winter/zima 2004/2005 - Pavlova hiša
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fügen, die für mich zu diesem Thema gehören. Sie führen<br />
uns nach Frankreich. Das Land liegt mir mit seiner ganzen<br />
Kultur und Lebensweise nahe. Wenn man sich intensiv<br />
mit einem fremden Land beschäftigt, lernt man auch das<br />
eigene genauer kennen. Man sieht es im Rückspiegel, man<br />
vergleicht. Man entdeckt durchaus nicht, dass das eigene<br />
nur schlecht und das fremde nur gut wäre. Man sieht sehr<br />
wohl auch eigene Vorzüge und fremde Fehler, aber es ist<br />
interessant, nach zwei Seiten zu blicken. Für mich ist das<br />
Verhältnis zur Sprache in Frankreich eindrucksvoll geworden.<br />
Über seine Beobachtung habe ich die österreichische<br />
Sprachschlamperei viel stärker empfunden als vorher.<br />
Sprache und Millionenschau. Es gibt schon in der Erziehung<br />
Nähe zur Sprache. Ich habe eine Enkelin in Brüssel,<br />
Österreicherin, neun Jahre alt, sie geht in die französische<br />
Volksschule, hat schon den französischen Kindergarten besucht.<br />
Schon im Kindergarten wird dort mit Sprache gespielt,<br />
sodass in den Kindern ein frühes Sprachverständnis<br />
entsteht. Es gibt Sprachspiele im Fernsehen, wo über Wörter<br />
diskutiert, mit Wörtern gespielt wird. Das ist schwer zu<br />
schildern, das muss man einmal gesehen haben, das existiert<br />
bei uns nicht. Es wird über schwierige Diktate im<br />
Fernsehen mit dem Publikum diskutiert, etwa im Stil der<br />
sogenannten Millionenschau.<br />
Apropos unsere Millionenshow, ich halte den dortigen Moderator<br />
für wirklich ungeeignet. Er ist ein sympathischer<br />
Mann, der sicher besonders den Frauen gut gefällt. Der<br />
kann gewiss sehr interessant über Riesenslalomtore und<br />
Schikanten diskutieren. Ich halte ihn aber in dieser Sendung<br />
für völlig deplaziert. Er spricht seinen Dialekt in einer<br />
Sendung, die mit Sprache viel zu tun hat. Da wirkt der Dialekt<br />
total provinziell. Die Sendung macht Österreich zur<br />
tiefen Provinz. Das kommt mir so vor wie das Schwyzerdütsch<br />
bei den Schweizern. Ich vergönne dem Schistar die<br />
bestdotierte Sportsendung, in dieser Schau ist er eine Fehlbesetzung.<br />
Musik und Literatur. Mangelndes Sprachbewusstsein. Österreich<br />
ist ein barockes Land, das Musik und Musiktheater<br />
liebt, großartige Höhepunkte in seiner Geschichte hinter<br />
sich hat, von denen es noch zehrt. Es ist stark abgesetzt gegenüber<br />
dem norddeutschen, dem protestantischen Raum,<br />
in dem auf Grund des Protestantismus in früher Zeit mehr<br />
Deutsch gesprochen wurde als bei uns, an Schulen, an hohen<br />
Schulen, in der Kirche, zu einer Zeit, als bei uns Latein<br />
noch die Kirchensprache war, zum Teil auch die Sprache an<br />
den Hochschulen. Zum Thema Kirche. Es ist interessant zu<br />
beobachten, dass das Zweite Vatikanum die Messe in lateinischer<br />
Sprache stark zurückgedrängt hat, weil es der Meinung<br />
war, dass es richtig sei, die Messe in der Volkssprache<br />
zu halten, damit sie das breite Publikum verstehe. Ein legitimes<br />
Argument, kirchenpolitisch leicht nachzuvollziehen.<br />
Interessant ist das Resultat in Österreich. Da wird also<br />
die Messe in deutscher Sprache gehalten, wenn aber junge<br />
Chöre kommen, dann singen sie natürlich nicht mehr in lateinischer<br />
Sprache, sie singen aber auch nicht deutsch, sondern<br />
englisch, Gospels und ähnliches. Das ist ihre Volkssprache.<br />
Es ist auch typisch bei uns, dass Literatur eine zweitrangige<br />
Kunst ist. Wir hatten und haben hervorragende Schriftsteller<br />
in Österreich, aber das Prestige eines Schriftstellers ist gering<br />
gegenüber dem Ruf einer Sängerin, eines Schauspielers,<br />
eines Musikers. Da kann ein Dichter nicht mithalten. Es ist<br />
bezeichnend, dass wir bis heute keinen einzigen Nobelpreis<br />
für Literatur erhalten haben. Der Nobelpreis für Literatur<br />
ist nicht das Non plus ultra der Literaturauszeichnungen,<br />
aber die Statistik seiner Verleihungen zeigt schon, ob in einem<br />
Land irgendein Interesse besteht, einem Schriftsteller<br />
zu einem solchen Preis zu verhelfen, denn selbstverständlich<br />
wird in Stockholm von Ländern interveniert, die dort<br />
wesentlich aktiver sind als Österreich. Wir haben in mehr<br />
als hundert Jahren für ein einziges Buch einen Nobelpreis<br />
bekommen. Das war „Die Waffen nieder“ von Bertha von<br />
Suttner, 1905 ausgezeichnet, aber nicht mit dem Nobelpreis<br />
für Literatur, sondern mit dem Friedensnobelpreis. Mehr<br />
haben wir bisher nicht geschafft. Kein Musil, kein Broch,<br />
kein Schnitzler, kein Handke, keine Bachmann sind bisher<br />
durchgekommen. Rosegger war 1913 nahe daran. Die<br />
Franzosen haben 13 Nobelpreisträger für Literatur. Das<br />
wird wohl kein Zufall sein, die sind ja nicht 13mal besser<br />
als unsere Schriftsteller, aber da spielen eben andere Überlegungen<br />
eine Rolle. Im Pantheon, in dem großen Ruhmestempel<br />
in Paris, wo Feldherren und andere Größen aus Politik,<br />
Kunst und Wissenschaft begraben sind, liegen auch<br />
Schriftsteller, aber kein einziger Musiker. Bei uns würden<br />
umgekehrt in einer solchen Ehrenhalle ganz sicher Musiker<br />
ruhen, aber kein Schriftsteller.<br />
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