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Überlegungen zu Adalbert Stifters Witiko als politischem Roman

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er seine dynastischen Ansprüche dem Wohl und der Ordnung des Landes unter, ein Verhalten,<br />

das sein Sohn aber nicht anerkennen wird und sich mit dieser Nichtbeachtung des väterlichen<br />

Rates <strong>zu</strong>gleich <strong>als</strong> <strong>zu</strong>r würdigen Herrschaft ungeeignet disqualifiziert.<br />

Auch wenn die langen Diskussionen mit der abschließenden Abstimmung bei der Versammlung<br />

auf dem Wysehrad – Kritiker spotteten, glaube man dem <strong>Witiko</strong>, so könne man meinen,<br />

der Parlamentarismus sei im Böhmen des 12. Jahrhunderts und nicht in England erfunden<br />

worden 145 – eine formale Lösung für den Prinzipienstreit bringen, so ist nicht wirklich entschieden,<br />

welche Seite sich auf moralische Rechtmäßigkeit berufen kann. In diesem Sinne<br />

scheint <strong>Witiko</strong>s Verhalten <strong>zu</strong>m Maßstab für eine – beiden Seiten gerecht werdende – Haltung<br />

<strong>zu</strong> werden, die er quasi auch „staatsrechtlich“ 146 begründen kann. Er erkennt die Wahl des<br />

Herzogs Wladislaw <strong>zu</strong>nächst an, verweigert ihm, aufgrund des noch immer bestehenden<br />

Treueverhältnisses <strong>zu</strong>r Familie Sobeslaws, durch seinen Rück<strong>zu</strong>g in den Wald aber die direkte<br />

Gefolgschaft. Später erklärt er Wladislaw:<br />

Ich bin von dir fortgegangen, hoher Herr, weil ich dem Herzoge Sobeslaw, wenn er auch todt<br />

war, dienen wollte, und weil, wenn auch Sobeslaw seinem Sohne Wladislaw gerathen und ihm<br />

geboten hatte, sein in Sadska erworbenes Nachfolgerecht auf dich <strong>zu</strong> übertragen, er es nicht<br />

gethan hat, und mir sein Recht <strong>zu</strong> bestehen schien. Jetzt aber hat er es weggeworfen, und auf einen<br />

unbefugten Mann kommen lassen, und es fällt auf dich, weil du gewählt bist, und dich Sobeslaw<br />

anerkannt hat, du bist der Herzog, und bin gekommen, meine Pflicht <strong>zu</strong> erfüllen. 147<br />

Als dieses Treuverhältnis durch die Kollaboration des jungen Wladislaw’ mit den Verrätern<br />

aufgebrochen wird, verliert er damit in <strong>Witiko</strong>s Augen auch seine Legitimation durch die<br />

Wahl auf dem Landtag in Sadska. Nun ist die Entscheidung für die Rechtmäßigkeit des gewählten<br />

älteren Wladislaws eindeutig, weshalb <strong>Witiko</strong> sich schließlich in dessen Gefolgschaft<br />

einreiht. <strong>Witiko</strong> trifft auf diese Weise zwar keine unrechtmäßige Wahl <strong>zu</strong>gunsten einer der<br />

beiden Seiten, dieses abwartende Verhalten ist jedoch nur um den Preis des Rück<strong>zu</strong>gs aus der<br />

Gesellschaft möglich und damit keine wirkliche Option, da die politisch aktiven Mitglieder<br />

einer Gesellschaft ihre Entscheidungen <strong>zu</strong>meist in moralisch nicht eindeutiger Lage treffen<br />

müssen. Bezieht man das Geschehen <strong>zu</strong>rück auf die politischen Ereignisse in <strong>Stifters</strong> Gegenwart,<br />

so könnte man kritisch fragen, ob Stifter mit diesem Verhalten <strong>Witiko</strong>s nicht eher das<br />

Beispiel eines wenig mitverantwortungsvollen Bürgers gibt, weil dieser, um keine f<strong>als</strong>che<br />

Entscheidung <strong>zu</strong> treffen, erst einmal auf seine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen<br />

verzichtet.<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

145 Vgl. Joachim W. Storck: „Unter <strong>Witiko</strong>s Banner?“. Bemerkungen <strong>zu</strong> <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> böhmischem Geschichtsbild.<br />

In: VASILO 41 (1992), Folge 3/4, S. 108.<br />

146 Vgl. Geppert, S. 129.<br />

147 HKG 5,1, S. 274.

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