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Überlegungen zu Adalbert Stifters Witiko als politischem Roman

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Das Böhmen <strong>zu</strong>r Zeit <strong>Witiko</strong>s bot Stifter <strong>als</strong>o den historischen Hintergrund, um seine Kritik<br />

an den politischen Entwicklungen im zeitgenössischen Habsburgerreich dar<strong>zu</strong>stellen. Die<br />

große zeitliche Distanz ermöglichte es ihm, den Lesern die Auswirkungen von Anarchie und<br />

Gewalt während der Revolution von 1848 subtil am Beispiel der blutigen Thronfehden in<br />

Böhmen vor Augen <strong>zu</strong> halten, die das Land an einem politischen Fortkommen hinderten.<br />

Dass Stifter mit dem Stoff darüber hinaus auch die Frage nach den Verhältnissen im Vielvölkerstaat<br />

Habsburgerreich thematisierte, zeigt Müller Funk auf:<br />

Um das Verhältnis zwischen Tschechen, Deutschen und Österreichern in ein versöhnliches<br />

Licht <strong>zu</strong> tauchen, mußte der wohl tschechophilste <strong>Roman</strong> deutscher Zunge eine historische<br />

Konstellation wählen, in der die Eigenständigkeit eines selbstbewußten, seiner Fremdheit und<br />

Eigenheit bewußten Tschechentums der deutschen Staatsidee nicht in die Quere kommt. 85<br />

Ein dritter Grund, der für den <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> Hauptfigur gesprochen haben wird, ist die Tatsache,<br />

dass er <strong>als</strong> historische Person zwar bezeugt ist, seine Lebensumstände jedoch nicht näher bekannt<br />

sind. 86 Diese dünne Faktenlage ließ Stifter sehr viel Raum für seine dichterische Ausgestaltung,<br />

die Schilderung der Umstände von <strong>Witiko</strong>s Aufstieg <strong>zu</strong>m Ahnherren eines großen<br />

Geschlechtes lag somit praktisch ganz in seinem Ermessen. 87<br />

3.3 Die Mühen der Ausarbeitung<br />

Obwohl Stifter sein Thema gefunden, mittelalterliche Geräte und Chroniken intensiv studiert<br />

und darüber hinaus in der Geschichte von Böhmen von Franz Palacky eine ausgezeichnete<br />

und ergiebige Quelle für die mittelalterliche Geschichte Böhmens gefunden hatte, ging die<br />

Arbeit am <strong>Witiko</strong> nur schleppend voran. Stifter musste die Niederschrift immer wieder ruhen<br />

lassen, da sie ihn körperlich und seelisch erschöpfte, und wandte sich <strong>zu</strong>r Erholung anderen<br />

Projekten <strong>zu</strong>. 88 Seine Geschichtsauffassung gebot Stifter das Geschehen auf Grundlage guter<br />

Kenntnisse der mittelalterlichen Zeit „finden“ und „nicht erfinden“ 89 <strong>zu</strong> wollen: „Weil der<br />

geschichtliche Stoff in <strong>Stifters</strong> Vorstellung seinerzeit in vollkommener Form vorgelegen hat,<br />

muß die gegenwärtige Aufgabe darin liegen, dem Material im Medium der Kunst erneut eine<br />

fehlerlose, natürlich-lebendige Gestalt <strong>zu</strong> verleihen.“ 90 <strong>Stifters</strong> Perfektionismus führte auch<br />

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85 Müller-Funk, S. 342.<br />

86 Die wenigen gesicherten Daten besagen im Wesentlichen nur, dass <strong>Witiko</strong> der Ahnherr der Rosenberger, von<br />

1169 bis 1176 Obertruchsess des böhmischen Königs in Prag sowie Erbauer der Burg Wittinghausen war (vgl.<br />

Koschorke, S. 142).<br />

87 Vgl. Potthast, S. 235, HKG 5,4 S. 225.<br />

88 Vgl. Schoenborn, S. 442ff.<br />

89 In einem undatierten Brief an Heckenast, PRA XIX, S. 265f. Mit <strong>Stifters</strong> Geschichtsbild und seiner Arbeit am<br />

historischen <strong>Roman</strong> beschäftigt sich auch ein Aufsatz von Cornelia Zumbusch (vgl. Cornelia Zumbusch: Der<br />

Gang der Geschichte. Historismus und genetisches Erzählen in <strong>Stifters</strong> <strong>Witiko</strong>. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft<br />

51 (2007).<br />

90 Potthast, S. 234.

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