winter/zima 2004/2005 - Pavlova hiša

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03.11.2013 Aufrufe

den einige Katzerl hierhin, die anderen dorthin verschenkt. Ein organisatorischer Aufwand war es für sie hier oben, in einem kleinen Weiler im Kanaltal unweit der italienisch-slowenischen Staatsgrenze, jedes Mal. Etwas besorgt um die beiden Tiere, aber dennoch von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt, meint sie: „Ist halt auch ein Luxus!“ und krault der „Katzenomi“ das Fell. Die hat das ganze schon hinter sich und lässt sich die ungeteilte Aufmerksamkeit für den Moment gerne gefallen. Obwohl einer der größten Verkehrkorridore Europas, das Kanaltal, gerade einmal 5 Kilometer entfernt liegt, scheint in diesem Weiler die Zeit still zu stehen. Seit 4 Jahrzehnten lebt Frau Kristina hier oben, mit sagenhaftem Ausblick auf den Mangart, die Ponzen und den Travnik – drei imposante Gipfel der Julischen Alpen. Aufgewachsen ist sie unten im Tal, in der Ortschaft Fusine in Valromana, oder auf deutsch Weissenfels, oder auf slowenisch Bela Peč. Ihr Mann hat sie dann auf seine Wirtschaft hier oben mitgenommen. Heute teilt sie sich das Privileg auf diese Naturkulisse nur noch mit einem Nachbarn, denn ihr Martin sowie die Frau des Herrn Simmerl sind schon vor einigen Jahren verstorben. Nur mehr zwei der sechs Wirtschaften sind damit ständig bewohnt, doch langweilig wird es Frau Kristina trotzdem nicht. Da gibt es die vielen Forstarbeiter, die hier unterwegs sind. Ständig ziehen Wanderer und neuerdings auch Mountainbiker an ihrem Haus vorbei, und gerade ist ihre Tochter, die nach Pisa geheiratet hat, auf Besuch. Und natürlich gibt es die beiden Familien, die hier ihre Wochenendhäuser haben. Claudio aus Triest und seine Familie werden klarerweise auf Italienisch begrüßt. Kommen Sieglinde oder Daniela aus Graz, deren Omi bzw. Uromi hier lebte, werden sie so wie ich mit Frau Kristinas wundervollem, kärntnerisch gefärbtem Deutsch bezaubert, einem Dialekt, denn Frau Kristina auch an ihre beiden Kinder weitergeben konnte. Einige Tage später und nur wenige Kilometer weiter westlich im Kanaltal sitze ich auf der Veranda der Fremdenpension „Pr’Krajncu“. Ich unterhalte mich mit dem Hausherrn, Herrn Rudi Bartaloth. Auch der Talboden rund um das Dorf Valbruna/Wolfsbach/Ovčja vas gibt einen dieser beeindruckenden Ausblicke auf die Julischen Alpen frei, diesmal auf die Felswände des Wischbergs und des Montasch. Über die riesigen Rohre, die 100 Meter entfernt gerade unterirdisch verlegt werden und einmal die inzwischen dritte Erdgaspipeline darstellen sollen, die durchs Kanaltal führt, schauen Hausherr und ich souverän hinweg: Schließlich verschwindet bald alles im Boden und wird damit garantieren, dass dieser Ausblick niemals verbaut wird. Mehr Sorgen bereitet Herrn Bartaloth da der regnerische August. Gerade einmal 6 bis 8 Wochen dauert im Kanaltal die Sommersaison, und von einem Hitzesommer wie 2003, der zusätzliche Gästescharen bescherte, können die Touristiker im Kanaltal heuer nur träumen. Mit seinen Gästen, die, wie er mir erzählt, im Sommer hauptsächlich aus Italien kommen, unterhält er sich naturgemäß in der Landessprache. Schließlich schaut auch noch seine Tochter vorbei, die mich auf Italienisch und Slowenisch begrüßt. Und wir beide unterhalten uns: auf Slowenisch. Das Kanaltal, die Einkaufstadt Tarvis, die Autobahn und die neue Pontebbana ... in der Gegend, in der die Dächer plötzlich aus rostrot lackiertem Blech sind, denken die meisten Österreicher aufgrund der italienischen Wegweiser, Reklamen und Mautstationen an die ersten Anzeichen von Urlaub: Und trotz der beeindruckenden Gebirgskulisse – sofern man sie ob der vielen Tunnel überhaupt wahrnehmen kann – bleibt das Kanaltal ein lästiger, zeitraubender Zwischenort auf dem Weg in den heiß ersehnten Süden. Zwiespältige Gefühle birgt dann die Rückreise durchs Tal, wenn den Österreichern die Felsabhänge links und rechts, das Flussbett der Fella in der Mitte, verkünden: Vorbei ist‘s mit dem Süden! (Slowenen erleben diese Empfindung des Heimkommens für gewöhnlich schon viel früher, irgendwo in der friulanischen Ebene vor Palmanova – nämlich dort, wo sich je nach Wetter der Karstrand und die Gipfel der Östlichen Julier abzeichnen ...) 46

Menschen aus beiden Ländern, Österreich, Slowenien, und noch viele andere Völker dazu, haben Tarvis als Stadt günstiger Einkaufswunder in Erinnerung, dazu den beinahe traditionellen Stau im Ort und an den beiden Grenzen rundherum, und schließlich das prickelnde Gefühl, doch etwas mehr „geshoppt“ zu haben, als es die Zollfreigrenzen damals erlaubten. Alles fließt … die Slizza/Gailitz/Zilica ins Schwarze Meer, die Fella/Bela in die Adria … Tarvis (respektive das gesamte Kanaltal) liegt nicht nur örtlich gesehen wie immer dazwischen, seine Bewohnerinnen und Bewohner sowieso: Stolz verkündet selbst der Fremdenverkehrverband der Region, dass sich die Menschen hier in zwei bis sieben verschiedenen Sprachen verständigen … in vier verschiedenen Muttersprachen, nämlich Italienisch, Friulanisch, Deutsch und Slowenisch, und den drei im Alltag angewendeten Dialekten des Italienischen, Deutschen und Slowenischen – vier plus drei ergibt somit sieben. Weniger einfach als diese Rechnung ist es, das Miteinander von drei großen europäischen Sprachgruppen gerade an diesem Ort zu erklären. Geht man vom Zeitpunkt der Völkerwanderung aus, stellt die slowenische Sprache die älteste autochthone Sprache des Kanaltales dar. Nur wenig dieser Besiedlung ist in der gegenwärtigen Namensgebung noch nachvollziehbar, wie zum Beispiel Ugovizza/Uggowitz/ Ukve oder Bagni di Lussnizza/Luschnitz/Lužnica. Ab dem 10. Jahrhundert, als die Bischöfe aus dem bayrischen Bamberg die Herrschaft über das Kanaltal übernahmen, kamen deutsche Siedler hinzu – und damit die ersten Grenzen zwischen dem geistlichen und weltlichen Einflussbereich von Aquilea, Freising, Brixen und Bamberg einerseits, den Geschlechtern der Ortenburger, Spanheimer, Eppensteiner und der Grafen von Cilli andererseits. Das Gebiet am westlichen Ausgang des Kanaltals, jenseits der Pontebbana, eines kleinen Nebenflusses der Fella, war hauptsächlich friulanisch besiedelt, doch auch hier gab es sowohl slowenische als auch deutsche Siedlungsinseln, wie rund um Sauris (deutsch) und im Resiatal (slowenisch). Und aus dem Friulanischen „Cjânal“ leitet sich auch der Name des Kanal- Tales ab: eigentlich ein Pleonasmus, da bereits dieses Wort allein einen „Talboden“ bezeichnet. Mit der Neuzeit nahm die Anzahl der am Spiel beteiligten Herrschaften ab, nicht aber die Zahl der das Kanaltal umgebenden Grenzen. Zwar verschwand 1765 jene zwischen dem Kanaltaler Thörl und Arnoldstein, als die Bamberger Bischöfe die Gebietshoheit an die Habsburger abtraten und das Kanaltal kärntnerisch wurde. Geblieben ist hingegen die Grenze zwischen dem Doppelort Pontebba-Pontafel, anfangs als Grenze zu venezianischem Besitz, für 50 Jahre als Binnengrenze zwischen zwei habsburgischen Besitztümern und ab 1866 schließlich als Grenze zwischen italienischem König- und österreichischem Kaiserreich. Eine weitere Grenze verlief im Osten des Kanaltales: Der Weiler, in dem unsere Frau Kristina wohnt, sowie der Ort Fusine/ Weissenfels/Bela Peč gehörten im Mittelalter den Ortenburgern, entlang des Rio Bianco/Weissenbach/Beli potok verlief bis 1918 die Grenze zwischen den Herzogtümern Kärnten und Krain. Für kurze Zeit, nämlich zwischen 1811 und 1815, wurde das heutige Fusine wie auch alle anderen Orte des Kanaltales Teil des „Regno Italia“ der Grenzziehung Napoleons, während im Krainer Rateče/Ratschach und Kärntner Arnoldstein/Podklošter seine „Illyrischen Provinzen“ begannen. Mit leichten Abänderungen sollte das napoleonische Intermezzo jene Grenzen vorwegnehmen, die wir heute vom Dreiländereck kennen. Abgesehen von Germanisierungstendenzen im Schulwesen und im öffentlichen Leben, wie wir sie auch aus anderen Teilen der Monarchie kennen, blieb bis 1915 das Leben und die ethnische Zusammensetzung im Kanaltal von den erwähnten Besitzwechseln und Grenzziehungen unberührt. Dann trat Italien in den Ersten Weltkrieg ein, die Front verlief südlich des Kanaltales. Die Gebietsansprüche Italiens bezogen sich dabei primär auf die Kontrolle des Verkehrsknotenpunktes Tarvis als Verlängerung der „Pontebbana“ – denn damals zweigte hier noch die Kronprinz-Rudolf-Bahn Richtung Jesenice/Assling bzw. Laibach ab. Das Kanaltal wurde italienisch. Aufgrund der erheblicheren Konflikte zwischen Österreich einerseits (Unterkärnten), Italien und dem SHS-Staat andererseits (Istrien, Görz, Innerkrain) vollzog sich diese Grenzziehung relativ unspektakulär, die Folgen für die autochthone Bevölkerung blieben es jedoch nicht. Behörden und Ämter wurden von Italienern oder Friulanern übernommen und die vielen deutsch- oder slowenischsprachigen Bahnarbeiter verloren ihre Anstellung. Dies brachte die erste wesentliche Verschiebung in der ethnischen Zusammensetzung der Kanaltaler Bevölkerung. 1923 wurde 47

Menschen aus beiden Ländern, Österreich, Slowenien,<br />

und noch viele andere Völker dazu, haben Tarvis als Stadt<br />

günstiger Einkaufswunder in Erinnerung, dazu den beinahe<br />

traditionellen Stau im Ort und an den beiden Grenzen<br />

rundherum, und schließlich das prickelnde Gefühl, doch<br />

etwas mehr „geshoppt“ zu haben, als es die Zollfreigrenzen<br />

damals erlaubten. Alles fließt … die Slizza/Gailitz/Zilica<br />

ins Schwarze Meer, die Fella/Bela in die Adria … Tarvis<br />

(respektive das gesamte Kanaltal) liegt nicht nur örtlich<br />

gesehen wie immer dazwischen, seine Bewohnerinnen und<br />

Bewohner sowieso: Stolz verkündet selbst der Fremdenverkehrverband<br />

der Region, dass sich die Menschen hier<br />

in zwei bis sieben verschiedenen Sprachen verständigen …<br />

in vier verschiedenen Muttersprachen, nämlich Italienisch,<br />

Friulanisch, Deutsch und Slowenisch, und den drei im Alltag<br />

angewendeten Dialekten des Italienischen, Deutschen<br />

und Slowenischen – vier plus drei ergibt somit sieben.<br />

Weniger einfach als diese Rechnung ist es, das Miteinander<br />

von drei großen europäischen Sprachgruppen gerade an<br />

diesem Ort zu erklären. Geht man vom Zeitpunkt der Völkerwanderung<br />

aus, stellt die slowenische Sprache die älteste<br />

autochthone Sprache des Kanaltales dar. Nur wenig dieser<br />

Besiedlung ist in der gegenwärtigen Namensgebung noch<br />

nachvollziehbar, wie zum Beispiel Ugovizza/Uggowitz/<br />

Ukve oder Bagni di Lussnizza/Luschnitz/Lužnica. Ab dem<br />

10. Jahrhundert, als die Bischöfe aus dem bayrischen Bamberg<br />

die Herrschaft über das Kanaltal übernahmen, kamen<br />

deutsche Siedler hinzu – und damit die ersten Grenzen<br />

zwischen dem geistlichen und weltlichen Einflussbereich<br />

von Aquilea, Freising, Brixen und Bamberg einerseits, den<br />

Geschlechtern der Ortenburger, Spanheimer, Eppensteiner<br />

und der Grafen von Cilli andererseits. Das Gebiet am<br />

westlichen Ausgang des Kanaltals, jenseits der Pontebbana,<br />

eines kleinen Nebenflusses der Fella, war hauptsächlich<br />

friulanisch besiedelt, doch auch hier gab es sowohl slowenische<br />

als auch deutsche Siedlungsinseln, wie rund um Sauris<br />

(deutsch) und im Resiatal (slowenisch). Und aus dem Friulanischen<br />

„Cjânal“ leitet sich auch der Name des Kanal-<br />

Tales ab: eigentlich ein Pleonasmus, da bereits dieses Wort<br />

allein einen „Talboden“ bezeichnet.<br />

Mit der Neuzeit nahm die Anzahl der am Spiel beteiligten<br />

Herrschaften ab, nicht aber die Zahl der das Kanaltal umgebenden<br />

Grenzen. Zwar verschwand 1765 jene zwischen<br />

dem Kanaltaler Thörl und Arnoldstein, als die Bamberger<br />

Bischöfe die Gebietshoheit an die Habsburger abtraten und<br />

das Kanaltal kärntnerisch wurde. Geblieben ist hingegen<br />

die Grenze zwischen dem Doppelort Pontebba-Pontafel,<br />

anfangs als Grenze zu venezianischem Besitz, für 50 Jahre<br />

als Binnengrenze zwischen zwei habsburgischen Besitztümern<br />

und ab 1866 schließlich als Grenze zwischen italienischem<br />

König- und österreichischem Kaiserreich. Eine<br />

weitere Grenze verlief im Osten des Kanaltales: Der Weiler,<br />

in dem unsere Frau Kristina wohnt, sowie der Ort Fusine/<br />

Weissenfels/Bela Peč gehörten im Mittelalter den Ortenburgern,<br />

entlang des Rio Bianco/Weissenbach/Beli potok<br />

verlief bis 1918 die Grenze zwischen den Herzogtümern<br />

Kärnten und Krain. Für kurze Zeit, nämlich zwischen 1811<br />

und 1815, wurde das heutige Fusine wie auch alle anderen<br />

Orte des Kanaltales Teil des „Regno Italia“ der Grenzziehung<br />

Napoleons, während im Krainer Rateče/Ratschach<br />

und Kärntner Arnoldstein/Podklošter seine „Illyrischen<br />

Provinzen“ begannen.<br />

Mit leichten Abänderungen sollte das napoleonische Intermezzo<br />

jene Grenzen vorwegnehmen, die wir heute vom<br />

Dreiländereck kennen. Abgesehen von Germanisierungstendenzen<br />

im Schulwesen und im öffentlichen Leben, wie<br />

wir sie auch aus anderen Teilen der Monarchie kennen,<br />

blieb bis 1915 das Leben und die ethnische Zusammensetzung<br />

im Kanaltal von den erwähnten Besitzwechseln und<br />

Grenzziehungen unberührt. Dann trat Italien in den Ersten<br />

Weltkrieg ein, die Front verlief südlich des Kanaltales. Die<br />

Gebietsansprüche Italiens bezogen sich dabei primär auf<br />

die Kontrolle des Verkehrsknotenpunktes Tarvis als Verlängerung<br />

der „Pontebbana“ – denn damals zweigte hier<br />

noch die Kronprinz-Rudolf-Bahn Richtung Jesenice/Assling<br />

bzw. Laibach ab. Das Kanaltal wurde italienisch.<br />

Aufgrund der erheblicheren Konflikte zwischen Österreich<br />

einerseits (Unterkärnten), Italien und dem SHS-Staat<br />

andererseits (Istrien, Görz, Innerkrain) vollzog sich diese<br />

Grenzziehung relativ unspektakulär, die Folgen für die autochthone<br />

Bevölkerung blieben es jedoch nicht. Behörden<br />

und Ämter wurden von Italienern oder Friulanern übernommen<br />

und die vielen deutsch- oder slowenischsprachigen<br />

Bahnarbeiter verloren ihre Anstellung. Dies brachte<br />

die erste wesentliche Verschiebung in der ethnischen Zusammensetzung<br />

der Kanaltaler Bevölkerung. 1923 wurde<br />

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