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Überlegungen zu Adalbert Stifters Witiko als politischem Roman

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Stifter stilisiert die Geschichte <strong>zu</strong>r Schöpfung Gottes und ästhetisiert sie. 71 Man gewinnt fast<br />

den Eindruck, dass die Geschichte und der literarische Umgang damit für Stifter <strong>zu</strong>r überhöhten<br />

und unbezwingbaren Lebensaufgabe werden. Während der Arbeit am <strong>Witiko</strong> schreibt er<br />

beispielsweise:<br />

Im Hochwald habe ich die Geschichte <strong>als</strong> leichtsinniger junger Mensch über das Knie gebrochen,<br />

und sie dann in die Schubfächer meiner Fantasie hineingepfropft. Ich schäme mich jezt<br />

beinahe jenes kindischen Gebarens. Jezt steht mir das Geschehen fast wie ein ehrfurchtgebietender<br />

Fels vor Augen, und die Frage ist jezt nicht mehr die: ‚was will ich mit ihm tun?’ sondern:<br />

‚was ist er?’ und die Antwort ist so schwer […]. 72<br />

Ausgehend von der fast zwanzig Jahre dauernden Arbeit am <strong>Witiko</strong>, die Stifter trotz eigentlich<br />

abgeschlossenen Vorarbeiten immer wieder unterbrach und durch das Verfassen anderer<br />

Schriften in die Länge zog, stellt Doppler sogar die Frage, ob Stifter eventuell ein gestörtes<br />

Verhältnis <strong>zu</strong> den von der Geschichtswissenschaft und dem Zeitgeschehen vermittelten historischen<br />

Abläufen hatte und die Konfrontation damit während der Arbeit am <strong>Witiko</strong> schließlich<br />

<strong>zu</strong> geistiger und körperlicher Krankheit führte. 73 Auch Potthast argumentiert ähnlich: „Krankheit,<br />

Depression, historischer <strong>Roman</strong> und Revolution bilden in <strong>Stifters</strong> Leben einen engen<br />

Zusammenhang.“ 74 Diese These kann man in der seltsam holprigen, um eine adäquate Beschreibung<br />

der Dinge ringenden Sprache am Anfang des <strong>Roman</strong>s bestätigt sehen, wie Czernin<br />

es tut, der überzeugt ist, dass Stifter wegen seiner hoch gesetzten Ziele auch sprachlich erst in<br />

die Erzählung hineinfinden musste 75 : „Das lässt erahnen, wie groß die <strong>zu</strong> überwindenden Widerstände<br />

sind. Unsicherheit ist am Anfang noch merklich […]“ 76<br />

Wie man diese <strong>Überlegungen</strong> auch bewerten mag, so lässt sich im Hinblick auf <strong>Stifters</strong> Korrespondenz<br />

doch sicher sagen, dass er die Geschichte <strong>als</strong> Exempel für das Wirken des ‚Sanften<br />

Gesetzes’, <strong>als</strong> Beweis für das Gelten einer gerechten Ordnung sah, die er, mit hohen Anspruch<br />

an sich selbst, am Fall und Aufstieg eines Volkes literarisch darstellen wollte. 77 Nun<br />

brauchte Stifter nur noch ein entsprechendes Beispiel aus der Geschichte <strong>als</strong> Thema für seinen<br />

<strong>Roman</strong>.<br />

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71 Vgl. Aust, S. 96.<br />

72 Brief an Heckenast, 7. März 1860, PRA XIX, S. 223f.<br />

73 Vgl. Doppler, S. 94f. Nach Doppler zeigt sich beispielsweise an der Mappe, dass es in <strong>Stifters</strong> Anschauung<br />

zwei grundsätzlich verschiedene Formen von Geschichte gab: die in Lehrbüchern tradierte Geschichte, deren<br />

Ereignisse „schicksalhaft über den einzelnen herein“ brechen (vgl. S. 95) und die bei Stifter Unbehagen auslöst.<br />

Eine ihm natürlicher erscheinende Verbindung <strong>zu</strong>r Vergangenheit ist dagegen die Geschichte, die durch die<br />

Heimat, familiäre Überlieferung sowie die Abläufe in der Natur weitergeben wird, weshalb Stifter dieses Geschichtsmodell<br />

nach Doppler sowohl im Nachsommer <strong>als</strong> auch im <strong>Witiko</strong> bevor<strong>zu</strong>gt (vgl. S. 96f.).<br />

74 Potthast, S. 204.<br />

75 Vgl. Franz-Josef Czernin: Zu <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“. In: Text+Kritik 160 (2003), S. 57.<br />

76 Ebd.<br />

77 Vgl. HKG 5,4, S. 262f. und Hugo Rokyta: Die Entstehung von <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“ aus böhmischer<br />

Sicht. In: VASILO 33 (1984), Folge 3/4, S. 101.

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