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Überlegungen zu Adalbert Stifters Witiko als politischem Roman

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„verzweifeltes Gut-Nennen von Ereignissen, deren historischer Diskurs schierer Machtpolitik<br />

einfach dasteht“ 183 und Doppler führt die <strong>Stifters</strong> Intention widersprechenden Geschichtsquellen<br />

sogar detailreich auf:<br />

[…] so war Wladislaw nicht nur der uneigennützige Herzog, dessen Krönung <strong>zu</strong>m König von<br />

Böhmen aus verwandtschaftlicher Dankbarkeit von Friedrich Barbarossa vollzogen wurde, die<br />

böhmischen Krieger waren nicht nur Boten, die das Recht verwirklichten, sondern waren durch<br />

ihre Raub- und Plünderungslust gefürchtet, die Kirche war nicht nur Erziehungsmacht, sondern<br />

auch erbitterte Gegnerin des deutschen Kaisers, das Recht, das Friedrich I. während des Kampfes<br />

gegen die italienischen Städte kodifizieren ließ, war nicht nur eines, wie es die Natur der Sache<br />

verlangte, sondern auch eines, das der Macht dienstbar war, auch die Kämpfe während der<br />

verschiedensten Kriegszüge waren verlustreicher, <strong>als</strong> dies Stifter offen aussprechen wollte. 184<br />

Das darin <strong>zu</strong>m Ausdruck kommende Maß an Gewalt und Eigennutz passte nicht <strong>zu</strong> <strong>Stifters</strong><br />

Ziel, im Ablauf der Geschichte mit dem Aufstieg und Untergang von Völkern das Offenbarwerden<br />

von Gut und Böse dar<strong>zu</strong>stellen. Was Stifter im Bereich der Individualgeschichte und<br />

Fiktion gelingt – schließlich liegt die Ausgestaltung von <strong>Witiko</strong>s Aufstieg mangels Fakten<br />

ganz in seiner Fantasie –, wird auf dem Gebiet der gut belegten Staats- und Ereignisgeschichte<br />

nahe<strong>zu</strong> unmöglich: eine eindeutige Einteilung von geschichtlichen Personen und Handlungen<br />

in ‚gut’ und ‚böse’ wird in den seltensten Fällen funktionieren. Da dies jedoch das herdersche<br />

Geschichtskonzept in Zweifel zieht, ist Stifter quasi gezwungen, die historischen Ereignisse<br />

literarisch in seinem Sinne <strong>zu</strong> interpretieren.<br />

Als weitere Schwäche des <strong>Witiko</strong>s kann man auch das Auseinanderklaffen zwischen den ausgedehnten<br />

Natur- und Handlungsbeschreibungen, die vom Erzähler in keiner Weise kommentiert<br />

werden, und den zwar auch kommentarlos präsentierten, aber inhaltlich und politisch<br />

hoch motivierten Reden der böhmischen Würdenträger betrachten. Erstere eignen sich zwar<br />

sehr gut, um an dem richtigen Verhalten im Umgang mit Menschen, Natur und Tieren <strong>Stifters</strong><br />

Vorstellungen von Sittlichkeit und Ordnung dar<strong>zu</strong>stellen; Geschichtsabrisse und eindeutige<br />

politische Meinungsäußerungen muss Stifter seinen Figuren jedoch in deutlicher Rede in den<br />

Mund legen, weil sie mit dem eher ‚sanften’ Verfahren des reinen Schlussfolgerns aus der<br />

Beobachtung nicht erzählbar sind. Das verleiht diesen Reden einerseits eine große Bedeutung,<br />

da sie in ihrer Pointiertheit <strong>zu</strong>r Referenz für die politisch-rechtlichen Aussagen des <strong>Roman</strong>s<br />

werden (auch die Analyse in dieser Arbeit stützt sich in weiten Teilen auf Dialoge und Reden).<br />

Andererseits ist diese Bedeutung vom reinen Textumfang her unverhältnismäßig, da die<br />

‚leiseren’, beschreibenden Passagen den Großteil des <strong>Witiko</strong> ausmachen. Und eigentlich ist es<br />

die Stärke <strong>Stifters</strong> an den kleinen Gesten und versteckten Bemerkungen sittliche Vorstellungen<br />

auf<strong>zu</strong>zeigen – das wird besonders im Vergleich mit dem Ende des dritten Bandes deut-<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

183 Geppert, S. 132.<br />

184 Doppler, S. 100.

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