieht. Tut er dies, dann befindet er sich im angepassten Kind-Ich. Die<br />

TA spricht hier von einer komplementären Transaktion.<br />

7


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

Entsteht nun in einer Beziehungsgestaltung eine Dynamik, die auf die Passung von<br />

Stimulus und Respons baut, können dabei die eigenen Bedürfnisse und die<br />

Eigensteuerung verloren gehen, je mehr sich ein solches Muster etabliert. Die Passung<br />

von Stimulus und Respons ist auf die Fremdsteuerung, welche im Stimulus mitschwingt,<br />

angewiesen. Autonomie in unserem Verständnis bedeutet nun die bewusste<br />

Entscheidung, wie ich auf diesen Stimulus reagieren will. Das heißt, will ich auf die im<br />

Stimulus mittransportierte Response-Erwartung eingehen oder entscheide ich mich für<br />

eine Erwiderung aus einem anderen Ich-Zustand. So könnte der Sohn aus dem Beispiel in<br />

eine Rebellion gegen seine Mutter gehen. „Nein ich ziehe diesen blöden Schal nicht an!“<br />

Er könnte aber auch den Stimulus ignorieren, sich von seiner Mutter verabschieden und<br />

ohne Schal und Mütze von dannen ziehen. Die Transaktionsanalyse bezeichnet diese<br />

Transaktion als eine gekreuzte.<br />

Der von Berne gewählte Begriff des Stimulus verweist gleichzeitig auf die tragende<br />

Bedeutung von Stimulation für die menschliche wie individuelle Entwicklung. Stimulation<br />

ist Grundlage und Bedingung von Entwicklung. Ohne die Stimulation von außen können<br />

sich unsere neuronalen Verbindungen im Gehirn nicht bilden bzw. nicht festigen. Je<br />

weniger Stimulation einem Säugling angeboten wird, so zeigt es die Säuglingsforschung,<br />

um so geringer ist die kognitive Fähigkeit, die Intelligenz ausgebildet. Ohne jegliche<br />

Stimulation von außen, so hat es René Spitz verdeutlicht, ist die Existenz bedroht.<br />

Bekommen Säuglinge keine Stimulation, Ansprache, Körperkontakt und Zuwendung,<br />

sterben sie. Im Laufe der Entwicklung nimmt die notwendige Intensivität von Stimulation<br />

ab, jedoch bleibt sie weiterhin bedeutsam und wichtig. Ohne Stimulation vereinsamt der<br />

Mensch, kann er sich nicht weiterentwickeln und seine Fähigkeiten erweitern. Gleichzeitig<br />

braucht der Mensch Phasen der Verarbeitung des Stimulus und somit Phasen, in denen<br />

keine neuen Stimuli auf ihn oder sie eintreffen. „Ich brauche Zeit zum Nachdenken; ich<br />

brauche jetzt Zeit für mich!“ sind Worte, mit denen wir oft verbal eine solche Phase<br />

einläuten. Zu viele Stimuli können aber auch eine Reizüberflutung darstellen, welche dann<br />

vom Gehirn nicht mehr verarbeitet werden können. Säuglinge signalisieren dies oft sehr<br />

deutlich, wenn sie ihren Kopf weg drehen, sich somit der Ansprache und der<br />

Kontaktaufnahme entziehen.<br />

8


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

Angebunden an die Transaktion, der Austausch von Stimulus und Response, bedeutet<br />

dies, dass dieser Austausch Grundlage der menschlichen Entwicklung ist. Die<br />

komplementäre Transaktion ist dabei als Basis einer Kommunikation und<br />

Begegnungsebene bedeutsam. Wird in einer Kommunikation vor allem auf gekreuzte<br />

Transaktionen gebaut, so führt dies zum Begegnungsabbruch, somit zum Verlust vom<br />

Stimulation.<br />

Autonomie entwickeln und Beziehung gestalten heißt in unserer Begegnung mit dem oder<br />

der anderen, eine gesunde Balance von Fremdbestimmung und Eigenbestimmung<br />

herzustellen. Kommunikation, die nur auf komplementäre Transaktionen abzielt, somit in<br />

ihrem Charakter eine Fremdbestimmundynamik etabliert, führt zum Verlust der<br />

Eigenständigkeit und kann in die Abhängigkeit führen. Ausschließlich auf<br />

Eigenbestimmung ausgerichtete Kommunikation führt dauerhaft zum Verlust von<br />

Kommunikationsmöglichkeiten. Kinder finde ich, formulieren dies oft sehr anschaulich. „Mit<br />

dir habe ich keine Lust mehr zu spielen, immer muss ich dass machen was du willst.“<br />

Beziehungen gestalten bedeutet auch wieder, eine Balance zwischen Eigenbestimmung<br />

und Fremdbestimmung herzustellen. Die Fähigkeit, diese Balance herzustellen, ist<br />

entwickelte Autonomie. In meinem Alltag ausgewogen zwischen Zeiten des „Ich“, des für<br />

mich und bei mir Seins zu wählen, sowie des „Du“, des beim anderen sein und des in eine<br />

Begegnung eintreten, ist Grundlage einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Autonomie – so haben wir gesehen – geschieht zunächst als Beziehung zu meinen<br />

eigenen Erfahrungen und Introjekten.<br />

Das Erwachsenen-Ich entscheidet als Steuerungsinstanz aber auch darüber, wie wir uns<br />

auf andere Personen beziehen.<br />

Durch Aktivierung unseres Erwachsenen-Ichs entscheide ich, ob ich meine eigenen<br />

Wünsche, Bedürfnisse oder inneren Impulse durchsetze oder ob ich mich auf mein<br />

Gegenüber einstelle. Das ER entscheidet autonom darüber, ob ich den Pol des Ichs oder<br />

den des Dus besetze. Das Erwachsenen-Ich steuert die autonome Balance.<br />

Beziehungen gestalten – Autonomie entwickeln.<br />

9


<strong>Institut</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

© Dr. <strong>Peter</strong> <strong>Held</strong><br />

Das Fachinstitut für<br />

Beratung & Professionalisierung<br />

im Bereich Humanressourcen<br />

in Darmstadt<br />

www.<strong>Peter</strong>held.de<br />

Die Kunst des Lebens besteht im Ausbalancieren. In einem abschließenden Modell stellen<br />

wird dies nun plastisch dar.<br />

Autonomie ist die Fähigkeit zur Ausbalancierung zwischen den Polen<br />

1. Eigenbestimmung und Fremdbestimmung<br />

2. Ich und Du<br />

In einem Mobile versinnbildlicht heißt dies:<br />

Beide Polachsen sind an einem Fadenaufgehängt. Ein Faden gibt den Polachsen die<br />

Struktur an der sie sich in Balance bringen können. Mit anderen Worten, ist der Faden<br />

eine bewusste Fähigkeit die unterschiedliche Pole in eine Balance zu bringen. Diese<br />

Fähigkeit ist , wie wir gezeigt haben, unserem Verständnis nach Autonomie.<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!