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Überlegungen zu Adalbert Stifters Witiko als politischem Roman

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Mit der Bearbeitung eines dramatischen Stoffes aus der Geschichte rechnete sich Stifter wohl<br />

gute Chancen auf Erfolg beim Publikum aus, wie Koschorke meint, „schon aus Gründen seiner<br />

chronisch finanziellen Misere“ 57 . Daneben zeichnet sich hier bereits ab, dass Stifter sich<br />

vor allem für tragische Aspekte der Geschichte interessierte, an denen sich „moralische Größe“<br />

und die Gesetzmäßigkeit des „Weltgeistes“ darstellen ließen. 58 Das Robespierre-Projekt<br />

wird von Stifter danach nicht mehr erwähnt, er beschäftige sich <strong>zu</strong>nächst mit anderen Vorhaben.<br />

Eine erneute Hinwendung <strong>zu</strong>m historischen <strong>Roman</strong> ergab sich erst mit den Revolutionsereignissen<br />

von 1848 und der damit verbundenen Veränderung der politischen Lage. 59 An<br />

Heckenast schrieb er:<br />

Da ich nun diese Ansicht gebildet hatte, da mir aus der Stimmung der ganzen Welt und der meines<br />

Inneren klar war, daß Dichtungen in jetziger Zeit ganz andere Motive bringen müssen, wenn<br />

sie hinreißen sollen, <strong>als</strong> vor den Märztagen: so warf ich mich ganz auf den historischen <strong>Roman</strong><br />

der Ottokarszeit, die gewaltthätig und groß war, wie die heutige, und die daher selbst mitten in<br />

Krieg und Umsturz gelesen würde, so wie ich sie mitten in heftigen politischen Gefühlen <strong>zu</strong> arbeiten<br />

vermochte. 60<br />

Dass Stifter im Historischen eine Verbindung <strong>zu</strong>r Gegenwart sucht, wird an seinem Vergleich<br />

der Ottokarszeit, die „gewaltthätig und groß“ war, mit der eigenen unruhigen Gegenwart deutlich.<br />

So bewirkt nicht nur die gewandelte Publikumserwartung nach der Revolution eine Neuausrichtung<br />

der <strong>Stifters</strong>chen Motive, es scheint Stifter auch ein Bedürfnis <strong>zu</strong> sein, die „heftigen<br />

politischen Gefühle“, die die Märztage bei ihm ausgelöst haben, literarisch <strong>zu</strong> verarbeiten.<br />

Von den beliebten und erfolgreichen historischen <strong>Roman</strong>en seiner Zeit wird <strong>Adalbert</strong><br />

<strong>Stifters</strong> geplantes Werk sich jedoch fundamental unterscheiden, da seine Geschichtsauffassung<br />

sich gänzlich von der anderer zeitgenössischer Autoren unterscheidet, die die historischen<br />

Ereignisse mehr <strong>als</strong> Folie verwenden, um vor diesem Hintergrund Abenteuer und Liebesgeschichten<br />

<strong>zu</strong> erzählen. 61<br />

3.1 <strong>Stifters</strong> Geschichtsauffassung<br />

Bereits vor seinem Plan, einen historischen <strong>Roman</strong> <strong>zu</strong> schreiben, hatte Stifter sich mit Geschichte<br />

beschäftigt. 62 Er hatte einigen Mädchen Geschichtsunterricht gegeben, die er mit der<br />

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57 Koschorke, S. 143. Auch im Kommentar der historisch-kritischen Gesamtausgabe wird darauf hingewiesen,<br />

dass Stifter sich erhebliche materielle Vorteile vom Schreiben eines historischen <strong>Roman</strong>s mit großem Umfang<br />

erhoffte, da das Honorar nach der Bogenzahl berechnet wurde (vgl. HKG 5,4, S. 165).<br />

58 Vgl. auch HKG 5,4, S. 159.<br />

59 Vgl. Doppler, S. 94 und Potthast, S. 209f.<br />

60 Brief an Heckenast, 8. September 1848, PRA XVII, S. 302.<br />

61 Vgl. Harro Müller: Historische <strong>Roman</strong>e. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 6. Bürgerlicher<br />

Realismus und Gründerzeit 1848–1890, hg. von Edward McInnes und Gerhard Plumpe, München 1996, S.<br />

691.<br />

62 Vgl. für <strong>Stifters</strong> Verhältnis <strong>zu</strong>r Geschichte und seinen Betrachtungen über den historischen <strong>Roman</strong> auch die<br />

Kapitel Historischer <strong>Roman</strong> und Epos (S. 245–259) und Geschichtsauffassung (S. 261–271) in HKG 5,4.

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