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Mémoire ZANGUE - Ecole Normale Supérieure

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REPUBLIQUE DU CAMEROUN<br />

Paix –Travail- Patrie<br />

****<br />

UNIVERSITE DE YAOUNDE I<br />

****<br />

ECOLE NORMALE<br />

SUPERIEURE<br />

****<br />

DEPARTEMENT DES<br />

LANGUES ETRANGERES<br />

****<br />

ALLEMAND<br />

****<br />

REPUBLIC OF CAMEROON<br />

Peace – Work – Fatherland<br />

****<br />

UNIVERSITY OF YAOUNDE I<br />

****<br />

HIGHER TEACHERS’<br />

TRAINING COLLEGE<br />

****<br />

DEPARTMENT OF FOREIGN<br />

LANGUAGES<br />

****<br />

GERMAN<br />

****<br />

THEMA:<br />

ZUR REPRÄSENTATION DES MISCHLINGS IM RASSENKAMPF.<br />

EINE UNTERSUCHUNG ZU KLEISTS NOVELLE „DIE VERLOBUNG<br />

IN ST. DOMINGO.“<br />

ABSCHLUSSARBEIT ZUR ERLANGUNG DES DIPES II<br />

(Diplôme de Professeur d’Enseignement Secondaire, Deuxième Grade)<br />

Angefertigt von:<br />

<strong>ZANGUE</strong> Eveline<br />

Licencié es Lettres<br />

Unter der Betreuung von :<br />

Joseph GOMSU<br />

Professeur<br />

Akademisches Jahr 2011 - 2012


Meinen Pflegeeltern Boungo Djoutsop Marcellin und Kueti Gladys.<br />

Meinen Eltern Kueti Séraphin und Maassoh Marthe.<br />

i


VORWORT<br />

Am 12. Januar 2010 erlebte Haiti ein schreckliches Erdbeben, das die ganze Welt erregte.<br />

Diese Katastrophe hat meine Neugierde auf Haiti geweckt, und ich habe die Entscheidung<br />

getroffen, Informationen über diesem Land anhand der Novelle Die Verlobung in St.<br />

Domingo zu erforschen. Beim Lesen der Novelle hat eine Mischlingsfigur meine<br />

Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. In der Tat treffen sich Menschen aus<br />

unterschiedlichen Rassen, Kulturen oder Religionen durch das Phänomen der Migration und<br />

der Globalisierung. Aus diesem Zusammentreffen entstehen Mischlingskinder, die oft mit<br />

vielen Repräsentationsproblemen konfrontiert sind. In dieser Hinsicht hat Alain Patrice<br />

Nganang einen Artikel betitelt, Drei und eine Möglichkeiten den Métisse zu töten,<br />

geschrieben. Davon ausgehend, habe ich mich entschieden, mich mit dem Thema: Zur<br />

Repräsentation des Mischlings im Rassenkampf. Eine Untersuchung zu Kleists Novelle Die<br />

Verlobung in St. Domingo auseinanderzusetzen.<br />

Mit dieser Arbeit hoffe ich, einen entscheidenden Beitrag zur Erforschung über die<br />

Mischlinge zu leisten. Denn es gibt vieler Literaturüber die Weißen und die Schwarzen, aber<br />

es gibt weniger davon über die Mischlinge. Bei der Abfassung dieser Arbeit bin ich als<br />

Anfängerin in der Wissenschaftspraxis auf einige Hindernisse gestoßen. Es war beispielweise<br />

von vornherein nicht leicht, Literatur über den Mischling zu finden. Es war auch schwierig,<br />

mit der Fülle der Sekundärliteratur, die es zu einem Klassiker wie Kleist gibt, umzugehen.<br />

Die Aufstellung der Bibliographie kostete mir schlaflose Nächte. Auch die komplexe<br />

Schreibweise von Kleist verlangte mir großer Anstrengung.<br />

Viele Menschen haben mich immer unterstützt und haben auch zum Zustandekommen dieser<br />

Abschlussarbeit beigetragen. Demzufolge bin ich ihnen zum Dank verpflichtet.<br />

Für die Betreuung dieser Arbeit bin ich im großen Masse Pr. Dr. Joseph Gomsu zum Dank<br />

verpflichtet. Dank gebührt auch Pr. Dr. Alioune Sow, der den ersten Entwurf dieser Arbeit<br />

gelesen hat, und der mir zahlreiche Dokumente zur Verfügung gestellt hat. Mein Dank gilt<br />

auch Dr. Jean-Bertrand Miguoué, der im Laufe dieser Arbeit immer diskussionsbereit<br />

gewesen ist und mir Ratschläge gegeben hat.<br />

ii


Meine Eltern haben mich ständig finanziell und moralisch unterstützt, hiermit danke ich<br />

ihnen herzlich.<br />

Einige Freunde haben sich ständig die Mühe gegeben, das Manuskript zu lesen, zu kritisieren<br />

und zu korrigieren. Stellvertretend für alle nenne ich: Huguette Tchuenkam (meine<br />

verstorbene Freundin), Thierry Nguewou, Adonis Moukouri, Laurent Teinkeu. Dafür sage<br />

ich ihnen herzlichen Dank.<br />

Mein Freund Patrice Testa Dongmo hat auch aktiv zum Zustandekommen dieser Arbeit<br />

beigetragen; ich ergreife diese Gelegenheit, um ihm meinen herzlichen Dank zu sagen.<br />

Mein Dank gilt auch sämtlichen Mitgliedern meiner Familie, die auf vielfältiger Weise zu<br />

meinem physischen und psychischen Wohlergehen beigetragen haben. Allen, die zu dieser<br />

Arbeit durch ihre Ermutigung beigetragen haben, wird hier vom Herzen Dank gesagt. Die<br />

Namen derer, die genannt werden können, finden sich in dieser Liste: Ndjanjo Buhhrus,<br />

Ariane Djuitsa, Ndé Onésime, Mathias Donfouet, El- Shaddai Deva, Aboubakar Massa, Jean-<br />

Jacques Assiéné, Yannick Messakop, Charly Nkonda, Ivan Tchoffo und Ulrich Kom.<br />

Jaunde, den 23. Mai 2012.<br />

Eveline Zangué.<br />

iii


RESUME<br />

Quels sont les discours du 19e siècle que l’on retrouve dans la nouvelle « Die Verlobung in<br />

St. Domingo » de Heinrich von Kleist ? Quel est l’impact du discours ambiant sur le métisse<br />

racial ? Quelle est la stratégie développée par les personnages Toni et Babekan pour vivre en<br />

‘harmonie’ avec les autres ? Telles sont entre autre les questions auxquelles le présent travail<br />

intitulé : »Zur Repräsentation des Mischlings im Rassenkampf. Eine Untersuchung zu Kleists<br />

Novelle ‚Die Verlobung in St. Domingo’« tente de répondre.<br />

L’auteur de cette nouvelle s’inspire de l’invasion, de la domination des troupes Françaises et<br />

des soulèvements des esclaves à Saint Domingue (actuelle Haïti) sous la direction des anciens<br />

esclaves tels que Toussaint Louverture et Jean- Jacques Dessalines pour raconter à travers un<br />

narrateur averti, l‘histoire d’une métisse, Toni, fille d’une mulâtre nommée Babekan et d’un<br />

commerçant français appelé Bertrand. En effet Toni vit avec sa mère chez l’ancien esclave et<br />

actuel initiateur du massacre des blancs par les noirs en signe de vengeance. Toni, qui<br />

jusqu’ici participe aux meurtres, change d’attitude une fois qu’elle est tombée amoureuse<br />

d’un officier Suisse travaillant dans l’armée française.<br />

De ce fait le traitement du Thème de ce travail s’articule autours de deux parties ; notamment<br />

une partie théorique et l’analyse de l’œuvre proprement dite. La partie théorique s’étend sur<br />

deux chapitres. Le chapitre1 retrace le cheminement qui a conduit à la naissance de la race<br />

métisse dans les caraïbes en général et à Haïti en particulier. Le chapitre 2 quand à lui<br />

développe quelques catégories du discours postcolonial telles que : Hybridité et Mimikry chez<br />

H. Bhabha, qui permettent d’analyser le comportement des métisses dans la nouvelle. La<br />

deuxième partie concerne, comme déjà dit, l’analyse de la nouvelle proprement dite. Celle-ci<br />

s’étend aussi sur deux chapitres. Dans cette partie il est question d’étudier la technique<br />

d’écriture et de narration utilisé par Kleist d’une part, et d’analyser le comportement des<br />

personnages métisses dans l’œuvre. Il s’agit de comprendre comment le métisse se représente<br />

à lui-même et comment il est perçu par les autres personnages pendant un conflit entre blancs<br />

et noirs.<br />

De cette analyse il ressort que le métisse ici est un hybride au sens racial du terme. Il se<br />

perçoit tantôt comme blanc et s’identifie tantôt comme noir en fonction des enjeux, de ses<br />

iv


intérêts et de la situation qui se présente à lui. Pour les autres il est considéré soit comme un<br />

moyen pour atteindre un but, soit comme un intrus, un étranger ou une menace.<br />

ABSTRACT<br />

What are the speeches of the 19.th century that we find in the novel Die Verlobung in St.<br />

Domingo of Heinrich Von Kleist? What is the impact of the ambient speech on the racial halfcaste?<br />

What is the strategy developped by the figures Toni and Babekan to live in harmony<br />

with the others? Such are among others the questions that the present work entitled “ Zur<br />

Repräsentation des Mischlings im Rassenkampf. Eine Untersuchung zu Kleist Novelle,Die<br />

Verlobung in StDomingo “tries to answer.<br />

The author of this novel is inspired by the invasion, the domination of the French troops and<br />

the riot of the slaves at Saint Domingo ( present day Haiti) under the direction of former slaves<br />

such as Toussaint Louverture and Jean -Jacques Dessalines to narrate by way of a well informed<br />

narrator, the story of a half-caste named Toni, daughter of a mullato named Babekan and of a<br />

French trader named Bertrand.In fact Toni lives with her mother in the former slave’s home<br />

and present initiator of the slaughter of whites by the blacks as a sign of vengeance.Toni<br />

who till now participates in the murders, changes her attitude once she falls in love with a<br />

Swiss officer working for the French army.<br />

From this fact the treatment of the theme of this work is articulated around 2 parts; a<br />

theoritical part and the analysis of the novel itself. The theoritical part lays out in 2 chapters.<br />

The first chapter traces the way that led to the birth of the half-castes in the caribbeans in<br />

general and in Haiti in particular.The second chapter on its part developes certain categories of<br />

postcolonial speeches such as Hybridity and Mimickry in H. Bhabha,that permits the analysis<br />

of the half-castes’ behaviour in the novel. The second part concerns as said before, the analysis<br />

of the novel itself. This also lays out in 2 chapters. This part is concerned with the study of the<br />

writing and narration techniques used by Kleist on one side, and the analysis of the half-castes'<br />

behaviour in the novel on the other. It consists in understanding how the half-caste represents<br />

himself and how he is perceived by the other caracters during a conflict between whites and<br />

blacks.<br />

From this analysis it comes out that the half-cast here is a hybrid in the racial sense of the<br />

term. He perceives himself sometimes as a white and identifies himself sometimes as a black<br />

with respect to what is at stake, his interest and the situation that presents itself to him. For the<br />

others he is considered either as a means to achieve a goal, either as an intruder, a stranger or<br />

a threat.<br />

v


INHALTVERZEICHNIS<br />

Widmung ..................................................................................................................................... i<br />

Vorwort ........................................................................................................................................ ii<br />

Résumé ......................................................................................................................................... iv<br />

Abstract ........................................................................................................................................ v<br />

Inhaltverzeichnis .......................................................................................................................... vi<br />

EINLEITUNG ................................................................................................................................. 1<br />

Thema der Arbeit ......................................................................................................................... 1<br />

Fragestellung ................................................................................................................................ 5<br />

Zu den Forschungshypothesen .................................................................................................... 6<br />

Zum Ziel der Arbeit ...................................................................................................................... 7<br />

Zum methodologischen Vorgehen ............................................................................................... 7<br />

Stand der Forschung ..................................................................................................................... 8<br />

Struktur der Arbeit ....................................................................................................................... 9<br />

THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN ÜBER DIE<br />

MISCHLINGSTHEMATIK ................................................................................ 11<br />

KAPITEL I: ZUR ENTSTEHUNG DES BIOLOGISCHEN MISCHLINGS.............. 12<br />

1.1 Bestimmung des Begriffs Mischling ...................................................................................... 12<br />

1.2 Überblick über das Zusammentreffen weißer und schwarzer Rassen ................................. 13<br />

1.2.1 Zu den Entdeckungsreisen ............................................................................................... 13<br />

1.3 Sklavereidiskurs ..................................................................................................................... 14<br />

1.3.1 Diskurstheorie .................................................................................................................. 14<br />

1.3.1.1 Zum Begriff Diskurs ........................................................................................................ 14<br />

vi


1.3.1.2. Diskurs bei Foucault ....................................................................................................... 15<br />

1.3.1.3. Diskurs und Macht ........................................................................................................ 16<br />

1.3.1.4. Wissen und Macht.......... ……………………………………………. .......................... 17<br />

1.3.2. Sklavereidiskurs ................................................................................................................ 18<br />

1.3.2.1. Begriff Sklaverei ............................................................................................................ 18<br />

1.3.2.2. Zur Sklaverei als Praxis in der Karibik ........................................................................... 19<br />

1.4. Sklaverei als Diskurs ............................................................................................................. 20<br />

1.4.1. Überlegenheits-vs. Minderwertigkeitskomplex ................................................................ 20<br />

1.4.1.1. Auswirkung der Komplexe in der Gesellschaft .............................................................. 22<br />

1.4.1.2. Der Mischling im Sklavereidiskurs ................................................................................. 23<br />

KAPITEL II: DER MISCHLING IM KOLONIALEN DISKURS ................................. 24<br />

2.1. Zum Begriff Kolonialismus .................................................................................................. 24<br />

2.1.1. Begriffsbestimmung ......................................................................................................... 24<br />

2.1.2. Kolonialismus als Weltanschauung ................................................................................ 25<br />

2.1.3. Sklaverei und Kolonialismus: Ähnlichkeiten .................................................................... 27<br />

2.2. Zum Kolonialen Diskurs ...................................................................................................... 27<br />

2.3. Zur Ambivalenz des kolonialen Diskurses ........................................................................... 29<br />

2.3.1. Zum postkolonialen Diskurs............................................................................................. 29<br />

2.3.2. Begriff Hybridität ............................................................................................................. 30<br />

2.3.3.Hybridität als Rassismus ..................................................................................................... 30<br />

2.3.4.Die koloniale Mimikry ......................................................................................................... 32<br />

2.3.4.1.Zum Begriff Mimikry ....................................................................................................... 32<br />

2.4. Die ambivalente Stellung des Mischlings im kolonialen Diskurs .................................... 34<br />

WERKANALYSE .................................................................................................... 36<br />

KAPITEL III: ZWISCHEN SCHWARZ UND WEISS IN „DIE VERLOBUNG<br />

IN ST. DOMINGO“ ..................................................................................................................... 37<br />

vii


3.1. Historischer Kontext ........................................................................................................... 37<br />

3.2. Inhaltsangabe der Novelle ..................................................................................................... 39<br />

3.3.Personencharakterisierung ..................................................................................................... 40<br />

3.3.1. Die Hauptfiguren ................................................................................................................ 40<br />

3.3.1.1. Congo Hoango ................................................................................................................ 40<br />

3.3.1.2. Babekan .......................................................................................................................... 41<br />

3.3.1.3. Toni ............................................................................................................................... 42<br />

3.3.1.4. Gustav von der Ried ..................................................................................................... 42<br />

3.3.2. Nebenfiguren ...................................................................................................................... 43<br />

3.3.3. Aktantenschema (Figurenkonstellation) ............................................................................ 44<br />

3.4. Der Raum der Erzählung ....................................................................................................... 45<br />

3.5. Die Erzählsituation ................................................................................................................ 46<br />

KAPITEL IV: IDENTITÄTSWECHSEL DER MISCHLINGSFIGUREN :<br />

BABEKAN UND TONI. ....................................................................................................... 48<br />

4.1. Babekans Identitätswechsel .................................................................................................. 48<br />

4.1.1. Babekans Maskerade in Anwesenheit der Weißen ............................................................ 48<br />

4.1.1.2. Erfolge von Babekan im Täuschungspiel ........................................................................ 51<br />

4.2. Identitätswechsel bei Toni ..................................................................................................... 53<br />

4.2.1. Tonis Stellung vor der Nacht mit dem Schweizer Offizier Gustav von der Ried ............. 53<br />

4.2.2.Tonis Identität während der Nacht mit Gustav von der Ried .............................................. 54<br />

4.2.3. Tonis Stellung nach der Liebesnacht ................................................................................. 55<br />

4.2.3.1. Tonis Stellung nach der Rückkehr Congo Hoangos. ..................................................... 56<br />

4.2.3.2. Wahrnehmung Tonis nach dem Tode ............................................................................ 57<br />

SCHLUSSBETRACHTUNGEN ................................................................................................ 59<br />

LITERATURVERZEICHNIS ..................................................................................................... 61<br />

viii


EINLEITUNG<br />

NG<br />

„Wie kann die menschliche Welt ihre<br />

Differenz leben; wie kann der Mensch<br />

Anders-artig leben?“<br />

Homi K. Bhabha.<br />

Thema<br />

In Kleists Novelle betitelt Die Verlobung in St. Domingo, die im Jahre 1811 erschienen<br />

ist, steht im Mittelpunkt der Handlung eine Mestizin namens Toni. Die ganze Geschichte<br />

dreht sich um die Mischling-Figur. In einem Kontext, wo die Weißen und die Schwarzen<br />

gegeneinander kämpfen, ist sie von den anderen Novelle-Figuren entweder idealisiert und als<br />

Hilfsmittel betrachtet, oder dämonisiert und als Verräter angesehen.<br />

In dieser Novelle scheint Tonis Stellung in einem Rassenkonflikt problematisch zu<br />

sein. Denn am Anfang der Geschichte einigt sie sich mit Congo Hoango und ihrer Mutter,<br />

um die Weißen zum Tod zu führen. Als sie sich in einen Weißen verliebt, ändert sie ihre<br />

Haltung und betrachtet sich als<br />

Weiße. Sie sagt ihrer Mutter folgendes: „Die<br />

Unmenschlichkeiten, an denen ihr mich Teil zu nehmen zwingt, empörten längst mein<br />

innerstes Gefühl“. 1 Ferner fügt sie hinzu:<br />

Ich habe euch nicht verraten. Ich bin eine Weiße, und dem Jüngling,<br />

den ihr gefangen haltet, verlobt; ich gehöre zu dem Geschlecht derer,<br />

mit denen ihr im offenen Kriege liegt, und werde vor Gott, dass ich<br />

mich auf ihre Seite stellte, zu verantworten wissen 2 .<br />

Von dieser Aussage und dem Verhalten Tonis vor und nach ihrer Bekanntschaft mit Gustav<br />

von der Ried ausgehend, habe ich das Thema: Zur Repräsentation des Mischlings im<br />

Rassenkampf. Eine Untersuchung zu Heinrich von Kleists „Die Verlobung in St. Domingo“<br />

formuliert.<br />

1 Heinrich von. Kleist, Die Verlobung in St. Domingo in Helmut Sembdner( Hg.),1966, Heinrich von Kleist<br />

Werke in einem Band, München,S.712.<br />

2 Ebd. S.722.<br />

1


Der Begriff Repräsentation wird in dem alltäglichen Sprachgebrauch im Sinne von<br />

„an Stelle von“ oder auch „stellvertretend“ gebraucht, aber hier<br />

soll eine erweiterte<br />

Perspektive eingeführt werden. Unter diesem Gesichtspunkt wird deutlich, dass es sich bei<br />

dem Vorgang der Repräsentation um eine soziale Praxis handelt. Dieses Konzept wird von<br />

Stuart Hall folgenderweise bestimmt:<br />

Representation is the production of meaning of the concepts in our<br />

minds through language. It is the link between concepts and language<br />

which enables us to refer to either the "real" world of objects, people<br />

or events, or indeed to imaginary worlds of fictional objects, people<br />

and events. 3<br />

Anders formuliert, die Repräsentation ist das Hervorbringen von bedeutsamen Vorstellungen<br />

in unserem Geist mittels der Sprache. Sie stellt also die Verbindung zwischen Vorstellungen<br />

und Sprache dar, die dem Menschen eine Bezugnahme entweder zu der 'realen' Welt der<br />

Objekte, der Menschen oder der Ereignisse einerseits ermöglicht, oder andererseits zu den<br />

imaginierten Welten der fiktiven Objekte, Menschen und Ereignisse. Es gibt, Stuart Hall<br />

zufolge drei Grundtheorien zur Repräsentation und zwar: eine abbildende, eine intentionale<br />

und eine konstruktivistische Theorie.<br />

In der abbildenden (mimetischen) Theorie liegt die Bedeutung im Objekt selbst.<br />

Sprache dient als eine Art Spiegel, indem sie die materielle Welt abbildet. Es gibt eine direkte<br />

Beziehung zwischen den Zeichen und den Dingen. Diese wird durch sprachliche<br />

Nachahmung vollzogen. Dieser Theorie wurde die Tatsache vorgeworfen, dass das Objekt als<br />

Zeichen nicht mit dem tatsächlichen Objekt verglichen werden kann 4 . Dieser Ansatz wurde<br />

von Anselm Kiefer und Markus Lüpertz unterstützt 5 .<br />

Der intentionale (subjektivistische) Ansatz stellt einen Gegensatz zur reflektierenden<br />

Theorie dar. Repräsentation wird hier auf die Intention seines Autors reduziert. Die<br />

individuelle Verwendung von Sprache stellt die Bedeutung her. Es wurde hier die Tatsache<br />

kritisiert, dass die Sprache ein soziales System ist und auf gemeinsamen Konventionen und<br />

3 Stuart Hall, Representation. Cultural Representations and Signifying Practices. London: The Open University.<br />

Zit. Nach Hartmann, Johanna; Kaluza, Marina; Rakic, Goran (16.5.2008): Repräsentation. In:<br />

MedienKulturWiki. Verfügbar über:<br />

http://www.leuphana.de/medienkulturwiki/medienkulturwiki2/index.php?oldid=577 [Datum des Zugriffs: 29 10<br />

2011].<br />

4 Ebd. , S.24.<br />

5 Dieter Ronte, Markus Luepertz. Dadalys oder vom Labyrinth der Malerei, in http//: www.Text-Ronte<br />

mimetische. Pdf. Gelesen am 12-05-2012.<br />

2


Codes beruht. Demnach können die subjektiven Gedanken nicht alleinige Quelle der<br />

Bedeutung von Sprache sein 6 . Als Vertreter hier können Franz Brentano und John Searle<br />

gezählt werden.<br />

Der konstruktivistische (soziologische) Ansatz, unterstützt von Emile Durkheim,<br />

widerspricht der abbildenden und intentionalen Theorie. Hier wird Bedeutung durch die<br />

Verwendung repräsentativer Systeme (Konzepte und Zeichen) konstruiert. Ein Objekt<br />

symbolisiert beziehungsweise repräsentiert ein Konzept. Dieses Konzept operiert innerhalb<br />

der Sprache als Zeichen und hat somit eine symbolische Funktion inne. Die Beziehung der<br />

materiellen, konzeptuellen und bezeichnenden Welt wird durch die kulturellen und<br />

linguistischen Codes beherrscht. Diese gegenseitige komplexe Beziehung produziert die<br />

Bedeutung 7 . Diese konstruktivistische Theorie geht mit der psychologischen Auffassung<br />

einher, denn hier wird Repräsentation als Konstrukt der Psychologie, mit deren Hilfe<br />

Wissenschaftler verschiedener Disziplinen versuchen, psychische Prozesse zu beschreiben<br />

und messbar zu machen (zu operationalisieren) 8 . In diesem Zusammenhang definiert Serge<br />

Moscovici (1986) den Begriff<br />

Repräsentation wie folgt : « les représentations sont des<br />

formes de savoir naïf, destinées à organiser les conduites et orienter les communications » 9 .<br />

Die vorliegende Arbeit benutzt den Begriff im Sinne von der konstruktivistischen Theorie, die<br />

gleichzeitig die Selbst- und die Fremdrepräsentation behandelt. Neben der<br />

Repräsentationstheorie spielt die Rasse eine wesentliche Rolle in der vorliegenden Arbeit.<br />

Der Begriff "Rasse" wie er im zwanzigsten Jahrhundert auftaucht, wird in verschiedenen<br />

Bedeutungen gebraucht. Es gibt beispielsweise eine soziologische und eine biologische<br />

Bedeutung. Soziologisch gesehen, bedeutet der Ausdruck ‚Rasse‘ „eine Gruppe von<br />

Menschen, denen man einen gemeinsamen Ursprung und infolgedessen gemeinsame Züge-<br />

geistige wie körperliche- zuschreibt“ 10 .Diese Betrachtung des Rassebegriffs, die sich von dem<br />

biologischen Begriff unterscheidet, entsteht leicht aus Konflikten jeder Art, aus Rivalitäten,<br />

Kriegen und sogar Revolutionen.<br />

Biologisch gesehen, die Rasse ist „einfach eine sich selbst reproduzierende<br />

Population, die die Gene anderer Populationen gar nicht oder nur in geringfügigem Masse<br />

6 Ebd,S.25<br />

7 Ebd. S.25f.<br />

8 „http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Repr%C3%A4sentation_(Psychologie)&oldid=90725100“<br />

9 Serge Moscovici, 1986, L’ère des Représentations sociales, in W. Doise et A. Palmonari (Dir): L’étude des<br />

représentations sociales, Delachaux Niestlé, p. 34-80.<br />

10 Léon Poliakov, Christian Delacampagne und Patrick Girard, 1984, über den Rassismus; sechzehn Kapitel<br />

zur Anatomie, Geschichte und Deutung des Rassenwahns, Frankfurt am Main, Ullstein Taschenbuch, S.12.<br />

3


aufnimmt“. 11 Das bedeutet, die Rasse ist ein Klassifikationskriterium unter den Menschen.<br />

Hier zum Beispiel ist das Klassifikationsmerkmal, laut dem deutschen Naturforscher<br />

Blumenbach, die Hautfarbe. Er unterscheidet also drei Rassen ( die weiße, die gelbe und die<br />

schwarze Rasse).<br />

Der Begriff Rasse wurde historisch belastet. Er hat sich seit dem Zeitalter der Sklaverei<br />

und der Kolonisierung durchgesetzt. So veröffentlichte der Franzose Joseph Arthur Gobineau<br />

im Jahre 1855 das Buch „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“. Bei Gobineau<br />

handelt es sich nicht mehr nur um die Rasse als Hautfarbe, sondern auch als eine kulturelle<br />

Konstruktion. Das heißt, die entscheidenden Kriterien einer Rassebestimmung sind die<br />

Religion, die Sprache, das Entwicklungsniveau. Dieses Buch systematisiert gleichzeitig die<br />

Rassengedanken, und überträgt den Rassenbegriff auf den Menschen. Dadurch versucht er<br />

die Menschen je nach Hautfarbe und der Rasse zu klassifizieren. Das heißt, unter den Weißen<br />

zum Beispiel, gibt es noch eine Hierarchie und Gobineau versuchte also, die Überlegenheit<br />

einer "arischen Rasse" zu begründen; diesbezüglich forderte er die Reinheit dieser Rasse und<br />

irgend eine Mischung wäre ihm zufolge, ein Zeichen der Schande und der Degeneration 12 :<br />

„Die Nationen sterben, wenn sie aus ’degenerierten‘ Bestandtheilen zusammengesetzt sind“ 13 .<br />

Daneben kommt die These der Soziodarwinisten mit Charles Darwin(1809- 1889) als<br />

Wegbereiter. Der Begriff Rassenkampf wurde in der darwinistischen Soziologie des 19.<br />

Jahrhunderts - am Meisten bei Ludwig Gumplowicz 14 - benutzt, um die Konflikte zwischen<br />

gesellschaftlichen Gruppen in der Geschichte als soziale Prozesse zu erklären. Zwar gilt der<br />

Sozialdarwinismus seit den 1920er Jahren als überholt, aber er beeinflusst bis dahin die<br />

sozialpolitischen Diskussionen in erheblichem Maße, indem er Rassismus und Kolonialismus<br />

wissenschaftlich zu legitimieren versuchte. Er diente darüber hinaus als ideologische Basis<br />

der Eugenik 15 . Die sozialdarwinistische Rassenkampf-Ideologie kann im Sinne eines<br />

Extremismus der Mitte als reaktionäres bürgerliches Gegenkonzept zur sozialistischen<br />

11 Ebd. S.13.<br />

12 Unter dem Begriff Degeneration versteht Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache den<br />

Verlust von (positiven) Eigenschaften oder Merkmalen (meist im Laufe von mehreren Generationen, z. B.<br />

infolge von Inzucht).<br />

13 Joseph Arthur Graf Gobineau, 1901,Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen, in: Detlev Claussen,<br />

1994, Was heißt Rassismus? Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.<br />

14 Ludwig Gumplovicz, 2007, Der Rassenkampf. Innsbruck 1883. (Reprint: VDM Verlag Dr. Müller,<br />

Saarbrücken, ISBN 978-3-8364-3739-4).<br />

15 Eu|ge|nik〈f. 20; unz.〉 praktische Anwendung der Erkenntnisse der Humangenetik, z. B. bei der Erhaltung<br />

erwünschter Erbanlagen; Sy Eugenetik [zu grch. eugenes „wohlgeboren“


Bewegung des 19. Jahrhunderts aufgefasst werden 16 . Nach dem Soziodarwinismus gilt der<br />

Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain als einer der einflussreichsten Vordenker der<br />

Rassenideologie und der Wegbereiter des Antisemitismus im Kaiserreich und nach der<br />

Weimarer Zeit. Die Weltgeschichte ist für ihn ein Kampf der Rassen um die Vorherrschaft<br />

und dabei bildeten die Arier die Herrenrasse. In seinem Hauptwerk: „Die Grundlagen des<br />

neunzehnten Jahrhunderts“ (1899) fordert Chamberlain die Bekämpfung alles Jüdischen in<br />

Gesellschaft, Politik, und Kultur und verlangt eine planmäßige Rassezucht 17 . In der Ideologie<br />

der Nationalsozialisten hat das Konzept Rasse schließlich eine zentrale Rolle eingenommen.<br />

Dabei endete der von den Nationalsozialisten propagierte "Rassenkampf", in dem die "Arier"<br />

die "Herrenrasse" bildeten, in der systematischen und monströsen Vernichtung "unwerten<br />

Lebens". Der Rassenkampf in der vorliegenden Arbeit wird im Sinne von den<br />

unterschiedlichen Hautfarben besonders zwischen der weißen und der schwarzen Farbe<br />

gebraucht.<br />

In Kleist Novelle „Die Verlobung in St. Domingo“ handelt es sich wie schon gesagt, um<br />

eine Rassenfrage: die Schwarzen ermordeten in einem Kontext der Aufstände die Weißen.<br />

Aber die Besonderheit liegt hier darin, dass die Schwarzen in dieser Zeit (Anfang des 19.<br />

Jahrhunderts in Port- au- Prince)als die Mächtigsten zu betrachten sind. Die Schwarzen<br />

kämpfen für eine politische Autonomie. Das Gegenteil geschah im 20. Jahrhundert mit Hitlers<br />

Antisemitismus. Im Zeitalter des Antisemitismus vernichtete Hitler alle Semiten aufgrund<br />

ihrer Religion und ihr Aussehen, obwohl diese auch weiß waren.<br />

Fragestellung<br />

Die Geschichte dieser Novelle spielt sich auf dem „französischen Teil der Insel St.<br />

Domingo“ ab 18 . Die Insel wurde am 5. Dezember 1492 von Christopher Kolumbus entdeckt.<br />

Die Insel hieß damals „Quisqueya“ (Mutter von allem Land) bei den Ureinwohnen. Der<br />

Name wurde am 9. Dezember in "La Española" geändert. Im Jahre 1496 wurde die Hauptstadt<br />

Santo Domingo gegründet. Zwar bewunderten die Spanier immer freundliche Menschen,<br />

aber da sie Arbeiter für die Goldminen und die Zuckerrohrfelder benötigten, wurden die<br />

Einwohner von St. Domingo versklavt. Die Anzahl dieser Sklaven, die von 500.000 im Jahre<br />

16 http://uebersetzung.babylon.com/deutsch/Rassenkampf/#Gelesen am 12- 06-2011.<br />

17 "Chamberlain, Houston Stewart."Microsoft® Encarta® 2009 [DVD]. Microsoft Corporation, 2008.<br />

Microsoft ® Encarta ® 2009. © 1993-2008 Microsoft Corporation. Tous droits réservés.<br />

18 Tatsaechlich war St. Domingue der Name des westlichen Teils der Insel Hispaniola oder Haiti, den Spanien<br />

1697an Frankreich abgetreten hatte. St. Domingue entwickelte sich im 18. Jahrhundert zur reichsten Kolonie<br />

Frankreichs.<br />

5


1492 wurde, reduzierte sich wegen der Vernichtung auf 500 im Jahre 1533. Sie wurden später<br />

durch tausende von Sklaven aus Afrika ersetzt. Am 1. Januar 1804 wurde im Westteil der<br />

Insel die Republik Haiti gegründet. Die Insel wurde von verschiedenen Staaten regiert:<br />

Spanien, Frankreich, Holland usw. Im Jahre 1822 gründeten Juan Pablo Duarte, Francisco del<br />

Rosario Sanchez und Ramon Matias Mella die Dominikanische Republik 19 .<br />

Das Problem der Repräsentation das heißt, der Selbst- sowie der Fremdrepräsentation<br />

des Mischlings im Rassenkampf ruft einige Fragen hervor, die die Problematik dieser Arbeit<br />

bilden werden: Welche Diskurse des 19. Jahrhunderts über den Mischling sind in der Novelle<br />

zu finden? Welchen Einfluss hat den Diskurs über die Mischlinge ausgeübt? Welche Strategie<br />

haben die Mischlinge Toni und auch Babekan entwickelt, um in Harmonie mit den Anderen<br />

zu leben? Aus welchen Gründen schrieb Kleist über Haiti?<br />

Zu den Forschungshypothesen<br />

Auf die in der Problematik gestellten Fragen können wir die folgenden Hypothesen als<br />

provisorische Antworten formulieren:<br />

Der Haupthandlungsort der Novelle ist St. Domingo, die Hauptstadt der Dominikanischen<br />

Republik. Im19. Jahrhundert gab es in St. Domingo die Spuren der Sklaverei und ihre<br />

Folgen, also die Präsenz von drei Rassen: die Schwarzen, die Weißen und die Mischlinge.<br />

Dazu herrschten dort die Truppen von Napoleon Bonaparte; von diesem Hintergrund<br />

ausgehend, kann gesagt werden, in der Novelle Die Verlobung in St. Domingo befinden sich<br />

der Kolonial-, der Rassismus- und der Befreiungsdiskurs. Die Diskurse über die Mischlinge<br />

haben die Mestize Toni zum Tode geführt. Das bedeutet die Art und Weise, wie Toni von den<br />

anderen Figuren wahrgenommen wurde, hat dazu geführt, dass sie am Ende erschossen<br />

wurde. Denn Toni ist weder schwarz noch weiß und wird demzufolge als Gefahr und als<br />

fremd gegenüber der anderen Rassen angesehen und schließlich von Gustav erschossen 20 . In<br />

einer Gesellschaft, wo die Schwarzen und die Weißen gegeneinander kämpfen, sind die<br />

Mischlinge gezwungen die Strategie der Mimikry 21 zu benutzen, um überleben zu können.<br />

Das bedeutet, sie benehmen sich wie Chamäleons: wenn sie in Anwesenheit der Weißen sind,<br />

erklären sie sich für Weiße und wenn sie sich mit den Schwarzen befinden, benehmen sie<br />

19 http://www.schoepfer.ch/olas/wissenswertes.html. gelesen am 13-01-2011.<br />

20 Ebd. S.195.<br />

21 Homi K. Bhabha, 2000,die Verortung der Kultur, Tubingen , Stauffenburg Verlag, S.125.<br />

6


sich wie Schwarze. Der Mischling gibt sich die Identität, die ihm verhilft, Probleme zu<br />

bewältigen.<br />

Zum Ziel der Arbeit<br />

Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, zu zeigen, wie es sowohl für einen Mischling als<br />

auch für die anderen Protagonisten schwierig ist, die Position der Mischlinge im Rassenkampf<br />

deutlich wahrzunehmen. Darüber hinaus möchte ich beweisen, obwohl Kleists Novelle im<br />

19. Jahrhundert veröffentlicht wurde, erhebt dieses Buch Probleme, die noch aktuell sind.<br />

Denn zwar strebt die „internationale Gemeinschaft“ 22 nach einer „Vernetzung“ aller Länder<br />

der Welt, die die „Globalisierung“ 23 bzw. die Homogenisierung der Welt ist, aber es herrscht<br />

noch Ungleichheiten und Konflikte überall in der Welt. Anders gesagt, die Globalisierung<br />

bringt Mobilität mit sich; diese Mobilität erleichtert die Annäherung von unterschiedlichen<br />

Rassen und der Kontakt unterschiedlicher Rassen erfolgt nicht immer friedlich. Es besteht<br />

immer eine Kluft zwischen dem ‚Fremden‘ und dem ‚Eigenen‘.<br />

Zum methodologischen Vorgehen<br />

In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, wie es problematisch für einen Mischling ist,<br />

seine Identität im Rassenkampf zu bestimmen und es wird auch versucht zu begründen, in<br />

wieweit die Novelle von Kleist aktualisiert werden kann. Um solch eine Arbeit<br />

durchzuführen, werden die Kategorien der „produktionsästhetischen Analyse“ benutzt 24 .<br />

Schutte versteht den Text bzw. das Werk als Botschaft des Autors und Zeugnis seiner<br />

Entstehungszeit. Also formuliert er in Anlehnung an Jean Paul Sartre in ganz konkreter<br />

Hinsicht die grundlegenden Fragestellungen einer produktionsästhetischen Analyse und zwar<br />

die Fragen nach der Textbedeutung: Was sagt der Autor? Von welchen Sachverhalten ist die<br />

Rede? Hier geht es eigentlich um den Entstehungszusammenhang der Novelle, welcher<br />

Ausschnitt der Wirklichkeit(Ereignis; Problem usw.) ist von Heinrich von Kleist ergriffen und<br />

verarbeitet worden? Die zweite Fragereihe lautet: Aus welcher Perspektive und in welcher<br />

spezifischen Form wurde die Novelle geschrieben? Der Gebrauch der<br />

produktionsästhetischen Analyse wird dazu verhelfen, genau zu erfassen und zu verstehen,<br />

warum Kleist die haitianische Revolution als Stoff seiner Novelle übernommen hat. Durch<br />

22 Die internationale Gemeinschaft ist von fünf Mächte der Welt regiert: Vereinigten Staaten, Frankreich,<br />

Deutschland, England und Japan.<br />

23 Globalisierung wird von David Simo definiert als eine Zeit-Raum-Raffung, die durch elektronische<br />

Kommunikations- und durch Transporttechnologien ermöglicht wird, a.a.O. S.15.<br />

24 Jürgen Schutte, 1985, Einführung in die Literaturinterpretation, Stuttgart, Metzler Verlag, S.44-93.<br />

7


diese Methode werden einige wichtige Informationen über den historischen Hintergrund der<br />

Novelle gesammelt.<br />

Neben der produktionsästhetischen Analyse werde ich die Diskursanalyse im Sinne von<br />

Michel Foucault gebrauchen. Die Diskursanalyse wird dazu verhelfen, genau zu untersuchen,<br />

was die Mischlinge über sich selbst sagen und was über die Mischlinge von den anderen<br />

Novelle-Figuren gesagt wurde und die daraus resultierenden Folgen. Darüber hinaus werde<br />

ich den postkolonialen Ansatz und besonders die Kategorie Mimikry von H.<br />

Bhabha 25 verwenden. Dieses Verfahren wird mir dazu verhelfen, eine tiefgründige Analyse zu<br />

unternehmen.<br />

Stand der Forschung<br />

Die Novelle Die Verlobung in St Domingo ist schon von vielen Wissenschaftlern<br />

untersucht worden. Peter Horn 1975 in seinem Artikel betitelt „Hatte Kleist<br />

Rassenvorurteile? 26 hat eine kritische Auseinandersetzung mit der Literatur zur Novelle<br />

geschrieben. Diese Frage hat er verneint und gezeigt, dass die Behandlung der Rassenfrage<br />

und der Sklaverei wesentlich differenzierter erfolgt als in der älteren Forschung.<br />

In seinem Buch betitelt:“ Das Moralische in Kleists Erzählungen. Ein Kapitel vom<br />

Dichter ohne Gesellschaft 27 “ betrachtet Karl Otto Conrady die Novelle Kleists als eine<br />

Gesellschaftskritik. Eine solche Gesellschaftskritik richtet sich beispielsweise gegen das<br />

Verhalten der Bevölkerung von St. Domingo. Über solch eine Gesellschaftskritik sind sich<br />

allerdings die Kritiker keineswegs einig. In dieser Hinsicht behauptet Johannes Klein, dass die<br />

Novelle ein Erwachen der Rassenfrage beschreiben könne, und führt danach hinzu, dass sie<br />

„in ihrer rein menschlichen Haltung alle derartigen Umwertungen im Voraus verurteilt hat“. 28<br />

Herbert Uerlings ist in seinem Artikel „Preußen in Haiti?: Zur interkulturellen Begegnung in<br />

Kleists „Verlobung in St. Domingo“ 29 der Meinung, dass Kleist in seiner Novelle jedenfalls<br />

die hermeneutische Spannung zwischen eigener und fremder Kultur, das Wechselverhältnis<br />

von Identität und Differenz sowie von Bekanntschaft und Fremdheit nicht zu einer<br />

Problematisierung und Relativierung eurozentrischer Denkmuster benutzt hat. In seinem<br />

25 Ebd.S.125.<br />

26 Peter Horn, 1975, Hatte Kleist Rassenvorurteile. In Montagshefte 67, –H2, S.117-128.<br />

27 Karl Otto Conrady, 1963, Das Moralische in Kleists Erzählungen . Ein Kapitel vom Dichter ohne<br />

Gesellschaft, Bonn, S.56-82.<br />

Ebd.<br />

29 Herbert Uerlings, 1991, Preußen in Haiti?, Zur interkulturellen Begegnung in Kleists „Verlobung in St.<br />

Domingo“ in: Kleist- Jahrbuch , J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung , Stuttgart.<br />

8


Beitrag: „Zur Ambivalenz kolonialer Mimikry in Kleists Verlobung in St. Domingo“ 30 bedient<br />

sich Elke Heckner des Verfahrens der Mimikry, das „mit einer vorgetäuschten Identität für<br />

sicher gehaltene Machtverhältnisse untergraben wird und das den Protagonisten der Novelle<br />

sowohl als subversive Strategie gegen die französische Kolonialordnung dient als auch zu<br />

deren Verteidigung eingesetzt wird“ 31 , um zu untersuchen, wie Mimikry in der Novelle in<br />

Erscheinung tritt und welche Rolle dabei Babekans kunstvolles Täuschungsmanöver spielt.<br />

In dem akademischen Jahr 2000-2001 hat Marie Biloa Onana in ihrer Abschlussarbeit<br />

an der Universität Yaoundé I das folgende Thema behandelt: Die Haitianische Revolution in<br />

den Werken von H.V. Kleist; A. Seghers, H. C. Buch, A. Carpentier und Aimé Césaire 32 .<br />

Dabei hob sie die Problematik des Verhältnisses von Geschichtsschreibung und Literatur<br />

bzw. der Bedingungen und Möglichkeiten eines historischen Ereignisses in literarischen<br />

Werken hervor. Damit zielte sie darauf ab, die mehrperspektivische Darstellung der<br />

haitianischen Revolution unter besonderer Berücksichtigung des Schreibprozesses in den<br />

Werken von H.V. Kleist, A. Seghers, H.C. Buch, A. Carpentier und Aimé Césaire zu<br />

untersuchen. Um dieses Ziel erreichen zu können, gebrauchte sie Bourdieus Kategorie des<br />

literarischen Feldes, Sartre Unterscheidung von virtuellem und konkretem Publikum,<br />

Foucaults Kategorie von Diskurs und Kristevas Kategorie von Intertextualität.<br />

Im Gegensatz zu diesen oben aufgelisteten Arbeiten, befasse ich mich mit der Novelle<br />

aus der Perspektive der Repräsentation des Mischlings im Rassenkampf. Damit möchte ich<br />

zeigen, dass es für die anderen und für einen Mischling nicht einfach ist, seine Identität im<br />

Rassenkonflikt zu bestimmen. Darüber hinaus möchte ist auch beweisen, dass Identität nicht<br />

ein für alle Mal gegeben ist, denn die Bestimmung einer Identität hängt von Umständen ab.<br />

Struktur der Arbeit<br />

Die vorliegende Arbeit wird aus zwei Teilen bestehen: einem theoretischen und einem<br />

textanalytischen Teil. In dem ersten Teil wird in zwei Kapiteln versucht, die Grundtheorien<br />

der Arbeit zu klären. Nämlich den Sklavereidiskurs und den Kolonialdiskurs. Dieser Teil<br />

bildet den theoretischen Rahmen dieser Arbeit, in dem werden theoretische Schriften gelesen<br />

und Kategorien gewonnen werden. Ziel dieses Teils ist es, die Grundkonzepte zu klären, ohne<br />

welche diese Arbeit nicht durchzuführen ist.<br />

30 Elke Heckner,2001, Zur Ambivalenz kolonialer Mimikry in Kleists „Die Verlobung in St. Domingo“,in:<br />

Kleist- Jahrbuch , J.B. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar, S.226.<br />

31 Ebd.<br />

32 Marie BiloaOnana,2000/2001, Die Haitianische Revolution in den Werken von H.von Kleist; A. Segehrs; H.<br />

C. Buch; A. Carpentier und A. Césaire. Universität yaoundé1.<br />

9


Der zweite Teil, der eine Analyse des Textes ist, wird auch aus zwei Kapiteln bestehen.<br />

Im dritten Kapitel werden Erzählperspektive und die Figurenkonstellation der Erzählung<br />

tiefgründig analysiert. Dies wird dazu verhelfen, nachzuprüfen, ob der Erzähler neutral oder<br />

parteiisch in dem Rassenkampf ist. Darüber hinaus werden auch die Besonderheiten jeder<br />

Figur herausgearbeitet.<br />

In dem letzten Kapitel wird versucht zu zeigen, dass das heutige Verhalten von Babekan<br />

gegenüber den Weißen sei nur das Resultat von ihrer früher gemachten Erfahrung mit einem<br />

Franzosen, und zwar Tonis Vater. Was Toni betrifft, wird zu beweisen versucht, dass sie sich<br />

am Anfang der Novelle als Mulattin betrachtete, weil sie in einer gemischten Familie (eine<br />

Mestize als Mutter und ein Neger als Stiefvater) lebte. Plötzlich erklärt sie sich selber als eine<br />

Weiße, denn sie hat sich in einen weißen Mann verliebt. Kurzum wird gezeigt, wie die<br />

Mischlinge sich Identität geben, die ihnen vorteilhaft sind.<br />

10


THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN<br />

DIE MISCHLINGSTHEMATIK<br />

ÜBER<br />

11


KAPITEL I<br />

ZUR ENTSTEHUNG DES BIOLOGISCHEN MISCHLINGS<br />

«L’homme est mouvement vers le monde et vers son semblable.<br />

Mouvement d’agressivité, qui engendre l’asservissement ou<br />

la conquête ; mouvement d’amour, don de soi... »<br />

Frantz Fanon.<br />

1.1 Bestimmung des Begriffs Mischling<br />

Der Begriff Mischling ist kein einfach zu definierender Begriff. Er bezeichnet in der<br />

Biologie generell das Ergebnis einer oft ungeplanten Kreuzung verschiedener Zuchtlinien,<br />

Rassen oder Arten. Anders gesagt, der Begriff bezeichnet den Nachkömmling zweier<br />

genetisch unterschiedlicher Eltern. 33 Die Mischlinge werden laut Salman Rushdie ‚hybrid‘<br />

bzw. ’Bastard’ genannt. Das heißt, sie sind Ergebnis von:<br />

Unreinheit, Vermischung und Veränderung, die durch neue und<br />

unerwartete Verbindungen zwischen Menschen, Kulturen, Ideen,<br />

Politiken, Filmen, Songs entstehen. Sie freuen sich an der Bastardisierung<br />

und fürchten den Absolutismus der Reinheit. Als Melange, als<br />

Mischmasch, ein bisschen von dem, ein bisschen von jenem, so betreten<br />

Neuheiten die Welt. Dies ist die großartige Möglichkeit, die die<br />

Massenmigration der Welt gibt und die ich zu ergreifen versucht habe. Die<br />

satanischen Verse sind für Veränderung durch Mischung, für Veränderung<br />

durch Vereinigung. Sie sind ein Liebeslied für Bastarde wie uns. 34<br />

Es gibt Typen von Mischlingen: die Kreolen, die Mulatten und die Mestizen. Die in dieser<br />

Arbeit zu untersuchenden Mischlinge sind die zwei letzten Typen. In dem Teil der Welt, in<br />

dem die meisten Menschen mit gemischter afrikanisch-europäischer Abstammung leben,<br />

nämlich in Lateinamerika und der Karibik, ist die Bezeichnung Mulatte sehr verbreitet und<br />

wird weitgehend wertneutral verwendet. 35<br />

33 Peter Reuter: Springer Lexikon Medizin .in http//:www.springer-lexikon-htm. Gelesen am 28-02-2012.<br />

34 Salman Rushdie, 1991, Imaginary Homelands, London, S.384,zit. nach Stuart Hall, a.a.O., S.219.<br />

35 Mulatte-Wiki in http://www.Mulatten.htm ,gelesen am 28-02-2012.<br />

12


1.2 Überblick über das Zusammentreffen weißer und schwarzer Rassen<br />

Die Entstehung einer „Zwischenrasse“ kann nur durch das Zusammentreffen und durch<br />

sexuelle Beziehung von zwei Lebewesen aus unterschiedlichen Rassen vorkommen. So<br />

gesehen findet die Anwesenheit der Mischlinge (Mestize und Mulatte) in der Karibik eine<br />

Rechtfertigung im Kontakt zwischen den Europäern und den Einwohnern der ‘Neuen Welten‘<br />

bei den unterschiedlichen Entdeckungsreisen.<br />

1.2.1 Zu den Entdeckungsreisen<br />

„Die Entdeckungsreisen waren der Beginn einer neuen Ära, einer Ära weltweiter<br />

Expansion der Europäer, die zur gegebenen Zeit zu einer totalen, wenn auch vorübergehenden<br />

europäischen Beherrschung des Globus führte“ 36 . Dieses Zitat Roberts’ zeigt, dass die<br />

Entdeckungsreisen einen Paradigmenwechsel in den menschlichen Beziehungen bedeuteten.<br />

Aus ökonomischen, politischen und geistlichen Gründen unternahmen zunächst die<br />

Portugiesen, dann die Spanier unter anderen, den Globus zu erobern und zu beherrschen.<br />

So segelten die Portugiesen im Jahre1430 an der Westküste Afrikas entlang südwärts; sie<br />

hofften, „nicht nur die Quellen des afrikanischen Goldes, des Elfenbeins, der Gewürze und<br />

des Sklavenhandels zu finden, sondern auch den sagenhaften schwarzen christlichen‚<br />

Priesterkönig Johannes“ 37 . Einige Jahre später, und zwar im Jahre 1441, erreichte die erste<br />

Ladung afrikanischer Sklaven, die von Europäern gefangen worden waren, Portugal (damit<br />

begann eine neue Ära des Sklavenhandels). Von 1487 bis 1488 umrundete Bartolomeo Dias<br />

das Kap der Guten Hoffnung und Pedro da Covilhao erreichte den Sudan. Einige Jahre Später<br />

(1497/98) umsegelte Vasco da Gama Afrika und durchquerte den indischen Ozean. 38<br />

Demgegenüber war die Erforschung der Neuen Welt (Amerika) zuerst eine<br />

vorwiegend spanische Angelegenheit. Nach langem Bitten überzeugte der genuesische<br />

Navigator Christoph Kolumbus schließlich König Ferdinand und Königin Isabella von<br />

Spanien davon, sein ‘westliches Unternehmen‘, eine westliche Route zu den Schätzen des<br />

Ostens zu finden, zu unterstützen. 39 Er begann seine vier bemerkenswerten Reisen im Jahre<br />

1492 und wurde damit der erste Europäer, der auf den meisten Inseln der Karibik und auf<br />

dem zentralamerikanischen Festland landete. Etwa im achtzehnten Jahrhundert waren die<br />

wichtigsten europäischen Weltmächte wie Portugal, Spanien, England, Frankreich und<br />

36 J.M. Roberts, 1985, The Triumph of the West, S.175, zit. Nach Stuart Hall, a.a.O. S.143.<br />

37 Stuart Hall, The West and the Rest, a.a.O. , S.145.<br />

38 Ebd. S.146.<br />

39 Ebd.<br />

13


Holland alle im Spiel. Von da an begann Europa seine Kultur und seine Gewohnheiten den<br />

neuen Welten aufzuprägen. 40 Der in dieser Zeit entwickelte Sklavenhandel hat den Boden für<br />

ein Plantagesystem in der Karibik vorbereitet.<br />

Im Großen und Ganzen kann gesagt werden, dass die Entdeckungsreisen und die<br />

europäische Expansion den Boden für das Zusammentreffen weißer und schwarzer Menschen<br />

vorbereitet haben. Von diesem Treffen ist viel hervorgegangen: die Sklaverei, die<br />

Kolonisation und sogar die Entstehung ‚Zwischenrassen‘.<br />

1.3 Sklavereidiskurs<br />

Bevor ich den Diskurs über die Sklaverei bespreche, ist es von Bedeutung Einiges über den<br />

Diskurs zu sagen<br />

1.3.1 Diskurstheorie<br />

1.3.1.1 Zum Begriff Diskurs<br />

Der Diskursbegriff hat keine einheitliche Definition, er wird demzufolge inflationär in vielen<br />

Disziplinen bestimmt: In der Sprach-, Kultur-, Literaturwissenschaft.<br />

Der Begriff Diskurs leitet sich her vom lateinischen ‚discursus‘. Das zugehörige Verb<br />

‚discurrere‘ meint ‚hierin und dorthin laufen‘.<br />

Ein Discours im alltäglichen Sprachgebrauch ist ein Gespräch oder eine Rede von einer<br />

gewissen unbestimmten Ausdehnung, die nicht schon vorab durch eine zu rigide Intention in<br />

seiner Entfaltung und spontanen Entwicklung gehemmt ist 41 . In vielen französischen<br />

Kontexten ist der Terminus eng benachbart mit solchen wie : bavardage, palabre,<br />

conversation libre, causerie, improvisation, exposé, narration, langage oder parole 42 . Der<br />

Begriff Diskurs bezeichnet eine strukturierte Menge von überwiegend sprachlichen<br />

Äußerungen, deren Geltungsbereich durch eine Diskurs-Ordnung geregelt wird. 43<br />

Die Grundlagen der Diskursforschung liegen in den Sprachwissenschaften. Mit den Arbeiten<br />

des Schweizer bzw. des Genfer Linguisten Ferdinand de Saussure haben die<br />

Sprachwissenschaften die Vorstellung verworfen, dass (Sprach)- Zeichen die Welt einfach<br />

so abbilden, wie sie ist. Vielmehr gehen die Sprachwissenschaften nach Saussure davon<br />

40 Stuart Hall, a.a.O. S.149.<br />

41 Manfred Frank, Zum Diskursbegriff bei Foucault. In: Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, 1988,<br />

herausgegeben von Juergen Fohrmann und Harro Mueller, Suhrkamp Taschenbuch Materialien, Bonn, S.26.<br />

42 Ebd.<br />

43 Rainer Baasner & Maria Zens, 2oo5, Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft: Eine Einführung,<br />

Berlin, Erich Schmidt, S. 137.<br />

14


aus, dass es keine „positiven Zeichen“ mit einer intrinsischen Bedeutung gibt 44 . Die<br />

Bedeutung von Zeichen im Sprachsystem entsteht daher vielmehr durch die Beziehung bzw.<br />

Abgrenzung zu anderen Zeichen.<br />

1.3.1.2. Diskurs bei Foucault<br />

Michel Foucault hat in den 1970er Jahren das<br />

Konzept von Diskursen als<br />

Aussagesystemen entwickelt. Diese Aussagen müssen bestimmten Regeln folgen, um als<br />

sinnvoll und wahr akzeptiert zu werden. Gleichzeitig sind Aussagen durch ihre Einmaligkeit<br />

gekennzeichnet. Diskurse können daher als eine temporäre Fixierung von Bedeutungen<br />

angesehen werden. Als Diskurs bezeichnet er<br />

institutionalisierte Aussageformen spezialisierten Wissens, Rede- oder<br />

Schweigeordnungen, wie sie etwa in der Wissenschaft vom Menschen<br />

produziert und eingeübt werden, um so eine Ordnung der Dinge nach<br />

Dichotomien wie wahr / falsch, normal / pathologisch,<br />

vernünftig/wahnsinnig, männlich/ weiblich, durchzusetzen 45<br />

Bei Foucault gibt es eine Diskursanalyse und Objekt der Diskursanalyse ist damit sowohl das<br />

Regelsystem, welches den Diskurs generiert, als auch der soziale Rahmen und die mediale<br />

Basis, in dem er sich verwirklicht. Literatur erscheint aus der Sicht der Diskursanalyse<br />

einerseits als Treff- und Kreuzungspunkt der Diskurse, das heißt, eine Art ‚Interdiskurs‘ 46 . Sie<br />

ist ein Ort der Inszenierung beziehungsweise Dekonstruktion von Diskursen, andererseits als<br />

ein eigener Diskurs mit einer spezifischen Regelhaftigkeit und sozialen Konkretion bzw.<br />

Vergegenständlichung.<br />

Allgemein genommen, definiert Foucault den „Diskurs“ als eine im Ensemble der<br />

Sprachcluster mittransportierte Weltsicht.<br />

Der Diskurs ist also nicht eine Diskussion<br />

zwischen konkreten Menschen, sondern die subjektunabhängig gedachte Verkettung von<br />

Elementen und Argumenten.<br />

1.3.1.3. Diskurs und Macht<br />

Für Foucault bedeutet die Untersuchung von Diskursen immer auch die Untersuchung<br />

von ‚Macht‘. Denn Macht strukturiert Diskurse, sie lässt manche wahrscheinlicher sein als<br />

44 Achim Geisenhanslüke,2004, Einführung in die Literaturtheorie: von der Hermeneutik zur<br />

Medienwissenschaft, Darmstadt, Seite 70.<br />

45 Michel Foucault, Zit. Nach Hergen Dietmar Albus, Postkoloniale Diskurse, Francisco Sionil Josés Rosales<br />

Saga in: htpp://www. Dissertation_Postkoloniale_Diskurse_in_Joses_Rosales_Saga. Pdf , gelesen am 3-09-2011<br />

46 Der Begriff des Interdiskurses Juergen Link und Ursula Link-Heer zufolge der Reintegration der in den<br />

einzelnen Spezialdiskursen gebildeten Wissensformen in andere Diskurse.<br />

15


andere, sie findet ihre Legitimation mittels Diskurse. Der Diskursbegriff laut David Simo<br />

bedeutet, „eine sprachliche Konstruktion, die die Objekte, worüber sie spricht, produziert und<br />

nicht einfach beschreibt oder wiedergibt.“ 47 Aus dieser Perspektive übt der Diskurs Macht<br />

und Gewalt auf die beschriebenen Objekte aus; und wer einen Diskurs hält, übt eine Macht<br />

aus 48 . Diese Machtausübung des Diskurses ist von Foucault genau betont, denn bei ihm<br />

scheint der Diskurs auf streng wenn auch opak und nicht immer voraussehbar geregelte<br />

Aussagen bezogen zu sein, also auf institutionalisierte bzw. institutionalisierbare Aussagen,<br />

die in einem Machtzusammenhang vorkommen, die dadurch ihre Gültigkeitsansprüche selbst<br />

erfüllt. 49 Foucault definiert den Begriff wie folgt:<br />

Le discours est un acte de violence que nous faisons aux choses, en tout cas<br />

comme une pratique que nous leur imposons […] il n’est pas le reflet de la<br />

réalité des pratiques, exact ou inexact, il est d’abord une pratique<br />

particulière qui fait violence aux pratiques qu’elle décrit. 50<br />

Dieser Ansatzpunkt steht in Einklang mit dem von Reiner Keller, der den Diskurs als<br />

eine nach unterschiedlichen Kriterien abgrenzbare Aussagepraxis<br />

beziehungsweise Gesamtheit von Aussageereignissen, die im Hinblick auf<br />

institutionell stabilisierte gemeinsame Strukturmuster, Praktiken, Regeln und<br />

Ressourcen der Bedeutungserzeugung untersucht werden, 51 betrachtet.<br />

Die Foucault'schen Kernbegriffe sind: Diskurs, Macht, Disziplin, Wissen, episteme<br />

Auschliessungskriterien und Wahrheit. Sie erschließen so ein relativ offenes Forschungsfeld,<br />

das seine Offenheit gerade daraus gewinnt, dass keine eindeutigen, präzisen Definitionen<br />

erfolgen. Unter dem Blickwinkel von Diskursen können Ideengeschichte und<br />

gesellschaftliche Entwicklungen gleichzeitig ins Blickfeld genommen werden, während dabei<br />

die Frage der Macht im Vordergrund bleibt. Das Individuum, das das Produkt des in seiner<br />

Umgebung konstruierten bzw. herrschenden Diskurses ist, ist zweifellos das fiktive Atom<br />

einer "ideologischen" Vorstellung der Gesellschaft; es ist aber auch eine Realität, die von der<br />

spezifischen Machttechnologie der "Disziplin" produziert worden ist. In dieser Hinsicht sagt<br />

Foucault:<br />

47 David Simo ,Subjektposition und Kultur im Zeitalter der Globalisierung. Postkoloniale Ansätze S.5<br />

Unveröffentlicht.<br />

48 Philippe Forget, 1988, Diskursanalyse vs. Literaturwissenschaft ?In Diskurstheorien und<br />

Literaturwissenschaft, Hg. Juergen Fohrmann und Harro Mueller, Frankfurt am Main, Suhrkamp Taschenbuch<br />

Verlag, Seite 312.<br />

49 Ebd. Seite 311.<br />

50 Michel foucault, zitiert nach Phillipe Zittoun & Anna Durnová « L’insoutenable ordre du discours », in<br />

http://www.atelierpolitique.fr/assets/Uploads/foucaultvu.pdf ., gelesen am 12. Januar 2011.<br />

51 Reiner Keller, 2007, Diskursforschung: eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen. Wiesbaden; zit. nach<br />

Hartmann, Johanna; Kaluza, Marina; Rakic, Goran : Repräsentation. In :MedienKulturWiki,<br />

http://www.leuphana.de/medienkulturwiki/medienkulturwiki2/index.php? gelesen am 29. Oktober 2011.<br />

16


Man muss aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu<br />

beschreiben, als ob sie nur „ausschließen“, „unterdrücken“, „verdrängen“ ,<br />

„zensieren“, „abstrahieren“, „maskieren“, „verschleiern“ würde. In<br />

Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie<br />

produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und<br />

seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion. 52<br />

Unser Zugang zur Wirklichkeit erfolgt immer nur durch und in Sprache . In derselben<br />

Richtung behaupteten Marianne Jørgensen W. und Louise Phillips folgendes:<br />

The purpose of research is not to get, behind' the discourse, to find what<br />

people really mean [...] or to discover the reality behind discourse. The<br />

starting point is that reality can never be reached outside discourses and so<br />

it is discourse itself that has become the object of analysis. 53<br />

Dies bedeutet, dass das Ziel der Forschung nicht hinter den Diskurs zu schauen ist. Der<br />

Ausgangspunkt dieser Forschung ist vielmehr, dass die Realität niemals außerhalb von<br />

Diskursen erreicht werden kann, und so wird der Diskurs selbst zum Objekt der Analyse.<br />

Der Diskurs ist nicht nur mit Macht, sondern auch mit Wissen eng verbunden.<br />

1.3.1.4.Wissen und Macht<br />

In der Tat gibt es einen unumstrittenen<br />

Zusammenhang zwischen ‚Wissen‘ und<br />

‚Macht‘. Foucault meint deshalb, Wissen sei Macht; es eröffne nicht nur Macht, sondern es<br />

sei Ausdruck von Macht, Resultat von Macht. Was wir für gegebenes Wissen halten, ist das<br />

Ergebnis eines Konstruktionsprozesses, in dem die Machtverhältnisse „Wahrheiten“<br />

produzieren, die die Machtverhältnisse stützen. In seinem Text betitelt Der Westen und der<br />

Rest, liefert Stuart Hall eine besondere Bestimmung des Konzepts Diskurs. Sein<br />

Diskursbegriff ist im Zusammenhang mit dem Westen (Europa) und dem Rest der Welt;<br />

darunter versteht er<br />

a particular way of representing the ‚West‘, the ‚Rest‘ and the relation<br />

between them. A discourse is a group of statements which provide a language<br />

52 Michel Foucault, 1994, Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses Frankfurt/M, Suhrkamp,<br />

S.249f, zit. Nach Albert Kraler, Die Macht des Diskurses - Michel Foucault in http://www.litde.com/verfahrender-textanalyse/diskursanalyse-diskursgeschichte/die-begriffe-diskurs-diskursanalyse-diskursgeschichte.php<br />

vom 10.02 2012.<br />

53 Marianne Jorgensen W. u. Louise Phillips, 2002, Discourse analysis as theory and method, London u. a.<br />

S. 21.<br />

17


for talking about- i.e. a way of representing- a particular kind of knowledge<br />

about a topic. 54<br />

Von diesem Zitat ausgehend, versteht Hall den Diskurs als eine Aussagemenge, die eine<br />

Sprechweise in Gang setzt, um etwas zu besprechen. Der Diskurs besteht somit aus mehreren<br />

Aussagen, die zusammenwirken, um die von Foucault genannte diskursive Formation zu<br />

bilden. 55 Er ist eine Art sprachliche bzw. ideologische Konstruktion. So gesehen sei Saids<br />

‚Orientalism‘ nur eine Konstruktion bzw. eine Re- Präsentation Europas. Daraus ergibt sich,<br />

dass kein Diskurs unschuldig sein kann. Hall im Anschluss an Foucault sagt, „Discourses<br />

produce meaningfull knowledge about that subject. This Knowledge influences social<br />

practices, and so has real consequences and effects”. 56 Das bedeutet, es gibt eine<br />

Wechselwirkung zwischen dem Diskurs und der sozialen Praxis. Denn der Diskurs produziert<br />

Wissen,, das eine Wirkung auf die sozialen Praktiken und auf die Individuen hat. Und der<br />

Diskurs selber wird durch Praxis produziert, dies wird von Foucault als diskursive Praxis<br />

bezeichnet.<br />

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Diskurs eine Art und Weise ist, über<br />

etwas zu sprechen oder etwas zu repräsentieren. Er produziert Wissen, das Wahrnehmungen<br />

und Praktiken formt. Deshalb hat er sowohl Auswirkungen auf diejenigen, die ihn bedienen<br />

als auch auf diejenigen, die ihm unterworfen sind. Gerade<br />

durch diese Kategorie des<br />

Diskurses werde ich die Sklaverei und die in der Zeit der Sklaverei herrschenden Meinungen<br />

untersuchen. Was ist unter dem Begriff Sklaverei zu verstehen?<br />

1.3.2. Begriff Sklaverei<br />

Von „Sklaverei“ wird oft in alltäglichen Gesprächen gesprochen. Manche<br />

SchülerInnen fühlen sich als SklavInnen der Schule oder der LehrerInnen, jemand empfindet<br />

sich als Sklave oder Sklavin seiner Firma, oder wir alle werden als SklavInnen der<br />

Konsumgesellschaft bezeichnet. Meistens wird das Wort „Sklave“ heute in sehr<br />

verniedlichender Bedeutung verwendet. Sklaverei im ursprünglichen Sinne bezieht sich aber<br />

auf Menschen, die Eigentum eines anderen Menschen sind. In diesem Sinne wird der Begriff<br />

Sklaverei im Duden definiert als „Zustand völliger rechtlicher und wirtschaftlicher<br />

Abhängigkeit eines Menschen (Sklave), der Eigentum eines anderen Menschen<br />

54 Stuart Hall, The West and the Rest: Discourse and Power in http://www.WestRestHall001pdf, gelesen am<br />

14.10.2011.<br />

55 Ebd.<br />

56 Ebd.<br />

18


(Sklavenhalter) ist.“ 57 Ursprünglich wohl durch Kriege. Unterwerfungen entstanden mit der<br />

Sklaverei in den Gesellschaften, in denen sie üblich war oder ist. Sie wurden von den Freien<br />

als „natürliche“, von Gott oder den Göttern zur Belohnung der Guten einerseits und zur<br />

Bestrafung der Schlechten, eingerichtete Institution, anderseits angesehen und damit<br />

ideologisch gerechtfertigt. Diese Bestimmung steht im Einklang mit der von Meyers Großes<br />

Taschenlexikon, denn in diesem Lexikon gilt die Sklaverei als eine „Bezeichnung für den<br />

Zustand der völligen rechtlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit eines Menschen (Sklave),<br />

der Eigentum eines anderen Menschen (Sklavenhalter) ist; der Sklavenhalter konnte einzelne<br />

oder alle mit dem Eigentumsrecht verbundenen Befugnisse/ Erlaubnis ausüben, den Sklaven<br />

auch verkaufen oder töten.“ 58 Sklaverei wird deshalb von der Leibeigenschaft, mit der kein<br />

Eigentumsrecht verbunden ist, unterschieden.<br />

1.3.2.1. Sklaverei als Praxis in der Karibik<br />

Für die europäischen Kolonialmächte war Afrika von dem 15. bis zum Beginn des 17.<br />

Jahunderts nur eine lange Küste, die man umfahren musste, um nach Indien zu gelangen.<br />

Während dieser Zeit wurde die Küste Afrikas durch die Europäer erforscht, um geeignete<br />

Ankerplätze zu finden, aber das Hinterland blieb noch völlig unerforscht. Erst als eine große<br />

Anzahl von Sklaven in Amerika gebraucht wurde, wurde die afrikanische Westküste ein<br />

beliebter Handelsplatz. 59 Die Sklaven wurden in der neuen Welt als billige Arbeiter<br />

eingesetzt, sie mussten also harte körperliche Arbeit erledigen. Dazu gehörte das Arbeiten auf<br />

den Tabak-, Baumwoll- oder Zuckerrohrplantagen. Die Kolonialmächte (England, Holland,<br />

Frankreich, Spanien und Portugal) benötigten diese Arbeitssklaven für ihre Kolonien in<br />

Amerika, da sie die Kolonialmächte die Ureinwohner ( Indianer ) ausgerottet hatten. Dabei<br />

bildete sich der sogenannte „Dreieckshandel“ heraus.<br />

Bei dem transatlantischen Sklavenhandel (auch „Dreieckshandel“) segelten<br />

europäische Kaufleute mit einfachen Waren wie zum Beispiel Alkohol, Glas, Eisen, Stoff und<br />

Gewehren usw. zur westafrikanischen Küste. 60 Dort tauschten sie mit küstennahen Stämmen,<br />

die mitgebrachten Waren gegen Sklaven. Die küstennahen Afrikaner waren durch die<br />

europäischen Gewehre in der Lage, ihre Landmänner zu fangen und sie zu verkaufen.<br />

57 Duden , 1996, Das neue Lexikon in 10 Bänden, Bd. 9. Leipzig .<br />

58 Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden, Bd. 20. Mannheim u.a., 1983. in htpp://www.veritas.at,<br />

gelesen am26-02-2012.<br />

59 Denis Köpe, Die Sklaverei in der Karibik in http://www.923.pdf. Gelesen am 18-02-2012.<br />

60 Ebd.<br />

19


Danach segelten die Kaufleute nach Amerika und verkauften die Sklaven direkt wieder. Die<br />

Sklaven wurden über den gesamten damals bekannten Kontinent verkauft (Süden der<br />

heutigen USA, Karibik, Nord - Brasilien). 61<br />

1.4. Sklaverei als Diskurs<br />

Von der Definition des Begriffs ’Diskurs‘ ausgehend, kann gesagt werden, dass der<br />

Sklavereidiskurs auf alles verweist, was über die Sklaverei gesagt wurde bzw. alles, was diese<br />

Praxis unterstützt hat. Die Basis der Sklaverei und des Kolonialismus, die von den Europäern<br />

in dem Rest der Welt durchgesetzt wurden, ist in einer Art Überlegenheitskomplex zu<br />

suchen. Dieser Überlegenheitskomplex entstand mit dem Kontakt zwischen Europäern und<br />

Nichteuropäern und hat dazu geführt, dass die Einen an der Spitze der Pyramide stehen und<br />

die ‚Anderen‘, die als ‚subaltern‘ betrachtet werden, ganz unten bleiben. Diese<br />

Überlegenheits-und Minderwertigkeitskomplexe können zur Entstehung von ‘Stereotypen‘<br />

62 führen.<br />

Die Sklaverei, die von den Europäern eingeführt wurde, findet ihre Begründung in<br />

dem von der jeweiligen Rasse entwickelten Komplex. Worin bestehen diese Komplexe? Von<br />

vornherein ist es von Bedeutung, hervorzuheben, dass der Minderwertigkeitskomplex nur ein<br />

Ergebnis eines Minderwertigkeitsgefühls ist.<br />

Das Minderwertigkeitsgefühl wird von Alfred Adlers definiert als das allgemeine<br />

Gefühl des Versagens vor den Ansprüchen der Umwelt oder der Unterlegenheit, Unsicherheit<br />

und Schwäche gegenüber den Leistungen oder dem Wert von Mitmenschen in körperlicher,<br />

geistiger oder moralischer Beziehung. 63 Ein Minderwertigkeitskomplex entsteht durch<br />

ständige Verdrängung von übermäßigen Minderwertigkeitsgefühlen ins Unterbewusste,<br />

welcher dazu führen kann, dass der normale Ablauf des Denkens und Handelns schwer<br />

gestört wird. 64 Der Überlegenheitskomplex ist das Gegenteil von dem<br />

61 Christoph Clus, Sklaverei im Mittelalter – der Mittelmeerraum, in: http://www.urts173 Gelesen am 18-02-<br />

2012.<br />

62<br />

Herkömmlicherweise wird das Stereotyp „in übertragenen und meist pejorativen Bedeutungen zur<br />

Bezeichnung von stark vereinfachten, schematisierten[...], feststehenden und weit verbreiteten Vorstellungen<br />

einer Gruppe von einer anderen“ verwendet. Vgl. Ansgar Nuenning.<br />

63 Alfred Adlers,1907, Studie über Minderwertigkeit von Organen, in http://www. nps22Minderwertigkeit, pdf.<br />

gelesen am 25-02-2012.<br />

64 Ebd.<br />

20


Minderwertigkeitskomplex und kann in Form von Snobismus, Hochmut,<br />

Gefühlsüberschwang, Prahlsucht, tyrannisches Wesen, Nörgelsucht auftreten. 65<br />

Die Europäer sind immer dessen bewusst gewesen, sie seien den anderen Rassen und<br />

besonders den Negern überlegen, sie seien das Vorbild, die Herren für die Anderen. Deshalb<br />

behauptete der weiße Mann in Frantz Fanons Text: « Je suis Blanc, c’est à dire que j’ai pour<br />

moi la beauté et la vertu, qui n’ont jamais été noires. Je suis de la couleur du jour » 66 . Ein<br />

Anderer vertritt auch diese Meinung, und versucht sich selbst zu überzeugen, er sei den<br />

Anderen überlegen:<br />

Je sais que je dois me croire supérieur aux pauvres Bayas de la Mambéré.<br />

Je sais que je dois avoir l'orgueil de mon sang. Lorsqu'un homme supérieur<br />

cesse de se croire supérieur, il cesse effectivement d'être supérieur. Lorsqu'une<br />

race supérieure cesse de se croire une race élue, elle cesse effectivement d'être<br />

une race élue. 67<br />

Ferner betrachteten die Europäer die Nichteuropäer als ‚unzivilisierte‘ und<br />

‚kulturlose‘ Wesen. In dieser Hinsicht behauptete Hegel, Afrika sei „das Kinderland, das<br />

jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht<br />

gehüllt“. 68 Die Idee wird von Stuart Hall bekräftigt, denn er macht auf die Tatsache<br />

aufmerksam, dass der Westen die nichteuropäischen Kulturen als verschieden und<br />

minderwertig behandelte. 69<br />

Indem die Weißen den Überlegenheitskomplex entwickelt haben, haben sie<br />

gleichzeitig bei den Schwarzen ein Minderwertigkeits-, bzw. Unterlegenheitskomplex<br />

durchgesetzt, denn die Weißen sahen in diese nur ‚wilde‘, zu erziehende Kinder und sogar<br />

Sklaven, die für die Arbeit dienen können. Diese Situation wird von Aimé Césaire genau<br />

besprochen, wenn er sagt: « Je parle de millions d'hommes à qui on a inculqué savamment<br />

la peur, le complexe d’infériorité 70 , le tremblement, l'agenouillement, le désespoir, le<br />

larbinisme. » 71 . In der Tat betrachten sich die ‚Neger‘ in der Beziehung mit den Weißen als<br />

65 Ebd.<br />

66 Frantz Fanon, 1952, peau noire masques blancs, Editions seuil, paris, S.36.<br />

67 Aimé Césaire, Discours sur le colonialisme a.a.O. S.17.<br />

68 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte Zit. Nach Klaus<br />

Kreimeier, In die schwarze Farbe der Nacht gehüllt, in: Thomas Theye (Hg.),1985, Wir und die Wilden,<br />

Einblicke in eine kannibalische Beziehung, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg.S.101.<br />

69 Stuart Hall, a.a.O. S.142.<br />

70 Hervorhebung von mir Eveline Zangue.<br />

71 Cesaire, a.a.O. S.12.<br />

21


abhängig. Einige wollen den Europäern ähneln und träumen sogar davon irgendeinmal die<br />

weiße Hautfarbe zu haben. Das lässt sich durch diese Aussage eines Nichteuropaers erklären:<br />

Je commence à souffrir de ne pas être un blanc dans la mesure où l’homme blanc<br />

m’impose une discrimination, fait de moi un colonisé, m’extorque toute valeur, toute<br />

originalité, me dit que je parasite le monde, qu’il faut que je me mette le plus rapidement<br />

possible au pas du monde blanc, que je suis une bête brute, que mon peuple et moi<br />

sommes comme un fumier ambulant hideusement promoteur de canne tendre et de coton<br />

soyeux, que je n’ai rien à faire au monde. 72<br />

Aus dieser Aussage ergibt sich, dass die Europäer sich wirklich als Herren<br />

durchgesetzt haben, und hartnäckig gearbeitet haben, um bei den Nichteuropäern den<br />

Minderwertigkeitskomplex zu entwickeln. In der gesellschaftlichen Praxis in der Karibik sind<br />

diese Komplexe nicht wirkungslos geblieben.<br />

Die Überlegenheits- der Weißen und die Minderwertigkeitskomplexe der Schwarzen<br />

sind nicht wirkungslos geblieben. Im Zeitalter der Sklaverei strebten die schwarzen und<br />

besonders die schwarzen Frauen (Sklavin) danach, sexueller Beziehung mit ihren Herrn zu<br />

haben, damit sie Mischlinge Kinder zur Welt bringen. Was die weißen Herren angeht, übten<br />

sie ihre Macht auf die schwarzen, jungen Sklavinnen aus. Deshalb sind die Zahlen der<br />

Mischlingskinder in den ehemaligen Plantagen wie auf den karibischen Inseln relativ hoch.<br />

Dies lässt sich klar im Buch von Frantz Fanon bemerken:<br />

Le Blanc étant le maitre, et plus simplement le male, peut se payer le luxe de coucher<br />

avec beaucoup de femmes. Cela est vrai dans tous les pays et davantage aux colonies.<br />

[…] Aux colonies, en effet, sans qu’il y ait mariage ou co-habitation entre Blancs et<br />

Noires, le ‘nombre de métis est extraordinaire’ 73 . C’est que les Blancs couchent avec<br />

leurs servantes noires. 74<br />

1.4.1. Der Mischling im Sklavereidiskurs<br />

Aufgrund seiner Hautfarbe war die soziale Lage des Mischlings in dem<br />

Sklavereidiskurs etwa außerordentlich. Die Lage eines Mischlings hängte von seiner Herkunft<br />

ab. Es wird oft fälschlicherweise behauptet, alle Mischlinge bzw. Mulatten in den Kolonien<br />

stammten von Sklavinnen ab, die von ihren Herren sexuell missbraucht wurden. Derartige<br />

Fälle kamen vor. Es gab jedoch eine Bandbreite unterschiedliche Beziehungsformen, aus<br />

72 Aimé Césaire, Cahier d’un retour au pays natal, zit. Nach Frantz Fanon, a.a.O. S.79.<br />

73 Hervorhebung von mir: Zangué Eveline.<br />

74 Fanon, a.a.O. S.37.<br />

22


denen gemischte Nachkommen hervorgingen. In den Kolonien gab es auch freie Schwarze,<br />

die auf freigelassene bzw. freigekaufte Sklaven zurückgingen, sowie weiße Sklaven. 75<br />

In den spanischen, portugiesischen und französischen Kolonien waren Mischehen<br />

gesetzlich erlaubt und mit gewissen Einschränkungen gesellschaftlich akzeptiert. So<br />

vermischten sich die freien Schwarzen mit Teilen der europäischstämmigen Bevölkerung. Die<br />

meisten Mulatten waren frei und nahmen eine Mittelstellung zwischen den schwarzen<br />

Sklaven und den zur Oberschicht gehörenden Weißen ein. Es war der Fall in Haiti am Anfang<br />

der Kolonisierung: « Les mulâtres, encore peu nombreux, ne pouvaient à eux seuls constituer<br />

une classe et, le plus souvent, ils étaient assimilés aux blancs » 76 . Daneben gab es auch<br />

‚mulattische‘ Sklaven, aber auch freie Mulatten, die selbst Sklavenhalter waren. Auf der Insel<br />

Hispaniola gab es zwischen 1806 und 1820 einen mulattisch definierten Staat. Nachdem<br />

Schwarze und Mulatten gemeinsam für die Unabhängigkeit Haitis von Frankreich gekämpft<br />

hatten, führten die Vorbehalte der Schwarzen gegen die „halb-weißen“ Mulatten zur Teilung<br />

des Landes in eine „Mulattenrepublik“ im Süden und einen „schwarzen Staat“ im Norden.<br />

Nach der schwarzen Machtübernahme unter Toussaint Louverture kam es hier außerdem zu<br />

einem Genozid an Mulatten, bei dem Tausende Mulatten ermordet wurden. 77<br />

Allgemein genommen, kann gesagt werden, der Mischling ist ein Produkt des<br />

Zusammentreffens zwischen weißer und schwarzer Rassen. Er wird in unterschiedlichen<br />

Diskurs besprochen und zwar im Sklaverei- sogar im Kolonialdiskurs. Also wie wurde der<br />

Mischling im Kolonialdiskurs betrachtet?<br />

75 Mulatte-Wiki in http://www.Mulatten.htm, gelesen am 28-02-2012.<br />

76 François Blancpain, 2004, La colonie française de Saint-Domingue, paris, éditions KARTHALA.<br />

77 Mulatte-Wiki in http://www.Mulatten.htm, gelesen am 28-02-2012.<br />

23


KAPITEL II:<br />

KOLONIALDISKURS-POSTKOLONIALDISKURS<br />

POSTKOLONIALDISKURS-MISCHLING<br />

„Dass ich ein Narr wäre- ich bin ein Mulatte -das heißt:<br />

ich stehe auf der Gränze zwischen weiß und schwarz<br />

- wer gewinnt- trägt meine Farbe.“ 78<br />

Döhner<br />

2.1. Zum Begriff Kolonialismus<br />

2.1.1. Begriffsbestimmung<br />

Der Begriff Kolonialismus (vom lateinischen Colonia: Niederlassung, Ansiedlung),<br />

ist ein Allerweltwort, das sich durch terminologische Mehrdeutigkeit auszeichnet. Seine<br />

Anwendung hat vor allem in den letzten Jahren eine Ausweitung auf die unterschiedlichsten<br />

Lebensbereiche erfahren: So wird dieser, fast schon inflationär, in Kultur, Politik und<br />

Geschichte zur Beschreibung von unterschiedlichen Machtverhältnissen verwendet.<br />

Betrachtet man Kolonialismus aus seiner etymologischen und historischen Perspektive, steht<br />

er in engem Zusammenhang zu ,Kolonie‘ und ,Kolonisation‘; alle drei Begriffe sind eng<br />

miteinander verbunden und dienen der Beschreibung von Expansionsbestrebungen, -<br />

Vorgängen und/oder aus Expansion resultierenden Begebenheiten, bezeichnen vor allem<br />

aber die Erweiterung des „europäischen Einflussbereichs in Übersee seit dem 16. Jahrhundert,<br />

die in der imperialistischen Ära des späten 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte“. 79<br />

Der Begriff Kolonialismus in Lexikon auf bpb.de bezeichnet „die Ausdehnung der<br />

Herrschaftsmacht europäischer Länder auf außereuropäische Gebiete mit dem vorrangigen<br />

Ziel der wirtschaftlichen Ausbeutung“ 80 . Aus diesen zwei Definitionen kommt heraus, dass<br />

78 Dohner, Die Neger , S.69.<br />

79 Eberhard Kreutzer: Kolonialismus. In: Ansgar Nuenning (Hg.): Grundbegriffe der Kulturtheorie<br />

und Kulturwissenschaften. Stuttgart u.a.: Metzler 2005 (SM, 351), S. 92, Jürgen Osterhammel: Kolonialismus.<br />

Geschichte – Formen – Folgen. München: Beck 2006 (Beck'sche Reihe, 2002). S. 8–9. Zit. Nach Bernadette<br />

Harrant, a.a.O.<br />

80 Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.in<br />

http://www.bpb.de/wissen/H75VXG- htlml. gelesen am 06.09.2011.<br />

24


Europa in erster Linie dieser Dominationsbewegung steht. Zwar waren im Zeitalter der<br />

Entdeckungen auch missionarische Gründe und der Handel für den Kolonialismus<br />

maßgeblich (seit der Industrialisierung vor allem der Bezug billiger Rohstoffe). Im<br />

Vordergrund, stand jedoch immer die Mehrung des Reichtums der Kolonialherren und<br />

Mutterländer 81 . Die Idee der europäischen Errungenschaft wird auch von Wolfgang Reinhard<br />

betont. In seinem Buch Kleine Geschichte des Kolonialismus versteht er unter dem Begriff<br />

‚Kolonialismus’ „die Kontrolle eines Volkes über ein fremdes unter wirtschaftlicher,<br />

politischer und ideologischer Ausnutzung der Entwicklungsdifferenz zwischen beiden“ 82 .<br />

Allgemein betrachtet, bezeichnet der Begriff Kolonialismus ein System, das in<br />

Europa von den Europäern entwickelt wurde, und das darauf abzielte, politische,<br />

ökonomische und kulturelle Herrschaft in anderen Gebieten bzw. Regionen<br />

(Kolonien)außerhalb seiner eigenen Grenzen durch überlegene Mächte zu übernehmen. Unter<br />

dem Konzept ‚Kolonie‘ versteht Wolfgang Reinhard im engeren Sinne eine „Neuansiedlung,<br />

die selbständig sein oder unter der Kontrolle des Gemeinwesens bleiben kann, aus dem die<br />

Siedler stammen“ (Maximalgehalt: „Siedlung und Herrschaft“) und im übertragenen Sinne<br />

„jedes räumlich von dem betreffenden Gemeinwesen getrennte Herrschaftsgebiet“. 83<br />

Dementsprechend ist eine Kolonie ein unselbständiges Gebiet, in dem eine fremde<br />

Staatsmacht die direkte oder indirekte Herrschaft über die einheimische Bevölkerung ausübt.<br />

Diese Gebiete stehen in Abhängigkeitsbeziehungen zu den räumlich entfernten Metropolen.<br />

2.1.2. Kolonialismus als Weltanschauung<br />

Kolonialismus ist ein äußerst komplexes Phänomen 84 . Harald Kleinschmidt versteht<br />

darunter, eine Herrschaftsform, die auf der Anwendung militärischer Gewalt beruhte und<br />

darauf abzielte, ganze Bevölkerungsgruppen in der Kontrolle fremder Regierungen zu<br />

unterwerfen. 85 Diese Herrschaftsform diente dazu, die Ideologie der ganzen<br />

81 Eberhard Kreutzer, Kolonialismus. In: Ansgar Nuenning (Hg.): Grundbegriffe der Kulturtheorie<br />

und Kulturwissenschaften. Stuttgart u.a.: Metzler 2005 (SM, 351), S. 92, Jürgen Osterhammel: Kolonialismus.<br />

Geschichte – Formen – Folgen. München: Beck 2006 (Beck'sche Reihe, 2002). S. 8–9. Zit. Nach<br />

BernadetteHarrant, Konstruktion nationaler Identität bei Rudolf Hans Bartsch in www.uniwien-0305749-<br />

kuturtheorie-kulturwissenschaft-pdfgelesen am 17-05-2010.<br />

82 Wolfgang Reinhard: Kleine Geschichte des Kolonialismus. Stuttgart: Kröner 1996 (Kröners<br />

Taschenausgabe, 475), S. 1–2. [Kursivsetzungen i. Original] Zit. Nach B. Harrant ebd.<br />

83 Wolfgang Reinard, ebd.<br />

84 Andreas Eckert, Kolonialismus, Frankfurt a. M. 2006; Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte –<br />

Formen – Folgen, München 1995; Wolfgang Reinhard, Kleine Geschichte des Kolonialismus, 2. Aufl.,<br />

Stuttgart 2008. Inhttp: //www.zeitschrift-fuer- kolonialgeschichte.pdf., gelesen am 06.09.2011.<br />

85 Harald Schmidt, Europa und der Kolonialismus. In http://www.University-of- tsukuba-graduate school ofhumanity<br />

–and-social-sciences. Gelesen am 07.02.2012.<br />

25


Bevölkerungsgruppen in Afrika, Asien und Teilen Amerikas als Träger unterlegener Kulturen<br />

zu deklassieren, zu diskriminieren und seine neue Weltanschauung zu begründen. 86 In dieser<br />

Hinsicht behauptete Hegel, Afrika<br />

sei ein geschichtsloser und geschlossener Kontinent<br />

[…]das Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichte in die schwarze<br />

Farbe der Nacht gehüllt sei. 87 Allein in seiner europäischen Variante 88 zeigte der<br />

Kolonialismus, mit seiner über fünfhundertjährigen Geschichte viele Gesichter, die es ernst zu<br />

nehmen sind.<br />

Nicht erst plötzlich im 19. Jahrhundert, sondern bereits seit dem 13.Jahrhundert<br />

änderten sich die Bedingungen des Zusammenlebens in Europa. Das Bevölkerungswachstum<br />

führte zu einer stetig steigenden wirtschaftlichen Nachfrage, die auch die kulturelle<br />

Entwicklung bedingte. Es kam zu einer neuen Sicht, was die Religion, das Sein und die<br />

Umwelt betrifft. Vieles wurde hinterfragt, so auch die bekannten und gewohnten Mythen.<br />

Man glaubte nicht mehr einfach, dass die Erde eine Scheibe sei, was jedem erfahrenen<br />

Seefahrer schon als Unsinn aufgefallen sein müsste. Man wollte Neues und Unbekanntes<br />

erfahren, reisen, zu neuen Ufern aufbrechen und expandieren. Kurzum suchten die Europäer<br />

nach einem ‚irdischem Paradies‘: „das irdische Paradies, welches Kolumbus in Amerika<br />

vermutet hatte, verankerte Fernandez de Quiros in der Südsee.“ 89 Denn es gab Goldminen in<br />

Afrika. Das ist der Grund, warum Christoph Kolumbus am 23. Dezember 1492 in sein<br />

Tagesbuch Folgendes notierte: „Ich habe in der Umgegend schöne Stücke Goldes sammeln<br />

können … Gott helfe mir in seiner Barmherzigkeit… jene Goldminne zu finden, da sie hier<br />

viele zu kennen behaupten“. 90<br />

Im Allgemeinen ist der Kolonialismus eine europäische Weltanschauung, insofern als<br />

er ein System bzw. ein Programm ist, das in Europa entwickelt wurde, und in den Rest der<br />

Welt von diesem und zu seinem Gunsten dieser durchgeführt wurde. Der Kolonialismus<br />

86 Thomas R. Adam, Modern Colonialism (Garden City: Doubleday, 1955), S. 1. Zur<br />

neueren Literatur über den Kolonialismus siehe: Michael Banton, Racial Theories (Cambridge: Cambridge<br />

University Press, 1987). Trutz von Trotha, „Was war Kolonialismus?“, in: Saeculum 55 (2004),<br />

S. 49–95. Wilfried Wagner, Hrsg., Rassendiskriminierung, Kolonialpolitik und ethnisch-nationale Identität<br />

(Münster und Hamburg: LIT, 1992). Zit. Nach Kleinschmidt, ebd.<br />

87 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte Zit. Nach Klaus<br />

Kreimeier, In die schwarze Farbe der Nacht gehüllt, in: Thomas Theye (Hg.),1985, Wir und die Wilden,<br />

Einblicke in eine kannibalische Beziehung, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg.S.101.<br />

88<br />

Juergen Zimmerer, Nationalsozialismus Postkolonial ; Plädoyer zur Globalisierung der deutschen<br />

Kolonialgeschicht? in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 57 Jahrgang 2009,Heft 6. In<br />

http: //www.zeitschrift-fuer- geschichtswissenschaft.3C_pdf., gelesen am 06.09.2011.<br />

89 Stefan Goldmann, Die Südsee als Spiegel Europas; Reisen in die versunkene Kindheit, in Thomas<br />

Theye(Hg.), a.a.O. S. 223-224.<br />

90 Bp3w114-116/ forum nr.133, Von Kolonialismus zum Kapitalismus, in http://www.2852_133_pauly.pdf.<br />

Gelesen am 22-02-2012.<br />

26


entstand in Länder wie: Portugal, Spanien Niederland, Großbritannien, und weitere Länder<br />

wie Frankreich und Deutschland, die später im Kampf um die Kolonien eintraten.<br />

2.1.3. Sklaverei und Kolonialismus: Ähnlichkeiten<br />

Die Schwierigkeit bei der Auseinandersetzung mit der Mischlingsproblematik besteht<br />

darin, dass sie von Schuldzuweisungen überlagert wird: auf der einen Seite wird<br />

argumentiert, dass die Mischlinge an ihrer ambivalenten Stellung im Rassenkampf selbst<br />

schuld sind und auf der anderen Seite wird entgegnet, dass der Kolonialismus und die<br />

Sklaverei an der Identitätskrise der Mischlinge schuld sind, denn diese beiden Praktiken<br />

wurden von den selben Grundzügen geprägt.<br />

In der Tat wurden sowohl die Sklaverei als auch der Kolonialismus von den Europäern<br />

initiiert und durchgeführt. In den beiden Praktiken waren die Europäer als Herren betrachtet.<br />

Die Schwarzen dagegen befanden sich auf der anderen Seite der Medaille und wurden als<br />

Tiere, Untermenschen, Knechte und Sklave angesehen. Die viel verbreitete und viel<br />

dokumentierte transatlantische Sklaverei und der anschließende Kolonialismus schöpften<br />

auch ihre Ideologien aus der Negierung der schwarzen Rasse. Die heutige afrikanische und<br />

karibische Gesellschaft ist ein Produkt der Sklaverei und des Kolonialismus, denn diese<br />

Herrschaftsbeziehungen haben die menschliche Rasse Afrikas sowie der Karibik grundlegend<br />

durchmischt 91 . Die koloniale Propaganda, die Sklaverei, die koloniale Ausbeutung und<br />

Entfremdung haben Spuren hinterlassen, die bis heute noch deutlich spürbar sind. 92<br />

2.2. Zum Kolonialen Diskurs.<br />

Die koloniale Expansion folgte nicht nur einer militärischen, politischen oder<br />

ökonomischen Strategie, sondern produzierte ebenso eine „kolonialistische Kultur“, die<br />

das koloniale Projekt durch „rhetorische Muster und diskursive Regelmäßigkeiten“<br />

strukturierte. 93 Der koloniale Diskurs, der auf binären Oppositionen, etwa wie der<br />

Unterscheidung von 'Weißen' und 'Schwarzen', 'Kolonialherren' und 'Kolonialisierten' oder<br />

von 'Zivilisierten' und 'Wilden', bzw. 'Eingeborenen' beruhte, konstruierte die kolonialen<br />

Identitäten entsprechend der kolonialen Ungleichheit. Den wichtigsten Auslöser der<br />

91 Tangang Meli Loumgam, Afrikanische Diaspora zwischen Geschichte, Identität und entwicklungspolitischem<br />

Engagement in http://www. Afrikanische _ Diaspora _ zwischen _Geschichte_ Identität und EP. pdf., gelesen am<br />

4-03-2012.<br />

92 Ebd.<br />

93 Sebastian Conrad, 2008, Deutsche Kolonialgeschichte, München: C.H. Beck zit. Nach Manuel Armbruster, in<br />

www.freiburg-postkolonial.de/pdf/Armbruster-Voelkerschauen-in-Freiburg.pdf. gelesen am 3-02-2012.<br />

27


postkolonialen Diskussion und der Hinwendung zu den kulturellen Aspekten des<br />

Kolonialismus markiert die Studie „Orientalism“ von Edward Said (1979). Zentrale These<br />

Saids „war die einer engen Verbindung zwischen den 'westlichen' Diskursen über den 'Orient'<br />

und den historischen Formen kolonialer Eroberung, Besetzung und<br />

Administration.“ 94 Kolonialer Diskurs ist nach Said nicht die bloße Widerspiegelung oder<br />

nachträgliche Legitimation der kolonialen Herrschaftsverhältnisse, sondern selbst ein<br />

konstitutives Moment von Kolonialismus. Im kolonialen Diskurs repräsentierten sich die<br />

EuropäerInnen gegenüber dem im Gegensatz stehenden Bild des 'Anderen' als überlegen,<br />

wodurch sich der Kolonialismus als 'zivilisatorische' Mission rechtfertigte.<br />

Eine andere Bestimmung dieser Kategorie wird von Bhabha geliefert. Der koloniale<br />

Diskurs wird von Homi Bhabha definiert als ein „Machtapparat, der sowohl auf der<br />

Anerkennung als auch der Ableugnung ethnischer/kultureller/historischer Differenzen<br />

beruht“ 95 . Das heißt, als ein Machtapparat, der Stereotype, einander aber antithetisch bzw.<br />

oppositionell formulierte Erkenntnisse und Wissensbestände über Kolonisierte und<br />

Kolonisatoren produziert. Ähnlich wie Edward Said geht Bhabha davon aus, dass die<br />

„Konstruktion des kolonialen Subjektes im Diskurs und die Ausübung der kolonialen Macht<br />

über den Diskurs eine Artikulation von Formen der – ethnischen und sexuellen – Differenz<br />

erforderlich“ 96 machten. Er setzt damit Saids Überlegungen zur Konstruktion des kolonialen<br />

Subjekts implizit voraus, um sie in einem zweiten Schritt zwar nicht zu dekonstruieren,<br />

jedoch auf dessen Widersprüchlichkeit und in Folge der Brüchigkeit zu verweisen. Die<br />

Wirkungsmacht und Kraft des kolonialen Diskurses liege darin, dass es einzig der<br />

Entscheidungsgewalt des beherrschenden Subjekts obliege, welche sozialen, kulturellen<br />

Zeichen zwecks Differenzierung markiert würden; die Konstruktion sei somit willkürlicher,<br />

differenzieller und systembestimmter Natur 97 . Seine Funktion bestünde darin, Überwachung<br />

auszuüben und gleichzeitig seine diskriminatorischen Strategien zu legitimieren. 98<br />

Zu diesem<br />

Zweck sei es für die hegemoniale Macht notwendig, meint Bhabha, jene Produktionsprozesse<br />

von Wissen – nämlich die Konstruktion und die stereotype Festschreibung des Anderen –<br />

auszublenden und zu evozieren, dass es sich um „primäre Wahrnehmung“ und um „Natur“<br />

94 Sabine Grimm, 1997, Einfach hybrid! Kulturkritische Ansätze der Postcolonial Studies, zit. Nach Manuel<br />

Armbruster, in www.freiburg-postkolonial.de/pdf/Armbruster-Voelkerschauen-in-Freiburg.pdf. gelesen am 3-<br />

02-2012.<br />

95 Homi K. Bhabha , Die Frage des Anderen. Stereotyp, Diskriminierung und der Diskurs des Kolonialismus.<br />

In: Homi K. Bhabha , 2000Die Verortung der Kultur, deutsche Übersetzung von Michael Schiffmann und<br />

Juergen Freudl, Tübingen, Stauffenburg Verlag (Stauffenburg Discussion) Bd.5 S.104.<br />

96 Ebd. S.99.<br />

97 Bhabha, aa.O.S.100.<br />

98 Ebd.,S. 104.<br />

28


handle. 99 Eine Besonderheit dieser Wissensproduktion sei daher, dass bei der Repräsentation<br />

des Anderen Wahrheitsgehalt beansprucht werde: „if realism is not always colonial<br />

discourse, the colonial discourse is always a form of realism“ 100 , verdeutlicht David<br />

Huddart.<br />

. 2.3. Zur Ambivalenz des kolonialen Diskurses<br />

Die Widersprüche des kolonialen Diskurses schreiben sich in den postkolonialen<br />

Diskurs ein, deswegen wird Einiges über diesen Diskurs gesagt.<br />

2.3.1. Zum postkolonialen Diskurs<br />

Die Postkoloniale Theorie (auch Postkolonialismus oder Postkoloniale Studien) ist<br />

keine einheitliche Schule, sie zeichnet sich durch eine gewisse Geisteshaltung und<br />

gemeinsame theoretische Fundamente aus. Ein gewisser Diskurs liegt dieser Theorie<br />

zugrunde: der postkoloniale Diskurs. Der Postkolonialdiskurs lässt sich, David Simo zufolge,<br />

als „ein Gegendiskurs im internationalen intellektuellen Feld“ verstehen. Grundlegend ist die<br />

Ansicht, dass koloniale und imperiale Herrschaftsverhältnisse die Welt in der Vergangenheit<br />

entscheidend geprägt haben und bis heute prägen. Daraus ergibt sich auch, dass das „Post-“<br />

im Namen der Postkolonialen Theorie nicht zeitlich zu verstehen ist. Die Postkoloniale<br />

Theorie beschränkt sich in ihrer Analyse nicht nur auf „materielle“ Aspekte der Geschichte<br />

und Gegenwart, sondern auch auf die Konstruktion von(nationaler) Identität, „race“ und<br />

„gender“. Diese Ansätze gehen davon aus, dass die Kolonisierung nicht nur Spuren bei den<br />

Kolonisierten hinterlassen hat, sondern auch bei den Kolonisierenden. Ihre Hauptthese<br />

lautet: die koloniale Gewalt hat nicht nur die Kolonisierten, sondern auch die Kolonisierenden<br />

transformiert. Weitere Forschungsfelder sind Migration, (kolonialer) Widerstand, Raum und<br />

der sogenannte „Kolonialdiskurs“, zu dem unter anderen europäischen Wissenschaften wie<br />

Philosophie, Geschichte, Ethnologie, Geographie, Anthropologie und Linguistik beitrugen.<br />

Insgesamt bilden die Postkoloniale Studien einen Schnittpunkt zwischen den Debatten über<br />

„race“, Kolonialismus, „class“, „gender“, Politik und Sprache. 101 Die Kategorie dieser<br />

Ansätze sind: Hybridität, Mimikry, Kultur usw.<br />

99 Ebd. S. 118.<br />

100 David Huddart: Homi K. Bhabha. London u.a.: Routledge 2006 (Routledge critical thinkers), S. 37. Zit. nach<br />

Bernadette Harrant in http://www. Uniewien2010-5-17_030549.pdf.<br />

101 Ashcroft /Griffith, 2008, zit. Nach Mara Guesnet, a.a.O.<br />

29


2.3.2. Zum Begriff Hybridität<br />

Der Begriff Hybridität ist eine Kategorie des postkolonialen Diskurses und spielt eine<br />

zentrale Rolle in dem westlichen Repräsentationssystem; aber er wurde bereits in den Rassenund<br />

Kolonialdiskursen des neunzehnten Jahrhunderts und in sprachphilosophischen<br />

Diskursen des zwanzigsten Jahrhundert verwendet. Hybridität wird in verschiedenen<br />

Zusammenhängen gebraucht und verweist auf so unterschiedliche Sachverhalte, dass man<br />

eigentlich nicht von einem Begriff sprechen kann, vielmehr müsste man von einem<br />

begrifflichen Feld 102 sprechen.<br />

Hybridität wird als deskriptiver Begriff verwendet. Als deskriptiver Begriff wird<br />

Hybridität fast synonym für ‚Synkretismus‘ gebraucht, um zunächst „eine bestimmte<br />

kulturelle Wirklichkeit in diasporischen und kolonisierten Welten zu beschreiben.“ 103 In dieser<br />

Hinsicht beschreibt Stuart Hall die karibische kulturelle Welt (und darunter St. Domingo)als<br />

durchkreuzt durch drei wesentliche Präsenzen 104 und diese Metapher gebraucht er im Sinne<br />

von Aimé Césaire und Leopold Sédar Senghor. Er identifiziert dort die présence Africaine,<br />

die présence européenne, die présence américaine usw. Diese Präsenzen stellen verschiedene<br />

kulturelle Anrufungskräfte und Rassen dar, deren Spuren sowohl in der Sprache, in der<br />

Musik, in der Religion als auch in anderen Künsten unverkennbar sind.<br />

2.3.3. Hybridität als Rassismus<br />

Der Begriff Hybridität verwies in den Rassentheorien des neunzehnten Jahrhunderts<br />

auf die menschlichen Sprösslinge (Nachkommen) verschiedener Rassen. Die<br />

wissenschaftliche Thematisierung der Differenzen zwischen verschiedenen Rassen brachte<br />

das Urteil mit sich, dass die Menschheit in verschiedenen Spezies eingeteilt sei: Es<br />

gab nicht die eine gemeinsame menschliche Rasse, sondern eine Vielfalt menschlicher<br />

Spezies 105 . Darwin verwendete den Begriff der Hybridität, um sein Argument der<br />

Evolution der Spezies zu bekräftigen. 106 Der Begriff Hybridität war für Herder schon<br />

immer der Wesenszug der Kultur, auch wenn er zuweilen eine partikulare Kultur mit dem<br />

102 Vgl. David Simo, Subjektposition und Kultur im Zeitalter der Globalisierung. Postkoloniale Ansätze.<br />

Unveröffentlicht.<br />

103 Ebd.<br />

104 Stuart Hall,1994, Rassismus und kulturelle Identität, Ausgewählte Schriften 2. Hg. und übersetzt von Ulrich<br />

Mehlen u.a. ,Argument- Sonderband, Neue Folge, Band 226. Hamburg, S.37ff.<br />

105 J. Young, 2002, Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture and Race. London & New York, Routledge, S.<br />

9.<br />

106 Ebd. S. 12.<br />

30


partikularen Charakter einer<br />

Nation identifizierte 107 . Um zu den Rassentheorien<br />

zurückzukommen, wurde Hybridität im Zusammenhang mit der biologischen Fruchtbarkeit<br />

diskutiert. Robert Knox, der Anatom und Rassentheoretiker, zog daraus folgende<br />

Schlussfolgerung:<br />

Naturalists have generally admitted that animals of the same<br />

species are fertile reproducing their kind for ever; whilst on the<br />

contrary, if an animal be the product of two distinct species, the<br />

hybrid, more or less, was sure to perish or to become extinct ...<br />

the products of such a mixture are not fertile. 108<br />

Mehr noch, in den rassentheoretischen Debatten des neunzehnten Jahrhunderts ging<br />

es überwiegend um die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit der Hybridität und dementsprechend<br />

lag der Fokus auf dem Problem der Sexualität und sexuellen Vereinigungen zwischen den<br />

‘Weißen’ und ‘Schwarzen’. Nach der Auffassung eines anderen Rassentheoretikers des<br />

neunzehnten Jahrhunderts namens Young,<br />

there is a great difference between ‘mongrels’, which are crosses<br />

between distinct races, and ‘hybrids’, which are crosses between<br />

distinct species. The mongrels are, so far as we know, fertile with<br />

one another. But between species, in many cases, you cannot<br />

succeed in obtaining even the first cross; at any rate it is quite<br />

certain that the hybrids are often absolutely infertile one with<br />

another 109 .<br />

Young unterscheidet in dieser Hinsicht fünf Auffassungen des Rassenursprungs: Zum Ersten<br />

die Zurückweisung der Annahme, dass verschiedene Menschengruppen sich untereinander<br />

mischen können und dass, im Falle einer Vermischung, diese Mischung notwendigerweise<br />

zur Unfruchtbarkeit führen werde (Argument des Polygenismus).Zweitens die Annahme, dass<br />

Fortpflanzung unter allen Menschengruppen unbegrenzt möglich sei und dass diese Mischung<br />

eine neue Mischrasse hervorbringe (Amalgamierungsthese).Drittens die Annahme, dass<br />

Amalgamationen unter Menschen tatsächlich stattfinden, dass jedoch die Mischlinge<br />

entweder aussterben oder auf einen oder anderen Typus zurückkehren würden<br />

(Dekompositionsthese). Viertens die Annahme, dass Hybridität zwischen der nahen und<br />

entfernten Spezies variiert: Vereinigungen zwischen verbündeten Rassen gelten als fruchtbar,<br />

107 J. Young, Ebd. S. 44.<br />

108 Robert Knox. (1862), The Races of Men: a Philosophical Enquiry into the Influence of Race over the<br />

Destinies of Nations, 2 nd edition, London: Renschaw, S. 487,in htpp://www.Zum_Begriff_der Hybriditt, gelesen<br />

am 03-02-2012.<br />

109 T. H. Huxley, 1893, ‘Six Lectures to Working Men on Our Knowledge of the Causes of the Phenomena of<br />

Organic Nature’, in: Collected Essays, London: Macmillan. In , in htpp://www. Zum_Begriff_der_Hybriditt,<br />

gelesen am 03-02-2012.<br />

31


wobei die Vereinigungen der entfernten Rassen als unfruchtbar oder degenerativ betrachtet<br />

werden (Dekadenzthese). Fünftens die Annahme, dass miscegenation eine mongrel group<br />

produziere und damit zu einem race less chaos führe (Negativversion der<br />

Amalgamierungsthese) 110 . Ganz im negativen Sinne, wie er in Rassentheorien des<br />

neunzehnten Jahrhunderts diskutiert wurde, verwendete auch der Soziologe H. Spencer den<br />

Begriff Hybridität. Im Mittelpunkt seiner Soziologie stand die Annahme, dass hybride<br />

Gesellschaften nicht organisierbar und unfähig sind, Stabilität für ihre Gesellschaftsmitglieder<br />

zu gewährleisten 111 .Solche Sozialtheorien benutzten den Begriff Hybridität nicht nur im<br />

metaphorischen Sinne. Sie wurde abgeleitet aus dem Wissen über das Problem sexueller<br />

Interaktion unter verschiedenen Rassen und formuliert, um damit auf verschiedene Effekten<br />

des Zusammentreffens von disparaten Körpern zu verweisen. In diesem Sinne behauptete<br />

Young:<br />

In the different theoretical positions woven out of this intercourse, the races and their<br />

intermixture circulate around an ambivalent axis of desire and aversion: a<br />

structure of attraction, where people and cultures intermix and merge, transforming<br />

themselves as result, and a structure of repulsion, where the different elements remain<br />

distinct and are set against each other dialogically. 112<br />

Zusammenfassend, wird der Begriff Hybrid in der Diskussion des neunzehnten<br />

Jahrhunderts viel aus rassistischer Sicht betrachtet. Die Hybriden, die oft Opfer des Rassismus<br />

sind, entwickeln auch eine Strategie des Widerstands. Diese kann unter anderem die<br />

Strategie der Mimikry sein.<br />

2.3.4. Die koloniale Mimikry<br />

Die Bezeichnung Mimikry ist zu englischem „mimicry“ nachgebidelt. Sie leitet sich<br />

von dem englischen Verb to mimic ab: „nachahmen, mimen“ + Suffix -ry (entsprechend dt. „-<br />

erei“) 113 . Dieser Begriff wurde zunächst im Bereich der Biologie gebraucht. Als Mimikry<br />

wird in der Biologie die Ähnlichkeit von Tieren einer bestimmten Art mit denen einer zweiten<br />

Art bezeichnet, so dass Tiere einer dritten Art die beiden anderen Arten nicht sicher<br />

110 J. Young, 2002 Ebd, S.18.<br />

111 Ebd. S.19.<br />

112 Ebd.<br />

113 Www.Wikipedia. Freie. Enzyklopädie. De.<br />

32


voneinander unterscheiden können und miteinander verwechseln. Dieser Begriff ist auch eine<br />

zentrale Kategorie und sogar eine Strategie des (Post-) kolonialen Diskurses.<br />

Als eine der effektivsten Strategien des kolonialen Diskurses benennt Homi<br />

Bhabha die Mimikry. Ausgangspunkt von Bhabhas Konzept ist die Überlegung, dass sich<br />

der Westen den Kolonisierten nicht vollständig aneigne und sich dadurch das koloniale<br />

Subjekt in einem Zustand Un(an)geeignetheit befinde. Daran werde ersichtlich, so folgert<br />

Bhabha weiter, dass der koloniale Diskurs im Kern tief widersprüchlich und „um eine<br />

Ambivalenz herum konstruiert“ sei 114 , diese Ambivalenz bilde sich im Spannungsfeld einer<br />

„konfliktgeladenen Ökonomie“, nämlich zwischen dem Bedürfnis nach Identität und<br />

Beherrschung- nach An(ge)eignetheit der Kolonisierten, und dem Begehren nach Differenz -<br />

nach Un(an)geeignetheit - heraus. Als „ironischen Kompromiss“ dieses inneren Konfliktes<br />

und als eine der effektivsten Strategien des kolonialen Diskurses sieht Bhabha die Mimikry -<br />

Ausdruck des „Begehren[s] nach einem reformierten, erkennbaren Anderen als dem Subjekt<br />

einer Differenz, das fast, aber doch nicht ganz dasselbe ist. “ 115 Für Homi Bhabha (im<br />

Gegensatz zu Said) gibt es keinen wirklichen Bewohner des Orients, der sich hinter der ihm<br />

aufgezwungenen kolonialen Identität verberge, denn „ Mimikry verbirgt keine Präsenz oder<br />

Identität hinter ihrer Maske“. 116 Durch die Mimikry bleibt dieser Zugriff, die Aneignung und<br />

mit ihr die Präsenz, jedoch nur partiell, d.h. „unvollständig“ und „virtuell“. 117 Ausgehend<br />

von dem Bild des Schwarzen aus Frantz Fanons Werk „Peau noire, masques blancs“, der<br />

seine Hautfarbe nicht ändern kann (nie weiß, sondern schwarz), und somit<br />

ungeachtet seiner Sozialisation, könne sich das kolonialisierte Subjekt den Kolonisatoren<br />

nur annähern, jedoch nie „authentisch“ werden; es sei anglisiert, aber nicht englisch. Das<br />

kolonisierte Subjekt sei „fast“, aber doch nicht ganz dasselbe “ 118 und damit sowohl<br />

Ausdruck einer Differenz als auch einer – nicht erfüllbaren – Identität. Mimikry ist<br />

also jene koloniale Strategie, die darin besteht, Kolonialsubjekte zu akkulturieren, ohne die<br />

Differenz zum Kolonialherrn zu tilgen bzw. zu vernichten. Aus der Mimikry resultiere nicht<br />

Identität, sondern Ähnlichkeit: fast dasselbe, aber nicht ganz. 119 Zu den un(an)geeigneten<br />

Signifikanten des kolonialen Diskurses zählt Bhabha<br />

114 Bhabha, die Verortung der Kultur, a.a.O. S.126<br />

115 Ebd.<br />

116 Ebd. S.130.<br />

117 Ebd. S.127.<br />

118 Ebd. S.126.<br />

119 Ebd. S.132.<br />

33


die Differenz zwischen Englischsein und Anglisiertsein, die Identität zwischen<br />

Stereotypen, die, durch Wiederholung, ebenfalls different werden, die<br />

diskriminatorischen Identitäten, die über traditionelle kulturelle Normen und<br />

Klassifikationen hinweg konstruiert werden, der affenartige Schwarze, der<br />

verlogene Asiate 120 .<br />

Mimikry ist erfolgreich, wenn in der Wahrnehmung der Kolonialherren die inszenierte<br />

Identität akzeptiert wird. Das Verfahren der Mimikry, Elke Heckner zufolge, setzt<br />

anderen Worten, „auf die hermeneutische Unfähigkeit kolonialer Wahrnehmung, die die<br />

vorgeführte Inszenierung einer Identität lediglich in ihrer buchstäblichen Bedeutung versteht,<br />

und somit in ihrer Doppeldeutigkeit verkennt“. 121<br />

2.4. Die ambivalente Stellung des Mischlings im kolonialen Diskurs<br />

In Anbetracht der Tatsache, dass der koloniale Diskurs „eine Form des Diskurses ist,<br />

die entscheidend für die Bündelung einer Reihe von Unterscheidungen und<br />

Diskriminierungen, die den diskursiven und politischen Praktiken ethnischer und kultureller<br />

Hierarchisierung Gestalt verleihen“ 122 , ist es klar, dass die Positionierung eines Mischlings<br />

darin nur ambivalent sein könnte. Als „Mischlings-Kinder“ oder heller häutige „Rassen“<br />

stehen diese zwischen Schwarzen und Weißen. Und auch in ihrem Verhalten, in ihrer<br />

Moral, ihren Charaktereigenschaften und ihren Funktionen im Handlungsgeschehen zeichnen<br />

sie sich über ein ambivalentes „Dazwischen“ aus, das es sinnvoll erscheinen lässt, diese<br />

Figuren als Gruppe mit eigener Logik und Bedeutung zu betrachten. Ihre Positionierung ist<br />

strategisch, das heißt alles hängt von ihren Interessen ab. Stuart Hall schreibt in dieser<br />

Hinsicht, dass seine Stellung durch „geschichtliche Konstellation und Ereignisse neu<br />

bestimmt wird 123 . Der Mischling gibt sich die Identität, die nötig ist, um bestimmte Ziele zu<br />

erreichen. Identität ist also ein Mittel, das er sich an die Hand gibt, um Probleme zu<br />

bewältigen. In seinem Werk betitelt „Neger“ lässt Döhner eine Mischlingsfigur folgendes<br />

sagen: „Dass ich ein Narr wäre – ich bin ein Mulatte – das heißt: ich stehe auf der Gränze<br />

zwischen weiß und schwarz – wer gewinnt – trägt meine Farbe.“ 124 Vorsorglich<br />

färbt er sein Gesicht dunkler, „um im äußersten Fall eher zu entkommen“ 125 . Als<br />

mit<br />

120 Ebd.<br />

121 Elke Heckner, 2001, Zur Ambivalenz kolonialer Mimikry in Kleists „Die Verlobung in St.<br />

Domingo“, in: Kleist- Jahrbuch ,2001, J.B. Metzler Verlag, Stuttgart und Weimar, S.226.<br />

122 Bhabha,Ebd. , S.99.<br />

123 Simo, a.a.O, S.13.<br />

124 Döhner, Die Neger, S. 69, zit. Nach Barbara Riesche in http://www. Riesche_Barbara sklaverei.pdf , gelesen<br />

am 3-02-2012.<br />

125 Döhner, Ebd.<br />

34


am Ende doch noch die Weißen gewinnen, steht er, als wäre nichts gewesen, wieder<br />

in den Diensten seines früheren grausamen Herrn.<br />

Insgesamt ist es also festzuhalten, dass die Stellung und das Verhalten des Mischlings<br />

gegenüber den Weißen und den Schwarzen sowie seine Hautfarbe auch von Ambivalenzen<br />

zeugen. Je nach Interessen repräsentiert er sich entweder als weiße oder als schwarze Person.<br />

35


WERKANALYSE<br />

36


KAPITEL III:<br />

ZWISCHEN SCHWARZ UND WEISS I : DIE VERLOBUNG IN ST.<br />

DOMINGO“<br />

Die Novelle Die Verlobung in St. Domingo enthält wie jeder epische Text bestimmte<br />

Grundelemente: Ereignisse und Handlungen, handelnde Personen, einen Raum, in dem<br />

sich die Ereignisse und Handlungen vollziehen und eine Zeitstruktur. Dieses Kapitel zielt<br />

darauf ab, das Werk zu analysieren. Hierfür wird die Struktur des Werkes herausgearbeitet.<br />

Eine solche Zielsetzung setzt die Tatsache voraus, dass ich mich auf die Strukturanalyse<br />

stütze, um Grundkategorien, wie Handlung, Figurenkonstellation und Charakterisierung,<br />

Raum und die Erzählsituation zu erforschen. Zuvor werde ich aber den historischen<br />

Kontext der Novelle untersuchen.<br />

3.1. Historischer Kontext<br />

„Zu Port au Prince, auf dem französischen Anteil der Insel St. Domingo, lebte zu Anfange<br />

dieses Jahrhunderts, als die Schwarzen die Weißen ermordeten, auf der Pflanzung des Herrn<br />

Guillaume von Villeneuve, ein fürchterlicher alter Neger, namens Congo Hoango.“ 126 Mit<br />

diesem ersten Satz leitet Kleist seine Novelle „Die Verlobung in St. Domingo“ ein. Er<br />

verfolgte mit dieser Novelle keineswegs primär ein Interesse an Zeitgeschichte.<br />

Es handelt sich um keine historische Erzählung, sondern Kleist hat historisches Material<br />

aufgegriffen und mit einer fiktionalen Handlung verbunden, Beziehungen zwischen<br />

Geschlechtern, Rassen, Klassen und Liebe dargestellt. Er beschäftigt sich mit interkulturellen<br />

Begegnungen, die vom Kolonialismus beeinflusst sind. Er erreicht mit seiner Darstellung<br />

keinesfalls eine Auflösung von Stereotypen.<br />

Eine Beschäftigung mit dem historischen Geschehen, auf das Kleist Bezug nimmt, ist<br />

trotzdem unerlässlich für ein besseres Verständnis des Textes. Die Verknüpfung der Novelle<br />

mit historischem Material lässt sich beispielsweise anhand folgender Textstelle, die eine<br />

präzise Zeitangabe enthält, eindeutig festmachen: „Nun weiß jedermann, dass im Jahr 1803,<br />

126 Kleist, 1966, München , a.a.O, S.699. Die hinter dem Zitaten stehenden Ziffern sind Seitenangaben dieser<br />

Ausgabe.<br />

37


als der General Dessalines mit 30000 Negern gegen Port au Prince vorrückte, alles, was die<br />

weiße Farbe trug, sich in diesen Platz warf, um ihn zu verteidigen.“(700) Doch für das<br />

Verständnis der Geschehnisse um 1803 muss zunächst weiter ausgeholt werden: 1492<br />

„entdeckt“ Christoph Kolumbus die Insel Hispaniola und nimmt dieses „entdeckte Gebiet“<br />

dann 1493 in spanischen Besitz.<br />

Im 16. Jahrhundert wird die indianische Urbevölkerung komplett ausgerottet – vor<br />

allem unter Nicolás de Ovando, der von 1502-1509 spanischer Gouverneur der Insel war und<br />

der die Zwangsarbeit einführte. Außerdem führten Misshandlungen und aus Europa<br />

eingeschleppte Krankheiten zum Tod der Ureinwohner 127 . 1672 musste Spanien im Frieden<br />

von Rijswijk (ein Vertragswerk, durch das der pfälzische Erbfolgekrieg beendet wurde) den<br />

westlichen Teil an Frankreich abtreten – die Insel wurde dann in einen spanischen Ostteil:<br />

Santo Domingo (später die Dominikanische Republik) und in einen französischen Westteil:<br />

Saint Domingue (später Haiti) aufgeteilt. Saint Domingue war damals die reichste Kolonie<br />

der Welt, die über den französischen Handel große Teile Europas mit Zucker, Baumwolle und<br />

Indigo versorgte. Eine halbe Million Sklaven verhalfen Frankreich im letzten Jahrzehnt des<br />

achtzehnten Jahrhunderts zu diesem Reichtum – für diese galt der Code Noire, eine<br />

Verordnung bestehend aus 60 Artikeln, die Frankreichs König Ludwig XIV 1685 zur<br />

Regelung des Umgangs mit den schwarzen Sklaven erließ und welche bis 1848 in Kraft<br />

war 128 .<br />

Während der Französischen Revolution von 1789 kommt es durch Parolen von<br />

Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu Bürgerkriegen auf der Insel zwischen weißen<br />

Plantagenbesitzern, reichgewordenen Mulatten, freien Schwarzen und schwarzen Sklaven.<br />

Die Engländer nutzen die Konflikte, um Teile der Insel zu besetzen. Aus den kriegerischen<br />

Verwicklungen geht der ehemalige Sklave François-Dominique Toussaint Louverture als<br />

Feldheer und Staatsmann hervor. Er wurde um 1743 in eine Sklavenfamilie geboren und war<br />

bis 1776 Haussklave. Toussaint Louverture erzielt 1794 die Sklavenbefreiung und Befriedung<br />

von Saint Domingue. Die englischen Truppen kapitulieren 1798 vor ihm in Port-au-Prince. Im<br />

Frühjahr 1801 gibt Toussaint Louverture seinem Land eine Verfassung, in der er sich zum<br />

lebenslangen Präsidenten erklärt und die Frankreich nur noch eine nominelle Suzeränität<br />

belässt. Dies setzt Napoleon in Alarmstimmung, denn Saint Domingue stellte einen idealen<br />

127 file:///H:/index.php.htm%20 literarische figurationen des gastes 52-222%20.htm.<br />

128 Vgl. „ le code noir“ Receuil d’édits, déclarations et arretés concernant les esclaves nègres de l’Amérique.<br />

Unter http://www.tlfq.ulaval.ca./axl/ amsuldant/guyane fr.1685.htlm. Gelesen am 02-04-2012.<br />

38


geographischen Ausgangspunkt für koloniale Eroberungen dar und sollte eine sichere<br />

Versorgungsbasis mit Kriegshäfen werden. Toussaint Louverture wurde dann durch<br />

scheinbares Entgegenkommen des französischen Militärs getäuscht, gefangen genommen und<br />

Mitte 1802 nach Frankreich deportiert, wo er auch starb. Die Festnahme Louvertures und die<br />

Tatsache, dass Napoleon die Sklaverei wieder einführen will, führt zu einer Art<br />

Guerillakampf der ehemaligen Sklaven unter der Führung ihres neuen militärischen<br />

Befehlshabers General Jean-Jaques Dessalines.<br />

Tausende von Napoleons Soldaten sterben wegen der Taktik des Guerillakrieges,<br />

welche seine Truppen kaum beherrschen. Hinzu fällt eine große Zahl der Truppen dem<br />

Gelbfieber zum Opfer. Der Krieg endet am 19.11.1803 mit dem Sturz der französischen<br />

Herrschaft. 1804 wird unter Jean-Jacques Dessalines der unabhängige Staat Haiti ausgerufen<br />

und Dessalines lässt sich zum Kaiser Jaques I. krönen. Im März lässt er alle noch auf der Insel<br />

befindlichen Franzosen ermorden und wird letztendlich 1806 selbst ermordet.<br />

3.2. Inhaltsangabe der Novelle<br />

Heinrich von Kleists Novelle Die Verlobung in St. Domingo handelt von einer Liebe, die<br />

zur Zeit dieses Aufstandes der Schwarzen gegen die Weißen entsteht. Es spielt Anfang des<br />

19. Jahrhunderts auf dem französischen Anteil der Insel St. Domingo. Anfang des 19.<br />

Jahrhunderts lebte „ein fürchterlicher alter Neger“ namens Congo Hoango in Port au Prince<br />

auf der Pflanzung des Weißen Guillaume de Villeneuve, dem er vorher das Leben gerettet<br />

hat. Als Dankbarkeit schenkte sein Herr ihm die Freiheit, machte ihn zum Aufseher der<br />

Pflanzung, und da er nicht wieder heiraten wollte, bekam er als Frau die Mulattin 129<br />

Babekan, die einen fünfzehnjährigen Mestizen 130 namens Toni als Tochter hat. Weil er ein<br />

Sklave war, hat Hoango einen großen Hass gegen die Weißen entwickelt und jetzt will er<br />

sich an den Weißen für diese Misshandlung rächen. Mit der Unterstützung von Babekan,<br />

Toni und an der Seite des Generals Dessaline ging er nun gegen die Weißen vor. Babekan<br />

und ihre Tochter Toni hatten den Auftrag, alle Weißen, die auf der Flucht vor den<br />

Schwarzen sind und bei ihnen eine Zuflucht suchen so zu behandeln, als ob sie ihnen<br />

wirklich helfen wollten, und diese Weißen so lange im Hause zu behalten bis Congo<br />

Hoango heimkehrt und sie tötet. Aber eines Tages, als Hoango noch einmal gegen die<br />

129 Die Mulattin ist jemand, der einen schwarzen und einen weißen Elternteil hat.<br />

130 Die Mestize ist laut Sigrid Weigel die Bezeichnung für einen Mischling, der aus einer Verbindung zwischen<br />

Indianer(In) und Weißen hervorgegangen ist.<br />

39


Weißen kämpfte, klopft ein Schweizer Offizier - Gustav von der Ried – an die Tür, um im<br />

Hause des Congo Hoango für sich und sein Gefolge eine Zuflucht zu suchen. Babekan zeigte<br />

sich ihm gegenüber sehr hilfreich und bot dem Schweizer die Möglichkeit an, bei ihr eine<br />

Nacht zu verbringen. Tonis Aufgabe dieser Nacht bestand darin, Gustav ein Fußbad<br />

anzubieten. In der Nacht verliebt sich Toni in Gustav und sie beschlossen sich zu verloben.<br />

Doch am nächsten Morgen erzählt Babekan Toni von ihrem Plan, Gustav wie die anderen<br />

Weißen zu verraten, was Toni entsetzt. Deswegen unternimmt sie alles, um Gustavs Leben<br />

zu retten und hintergeht sogar ihre Mutter, denn sie entscheidet sich dafür , Gustav Congo<br />

Hoango nicht zu überlassen, sondern ihn zu retten. Als Hoango verfrüht nach Hause kommt,<br />

entschließt sie sich, den schlafenden Gustav, ans Bett zu fesseln, um Zeit zu gewinnen und die<br />

Familie von Gustav zu Hilfe anzurufen. Aber als Gustav von seiner Familie befreit wird,<br />

erschießt er Toni im Glauben, sie habe ihn ausliefern wollen und als er erfährt, dass sie ihm<br />

helfen wollte, begeht er Selbstmord.<br />

3.3. Personencharakterisierung<br />

In dieser Novelle gibt es zahlreiche Figuren, die in zwei Gruppen eingeteilt werden<br />

können. Nämlich die Haupt-und Nebenfiguren.<br />

3.3.1. Die Hauptfiguren<br />

Unter Hauptfiguren werden die Figuren verstanden, die im Mittelpunkt des Geschehens<br />

stehen.<br />

3.3.1.1. Congo Hoango<br />

Congo Hoango war, bei dem allgemeinen Taumel der Rache, der<br />

auf die unbesonnenen Schritte des National Konvents in diesen<br />

Pflanzungen aufloderte, einer der Ersten, der die Büchse ergriff,<br />

und, eingedenk der Tyrannei, die ihn seinem Vaterlande entrissen<br />

hatte, seinem Herrn die Kugel durch den Kopf jagte. (699)<br />

Diese Textstelle aus der Novelle „Die Verlobung in St. Domingo“ von Heinrich von Kleist<br />

äußert sich schon ausdrücklich sehr viel über den Charakter des bereits etwas älteren Congo<br />

Hoango aus. Congo Hoango kommt aus der Goldküste Afrikas und war lange Zeit Sklave des<br />

Plantagenbesitzers Guillaume von Villeneuve. Nachdem er seinem Herrn auf einer Überfahrt<br />

nach Cuba das Leben gerettet hatte, schenkte er ihm die Freiheit und machte ihn zum<br />

Aufseher seiner Plantage. Als Congo Hoango 60 Jahre alt wird, schickt ihn Herr Guillaume<br />

von Villeneuve mit einem Gehalt in den Ruhestand. Doch Congo Hoango hat immer noch<br />

40


nicht vergessen, wie die Weißen ihn aus seiner Heimat verschleppt haben und deshalb hasst er<br />

alle Weißen - und auch seinen ehemaligen Herrn, obwohl er ihm soviel Gutes getan hat. Eines<br />

Tages greift er, wie in der Textstelle zu lesen ist, zur Büchse und erschießt Herrn Guillaume<br />

von Villeneuve. Er sammelt viele seiner Gefährten um sich und zieht mordend und plündernd<br />

durch das Land. Seiner Frau Babekan, die schon seine zweite Frau ist, und seiner Tochter<br />

Toni hat er den Auftrag gegeben, den Weißen, die in dem Haus Villeneuves Hilfe suchen,<br />

eine Falle zu stellen. Der Erzähler unterstreicht in dieser Hinsicht, dass Hoango „ förderte, in<br />

seiner unmenschlichen Rachsucht, sogar die alte Babekan mit ihrer Tochter […] an diesem<br />

grimmigen Kriege, bei dem er sich ganz verjüngte, Anteil zu nehmen“(700). Sie sollten ihnen<br />

Sicherheit vortäuschen und sie solange hinhalten, bis er zurück kommt, um die Weißen, die<br />

sich im Haus eingefunden haben, zu töten. Neben Toni hat er noch zwei uneheliche Kinder,<br />

Seppy und Nanky, die er sehr liebt. Nun zieht er mit seiner Gefolgschaft los, um General<br />

Dessalines, der den Aufstand der Schwarzen anführt, Munition zu bringen und lässt Frau und<br />

Kinder zurück. Als Congo Hoango zurück kommt, wird er von der Gefolgschaft Gustav von<br />

der Rieds überrascht und gefesselt und muss zusehen, wie sie Nanky und Seppy verschleppen,<br />

doch kann er beide am Ende unversehrt an einem vorher ausgemachten Ort abholen. Über das<br />

Aussehen von Congo Hoango wird nichts gesagt. Sein Charakter ist auf der einen Seite<br />

grausam und listig, immer dann, wenn es um die Weißen geht, aber wenn es um seine Kinder<br />

geht, wird er sanft und nett, das sieht man an seiner Liebe zu Seppy und Nanky.<br />

3.3.1.2. Babekan<br />

Babekan, eine alte dunkelhäutige Mulattin, ist die Frau von Congo Hoango und die<br />

Mutter einer Mestizin namens Toni. Sie ist wie Congo Hoango etwa 60 Jahre alt und eine<br />

entfernte Verwandte von Hoangos verstorbene Frau. Als Mulattin hat sie zwar auch weißes<br />

Blut, doch ist ihr Hass auf die Weißen ungetrübt. Mit schrecklicher Befriedigung tötet sie alle<br />

Weißen, die sich von ihr in das Haus locken lassen. Hinterlistig spielt sie den Weißen ein<br />

freundliches, altes Mütterchen vor, um sie später kaltblütig zu ermorden. Dies alles tut sie<br />

zwar auf die Anweisung Congo Hoangos, doch auch sie selbst hält ihr Tun für richtig. Um<br />

sich an den Weißen zu rächen, benutzt sie sogar ihre eigene Tochter als Köder. Diese zwingt<br />

sie, die Weißen zu verführen und ins Haus zu locken. Doch als Toni sich in einen weißen<br />

Mann verliebt, droht sie Babekans Plan zusammenzubrechen. Also hintergeht Babekan auch<br />

ihre eigene Tochter Toni, damit Toni von Congo Hoango ermordet werden können. Deshalb<br />

versicherte sie „ dem Neger, dass das Mädchen eine Verräterin, und der ganze Anschlag,<br />

derselben habhaft zu werden, in Gefahr sei, zu scheitern“( 717). Ihr Hass auf alle Weißen ist<br />

41


daher größer als die Liebe zu ihrem eigenen Kind, das sie immer nur als Mittel zum Zweck<br />

benutzt.<br />

3.3.1.3. Toni<br />

Toni ist ein fünfzehnjähriges Mädchen. Sie ist die leibliche Tochter von einem Weißen<br />

namens Bertrand und der Mulattin namens Babekan und lebt bei dem Neger Congo Hoango.<br />

Die Mestizin ist in dem Schweizer Offizier Gustav von der Ried verliebt und sogar mit ihm<br />

verlobt. In der Novelle durchläuft Toni eine charakteristische Verwandlung. Toni wird von<br />

einer verbitterten Einzelgängerin zu einer verliebten Märtyrerin. Sie ist durch die Erziehung<br />

von Babekan und Congo Hoango geprägt. Dementsprechend zielt ihr Handeln auf die<br />

grausame Ermordung der Weißen ab. Ihre Eltern, welche mit dem Krieg gegen die Weißen<br />

beschäftigt sind, schenken ihr nicht genügend Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit, deshalb sieht<br />

sie in Gott ihre einzige Vertrauensperson, was man daran sieht, dass sie wiederholt zu Gott<br />

betet. Sie sagt in dieser Hinsicht: ich „werde vor Gott, dass ich mich auf ihre Seite stellte, zu<br />

verantworten wissen“. (722)Das Auftauchen Gustav von der Rieds bringt Toni vollkommen<br />

aus der Fassung. Ihre erst gespielte Rolle entwickelt sich zu einer wahren, aber auch<br />

komplizierten Liebe. Sie weiß nie genau, ob sie ihm vertrauen kann oder nicht. Nun befindet<br />

sie sich in einem Gewissenskonflikt, weil sie hin und her zwischen der Liebe zu Gustav und<br />

den Regeln und Vorschriften der Eltern und ihres Umfelds gerissen ist. Gustav ist die erste<br />

Person, der Toni blind vertraut, und der sie sich öffnet. Sie entscheidet sich für Gustav, was<br />

auf die Geschichte um Mariane Congreve, die ehemalige Verlobte Gustavs, zurückzuführen<br />

ist, denn auch diese hat sich vor vielen Jahren für Gustav aufgeopfert. Außerdem sucht sie in<br />

jeder noch so aussichtslosen Situation nach einem Ausweg, gibt also niemals auf.<br />

3.3.1.4. Gustav von der Ried<br />

Gustav von der Ried, der von dem Erzähler mit den stereotypen Wendungen „der<br />

Fremde“, „der Jüngling“ und am Ende sogar mit „der Mörder“ bezeichnet wird, nimmt in<br />

dieser Novelle die Rolle des Fremden, des Mannes, der die Liebe Tonis gewinnt, ein. Er ist<br />

ein Söldner, denn er ist ein weißer Offizier aus der Schweiz, der für Geld in der französischen<br />

Armee arbeitet. Im kritischen Kontext sucht er in der Niederlassung Congo Hoangos Schutz<br />

für sich und seine Familie. Zuerst wirkt er verunsichert und ängstlich, doch während des<br />

Abendbrotes entpuppt er sich als ein höflicher und offener Mann. Aus Gründen des Anstands<br />

und als eine Art Gegenleistung für die „Hilfe“ Babekans legt er seinen Degen ab, und da er<br />

Babekan die Rolle des lieben Mütterchens verlieh, wird einem das Gefühl vermittelt, dass er<br />

42


möglicherweise naiv ist. Mit Sicherheit hingegen kann man sagen, dass er und sehr<br />

verantwortungsbewusst ist, da er gleich seine Familie in den ihm angebotenen Schutz<br />

einbinden und dadurch für ihr Wohl sorgen will. Er hat ein schlechtes Gewissen, da er in einer<br />

warmen Stube, mit Speise und Trank und einem solch hübschen Mädchen, nämlich Toni,<br />

verweilt, während sein Gefolge draußen in kalter Nacht friert und womöglich Angst hat.<br />

Gustav von der Ried ist ein zärtlicher, attraktiver Mann, der von der Liebe geleitet<br />

wird und zuerst Zuneigung, später Liebe zu Toni empfindet: „Er nahm sich das kleine<br />

goldene Kreuz […]und, indem er sich unter unendlichen Liebkosungen über sie neigte, hing<br />

er es als Brautgeschenk, wie er es nannte, um den Hals.“(710)Er ist so sehr von ihrer<br />

lieblichen Gestalt und ihrer blühenden Jugend verzaubert, dass es ihm nichts mehr ausmacht,<br />

dass sie eine Mestizin ist; er würde sogar aus einem vergifteten Becher mit ihr trinken wollen<br />

. Zwischen den beiden kommt es sogar zu einer Liebesnacht und einer spontanen Verlobung -<br />

und er ist voll optimistischer Gedanken, da er über die gemeinsame Zukunft schwärmt.<br />

Deshalb versprach er ihr „indem er ihre Hand bald streichelte, bald küsste, dass er bei ihrer<br />

Mutter am Morgen des nächsten Tages um sie anhalten wolle“(710). Doch als er sich dann als<br />

Opfer, also von seiner geliebten Toni hintergangen und verraten meint, sieht er schwarz. Er<br />

verachtet sie, ist blind vor Wut, durchschaut Tonis Plan nicht und handelt deshalb in wilder<br />

Raserei. Als er dann aber begreift, dass Toni seine Retterin war und sich für ihn geopfert hat,<br />

ist er zu Recht über seine Reaktion erschüttert und bereut diese heftig. Seine Wut wandelt sich<br />

in Mitleid um, mit „jammervoll zerrissenem Herzen“(S.724, Z.27) zeigt er, dass er Toni<br />

zutiefst liebte und aus Verzweiflung und vor Wut über sich selbst nimmt er sich schließlich<br />

das Leben. Er hat zwei geliebte Frauen auf gleiche Weise verloren, beide opferten sich für<br />

ihn, um ihn zu retten. Wie muss man sich wohl fühlen, wenn man dies begriffen hat? - Kein<br />

Wunder, dass sich Gustav aus Verzweiflung und Selbsthass das Leben durch das Pistole<br />

nimmt.<br />

3.3.2. Nebenfiguren<br />

Die Nebenfiguren sind die Figuren jene Figuren, die in der Novelle von den anderen<br />

Figuren oder von dem Erzähler nur erwähnt sind, deswegen werden einige von ihnen auch<br />

erwähnt oder kurz besprochen. Sie sind unter anderen: Bertrand, Mariane Congrève, Herr<br />

Strömli usw.<br />

In der Tat ist Bertrand ein ehrgeiziger und aufstrebender reicher Kaufmann aus Paris.<br />

Er mischte sich beim Ausbruch der Revolution in die öffentlichen Geschäfte, und ging im<br />

43


Jahre1795 mit einer französischen Gesandtschaft an den türkischen Hof. Er betrog und verließ<br />

Babekan während ihrer Schwangerschaft zu Paris, weil er eine junge reiche Braut heiraten<br />

wollte. Daneben gibt es Mariane.<br />

ehemalige<br />

Mariane Congreve aus Straßburg ist die Tochter eines Kaufmannes. Sie ist die<br />

und verstorbene Geliebte Gustavs. Aufgrund ihres durch Liebe geleiteten<br />

Handelns opfert sie sich (wie später auch Toni) für den Mann, den sie liebt. Außer Mariane<br />

kann man auch Herr Strömli erwähnen.<br />

Herr Strömli ist der Onkel von Gustav und Vater von fünf Kindern, darunter Adalbert<br />

und Gottfried. Er spielt eine sehr strategische Rolle, denn er nimmt Hoangos Kinder als<br />

Geisel, um Sainte Lüze -mit seiner Gefolge aus zwölf Personen und zwar: seine Frau, die<br />

Kinder, die Knechte und Mägde- zu erreichen. Er ist wahrhaftig, weil er die Kinder von<br />

Congo Hoango (die Geisel) wie versprochen lebendig freigelassen hat.<br />

3.3.3. Aktantenschema<br />

Die Figurenkonstellation auch Aktantenschema 131 in der Novelle kann nach dem<br />

Greimas Modell so dargestellt werden:<br />

Sender: Objekt: Empfänger:<br />

Liebe Gustavs Befreiung Reise nach Europa;<br />

Heirat; Toni; Gustav; die<br />

Verwandten von Gustav.<br />

Teilnehmer: Subjekt: Gegner:<br />

Die Familie von Gustav Toni Der Stamm der Neger<br />

Dieses Schema ist erklärungsbedürftig. Bis dahin war die Mestize Toni mehr oder<br />

minder eine Anhängerin des Rassenkampfs. Sie half ihrer Mutter, die Weißen zu verraten,<br />

die in dem Haus Hoangos während seiner Abwesenheit verweilen. Aber als sie Gustav<br />

kennenlernte, verliebte sie sich in ihn. Gustav verliebt sich auch in Toni. „Er schwor ihr, dass<br />

die Liebe für sie nie aus seinem Herzen weichen würde“( 711). Aus Liebe (Sender)trifft sie<br />

die Entscheidung, Gustav zu befreien, der inzwischen in Congo Hoangos Haus als<br />

131 Julien Algirdas Greimas, 1966, Sémantique structurale, Paris, Larousse.<br />

44


Gefangener bleibt. Darüber äußert sich Toni wie folgt: „So schwöre ich dir (Babekan), dass<br />

ich eher zehnfachen Todes sterben, als zugeben werde, dass diesem Jüngling( Gustav), so<br />

lange er sich in unserm Hause befindet, auch nur ein Haar gekrümmt werde“(719). Damit<br />

wird der Konflikt zwischen Toni und ihre Eltern ausgelöst. Um Liebeswillen setzt Toni alle<br />

Hebel in Bewegung, um Gustav zu retten (Objekt). Jetzt bezeichnet Toni den Rassenkampf<br />

als „ Gräueltaten“, als „Unmenschlichkeit“. Die Mitglieder des Stamms der Neger muss sie<br />

jetzt bekämpfen. Diese werden zu Gegnern. Sie müssen unschädlich gemacht werden, damit<br />

Gustav befreit wird. Wie dem auch sei, agiert Toni nicht allein. Sie überzeugt die Familie<br />

Gustavs, demselben zu helfen. Indem sie Toni dazu hilft, Gustav zu retten, treten sie als<br />

Teilnehmer Tonis auf. Ist Gustav befreit, beabsichtigen die beiden Liebespärchen nach<br />

Europa zu reisen, und sich dort trauen zu lassen. ( Empfänger) .<br />

3.4. Der Raum der Erzählung<br />

Die Erzählung beginnt direkt mit einer Beschreibung des Raumes, in der zwei Parteien<br />

(die Schwarzen und die Weißen) voneinander abgegrenzt werden: „Zu Port au Prince, auf<br />

dem französischen Anteil der Insel St. Domingo“. (699)Dieser Ausschnitt aus dem ersten<br />

Satz der Novelle beschreibt explizit einen Schauplatz. Hier befindet man sich also auf dem<br />

französischen Teil der Insel Santo Domingo (spanischer Name für Haiti). Diese Karibikinsel<br />

war eine französische Kolonie und bis 1791 von einer Drei-Klassen-Gesellschaft dominiert:<br />

weiße Herren, ‚privilegierte Mulatten‘ 132 und versklavte Schwarze. Im Verlauf des 18.<br />

Jahrhunderts wurde sie, wie oben gesagt, zur reichsten Kolonie des Kolonialreichs; im Jahre<br />

1791 erklärte die französische Nationalversammlung die Gleichberechtigung der Mulatten, es<br />

kam unter der Führung von Toussaint Louverture und Jean-Jacques Dessalines zu einem<br />

Sklavenaufstand, der in einen Zermürbungskrieg gegen die französischen Truppen mündete.<br />

Selbst eine von Napoleon nach Saint-Domingue gesandte Armee wurde geschlagen. Es<br />

folgten Aufstände und verschiedene Auseinandersetzungen. Saint-Domingue erklärte am<br />

01.01.1804 unter dem Namen Haiti seine Unabhängigkeit von Frankreich. Gouverneur der<br />

Insel wurde (der schwarze) Jean-Jacques Dessalines 133 .<br />

Der Raum setzt der einen Rahmen für Ereignisse und Handlungen, und kann als<br />

Orientierungsrahmen der handelnden Personen gelten. Damit legt er natürlich auch die<br />

Parameter des Lebensraumes fest, der die Wirklichkeitssicht der Personen bestimmt und auf<br />

132 In der Tat gab es Ungleichheit unter den Mulatten. Einige waren Privilegierten und die anderen nicht.<br />

Deshalb kommt später die Gleichberechtigung unter ihnen.<br />

133 Vgl. François Blancpain, 2004, a.a.O, s.123.<br />

45


ein schwarz-weiß-Schema hin definiert. Die beiden Lager scheinen klar gegeneinander<br />

abgegrenzt zu sein, und damit ebenso die moralischen Wertungen: die Schwarzen ermorden<br />

die Weißen, Anführer der Schwarzen ist „ein fürchterlicher alter Neger“ (S.699). Der Erzähler<br />

schematisiert das Ineinandergreifen von Sklavenaufstand und Unabhängigkeitskrieg zu einem<br />

einfachen, schwarz-weißen Parteienkonflikt. In dieses Raster ordnen sich dann auch die<br />

Figuren ein - ohne explizite Zuordnung, allein durch das Merkmal der Hautfarbe. Schwarz ist<br />

böse, weiß ist gut.<br />

3.5 Die Erzählsituation<br />

Die Geschichte dieser Novelle wird aus einer berichtenden Perspektive erzählt. Der<br />

Erzähler ist in erster Linie nicht Heinrich von Kleist, er steht über dem Geschehen und nimmt<br />

nicht an der Handlung teil. Seine Haltung ist eher wertend als neutral. Durch seine<br />

Erzähltechnik ist er im Grunde genommen der Verwalter der Informationen. Der Erzähler<br />

macht einen allwissenden Eindruck, deshalb kann man von einer auktorialen Erzählsituation<br />

sprechen. Er spricht sich vor allem Dingen gegen den Aufstand der Sklaven aus und hat schon<br />

rassistische Merkmale. Dies lässt sich erklären durch die Tatsache, dass er Congo Hoango als<br />

„fürchterlichen alten Neger“ beschreibt und diesen auch in der Vorgeschichte auch noch<br />

Attribute wie: „undankbar“, “rachsüchtig“ und „brutal“ zuschreibt.<br />

Ein anderes Zeichen dafür, dass der Erzähler auktorial ist, ist dieser Kommentar: „Was<br />

weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden, weil es jeder, der an diese Stelle kommt, von<br />

selbst liest.“(Vgl.S.710).<br />

Durch diese auktoriale Erzählsituation bekommt der Leser das Gefühl, dass der Erzähler<br />

die Situation nur beobachtet hat und nun aus seiner Perspektive wiedergibt. Dies wird durch<br />

den häufigen Gebrauch der indirekten Rede noch verstärkt. Mit Hilfe dieser Methode schafft<br />

Kleist einen gewissen Abstand zwischen den Figuren und den Lesern und somit zwischen der<br />

fiktiven Welt und der Realität. Damit erreicht er, dass die Leser die Geschichte<br />

46


zeigt:<br />

mit Abstand betrachten können und demzufolge auch etwas davon lernen können.<br />

Außerdem verwendet Kleist in seiner Novelle lange und kompakte Sätze wie das folgende<br />

Doch Toni, deren Brust flog, antwortete hierauf nicht, oder nichts<br />

Bestimmtes; das Auge zu Boden geschlagen, stand sie, indem sie sich den<br />

Kopf hielt, und berief sich auf einen Traum; ein Blick jedoch auf die Brust<br />

ihrer unglücklichen Mutter, sprach sie, indem sie sich rasch bückte und ihre<br />

Hand küsste, rufe ihr die ganze Unmenschlichkeit der Gattung, zu der dieser<br />

Fremde gehöre, wieder ins Gedächtnis zurück: und beteuerte, indem sie sich<br />

umkehrte und das Gesicht in ihre Schürze drückte, dass, sobald der Neger<br />

Hoango eingetroffen wäre, sie sehen würde, was sie an ihr für eine Tochter<br />

habe.(713)<br />

Durch diese Kompaktheit der Sätze, verdeutliche Kleist, dass auch die Welt sowie die<br />

Stellung der Menschen komplex, und nicht einfach ist. Dadurch könne er auch verdeutlichen,<br />

dass in der Welt viele Sachen auf einmal geschehen können und man kann nicht auf den<br />

ersten Blick, die Identität des Mischlings wahrnehmen.<br />

47


KAPITEL IV:<br />

IDENTITÄTSWECHSEL DER MISCHLINGSFIGUREN : BABEKAN UND<br />

TONI<br />

In dem dargestellten Konflikt der Rassenkämpfe lassen sich zwei Gruppen<br />

voneinander trennen. Zum einen die Weißen und zum anderen die Schwarzen. Die<br />

Hautfarbe setzt in diesem Fall den Standpunkt klar fest und nicht die Meinung, wie es<br />

eigentlich bei einer Revolution der Fall ist. Nur so genannte ‚Mischlinge‘ können sich für<br />

eine Meinung entscheiden. Aus diesem Grund steht die Identität der Mischlingsfiguren im<br />

Mittelpunkt dieses Kapitels. Die Auseinandersetzung mit dem Identitätswechsel der<br />

Mischlingsfiguren Babekan und Toni kann erfolgreich durch das Verfahren der Mimikry<br />

vollzogen werden. Ausgehend von der These, dass die Darstellung des Kolonialismus in der<br />

Verlobung in St. Domingo sich dem Verfahren der Mimikry bedient, gilt es zu untersuchen,<br />

wie Mimikry in der Novelle in Erscheinung tritt und welche Rolle Babekans und Tonis<br />

kunstvolles Täuschungsmanöver dabei spielt. Die Kunst der List zeigt auf, wie koloniale<br />

Subjekte die Position einer Unterlegenheit strategisch zum eigenen Vorteil nutzen können.<br />

4.1.Babekans Identitätswechsel<br />

4.1.1. Babekans Maskerade in Anwesenheit der Weißen<br />

Babekan wird im Text als eine dunkelhäutige Mulattin bezeichnet. Sie wurde von<br />

einem Franzosen enttäuscht und hat eine Rache gegenüber dieser Rasse entwickelt; fünfzehn<br />

Jahre später setzt sie noch alle Hebel in Bewegung, um die Weißen zum Tode zu führen.<br />

Babekans strategisches Einnehmen des kolonialistischen Standpunktes bedient sich einer<br />

ethnischen Maskerade, in der sie als „Mulattin“ eine weiße Identität inszeniert. Das heißt<br />

Babekan repräsentiert sich als eine Weiße in Anwesenheit der weißen Flüchtlinge, um diese<br />

anzulocken. Sie bekräftigt ihre Meinung mit der Tatsache, dass sie eine hellhäutige Tochter<br />

hat. Bei Gustavs Ankunft an der Pflanzung, versucht sie ihn zu versichern; deshalb auf<br />

Gustavs Frage: „Seid ihr eine Negerin?“ antwortete sie folgenderweise: „Hier wohnt eine<br />

Mulattin und die einzige, die sich außer mir noch im Hause befindet, ist meine Tochter, eine<br />

Mestize!“(S.700) Von dieser Aussage Babekans ausgehend, kommt klar heraus, dass<br />

Babekan ihre Tochter als Mittel zum Zweck bzw. als Köder benutzt, um sich an den Weißen<br />

48


zu rächen. Darum ermunterte Babekan Toni „den Fremden keine Liebkosung zu<br />

versagen“(700). Durch die Kunst der List versucht die alte Babekan, wichtige Information<br />

über Gustavs Familie zu bekommen. Es gelingt ihr, den Fremden in einer scheinbaren<br />

Sicherheit zu bringen, denn Gustav zeigt ein blindes Vertrauen zu diesen weiblichen Figuren<br />

und besonders zu der Mutter. Er spricht mit einer Zärtlichkeit von seinem Gefolge; Er<br />

spricht also mit folgenden Wörtern:„Ich bin allein gutes Mütterchen; in meinem Gefolge,<br />

das ich zurückgelassen, befindet sich ein ehrwürdiger alter Greis, mein Oheim[…]ein Tross<br />

von zwölf Menschen“(702).<br />

Babekans Anpassung 134 , die nicht nur die kolonialistische Blindheit Gustavs (der<br />

Schweizer Offizier im Dienste der französischen Kolonialmacht) exemplarisch vorführt,<br />

sondern auch die kolonialistische Erzählstimme in eine Notlage bringt, lässt sich als die<br />

Artikulation einer Politik ‚kolonialen Widerstands‘ verstehen, wie sie die postkoloniale<br />

Theorie in Bezug auf die Handlungsfähigkeit kolonialer Subjekte herausgearbeitet hat. Die<br />

Forschung hat bei der Erörterung von Babekans Täuschungsmanöver vielfach versäumt,<br />

Babekans Inszenierung des „Geschlecht[s] der Weißen“ im weiteren Kontext einer<br />

Widerstandspolitik kolonialer Subjekte zu lesen (707). Babekan inszeniert durch das<br />

Verfahren der Mimikry eine kolonialkritische Gegenperspektive, indem sie die<br />

Idealisierung, die in allen Weißen in der Kolonialordnung angelegt wird, zum eigenen<br />

Vorteil verwendet. Babekans Täuschungsmanöver vor dem Hintergrund von Bhabhas<br />

Theorie zu begreifen, ermöglicht, die Voraussetzungen ihrer Kunst der List aufzudecken, die<br />

sich spezifisch einer Mimikry des „Geschlecht[s] der Weißen“ bedient (707). Die Kunst der<br />

Täuschung wird letztlich nur durch eine Untersuchung der Inszenierungspraktiken des<br />

ethnischen und sozialen Geschlechts zugänglich, wie diese in ihrer kolonialen Konstruktion<br />

von Babekan und Toni nachgestellt und herbeizitiert werden, jedoch nicht durch einen<br />

davon abgekoppelten abstrakten Begriff der Täuschung.<br />

In der Novelle tritt Mimikry zunächst durch die vom Erzähler beschriebene<br />

„grässlich[e] List“ Babekans in Erscheinung (S.700), in der Babekan ihre Tochter Toni als<br />

Köder benutzt, um die vor den aufständischen Sklaven fliehenden Weißen und Kreolen in<br />

das ehemalige Hauptgebäude der Plantage zu locken. Dieser Täuschungsakt beruht auf einer<br />

ethnischen Maskerade, in der sich Toni als Weiße ausgibt, eine Maskerade, die laut dem<br />

Erzähler erfolgreich ist, da der schon „ins Gelbliche gehenden Gesichtsfarbe“ Tonis durch<br />

134 Elke Heckner, a.a.O, S.245.<br />

49


die weiße Kleidung nachgeholfen werde (S.700). Babekan betont eben die Grausamkeit und<br />

die Unmenschlichkeit Hoangos gegenüber sich selbst und ihrer Tochter, weil sie weiß sind.<br />

Sie behauptet:<br />

Jedes Stück Brot, jeden Labetrunk, den wir aus Menschlichkeit einem oder dem<br />

andern der weißen Flüchtlinge, die hier zuweilen die Straße vorüberziehen,<br />

gewahren, rechnet er uns mit Schimpfwörtern und Misshandlungen an; und<br />

nichts wünscht er mehr, als die Rache der Schwarzen über uns weiße und Kreole<br />

Halbhunde, wie er uns nennt. 135 (703)<br />

Für Babekan, die im Text als dunkelhäutige Mulattin bezeichnet wird, kommt ein<br />

vergleichbarer Akt der Maskerade nicht in Frage. Sie wendet Mimikry dahingehend, dass sie<br />

sich die kolonialistische Sprache der Weißen aneignet. Babekan gibt, mit anderen Worten, in<br />

ihrer Rede die von ihr zitierten kolonialistischen Standpunkte als ihre eigenen aus und stellt<br />

so mittels des Sprechaktes ihre vermeintliche symbolische Solidarität mit Weißen und<br />

Kreolen her. In ihrer Rede gegenüber Gustav offenbart Babekan ihre Strategie der Mimikry:<br />

Wenn wir uns nicht durch die List und den ganzen Inbegriff jener Künste, die die<br />

Notwehr dem Schwachen in die Hände gibt, vor ihrer Verfolgung zu sichern<br />

wüssten: der Schatten von Verwandtschaft, der über unsere Gesichter<br />

ausgebreitet ist, der, könnt Ihr sicher glauben, tut es nicht! (703)<br />

Während Babekan im Sprechakt ihre List preisgibt und so die Wahrheit spricht,<br />

täuscht sie zugleich Gustav, indem sie vorgibt, ebenso wie er, von den aufständischen<br />

ehemaligen Sklaven verfolgt zu werden. Babekans vermeintliche Offenlegung ihrer List<br />

dient der Festigung ihres bereits zuvor rhetorisch hergestellten symbolischen Weißseins, aus<br />

dem Gustav ein gemeinsames Schicksal der Verfolgung durch Aufständische ableitet 136 .<br />

„Wie? rief der Fremde. Ihr, die Ihr nach Eurer ganzen Gesichtsbildung eine Mulattin, und<br />

mithin afrikanischen Ursprungs seid, Ihr wäret […] mit uns Europäern in einer<br />

Verdammnis?“ (703) Gustavs Umpolung seiner vorprogrammierten Rassenwahrnehmung,<br />

nach der allen Dunkelhäutigen nicht zu trauen sind, wird durch Babekans und Tonis<br />

erfolgreiches passing 137 bewirkt, so dass Babekan in seinen Augen letztlich ‚weiß‘ werden<br />

kann.<br />

135 Hervorhebung von der Verfasserin.<br />

136 Vgl. Heckner, a.a .O S.232.<br />

137 Im angloamerikanischen Theoriediskurs wird die erfolgreiche Annahme und Inszenierung einer Identität, die<br />

nicht die eigene ist und dennoch als eigene dargestellt wird, als Passing bezeichnet. Die Effektivität der<br />

Inszenierung beruht auf der Überzeugungskraft ihrer Performanz.<br />

50


4.1.1.2 Erfolge von Babekan im Täuschungspiel<br />

Der Erfolg von Babekans Mimikry beruht auf der impliziten<br />

Unhinterfragbarkeit des kolonialistischen Diskurses, der die Gültigkeit und Legitimität<br />

seiner Standpunkte als gegeben voraussetzt 138 . An verschiedenen Textstellen wird deutlich,<br />

dass Babekans Rhetorik weißer Zugehörigkeit im Laufe ihrer Rede ambivalente Bedeutung<br />

annimmt, die im Leser Zweifel an ihrer zuvor behaupteten Loyalität gegenüber den Weißen<br />

aufkommen lässt. Gustav ist jedoch unfähig, die in ihrer Rede implizierten Einschränkungen<br />

zu erkennen, selbst wenn diese vor ihm ausgebreitet werden. Gustav hinterfragt so<br />

beispielsweise nicht eine an Tonis Vater geknüpfte Loyalitätsbekundung, in der Babekan<br />

verspricht, Gustav und seiner Familie „um des Europäers, meiner Tochter Vater willen“<br />

(705) zu helfen. Für ihn bleibt der Begriff des „Europäers“ weiterhin positiv konnotiert,<br />

selbst als sich herausstellt, dass Bertrand seine Vaterschaft gerichtlich verleugnet, worauf<br />

Babekan durch eine grausame Auspeitschung bestraft wird, von der sie, wie der Erzähler<br />

berichtet, die Schwindsucht davontrage (706). Das bedeutet, dass Gustav unfähig ist,<br />

zwischen den Zeilen zu lesen. Für Gustav stellen sich Sachverhalte in ihrer<br />

Buchstäblichkeit dar. 139 Genau diese Buchstäblichkeit wird in Babekans Rede aufgegriffen<br />

und ironisch verkehrt, wenn sie Gustavs Äußerung einer „grausame[n] und unerhörte[n]<br />

Erbitterung, welche alle Einwohner dieser Insel ergriffen hat“ (703) zitiert und die koloniale<br />

Logik des Satzes im Akt der Wiederholung ad absurdum führt. Babekans Rede scheint<br />

zunächst das von Gustav hervorgebrachte Erstaunen über die unbegründet erscheinende<br />

Erbitterung zu teilen, das auf der Ausblendung und dem ‚Vergessen‘ der Praktiken des<br />

Kolonialismus beruht.<br />

Ja, diese rasende Erbitterung, heuchelte die Alte. Ist es nicht, als ob die Hände<br />

eines Körpers, oder die Zähne eines Mundes gegen einander wüten wollten, weil<br />

das eine Glied nicht geschaffen ist, wie das andere? Was kann ich, deren Vater<br />

aus St. Jago, von der Insel Cuba war, für den Schimmer von Licht, der auf<br />

meinem Antlitz, wenn es Tag wird, er dämmert? Und was kann meine Tochter,<br />

die in Europa empfangen und geboren ist, dafür, dass der volle Tag jenes<br />

Weltteils von dem ihrigen widerscheint? (703)<br />

Am Beispiel der Metapher des einen sich selbst ‚zerfleischenden Körpers‘ 140 zeigt Babekan<br />

die destruktive Wirkung des Prinzips der ethnisch-rassischen Differenz (‚weil das eine Glied<br />

nicht geschaffen ist, wie das andere‘) auf. Diesem liegen auf Hautfarbe basierende<br />

Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien zugrunde. Die Metaphorik des einen Körpers,<br />

138 Vgl. Heckner, a.a O, S.235.<br />

139 Ebd. S.234.<br />

140 Ebd.S.233.<br />

51


dessen Körperteile nun plötzlich und scheinbar unbegründeter Krieg gegeneinander führen,<br />

spielt auf die koloniale Fiktion eines Volks- bzw. Staatskörpers an, der diese quasi<br />

naturalisierte Einheit im Namen des Einen, d.h. der unhinterfragbaren Überlegenheit des<br />

weißen Geschlechts (im Sinne Kleists als Begriff für die weißen Kolonialherren) einfordert.<br />

Die Sprachfigur des einen Mundes legt das Privilegieren einer Stimme nahe zu der, andere<br />

Stimmen untergeordnet werden; die Figur der Hände bezeichnet einen Ort, durch den<br />

Gewalt ausgeübt wird. In Babekans verstellter Rede, die eine Verfolgung durch<br />

Aufständische vorgibt, kommt die spaltende Differenz erst durch den Aufstand der<br />

ehemaligen Sklaven gegen die Kolonialherren in den Blick, der die vermeintliche Einheit<br />

des zuvor harmonisch operierenden Staatskörpers gewaltsam aufbricht. Gustavs Äußerung<br />

aufgreifend, parodiert Babekan in der Nachäffung seiner Rede, die von ihm<br />

unausgesprochenen und sozusagen vergessenen Bedingungen des Kolonialismus: das<br />

Prinzip der ethnisch-rassischen Differenz, das schon immer konstitutiv für die<br />

Kolonialordnung war und erst in den Blick kommen kann, wenn es von den ehemaligen<br />

Sklaven gegen die französische Kolonialmacht gewendet wird 141 . Durch die Wiederholung<br />

von Gustavs Rede stellt Babekan seine ursprüngliche Äußerung einer scheinbar<br />

unbegründeten „grausame[n] und unerhörte[n] Erbitterung“ der ehemaligen Sklaven in<br />

Frage (703). In der Wiederholung des Satzes nimmt dieser eine Doppeldeutigkeit an, in<br />

der er seine vorherige Autorität einbüßt und nun in Babekans Replik als Kritik an der<br />

französischen Kolonialpolitik gelesen werden kann. Babekans parodistische Rede zeigt<br />

ferner die Willkür auf, mit der koloniale Subjekte der Zuordnung zu ihrer ‚Rassenkategorie‘<br />

ausgeliefert sind. Eine Kategorie, die sie nicht gewählt haben und die im Rahmen des<br />

biologistischen Diskurses dennoch ihren Status in der kolonialen Ordnung festlegt.<br />

Babekans mimetische Praxis, in der sie Gustavs Urteile bzw. Vorurteile wiederholt, jedoch<br />

diesen im Akt der Wiederholung ironisierend ihre vorherige Sprachautorität verweigert und<br />

in doppeldeutige Rede umwandelt, lässt sich innerhalb der von Bhabha beschriebenen<br />

Doppelbewegung verstehen, die koloniale Mimikry charakterisiert: eine aus<br />

kolonialistischer Perspektive vollzogene Anpassung, die letztlich nur eine scheinbare,<br />

partielle Anpassung sein kann. Sie eröffnet die Möglichkeit einer subversiven Verschiebung,<br />

die so den im Text ohnehin als fragil beschriebenen französischen Kolonialdiskurs weiter<br />

ins Wanken bringt.<br />

141 Ebd. S.237.<br />

52


Zusammenfassend kann gesagt werden, Babekan hat aufgrund ihrer erlebten<br />

Enttäuschung eine Rache gegenüber den Europäern entwickelt. Sie wurde von einem<br />

französischen Adeligen verraten, der betritt, Tonis Vater zu sein, und deswegen Babekan<br />

schlimm bestrafte. Durch diese schlechte Erfahrung überträgt sie nun ihren Hass auf alle<br />

Weißen, nicht nur auf Franzosen und will sich an ihnen rächen. Sie benimmt sich genauso<br />

wie Adolph Hitler gegenüber den Juden. Denn im zwanzigsten Jahrhundert, als Hitler gegen<br />

die Juden kämpfte, richtete er seinen Kampf nicht nur an die Juden, die sich in dem<br />

Christianismus nicht bekehren ließen, sondern auch an alle Juden. In ihrem Kampf ist<br />

Babekan von ihrer Tochter Toni begleitet und die beiden arbeiten auf den Seiten von Congo<br />

Hoango, und sie verhalten sich wie das Chamäleon. Das bedeutet, sie benutzt die List, um<br />

die Weißen anzulocken und führt diese zum Tode. Babekan wird in der Novelle als eine<br />

Figur dargestellt, die eine unstabile Identität hat. Zwar stützt sich ihre heutige Haltung den<br />

Weißen gegenüber auf ihre Vergangenheit, aber ihre Aktion schreibt sich in einer Dynamik<br />

der Kollektivität ein. Das heißt, Babekan kämpft für die Schwarzen im Allgemeinen. Also<br />

wie benimmt sich ihre Tochter, die ein hybrides Kind ist und, somit auf der Grenze<br />

zwischen weiß und schwarz steht?<br />

4.2. Identitätswechsel bei Toni<br />

4.2.1.Tonis Stellung vor der Begegnung mit Gustav von der Ried<br />

Toni, wie schon gesagt, steht zwischen den Fronten, denn sie ist doch eigentlich<br />

mehr weiß als schwarz. Ihr Vater ist ein Weißer und ihre Mutter eine Mulattin; bis jetzt hat<br />

sie auch noch mit keiner der beiden Seiten negative Erfahrungen gemacht. Doch durch die<br />

Erwartungen der Mutter und Congo Hoango scheint sie zu Beginn der Geschichte die<br />

Position der Schwarzen zu vertreten, da sie die Weißen in die Falle lockt.<br />

Bis zur Ankunft von Gustav auf der Plantage kann Toni als ein schwarzes Mädchen<br />

betrachtet werden, denn sie scheint die Anwesenheit der Weißen zu befürchten. In dieser<br />

Hinsicht fragte sie ihre Mutter, ob sie nichts zu befürchten hätten, falls sie der Fremde<br />

einließe. (701)In der Tat hat Toni keinen Grund auf der Seite der Weißen zu stehen, denn sie<br />

kennt ihren Vater nicht und lebt in einer schwarzen Familie. Toni benutzt die Lüge, um den<br />

Weißen eine Illusion der Sicherheit vorzutäuschen bis zur Ankunft Hoangos. Auf Gustavs<br />

Frage: „wer wohnt in diesem Hause?“lügt Toni, indem sie so beantwortet: „Niemand, bei<br />

dem Licht der Sonne, als meine Mutter und ich.“(701) Dann informiert Toni ihre Mutter<br />

über die List, die sie benutzt hat, um den Fremden zu locken. Sie stellte sich vor ihre<br />

53


Mutter, und erzählte ihr: wie sie die Laterne so gehalten hat, dass ihr voller Strahl davon ins<br />

Gesichts gefallen sei. (705)<br />

Tonis Maskerade soll sich, falls notwendig, sogar sexueller Offerten bedienen. Die<br />

Rolle, die der weibliche koloniale Körper bei dieser häuslichen Widerstandspolitik spielt,<br />

wird bereits in den abschätzigen Worten des Erzählers vorweggenommen, in denen es heißt,<br />

dass Toni „den Fremden keine Liebkosung […] versagen“ solle, „bis auf die letzte, die ihr<br />

bei Todesstrafe verboten war“ (S.700). Toni lotst durch ihr passing als weiß Gustav in das<br />

ehemalige Plantagengebäude Villeneuves.<br />

4.2.2.Tonis Identität nach der Begegnung mit Gustav von der Ried<br />

In der Nacht bleibt Toni bei Gustav und er macht ihr einen Heiratsantrag, nachdem<br />

sie ihm versichert hat, dass sie nicht bereits ist, jemandem zu versprechen, und nachdem er<br />

ihr von Mariane Congreve, seiner Ex-Verlobten, an welche Toni ihn erinnert, erzählt hat. Er<br />

beschreibt Mariane als „ die treuste Seele unter der Sonne“(709), wessen Güte er jedoch<br />

erst nach dem Tode kennenlernte. Beide sind durch diese Erzählung tief berührt, es<br />

entwickelte sich eine wahre Liebesnacht und Gustav hängt Toni das Kreuz von seiner<br />

verstorbenen Mariane als Brautgeschenk um. Daraufhin schenkt Toni Gustav auch als<br />

Vertrauensbeweis ihre Jungfräulichkeit. Diese lässt der Erzähler den Leser selbst entdecken,<br />

indem er folgendes sagt: „Was weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden, weil es jeder,<br />

der an diese Stelle kommt, von selbst liest.“(710) Durch diesen Akt läuft Toni auf Gustavs<br />

Seite über und identifiziert sich somit als weiße.<br />

Tonis Identitätswechsel zur Weißen beruht auf Gustavs Verführung, in der sie eben<br />

jene „letzte“ „Liebkosung“ vollzieht (700), die ihr nach dem Gesetz der Aufständischen<br />

unter Androhung Todesstrafe verboten ist. Der Geschlechtsakt ist der Wendepunkt, an dem<br />

Tonis Inszenierung ihrer Mimikry an ihre Grenzen stößt. Für Toni gibt es nach dem<br />

Geschlechtsakt kein Zurück mehr, denn laut dem Gesetz der Aufständischen hat sie mit der<br />

Übertretung des Verbots ihre schwarze Identität verspielt und ist symbolisch ‚gestorben‘.<br />

Wenn der Text beschreibt, dass Toni nach ihrer Verführung wie eine Leblose in Gustavs<br />

Armen liegt, dann lässt sich die Sprachfigur des ‚Leblosen‘ als die nun unmöglich<br />

gewordene Rückkehr zu einer schwarzen Identität begreifen. Die einzige Identität, die ihr<br />

noch zur Verfügung steht, ist die weiße, in der sie ‚wiederauferstehen‘ kann. Die Novelle<br />

verknüpft den letzten Akt der Liebkosung mit Tonis nachfolgendem Übertritt zum<br />

„Geschlecht der Weißen“ und räumt so jeden Verdacht aus, dass es sich bei dem<br />

54


Geschlechtsakt um einen Akt der Mimikry handelt. Vielmehr wird Gustavs Verführung als<br />

der Akt dargestellt, der den Bann der Mimikry bricht und Toni aus Babekans Welt<br />

„grässliche[r] List“ in eine christlich koloniale hinüberrettet. Die nach der Verführung<br />

herbeizitierte christliche Metaphorik 142 heiligt die Verführung als Missionierung, in der<br />

Toni von Gustav ein Kreuz als Brautgeschenk angelegt bekommt (719). Der Wechsel ihrer<br />

ethnischen Identität ähnelt in der Beschreibung einem Bekehrungserlebnis. Dass Not daran<br />

besteht, die Gewalt der Verführung durch Einbindung in einen geistigen Kontext zu<br />

sublimieren, bezeugen Tonis verschränkte Arme und der nicht enden wollende Tränenfluss,<br />

der erst durch Gustavs Heiratsversprechen halbwegs versiegt. Tonis inszenierte Identität und<br />

Gustavs Identität als Verführer wurden beide verwischt. Kurzum, diese ‚letzte Liebkosung‘<br />

wird zu einem Identitätswechsel führen, in dem die zunächst im Gewande des Feindes<br />

verführende Toni nun als Verführte in dessen Lager überläuft. Die Szene der Liebesnacht<br />

zeigt eine Entwicklung Tonis, da sie aus einer schwarzen Umwelt mit ihren Grausamkeiten<br />

gegenüber den Weißen stammt, und sie nach der gemeinsamen Liebesnacht mit Gustav aus<br />

einer tiefen Ohnmacht herausgeht, als neuer Mensch mit einem neuen Selbstbild und einer<br />

neuen Orientierung. Sie wechselt in die Welt der Weißen über. Sie hat die Rolle als<br />

Verlobte Gustavs angenommen, und erhofft sich, mit ihm nach Europa zu reisen. Nun steht<br />

Toni auf der Seite der Weißen. Ist diese neue Stellung endgültig?<br />

4.2.3. Tonis Stellung nach der Liebesnacht mit Gustav<br />

Der Morgen nach der Liebesnacht steht Toni bereits auf der Seite der Weißen, selbst<br />

gegenüber ihrer Mutter. Als Verlobte von Gustav ist Toni gegen den Plan ihrer Mutter<br />

Gustav an Congo Hoango auszuliefern, dann versichert sie ihr, dass sie keine Absicht habe,<br />

den Fremden zum Tode zu führen. Sie sagte es ihrer Mutter, indem sie wild aufstand:„du<br />

hast sehr Unrecht, mich an diese Greueltaten zu erinnern! Die Unmenschlichkeiten, an<br />

denen ihr mich Teil zu nehmen zwingt, empörten längst mein inneres Gefühl; […]auch nur<br />

ein Haar gekrümmt werde.“(712) Nach diesem Akt schickt die Mutter einen Jungen mit<br />

einem Korb Essen zu der Familie, um auch diese hinzuhalten, doch Toni gibt dem Jungen<br />

auch einen Brief von Gustav mit, indem er seine Familie einlädt, im Hause Hoangos<br />

Zuflucht zu suchen. Diese Szene zeigt deutlich, dass Toni sich als eine Weiße wahrnimmt,<br />

also wie lange wird diese neue Inszenierung dauern?<br />

142 Heckner , a.a.O S. 240.<br />

55


4.2.3.1. Tonis Stellung nach der Rückkehr Congo Hoangos<br />

In der Nacht kommt Congo Hoango unerwartet zurück. Babekan berichtet ihm sofort<br />

über Gustav und über ihren Verdacht, dass Toni den Fremden zur Flucht verhelfen will.<br />

Toni hat dieses Gespräch gehört und fesselt den schlaffenden Gustav, um Hoango von ihrer<br />

Unschuld zu überzeugen und ihn so zu täuschen. Hier inszeniert Toni noch einmal die<br />

Identität einer Schwarzen.<br />

Tonis Inszenierung ihrer schwarzen Identität erreicht ihren Höhepunkt in der<br />

Fesselungs- und Rettungsaktion Gustavs. Als sie von der frühen Rückkehr Congo Hoangos<br />

überrascht wurde, rechtfertigte sie, ihre Anwesenheit in Gustavs Zimmer, indem sie vorgibt,<br />

ihn durch die Fesselung gefangen genommen zu haben. Dadurch vermag sie Babekans und<br />

Congo Hoangos Vorwurf, Gustav Fluchthilfe geleistet zu haben, zu entkräftigen. Im<br />

Gegensatz zu Gustav, der blindlings von der Maskerade weißer Identität getäuscht wurde<br />

und auch Tonis Inszenierung schwarzer Identität nicht als Inszenierung erkennen kann,<br />

behält Babekan Zweifel an der ihr von Toni vorgeführten Darstellung. Obgleich sie sieht,<br />

dass Gustav nicht entflohen ist und in Fesseln liegt, versteht sie nichts von dem<br />

Zusammenhang. Babekan behauptete erstaunlich: „[…] der Fremde ist da, obschon ich von<br />

dem Zusammenhang nichts begreife“(718). Dem Moment, in dem Toni Gustav mit einem<br />

Strick an sein Bett bindet, kommt eine zweifache Bedeutung zu.<br />

Zunächst dieser Moment steht für Babekan und Congo Hoango für Tonis<br />

Bekräftigung des familiär-biologischen Bandes, indem Toni ihr Versprechen einlöst,<br />

Babekan unter Beweis zu stellen, „was sie an ihr für eine Tochter habe“(713). Dieses<br />

Versprechen wie auch ihre Fesselungsaktion beruhen auf ihrer Inszenierung einer schwarzen<br />

Identität. Tonis bewusstes ‚Versprechen‘ gibt so in seinem Sprechakt vor, ihre bereits<br />

vollzogene Trennung des familiären Bandes zu widerrufen. Für Gustav bedeutet die<br />

inszenierte Fesselungsaktion die Rettung, denn Toni gewinnt dadurch viel Zeit, um seine<br />

Verwandten zu Hilfe zu rufen.<br />

Dann wird Tonis Mimikry Gustavs Rettung ermöglichen, jedoch wird Tonis strategische<br />

Inszenierung ihrer schwarzen Identität ihr selbst zum Verhängnis bzw. Unglück, da Gustav<br />

unfähig ist, diese Inszenierung als solche anzusehen. Vielmehr glaubt er sich von Toni<br />

verraten und unterstellt ihr, ihn im Geschlechtsakt getäuscht zu haben. Der Erzähler<br />

56


eschreibt Gustav, bevor er Toni erschießt, als ‚die Farbe wechselnd‘ indem er Folgendes<br />

behauptet: „Gustav wechselte bei diesem Anblick die Farbe“ (723). Dieser Farbewechsel ist<br />

nicht nur als Ausdruck eines Affekts zu verstehen, sondern Gustav sieht an dieser Stelle im<br />

wörtlichen Sinne ‚schwarz‘. Als vermeintliche Verräterin wird Toni für ihn nicht nur zur<br />

Schwarzen, sondern zur schwarzen Prostituierte, denn er nannte sie eine Hure(723). Gustav<br />

sieht ein Täuschungsmanöver am Werk, wo es keines gibt, denn nichts war während des<br />

Geschlechtsakts inszeniert. Er ist nicht in der Lage, Tonis tatsächliche Inszenierungspraxis<br />

als solche zu erkennen.<br />

4.2.3.2.Die Wahrnehmung Tonis nach dem Tode<br />

Nachdem Gustav Toni erschossen hat, erfuhr er durch seine Vettern, dass Toni ihn<br />

gerettet hat. Tatsächlich standen Adalbert und Gottfried auf, „und riefen dem unbegreiflich<br />

grässlichen Mörder: ob er wisse, dass das Mädchen seine Retterin sei, dass sie ihn liebe und<br />

dass zu es ihre Absicht gewesen sei, mit ihm, dem sie alles, Eltern und Eigentum,<br />

aufgeopfert, nach Port au Prince zu entfliehen“(724). Als er die Information bekam, war er<br />

so verzweifelt, dass „er sich die Kugel jagte, womit das andere Pistol geladen war, durchs<br />

Hirn. Das bedeutet, Toni wird nun( erst nach dem Tode) als eine Weiße wahrgenommen.<br />

Erst im Tod verliert Tonis schwarze Identität jene bedrohliche Wirkung, die ihr<br />

noch in der Inszenierung dieser Identität anhaftete. Denn Tonis Ermordung beruht auf<br />

Gustavs Missverständnis ihrer in rettender Absicht inszenierten schwarzen Identität. In<br />

Gustavs Denken wird Toni unweigerlich in dem Moment zur Verräterin und somit schwarz,<br />

als sie ihn an das Bett fesselt. Aus seiner Sicht stellt Tonis Fesselungsaktion eine doppelte<br />

Bedrohung, zum einen ihren Verrat und zum anderen seine Auslieferung an Congo Hoango.<br />

Toni kann schließlich jenseits aller Notwendigkeit der Inszenierung ihre wahre Bestimmung<br />

als Weiße antreten, und als eine weiße Frau wahrgenommen werden, denn ihre Leiche<br />

wurde auch von der Familie Strömli bis in St. Lüze getragen. Dorthin „senkte man sie<br />

(Gustav und Toni) unter stillen Gebeten in die Wohnungen des ewigen Friedens ein.“(725)<br />

Allgemein genommen, können wir sagen, dass die Mestizin Toni zwischen ihrer<br />

Familie (schwarze) und ihrer Liebe (weiße) steht, und muss unbedingt eine Wahl machen.<br />

Am Anfang steht sie auf der Seite der Schwarzen, änderte aber ihre Stellung sobald sie ein<br />

Interesse auf der Seite der Weißen fand. Das bedeutet, dass sie keine festgelegte Identität<br />

57


hat, und versucht immer ihre Interessen zu bewahren. Diese Interessen beruhen auf einer<br />

sozio-affektiven Dimension. Denn der entscheidende Faktor der Stellungwechselung ist die<br />

Liebe, vielleicht hätte Toni die Schwarzen nicht verraten, falls der Fremde eine Frau<br />

gewesen wäre. Zwar gebraucht Toni genauso wie Babekan das Täuschungspiel, aber sie<br />

handelt in einem individuellen Konto. Sie kämpft und handelt für ihr persönliches Interesse,<br />

die Gruppe bzw. Kollektivität spielt für sie keine Rolle.<br />

58


SCHLUSSBETRACHTUN<br />

TRACHTUNGEN<br />

In der vorliegenden Arbeit ging es darum, sich mit der Repräsentation des<br />

Mischlings im Rassenkampf anhand von Kleists Novelle Die Verlobung in St. Domingo<br />

auseinanderzusetzen. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine Mestizin namens Toni. Die<br />

ganze Geschichte dreht sich um die Mischlingsfigur. In einem Kontext, wo die Schwarzen<br />

und die Weißen gegeneinander kämpfen, ist sie von den anderen Novelle-Figuren entweder<br />

idealisiert und als Hilfsmittel betrachtet oder dämonisiert und als Verräter angesehen. In<br />

dieser Novelle scheint Tonis Stellung im Rassenkonflikt problematisch zu sein. Ihre<br />

Identitätskrise wird im Laufe der Handlung sichtbar. Am Anfang der Geschichte tritt sie<br />

freiwillig als Mitglied der schwarzen Rasse, denn sie einigt sich mit Congo Hoango und<br />

ihrer Mutter, um die Weißen zum Tode zu führen. Als sie sich in einen Weißen verliebt,<br />

ändert sie ihre Haltung und betrachtet sich von da an als Weiße. Von diesem Tatbestand<br />

ausgehend, setze ich mich als Ziel, die folgenden Fragen zu beantworten: Welche Diskurse<br />

des 19. Jahrhunderts über den Mischling sind in der Novelle zu finden? Welchen Einfluss<br />

hat der Diskurs über den Mischling ausgeübt? Welche Strategie haben die Mischlinge Toni<br />

und Babekan entwickelt, um in Harmonie mit den Anderen zu leben?<br />

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung stimmen mit den vorformulierten<br />

Hypothesen überein.<br />

Die Welt des 19. Jahrhunderts war durch Phänomene und Praxis der Sklaverei und des<br />

Kolonialismus geprägt. Durch diese Praktiken standen die Weißen und die Schwarzen<br />

zueinander näher und haben sogar Kinder gehabt. Diese Kinder waren Mischling und<br />

waren demnach mit Rassenproblemen konfrontiert, denn sie waren weder überlegene<br />

Weiße noch unterlegene Schwarzen. Dies lässt sich in Kleists Novelle Die Verlobung in St.<br />

Domingo feststellen. In dieser Novelle sind nämlich der Rassen-, der Kolonial- und der<br />

Sklavereidiskurs zu finden.<br />

Der Sklaverei- und der Kolonialdiskurs sind auf den Mischling nicht wirkungslos<br />

geblieben. Die Mestize Toni wird einerseits als weiße Person dargestellt und in dieser<br />

Hinsicht als Köder benutzt, um die Weißen anzulocken und sie zum Tode zu führen. Sie<br />

59


wird anderseits von den Weißen als eine schwarze Verräterin betrachtet. Diese Situation hat<br />

dazu geführt, dass sie am Ende der Geschichte erschossen wird.<br />

Aus der Forschung über den Mischling wird festgehalten, dass Toni und Babekan das<br />

Ergebnis einer Kreuzung von schwarzer und weißer Rasse sind. Sie sind ‚Hybrid‘ und<br />

müssen eine Strategie der Mimikry und der List im Gang setzen, um in Harmonie mit den<br />

Anderen zu leben. Sie benehmen sich wie das Chamäleon, das heißt, sie haben keine stabile<br />

Identität. Die beiden geben sich Identitäten an die Hand, die ihnen vorteilhaft sind.<br />

Es ist aber bedeutungsvoll, hervorzuheben, dass der Autor der Novelle Heinrich von<br />

Kleist keine explizierte Stellung zum Rassenkampf nimmt. Durch die Novelle möchte er<br />

seinen Lesern die Weltoffenheit näher bringen, indem er seine Geschichte an einem Ort<br />

spielen lässt, an dem sowohl er als auch viele seiner Leser noch nie waren. Er beschäftigt<br />

sich mit den Problemen von St. Domingo, um seinen Lesern zu verdeutlichen, dass es<br />

sowohl gute, als auch schlechte Menschen in allen Kulturen und Rassen gibt.<br />

60


LITERATURVERZEICHNIS<br />

PRIMÄRLITERATUR<br />

Kleist, von Heinrich,1966, Die Verlobung in St. Domingo in Helmut Sembdner Hg.,<br />

Heinrich von Kleist Werke in einem Band, München.<br />

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in: Claussen Detlev, 1994, Was heißt Rassismus? Wissenschaftliche Buchgesellschaft,<br />

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