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<strong>Lilienberg</strong> –<br />

Die Zeitschrift für lebendiges<br />

Unternehmertum<br />

Nummer 33 / April 2013


3<br />

Gedanken<br />

4 Christoph Vollenweider: Unternehmer<br />

und Gesellschaft bilden eine<br />

Schicksalsgemeinschaft<br />

5 Daniel Anderes: Auf dem Weg zu<br />

einer neuen Zeitkultur?<br />

6 Max Becker: Näher zusammenrücken<br />

– die Zukunft der Schweiz?<br />

8 Daniel Broglie: Change Management<br />

im Klartext<br />

BEGEGNUNG<br />

10 Nachwuchstrio liess Funken aufs<br />

<strong>Lilienberg</strong> Publikum überspringen<br />

GESPRÄCH<br />

12 Divisionär Hans-Ulrich Solenthaler:<br />

«Die Armee muss neue Dienstleistungsmodelle<br />

anbieten»<br />

14 Nationalrat Jean-François Rime:<br />

«Als Unternehmer lebe ich für den<br />

Betrieb und meine Mitarbeitenden»<br />

16 Prof. Dr. Thomas Bieger: «Das gute<br />

Ranking ist für die Hochschule<br />

St. Gallen enorm wichtig»<br />

18 Werte werden über Vorbilder<br />

transportiert<br />

20 «Das Unternehmen ist primär<br />

für den Kunden da»<br />

22 Berufliche Reintegration<br />

gemeinsam angehen<br />

24 Mit Anzeigern lässt sich immer<br />

noch Geld verdienen<br />

26 «Man wollte Arbeitskräfte, und<br />

es kamen Menschen!»<br />

28 Die Bodenseeregion als Wirtschaftseinheit<br />

sehen und verstehen<br />

30 Lohnzahlungen an Manager:<br />

exzessiv oder marktgerecht?<br />

32 Mit dem Lehrplan 21 von der<br />

Volksschule in den Beruf<br />

34 Verbindlichere Lernziele dank<br />

Lehrplan 21<br />

BILDUNG<br />

36 Wie KMU von kostenloser Mundpropaganda<br />

und Kundenempfehlungen<br />

profitieren<br />

In eigener Sache<br />

38 Für 500 Franken auf Augenhöhe<br />

mit Unternehmerpersönlichkeiten<br />

<strong>Lilienberg</strong><br />

Die Zeitschrift für lebendiges<br />

Unternehmertum<br />

Nummer 33 / April 2013<br />

© Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum, Ermatingen<br />

Herausgeberin<br />

Stiftung <strong>Lilienberg</strong><br />

Unternehmerforum<br />

CH-8272 Ermatingen<br />

Telefon +41 71 663 23 23<br />

Fax +41 71 663 23 24<br />

info@lilienberg.ch<br />

www.lilienberg.ch<br />

Redaktion und Texte<br />

Stefan Bachofen<br />

Bilder Angela Schiavone<br />

Layout Alinéa AG, Wetzikon<br />

Druck pmc, Oetwil am See


4<br />

Gedanken<br />

Von Christoph Vollenweider*<br />

Unternehmer und Gesellschaft<br />

bilden eine Schicksalsgemeinschaft<br />

Christoph Vollenweider<br />

«Die Unternehmer prägen die Gesellschaft,<br />

und die Gesellschaft prägt die<br />

Unternehmer.» Dieser Satz sagt nichts<br />

anderes aus, als dass Unternehmerschaft<br />

und Gesellschaft eine Schicksalsgemeinschaft<br />

bilden: Die Unternehmer sorgen<br />

für eine florierende Wirtschaft und tragen<br />

damit sehr viel zum Wohlstand einer<br />

Gesellschaft bei, während die Gesellschaft<br />

das Umfeld und die politischen<br />

Rahmenbedingungen schafft, in dem<br />

sich die Unternehmer und Unternehmerinnen<br />

entfalten können – und dies wiederum<br />

zum Wohl der Gesellschaft.<br />

Diese Verbundenheit zwischen Wirtschaft<br />

und Bevölkerung ist in unserem<br />

Land traditionell sehr eng, was einen wesentlichen<br />

Teil des Erfolgsmodells Schweiz<br />

ausmacht. Das Volk hat sich an der Urne<br />

in den allermeisten Fällen wirtschaftsfreundlich<br />

gegeben, während die Unternehmer<br />

in sozialen Belangen Augenmass<br />

gezeigt und sich weit über ihre wirtschaftlichen<br />

Aktivitäten hinaus für Staat<br />

und Gesellschaft engagiert haben, sei es<br />

in der Politik oder in der Armee.<br />

Seit einigen Jahren aber stellt man fest,<br />

dass sich eine Entfremdung zwischen<br />

Wirtschaft und Bevölkerung einschleicht,<br />

die sich bereits mehrmals an der Urne<br />

ausgewirkt hat. Die Ablehnung eines<br />

marktwirtschaftlichen Umwandlungssatzes<br />

in der beruflichen Altersvorsorge vor<br />

einigen Jahren oder die haushohe Zustimmung<br />

zur Minder-Initiative vor einigen<br />

Wochen beispielsweise sind klare Indizien<br />

für diese unheilvolle Entwicklung. Weitere<br />

heikle wirtschaftspolitische Abstimmungen<br />

stehen noch bevor.<br />

Selbstverständlich sind die Gründe für<br />

diese Entwicklung vielfältig. Oft aber<br />

spielt die Frustration in der Bevölkerung<br />

über das Fehlverhalten einer Minderheit<br />

eine grosse Rolle, eine Frustration übrigens,<br />

die von Wirtschaft und Politik meist<br />

viel zu spät ernst genommen wird.<br />

Und: Diese Entwicklung läuft parallel zu<br />

einer weiteren Beobachtung, die ebenfalls<br />

Anlass zur Sorge bereitet: Viele<br />

Unternehmer und unternehmerische<br />

Persönlichkeiten – unter diesen vor allem<br />

Kaderleute transnationaler Konzerne –<br />

kümmern sich kaum mehr um die gesellschaftlichen<br />

Belange. Immer weniger<br />

Wirtschaftsleute sind in Politik oder<br />

Armee aktiv, immer weniger Firmen<br />

motivieren ihre Angestellten, Milizämter<br />

in unserem Staat zu übernehmen.<br />

Weiter lässt sich beobachten, dass sich<br />

immer weniger Unternehmer an den<br />

langfristigen Auseinandersetzungen und<br />

über die grossen Herausforderungen<br />

unserer Zeit beteiligen, um dann überrascht<br />

bis entsetzt zu reagieren, wenn die<br />

Bevölkerung an der Urne radikalen Vorschlägen<br />

den Vorzug gibt: Dieses Schicksal<br />

droht der Personenfreizügigkeit oder<br />

der Lohnfreiheit in der Schweiz.<br />

Hier ist zweifellos ein Umdenken in der<br />

Unternehmerschaft notwendig. Die Stiftung<br />

<strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum versteht<br />

sich als unabhängige Plattform, auf<br />

der sich Entscheidungsträger aus Wirtschaft,<br />

Politik und Gesellschaft treffen,<br />

um diesen Dialog zu pflegen. Die verschiedenen<br />

Anlässe der sieben Aktionsfelder<br />

dienen dazu, diese Verbundenheit<br />

zwischen Unternehmertum und Bevölkerung<br />

aktiv zu leben und gemeinsam tragfähige<br />

und ganzheitliche Lösungen für<br />

die grossen Fragen der Zeit und die Herausforderungen<br />

der Zukunft zu finden.<br />

*Christoph Vollenweider ist Leiter<br />

Unternehmertum bei der Stiftung<br />

<strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum.<br />

Er verantwortet die Umsetzung des<br />

Stiftungsgedankens.


5<br />

Gedanken<br />

Von Daniel Anderes*<br />

Auf dem Weg zu einer<br />

neuen Zeitkultur?<br />

Daniel Anderes<br />

«Ich habe keine Zeit!» Kennen Sie diesen<br />

Satz? Wer ihn braucht, weiss, dass es eine<br />

Floskel, eine Ausrede ist und man in dieser<br />

Zeit einfach etwas anderes macht. Sie<br />

wissen das, Ihr Gegenüber weiss das, alle<br />

wissen das.<br />

Die Zeit ist ein gerecht verteiltes Gut.<br />

Denn jeder von uns hat pro Tag 24 Stunden,<br />

also 1440 Minuten zu seiner Verfügung<br />

– im Wissen selbstverständlich um<br />

die unterschiedlichen Lebenszeiten. Ob<br />

der Zeitraum als zu lang, zu kurz oder<br />

genau richtig für seine zu erledigenden<br />

Aufgaben, Wünsche und Bedürfnisse<br />

empfunden wird, ist individuell und so<br />

verschieden wie die Aktionen, mit denen<br />

die Zeit erfüllt wird.<br />

Heute bieten sich uns unzählige Konsumund<br />

Erlebnismöglichkeiten. Und dies zu<br />

jeder Tages- und Nachtzeit. Dies verstärkt<br />

aber nur unsere Versäumnisangst, unsere<br />

permanente Sorge, zur falschen Zeit<br />

am falschen Ort zu sein.<br />

Aber auch die Flut an Informationen hat<br />

massiv zugenommen. Dagegen hilft nur<br />

gezieltes Filtern. Denn das meiste, was<br />

wir an Informationen aufnehmen, vergessen<br />

wir sogleich wieder. So ist es nicht<br />

verwunderlich, dass sich 21 Prozent der<br />

Zuschauer einer Nachrichtensendung<br />

eine Stunde danach an keine einzige Meldung<br />

mehr erinnern können. Die verbreitete<br />

Gewohnheit, neben Radio hören<br />

oder fernsehen noch schnell einen Facebook-Eintrag<br />

zu verfassen, eine SMS zu<br />

beantworten, die Mails abzurufen und<br />

etwas im Internet zu surfen und daneben<br />

vielleicht noch eine Kleinigkeit zu essen,<br />

fördert die Qualität unserer Kommunikation<br />

und Informationsaufnahme in keiner<br />

Weise.<br />

Die entscheidende Frage also ist, wie wir<br />

unsere Zeit gestalten. Bevor wir diese<br />

Frage aber beantworten, sollten wir uns<br />

einige grundsätzliche Gedanken machen<br />

und dabei Folgendes berücksichtigen:<br />

• Wichtige Dinge nur halb zu tun, ist<br />

nahezu wertlos; denn meistens ist es die<br />

andere Hälfte, die zählt.<br />

• Fünf Minuten schöpferisches Denken<br />

ist mehr Wert als nächtelanges Wunschdenken.<br />

• Oft sitzen wir viel zu nahe auf unseren<br />

Problemen und sehen dadurch alles aus<br />

einer viel zu engen Perspektive. Die Entscheidungen<br />

fallen dann auch dementsprechend<br />

aus.<br />

• Wir sollten nicht «Gewinnen» mit «Profitieren»<br />

verwechseln. Wer wirklich gewinnen<br />

will, der sollte nicht der Allein-<br />

Profitierende sein.<br />

• Der beste Weg, andere für uns zu interessieren,<br />

ist der, an anderen interessiert<br />

zu sein.<br />

• Es ist schön, Geld zu haben, mit dem<br />

man Dinge kaufen kann. Aber es ist gut,<br />

von Zeit zu Zeit zu prüfen und sich zu<br />

vergewissern, ob wir nicht Dinge verloren<br />

haben, die man mit Geld nicht kaufen<br />

kann.<br />

Es gilt, Achtsamkeit zu pflegen, statt sich<br />

dem Zeitstress zu unterwerfen. Konzentrieren<br />

Sie sich auf den Augenblick. Dazu<br />

gehört auch, sich Zeit für musische Stunden,<br />

für gepflegte Gespräche und vertiefte<br />

Meinungsbildung zu nehmen. Die<br />

Zukunft zu gestalten. Persönlich, auf<br />

Augenhöhe.<br />

Bis zum nächsten Mal auf <strong>Lilienberg</strong>.<br />

*Daniel Anderes ist Leiter <strong>Lilienberg</strong><br />

Unternehmerforum. Er verantwortet<br />

die Bereiche Finanzen und Verwaltung<br />

der Stiftung und hat die operative<br />

Leitung des Unternehmerforums<br />

in Ermatingen.


6<br />

Gedanken<br />

Von Max Becker*<br />

Näher zusammenrücken –<br />

die Zukunft der Schweiz?<br />

Dr. Max Becker<br />

Mein üblicher Arbeitstag beginnt um<br />

7.28 Uhr am Bahnhof: Der Zug nach Zürich<br />

als morgendlicher Haltepunkt. Ich<br />

teile diesen Start in den Tag mit Tausenden.<br />

Das erste ist das schweigende Ergattern<br />

eines Sitzplatzes – die zunehmende<br />

Belegung der Züge ist mit Händen zu<br />

greifen. Oft nervt das Gedränge, aber es<br />

regt auch an zur Reflexion – und da wird<br />

es schon ein wenig differenzierter: Die<br />

Züge am Morgen als Sinnbild der Mobilität<br />

sind voll, weil wir in der Schweiz Arbeits-<br />

und Ausbildungsplätze anbieten<br />

– und erst noch alle pünktlich sein wollen…<br />

Es ist aber nicht nur die Menschenmasse,<br />

es ist auch die sprachliche Vielfalt,<br />

die mich fasziniert. Wo in Europa ist eine<br />

solche Vielsprachigkeit zu erleben? Daneben<br />

auch der Wandel des Zeitvertreibs<br />

im Zug: Wer liest eine bezahlte Zeitung?<br />

Wer unterhält sich mit dem Sitznachbarn?<br />

Wenn man nur noch Passagiere<br />

ohne Handys, iPads, iPods usw. befördern<br />

würde – die Züge wären leer… Und<br />

zuletzt: Die Züge sind voll, um damit den<br />

Verkehrsinfarkt zu vermeiden, der in vielen<br />

europäischen Grossstädten festzustellen<br />

ist. Ich weiss, unsere ÖV-Subventionen<br />

sind zu hoch. Ein halbleerer Zug<br />

wäre ein schlimmeres Signal: Keine Pendler,<br />

keine Berufsschüler und Studenten,<br />

keine Touristen, keine Rentner unterwegs<br />

in die Berge – hingegen Staus, welche die<br />

heutige Realität übertreffen.<br />

Licht und Schatten<br />

der gefühlten Enge<br />

Näher zusammenrücken: Die Schweiz<br />

wird nicht grösser, aber die Anzahl der<br />

Einwohner steigt um etwa 70 000 pro<br />

Jahr. Vieles wird dichter, die «gefühlte<br />

Enge» in den Ballungszentren zum Alltag.<br />

Wir nehmen es zunächst mit Unbehagen<br />

wahr. Aber wir dürfen auch die positiven<br />

Seiten nicht vergessen: Erinnern wir uns<br />

der «verlorenen Neunzigerjahre», als wir<br />

weitgehend wirtschaftlichen Stillstand<br />

hatten, verbunden mit gesellschaftlicher<br />

Erratik und Kulturpessimismus. Wachstum<br />

hat viele Facetten: boomende Märkte,<br />

mehr Möglichkeiten für die Unternehmungen<br />

– und klar, für den Steuerzahler<br />

natürlich auch mehr Investitionskosten<br />

und «staatlichen Unterhalt». Das ist aber<br />

nur die ökonomische Seite – daneben<br />

gibt es auch noch den qualitativen<br />

Aspekt: Ressourcen sind endlich – wo sie<br />

verschwendet werden, entstehen neue<br />

Abhängigkeiten. Der Mensch braucht<br />

freie Räume – sie drohen, wachstumsbedingt,<br />

beschnitten zu werden. Hier stehen<br />

wir vor grossen Herausforderungen,<br />

zum Beispiel in der Raumplanung – Stichwort<br />

verdichtetes Bauen.<br />

Die «enge Schweiz» der Zukunft wird<br />

auch unsere Kreativität herausfordern:<br />

Braucht wirklich jede(r) Kopfarbeiter(in)<br />

einen Arbeitsplatz in einem Büro der<br />

Firma, oft weit weg von zu Hause? Sind<br />

auch vermehrt Lösungen denkbar, wo<br />

Mitarbeitende für verschiedenste Unternehmungen<br />

am gleichen Ort arbeiten –<br />

«near home», näher zusammengerückt<br />

oder zu Hause?<br />

Grenzen: ja, aber selber setzen…<br />

Wenn wir die Lebensqualität beibehalten<br />

wollen, werden wir nicht darum herumkommen,<br />

uns selbst Grenzen zu setzen<br />

– in mancher Hinsicht: Konsum, Mobilität,<br />

Lebensraum. Wir werden auch erfahren,<br />

dass wir nicht der Schmelztiegel der<br />

Welt sein können, weder für Arbeit noch<br />

für Kapital: Wir brauchen Schleusen, die<br />

kanalisieren. Der Finanzplatz Schweiz erfährt<br />

auf bittere Art, welche Konsequenzen<br />

die Verflechtung haben kann, der<br />

Arbeitsplatz Schweiz hat seine bemerkenswerte<br />

Dynamik bisher bewahrt, der<br />

Forschungs- und Innovationsplatz Schweiz<br />

belegt Spitzenränge in allen verfügbaren<br />

Rankings. Das beizubehalten, bedarf


7<br />

grösster Anstrengungen: Visionen, Leadership,<br />

den Willen zur Veränderung und<br />

«zur besseren Lösung».<br />

Die Zeichen der Zeit sind schwierig zu<br />

deuten: Tief verwurzelter Föderalismus,<br />

Skepsis gegenüber allem, was den Anstrich<br />

von Bürokratie hat – verbunden<br />

aber mit der Einsicht, dass die Verflechtungen<br />

eng und die Abhängigkeiten ausgeprägt<br />

sind. Unser Land hat eine überlieferte<br />

Tradition des Augenmasses und<br />

der Machbarkeit: Allzu Ambitiöses geht<br />

nicht durch – oft, das sei angemerkt, auf<br />

Kosten des Aussergewöhnlichen, des<br />

«grossen Wurfs». Beispiele gefällig?:<br />

Neat ja – Swissmetro nein, Skiweltmeisterschaften<br />

ja – Olympische Winterspiele<br />

nein.<br />

Die Geschichte lehrt, dass «Zusammenrücken»<br />

oft vor dem Hintergrund des<br />

Aussergewöhnlichen und der Bedrohung<br />

erfolgte – der Gedanke des Reduits im<br />

Zweiten Weltkrieg legt beredtes Zeugnis<br />

davon ab. Heute brauchen wir kein Reduit:<br />

Wenn wir zusammenrücken, dann<br />

nicht, um uns zurückzuziehen, sondern<br />

um Freiräume zu erhalten, vielleicht auch<br />

wiederzugewinnen.<br />

Eine Fata Morgana?<br />

Auf <strong>Lilienberg</strong> versuchen wir, die Herausforderungen<br />

der Zukunft zu ergründen<br />

und die Antworten mitzugestalten – mit<br />

der 10-Millionen-Schweiz als Wegmarke.<br />

Noch ist die Zahl eine Fata Morgana –<br />

aber Szenarien, Chancen und Risiken<br />

werden in Umrissen erkennbar. «Näher<br />

zusammenrücken» ist nicht das Ziel, es<br />

ist eine Begleiterscheinung. Entscheidend<br />

wird aber nicht nur «die Menge pro<br />

Quadratmeter» sein, sondern die Frage,<br />

ob es uns gelingt, die Zukunft zu gestalten<br />

– und ob wir das genannte Augenmass<br />

beibehalten können.<br />

Man kann dem Zug um 7.28 Uhr einen<br />

Wagen anhängen, dann hat es weniger<br />

Passagiere pro Sitzplatz – man kann aber<br />

auch die Gesichter der Passagiere und die<br />

Stimmung im Zug als Massstab nehmen.<br />

Entscheidend ist nicht, ob der Zug auf die<br />

Minute genau ankommt, entscheidend<br />

ist, wie die Passagiere den Tag gestalten,<br />

der vor ihnen liegt.<br />

*Dr. Max Becker ist Leiter des <strong>Lilienberg</strong><br />

Aktionsfelds Wirtschaft & Industrie. Er<br />

promovierte an der Universität St. Gallen<br />

in Betriebswirtschaft und war danach in<br />

leitenden Konzernfunktionen im Personalbereich<br />

bei ABB und Holcim tätig<br />

(zuletzt als Leiter Management Development<br />

der Holcim-Gruppe). 2005 schloss<br />

er sich als Partner und Mitglied der Geschäftsleitung<br />

der CGZ Consulting-Gruppe<br />

Zürich an. 2001 bis 2011 präsidierte<br />

er die Zürcher Gesellschaft für Personal-<br />

Management (ZGP), seit 2011 ist er Mitglied<br />

des Vorstands von HR Swiss und<br />

Board Member der European Association<br />

of People Management (EAPM).


8<br />

Gedanken<br />

Von Daniel Broglie*<br />

Change Management im Klartext<br />

Daniel Broglie<br />

Change Management ist zu einem<br />

Schlagwort geworden, das in Unternehmenskreisen<br />

die Runde macht. Erfolgreiches<br />

Veränderungsmanagement ist aber<br />

weit mehr als eine Modeerscheinung:<br />

Change Management gehört für Firmen<br />

generell und in unserem internationalen<br />

Handelsunternehmen ganz besonders zu<br />

den wichtigsten Grundvoraussetzungen<br />

guten Unternehmertums. Denn hätten<br />

wir uns in unserer 67-jährigen Firmengeschichte<br />

nicht konstant dem Wandel gestellt<br />

und uns kontinuierlich verändert,<br />

würde die Chromos-Gruppe mit ihren<br />

200 Mitarbeitenden heute ganz sicher<br />

nicht mehr existieren. Die Fähigkeit zur<br />

Veränderung und zum Wandel ist sogar<br />

der zentrale Erfolgsfaktor im Wirtschaftsleben.<br />

Dies hat unsere Gruppe vor allem<br />

in den vergangenen Jahren, in denen das<br />

Marktumfeld noch einmal härter wurde,<br />

besonders stark erlebt.<br />

Wie sieht Wandel in unserer Firma konkret<br />

aus? Einerseits sind 10-, 20- und 30-Jahr-<br />

Firmenjubiläen der Mitarbeitenden keine<br />

Seltenheit. 2012 durften wir meinem Vater<br />

Rolf Broglie, Verwaltungsratspräsident der<br />

Gruppe, sogar zu seinem 40-Jahr-Firmenjubiläum<br />

gratulieren. Gleichzeitig bedingt<br />

dies für jeden von uns eine hohe Anpassungsfähigkeit.<br />

In den Lebensläufen dieser<br />

langjährigen Mitarbeitenden sind deshalb<br />

zwei Dinge augenfällig: Erstens hat keiner<br />

von ihnen in jenem Bereich angefangen,<br />

in dem er zurzeit aktiv ist. Die Anzahl verschiedener<br />

Tätigkeiten steigt vielmehr mit<br />

der Anzahl Dienstjahre an. Zweitens sind<br />

alle parallel zu dieser konstanten beruflichen<br />

Weiterentwicklung auch organisatorisch<br />

immer wieder in neuen Bereichen<br />

tätig geworden.<br />

Die einzelnen Mitarbeitenden erhalten<br />

somit nicht nur immer wieder neue Visitenkarten<br />

mit geändertem Stellenprofil.<br />

Auch der physische Arbeitsplatzwechsel<br />

gehört bei uns zum Alltag. Als Extrembeispiel<br />

gilt ein Mitarbeiter, der seit 20<br />

Jahren bei uns tätig ist und intern bereits<br />

zwölfmal seinen Arbeitsplatz gewechselt<br />

hat! Zudem haben wir unseren Hauptsitz<br />

seit unserer Gründung 1946 bis jetzt viermal<br />

gewechselt.<br />

Handel ist Wandel<br />

Ein Grund für diese kontinuierliche Veränderung<br />

liegt in der Branche, in welcher<br />

wir tätig sind: Als Handelsunternehmen<br />

in der visuellen Kommunikation und dem<br />

Verpackungswesen waren und sind wir<br />

insbesondere der fortlaufenden Digitalisierung<br />

ausgesetzt. Diese Digitalisierung<br />

zieht enorme Veränderungen mit sich,<br />

welche konstante Anpassungen an neue<br />

Abläufe erfordern. Eine weitere Ursache<br />

liegt bei unseren Lieferanten. Nachdem<br />

die Chromos AG in der Gründerzeit zunächst<br />

britische, später deutsche sowie<br />

amerikanische Unternehmen vertreten<br />

hat, sind es heute vor allem japanische<br />

Firmen wie Fujifilm, mit denen der Hauptumsatz<br />

erzielt wird.<br />

Wandel ist aber im Grunde genommen<br />

die Natur allen Seins und somit für jedes<br />

Unternehmen relevant. Dieser Grundsatz<br />

hat sich verstärkt und vor allem beschleunigt,<br />

weil die Globalisierung der Märkte,<br />

neue Informationstechnologien, günstige<br />

Transportmöglichkeiten und andere<br />

Entwicklungen zu einem noch nie da gewesenen<br />

Wettbewerb geführt haben.<br />

Unsere fünf Säulen<br />

des Anpassungsprozesses<br />

Das Change Management wird bei uns<br />

von fünf Säulen getragen:<br />

1. Wir handeln nicht reaktiv und nehmen<br />

Änderungen erst dann vor, wenn<br />

sich das Unternehmen bereits in der<br />

Krise befindet. Der Wandel muss vorausschauend<br />

initiiert werden. Unsere Firmen-


9<br />

philosophie besteht darin, frühzeitig in<br />

neue Bereiche zu investieren, damit wir<br />

auf Änderungen im Markt rechtzeitig<br />

vorbereitet sind.<br />

2. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.<br />

Veränderungen sind für ihn zuerst bedrohlich<br />

und können Angst vor Überforderung<br />

bis hin zu Ohnmacht auslösen.<br />

Um Anpassungen erfolgreich umzusetzen,<br />

versuchen wir bei Entscheidungen<br />

deshalb immer den einzelnen Mitarbeitenden<br />

einzubinden. Wir pflegen einen<br />

transparenten Informationsstil, was auch<br />

bedeutet, so rasch wie möglich zu kommunizieren.<br />

Je grösser zudem die Einsicht,<br />

dass eine Veränderung sinnvoll ist,<br />

desto eher ist die Bereitschaft da, sich auf<br />

das neue «Abenteuer» einzulassen.<br />

3. Emotionale Führung: «Wenn du ein<br />

Schiff bauen willst, so trommle nicht die<br />

Leute zusammen, um Holz zu beschaffen<br />

und Werkzeuge vorzubereiten oder die<br />

Arbeiten einzuteilen und Aufgaben zu<br />

vergeben, sondern lehre die Leute die<br />

Sehnsucht nach dem endlos weiten Meer.»<br />

(Antoine de Saint-Exupéry) Denn es sind<br />

Emotionen, die Traditionen und alte Verhaltensweisen<br />

brechen lassen und die<br />

Wandel bewirken. Wichtig ist dafür, den<br />

Mitarbeitenden Wertschätzung zu zeigen<br />

und gemeinsame Visionen zu pflegen.<br />

4. Durchhaltevermögen! «Everything<br />

looks like a failure in the middle»; deshalb<br />

muss man, wenn man sich dazu entschlossen<br />

hat, Veränderungen durchziehen.<br />

Es ist wichtig, dass ein klarer Zeitplan<br />

mit Meilensteinen kommuniziert, umgesetzt<br />

und daran grundsätzlich festgehalten<br />

wird.<br />

5. Loslassen können: Je intensiver wir<br />

uns mit Produkten, Lieferanten und Kundengruppen<br />

auseinandersetzen und eine<br />

gemeinsame Geschichte haben, desto<br />

schwieriger fällt es, sich davon zu lösen.<br />

In unserer Firmengeschichte mussten wir<br />

uns immer wieder dem Markt anpassen.<br />

Dabei lernt man das Loslassen können,<br />

ohne dass man aber am Schluss alleine<br />

dasteht. Um dies zu gewährleisten, leben<br />

wir das Prinzip, dass jeder Bereich eigenständig<br />

agieren kann und muss. Wenn<br />

ein Bereich, der nicht das Ziel hat, in neue<br />

Märkte zu investieren, nur noch deshalb<br />

überlebt, weil die anderen Bereiche ihn<br />

quersubventionieren, ist es deshalb Zeit,<br />

Anpassungen vorzunehmen.<br />

Als wichtigstes Grundprinzip gilt für mich<br />

somit bei jeder Veränderung, immer das<br />

Wohlergehen des Ganzen vor das Wohlergehen<br />

des Einzelnen zu stellen.<br />

Die Chromos-Gruppe<br />

Die 1946 gegründete Chromos-<br />

Gruppe ist mit rund 200 Mitarbeitenden<br />

ein führender Dienstleister<br />

in der visuellen Kommunikation<br />

und im Verpackungswesen. Sie<br />

umfasst in der Schweiz die Unternehmen<br />

Chromos AG, Fujifilm<br />

(Switzerland) AG und Imsag AG.<br />

Die familiengeführte und finanziell<br />

unabhängige Chromos Gruppe<br />

mit Auslandaktivitäten in Deutschland,<br />

Österreich und Schweden<br />

strebt in ihren Märkten eine führende<br />

Rolle an. Vertrauen und<br />

Offenheit, verbunden mit hohem<br />

Engagement, bilden die Grundlage<br />

der partnerschaftlichen Beziehung<br />

zu Kunden und Lieferanten.<br />

www.chromos.ch, www.fuji.ch<br />

*Daniel Broglie ist Geschäftsführer der<br />

Chromos AG. Er ist verheiratet, Vater von<br />

drei Kindern und wohnt im Zürcher<br />

Unterland.


10<br />

Begegnung<br />

Von der Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum<br />

Nachwuchstrio liess Funken<br />

aufs <strong>Lilienberg</strong> Publikum überspringen<br />

Das Gagliano Trio: Es trägt den Namen<br />

einer berühmten neapolitanischen<br />

Familie, die mit dem Bau von Streichund<br />

Zupfinstrumenten im 18. und 19.<br />

Jahrhundert Musikgeschichte geschrieben<br />

hat. Im März traten die drei jungen<br />

Musiker – ein Pianist, eine Geigerin und<br />

ein Cellist – am ersten <strong>Lilienberg</strong> Rezital<br />

dieses Jahres auf, letztere beiden natürlich<br />

mit einem Streichinstrument der<br />

Gagliano-Familie.<br />

«Das Gagliano Trio hat grosses Potenzial,<br />

eine bedeutende künstlerische Einheit<br />

zu werden. Ich bin überzeugt, dass<br />

das vielversprechende Trio die hohen<br />

Erwartungen erfüllen wird.» Das sagte<br />

Gastgeberin Susanne Rau-Reist am<br />

<strong>Lilienberg</strong> Rezital vom 5. März. Die drei<br />

jungen Musiker mit Jahrgang 1989, Romaine<br />

Bolinger (Violine), Payam Taghadossi<br />

(Cello) und Alexander Boeschoten<br />

(Klavier), bilden seit bald vier Jahren ein<br />

Trio. Alle waren Studenten an der Zürcher<br />

Hochschule der Künste, wo sie im Winter<br />

2009 ihr Konzertdebüt als Trio gaben.<br />

Kammermusikunterricht erhielten sie unter<br />

anderem von Professor Stephan<br />

Goerner, Cellist beim Carmina Quartett,<br />

und vom Thurgauer Pianisten Benjamin<br />

Engeli, der 2010 selbst als Pianist an einem<br />

<strong>Lilienberg</strong> Rezital aufgetreten war.<br />

Instrumentale Brillanz –<br />

Spass am Spiel<br />

Zu Beginn des von Radio-SRF-2-Kulturredaktor<br />

Andreas Müller-Crepon moderierten<br />

Konzerts kamen die rund 120 Gäste<br />

in den Genuss von Wolfgang Amadeus<br />

Mozarts «Klaviertrio in B-Dur, KV 502»,<br />

welches die drei Künstler mit so viel<br />

Musizierfreude darboten, dass der Funke<br />

spürbar auf das <strong>Lilienberg</strong> Publikum übersprang.<br />

Der Reiz der instrumentalen<br />

Brillanz und der Spass am Spiel prägt den<br />

Charakter des Mozart-Trios, das in seiner<br />

schmerzlich süssen Poesie die vieldeutige<br />

Tiefe des Genius von Mozart enthüllt,<br />

sodass in den differenziert interpretierten<br />

Sätzen kaum ein Wunsch offen blieb.<br />

Wunderschön, wie sich im ersten Satz mit<br />

dem «Allegro» das Thema mit Terzenund<br />

Sextengängen entfaltet, in denen die<br />

Anmut des Wiener Rokoko lebt. Die Musik<br />

verlangte von Alexander Boeschoten<br />

am Klavier feinstes Fingergefühl, um die<br />

heikle Balance der Instrumente nicht zu<br />

gefährden. Boeschoten standen die beiden<br />

Streicher konzertant gegenüber, sodass<br />

sich der Berner Pianist mit seinen<br />

grossartig gespielten Triolen mehr und<br />

mehr auf die Begleitung beschränkte und<br />

der Violine und dem Violincello den<br />

melodischen Vorrang im reich ausgeschmückten<br />

«Larghetto» und im straff<br />

geführten Schluss-Satz «Allegretto»<br />

überliess.<br />

Nach dem Mozart-Werk folgte der<br />

zweite von insgesamt vier Sätzen von<br />

Franz Schuberts Trio in Es-Dur, Deutschverzeichnis<br />

D.929, opus 100. Das Kammermusikstück<br />

ist eine der letzten Kompositionen<br />

Schuberts, entstanden im<br />

November 1827 – ein Jahr vor dem frühen<br />

Tod des Wieners. Schubert schrieb<br />

das Werk für den Pianisten Carl Maria von<br />

Bocklet, den Geiger Ignaz Schuppanzigh<br />

und den Cellisten Josef Linke, die das<br />

Klaviertrio dann auch uraufgeführt hatten.<br />

Der zweite Satz, «Andante con<br />

moto», übrigens abgeleitet von einem<br />

schwedischen Volkslied, zeigt in exemplarischer<br />

Weise die besondere Rolle, die<br />

Schubert dem Cello in der Instrumentenkonstellation<br />

des Klaviertrios zuweist.<br />

Denn es ist, befreit von den Fesseln eines<br />

begleitenden Generalbassinstruments in<br />

der Tradition des 18. Jahrhunderts, der<br />

Violine gleichberechtigt. Dieser Satz wurde<br />

in der Vergangenheit übrigens in zahlreichen<br />

Filmmusiken benutzt, so zum<br />

Beispiel in «Die Klavierspielerin» von Michael<br />

Haneke, in «Der Mann meines Lebens»<br />

von Zabou Breitman oder in «The<br />

Mechanic» von Simon West. Die Musik


Das Gagliano Trio mit<br />

Geigerin Romaine Bolinger,<br />

Cellist Payam Taghadossi und<br />

Pianist Alexander Boeschoten.<br />

wird ausserdem vielfach für Fernsehspiele<br />

und für Popmusik verwendet.<br />

Dvořáks Schwäche<br />

für ukrainische Volkslieder<br />

«Dumky» von Antonín Dvořák ist eines der<br />

bekanntesten Klaviertrios überhaupt. Das<br />

Gagliano Trio spielte daraus den ersten,<br />

dritten und sechsten Satz. «Dumka» heisst<br />

auf Ukrainisch Gedanke oder Nachsinnen,<br />

und so bezieht sich der Name «Dumky»<br />

auf die melancholischen, balladenartigen<br />

slawischen Gesänge, die Dvořák darin verarbeitet<br />

hat. Als er im Jahr 1891 das Werk<br />

komponierte, befand er sich in einer der<br />

experimentellsten Phasen seines Schaffens.<br />

Beim «Dumky-Trio» verzichtete Dvořák gar<br />

auf die übliche viersätzige Form und wählte<br />

stattdessen die Aneinanderreihung von<br />

sechs Sätzen. Für diese epischen ukrainischen<br />

Volkslieder, kombiniert mit Volkstänzen,<br />

hatte der tschechische Nationalkünstler<br />

Dvořák ganz offensichtlich eine<br />

Schwäche. Kein anderer Komponist verwendete<br />

das Dumka-Genre in seinem<br />

Schaffen so oft wie er.<br />

Dvořák wollte dieses Trio auch gar nicht<br />

als Klaviertrio im Sinne der klassischen<br />

Kammermusikgattung verstanden wissen.<br />

Das Werk war für ihn lediglich eine<br />

Folge von sechs slawischen Stücken, die<br />

zwischen langsam-schwermütigen und<br />

schnell-ausgelassenen tanzartigen Abschnitten<br />

wechseln. «Dieses Kontrastprinzip<br />

und die raschen Übergänge vom<br />

einen zum anderen Stück sind für die<br />

Musiker nicht ganz ohne», räumte<br />

Moderator Müller-Crepon ein.<br />

Dvořáks Musik ist nicht nur bedeutend,<br />

sie ist vor allem nach wie vor sehr populär.<br />

Und das «Dumky-Trio» gehört in<br />

Fachkreisen gar zu den besonders glänzenden<br />

und originellen Musikstücken.<br />

«Musikalischer Konfekt»<br />

zum Abschluss<br />

Den Abschluss des rund 60-minütigen<br />

offiziellen Programmteils machten die<br />

«Marche Miniature Viennoise» von Franz<br />

Kreisler – ein musikalisch nostalgischer<br />

Blick zurück auf das alte Wien. Neben der<br />

Sammlung der klassischen Manuskripte,<br />

die der Violinvirtuose komponierte, aber<br />

als Transkriptionen von Sätzen alter Meister<br />

ausgab, veröffentlichte er auch schon<br />

früh Originalwerke. Kreisler spielte sie<br />

selbst gerne als Zugabe und versüsste mit<br />

diesem «musikalischen Konfekt» so manches<br />

seiner Konzerte. Berühmt wurden<br />

etwa «Liebesfreud», «Liebesleid» und<br />

«Schön Rosmarin», seine Alt-Wiener<br />

Tanzweisen, in denen Kreisler mit herrlichen<br />

Melodien und einschmeichelnden<br />

Harmonien die Café-Haus-Atmosphäre<br />

seiner Heimatstadt beschwor. Da reiht<br />

sich bestens die «Marche miniature viennoise»<br />

ein, mit seinem launigen Thema<br />

und einem eher marschmässigen Mittelteil<br />

– und überall überrascht Kreisler mit<br />

ein wenig «Wiener Schmäh». Kreislers<br />

Originalkompositionen sind liebenswerte<br />

Miniaturen, beschwingt und eingängig,<br />

auch ein wenig elegisch angehaucht –<br />

doch voll von Charme und Eleganz. Für<br />

Streichtrio arrangiert, bieten sie eine<br />

spielfreudige und hörenswerte Repertoire-Ergänzung<br />

– ideal für das gesellige<br />

Musizieren oder als Ausklang eines<br />

«seriösen» Konzertes – wie eines Rezitals<br />

auf dem <strong>Lilienberg</strong>.


12<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Sicherheit & Armee<br />

«Die Armee muss<br />

neue Dienstleistungsmodelle anbieten»<br />

120. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch mit Divisionär Hans-Ulrich Solenthaler<br />

Junge Leute sollten viel früher von der<br />

Sinnhaftigkeit der Armee überzeugt<br />

werden, findet Divisionär Hans-Ulrich<br />

Solenthaler, der im vergangenen Sommer<br />

nach 34 Jahren als Berufsmilitär in<br />

den Ruhestand trat. Hingegen stellt<br />

sich der Zweisternegeneral gegen die<br />

landläufige Meinung, wonach die Jungen<br />

weniger motiviert Militärdienst<br />

leisten als früher. Kritik übt Solenthaler<br />

an den Verantwortungsträgern von<br />

Politik und Wirtschaft, welche die<br />

Armee teils sträflich vernachlässigten.<br />

Doch auch die Armee selber müsse sich<br />

bewegen.<br />

«Es war ein begeisterndes Erlebnis»,<br />

dankte Dr. h.c. Walter Reist seinem Gast<br />

am Ende des <strong>Lilienberg</strong> Gesprächs, dem<br />

langjährigen Berufsmilitär Hans-Ulrich<br />

Solenthaler. Der Stiftungsratspräsident<br />

bezeichnete ihn als «aufrichtigen Menschen<br />

mit einer harten Schale und einem<br />

weichen Kern». Eine treffende Charakterisierung<br />

des Appenzellers, der das Glück<br />

hatte, «zur Zeit des Kalten Krieges in<br />

einer Familie aufzuwachsen, in der die<br />

Armee einen hohen Stellenwert hatte»,<br />

und der später die militärische Ausbildung<br />

von der Rekrutenschule an bei den<br />

Grenadieren in Losone leistete.<br />

Hoher erzieherischer Wert<br />

Könnte er das Rad der Zeit zurückdrehen,<br />

würde er diese Laufbahn wieder wählen,<br />

«denn sie ist eine echte Lebensschule». Die<br />

Chance, schon als junger Mensch andere<br />

Leute zu führen, für sie Verantwortung zu<br />

übernehmen, mit ihnen etwas zu gestalten<br />

und ihnen den Sinn der Armee zu vermitteln<br />

– nämlich den Schutz und die Verteidigung<br />

unseres Landes und seiner Bevölkerung<br />

– biete einzig das Militär. «Diese<br />

Herausforderung hat mir Spass bereitet<br />

und mich stets motiviert.» Die Tatsache,<br />

als Angehöriger der Armee – unter Umständen<br />

auch in einem Ernstfall – für die<br />

Schweiz etwas Gutes tun zu können, habe<br />

ihn gestärkt und ihm Respekt verschafft,<br />

sagte der Divisionär. «Gefestigt hat mich<br />

meine Militärlaufbahn schliesslich menschlich,<br />

etwa im Bereich der Sozialkompetenzen.»<br />

Solenthaler erwähnte den noch<br />

heute hohen erzieherischen Wert der<br />

Armee. «In einer Zeit der immer stärkeren<br />

Individualisierung lernen die jungen Männer,<br />

in einer Gemeinschaft zu leben und<br />

die eigenen Interessen in den Hintergrund<br />

zu stellen.» Genau dies würden sie schätzen,<br />

ist er überzeugt. «Mal abgesehen von<br />

den üblichen 10 Prozent Querschlägern<br />

leistet das Gros der jungen Schweizer den<br />

Militärdienst anstandslos und motiviert.»<br />

Der Divisionär bestritt indes nicht, dass<br />

sich die Armeeangehörigen gegen gewisse<br />

Leerläufe im Militärdienst auflehnten.<br />

«Hier müssen wir den Hebel ansetzen,<br />

denn wir dürfen die Jungen nicht<br />

enttäuschen.» Er spielte etwa auf die<br />

Materiallücken in den Wiederholungskursen<br />

an.<br />

In Familie und Schulen<br />

zu wenig thematisiert<br />

Generell setzt sich Solenthaler dafür ein,<br />

den jungen Leuten in Zukunft viel früher,<br />

zum Beispiel bereits mit 16 Jahren, an<br />

Orientierungsanlässen die Sinnhaftigkeit<br />

der Armee und das Verständnis für das<br />

Militär zu vermitteln. «In den Schulen und<br />

in der Familie passiert dies – im Gegensatz<br />

zu meiner Jugendzeit – leider viel zu<br />

wenig», bedauerte er.<br />

Zwar brauche die Schweiz – anders als<br />

in den Siebziger- und Achtzigerjahren –<br />

kein Massenheer mehr. «Als Garantin von<br />

Sicherheit, Stabilität, Freiheit und Wohlstand<br />

ist die Armee als einziges Machtmittel<br />

des Bundes für die Willensnation<br />

Schweiz jedoch unverzichtbar.» 100 000<br />

Armeeangehörige dürften laut Solenthaler<br />

im Rahmen der überblickbaren mittelfristigen<br />

Gefahren ausreichend sein. Hingegen<br />

stelle sich die Frage, ob ein Bestand


Divisionär a.D.<br />

Hans-Ulrich Solenthaler (links)<br />

zusammen mit<br />

Dr. h.c. Walter Reist.<br />

von 100 000 Mann überhaupt noch<br />

finanzierbar ist, wenn der Bundesrat den<br />

Ausgabenplafond der Armee nicht, wie<br />

vom Parlament im Herbst 2011 beschlossen,<br />

auf jährlich 5 Milliarden Franken<br />

erhöhen will. «Dann ist vielleicht ein<br />

Bestand von nur 80 000 Mann doch sinnvoller»,<br />

meinte er lakonisch.<br />

Dass die Politik die Armee als wichtigstes<br />

Sicherheitsinstrument vernachlässigt<br />

und ihr ständig finanzielle Mittel entzieht,<br />

ist für Divisionär Solenthaler aber «sträflich<br />

und unmoralisch». Es gehe nicht an,<br />

dass die Politik ausgerechnet für die Landesverteidigung<br />

immer weniger Ressourcen<br />

aufbringt, in anderen Bereichen jedoch<br />

alles andere als sparsam im Umgang<br />

mit den Steuergeldern ist. «Wir müssen<br />

vor allem die Mitte-Parteien für unsere<br />

Armee gewinnen. Das bürgerliche Lager<br />

muss zu seiner einstigen Geschlossenheit<br />

zugunsten der Milizarmee zurückfinden.»<br />

Ebenfalls kritisierte Solenthaler die Wirtschaft,<br />

«die der Armee dauernd die guten<br />

Leute wegnimmt». Ihre Verantwortungsträger<br />

sollten sich bewusst werden, dass nur suboptimal miteinander vereinbar»,<br />

Sicherheit ein Standortvorteil für die gab Solenthaler zu. «Wir müssen die<br />

Schweiz bedeutet. «Deshalb muss sie Armee, die Schulen, die Politik, die Wirtschaft<br />

und die Gesellschaft an einen Tisch<br />

ihren Beitrag an die Gewährleistung der<br />

Sicherheit leisten», durch eine wohlwollende<br />

Einstellung jenen Mitarbeitern ge-<br />

Gesellschaft und das Land nachhaltig<br />

bringen und Lösungen finden, welche die<br />

genüber, die ihren Militärdienst leisten stärken.»<br />

und gegenüber jenen, die sich für eine<br />

Kaderausbildung zur Verfügung stellen<br />

wollen. «Wenn das Kader fehlt, laufen<br />

wir Gefahr, dass unsere Armee in eine<br />

Sackgasse gerät», warnte er.<br />

120. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch vom 10. Januar<br />

Allerdings müsse sich auch die Armee 2013 mit Hans-Ulrich Solenthaler, Divisionär<br />

a.D.; Moderation: Dr. h.c. Walter<br />

bewegen und neue Dienstleistungsmodelle<br />

entwickeln, die der Wirtschaft und Reist, Präsident der Stiftung <strong>Lilienberg</strong><br />

den Hochschulen entgegenkommen. Unternehmerforum; Zusammenfassung:<br />

«Armee und Studium sind heute oftmals Stefan Bachofen.<br />

Zur Person Hans-Ulrich Solenthaler<br />

Divisionär Hans-Ulrich Solenthaler (64) war bis zu seiner Pensionierung Ende Juni<br />

2012 während fünf Jahren Kommandant der Territorialregion 4. Nach einer Ausbildung<br />

zum eidgenössisch diplomierten Vermessungstechniker und der Tätigkeit<br />

als Geschäftsführer eines Ingenieurbüros entschied sich Solenthaler 1978 zum<br />

Übertritt ins Korps der Instruktionsoffiziere. Dieser Weg führte ihn unter anderem<br />

als Einheitsinstruktor und Kommandant an die Infanterieschule St. Gallen/Herisau<br />

(1993 bis 1995). Zwischen den Kommandos der Felddivision 6 (1998 bis 2003)<br />

und der Ter Reg 4 (2007 bis 2012) übte er die Tätigkeit des Ausbildungschefs Heer<br />

aus. Von 1991 bis 1997 war er Gesamtleiter des Waffenplatzprojektes Neuchlen-<br />

Anschwilen.


14<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Wirtschaft & Industrie<br />

«Als Unternehmer lebe ich für den Betrieb<br />

und meine Mitarbeitenden»<br />

121. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch mit SVP-Nationalrat Jean François Rime, Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes<br />

Als Unternehmer in der Holzbranche liegt<br />

Jean-François Rime das Wohl der Mitarbeitenden<br />

am Herzen. In seiner Funktion<br />

als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes<br />

vertritt er in politischen<br />

Debatten auch die Stimme des Verbandes.<br />

Vom einstigen FDP-Mitglied mit<br />

Fribourger Wurzeln war am <strong>Lilienberg</strong><br />

Gespräch vom 23. Januar zu hören, «dass<br />

der Röstigraben für mich kein relevanter<br />

Begriff ist.»<br />

Der «oberste Gewerbler» der Schweiz,<br />

Jean-François Rime, ist selber Unternehmer<br />

und zwar als Patron einer Fribourger<br />

Grosssägerei mit rund 70 Angestellten.<br />

Doch auch auf dem politischen Parkett<br />

hinterliess der in Bulle Wohnhafte bislang<br />

einige Spuren.<br />

Vom Gemeinderat zum<br />

Bundesratskandidaten<br />

Jean-François Rime wirkte von 1989 bis<br />

1991 im Gemeinderat von Bulle – als FDP-<br />

Politiker. Im Jahr 2002 folgte bei ihm ein<br />

Tapetenwechsel – was die Parteizugehörigkeit<br />

anbelangt: Er schloss sich der SVP<br />

an, für welche er dann 2003 in den<br />

Nationalrat gewählt wurde. In den Jahren<br />

2010 und 2011 wurde er zweimal für<br />

einen Sitz im Bundesrat nominiert. Exakt<br />

diesen Sachverhalt sprach Moderator<br />

Christoph Vollenweider zu Beginn des<br />

Gesprächs an.<br />

Weshalb dieses damalige Ja zu zwei<br />

Kampfwahlen mit doch sehr unsicherem<br />

Ausgang? Rime entgegnete trocken: «Ich<br />

bin froh, dass Sie nicht vom ewigen Bundesratskandidaten<br />

gesprochen haben.»<br />

Die Situation damals habe sich so präsentiert,<br />

dass die SVP den verloren gegangenen<br />

Sitz zurückerobern wollte. «Bei<br />

meinen Engagements, ob nun auf politischer<br />

oder wirtschaftlicher Ebene, stellte<br />

ich mir ganz pragmatisch die Frage, ob<br />

ich etwas bewirken kann. Und vor allem:<br />

Ob ich, auch aus der Optik des Unternehmers,<br />

Interesse, Zeit und Chancen habe»,<br />

befand der Gast aus der Westschweiz.<br />

Mit Blick auf die beiden Bundesratswahlen<br />

zog er, mit einem Augenzwinkern, das<br />

Fazit, dass er immerhin 95 Stimmen erreicht<br />

habe. «Davon können viele Parlamentarier<br />

nur träumen. Aber auch Nationalrat<br />

zu sein, ist etwas sehr Bereicherndes.»<br />

«Investitionen sind wichtig»<br />

Als Unternehmer in der Holzindustrie betrachtet<br />

es Rime als grösste Herausforderung,<br />

ausreichend Investitionen tätigen<br />

zu können, um die Produktion auf einem<br />

guten Niveau halten zu können. «Es gilt,<br />

in Bezug auf die Technologie und die Produktionskosten<br />

am Ball zu bleiben.»<br />

In der späteren Plenumsdiskussion von<br />

Dr. h.c. Walter Reist auf seine Unternehmerphilosophie<br />

angesprochen, liess Rime<br />

die Zuhörer wissen, dass er in erster Linie<br />

Unternehmer und weniger Manager sei.<br />

«Ich lebe für den Betrieb und meine Mitarbeitenden,<br />

trage Verantwortung. Und<br />

klar: Ein Unternehmen zu führen, heisst<br />

auch langfristig zu denken – und nicht<br />

nur das Geldmachen im Fokus zu haben»,<br />

betonte der Nationalrat. Er pflege in der<br />

Tat eine enge Beziehung zu den Mitarbeitenden.<br />

«Mein Büro steht allen offen,<br />

und ein Organigramm in der üblichen<br />

Form existiert nicht.» Bei Entscheidungen<br />

lasse er sich bisweilen vom Bauchgefühl<br />

leiten. Aber wenn etwas nicht entscheidungsreif<br />

sei, dann könne dies auch noch<br />

warten.<br />

Keine Sorgenfalten<br />

wegen «Röstigraben»<br />

Jean-François Rime ist der erste schweizerische<br />

Gewerbepräsident aus der Westschweiz.<br />

Ob dies eine problembehaftete<br />

Situation sei, auch bezüglich der Sprachgrenze?<br />

«Für mich ist der Röstigraben<br />

wirklich kein Begriff, der mir Sorgen


Gesehen und gesehen werden beim<br />

Apéro in der Remise (von links):<br />

Georg Leumann, Martin Wagner und<br />

Dr. Martin von Orelli.<br />

Nationalrat Jean-François Rime<br />

machen würde», bemerkte der Unternehmer.<br />

Er sei im Übrigen mit einer<br />

Deutschschweizerin verheiratet… In den<br />

ersten Monaten in seiner neuen Funktion<br />

als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes<br />

habe er auch sprachenübergreifend<br />

viele positive Kontakte<br />

pflegen können.<br />

«Wir spielen bestimmt eine Rolle»<br />

Der Moderator konfrontierte Rime mit<br />

der Bemerkung, ob der Eindruck stimme,<br />

dass der Gewerbeverband auf dem politischen<br />

Parkett an Einfluss verloren habe.<br />

In Zeiten des legendären Gewerbeverbandspräsidenten<br />

Otto Fischer sei dieses<br />

Amt oft mit einem achten Bundesrat verglichen<br />

worden. «Wir spielen als einer<br />

von vier bedeutenden Verbänden ganz<br />

bestimmt auch heute noch eine Rolle.<br />

Aber aufgrund der Tatsache, dass sich in<br />

der Parteienlandschaft einiges verändert<br />

hat, resultieren heute immer mehr Zufalls-Mehrheiten.<br />

Diese Entwicklung ist<br />

natürlich nicht gut», äusserte sich der<br />

SVP-Nationalrat.<br />

Vorbehalte in Fragen<br />

der Freizügigkeit<br />

Rime erachtet die Herausforderungen<br />

hierzulande als bedeutend, und der Gewerbeverband<br />

habe in einigen delikaten «Ist es möglich, bei diesen Bedingungen<br />

Fragen Position zu beziehen, etwa in der eine volle Freizügigkeit anzustreben? Ich<br />

Raumplanung oder der Personenfreizügigkeit.<br />

«In Sachen Zuwanderung müs-<br />

Vorbehalten.»<br />

kämpfe für die Freizügigkeit, aber mit<br />

sen wir uns bestimmt einige Fragen stellen»,<br />

meinte Rime. Anlass zu Sorge gebe<br />

ihm die Tatsache, dass in der Schweiz 121. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch vom 23. Januar<br />

acht Millionen Menschen leben würden 2013 mit Nationalrat Jean-François Rime,<br />

mit einer überdurchschnittlichen Lebensqualität.<br />

Um die Schweiz herum würden beverbandes; Moderation: Christoph<br />

Präsident des Schweizerischen Gewer-<br />

dann aber 500 Millionen Europäer leben, Vollenweider, Leiter Unternehmertum;<br />

von denen viele täglich ärmer würden. Zusammenfassung: Marcel Vollenweider.<br />

Zur Person Jean-François Rime<br />

Jean-François Rime erwies sich im <strong>Lilienberg</strong> als wacher und gelegentlich auch<br />

witziger Gesprächspartner – und untermauerte mit einigen seiner prägnanten<br />

Ausführungen, dass er eine der einflussreichsten Persönlichkeiten im politischwirtschaftlichen<br />

Leben der Schweiz ist.<br />

Rime, der von der SVP-Fraktion der Bundesversammlung in den Jahren 2010 und<br />

2011 zweimal als Bundesratskandidat nominiert worden war, amtet seit Mai 2012<br />

als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes – notabene als Nachfolger<br />

des ebenfalls als zukünftiger Bundesrat gehandelten, dann aber tief gefallenen<br />

Bruno Zuppiger. «Meine Bundesratsambitionen gehören der Vergangenheit an.<br />

Ich werde daher nicht als Bundesrat nach <strong>Lilienberg</strong> zurückkehren.»<br />

Der bald 63-jährige Fribourger ist seit 38 Jahren in der Holzbranche tätig und<br />

besitzt ein Sägewerk. In der Führung seiner Firma wird er von seinen Söhnen<br />

unterstützt. Rime ist Präsident des Verbandes Holzindustrie Schweiz.


16<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Bildung & Sport<br />

«Das gute Ranking ist für<br />

die Hochschule St. Gallen enorm wichtig»<br />

122. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Bieger, Rektor der Universität St. Gallen<br />

Die Universität St. Gallen liegt europaweit<br />

auf Platz 7 unter den Wirtschaftsschulen.<br />

Prof. Dr. Thomas Bieger, Rektor der Uni<br />

St. Gallen betrachtet dieses Ranking als<br />

enorm wichtig für die Reputation. Im<br />

<strong>Lilienberg</strong> Gespräch vom 12. März nahm<br />

er Stellung zur Expansion der Uni, zum<br />

Sponsoring und zu den ausländischen<br />

Studierenden.<br />

«Lebenswege lassen sich nur teilweise<br />

planen», sagte Prof. Dr. Thomas Bieger<br />

auf die Frage, ob es sein Lebensziel<br />

gewesen sei, Rektor der Universität<br />

St. Gallen zu werden. Er empfehle nicht,<br />

eine Anstellung nur aus Prestigegründen<br />

zu übernehmen. Führung müsse der jeweiligen<br />

Person liegen. Der Wille, Führung<br />

zu übernehmen, hat seinen Keim<br />

laut Thomas Bieger sehr oft in der Familie<br />

und im sozialen Umfeld. Er denkt an Gespräche<br />

am Familientisch oder an Diskussionen<br />

mit Verwandten, wie dies bei ihm<br />

und seinem Onkel der Fall gewesen war.<br />

Thomas Bieger profitierte auch vom<br />

Ruderclub; dort arbeitete er im Vorstand<br />

und machte erste Führungserfahrungen.<br />

«Führung und Unternehmertum haben<br />

viel mit Selbsterfahrung zu tun», so<br />

Thomas Bieger. Dabei bietet die Universität<br />

St. Gallen den Unternehmern Support,<br />

was bei vielen Betrieben gut ankommt.<br />

Er gesteht aber auch ein, dass die<br />

Uni auf diesem Gebiet noch mehr unternehmen<br />

könnte. Als Herausforderung für<br />

die Unternehmer sieht er die extreme<br />

Datenflut, die ein gutes analytisches Denken<br />

verlangt. Als weiteren Punkt nennt<br />

er die Globalisierung. Diese fordert, dass<br />

Unternehmer mit kulturellen Widersprüchen<br />

umgehen können, tolerant sind,<br />

Respekt zeigen und offen an Probleme<br />

herangehen.<br />

Netzwerk zu intelligenten<br />

Personen pflegen<br />

Auch an der Universität St. Gallen hat der<br />

Rektor mit verschiedenen Kulturen zu<br />

tun. Seit den frühen Sechzigerjahren beträgt<br />

die Ausländerquote rund 25 Prozent.<br />

Dies habe sich bewährt, denn so<br />

seien an der Uni St. Gallen immer gute<br />

Studenten garantiert, meinte Thomas<br />

Bieger. In der gesunden Mischung von<br />

Ausländern und Schweizern sieht er eine<br />

Chance, die stimulierend auf alle Beteiligten<br />

wirkt, und sagte dazu: «Es geht<br />

darum, dass man viele soziale Kontakte<br />

zu intelligenten Personen pflegt.»<br />

Christoph Vollenweider, Moderator und<br />

Leiter <strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum, kam<br />

nicht darum herum, die Bologna-Reform<br />

anzusprechen. Die Reform habe die Ausbildung<br />

nicht verschlechtert, sondern<br />

lediglich verändert, so der Rektor der Uni<br />

St. Gallen. Er sprach beispielsweise von<br />

der klaren Trennung von Lehrstuhl und<br />

Studenten oder vom ständigen Wechsel<br />

der Professoren bei den Vorlesungen.<br />

Gute Platzierung der Uni<br />

und Expansion ins Ausland<br />

Die Hochschule St. Gallen belegt europaweit<br />

Platz 7 unter den Wirtschaftsschulen.<br />

Thomas Bieger führt die gute<br />

Platzierung primär auf die hohe Qualität<br />

der Dozenten und Studenten zurück. Dieses<br />

Ranking sei für die Hochschule und<br />

deren Reputation enorm wichtig. «Die<br />

meisten Studenten entscheiden sich in<br />

der Regel ein Mal im Leben, wo sie studieren<br />

wollen. Das Ranking macht ihnen<br />

transparent, wo die Uni steht.»<br />

Eine Chance für Studierende sieht Thomas<br />

Bieger auch darin, dass die Hochschule St.<br />

Gallen nach Singapur, São Paulo und<br />

Peking expandierte. Diese Ausweitung<br />

ermöglicht es der Uni, Zugang zu neuem<br />

Wissen zu erschliessen. Fremde Märkte<br />

werden getestet und der Globalisierung<br />

wird Rechnung getragen. Laut Thomas


17<br />

Zur Person Thomas Bieger<br />

Thomas Bieger studierte an der Universität Basel Wirtschaftswissenschaft und<br />

machte das Doktorat in Volkswirtschaftslehre. Von 2003 bis 2005 war er Dekan<br />

der Betriebswirtschaftlichen Abteilung der Universität St. Gallen und danach bis<br />

2011 Prorektor. Im Februar 2011 übernahm er das Rektorat. Thomas Bieger ist<br />

aber auch im Konsumgüter- und Tourismusmarketing tätig. Als Verwaltungsratspräsident<br />

der Jungfraubahn Holding, Vizepräsident der Schweizer Gesellschaft für<br />

Hotelkredit und Stiftungsratsmitglied der Swiss Luftfahrtstiftung nimmt er zentrale<br />

Rollen in der Tourismusbranche ein.<br />

Prof. Dr. Thomas Bieger<br />

Bieger profitiert jeder zweite Student von<br />

dieser Expansion.<br />

Kein Problem hat die Universität St. Gallen<br />

mit dem Sponsoring. Sie beschafft<br />

einen Drittel der eigenen Finanzen auf<br />

diesem Weg. Für Thomas Bieger ist es<br />

klar, dass das Sponsoring keinen Einfluss<br />

auf die Forschung und Personen nehmen<br />

darf. Zur Qualitätssicherung meinte er:<br />

«Alle Resultate müssen kritisch überprüft<br />

und publiziert werden.»<br />

122. <strong>Lilienberg</strong> Gespräch vom 12. März<br />

2013 mit Prof. Dr. Thomas Bieger, Rektor<br />

der Universität St. Gallen; Moderation:<br />

Christoph Vollenweider, Leiter Unternehmertum;<br />

Zusammenfassung: Bruno Fuchs.<br />

Grossanlässe bringen wirtschaftlich keinen Nutzen<br />

Thomas Bieger ist nicht nur Rektor der Universität St. Gallen, sondern auch<br />

stark im Tourismusmarketing engagiert. Er ging im <strong>Lilienberg</strong> Gespräch auf<br />

aktuelle Themen wie die kürzliche Volksabstimmung über die Olympischen<br />

Winterspiele 2022 in Graubünden ein. Einen direkten wirtschaftlich positiven<br />

Effekt bei sportlichen Grossanlässen sieht er nicht und nannte die Fussball-<br />

EM von 2008 in der Schweiz als ökonomisch negatives Beispiel. Solche Events<br />

bringen hingegen laut Thomas Bieger einen Identitäts- und Infrastruktureffekt.<br />

Heute sei jedem der Name Lillehammer von den Olympischen Winterspielen<br />

1994 her bekannt.<br />

Tourismus ist heute in aller Munde und deshalb wollte einer der Besucher wissen,<br />

weshalb jede Region dafür werbe. Thomas Bieger meinte, dass dies im<br />

Zusammenhang mit dem Standortmarketing zu sehen sei. Für die Einwohner<br />

ist es attraktiv, in einem Tourismusort zu wohnen. Er stärkt auch die Wirtschaft.<br />

Professor Bieger nannte das Toggenburg, das in den Siebzigerjahren touristisch<br />

gewachsen ist. Damit das möglich ist, braucht es genügend bezahlbaren Boden<br />

und Arbeitskräfte, die entlöhnt werden können. Beim Wellness sieht Thomas<br />

Bieger noch Entwicklungspotenzial.


18<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Unternehmenskultur & -ethik<br />

Werte werden über Vorbilder transportiert<br />

Gast des dritten Kolloquiums im Zyklus<br />

«Erfolgreich und menschlich – christliche<br />

und andere Werte im Unternehmertum»<br />

war Daniel Schöni. Er leitet die Schöni<br />

Holding, die unter anderem in den Bereichen<br />

Transport, Lebensmittelproduktion<br />

sowie Handel mit Reststoffen tätig ist.<br />

Seine Haltung: Werte sind Teil der Unternehmenskultur.<br />

Er geht mit dem guten<br />

Beispiel voran und lebt die Werte selbst<br />

in seinem Unternehmen vor.<br />

Ziel dieses Zyklus im Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />

& -ethik ist es, «von Unternehmern<br />

zu erfahren und zu lernen,<br />

welche Werte sie in ihrem Betrieb oder<br />

in ihrer Firma leben – auch in den schwierigen<br />

Herausforderungen des Alltages».<br />

So beschreibt es die Einladung zum<br />

Kolloquium. Den Teilnehmenden wurde<br />

dieses Thema im Kolloquium vom<br />

5. Dezember sehr lebendig durch den<br />

Referenten Daniel Schöni veranschaulicht.<br />

Er steht persönlich für Werte ein,<br />

die ihm im Umgang mit Mitarbeitenden<br />

und Kunden besonders wichtig sind.<br />

Werte äussern sich nicht in abstrakten<br />

Massnahmenkatalogen, sondern im Tun<br />

des Einzelnen. Wer selber Werten nachlebt<br />

und auch andere dazu anhält, werde<br />

auch daran gemessen, ob Wort und<br />

Tat wirklich übereinstimmen, betonte<br />

der Referent.<br />

Der Mensch im Zentrum<br />

Durch sein persönliches Vorbild will<br />

Daniel Schöni erreichen, dass Werte Teil<br />

der Unternehmenskultur werden. Hierzu<br />

nannte er zahlreiche Beispiele: Man<br />

muss die Geschichte der Mitarbeitenden<br />

kennen, sie ernst nehmen, ihnen<br />

menschliche Aufmerksamkeit schenken.<br />

Wertschätzung kann durch einfache<br />

Gesten ausgedrückt werden, wie beispielsweise<br />

dem Nachfragen, wie es<br />

geht – unabhängig vom Rang des Mitarbeitenden<br />

innerhalb des Unternehmens.<br />

Eine gute Leistung wird von Mitarbeitenden<br />

durch ermutigende Worte<br />

eher erbracht als durch Ausüben von<br />

Druck. So wird konkret, was in der<br />

Unternehmensphilosophie der Schöni-<br />

Gruppe steht: «Jeder Mitarbeiter der<br />

Schöni-Gruppe hat einen Wert in sich.»<br />

Damit stellt Daniel Schöni den Menschen<br />

in den Mittelpunkt, so wie es auch die<br />

christliche Sozialethik tut. Und zwar wird<br />

nicht nur der Teil des Menschen beachtet,<br />

soweit er für Schöni arbeitet, sondern<br />

der Mensch in seiner Ganzheit, mit<br />

seinem Umfeld und seinem Hintergrund.<br />

Sichtbar wird der jeweilige Lebenszusammenhang<br />

der Mitarbeitenden im<br />

jährlichen Sommerfest, wo Mitarbeitende<br />

mit ihren Familien teilnehmen. Diesen<br />

Anlass schätzt der Geschäftsleiter deshalb<br />

besonders.<br />

Gewinnmaximierung<br />

nicht um jeden Preis<br />

Auch wenn die Schöni-Gruppe mittlerweile<br />

mehrere hundert Mitarbeitende<br />

beschäftigt, ist Daniel Schöni der Kontakt<br />

zu den Mitarbeitenden wichtig.<br />

Es soll eine Nähe bestehen, der Betrieb<br />

soll eine «Seele» haben. Deshalb legt<br />

Daniel Schöni auch Wert darauf, ein<br />

Familienunternehmen zu sein – und zu<br />

bleiben, wie er versichert. In einem Familienunternehmen<br />

gehe es nicht um<br />

Gewinnmaximierung um jeden Preis.<br />

Mit seinen Werten sei es beispielsweise<br />

nicht vereinbar, die lokalen Mitarbeitenden<br />

aus Kostengründen zu entlassen,<br />

um billigeres Personal aus ferneren Ländern<br />

einzustellen. Gegenüber Grosskonzernen<br />

nimmt man dadurch allerdings<br />

auch handfeste Nachteile in Kauf, die ein<br />

familienexternes Aktionariat nicht unbedingt<br />

mittragen würden.


Transportunternehmer Daniel Schöni<br />

(Zweiter von rechts), flankiert von<br />

Moderator Christoph Vollenweider<br />

(rechts) und Prof. Dr. Stephan Wirz,<br />

Leiter des Studienbereichs Wirtschaft<br />

und Arbeit an der Paulus-Akademie.<br />

Ganz links Dietrich Pestalozzi.<br />

Hartes Umfeld<br />

in der Transportbranche<br />

Damit ist ein Punkt angesprochen, der im<br />

Kolloquium ebenfalls oft zur Sprache kam.<br />

Das Umfeld besonders in der Transportbranche<br />

ist hart. Gerade im internationalen europäischen<br />

Bereich gibt es wenige Regulierungen,<br />

was zu einem grossen Preisdruck<br />

und zu einem zum Teil wenig nachhaltigem<br />

Verhalten der Konkurrenten führt. Daniel<br />

Schöni spricht gar von einem «Kriegsschauplatz».<br />

Es bleibe einem in diesem Umfeld<br />

nur, seinen Weg geradlinig zu gehen und<br />

nicht zu wanken. Seine persönliche Haltung<br />

in diesem schwierigen Umfeld schildert<br />

Daniel Schöni anhand von beeindruckenden<br />

Beispielen in seiner Biographie, die ihn<br />

letztlich als Person stark prägen.<br />

Prägung durch die Familie<br />

Im Bereich der Werte gehört dazu sicher<br />

die eigene Familie – die Werte, die man<br />

von zu Hause mitbekommen hat. Hier<br />

waren die Eltern grosse Vorbilder, die<br />

Werte wurden über sie und ihr Verhalten<br />

vermittelt. Es sind Werte, die im Leben<br />

allgemein und somit auch im Unternehmen<br />

wichtig sind. Solche Werte bringt<br />

Daniel Schöni nun in das tägliche Geschäft<br />

ein, in den Umgang mit Mitarbeitenden,<br />

Kunden und Partnern.<br />

Die Schöni Holding<br />

Die Schöni Holding ist ein Familienunternehmen<br />

der Familie Schöni;<br />

der heutige Inhaber Daniel Schöni<br />

ist Teil der vierten Generation. Seit<br />

der Firmengründung 1920 ist die<br />

Schöni-Gruppe stark gewachsen<br />

und hat verschiedene Geschäftsfelder<br />

erschlossen.<br />

Ehrlichkeit ist ein Beispiel für einen Wert,<br />

der Daniel Schöni wichtig ist. «Jeden Tag<br />

hört man die unmöglichsten Geschichten<br />

von defekten Fahrzeugen, obwohl der<br />

Grund der Verspätung ein völlig anderer<br />

ist», berichtet Daniel Schöni. Er versucht,<br />

seinen Mitarbeitenden zu vermitteln,<br />

dass sie zu einem gemachten Fehler<br />

stehen sollen. Es sei viel glaubwürdiger,<br />

wenn sich jemand für einen Fehler entschuldigt,<br />

als wenn alle möglichen Erklärungsversuche<br />

erfunden werden.<br />

Daniel Schöni beschäftigt sich somit mit<br />

zwei Arten von Transport. Während<br />

Güter mit Lastwagen transportiert werden,<br />

geht der Transport der Werte über<br />

Menschen und lebendige Vorbilder.<br />

Zyklus «Erfolgreich und menschlich –<br />

christliche und andere Werte im Unternehmertum»;<br />

<strong>Lilienberg</strong> Kolloquium vom<br />

5. Dezember 2012, «Gelebte Werte im<br />

Unternehmen – in Bezug auf Nachhaltigkeit»,<br />

mit Daniel Schöni, Inhaber<br />

Schöni Transport AG, Wynau; Begleitung<br />

und vertiefendes Gespräch mit dem Referenten<br />

sowie Zusammenfassung:<br />

Dr. Claudius Luterbacher, Kanzler des<br />

Bistums St. Gallen mit Spezialgebiet<br />

Wirtschafts- und Sozialethik; Moderation:<br />

Christoph Vollenweider, Leiter<br />

Unternehmertum (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />

& -ethik).


20<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Unternehmenskultur & -ethik<br />

«Das Unternehmen ist primär für den Kunden da»<br />

Das vierte Kolloquium im Zyklus des<br />

Aktionsfeldes Unternehmenskultur &<br />

-ethik stand im Zeichen der gesellschaftlichen<br />

Verantwortung der Unternehmen.<br />

Edwin Somm, ehemaliger CEO der ABB<br />

Schweiz und langjähriger Swissmem-<br />

Präsident, hob Werte wie Kundenorientierung,<br />

aber auch Bodenhaftung und<br />

freiwilliges gesellschaftliches Engagement<br />

der Führungskräfte hervor.<br />

Das Thema der gesellschaftlichen Verantwortung<br />

von Unternehmen wird seit längerem<br />

kontrovers diskutiert: Der amerikanische<br />

Ökonom und Nobelpreisträger<br />

Milton Friedman reduzierte die gesellschaftliche<br />

Verantwortung der Unternehmen<br />

auf die Einhaltung der Rahmenordnung<br />

und die strikte Ausrichtung der<br />

Unternehmenstätigkeit nach den Aktionärsinteressen.<br />

Ganz anders argumentiert<br />

der Stakeholder-Ansatz: Er benennt<br />

zahlreiche Anspruchsgruppen wie Kunden,<br />

Lieferanten, Kapitalgeber, Mitarbeiter,<br />

Nachbarschaftsgruppierungen von<br />

Produktionsanlagen, staatlichen Behörden<br />

usw., deren Interessen befriedigt<br />

werden müssen. Die Crux dieses Ansatzes<br />

liegt darin, wie die in der Praxis auftretenden<br />

Interessenskonflikte innerhalb<br />

der Anspruchsgruppen gelöst werden<br />

können respektive welche Prioritäten das<br />

Unternehmen dabei setzen muss.<br />

Edwin Somm nahm eine mittlere Position<br />

zwischen Shareholder- und Stakeholder-<br />

Ansatz ein: Er wandte sich gegen eine<br />

Verabsolutierung beider Pole und wies<br />

darauf hin, dass das Unternehmen in<br />

erster Linie für den Kunden da ist. Wenn<br />

die Unternehmensleistungen den Kunden<br />

überzeugen, ist allen gedient: den<br />

Kunden, die ein bedürfnisgerechtes<br />

Produkt erhalten, den Mitarbeitenden,<br />

deren Arbeitsplätze dadurch sicherer geworden<br />

sind, dem Kapitalgeber, dessen<br />

Kapital marktgerecht verzinst wird und<br />

dem Staat, der Unternehmenssteuern<br />

erhält.<br />

Teamarbeit statt «One-Man-Show»<br />

Nach der Kundenorientierung spielen die<br />

Mitarbeitenden in Somms Ansatz eine<br />

zentrale Rolle. Somm wandte sich energisch<br />

gegen eine «One-Man-Show», wie<br />

sie in manchen Unternehmen üblich geworden<br />

sei. Der Schlüssel des Unternehmenserfolgs<br />

sei Teamarbeit. Es können<br />

noch so intelligente Konzepte entworfen<br />

werden, wenn sie nicht von den Führungspersonen<br />

glaubwürdig vorgelebt und von<br />

den Mitarbeitenden umgesetzt werden,<br />

sei alles Makulatur. Deshalb komme der<br />

Werthaltung der Führungskräfte und der<br />

Ausbildung der Mitarbeitenden eine so<br />

grosse Bedeutung zu. Besonderes Gewicht<br />

mass Somm dem Mitarbeitergespräch<br />

zu. Dort müssen die Zielsetzungen<br />

transparent formuliert werden, dort muss<br />

eine sachliche und faire Beurteilung der<br />

Leistungen der Mitarbeitenden erfolgen.<br />

Weiterer Gegenstand des Mitarbeitergesprächs<br />

sei die Förderung der Mitarbeitenden,<br />

damit sie ihre Arbeitsmarktfähigkeit<br />

erhalten können.<br />

Arbeitsstandort Schweiz<br />

nicht gefährden<br />

Ausführlich ging Somm auf den hohen<br />

Stellenwert der Sozialpartnerschaft in der<br />

Schweiz ein, die ein strategischer Erfolgsfaktor<br />

für den Standort Schweiz sei. Er<br />

räumte ein, dass aus der Tatsache, dass in<br />

der Schweiz Entlassungen im Vergleich zu<br />

anderen europäischen Staaten am einfachsten<br />

auszusprechen sind, ein Nachteil<br />

für die Arbeitnehmenden erwachsen könne.<br />

Er bezeichnete die Ausweitung der<br />

flankierenden Massnahmen aber als<br />

falschen Weg, sie würden den liberalen<br />

Arbeitsmarkt gefährden, einen weiteren<br />

Standortvorteil der Schweiz. Somm plädierte<br />

indes dafür, dass sich die Verant-


Von links: Edwin Somm,<br />

Moderator Christoph Vollenweider<br />

und Prof. Dr. Stephan Wirz.<br />

wortlichen der Schweizer Ländergesellschaften<br />

durch hervorragende Ergebnisse<br />

dafür einsetzen, dass der Arbeitsstandort<br />

Schweiz erhalten bleibt. Überproportional<br />

gute Ergebnisse seien das beste Argument<br />

für die Fortführung der Produktion<br />

in der Schweiz.<br />

Klare Worte fand Edwin Somm im Hinblick<br />

auf den schleichenden Bedeutungsverlust<br />

des Milizsystems. Da in den Konzernzentralen<br />

immer weniger Schweizer<br />

vertreten seien, würden die Bindungen<br />

der Unternehmen zum Schweizer Standort<br />

und das Interesse der Konzernleitungsmitglieder<br />

an einem persönlichen<br />

Engagement für den Staat schwinden. Im<br />

Parlament würden nur noch wenige echte<br />

Unternehmer und Milizpolitiker sitzen.<br />

Das findet Somm fatal. Der Staat solle<br />

sich auf seine Kernaufgaben Bildung und<br />

Forschung, innere und äussere Sicherheit<br />

und die Sicherstellung eines globalen<br />

Marktzugangs für die Unternehmen konzentrieren.<br />

Leider sehe er eine Tendenz<br />

zu mehr Regulierung, und zwar als Folge<br />

von Führungsfehlern in den Unternehmen,<br />

vor allem in der Finanzindustrie.<br />

Das Co-Referat von Stephan Wirz, Titularprofessor<br />

für Ethik an der Universität<br />

Luzern und Studienleiter der Paulus-<br />

Akademie Zürich, strich heraus, dass das<br />

christliche Menschenbild vom Personsein<br />

des Menschen, also unter anderem von<br />

seiner gleichzeitigen Individualität und<br />

Sozialität, geprägt wird und deshalb sowohl<br />

atomistische als auch kollektivistische<br />

Gesellschaftsvorstellungen mit dem<br />

christlichen Menschen- und Gesellschaftsbild<br />

nicht vereinbar seien. In der<br />

katholischen Eigentumslehre nehme die<br />

«Allgemeinbestimmung der Güter» einen<br />

zentralen Platz ein: Schöpfungstheologisch<br />

seien die Güter für alle Menschen<br />

bestimmt. Modern formuliert: Alle Menschen<br />

sollen Zugang zu ökonomischen,<br />

Bildungs- und Gesundheitsressourcen<br />

haben; der Mensch solle befähigt sein,<br />

sein Leben eigenständig und erfolgreich<br />

zu gestalten. Der Philosoph und Theologe<br />

Thomas von Aquin habe das Privateigentum<br />

aus pragmatischen Gründen<br />

befürwortet:Die klareren Eigentumsverhältnisse<br />

würden die Konfliktgefahr mindern<br />

und den sozialen Frieden unterstützen.<br />

Der private Eigentumserwerb sei ein<br />

Arbeitsanreiz; das Privateigentum erhöhe<br />

die Sorgfalt im Umgang mit den Gütern.<br />

Aus christlicher Sicht, so Wirz, haben<br />

auch die modernen Kapitalgesellschaften<br />

eine Verpflichtung für das Gemeinwohl.<br />

Unternehmen und die Wirtschaft als<br />

Ganzes seien in einen kulturellen und<br />

gesellschaftlichen Kontext eingebettet.<br />

Die Diskussion erbrachte noch eine interessante<br />

inhaltliche Erweiterung des<br />

Themas: Die gesellschaftliche Verantwortung<br />

sei nicht nur eine Sache der Unternehmen,<br />

sondern von uns allen. Primär<br />

müssten wir der Frage nachgehen, inwieweit<br />

unser Lebensstandard aus intergenerationellen,<br />

energiepolitischen und<br />

ökologischen Überlegungen noch aufrechtzuerhalten<br />

sei. Ist weniger mehr?<br />

Zyklus «Erfolgreich und menschlich –<br />

christliche und andere Werte im Unternehmertum»;<br />

<strong>Lilienberg</strong> Kolloquium vom<br />

29. Januar 2013, «Gelebte Werte im Unternehmen<br />

– in der Verantwortung der<br />

Gesellschaft gegenüber», mit Edwin<br />

Somm, ehemaliger CEO und Verwaltungsrat<br />

ABB Schweiz, Remetschwil;<br />

Begleitung und vertiefendes Gespräch<br />

mit dem Referenten sowie Zusammenfassung:<br />

Prof. Dr. Stephan Wirz, Leiter des<br />

Studienbereichs Wirtschaft und Arbeit an<br />

der Paulus-Akademie, Zürich; Moderation:<br />

Christoph Vollenweider, Leiter<br />

Unternehmertum (Aktionsfeld Unternehmenskultur<br />

& -ethik).


22<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Unternehmenskultur & -ethik<br />

Berufliche Reintegration gemeinsam angehen<br />

Personalabbau, Entlassungen, Arbeitslose<br />

– Realitäten. Wie mit diesen Realitäten<br />

umgegangen werden kann, war<br />

Inhalt einer Tagung in Zusammenarbeit<br />

mit der Stiftung Zukunft Thurgau vom<br />

November 2012. Nach einer weiteren<br />

Diskussionsrunde im Februar ist nun ein<br />

Papier in Arbeit, das die gewonnenen<br />

Erkenntnisse zusammenfasst.<br />

Was haben ein Gemeindeammann, ein<br />

Vertreter der öffentlichen Sozialhilfe, eine<br />

Vertreterin des Amtes für Wirtschaft und<br />

Arbeit, eine Personalvermittlerin, ein<br />

Inhaber eines KMU und ein CEO einer<br />

Unternehmung gemeinsam? Es ist die<br />

Verantwortung, miteinander die Chance<br />

für einen ethischen Prozess wahrnehmen<br />

zu wollen. Das zeigte die Diskussion um<br />

Erfahrungen im Zusammenhang mit<br />

Personalabbau und Wiedereinstellung<br />

von Arbeitslosen.<br />

Veränderung ist eine Konstante<br />

Niemand liebt Veränderungen. Jedenfalls<br />

dann nicht, wenn sie ungewollt sind, sondern<br />

aufgezwungen werden. Ein konstantes<br />

Umfeld schafft Sicherheit, Vertrauen<br />

– aber vielleicht auch Trägheit.<br />

Veränderungen sind keineswegs ein neuzeitliches<br />

Phänomen. Was in den vergangenen<br />

Jahrzehnten für die Wirtschaft und<br />

die Menschen hinzugekommen ist, ist die<br />

Kadenz von Veränderungsprozessen.<br />

Sowohl der Wandel des wirtschaftlichen<br />

Schwergewichts vom industriellen Sektor<br />

2 zum Dienstleistungsbereich als auch die<br />

Veränderungen innerhalb eines Sektors<br />

müssen als unternehmerische wie auch<br />

als personelle Herausforderung wahrgenommen<br />

werden. Will ein Arbeitgeber<br />

seine Leute «an der Stange» behalten und<br />

sie bis zur Pensionierung leistungsfähig<br />

erhalten, hat er sich mit Modellen der<br />

mentalen Entlastung, mit einem druckentlastenden<br />

Arbeitsalltag oder mit der<br />

Schaffung eines entspannten Arbeitsumfeldes,<br />

sei es durch Programme, Arbeitszeitmodelle<br />

oder angepasster Arbeitsplatzorganisation<br />

auseinander zu setzen.<br />

Ganzheitliches unternehmerisches Denken<br />

schafft Arbeitsplätze und hilft, diese<br />

auch in wirtschaftlich schwierigeren<br />

Zeiten zu erhalten. Wer Klumpenrisiken<br />

rechtzeitig durch Diversifikation und stetige<br />

Weiterbildung der Belegschaft mindert,<br />

trägt ebenso zum wirtschaftlichen<br />

Erfolg als auch zur Erhaltung von Arbeitsplätzen<br />

bei. Kommt es doch zu Entlassungen,<br />

müssen sich Systeme wie AWA,<br />

RAV, Sozialdienste oder IV um die Optimierung<br />

des schnellen Transfers im<br />

Arbeitsmarkt kümmern.<br />

Das Denkmodell der Stiftung Zukunft<br />

Thurgau betont, dass Kündigung und<br />

Personalabbau legitim sein können und<br />

als Teil der Marktwirtschaft verstanden<br />

werden müssen. Bei einem Personalabbau<br />

kommen freie Ressourcen auf den<br />

Markt – ein Kreislaufmodell entsteht. Zu<br />

diskutieren gab unter den Fachpersonen<br />

die teils widersprüchlichen Aussagen<br />

über die Dauer der Arbeitslosigkeit: So<br />

wurde die Ansicht vertreten, dass man<br />

als Arbeitgeber bei einem Langzeitarbeitslosen<br />

eher noch ein weiteres Mal<br />

hinschaue vor einer Neueinstellung als bei<br />

einer Person, die erst kürzlich ihre Stelle<br />

verloren habe.<br />

Anpassungsfähigkeit<br />

ist eine Frage des Willens<br />

«Ich kann, weil ich will, was ich muss.»,<br />

lautet ein Ausspruch des Philosophen<br />

Immanuel Kant. Der Wille zur Anpassung,<br />

so zeigte der Erfahrungsaustausch beteiligter<br />

Exponenten an der Wiedereingliederung<br />

von Arbeitslosen, hängt nicht,<br />

wie oft vermutet, primär mit dem Alter<br />

zusammen. Personalvermittler betonten,


Christoph Vollenweider moderierte das<br />

unternehmerische Gespräch, das die<br />

Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum<br />

in Zusammenarbeit mit der Stiftung<br />

Zukunft Thurgau durchführte. Unter<br />

den Teilnehmenden war auch der<br />

Gemeindeammann von Münchwilen,<br />

Guido Grütter (Dritter von links).<br />

dass die Motivation eine entscheidende<br />

Rolle bei der Wiedereingliederung in den<br />

Arbeitsprozess spiele. Es sei die Aufgabe<br />

der involvierten Stellen, dieses Bewusstsein<br />

auf allen Seiten zu stärken: Beim<br />

Stellensuchenden selber, der nicht in der<br />

Passivität eines «Beschäftigungsprogrammes»<br />

hängen bleiben darf und auch<br />

bei möglichen Arbeitgebern, die davon<br />

überzeugt werden müssen, dass vieles<br />

möglich wird, wenn man nur wolle.<br />

Teilqualifizierungen<br />

werden zunehmen<br />

Wird die Motivation, sich Veränderungen<br />

zu stellen und Neues zu lernen, ernst genommen,<br />

so kann immer noch eine fehlende<br />

Qualifikation einer Reintegration<br />

ins Erwerbsleben im Weg stehen. Zwar<br />

hat die aktuelle Einwanderungswelle<br />

mehr hochqualifizierte als unqualifizierte<br />

Arbeitnehmer ins Land gebracht. Teilqualifizierte<br />

oder Jugendliche mit schwachem<br />

Schulrucksack werden aber eine<br />

Realität bleiben und sind für den Arbeitsmarkt<br />

eine Herausforderung. Gerade für<br />

schwächere Mitarbeitende bleiben die<br />

Arbeitgeber für die Grundausbildung und<br />

stete Zwischenqualifikationen zuständig.<br />

Die Erfahrung zeige, dass Jugendliche<br />

nach einer Attestlehre oft lange in einem<br />

Betrieb verbleiben. Gerade in Gewerbe<br />

und Industrie finden sich auch repetitive<br />

Aufgaben. Es sei wichtig, ein Klima zu<br />

schaffen, das motiviere, sich weiter zu<br />

entwickeln – wohl aber im Wissen, dass<br />

es Menschen gibt, deren Möglichkeiten<br />

bereits mit einer Teilqualifikation ausgeschöpft<br />

sind.<br />

Ausbildung näher<br />

an berufliche Realitäten bringen<br />

Mit dem Bologna-System ist für die<br />

Durchlässigkeit der Berufsbildungen viel<br />

geleistet worden. Allerdings trage dieses<br />

System auch zur Akademisierung der Berufswelt<br />

bei, stellten die Diskutierenden<br />

fest. «In meinem Betrieb brach ein KV-<br />

Stift die Lehre ab», wurde etwa berichtet.<br />

Die Eltern hätten den Jugendlichen davon<br />

weggebracht, Schreiner zu werden – jetzt<br />

stehe er ganz ohne Ausbildung da.<br />

Zwar würde mit Berufsparcours, Berufsbildungsmessen<br />

und Schnupperlehrmöglichkeiten<br />

viel dafür geleistet, dass junge<br />

Menschen den für sie geeigneten Beruf<br />

finden können. Jedoch stünden oft Eltern<br />

oder weit von der Berufsrealität entfernt<br />

agierende Lehrkräfte dazu bei, dass Ziele<br />

und Bedürfnisse der Jugendlichen nicht<br />

richtig erfasst würden.<br />

Um Berufswahl und Ausbildung näher an<br />

die beruflichen Realitäten zu bringen,<br />

wünschten sich die Gesprächsteilnehmer<br />

einen besseren Austausch zwischen<br />

Schule, Berufswelt und Lehrkräfte, die<br />

das Berufsleben kennengelernt haben<br />

und sich als Quereinsteiger mit einem<br />

Erfahrungshorizont pädagogischen Aufgaben<br />

stellten.<br />

Unternehmerisches Gespräch vom 20.<br />

Februar 2013, «Personalabbau als letztes<br />

Mittel: Präsentation und Diskussion<br />

der Themen und Postulate», mit Conny<br />

Burgermeister, Personalvermittlerin<br />

ProPers AG, Frauenfeld, Marco Dörig,<br />

Geschäftsführer Stiftung Zukunft Thurgau,<br />

Guido Grütter, Gemeindeammann<br />

Münchwilen, Roger Herzig, CEO RWD<br />

Schlatter AG, Roggwil, Judith Müller, stv.<br />

Leiterin des Amtes für Wirtschaft und<br />

Arbeit Kanton Thurgau, Turi Schallenberg,<br />

Kantonsrat Thurgau und Leiter<br />

Sozialhilfe Sozialamt Weinfelden, Peter<br />

Schütz, Unternehmer, Inhaber und CEO<br />

Letrona AG und Präsident des Gewerbeverbandes<br />

Thurgau; Moderation: Christoph<br />

Vollenweider, Leiter Unternehmertum;<br />

Zusammenfassung: Dorothe Kienast.


24<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Medien & Kommunikation<br />

Mit Anzeigern lässt sich<br />

immer noch Geld verdienen<br />

Lokalanzeiger werden von der Bevölkerung<br />

gelesen, vom Gewerbe als Werbeplattform<br />

genutzt und sie schaffen Arbeitsplätze.<br />

Für den wirtschaftlichen<br />

Erfolg wichtig sind dabei eine motivierte,<br />

professionelle Akquisition von Werbekunden,<br />

eine sinnvolle Kostenstruktur<br />

und nicht zuletzt ein neugieriger Journalismus,<br />

der die Leserinnen und Leser bei<br />

ihren Interessen abholt.<br />

Im Zeitungsgeschäft lassen sich auch heute<br />

noch Dutzende von Mitarbeitenden beschäftigen<br />

und schwarze Zahlen schreiben.<br />

Nicht nur bei den Grossen, sondern, und<br />

vielleicht im Speziellen bei Nischenprodukten<br />

und bei den Gratisanzeigern. Wie, zeigten<br />

am Kolloquium «Die wirtschaftliche<br />

und gesellschaftspolitische Bedeutung der<br />

regionalen Berichterstattung» vom 14. Februar<br />

Konrad Müller, Verlagsleiter der Zürcher<br />

Oberland Medien AG in Wetzikon,<br />

und Andreas Zehnder, Verlagsleiter der<br />

Zehnder Print AG in Wil. Sie repräsentieren<br />

einen modernen Verlegertypus, der sich<br />

mit seinen Gratisanzeigern in der turbulenten<br />

Medienlandschaft zu behaupten weiss.<br />

Dabei setzen sie auf das ungebrochene<br />

Bedürfnis nach lokalen Nachrichten, Hinweisen<br />

auf Veranstaltungen und der Identifikation<br />

der Bevölkerung mit ihrer Region.<br />

Einnahmen sinken,<br />

Produktivität steigt<br />

Selbstverständlich haben auch die Gratisanzeiger<br />

mit dem Abwärtstrend im<br />

Anzeigenmarkt zu kämpfen. Dies kann<br />

jedoch mit einer beeindruckenden Produktivitätssteigerung<br />

wettgemacht werden.<br />

So erforderte bei der Zehnder-Gruppe<br />

die Herstellung einer Zeitungsseite im<br />

Jahr 2003 noch volle dreieinhalb Stunden;<br />

heute sind es gerade mal noch 49 Minuten.<br />

Möglich machten dies standardisierte<br />

Prozesse von den Daten zum Satz bis zu<br />

den Druckplatten, zum Druck selbst und<br />

zur Druckweiterverarbeitung bis hin zum<br />

Versand sowie einem einheitlichen Redaktionssystem<br />

für alle 23 Titel, die Zehnder<br />

für 17 Schweizer Regionen herstellt.<br />

Der Verkauf ist zentral<br />

So stark Vereinheitlichung und Zentralisierung<br />

helfen, die Kosten gering zu halten,<br />

so sehr braucht es auf der Einnahmenseite<br />

laut Andreas Zehnder das<br />

Gegenteil: «Die Verantwortung für die<br />

Inserateakquisition ist vor Ort delegiert.<br />

Deshalb haben wir in den Regionen neun<br />

Büros.» Die Verkäufer sind damit sehr<br />

nahe am Kunden, sie kennen sie und ihre<br />

Bedürfnisse genau. Dabei unterstützt sie<br />

wiederum das zentrale System, das auch<br />

von selbst darauf aufmerksam macht,<br />

wenn sich ein Kunde längere Zeit nicht<br />

mehr meldet. «Der Verkauf ist für den<br />

Unternehmenserfolg zentral und, was<br />

nicht alle gerne hören, wichtiger als die<br />

Redaktion», meinte Zehnder.<br />

Eine Story riechen und polarisieren<br />

Aus Zehnders Voten zu schliessen, die<br />

Redaktion sei Nebensache, wäre indes<br />

falsch. Er ist sich vollauf bewusst, welche<br />

Journalisten für sein Geschäft gut sind und<br />

wählt die Neuen deshalb sehr sorgfältig<br />

aus. «Was wir nicht wollen, sind Schreibtischtäter,<br />

die man in der Bevölkerung und<br />

im Gewerbe nicht kennt», erklärt Zehnder.<br />

«Wir brauchen Leute, die viel draussen<br />

sind, eine Story riechen, sie in Emotionen<br />

verpacken und auch polarisieren können,<br />

auch wenn dies den Befragten und Betroffenen<br />

nicht immer genehm ist.» Die Leserinnen<br />

und Leser würden wiedergekäute<br />

Pressemitteilungen, routinemässige Anlassberichterstattungen<br />

und langatmige<br />

Gemeindeverlautbarungen nicht goutieren.<br />

Gefährlich sei insbesondere die Lobhudelei<br />

der Arbeit durch Behörden oder<br />

Journalistenkollegen. Das Mass der Qualität<br />

von Anzeigern sei eindeutig die<br />

Akzeptanz und die positive Resonanz der<br />

Leser und Inserenten.


Dr. Andreas Jäggi (Mitte), flankiert<br />

von den beiden Referenten Andreas<br />

Zehnder (links) und Konrad Müller.<br />

Mitteilungsblätter keine Konkurrenz<br />

Konrad Müller bestätigte die Aussagen<br />

Zehnders. Sein Verlag hat 2008 das Projekt<br />

regio.ch lanciert. Dabei werden im<br />

Zürcher Oberland in fünf Regionen<br />

wöchentlich Gratisanzeiger mit einer<br />

Gesamtauflage von 87 000 Exemplaren<br />

produziert. Regio.ch ist ein Mix aus Seiten,<br />

die in allen Regionalausgaben und<br />

Seiten, welche nur regional erscheinen.<br />

Ebenfalls besteht für Inserenten die Möglichkeit,<br />

regional oder ganz gezielt lokal<br />

zu inserieren. Das Konzept ist ein Erfolg<br />

und es bestehen Pläne, es in Zukunft auf<br />

weitere Regionen auszudehnen. «Wir haben<br />

uns gut positioniert zwischen dem<br />

Angebot überregionaler Zeitungen auf<br />

der einen und den Gemeindeblättern auf<br />

der anderen Seite. Diese nehmen uns<br />

auch nur in Ausnahmefällen als Konkurrenz<br />

wahr. Aus unserer Sicht klappt diese<br />

Koexistenz gut», so Konrad Müller.<br />

Online-Geschäftsmodell<br />

nicht in Sicht<br />

Einig sind sich die beiden Verlagsleiter<br />

auch in Bezug auf den Online-Kanal. Hier<br />

sehen sie noch kein Geschäftsmodell, das<br />

Erträge generiert. Das hängt einerseits<br />

damit zusammen, dass lokale Informationen<br />

im Internet nach wie vor wenig<br />

nachgefragt werden, andererseits aber<br />

auch damit, dass die Klicks nicht in Einkünfte<br />

umgewandelt werden können.<br />

Ganz besonders schwierig ist hier der<br />

Mobile-Markt, denn die Möglichkeit,<br />

Anzeigen auf einen Smartphone-Bildschirm<br />

zu schalten, sei sehr beschränkt.<br />

Dies lässt darauf schliessen, dass die gedruckte<br />

Form des Gratisanzeigers wohl<br />

noch lange überleben wird. Trotzdem<br />

investieren sowohl Zehnder als auch<br />

Müller in einen Online-Auftritt ihrer Anzeiger.<br />

Insbesondere als Akquisitionswerkzeug<br />

für die gedruckte Ausgabe<br />

wird dieser Kanal immer wichtiger.<br />

Die Teilnehmer des Kolloquiums nahmen<br />

am Schluss auch mit, was für die Gratisanzeiger<br />

die Erfolgsfaktoren der Zukunft<br />

sind: Die Fähigkeit, die Kosten im Griff zu<br />

behalten, ein Produkt, das vom lokalen<br />

Leser gern in die Hand genommen wird,<br />

ihm Mehrwert und Identifikationspotenzial<br />

bietet und ein Inserateverkauf nahe<br />

am Gewerbe, der die nötigen Einnahmen<br />

für das Geschäft generiert.<br />

Zyklus «Wie stärken wir unsere Lokalanzeiger<br />

und Kleinzeitungen? Die wirtschaftliche<br />

und gesellschaftspolitische<br />

Bedeutung der regionalen Bericht<br />

erstattung»; <strong>Lilienberg</strong> Kolloquium vom<br />

24. Februar 2013, «Die wirtschaftliche<br />

Bedeutung der Anzeiger», mit Andreas<br />

Zehnder, Verlagsleiter Zehnder Print AG,<br />

Wil, und Konrad Müller, Verlagsleiter<br />

Zürcher Oberland Medien AG, Wetzikon;<br />

Zusammenfassung und Moderation:<br />

Dr. Andreas Jäggi (Aktionsfeld Medien &<br />

Kommunikation).


26<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft<br />

«Man wollte Arbeitskräfte,<br />

und es kamen Menschen!»<br />

Personenfreizügigkeit ist für die Einen ein<br />

rotes Tuch – für die Anderen eine Chance<br />

für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Stiftung<br />

<strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum ist<br />

um Sachlichkeit bemüht und lud vier Experten<br />

ein. Diese zeigten Probleme auf,<br />

aber auch Möglichkeiten der Entwicklung.<br />

Endgültige Lösungen sind aber<br />

noch in weiter Ferne.<br />

«Die Schweiz hat sich nie als Einwanderungsland<br />

gesehen. Doch Tatsache ist,<br />

dass seit dem Zweiten Weltkrieg nur eingewandert<br />

worden ist», sagte Thomas<br />

Daum, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes.<br />

Mit dieser Aussage<br />

stellte er das Podiumsgespräch auf <strong>Lilienberg</strong><br />

über die Personenfreizügigkeit in<br />

einen geschichtlichen Rahmen. Das Gespräch<br />

bildete am 13. Dezember den<br />

Schluss des <strong>Lilienberg</strong> Zyklus «Die Folgen<br />

der Personenfreizügigkeit».<br />

Auch Dr. jur. Hans Ambühl unterstrich<br />

diese stete Einwanderung, die bis tief ins<br />

vergangene Jahrhundert führt. Der Generalsekretär<br />

der EDK sagte zur sozialen<br />

Schicht der damaligen Einwanderer:<br />

«Früher kamen Leute mit einer schlechten<br />

Bildung. Heute sind es oft Akademiker,<br />

die andere Ansprüche haben.» Lange<br />

Zeit reagierte das Bildungssystem nicht<br />

auf diese Kinder aus bildungsarmen Familien.<br />

Ende der Neunzigerjahre stand<br />

das Bildungswesen vor neuen Herausforderungen.<br />

Es drängten viele Akademiker<br />

in die Schweiz, die das System der<br />

Schweizer Berufsbildung kritisierten und<br />

möglichst ihre Kinder ans Gymnasium<br />

schicken wollten. Wir können doch nicht<br />

70 Prozent der Kinder ins Gymnasium<br />

aufnehmen, wenn danach kein Platz an<br />

der Uni frei ist oder die Berufschancen<br />

gering sind, so Dr. Hans Ambühl. Zudem<br />

darf man vor lauter Akademiker nicht<br />

wieder den Fehler machen und Schüler<br />

mit geringer Ausbildung vernachlässigen.<br />

Nach wie vor stellen diese jungen Leute<br />

Lehrpersonen, Lehrmeister und Arbeitgeber<br />

vor grosse Probleme.<br />

Politische Kreise schüren die Ängste<br />

Die Personenfreizügigkeit löst bei vielen<br />

Schweizern Ängste aus. «Heute haben<br />

wir eine ganz andere Struktur bei der<br />

Einwanderung als früher», sagte Thomas<br />

Daum. Gerade der Mittelstand hat daran<br />

zu beissen, dass viele sozial gleichgestellte<br />

Personen oder Leute in Führungspositionen<br />

in die Schweiz zogen. Wie real<br />

diese Befürchtungen vor der Konkurrenz<br />

oder einem Chef ist, der nicht aus der<br />

Schweiz stammt, ist offen. Diese Ängste<br />

werden oft aus politischen Kreisen geschürt.<br />

Es entstehen Vorurteile. Thomas<br />

Daum nannte ein Beispiel: Als ehemaliger<br />

Gemeindepräsident von Stäfa beobachtete<br />

er in seiner Wohngemeinde in den<br />

Jahren 2010 bis 2012 eine rege Bautätigkeit.<br />

Es entstanden moderne Eigentumswohnungen,<br />

die sich nicht jeder leisten<br />

konnte. Im Dorf munkelte man, dass dort<br />

vor allem vermögende Ausländer einziehen<br />

würden. Das Gegenteil war der Fall.<br />

Heute leben rund zehn Prozent Ausländer<br />

in diesen Wohnungen, der Rest sind doppeltverdienende<br />

Schweizer oder Schweizer,<br />

die über 50 Jahre alt sind.<br />

Für Dr. Ernst Hauri vom Bundesamt für<br />

Wohnungswesen ist der Trend nach qualitativ<br />

guten Wohnungen offensichtlich.<br />

Es ist nicht klar, ob dieser Trend mit der<br />

Personenfreizügigkeit in Zusammenhang<br />

steht. Auch er bestätigte gewisse Vorurteile<br />

bei Wohnungssuchenden, die nach<br />

der Besichtigung meinen, sie seien nur<br />

auf Deutsche gestossen. Doch es sind<br />

nicht nur die Deutschen, die schönere<br />

Wohnungen bevorzugen. Im Vergleich<br />

zu früher verfügen Bewohner heute über<br />

viel mehr Wohnraum als noch vor einigen<br />

Jahrzehnten.


Ein hochkarätiges Podium zum Abschluss des Zyklus über die Folgen der Personenfreizügigkeit.<br />

Von links: Dr. Hans Ambühl, Thomas Daum, Christoph Vollenweider, Bruno Sauter, Kurt Rohner und Dr. Ernst Hauri.<br />

Schweiz wird von aussen gesteuert<br />

Die Schweiz könne sich diesem Bevölkerungswandel<br />

nicht ein bisschen anpassen,<br />

warf Kurt Rohner, Vizedirektor des Bundesamtes<br />

für Migration, in die Diskussion<br />

ein. Er denkt an die Wirtschaftlichkeit des<br />

Landes und die Globalisierung. Er erwähnte<br />

das Freihandelsabkommen mit<br />

China, das derzeit in der Schweiz im Gespräch<br />

ist. Dabei stellen die Chinesen ihre<br />

Regeln auf. «China wünscht nicht, sondern<br />

fordert Arbeitsplätze in der Schweiz<br />

für ihre Landsleute.» Rohner liess im Gespräch<br />

offen, ob das gut oder schlecht ist.<br />

Er wies aber darauf hin, dass in den Neunzigerjahren<br />

Top-Wissenschaftler in die<br />

USA gingen. Heute seien diese schon eher<br />

an der Schweiz interessiert.<br />

Thomas Daum ist froh um diese Leute,<br />

denn nach ihm ist die Schweiz gar nicht<br />

in der Lage, all die für das Land benötigten<br />

Fachkräfte auszubilden. Gerade Schweizer<br />

Studentinnen schreiben sich nach wie<br />

vor lieber bei den Phil-I-Fächern ein als bei<br />

den Naturwissenschaften. Da sei die Bildung<br />

gefordert, gibt er den Ball an Dr.<br />

Hans Ambühl weiter. Dieser meinte, dass<br />

die Schulen wichtige Reformen anpacken,<br />

etwa die Durchlässigkeit der einzelnen<br />

Ausbildungsgänge. Es fehle aber vielen<br />

Frauen der Hunger nach Naturwissenschaften.<br />

Der Wunsch nach diesem Bereich<br />

müsse schon früh in der Schule<br />

gelegt werden. Deshalb werden neu<br />

Grundkompetenzen nach dem zweiten<br />

Schuljahr formuliert, gleich denen in<br />

Deutsch und Mathematik, so Ambühl.<br />

Wie Christoph Vollenweider, Leiter Unternehmertum<br />

der Stiftung <strong>Lilienberg</strong>,<br />

meinte, sei diese Diskussion eine konzentrierte<br />

Zusammenfassung der Veranstaltungen<br />

des vergangenen Jahres. Das Amt<br />

für Wirtschaft und Arbeit des Kantons<br />

Zürich unter der Moderation seines Chefs<br />

Bruno Sauter war bei dieser Veranstaltungsreihe<br />

Kooperationspartner von<br />

<strong>Lilienberg</strong>. Die Auswahl der Referenten<br />

ermöglichte die seltene Gelegenheit, das<br />

Problem von vielen Seiten zu betrachten.<br />

Wie umfassend sich die Frage stellt,<br />

sagte Dr. Ernst Hauri mit einem Zitat:<br />

«Man wollte Arbeitskräfte, und es kamen<br />

Menschen!»<br />

Zyklus «Die Folgen der Personenfreizügigkeit»;<br />

Ausserordentliches Gespräch<br />

vom 13. Dezember 2012, «Personenfreizügigkeit:<br />

Ja – aber wie?», mit Dr. jur.<br />

Hans Ambühl, Generalsekretär Eidgenössische<br />

Erziehungsdirektorenkonferenz,<br />

Bern, Thomas Daum, Direktor des<br />

Schweizerischen Arbeitgeberverbandes,<br />

Zürich, Dr. Ernst Hauri, Direktor Bundesamt<br />

für Wohnungswesen, Grenchen,<br />

und Kurt Rohner, Vizedirektor Bundesamt<br />

für Migration, Bern; Moderation:<br />

Bruno Sauter, Chef Amt für Wirtschaft<br />

und Arbeit des Kantons Zürich; Zusammenfassung:<br />

Bruno Fuchs.


28<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft<br />

Die Bodenseeregion als Wirtschaftseinheit<br />

sehen und verstehen<br />

Vier mittelständische Unternehmer aus<br />

dem Thurgau sowie den Regionen Hegau<br />

(D) und Vorarlberg (A) gaben Ende<br />

November einen Einblick, mit welchen<br />

internen und externen Grenzen sie zu<br />

kämpfen haben. Ihre Beispiele zeigen auf,<br />

wo Handlungsbedarf besteht.<br />

Moderator Hans-Peter Wüthrich, Leiter<br />

des <strong>Lilienberg</strong> Aktionsfeldes Politik & Gesellschaft,<br />

erläuterte zum Auftakt des<br />

Kolloquiums die Bedeutung des Bodenseeraumes<br />

als Lebens- und Wirtschaftsraum.<br />

30 Millionen Bewohner rund um<br />

den See bilden ein grosses Potenzial für<br />

alle produzierenden und die in der Dienstleistungsbranche<br />

tätigen Unternehmen.<br />

«Es ist eine Tatsache, dass neben den<br />

Industriebetrieben, die schwerpunktmässig<br />

exportorientiert tätig sind, im Bodenseeraum<br />

die mittelständischen Unternehmen<br />

und die Familienbetriebe für<br />

Kontinuität und Wohlstand sorgen», sagte<br />

er. Damit es auch in Zukunft so bleibt,<br />

müsse diesen Unternehmen mehr Aufmerksamkeit<br />

geschenkt werden, als dies<br />

heute der Fall ist. Ziel des Zyklus sei es, so<br />

der Moderator, Herausforderungen wirtschaftlicher<br />

und gesellschaftlicher Natur<br />

aufzuzeigen, zu analysieren und vernetzt<br />

zu diskutieren. Die dazu notwendigen<br />

Lösungsansätze gelte es zu erarbeiten,<br />

um sie in der Folge den Experten und<br />

Verantwortungsträgern aus der Politik zu<br />

unterbreiten. «Die Politik muss aus der<br />

Wirtschaft und Gesellschaft Anstösse erhalten,<br />

um handeln zu können.»<br />

Einig waren sich alle Teilnehmenden, dass<br />

der Arbeit ein positives Image verpasst<br />

und die duale Berufsausbildung forciert<br />

werden muss. Die Stärken der ansässigen<br />

Unternehmen müssen besser nach aussen<br />

kommuniziert werden. Alle öffentlich-rechtlichen<br />

Sendeanstalten der fünf<br />

Anrainerstaaten Bodensee haben den<br />

Verantwortlichen des Aktionsfeldes an<br />

einer Veranstaltung im vergangenen September<br />

auf dem <strong>Lilienberg</strong> ihre Unterstützung<br />

zugesagt. «Wir müssen nun dieses<br />

Angebot für unsere Aktivitäten nutzen<br />

und diesen Schulterschluss mit den<br />

Medien pflegen und vertiefen», sagte<br />

Wüthrich.<br />

Mittelstand ist der Motor<br />

der Wirtschaft im Bodenseeraum<br />

Es gelte also, die Bodenseeregion mit positiven<br />

Bildern in die Welt hinaus zu tragen,<br />

damit sie künftig nicht nur als touristische<br />

Einheit, sondern auch als Wirtschaftseinheit<br />

gesehen und verstanden wird. Fakt<br />

ist, dass es die Unternehmen des Mittelstandes<br />

sind, die Arbeitsplätze schaffen<br />

und den Produktionsstandort nicht so<br />

schnell verlassen. Sie sichern ihn sogar<br />

noch ab. Ohne produzierende Betriebe<br />

ist Forschung nicht möglich. Die Wirtschaft<br />

würde in Europa nicht mehr funktionieren,<br />

dessen ist man sich sicher.<br />

Wüthrich: «Deshalb muss mit der Plattform<br />

<strong>Lilienberg</strong> eine Lobby für den Mittelstand<br />

in der Wirtschaftsregion Bodensee<br />

geschaffen werden.»<br />

Dass Grenzen nicht hindern dürfen, darin<br />

waren sich die vier Referenten des Kolloquiums,<br />

deren Unternehmen rund um<br />

den Bodensee verteilt sind, einig. Peter<br />

Schütz, Inhaber von Letrona AG in<br />

Friltschen, einem Metall verarbeitenden<br />

Betrieb, startete die Vortragsreihe. Als<br />

Schweizer Unternehmer, der seine Produkte<br />

in die EU exportiert, hat er täglich<br />

mit Grenzen zu tun. Aber auch interne<br />

Grenzen zeigten sich: durch den Facharbeitermangel<br />

in der Schweiz. «100 Mitarbeitende<br />

aus zwölf Nationen sind eine<br />

tägliche Herausforderung.» Er ist ein Befürworter<br />

der dualen Berufsausbildung.<br />

Facharbeiterrekrutierung ist ein Kernthema.<br />

Für den Wirtschaftsraum Bodensee<br />

sieht er eine positive Zukunft, wenn Pro-


Von links: Peter Schütz,<br />

Marie-Luise Dietrich-Pfanner,<br />

Detlef Lohmann, Ingo Metzler und<br />

Hans-Peter Wüthrich, Leiter des<br />

Aktionsfeldes Politik & Gesellschaft.<br />

bleme vor Ort angegangen werden. «Für<br />

die Schweiz heisst das: Wir müssen sorgen,<br />

dass es zu einem Gleichgewicht<br />

zwischen Realwirtschaft, Finanzwirtschaft,<br />

Forschung und Entwicklung<br />

kommt», ist Peter Schütz überzeugt.<br />

Der Zoll ist die Grenze<br />

Marie-Luise Dietrich-Pfanner von Pfanner<br />

Fruchtsaft in Lauterach (Vorarlberg) ist<br />

bereits in sechster Generation des im<br />

Jahre 1856 aus einem Branntweinbetrieb<br />

hervorgegangenen Fruchtsaftherstellers<br />

tätig. Der heutige Betrieb zählt mit seinen<br />

über 700 Mitarbeitenden zu den grösseren<br />

Fruchtsaftherstellern Europas und<br />

exportiert in 75 Länder der Welt, ausser<br />

in die Schweiz. Der Zoll ist die Grenze,<br />

40 Prozent Zollgebühren sind zu hoch.<br />

Bereits vor dem Beitritt Österreichs zur<br />

EU war die Firma in den EU-Ländern tätig<br />

und musste viel Lehrgeld bezahlen.<br />

«Rückblickend war es richtig, denn nach<br />

der Öffnung der Grenzen wäre es zu spät<br />

gewesen», meinte Dietrich-Pfanner.<br />

Die Grenzen für Detlef Lohmann von allsafe<br />

in Engen (D) sind der Preis- und Produktionswettbewerb<br />

mit China. «Um<br />

den Preiskampf in Grenzen zu halten,<br />

benötigen wir Ingenieurwissen», lässt<br />

Lohmann aufhorchen. 2009 wurde eine<br />

bestimmte Wachstumsgrenze erreicht.<br />

Um diese zu überwinden, wurde Wissen<br />

ins Unternehmen geholt. Um Kundenwünsche<br />

leichter zu erfüllen, werde auf<br />

grossen Serviceanteil gesetzt und von<br />

Voll- auf Teilautomatisierung umgestellt.<br />

Dies sei aber nur möglich, wenn die Produktion<br />

in Europa bleibt. «Um die KMUs<br />

im Wirtschaftsraum Bodensee zu stärken,<br />

ist es notwendig, das Augenmerk<br />

von aussen auf uns zu lenken, das heisst,<br />

Öffentlichkeitsarbeit von allen Seiten ist<br />

unerlässlich», forderte Lohmann.<br />

Zum erfolgreichen Molke-Kosmetikproduzenten<br />

schaffte es Ingo Metzler von<br />

Metzler Käse – Molke GmbH im Bregenzerwald.<br />

«Jeder, der einmal versucht hat,<br />

mit seinem Produkt in die Regale der<br />

Handelsketten zu kommen, erfährt sehr<br />

schnell, wo die Grenzen sind.» Als regionaler<br />

Produzent sei der Kampf gegen den<br />

Preis bestimmt nicht zu gewinnen. «Also<br />

muss das Produkt mit Zusatzwerten und<br />

Geschichten besetzt werden.» Grenzen<br />

sind für Metzler auch die Bürokratie,<br />

allein über den Produktepreis ist diese<br />

nicht finanzierbar. Als Landwirt stelle er<br />

fest, dass für Lebensmittel immer weniger<br />

Geld übrigbleibt.<br />

Für Ingo Metzler muss die Bodenseeregion<br />

mehr personifiziert, emotional<br />

aufbereitet werden. «Wir müssen sagen,<br />

wer wir sind und was wir sind. Und die<br />

Medien mit positiven Bildern füttern.<br />

Dann wird man in Europa und der ganzen<br />

Welt auch vom Wirtschaftsland Bodensee<br />

sprechen.»<br />

Zyklus «Herausforderung Grenze»; <strong>Lilienberg</strong><br />

Kolloquium vom 27. November 2012,<br />

«Die Grenzen aus der Sicht von Unternehmern<br />

aus Deutschland, Österreich und<br />

der Schweiz», mit Detlef Lohmann, Geschäftsführender<br />

Gesellschafter allsafe<br />

Jungfalk GmbH & Co. KG, DE-Engen, Ingo<br />

Metzler, Inhaber, Metzler Käse – Molke<br />

GmbH, AT-Egg, Marie-Luise Dietrich-Pfanner,<br />

Geschäftsführende Gesellschafterin<br />

Hermann Pfanner Getränke GmbH,<br />

AT-Lauterach, und Peter Schütz, Inhaber<br />

Letrona AG, CH-Friltschen; Zusammenfassung<br />

und Moderation: Hans-Peter Wüthrich<br />

(Aktionsfeld Politik & Gesellschaft).


30<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Politik & Gesellschaft<br />

Lohnzahlungen an Manager:<br />

exzessiv oder marktgerecht?<br />

Im Vorfeld der Abstimmung über die<br />

Volksinitiative gegen die Abzockerei bemühten<br />

sich drei Referenten um Klärungen.<br />

In ihren Referaten nahmen Dr. Yves<br />

Schneider, Dr. Alexander Barkawi und<br />

Brigitta Moser-Harder Stellung zu aktuellen,<br />

feststellbar problembehafteten<br />

Fragen rund um exzessive Gehälter,<br />

Corporate Governance und Auswirkungen<br />

bei der Annahme der Initiative. Einigkeit<br />

herrschte in Sachen Notwendigkeit,<br />

diese Debatte zu führen – weniger jedoch<br />

in der Frage, ob Manager nun zu viel<br />

verdienen oder eben doch marktgerecht<br />

entschädigt werden.<br />

Stephan Illi, Mitglied des <strong>Lilienberg</strong> Stiftungsrates<br />

und Initiant des Austausches<br />

zum seit Monaten prominent diskutierten<br />

Thema, führte mit lang gehaltener Leine<br />

durch die Gesprächsrunden. Seine Einstiegsfrage:<br />

«Was sind denn überhaupt<br />

marktgerechte Löhne?» Bei der Antwortsuche<br />

gibt es wohl kaum ein Richtig oder<br />

Falsch.<br />

Die drei geladenen Referenten legten ihre<br />

ganz persönlichen Sichtweisen dar. Von<br />

Dr. Alexander Barkawi war zu Beginn zu<br />

hören, dass angesichts der Komplexität<br />

des Themas seine Beiträge als Impulse<br />

und nicht als abschliessende Beurteilung<br />

zu verstehen seien. Deshalb gelte es, seine<br />

Impulse nicht mit einem erhärteten<br />

Wissen in Verbindung zu bringen. Dr.<br />

Yves Schneider mochte die ganze Aufregung<br />

um zu hohe Managergehälter<br />

nicht verstehen: «Wenn ich nicht Millionen<br />

verdiene, dann ist meine Arbeitsleistung<br />

wohl auch nicht so viel wert.»<br />

Die Replik von Brigitta Moser-Harder<br />

folgte ungeschminkt: «Selbstregulierung<br />

hat noch nie funktioniert! Es müsste doch<br />

vor allem in den Teppichetagen so sein,<br />

dass Leistung und nicht Versagen honoriert<br />

wird!» Zu hören war also von jener<br />

Referentenseite, welche die gegenwärtig<br />

an Manager geleisteten Lohnzahlungen<br />

und Abgangsentschädigungen entweder<br />

zumindest im Ansatz oder dann «als jenseits<br />

von Gut und Böse» mit kritischer<br />

Betrachtung einschätzt, dass im gegenwärtigen<br />

Umfeld Handlungsbedarf bestehe.<br />

«Interessenskonflikte stehen<br />

einer Selbstregulierung im Weg»<br />

Für Alexander Barkawi gilt es in Anbetracht<br />

der Tatsache, dass «76 Prozent des<br />

Vermögens hierzulande von 11 Prozent<br />

der Bevölkerung gehalten werden», insbesondere<br />

die zunehmende Öffnung der<br />

Lohnschere im Auge zu behalten. Es seien<br />

sowohl exzessive Gehälter als auch<br />

Tiefstlöhne knapp oder sogar unter dem<br />

Existenzminimum, die der Schweiz sozialen<br />

und wirtschaftlichen Schaden zufügen<br />

können. Barkawi gab dabei die<br />

These in die Runde, dass es nicht möglich<br />

sei, den Beitrag eines einzelnen Managers<br />

zum Unternehmenserfolg klar zu<br />

beziffern und somit ein «marktgerechter»<br />

Lohn nicht zu ermitteln sei. Die Festlegung<br />

der Löhne von Topmanagern<br />

hinge stattdessen vor allem vom gesellschaftlichen<br />

Kontext und den Machtverhältnissen<br />

in den Entscheidungsgremien<br />

ab. Dabei führen Interessenskonflikte<br />

zwischen Aktionären, Vermögensverwaltern,<br />

Verwaltungsräten und Geschäftsleitungsmitgliedern<br />

dazu, dass Lohnentscheide<br />

nicht zwingend im Sinne des<br />

Unternehmens getroffen werde und eine<br />

politische Diskussion über Verbesserungen<br />

von Governance-Regelungen sinnvoll<br />

ist.<br />

Sportler versus Manager?<br />

Für die Aussage von Dr. Yves Schneider,<br />

dass hohe Löhne vor allem eine hohe<br />

Produktivität widerspiegeln würden, hatte<br />

Brigitta Moser-Harder nicht viel übrig.


Moderator Stephan Illi und<br />

die Podiumsteilnehmenden<br />

Dr. Yves Schneider,<br />

Brigitta Moser-Harder und<br />

Dr. Alexander Barkawi (von links).<br />

Sie ortet «viele kriminelle Attitüden in der<br />

Finanzbranche» und ist davon überzeugt,<br />

dass Selbstregulierung keine Abhilfe<br />

schaffen kann im gegenwärtigen Umfeld<br />

der exzessiven Lohnzahlungen an Manager.<br />

«Es gibt schlicht keine leistungsbezogenen<br />

Managergehälter mehr – und<br />

diese Einschätzung hat nichts mit einer<br />

Neid-Debatte zu tun!» Es gelte doch Leistung<br />

zu würdigen statt Versagen zu vergolden.<br />

Schneider konstatierte derweil, dass die<br />

Vergütungen von CEOs proportional zum<br />

Firmenwert stünden. Seine Überzeugung:<br />

«Ein funktionierender Markt lässt ungerechtfertigte<br />

Bereicherungen nicht zu.»<br />

Der Referent wunderte sich zudem, dass<br />

bei Wirtschaftskapitänen derart viel Unmut<br />

über hohe Gehälter geäussert werde,<br />

während auch Topsportler exorbitant anmutende<br />

Summen einstreichen würden.<br />

«Wieso stört uns das weniger?»<br />

Wieso Boni trotz roten Zahlen?<br />

Im zweiten Teil des unternehmerischen<br />

Gesprächs kam es zu einem eher defensiv<br />

geführten Schlagabtausch zwischen den<br />

drei Referenten. Im Wesentlichen wurden<br />

dabei die zuvor dargelegten Argumente<br />

und Einschätzungen nochmals begründet.<br />

Der Einbezug des Publikums machte<br />

deutlich, dass mancherorts Unverständnis<br />

für die exorbitanten Manager-Gehälter<br />

herrscht, weil Boni auch in Zeiten von<br />

Geschäftsjahren mit roten Zahlen ausbezahlt<br />

worden seien. Eine Votantin meinte<br />

pointiert: «Wie kann es sein, dass Boni<br />

ausbezahlt werden, wenn ein Unternehmen<br />

Verlust ausweist? Was gibt es denn<br />

da noch zu verteilen?»<br />

Es wurde zudem beanstandet, dass sich<br />

ein Manager oftmals nicht mit einem Unternehmen<br />

identifiziere. «Die Verantwortung<br />

wird des öftern nicht wahrgenommen»,<br />

wurde moniert. Ein Unternehmer<br />

hingegen würde sich für seine Firma mit<br />

Haut und Haaren engagieren. Ein grosser<br />

Teil der Diskussion widmete sich sodann<br />

den Schlagworten Werte, Mentalität und<br />

Ethik. Es wurden Bedenken darüber geäussert,<br />

ob eine Volksinitiative gegen die<br />

Abzockerei Werte, Ethik und Mentalität<br />

ändern könne.<br />

Unternehmerisches Gespräch vom 6. Februar<br />

2013, «Was tun, wenn der Markt<br />

versagt: Löhne zwischen Wettbewerb<br />

und Regulierung», mit Dr. Yves Schneider,<br />

Projektleiter bei Polynomics AG sowie<br />

Lehrbeauftragter am ökonomischen<br />

Seminar der Universität Luzern, Olten, Dr.<br />

Alexander Barkawi, Gründer und Direktor<br />

des Council on Economic Policies,<br />

Zürich, und Brigitta Moser-Harder, Mitinitiantin<br />

der Volksinitiative gegen die<br />

Abzockerei, Hüntwangen; Moderation:<br />

Stephan Illi, Mitglied des <strong>Lilienberg</strong> Stiftungsrates;<br />

Zusammenfassung: Marcel<br />

Vollenweider.


32<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Bildung & Sport<br />

Mit dem Lehrplan 21<br />

von der Volksschule in den Beruf<br />

Das Aktionsfeld Bildung & Sport hat Mitte<br />

Januar seinen Zyklus 2012/2013 abgeschlossen.<br />

Die Veranstaltungsreihe mit<br />

dem Titel «Arbeitswelt und nationale<br />

Bildungsstandards – ein Dialog tut Not»<br />

ging der Frage nach, was Auszubildende<br />

aus der Volksschule mitbringen sollen<br />

und was die Lehrfirmen von ihren Lernenden<br />

erwarten. Hintergrund für das Zyklusthema<br />

war der Lehrplan 21. Dieser soll<br />

einheitlich für alle 21 deutsch- und mehrsprachigen<br />

Kantone der Schweiz gelten.<br />

Nach den drei Kolloquien im Sommer und<br />

Herbst 2012 standen am 17. Januar zum<br />

Abschluss des Zyklus eine Tagung und ein<br />

Podiumsgespräch auf dem Programm.<br />

Hier ging es primär darum, den Zusammenhang<br />

von Lehrplan 21 und Berufsbildung<br />

zu analysieren.<br />

Die Referentin und Referenten informierten<br />

an der Tagung über den Lehrplan 21,<br />

über Normen in der Bildung sowie über<br />

die Erwartungen der Berufsbildung an<br />

diesen neuen Lehrplan. Es referierten<br />

Walter Berger, Chef des Amtes für Volksschule<br />

des Kantons Thurgau und Vorsitzender<br />

der Begleitgruppe des Lehrplans<br />

21, Corinne Morgenegg, Leiterin der Regionalstelle<br />

Frauenfeld der Berufs- und<br />

Studienberatung des Kantons Thurgau,<br />

Emanuel A. Wüthrich, Dozent und Projektverantwortlicher<br />

des Zentrums für<br />

Berufsentwicklung des Eidgenössischen<br />

Hochschulinstituts für Berufsbildung, sowie<br />

Hanspeter Meier, eidgenössisch diplomierter<br />

Schreinermeister und Inhaber<br />

der Meier Schreinerei AG in Weinfelden<br />

sowie Lehrmeister- und Prüfungsexperte<br />

für den Berufsschulunterricht.<br />

Der Lehrplan 21 (LP 21) ist der erste gemeinsame<br />

Lehrplan für die deutsch- und<br />

mehrsprachigen Kantone der Schweiz.<br />

Vorausgegangen ist ein gemeinsamer<br />

Lehrplan für die französischsprachige<br />

Schweiz, der «Plan d’études romand».<br />

Beide Lehrpläne bauen auf den gleichen<br />

Grundlagen auf, wie zum Beispiel die nationale<br />

Strategie zum Sprachenunterricht<br />

(2004) und die ersten nationalen Bildungsziele<br />

(Bildungsstandards) für die<br />

obligatorische Schule (2011). Die Berufsbildung<br />

hat im Berufsbildungsgesetz<br />

(2004) Elemente formuliert, die mit dem<br />

LP 21 kompatibel sind.<br />

Wie Walter Berger referierte, liegen die<br />

zentralen Innovationen des LP 21 darin,<br />

dass die Bildungsstandards die Grundkompetenzen<br />

definieren, die alle erreichen<br />

sollen. Damit wird im Unterschied<br />

zu heute in den Fachlehrplänen – wie<br />

etwa für Deutsch, Fremdsprachen oder<br />

Mathematik – eine hohe Verbindlichkeit<br />

erreicht. Die Bildungsstandards sind in<br />

Form von Kompetenzen formuliert, das<br />

heisst es geht nicht nur darum, dass Schülerinnen<br />

und Schüler Wissen erwerben,<br />

sondern es wird stark Gewicht auf die<br />

Anwendbarkeit von Kenntnissen und Fertigkeiten<br />

gelegt.<br />

Emanuel A. Wüthrich erklärte, dass der<br />

Kompetenzbegriff in der Berufsbildung<br />

als berufliche Handlungskompetenz verstanden<br />

wird. Im Beruf geht es darum,<br />

konkrete berufliche Situationen zu meistern,<br />

in der Volksschule dagegen darum,<br />

Gelerntes bei neuen Aufgabenstellungen<br />

sinnvoll anzuwenden. Das ist gemeint,<br />

wenn der LP 21 von Kompetenzorientierung<br />

spricht.<br />

Weshalb Standards und Normen?<br />

Unsere Welt versucht zunehmend, Probleme<br />

durch die Schaffung sinnvoller<br />

Normen zu lösen. Bildungsnormen erleichtern<br />

die Mobilität von Familien und<br />

Lehrpersonen. Sie erleichtern Übertritte,<br />

da sich die Folgeschulen darauf verlassen<br />

können, dass alle Kinder und Jugendli-


Corinne Morgenegg Walter Berger<br />

Hanspeter Meier Emanuel A. Wüthrich<br />

chen die gleichen Vorbildungen durchlaufen<br />

haben – wobei natürlich nach wie vor<br />

Stärken und Schwächen von Jugendlichen<br />

breit gestreut sind. Ausbildner können<br />

sich in Zukunft dank der Bildungsstandards<br />

ein wesentlich klareres Bild von ihren<br />

künftigen Auszubildenden machen.<br />

Aus dem legitimen Bedürfnis heraus, die<br />

Schulleistungen möglichst genau zu kennen,<br />

werden heute neben Zeugnisnoten<br />

vor allem auch Tests immer wichtiger.<br />

Corinne Morgenegg erläuterte die Möglichkeiten<br />

und Grenzen von Tests, wie<br />

dem Multicheck, dem Basic-Check und<br />

dem Stellwerk 8. Während der Stellwerktest<br />

von allen Sekundarschülerinnen und<br />

-schülern gemacht wird – finanziert und<br />

durchgeführt von der Schulgemeinde –<br />

finden Basic-Check und Multicheck an<br />

zentralen Standorten statt, finanziert<br />

durch die Eltern. Mit den Tests werden<br />

Schulleistungen ermittelt, Sozial-, Selbstund<br />

Methodenkompetenz jedoch nicht,<br />

wobei aber gerade in der Berufswelt diesen<br />

eine immer grössere Wichtigkeit zukommt.<br />

Testverfahren verleiten uns bei der Beurteilung<br />

von Jugendlichen zu einer trügerischen<br />

Sicherheit. Anonyme Testsituationen<br />

können Jugendliche verunsichern.<br />

Dazu kommt, dass die Testresultate<br />

bei dieser Altersgruppe eine geringe Voraussagekraft<br />

haben. In wenigen Entwicklungsphasen<br />

wie derjenigen der<br />

Adoleszenz werden so entscheidende<br />

Veränderungen noch geschehen, sodass<br />

ein Test lediglich «vermeintliche Sicherheit»<br />

geben kann (Corinne Morgenegg).<br />

Ein viel klareres Urteil – da sind sich Morgenegg<br />

und Wüthrich einig – führt über<br />

das Kennenlernen der Jugendlichen und<br />

eine intensive Kommunikation mit ihnen.<br />

Lehrplan 21 und Praxis<br />

der Berufsausbildung<br />

Je mehr sich Hanspeter Meier mit dem<br />

Lehrplan 21 auseinander setzt, desto<br />

mehr interessiert ihn dieser. Er brachte<br />

die Erwartungen der Berufsbildung auf<br />

den Punkt. Es gehe ihm darum, dass Auszubildende<br />

nicht nur lesen können, sondern<br />

auch verstehen, was sie lesen, um<br />

dann zum Beispiel eine Maschine korrekt<br />

zu bedienen. Oder dass ein Lehrling, der<br />

einen Rapport ausfüllt, 8 Stunden 30 Minuten<br />

nicht zu 8,3 Stunden umrechnet.<br />

Und genau diese Ziele verfolgt der LP 21<br />

durch die Kompetenzorientierung, also<br />

letztlich eine Schulung, wo Wissen und<br />

Können auf neue Aufgaben und neue<br />

Situationen angewendet wird.<br />

Dass es für die Berufsbildung auch Werte<br />

wie Leistungsbereitschaft und Verantwortung<br />

braucht, leuchtet ein und entspricht<br />

dem, was der Lehrplan 21 unter<br />

dem Begriff überfachliche Kompetenzen<br />

zusammenfasst. Hanspeter Meier erhofft<br />

sich auch, dass Schulzeugnisse verlässlichere<br />

Auskünfte geben als heute. «Durch<br />

die konkrete Formulierung der Bildungsstandards<br />

wird das der Fall sein.»<br />

Zyklus «Arbeitswelt und nationale Bildungsstandards<br />

– ein Dialog tut Not»;<br />

<strong>Lilienberg</strong> Tagung vom 17. Januar 2013,<br />

«Von der Volksschule in die Berufsausbildung:<br />

Erleichtert der Lehrplan 21 den<br />

Übergang – oder erschwert er ihn gar?»<br />

mit Walter Berger, Chef Amt für Volksschule<br />

des Kantons Thurgau, Vorsitzender<br />

Begleitgruppe Lehrplan 21, Frauenfeld,<br />

Corinne Morgenegg, Leiterin<br />

Regionalstelle Frauenfeld Berufs- und<br />

Studienberatung des Kantons Thurgau,<br />

Emanuel A. Wüthrich, Dozent, Projektverantwortlicher<br />

Zentrum für Berufsentwicklung,<br />

Eidgenössisches Hochschulinstitut<br />

für Berufsbildung, und Hanspeter<br />

Meier, Schreinermeister, Weinfelden; Zusammenfassung<br />

und Moderation: Dr.<br />

Heinz Bachmann und Prof. Heinrich Wirth<br />

(Aktionsfeld Bildung & Sport).


34<br />

Gespräch<br />

Aus dem Aktionsfeld Bildung & Sport<br />

Verbindlichere Lernziele dank Lehrplan 21<br />

Der für alle deutsch- und mehrsprachigen<br />

Kantone gemeinsame Lehrplan 21 ermöglicht<br />

einen besseren Übergang von<br />

der Volksschule ins Berufsleben. Darin<br />

waren sich die vier Diskussionsteilnehmer<br />

des Podiumsgesprächs vom 17. Januar<br />

einig. Allerdings werde es auch mit dem<br />

neuen Lehrplan ein Ding der Unmöglichkeit<br />

sein, alle Probleme zu lösen, die heute<br />

in der Schule bestehen.<br />

Zum Abschluss des Zyklus im Aktionsfeld<br />

Bildung & Sport diskutierten unter der<br />

Leitung von Christoph Vollenweider<br />

die Thurgauer Regierungspräsidentin<br />

Monika Knill, Chefin des Departements<br />

für Erziehung und Kultur, Prof. Claudio<br />

Zingg, Prorektor der Pädagogischen<br />

Hochschule Thurgau, Hanspeter Meier,<br />

eidgenössisch diplomierter Schreinermeister,<br />

sowie Bernard Gertsch, Präsident<br />

des Verbandes Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter Schweiz und Mitglied der<br />

Begleitgruppe Lehrplan 21.<br />

Zu Beginn der Diskussion legten die<br />

Podiumsteilnehmenden ihr Interesse am<br />

Lehrplan 21 (LP 21) dar. Monika Knill erachtet<br />

es als wichtig, dass ein gutes<br />

Werkzeug entsteht, das dank hoher Verbindlichkeit<br />

einen besseren Übergang bei<br />

den Schnittstellen der Bildung ermöglicht,<br />

insbesondere beim Eintritt in die<br />

Berufsbildung. Gerade in der Ostschweiz<br />

besuchen viele Jugendliche Berufsschulen<br />

ausserhalb ihres Wohnkantons, sodass<br />

man schon lange die Meinung vertrat,<br />

dass ein gemeinsamer Lehrplan<br />

notwendig sei.<br />

Lehrpersonen und Schulen<br />

unterstützen<br />

Claudio Zingg freut sich, dass mit dem<br />

Lehrplan 21 die Schweiz endlich den Willen<br />

aufbringt, einen für alle verbindlichen<br />

gemeinsamen Lehrplan zu schaffen. Für<br />

ihn als Prorektor einer Pädagogischen<br />

Hochschule werde die Herausforderung<br />

darin bestehen, Lehrpersonen und Schulen<br />

im Gebrauch des neuen Werkzeugs<br />

zu unterstützen, im Wesentlichen durch<br />

eine gute, auf die Praxis ausgerichtete<br />

Weiterbildung.<br />

Auch für Bernard Gertsch ist die Verbindlichkeit<br />

des LP 21 zentral. «Er wird zu<br />

einer wichtigen Orientierungshilfe für<br />

alle.» Dass die Implementierung anspruchsvoll<br />

sein wird, sei klar. Eine breite<br />

gesellschaftliche Debatte wäre hilfreich,<br />

doch finde diese (noch) nicht statt.<br />

Aufgrund seiner Erfahrung in nationalen<br />

Gremien, aber auch als Praktiker der<br />

Berufsbildung, besteht das Hauptinte-<br />

resse von Hanspeter Meier darin, mit dem<br />

LP 21 einen besseren Übergang von der<br />

Sekundarschule in die Berufsbildung zu<br />

ermöglichen.<br />

Auf die Berufswelt hören<br />

Der Lehrplan 21 wurde im Auftrag der<br />

Erziehungsdirektorenkonferenz von<br />

Lehrpersonen aus der Schulpraxis sowie<br />

von Fachdidaktikern erarbeitet. Noch<br />

fehlt die Stimme der Berufswelt. Für<br />

Hanspeter Meier stellt das kein Problem<br />

dar, solange die Bereitschaft besteht, in<br />

der Vernehmlassung auch auf die Stimme<br />

der Berufsbildung zu hören. Dadurch,<br />

dass der Lehrplan überfachliche<br />

Kompetenzen ansteuert – beispielsweise<br />

«Vorstellungsvermögen» und nicht<br />

primär Inhalte, wie etwa «Geometrisches<br />

Zeichnen», sollte es laut Bernard<br />

Gertsch möglich sein, dass viele verschiedene<br />

Berufsausbildungen hinter<br />

dem Lehrplan stehen.<br />

Mit dem LP 21 wird konkret festgehalten,<br />

was Kinder und Jugendliche in der<br />

Schule lernen sollten. Was konkret ist,<br />

kann auch überprüft werden. Dabei<br />

könne gerade die Kompetenzorientierung<br />

dazu beitragen, dass die schwächeren<br />

Schüler besser gefördert werden,


Von links: Bernard Gertsch,<br />

Regierungspräsidentin Monika Knill,<br />

Prof. Claudio Zingg,<br />

Dr. Heinz Bachmann vom Aktionsfeld<br />

Bildung & Sport,<br />

Moderator Christoph Vollenweider,<br />

Hanspeter Meier und Prof. Heinrich<br />

Wirth vom Aktionsfeld Bildung & Sport.<br />

sagte Professor Zingg. Dass sich aber<br />

auch mit dem Lehrplan 21 gesellschaftliche<br />

Probleme in der Schule niederschlagen,<br />

werde nicht zu vermeiden sein. Regierungspräsidentin<br />

Knill: «Auch mit dem<br />

Lehrplan 21 kann die Schule nicht zum<br />

Reparaturbetrieb für die Gesellschaft<br />

werden.» Der Bildungsauftrag dürfe keinesfalls<br />

verwässert werden.<br />

Bernard Gertsch und Claudio Zingg<br />

stimmten überein, dass möglicherweise<br />

sehr motivierte und begeisterungsfähige<br />

Experten mit dem LP 21 zu viel erreichen<br />

wollen. Der Erfolg des LP 21 werde wesentlich<br />

davon abhängen, ob es die<br />

Schule schafft, schnell und genügend<br />

gute Lehr- und Lernmaterialen bereit zu<br />

stellen. Dabei wird sicher Online-Lehrmaterial<br />

zum Einsatz kommen. Eine professionelle<br />

Unterstützung der Lehrpersonen<br />

in der Umsetzung des LP 21 wird<br />

ebenfalls zentral sein. Vorarbeiten dazu<br />

werden schon heute bei der Planung der<br />

Weiterbildung geleistet, und Bildungsstandards<br />

und Kompetenzorientierung<br />

in der Ausbildung der Lehrerinnen und<br />

Lehrer nehmen bereits jetzt viel Raum<br />

ein.<br />

Zum Abschluss des Podiums bat Christoph<br />

Vollenweider seine Gäste, Chancen<br />

und Risiken des Lehrplans 21 zu benennen.<br />

An Risiken wurde vor allem die Gefahr<br />

genannt, dass der LP 21 überladen<br />

sei und an zu idealen Vorstellungen leiden<br />

könnte. Auch werde es nicht möglich<br />

sein, mit dem Lehrplan 21 alle Probleme<br />

zu lösen, die heute in der Schule bestehen.<br />

Die Chancen des LP 21 seien in einer besseren<br />

Anschlussfähigkeit der Schulstufen<br />

zu sehen (Zingg), in einer Klärung dessen,<br />

was Schule und Lehrpersonen erreichen<br />

sollen (Gertsch), in einer höheren Verbindlichkeit<br />

der Lernziele und einer besseren<br />

Messbarkeit der Qualifikationen<br />

der Jugendlichen beim Start der Berufsausbildung<br />

(Hanspeter Meier).<br />

Monika Knill betonte, dass mit dem LP 21<br />

Schule und Lehrpersonen ein Werkzeug<br />

in die Hand bekommen, das in der täglichen<br />

Arbeit konkret gebraucht werden<br />

kann – und gebraucht wird. So soll auch<br />

der Lehrer, der seiner Chefin des Departements<br />

für Erziehung und Kultur bei der<br />

Pensionierung den beim Dienstantritt erhaltenen<br />

Lehrplan noch in Plastik verschweisst<br />

und ungeöffnet zurückgibt, der<br />

Vergangenheit angehören.<br />

Zyklus «Arbeitswelt und nationale<br />

Bildungsstandards – ein Dialog tut Not»;<br />

Ausserordentliches Gespräch vom 17. Januar<br />

2013, «Was ist die Rolle von<br />

Bildungspolitik, Pädagogischer Hochschule,<br />

Volksschule und der Berufsbildung<br />

bei der Weiterentwicklung des<br />

Lehrplans 21?», mit Regierungspräsidentin<br />

Monika Knill, Departement für Erziehung<br />

und Kultur des Kantons Thurgau,<br />

Prof. Claudio Zingg, Prorektor der Pädagogischen<br />

Hochschule Thurgau, Kreuzlingen,<br />

Bernard Gertsch, Präsident des<br />

Verbandes Schulleiterinnen und Schulleiter<br />

Schweiz, Egnach, und Hanspeter<br />

Meier, Schreinermeister, Weinfelden;<br />

Moderation: Christoph Vollenweider,<br />

Leiter Unternehmertum; Zusammenfassung:<br />

Prof. Heinrich Wirth/Stefan<br />

Bachofen.


36<br />

Bildung<br />

Aus dem Bereich Bildung (Glenn Mueller Amstutz)<br />

Wie KMU von kostenloser Mundpropaganda<br />

und Kundenempfehlungen profitieren<br />

Was haben Birkenstock, Google und das<br />

In-Lokal um die Ecke gemeinsam? Sie<br />

setzten auf die Macht der Mundpropaganda<br />

und die positiven Empfehlungen<br />

ihrer Kunden. Und sie tun es auch heute<br />

noch. In zwei <strong>Lilienberg</strong> Seminaren gab<br />

Mundpropaganda-Experte Mark Leinemann<br />

Tipps, wie KMU-Unternehmer ihre<br />

Produkte und Dienstleistungen künftig<br />

noch besser an den Mann oder an die<br />

Frau bringen können.<br />

Viele KMU-Unternehmer wissen seit<br />

Jahrzehnten, dass das Neugeschäft oftmals<br />

auf Empfehlungen basiert. Viele<br />

Unternehmer wissen jedoch nicht, dass<br />

sie teils schon seit Jahren Word of<br />

Mouth Marketing (WoM Marketing) wie<br />

man Mundpropaganda im Marketing-<br />

«Deutsch» auch nennt – betreiben. Zudem<br />

ist ihnen meist auch nicht bekannt,<br />

was den Erfolg der bereits unbewusst<br />

bestehenden Mundpropaganda ausmacht<br />

und wie sie ihr WoM Marketing<br />

optimieren und wirksamer gestalten können.<br />

Auf die Frage «Warum sprechen<br />

meine Kunden über mein Unternehmen<br />

und empfehlen mich weiter oder sie tun<br />

es eben nicht?», hört man oft die Antwort:<br />

«Weil ich gute, beziehungsweise<br />

nicht so gute Arbeit mache oder eine<br />

bestimmte Qualität anbiete.» Doch dies<br />

ist zu kurz gegriffen. Es lohnt sich, die<br />

Gründe im Detail zu analysieren, denn<br />

dann findet man seine persönlichen<br />

Erfolgsfaktoren für die eigene Mundpropaganda<br />

und kann diese verstärken.<br />

Hohe Relevanz von<br />

Mundpropaganda im Marketing<br />

Die Bedeutung des Word of Mouth<br />

Marketings im Zeitalter der Social-Media-<br />

Plattformen steigt kontinuierlich. Studien<br />

zeigen, dass nur noch 50 Prozent der<br />

Verbraucher der traditionellen Werbung<br />

Glauben schenken. Hingegen vertrauen<br />

über 90 Prozent den Empfehlungen von<br />

Freunden und Konsumenten.<br />

Damit nimmt die Relevanz von Mundpropaganda<br />

im Marketing zu. In den USA,<br />

in Europa wie auch in der Schweiz ist<br />

Word of Mouth mittlerweile der wichtigste<br />

Treiber für Konsumentenentscheidungen<br />

und – nach B2B-Events – der<br />

wichtigste Entscheidungstreiber im<br />

Business-to-Business-Bereich. Untersucht<br />

man die Kontaktpunkte eines Unternehmens,<br />

über die ein Kunde seine Kaufentscheidung<br />

trifft, dann zeigt sich, dass<br />

über ein Drittel der kaufrelevanten – oftmals<br />

wichtigsten – Kontaktpunkte die<br />

Bereiche Mundpropaganda, Kundenempfehlungen<br />

und nicht bezahlte PR sind<br />

(Quelle: TNS Infratest). Während Unternehmen<br />

viel Geld in Werbung und eigene<br />

Medienkanäle (zum Beispiel Website<br />

und Kundenmagazine) investieren, wissen<br />

sie nicht, was ihr Invest und Return<br />

on Investment (ROI) im Bereich Word of<br />

Mouth Marketing ist, der entscheidend<br />

zum Verkaufserfolg beiträgt.<br />

Einstiegsseminar Word of Mouth<br />

Marketing auf <strong>Lilienberg</strong><br />

Die Relevanz von Mundpropaganda für<br />

das heutige KMU-Marketing war für die<br />

Verantwortlichen des Bereichs Bildung<br />

des <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforums der<br />

Grund, die Seminarreihe «Word of Mouth<br />

Marketing für KMU» anzubieten. Sie ermöglicht<br />

KMU-Unternehmern während<br />

jeweils eines halben Tages den Einstieg<br />

in die Thematik und umfasst praktische<br />

Beispiele und Einführungsübungen zur<br />

Entwicklung eines eigenen Mundpropaganda-Marketing-Ansatzes.<br />

Das erste<br />

Seminar fand am 27. Februar statt, das<br />

zweite am 22. März .<br />

Als Referent konnte mit Mark Leinemann<br />

ein namhafter Mundpropaganda-Experte<br />

gewonnen werden, der als Mr. WoM


Die Relevanz von Mundpropaganda<br />

im Marketing nimmt stetig zu:<br />

Über 90 Prozent der Konsumenten<br />

vertrauen heute den Empfehlungen<br />

von Freunden und Bekannten.<br />

Marken und Unternehmen weitererzählbar<br />

macht und sein WoMM-Wissen als<br />

KMU-Mitunternehmer in das neue Bio-<br />

Apfel-Soda-Getränk ZAZOU miteinbringt.<br />

Er erläuterte anhand praktischer Beispiele<br />

die Mundpropaganda Erfolgsfaktoren<br />

und gab den Teilnehmern in den<br />

praktischen Übungen wertvolle Tipps,<br />

wie sie ihre Produkte und Dienstleistungen<br />

weitererzählbarer machen und die<br />

richtigen Weiterempfehler finden können.<br />

Dabei entwickelte sich – dem <strong>Lilienberg</strong><br />

Prinzip entsprechend – ein reger<br />

Dialog und Austausch unter den Teilnehmern<br />

selbst.<br />

Word of Mouth Marketing<br />

Word of Mouth (WoM) – auch als Mundpropaganda bekannt – ist die älteste<br />

Kommunikationsform der Welt. Von Word of Mouth spricht man, wenn Kunden<br />

miteinander Informationen und Erfahrungen über Unternehmen, Marken und<br />

Services austauschen. Kurz: Wenn sie markenbezogene Gespräche führen.<br />

Beim Word of Mouth Marketing (WoMM) geben Unternehmen ihren Kunden<br />

einen Grund, im positiven Sinne mehr über ihre Produkte und Services zu sprechen<br />

und machen es ihnen leichter, diese Gespräche online und im realen Leben<br />

weiterzuverbreiten.<br />

Mark Leinemann<br />

Obgleich Word of Mouth Marketing bereits seit Tausenden Jahren von den Menschen<br />

genutzt wird, ist es als Marketingform eine noch relative neue Marketingdisziplin,<br />

die erstmals in den 1960er Jahren in der Fachliteratur erwähnt wurde<br />

und als relevante Marketingform erst seit dem Internetboom und dem Aufkommen<br />

von Social Media Anfang bis Mitte der 2000er Jahre erforscht wird.


38<br />

In eigener Sache<br />

Von der Stiftung <strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum<br />

Für 500 Franken auf Augenhöhe<br />

mit Unternehmerpersönlichkeiten<br />

Werden Sie Freund des <strong>Lilienberg</strong>. Für<br />

einen Jahresbeitrag von 500 Franken erleben<br />

Sie auf <strong>Lilienberg</strong> aussergewöhnliche<br />

Persönlichkeiten und unternehmerische<br />

Auseinandersetzungen: zum<br />

Beispiel an den Foren mit dem Präsidenten<br />

des IKRK Dr. Peter Maurer am 14.<br />

Mai, mit dem Herzchirurgen Prof. Dr.<br />

Thierry Carrel am 12. Juni oder mit Bundesrat<br />

Alain Berset am 10. Oktober. Aber<br />

auch zu allen Veranstaltungen unserer<br />

sieben Aktionsfelder haben Sie als <strong>Lilienberg</strong><br />

Freund freien Zugang.<br />

Eine Mitgliedschaft in der <strong>Lilienberg</strong> Gemeinschaft<br />

ist eine lohnenswerte und<br />

nachhaltige Investition: Als Teil eines einmaligen<br />

unternehmerischen Netzwerks<br />

lernen <strong>Lilienberg</strong> Freunde hochkarätige<br />

Persönlichkeiten und Fachleute aus Wirtschaft,<br />

Wissenschaft, Politik, Gesellschaft<br />

und Armee persönlich kennen, erleben<br />

spannende Diskussionen mit ihnen –<br />

selbstverständlich immer auf Augenhöhe<br />

und mit einem direkten Bezug zum<br />

Unternehmertum. <strong>Lilienberg</strong> Freunde<br />

bringen sich und ihre Erfahrungen aber<br />

auch selber ein und wirken bei der Suche<br />

nach Antworten engagiert mit.<br />

Konkret heisst das: Als <strong>Lilienberg</strong><br />

Freund können Sie unentgeltlich zusammen<br />

mit einer Begleitperson an all unseren<br />

Diskussionsveranstaltungen teilnehmen,<br />

nämlich an den:<br />

• Foren<br />

• Besonderheiten<br />

• Kolloquien<br />

• Tagungen (ohne Begleitperson)<br />

• Ausserordentlichen Gesprächen<br />

• <strong>Lilienberg</strong> Gesprächen<br />

Nach den Gesprächsveranstaltungen<br />

können <strong>Lilienberg</strong> Freunde beim Apéro<br />

Kontakte zu den Referenten und Fachleuten<br />

knüpfen sowie Freundschaften<br />

mit anderen unternehmerisch denkenden<br />

und handelnden Personen aus den<br />

verschiedensten Gesellschaftsbereichen<br />

pflegen.<br />

Zusätzlich erhalten Sie unsere Publikationen,<br />

insbesondere die vierteljährlich<br />

erscheinende «<strong>Lilienberg</strong> Zeitschrift»<br />

(siehe Textbox rechts).<br />

Nähere Informationen zur <strong>Lilienberg</strong><br />

Mitgliedschaft Freund gibt es unter der<br />

Telefonnummer 071 663 23 23, auf unserer<br />

Internetseite www.lilienberg.ch<br />

oder per E-Mail info@lilienberg.ch.<br />

<strong>Lilienberg</strong> Publikationen<br />

Nach jedem Aktionsfeld-Zyklus<br />

sowie nach ausgewählten anderen<br />

<strong>Lilienberg</strong> Veranstaltungen<br />

fasst Christoph Vollenweider, Leiter<br />

Unternehmertum, die gewonnenen<br />

Erkenntnisse zusammen<br />

und publiziert sie in geeigneter<br />

Form als «<strong>Lilienberg</strong> Gedanken».<br />

Die neusten «Gedanken» sind im<br />

März unter dem Titel «Die Folgen<br />

der Personenfreizügigkeit: Brisant<br />

und hochaktuell – es fehlt aber die<br />

ganzheitliche Auseinandersetzung»<br />

erschienen.<br />

Alle Publikationen können von<br />

unserer Homepage unter http://<br />

lilienberg.ch/publikationen heruntergeladen<br />

werden. Gerne senden<br />

wir Ihnen auf Wunsch auch<br />

eine gedruckte Ausgabe. Bestellungen<br />

sind zu richten an stefan.<br />

bachofen@lilienberg.ch.


Nach den Gesprächsveranstaltungen haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, in der Remise untereinander und<br />

mit den Referenten (hier Benedikt Weibel, ehemaliger CEO der SBB) persönlichen Kontakt zu knüpfen.


<strong>Lilienberg</strong> Unternehmertum<br />

Industriestrasse 1<br />

CH-8340 Hinwil<br />

Telefon +41 44 938 70 00<br />

Fax +41 44 938 70 99<br />

<strong>Lilienberg</strong> Unternehmerforum<br />

Blauortstrasse 10<br />

CH-8272 Ermatingen<br />

Telefon +41 71 663 23 23<br />

Fax +41 71 663 23 24<br />

info@lilienberg.ch<br />

www.lilienberg.ch

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