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winter/zima 2004/2005 - Pavlova hiša

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Österreichische Literatur. Ich habe in Frankreich eine<br />

Auseinandersetzung über österreichische Literatur erlebt.<br />

Ich unterrichtete Deutsch und sah in den französischen<br />

Büchern für den Deutschunterricht, dass durchaus österreichische<br />

Schriftsteller in gut ausgewählten Texten vorkamen,<br />

aber alle firmierten unter deutscher Literatur. Da gab<br />

es nur Littérature allemande. Da regte sich in mir nationaler<br />

Stolz und ich begann zu fragen, was da los sei, und man<br />

antwortete mir, es seien ja deutsche Texte. Ich sagte, mir<br />

komme das nicht ganz richtig vor, es müsste eigentlich auch<br />

heißen Littérature autrichienne, österreichische Literatur.<br />

Da fragten mich die Franzosen: Wo ist der Unterschied<br />

zwischen dem Deutsch von Robert Musil und dem von<br />

Thomas Mann? Da wurde ich nachdenklich und sprach<br />

über Mitteleuropa, Donaumonarchie, Habsburgerreich,<br />

mitteleuropäische Kultur. Ich versuchte zu erklären, dass<br />

die Hintergründe dieser österreichischen Literatur, dieser<br />

Texte und Stücke, ganz andere waren als jene der Literatur,<br />

die zur selben Zeit in Berlin herauskam. Berlin 1900 war<br />

etwas ganz anderes als Wien 1900. Daraus entstanden Unterschiede<br />

in der Sprache, aber vor allem auch in den Ideen<br />

und in der Geisteshaltung, die sich in der Literatur äußern<br />

mit österreichischem Skeptizismus, mit einer gewissen Resignation,<br />

mit fröhlicher Depression, mit Rückzug in die<br />

Idylle, natürlich auch mit überfeinerter Psychologisierung.<br />

All das macht einen Unterschied und einen eigenen Wert.<br />

Ich begann mit französischen Verlagen zu korrespondieren,<br />

weil ich diese Ungenauigkeit sogar in den Lexika beobachtete.<br />

Es wurden ja auch die Schweizer nicht unter Littérature<br />

allemande, deutscher Literatur, publiziert; Dürrenmatt<br />

oder Max Frisch liefen unter Littérature suisse, Schweizer<br />

Literatur. Die Nordamerikaner fand man natürlich auch<br />

nicht unter englischer, sondern unter amerikanischer Literatur,<br />

die Südamerikaner nicht unter spanischer Literatur<br />

und so weiter. Das hat sich seither wirklich geändert,<br />

es wird jetzt in Frankreich über Littérature autrichienne,<br />

österreichische Literatur, gesprochen. Das heißt, Franzosen<br />

haben mich mit ihrem Sprachbewusstsein dazu angeregt,<br />

mir der österreichischen Hochsprache bewusst zu werden<br />

und dem Ausländer zu erklären, dass sie ein eigener Wert<br />

aus einer eigenen Welt ist.<br />

Bewusst mit Sprache umgehen. Noch ein Beispiel, das<br />

auch vor einiger Zeit durch unsere Medien gegangen ist und<br />

hier mit Spott und Häme glossiert wurde. Damals setzte<br />

der Kulturminister Toubon ein Sprachengesetz durch. Das<br />

will nichts anderes, als dass die offiziellen Stellen in Frankreich<br />

aufgefordert werden, in ihren Texten, Erlässen und<br />

Gesetzen darauf zu achten, dass nach Möglichkeit in der<br />

heute gängigen französischen Sprache textiert wird und<br />

überflüssige Neubildungen, vor allem Anglizismen, vermieden<br />

werden. Natürlich weiß jeder, dass man mit einem<br />

Gesetz nicht die Sprache regulieren kann, aber diese Initiative<br />

war eine Herausforderung, mit der eigenen Sprache<br />

behutsam, bewusster, intelligenter umzugehen. Dafür gab<br />

es bei uns überhaupt kein Verständnis, Toubon wurde heftig<br />

als Sprachrichter kritisiert. Inzwischen gibt es in Polen<br />

ein ähnliches Gesetz. Es ist durchaus eine Überlegung wert,<br />

über die eigene Sprache nachzudenken. Dass sich Sprache<br />

bewegt, ist klar, nur die Sprache, die sich nicht bewegt,<br />

ist eine tote Sprache. Und eine von heute lebenden Menschen<br />

gesprochene Sprache lebt und entwickelt sich jeden<br />

Tag nach der einen, nach der anderen Richtung, rückwärts,<br />

vorwärts, tastend. Das ist ein langer Prozess, aus dem sich<br />

stetig neue Wendungen, neuer Gebrauch herauskristallisieren.<br />

Diese Entwicklung braucht oft lange Zeit, Modeformeln<br />

verschwinden, andere werden Hochsprache. Es geht<br />

nicht darum, zu versteinern, aber es geht darum, bewusst<br />

mit Sprache umzugehen.<br />

Vielfalt der Sprachen. Da gibt es natürlich die Probleme<br />

mit den Fachsprachen. Die muss man gesondert behandeln.<br />

Sie entwickeln sich rasch und sind derzeit stark englisch beherrscht.<br />

Aber, wie ich schon früher sagte, wenn es bei einem<br />

Kongress darum geht, in der Fachsprache auf Englisch<br />

vorzutragen, dann geht das für den Österreicher, für den<br />

Deutschen, für den Russen, für den Brasilianer noch ganz<br />

gut. Wenn aber über die Thematik diskutiert wird, dann<br />

wird die Sache haarig; dann bestimmt eine Minderheit,<br />

wie die Diskussion verläuft und wie unter Umständen auch<br />

ein Ergebnis beschlossen und formuliert wird. Und das<br />

ist nicht in Ordnung, daher muss man für die Vielfalt der<br />

Sprachen und ihre Rechte eintreten. Ich möchte deutlich<br />

sagen, dass ich fremde Sprachen sehr liebe und zugleich die<br />

deutsche Sprache sehr hoch schätze, sie ist eine großartige,<br />

reiche Sprache. Ich habe auch nichts gegen mehr oder weniger<br />

weinselige Wiener Sprüche, Mundart kann interessant<br />

und lustig sein, aber es hängt von der Situation ab, ob sie<br />

stimmt oder nicht passt. Also Vielfalt.<br />

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