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Überlegungen zu Adalbert Stifters Witiko als politischem Roman

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Karlsruher Institut für Technologie (KIT)<br />

Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

Institut für Literaturwissenschaft<br />

Hauptseminar: Deutsch-Böhmische Kulturbeziehungen<br />

Sommersemester 2010<br />

Dozent: Prof. Dr. Andreas Böhn<br />

<strong>Überlegungen</strong> <strong>zu</strong> <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> <strong>Witiko</strong><br />

<strong>als</strong> <strong>politischem</strong> <strong>Roman</strong><br />

vorgelegt von:<br />

Lisa Korge


Inhalt<br />

1 Einleitung ............................................................................................................................. 1<br />

2 <strong>Adalbert</strong> Stifter <strong>als</strong> ‚politische Person’ ................................................................................ 3<br />

2.1 Stifter und das Revolutionsgeschehen von 1848........................................................................3<br />

2.2 Politische Schriften: Der Staat ...................................................................................................6<br />

3 Die Hinwendung <strong>zu</strong>m historischen <strong>Roman</strong> ......................................................................... 9<br />

3.1 <strong>Stifters</strong> Geschichtsauffassung...................................................................................................10<br />

3.2 Auf der Suche nach einem passenden Beispiel aus der Geschichte.........................................13<br />

3.3 Die Mühen der Ausarbeitung ...................................................................................................14<br />

4 <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> politischer <strong>Roman</strong> ............................................................................................. 15<br />

4.1 Personale Herrschaft: Der Aufstieg <strong>Witiko</strong>s <strong>zu</strong>m Anführer der Waldleute .............................16<br />

4.2 Der Streit um die Legitimität von Macht: Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen im Herzogtum Böhmen ....21<br />

4.3 Identität und Souveränität: Böhmens Verhältnis <strong>zu</strong>m Kaiserreich ..........................................26<br />

5 Fazit und Schluss ............................................................................................................... 29<br />

Abkür<strong>zu</strong>ngs- und Literaturverzeichnis ................................................................................... III<br />

Selbständigkeitserklärung .......................................................................................................VI


! "!<br />

1 Einleitung<br />

Bereits seit seinem Erscheinen 1865 wird <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> letzter <strong>Roman</strong> <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> <strong>zu</strong> ausladend,<br />

durch viele Wiederholungen ermüdend und manchmal sogar schlicht <strong>als</strong> langweilig<br />

kritisiert. 1 Es kursieren zahlreiche Bonmots, die – mehr oder weniger freundlich gesinnt – auf<br />

den großen Umfang bzw. die Handlungsarmut des <strong>Roman</strong>es anspielen, wie beispielsweise<br />

Herrmann Hesses Charakterisierung des <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> ein Buch, „in dem geschildert wird, wie<br />

sich drei Menschen auf drei Stühle setzen“ 2 . Und Friedrich Hebbels Ausspruch, man müsse<br />

„demjenigen die polnische Krone versprechen, der imstande sei, die Erzählung <strong>zu</strong> ende [!] <strong>zu</strong><br />

lesen“ 3 , der sich eigentlich auf den Nachsommer bezieht, kann ohne weiteres auch für <strong>Witiko</strong><br />

gelten. Die englische Literaturwissenschaftlerin Helena Ragg-Kirkby schreibt in ihrer Analyse<br />

des <strong>Witiko</strong>, es sei nicht sonderlich überraschend, dass das Buch von den Kritikern weitgehend<br />

ignoriert worden sei, wenn man sich in Erinnerung rufe, dass auf rund 1000 Seiten einfach<br />

nichts passiere. Und sie stellt die berechtigte Frage „What, then, can be the justification<br />

for discussing a book that has almost no plot, no ‚content’?“ 4 , die auch bei der Konzeption<br />

dieser Arbeit auftauchte. Nach Ragg-Kirkby liegt die Berechtigung „of course, in its style“ 5<br />

und die Autorin steht damit in der Tradition fast aller Arbeiten, die sich mit dem <strong>Witiko</strong> beschäftigen.<br />

Denn hinsichtlich seiner formalen Ausgestaltung, wie beispielsweise der seriellen<br />

Erzählweise oder der extensiven Beschreibung von Handlungsabläufen und Landschaften, ist<br />

der <strong>Witiko</strong> trotz seiner Sperrigkeit bereits in sehr vielen Aspekten untersucht worden.<br />

Aber auch wegen seines Inhalts fand der <strong>Roman</strong> mit seinem großen Thema, dem Thronfolgestreit<br />

im Böhmen des 12. Jahrhunderts, umfassende Beachtung. Da die blutigen Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen<br />

um den böhmischen Herzogsstuhl in weiten Teilen die Handlung und damit auch<br />

das persönliche Schicksal der Hauptfigur bestimmen, wird der <strong>Witiko</strong> seit längerem auch <strong>als</strong><br />

Buch mit politischer Aussage gesehen. Die entsprechenden Analysen und Artikel beschäftigen<br />

sich jedoch hauptsächlich nur mit einzelnen Aspekten des Politischen im <strong>Witiko</strong>, <strong>zu</strong>m<br />

Beispiel dem Verhältnis zwischen Österreich und Böhmen# <strong>Stifters</strong> Haltung <strong>zu</strong>r Deutschen<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

1 Vgl. z.B. <strong>Adalbert</strong> Stifter, Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 5,4 <strong>Witiko</strong> Apparat und Kommentar, hrsg.<br />

von Alfred Doppler und Wolfgang Frühwald, Stuttgart 1998 [im folgenden mit der Sigle HKG und der entsprechenden<br />

Nummer des Bandes zitiert], S. 273–307.<br />

2 Zitiert nach Albrecht Koschorke: Bewahren und Überschreiben. Zu <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Witiko</strong>. In: Aleida<br />

Assmann/ Michael C. Frank (Hgg.): Vergessene Texte, Konstanz 2004, S. 140<br />

3 Zitiert nach Koschorke, S. 139.<br />

4 Helena Ragg-Kirkby: <strong>Witiko</strong> and the Absurd. In: The Biedermeier and Beyond. Selected papers from the symposium<br />

held at St. Peter’s College, Oxford from 19–21 September 1997, hg. von Ian F. Roe und John Warren,<br />

Bern 1999, S. 173.<br />

5 Ebd. (Hervorhebung im Original)


! $!<br />

Frage oder seinen Ansichten <strong>zu</strong>r Europa-Diskussion im 19. Jahrhundert. 6 Eine aktuellere Monographie<br />

<strong>zu</strong> diesem Thema auf Basis einer detaillierteren Betrachtung des umfangreichen<br />

<strong>Roman</strong>textes existiert nicht, einige Studien mit entsprechenden Titeln aus den 1950er und<br />

1960er Jahren gibt es zwar, sie sind aber kaum mehr <strong>zu</strong>gänglich. Diese Aufsätze und Arbeiten<br />

liefern <strong>als</strong>o einzelne Anhaltspunkte und Belege dafür, den <strong>Witiko</strong> auch <strong>als</strong> <strong>Roman</strong> mit verschiedenen<br />

politischen Aussagen <strong>zu</strong> betrachten. Die darin erarbeiteten Thesen werden jedoch<br />

bisher nicht durch eine Gesamtschau, bezogen auf den <strong>Roman</strong>inhalt und die Darstellungsform,<br />

belegt. Dieser Fragestellung geht die folgende Ausarbeitung deshalb, soweit es der Umfang<br />

einer Studienarbeit erlaubt, nach und untersucht, inwieweit <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong><br />

politischer <strong>Roman</strong> gelten kann. 7<br />

Als Grundthese kann dem<strong>zu</strong>folge der von Albrecht Koschorke formulierten Aussage „<strong>Witiko</strong><br />

ist auch <strong>als</strong> <strong>Stifters</strong> poetische Antwort auf die Revolutionserfahrung interpretierbar“ <strong>zu</strong>gestimmt<br />

werden. 8 Um dies <strong>zu</strong> belegen soll in einem ersten Punkt <strong>zu</strong>nächst <strong>Adalbert</strong> Stifter <strong>als</strong><br />

‚politische Person’ in den Blick genommen werden. Inwieweit war er an politischen Zusammenhängen<br />

interessiert und wie nahm er die Revolution von 1848 auf? Da <strong>Stifters</strong> Geschichtsauffassung<br />

eng mit seinen politischen Ideen verbunden ist, geht es im zweiten Teil<br />

darum auf<strong>zu</strong>zeigen, wie Stifter <strong>zu</strong>m historischen <strong>Roman</strong> kam und welche Aussage er damit<br />

treffen wollte. Im letzten Teil der Arbeit sollen die politischen Aspekte des <strong>Witiko</strong> dann mit<br />

Beispielen aus dem Text belegt werden, wobei die Schwerpunkte auf der Thematik der personalen<br />

Herrschaft am Beispiel von <strong>Witiko</strong>s Aufstieg sowie dem Thronfolgestreit in Böhmen<br />

liegen werden.<br />

Wie oben bereits kurz angesprochen, gibt es einige Aufsätze sowie Symposiumsbeiträge, die<br />

sich mit Einzelfragen <strong>zu</strong>m <strong>Witiko</strong> beschäftigen, an dieser Stelle sei auch der Beitrag von Alfred<br />

Doppler <strong>zu</strong> <strong>Stifters</strong> Geschichtsverständnis genannt. 9 Eine sehr hilfreiche und aktuelle<br />

Analyse des <strong>Roman</strong>s findet sich im entsprechenden Kapitel von Barbara Potthasts Studie <strong>zu</strong>m<br />

historischen <strong>Roman</strong> im 19. Jahrhundert und auch Albrecht Koschorkes <strong>Überlegungen</strong> <strong>zu</strong>m<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

6 Vgl. Wolfgang Müller-Funk: Integration und Integrität. Die böhmischen Länder und die „reichische“ Idee in<br />

<strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“. In: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder, Band 37<br />

(1996), Wolfgang Wiesmüller: „…dann wächst Deutschthum dem Preussenthume über das Haupt“. <strong>Adalbert</strong><br />

Stifter und die Deutsche Frage. In: Klaus Amann/ Karl Wagner (Hgg.): Literatur und Nation. Die Gründung des<br />

Deutschen Reiches 1871 in der deutschsprachigen Literatur, Wien/Köln/Weimar 1996 sowie ders.: Die Europa-<br />

Diskussion im 19. Jahrhundert und der historische <strong>Roman</strong>. Zum literarischen und feuilletonistischen Kontext<br />

von <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> <strong>Witiko</strong>. In: Akten des XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005 „Germanistik<br />

im Konflikt der Kulturen“, Jahrbuch für Internationale Germanistik, Bern 2007.<br />

7 Da der sehr großen Seitenzahl des <strong>Witiko</strong> im Rahmen einer Studienarbeit nur eine sehr begrenzte gegenübersteht,<br />

wird nicht explizit auf stilistische Darstellungen (an denen der <strong>Witiko</strong> ja eigentlich reich ist) eingegangen<br />

und auch der Inhalt nur soweit referiert, wie er mit politischen Fragestellungen im Zusammenhang steht.<br />

8 Koschorke, S. 146.<br />

9 Vgl. Alfred Doppler: <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> Verhältnis <strong>zu</strong>r Geschichte. In: VASILO 41(1992), Folge 3/4.


! %!<br />

<strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> ‚vergessenem Text’ haben sich <strong>als</strong> sehr nützlich erwiesen. 10 Abschließend sei auf<br />

den Band mit Apparat und Kommentar <strong>zu</strong>m <strong>Witiko</strong> im Rahmen der neuen, von Alfred Doppler<br />

und Wolfgang Frühwald herausgegebenen historisch-kritischen Gesamtausgabe von <strong>Stifters</strong><br />

Werken und Briefen verwiesen. 11 Dort finden sich gut dargestellte und sehr detaillierte<br />

Informationen <strong>zu</strong>r Entstehung des <strong>Roman</strong>s, <strong>Stifters</strong> Quellen, seiner Geschichtsauffassung<br />

sowie der zeitgenössischen Rezeption.<br />

2 <strong>Adalbert</strong> Stifter <strong>als</strong> ‚politische Person’<br />

Stifter wird gemeinhin eher <strong>als</strong> Meister idyllischer Landschaftserzählungen wahrgenommen,<br />

<strong>als</strong> gesellschaftskritischer oder politischer Schriftsteller gilt er nicht unbedingt. Wenn auch<br />

sein Werk kaum Hinweise darauf gibt, kann Stifter jedoch durchaus <strong>als</strong> politisch interessiert<br />

bezeichnet werden, <strong>als</strong> jemand, der aktiv am Zeitgeschehen teilnahm und sich in geringerem<br />

Umfang sogar <strong>zu</strong> verfassungstheoretischen Fragen äußerte.<br />

2.1 Stifter und das Revolutionsgeschehen von 1848<br />

Vor 1847 war <strong>Adalbert</strong> Stifter dabei keine ausgesprochen politische Person, auch da seine<br />

Anstellung <strong>als</strong> Hauslehrer adliger Familien die Äußerung von Sympathien gegenüber der Opposition<br />

im Habsburgerreich gewissermaßen unmöglich machte. 12 Er verfolgte jedoch bereits<br />

in der Zeit des Vormärz das politische Tagesgeschehen und hatte sich seine Ansichten da<strong>zu</strong><br />

gebildet, mit deren öffentlicher Äußerung er sich aber <strong>zu</strong>rückhielt. 13 Seit März 1847 nahm<br />

Stifter dann wohl am ‚juridisch-politischen Leseverein’ teil, einem Zirkel, der sich offiziell<br />

traf, um über Kunst und Literatur <strong>zu</strong> sprechen, in dem aber vor allem lebhaft Vorschläge <strong>zu</strong>r<br />

Reform des Kaiserreichs diskutiert wurden. 14 <strong>Stifters</strong> Anschauungen entsprachen einem moderat<br />

liberalen Standpunkt, da er zwar Kritik an der Habsburgermonarchie übte und auch die<br />

Notwendigkeit einer Verfassung betonte. Insgesamt war er jedoch fraglos kaisertreu und lehnte<br />

sowohl politische Aktion <strong>als</strong> auch gewaltsamen Umsturz ab. 15<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

10 Vgl. Barbara Potthast: Die Ganzheit der Geschichte. Historische <strong>Roman</strong>e im 19. Jahrhundert, Göttingen 2007,<br />

Albrecht Koschorke (wie Anm. 2).<br />

11 HGK 5,4 (wie Anm. 1).<br />

12 Vgl. Peter A. Schoenborn: <strong>Adalbert</strong> Stifter. Sein Leben und Werk, Tübingen 2 1999, S. 357.<br />

13 Vgl. Potthast, S. 204f.<br />

14 Vgl. Schoenborn, S. 357.<br />

15 Vgl. Meike Christina Wiehl: „Ich bin ein Mann des Maßes und der Freiheit“. <strong>Adalbert</strong> Stifter <strong>als</strong> Pädagoge,<br />

Marburg 2008 (Diss. Uni Karlsruhe), S. 46 und Potthast, S. 205f.


! &!<br />

Die Vermischung von politischen Problemen und Poesie war für Stifter <strong>zu</strong> jener Zeit noch<br />

undenkbar. 16 Er sah es <strong>als</strong> Aufgabe der politischen Wissenschaften an, sich mit Fragen dieser<br />

Art <strong>zu</strong> beschäftigen und Anregungen <strong>zu</strong>m politischen Handeln <strong>zu</strong> geben. In einem Brief an<br />

seinen Verleger Heckenast vom 9. Januar 1845 bringt Stifter <strong>zu</strong>m Ausdruck, dass er „das junge<br />

Deutschland […] am meisten gefürchtet“ 17 habe, da für ihn „das Schöne gar keinen andern<br />

Zwek habe, <strong>als</strong> schön <strong>zu</strong> sein, und […] man Politik nicht in Versen und Deklamationen<br />

mach[e]“ 18 , ein Grundsatz, der im Gegensatz <strong>zu</strong> der gesellschaftliche Missstände thematisierenden<br />

Literatur des Jungen Deutschland stand. In den folgenden Zeilen des Briefes wird<br />

deutlich, dass Stifter aber durchaus auf den eigenen politischen Sachverstand vertraute und<br />

nicht ausschließen wollte, <strong>zu</strong> einem späteren Zeitpunkt selbst über ein politisches Thema <strong>zu</strong><br />

schreiben:<br />

Ich habe viele Jahre Staatswissenschaften getrieben, lese immerdar politische Journale, und es<br />

wäre in der That seltsam, wenn ein Mensch mit Gefühl, (das ich mir <strong>zu</strong>traue) da ohne Parthei <strong>zu</strong><br />

nehmen, bliebe, nur ist er stark genug, nicht in das, wo er die Schönheit Gottes und der Welt<br />

darstellen will, seine Ansichten über den Zollverein einmischen <strong>zu</strong> müssen. Vielleicht kann ich<br />

einmal mit den bischen Kentnissen über Staatswesen, die ich gesammelt, meinem Vaterlande<br />

nüzen […]. 19<br />

Stifter stellt hier klar heraus, dass Dichtung sich mit dem Schönen, das sich für ihn <strong>als</strong> göttliche<br />

Schöpfung in der Welt manifestierte, <strong>zu</strong> befassen habe, was die Verhandlung von politischen<br />

Fragen in der Poesie ausschließt.<br />

Den bedeutenden Einfluss auf <strong>Stifters</strong> politisches Denken übte aber erst die Deutsche Revolution<br />

von 1848 aus, nach Potthast war sie die „eigentliche, tiefe Zäsur seiner persönlichen,<br />

schriftstellerischen und politischen Entwicklung“ 20 . Die sich im Verlauf des März überschlagenden<br />

Ereignisse in Wien erlebte Stifter direkt mit: aus seiner im Zentrum gelegenen Wohnung<br />

konnte er die Straßenkämpfe beobachten, an denen er selbst wahrscheinlich aber nicht<br />

teilgenommen hat. Er war begeistert von der kaiserlichen Proklamation vom 15. März 1848,<br />

mit der dem Habsburgerreich eine Konstitution in Aussicht gestellt wurde, und trug auch aktiv<br />

seinen Teil <strong>zu</strong>r Errichtung einer neuen Ordnung bei, indem er sich für seinen Wohnbezirk<br />

<strong>als</strong> Wahlmann für die vorbereitenden Beratungen <strong>zu</strong>r Frankfurter Nationalversammlung aufstellen<br />

ließ. 21<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

16 Vgl. Schoenborn, 326.<br />

17 Brief an Heckenast, 9. Januar 1845, zitiert nach: <strong>Adalbert</strong> Stifter: Sämtliche Werke, Bd. XVII Briefwechsel,<br />

hg. von August Sauer (u.a.), Prag 1904ff. (seit 1927: Reichenberg), S. 138-140. [Die Prag-Reichenberger-<br />

Ausgabe wird im folgenden mit der Sigle PRA und der entsprechenden Nummer des Bandes zitiert].<br />

18 Ebd.<br />

19 Ebd.<br />

20 Potthast, S. 204.<br />

21 Vgl. Potthast, S. 204 und Schoenborn, S. 358.


! '!<br />

Betrachtete Stifter die endlich <strong>zu</strong>m Ausdruck gebrachten Forderungen nach Freiheit und Konstitution<br />

noch mit Wohlwollen, beunruhigte ihn der <strong>zu</strong>nehmend radikale und auch blutige<br />

Verlauf des Revolutionsgeschehens immer mehr. 22 Doppler sieht Stifter hier auf einer Linie<br />

mit Grillparzer, Feuchtersleben und Nestroy:<br />

Einer für die bürgerliche Intelligenz typischen Haltung entspricht es aber auch, daß die Begeisterung<br />

über die errungene Freiheit während der Märztage sich mit der Angst vermischt, die<br />

Auflösung der alten Ordnung könnte das Ende des österreichischen Staates bedeuten. 23<br />

So ist <strong>Stifters</strong> Abreise aus Wien Anfang Mai 1848 zwar nicht <strong>als</strong> Flucht vor der Revolution,<br />

jedoch durchaus <strong>als</strong> politisches Bekenntnis – im Sinne einer Absage an die radikalen Revolutionsanhänger,<br />

die sich mittlerweile durchgesetzt hatten – <strong>zu</strong> verstehen. 24 Von Linz aus konnte<br />

Stifter beobachten, wie die Ereignisse in Wien bald von Gewalt und Radikalisierung dominiert<br />

wurden, eine Entwicklung, die ihn in seinem Glauben an eine „dem Menschen angeborene<br />

Güte“ 25 erschütterten: „Betrübend ist die Erscheinung, dass so viele, welche die Freiheit<br />

begehrt haben, nun selber von Despotengelüsten heimgesucht werden“ 26 . Das Revolutionsgeschehen<br />

widerlegte <strong>Stifters</strong> Grundüberzeugung über die Natur des menschlichen Wesens und<br />

löste bleibende depressive Zustände bei ihm aus:<br />

Könnte ich Ihnen nur <strong>zu</strong>m zehnten Theile schildern, was ich seit März 1848 gelitten habe. Als<br />

ich sah, welchen Gang die Dinge nehmen, bemächtigte sich meiner die tieffste und dürsterste<br />

Niedergeschlagenheit um die Menschheit, ich folgte den Ereignißen mit einer Aufmerksamkeit<br />

und Ergriffenheit, die ich selber nie an mir vermuthet hatte. Als die Unvernunft, der hole Enthusiasmus,<br />

dann die Schlechtigkeit die Leerheit, und endlich sogar das Verbrechen sich breit<br />

machten und die Welt in Besiz nahmen: da brach mir fast buchstäblich das Herz, […]. 27<br />

Auch Schoenborn stellt fest, dass Stifter Anfang der 1850er Jahre in eine tiefe Lebenskrise<br />

stürzte, da sich durch die Revolution die Verhältnisse in Österreich so gewandelt hatten, dass<br />

Stifter sich nicht mehr heimisch fühlte 28 und im Handeln seiner Mitmenschen vieles geschehen<br />

war, das er nicht für möglich gehalten hatte. 29 Nach Doppler entwickelte Stifter <strong>als</strong> Reaktion<br />

darauf einen „stark ausgeprägten Ordnungswillen“ 30 , mit dem er Staat und Gesellschaft<br />

fortan betrachtete und der sich auch auf seine Geschichtsauffassung übertrug. 31 Das Trauma,<br />

das die Revolution für Stifter zweifellos darstellte, beeinflusste <strong>Stifters</strong> Denken und Schaffen.<br />

Er glaubte daran, dass die gegenwärtig unruhige Lage nur durch Bildung und Erziehung ge-<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

22 Vgl. Doppler, S. 98.<br />

23 Doppler, S. 97f.<br />

24 Vgl. Potthast, S. 207.<br />

25 Schoenborn, S. 361.<br />

26 Brief an Heckenast, 25. Mai 1848, zitiert nach Schoenborn, S.362.<br />

27 Brief an Heckenast, 4. September 1849, PRA 18, S.10f.<br />

28 Vgl. Schoenborn 393.<br />

29 Vgl. Schoenborn, 404.<br />

30 Doppler, S. 97.<br />

31 Ebd.


! (!<br />

bessert werden könne. 32 Der <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> gesellschaftsutopischer <strong>Roman</strong> entstand schließlich <strong>als</strong><br />

die literarische Verarbeitung von <strong>Stifters</strong> <strong>Überlegungen</strong> hinsichtlich einer gerechten Staatsform<br />

und dem Ideal einer von Sittlichkeit geleiteten Gesellschaft.<br />

So möchte man Schoenborn widersprechen, der Stifter trotz seiner aktiven Teilnahme an den<br />

Ereignissen von 1848 „nicht <strong>als</strong> politischen Menschen“ 33 einschätzt und darauf hinweist, dass<br />

auch <strong>Stifters</strong> Zeitgenossen schon dessen unpolitische Natur erkannt hätten. 34 Als Argument<br />

dient ihm eine Erinnerung Emerich Ranzonis, in der es heißt, Stifter habe großes Interesse an<br />

den bewegenden Fragen seiner Zeit gehabt und sei in seinem Denken sehr fortschrittlich und<br />

liberal gewesen. Als größte Schwäche schätzt Ranzoni jedoch <strong>Stifters</strong> milde Seele ein, die<br />

angesichts der Gewalt der Revolution in dichterische Sphären geflüchtet sei: „In diesem Zurückschrecken<br />

vor der Erscheinung der Unvollkommenheit unseres Wesens lag überhaupt der<br />

Hauptmangel seines Talents.“ 35 <strong>Stifters</strong> Charakter mag vielleicht nicht robust genug gewesen<br />

sein, um die politischen Grabenkämpfe und die im Namen der Freiheit begangenen Grausamkeiten<br />

<strong>zu</strong> ertragen. Zum Politiker war er sicher nicht geboren. Sein intensives Nachdenken<br />

über gesellschaftliche Zusammenhänge und vielleicht gerade sein Glaube an das Gute im<br />

Menschen, das <strong>zu</strong> einem sittlich-geordneten Staatswesen führen und sich in diesem zeigen<br />

sollte, zeichnen Stifter dennoch <strong>als</strong> politischen Menschen aus.<br />

2.2 Politische Schriften: Der Staat<br />

Zunächst beschrieb Stifter seine <strong>Überlegungen</strong> <strong>zu</strong> politischen Themen in journalistischen Arbeiten,<br />

von denen er 1848 und ’49 einige publizierte. Auf einen, wenn auch unvollendet gebliebenen,<br />

Artikel mit dem Titel Der Staat soll hier kurz eingegangen werden, weil sich in<br />

ihm schon Tendenzen einer Staatsauffassung abzeichnen, die Stifter im <strong>Witiko</strong> in epischer<br />

Breite darstellt. Die abgedruckten Teile von Der Staat erschienen am 13. und 18. April 1848<br />

in der neu gegründeten Constitutionellen Donau-Zeitung. 36<br />

Stifter beschreibt in diesem Artikel seine Ansichten <strong>zu</strong>m Gelingen gesellschaftlicher Ordnungen<br />

und diskutiert in historischer Perspektive die Vor- und Nachteile verschiedener Staatsordnungen.<br />

Im ersten Teil des Artikels spricht Stifter sich zwar nur indirekt, aber dennoch<br />

deutlich gegen die chaotischen Züge des Revolutionsgeschehens aus. Er führt aus, dass jede<br />

menschliche Gemeinschaft einer Ordnung bedarf, um das Recht auf körperliche, geistige und<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

32 Vgl. Doppler, S. 98 und allgemein bei Wiehl, S. 43–53 und S. 79–83.<br />

33 Schoenborn, S. 365.<br />

34 Ebd.<br />

35 Ranzoni, zitiert nach Schoenborn, S. 366.<br />

36 Vgl. Potthast, S. 208f. Im folgenden wird nach dem Abdruck des Artikels in der historisch-kritischen Gesamtausgabe<br />

zitiert (vgl. HKG 8,2, S. 27–39).


! )!<br />

sittliche Entfaltung jedes Einzelnen <strong>zu</strong> gewähren. Obwohl selbst die beste Gesellschaftsordnung<br />

persönliches Scheitern und Unglücksfälle nicht verhindern kann, ist sie nach Stifter<br />

dennoch unerlässlich, weil nur „Ordnung und Eintheilung“ 37 das menschliche Potential <strong>zu</strong>m<br />

Guten befördern und „jedem Einzelnen das Gefühl der Sicherheit“ 38 geben. Diese Sicherheit<br />

ist unerlässlich für die intellektuelle Entwicklung einer Gesellschaft sowie <strong>zu</strong>m Aufbau geschäftlicher<br />

Beziehungen, weil sie jedem die Gewissheit gibt, seine Produkte absetzen und<br />

somit seinen Lebensunterhalt verdienen <strong>zu</strong> können. Kommt es durch eine Störung der Ordnung<br />

<strong>zu</strong> Gefühlen der Unsicherheit oder nur der bloßen Angst davor, führt dies nach Stifter <strong>zu</strong><br />

einer Einschränkung im Warenangebot, auf Konsumentenseite <strong>zu</strong>m Verzicht und auch Bautätigkeit<br />

und Investitionen werden eingestellt. 39 Es ist bemerkenswert, wie sehr Stifter hier den<br />

wirtschaftlichen Aspekt betont.<br />

Aus diesen möglichen fatalen Folgen ergibt sich „die heiligste Pflicht, ja die größte eines jeden<br />

Bürgers […], daß er die Ordnung aufrecht <strong>zu</strong> erhalten strebe, und jedes auf das Sorgfältigste<br />

meide, wodurch sie gestört werden könnte.“ 40 Obwohl dies <strong>als</strong> eine Absage an die Beteiligung<br />

an Revolutionen gelesen werden kann, erkennt Stifter an, dass die jahrelange Nichtbeachtung<br />

von Änderungswünschen an einer bestehenden Ordnung in die plötzliche Veränderung<br />

im Zuge eines Umsturzes umschlagen kann. 41 Er steht der Revolution <strong>als</strong>o nicht grundsätzlich<br />

ablehnend gegenüber, fürchtet aber aus den genannten Gründen das durch sie ausgelöste<br />

Gefühl der Unsicherheit und plädiert dafür, diesen Zustand „so kurz <strong>als</strong> möglich <strong>zu</strong> machen“<br />

42 . Neben der Verunsicherung führt eine plötzliche Änderung der Ordnung <strong>zu</strong>dem da<strong>zu</strong>,<br />

dass Partikularinteressen Aufwind bekommen und die gemeinschaftliche Zusammenarbeit an<br />

den Änderungen hemmen, was Stifter scharf verurteilt. 43 Und auch gegen die Radikalisierung<br />

des Revolutionsgeschehens von 1848 teilt er einen Seitenhieb aus:<br />

Es gibt auch solche, welche Glauben, daß in der neuen Ordnung alles erlaubt sei, diese sollen<br />

bedenken, daß das keine neue Ordnung, sondern ganz und gar keine wäre, und daß daher alles,<br />

wodurch die Menschen ernährt und erhalten werden, <strong>zu</strong> Grunde gehen müsse, und ganz gewiß<br />

auch sie selber. 44<br />

Im einige Tage später erschienenen zweiten Teil des Artikels kommt Stifter dann auf die verschiedenen<br />

Staatsordnungen <strong>zu</strong> sprechen, die Menschen im Lauf der Geschichte geschaffen<br />

haben. Die kleinste Einheit ist dabei die patriarchalische Ordnung mit dem Familienvater <strong>als</strong><br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

37 HKG 8,2, S. 28.<br />

38 Ebd.<br />

39 HKG 8,2, S. 28f.<br />

40 HKG 8,2, S. 29.<br />

41 Ebd.<br />

42 HKG 8,2, S. 30.<br />

43 HKG 8,2, S. 29f.<br />

44 HKG 8,2, S.30.


! *!<br />

Oberhaupt, die sich aus den „natürlichen Banden der Verwandtschaft“ 45 ergibt und in dieser<br />

Form nur besteht, solange die Besiedelung relativ dünn ist. Steigt die Bevölkerungsdichte an,<br />

kommt es bald <strong>zu</strong> Familienfehden, was wiederum <strong>zu</strong>r Bildung von Bündnissen zwischen Familien<br />

„gleicher Sprache und gleichen Sitten“ 46 führt, um Angriffe ab<strong>zu</strong>wehren. Stifter nennt<br />

dieses Gebilde unter Führung der mächtigsten Familie einen „väterlichen Staat“ 47 , das Oberhaupt<br />

hat eine absolute Herrschaft inne. Der Erfolg dieses Modells ist nach Stifter einerseits<br />

abhängig vom Bildungsgrad des Volkes – die Untertanen dürfen selbst keine Einsicht in Führungsfragen<br />

haben und müssen dem Oberhaupt die Leitung anvertrauen – und basiert andererseits<br />

auf den persönlichen Fähigkeiten des Herrschers. Probleme entstehen durch <strong>zu</strong>nehmende<br />

Größe des Staatswesens, es kommt <strong>zu</strong> Unübersichtlichkeit und Entfremdung; der Herrscher<br />

versucht bald, <strong>zu</strong> seinem eigenen Nutzen <strong>zu</strong> regieren.<br />

Aus der Erkenntnis, „daß in absoluten Staaten von der Weisheit und Güte des Regenten, und<br />

von der Geschicklichkeit, seine Räthe <strong>zu</strong> wählen, nicht nur Vieles, sondern Alles und Jedes<br />

abhängt“ 48 , entstanden im Lauf der Geschichte andere Verfassungsmodelle, die Stifter im<br />

Folgenden mit ihren Vor- und Nachteilen beschreibt. In Be<strong>zu</strong>g auf die Verarbeitung der Ideen<br />

im <strong>Witiko</strong> sollen hier nur das Wahl- sowie das Erbkönigtum erwähnt werden. Wie Stifter darlegt,<br />

erscheint die Wahl des talentiertesten und somit bestmöglichen Regenten auf den ersten<br />

Blick ein kluger Weg <strong>zu</strong> sein. Sie ist im Grunde aber sehr problematisch, weil viele Wähler<br />

nicht die geistigen Fähigkeiten hatten, den Besten <strong>zu</strong> erkennen, und <strong>zu</strong>dem empfänglich für<br />

Beeinflussung durch Worte oder Geld waren. Auch die „Wahlcapitulation“ 49 , <strong>als</strong>o die Verabredung<br />

von Zusagen im Falle der Wahl eines Kandidaten, führte <strong>zu</strong>r Schwächung des gewählten<br />

Regenten. In manchen Fällen wurde dies gezielt ausgenutzt und die einflussreichen Kreise<br />

sorgten absichtlich für die Wahl eines machtlosen Kandidaten, um diesen auf dem Thron in<br />

ihrem Sinne beeinflussen <strong>zu</strong> können. 50 Doch auch das Gegenmodell, die Beset<strong>zu</strong>ng der Herrscherposition<br />

durch die Erbfolge, ist unsicher, da die Tugenden eines guten Königs sich nicht<br />

vererben lassen, „auf einen großen, kraftvollen, tüchtigen Vater, [<strong>als</strong>o] ein schwacher und<br />

wenig begabter Sohn folgen konnte“ 51 . Bei der Diskussion der Vorzüge der Republik stellt<br />

Stifter fest: „Wenn jeder Einzelne verständigweise und gut ist, dann ist diese Regierungsart<br />

eine der besten, aber dann ist überhaupt jede leicht eine der besten.“ 52 Der Erfolg jedweder<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

45 HKG 8,2, S. 31.<br />

46 HKG 8,2, S. 32.<br />

47 Ebd.<br />

48 HKG 8,2, S. 34.<br />

49 Ebd.<br />

50 Vgl. HKG 8,2, S. 34f.<br />

51 HKG 8,2, S. 35.<br />

52 HKG 8,2, S. 37.


! +!<br />

Regierungsform hängt <strong>als</strong>o im Grunde von der Sittlichkeit der Anführer, Könige und auch des<br />

gemeinen Volkes ab.<br />

Stifter gibt in diesem Artikel eine Kostprobe des oben angesprochenen politischen Sachverstandes,<br />

er kennt sich mit staatstheoretischen Zusammenhängen aus 53 und präsentiert seine<br />

eigenen <strong>Überlegungen</strong> anlässlich der für ihn aufrüttelnden Revolutionsereignisse. Bereits<br />

1848 formuliert er damit seinen Entwurf, wie eine gerechte Herrschaft aussehen kann. Es<br />

wird <strong>zu</strong> zeigen sein, wie Stifter die hier vorgestellten Staatsordnungen ‚väterlicher Staat’ und<br />

Wahlkönigtum im <strong>Witiko</strong> verarbeitet und versucht, die Bedingungen ihres Gelingen dar<strong>zu</strong>stellen.<br />

3 Die Hinwendung <strong>zu</strong>m historischen <strong>Roman</strong><br />

Obgleich diese Arbeit aufzeigen will, dass der <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> politischer <strong>Roman</strong> gelesen werden<br />

kann, konzipierte Stifter ihn eigentlich <strong>als</strong> historischen <strong>Roman</strong> und unter dieser Genrebezeichnung<br />

wird er bis heute wahrgenommen. Was aber reizte Stifter <strong>zu</strong>m Schreiben eines historischen<br />

<strong>Roman</strong>es? Geht man dieser Frage nach, stößt man bald auf Hinweise, die zeigen,<br />

dass sein Geschichtsverständnis eng mit den Ereignissen von 1848 und <strong>Stifters</strong> politischen<br />

Ansichten verwoben war.<br />

Bereits 1844 hatte Stifter das erste Mal mit dem Gedanken gespielt, einen mehrbändigen historischen<br />

<strong>Roman</strong> <strong>zu</strong> schreiben, Gegenstand sollte das Schicksal von Maximilian Robespierre<br />

sein. 54 Nach Aust lagen dieser Überlegung „Reaktion und Bedürfnis gleichermaßen“ 55<br />

<strong>zu</strong>grunde. Denn Stifter sah sich der Kritik der Vormärzler ausgesetzt, die die Ausrichtung<br />

seiner Schriften an idyllischen Motiven bemängelten. Und so mag die allgemeine Beliebtheit<br />

historischer <strong>Roman</strong>e im 19. Jahrhundert, die sich aus dem Erfolg von Walter Scotts Werken<br />

speiste, Stifter auf die Idee gebracht haben, dass die Hinwendung <strong>zu</strong> einem ‚großen’ historischen<br />

Thema auch seine Reputation <strong>als</strong> Schriftsteller aufwerten könnte:<br />

Der lezte Stoff [Robespierre, L.K.] ist so schön und hinreißend, daß ich oft selber beim Lesen<br />

von Memoiren und beim Notizenmachen in einen Schauer komme, und das Gewicht jener<br />

furchtbaren Zeiten fühle. [..., es] muss gerade ein solches Werk großes Aufsehen machen. Im<br />

Verbrechen und in seinem Sturze trotz aller übermenschlicher Kraft (wie sie oft in Danton<br />

sichtbar wird) liegt eine erschütternde moralische Größe, und der Weltgeist schaut uns mit den<br />

ernstesten Augen an. 56<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

53 Es war leider war nicht aus<strong>zu</strong>machen, auf welche Theoretiker der politischen Philosophie <strong>Stifters</strong> Ansichten<br />

sich eventuell stützen. Nach Wiehl fehlten philosophische Abhandlungen in <strong>Stifters</strong> Bibliothek (vgl. Wiehl, S.<br />

21).<br />

54 Vgl. Doppler, S. 93 und für sämtliche Aspekte Rund um die <strong>Witiko</strong> <strong>zu</strong>dem HKG 5,4, S. 159-208.<br />

55 Hugo Aust: Der historische <strong>Roman</strong>, Stuttgart/Weimar 1994, S. 94.<br />

56 Brief an Heckenast, 17. Juli 1944, PRA, XVII, S. 123f.


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Mit der Bearbeitung eines dramatischen Stoffes aus der Geschichte rechnete sich Stifter wohl<br />

gute Chancen auf Erfolg beim Publikum aus, wie Koschorke meint, „schon aus Gründen seiner<br />

chronisch finanziellen Misere“ 57 . Daneben zeichnet sich hier bereits ab, dass Stifter sich<br />

vor allem für tragische Aspekte der Geschichte interessierte, an denen sich „moralische Größe“<br />

und die Gesetzmäßigkeit des „Weltgeistes“ darstellen ließen. 58 Das Robespierre-Projekt<br />

wird von Stifter danach nicht mehr erwähnt, er beschäftige sich <strong>zu</strong>nächst mit anderen Vorhaben.<br />

Eine erneute Hinwendung <strong>zu</strong>m historischen <strong>Roman</strong> ergab sich erst mit den Revolutionsereignissen<br />

von 1848 und der damit verbundenen Veränderung der politischen Lage. 59 An<br />

Heckenast schrieb er:<br />

Da ich nun diese Ansicht gebildet hatte, da mir aus der Stimmung der ganzen Welt und der meines<br />

Inneren klar war, daß Dichtungen in jetziger Zeit ganz andere Motive bringen müssen, wenn<br />

sie hinreißen sollen, <strong>als</strong> vor den Märztagen: so warf ich mich ganz auf den historischen <strong>Roman</strong><br />

der Ottokarszeit, die gewaltthätig und groß war, wie die heutige, und die daher selbst mitten in<br />

Krieg und Umsturz gelesen würde, so wie ich sie mitten in heftigen politischen Gefühlen <strong>zu</strong> arbeiten<br />

vermochte. 60<br />

Dass Stifter im Historischen eine Verbindung <strong>zu</strong>r Gegenwart sucht, wird an seinem Vergleich<br />

der Ottokarszeit, die „gewaltthätig und groß“ war, mit der eigenen unruhigen Gegenwart deutlich.<br />

So bewirkt nicht nur die gewandelte Publikumserwartung nach der Revolution eine Neuausrichtung<br />

der <strong>Stifters</strong>chen Motive, es scheint Stifter auch ein Bedürfnis <strong>zu</strong> sein, die „heftigen<br />

politischen Gefühle“, die die Märztage bei ihm ausgelöst haben, literarisch <strong>zu</strong> verarbeiten.<br />

Von den beliebten und erfolgreichen historischen <strong>Roman</strong>en seiner Zeit wird <strong>Adalbert</strong><br />

<strong>Stifters</strong> geplantes Werk sich jedoch fundamental unterscheiden, da seine Geschichtsauffassung<br />

sich gänzlich von der anderer zeitgenössischer Autoren unterscheidet, die die historischen<br />

Ereignisse mehr <strong>als</strong> Folie verwenden, um vor diesem Hintergrund Abenteuer und Liebesgeschichten<br />

<strong>zu</strong> erzählen. 61<br />

3.1 <strong>Stifters</strong> Geschichtsauffassung<br />

Bereits vor seinem Plan, einen historischen <strong>Roman</strong> <strong>zu</strong> schreiben, hatte Stifter sich mit Geschichte<br />

beschäftigt. 62 Er hatte einigen Mädchen Geschichtsunterricht gegeben, die er mit der<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

57 Koschorke, S. 143. Auch im Kommentar der historisch-kritischen Gesamtausgabe wird darauf hingewiesen,<br />

dass Stifter sich erhebliche materielle Vorteile vom Schreiben eines historischen <strong>Roman</strong>s mit großem Umfang<br />

erhoffte, da das Honorar nach der Bogenzahl berechnet wurde (vgl. HKG 5,4, S. 165).<br />

58 Vgl. auch HKG 5,4, S. 159.<br />

59 Vgl. Doppler, S. 94 und Potthast, S. 209f.<br />

60 Brief an Heckenast, 8. September 1848, PRA XVII, S. 302.<br />

61 Vgl. Harro Müller: Historische <strong>Roman</strong>e. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 6. Bürgerlicher<br />

Realismus und Gründerzeit 1848–1890, hg. von Edward McInnes und Gerhard Plumpe, München 1996, S.<br />

691.<br />

62 Vgl. für <strong>Stifters</strong> Verhältnis <strong>zu</strong>r Geschichte und seinen Betrachtungen über den historischen <strong>Roman</strong> auch die<br />

Kapitel Historischer <strong>Roman</strong> und Epos (S. 245–259) und Geschichtsauffassung (S. 261–271) in HKG 5,4.


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Betrachtung der Grundzüge des Naturrechts auf den eigentlichen Unterricht anhand Rottecks<br />

Allgemeiner Geschichte vorbereitete. 63 Wie Krökel darstellt, zeigt sich an dieser Unterrichtskonzeption,<br />

dass in <strong>Stifters</strong> Geschichtsverständnis die Ereignisse nicht „bloße Tatsachen“ 64<br />

waren, sondern von ihm in den Kategorien von Recht und Unrecht betrachtet wurden, „weil er<br />

im Ablauf des Geschehens ein sittliches Gesetz gewahr“ 65 wurde. Dieser Ansatz <strong>Stifters</strong> verstärkte<br />

sich einige Jahre später durch das Studium von Herders Ideen <strong>zu</strong>r Geschichte der<br />

Menschheit noch und fand bei ihm wohl so großen Anklang, dass Schoenborn Stifter gar <strong>als</strong><br />

„überzeugten Anhänger der Geschichtsphilosophie Herders“ 66 bezeichnet. Auf Grundlage von<br />

Herders Ideen war auch Stifter von einer Vorstellung der „Weltgeschichte <strong>als</strong> Weltgericht“ 67<br />

überzeugt und glaubte daran, dass die Geschichte der Menschen einem göttlichen Plan folge.<br />

Gehorsam oder Ungehorsam gegen Gott zeigen sich folglich <strong>als</strong> Belohnung oder Strafe im<br />

Schicksal von Einzelpersonen und Völkern und „Geschichtsschreibung bedeutet demnach das<br />

Abfassen eines kritischen Berichts von Vorgängen in der Vergangenheit aufgrund des Kriteriums<br />

von gut und böse“ 68 . Die gewonnene Vorstellung von einem Ordnungsgesetz der Geschichte<br />

scheint sich für Stifter in der Folgezeit bei der Beschäftigung mit allen historischen<br />

Stoffen bestätigt <strong>zu</strong> haben und wurde von ihm auch auf zeitgenössische Ereignisse wie die<br />

bereits beschriebene Revolution von 1848, den Krieg gegen Napoleon III. 1859 oder den<br />

deutsch-deutschen Krieg 1866 angewandt. 69<br />

<strong>Stifters</strong> Geschichtsverständnis wirkte sich dementsprechend auch auf seine Ansichten über<br />

den historischen <strong>Roman</strong> aus. In einem Brief an Heckenast vom 8. Juni 1861 beschrieb er, was<br />

ihn an diesem Genre faszinierte und in welcher Art er es selbst bearbeiten wollte:<br />

Man erzählt gewöhnlich bei geschichtlichen [!] Hintergrunde Gefahren Abenteuer und Liebesweh<br />

eines Menschen oder einiger Menschen. Mir ist das nie recht <strong>zu</strong> Sinne gegangen. Mir haben<br />

unter Walter Scotts <strong>Roman</strong>en die am besten gefallen, in denen das Völkerleben in breiteren<br />

Massen auftrit wie z.B. in den ‚Presbiterianern’. Es erscheinen da bei dieser Art die Völker <strong>als</strong><br />

großartige Naturprodukte aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, in ihren Schiksalen zeigt<br />

sich die Abwiklung eines riesigen Gesezes auf, das wir in Be<strong>zu</strong>g auf uns das Sittengesez nenne,<br />

[…] Es erscheint mir daher in historischen <strong>Roman</strong>en die Geschichte die Hauptsache und die<br />

einzelnen Menschen die Nebensache […]. Darum steht mir das Epos viel höher <strong>als</strong> das Drama,<br />

und der sogenannte historische <strong>Roman</strong> erscheint mir <strong>als</strong> das Epos in ungebundener Rede. 70<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

63 Vgl. Fritz Krökel: Nachwort, in: Stifter, <strong>Adalbert</strong>: <strong>Witiko</strong> (dtv-Ausgabe), München 4 2005, S. 883.<br />

64 Ebd.<br />

65 Ebd.<br />

66 Schoenborn, S. 440.<br />

67 Ebd.<br />

68 Ebd.<br />

69 Vgl. Krökel, S. 883f.<br />

70 Brief an Heckenast, 8. Juni 1861, PRA XIX, S. 282f.


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Stifter stilisiert die Geschichte <strong>zu</strong>r Schöpfung Gottes und ästhetisiert sie. 71 Man gewinnt fast<br />

den Eindruck, dass die Geschichte und der literarische Umgang damit für Stifter <strong>zu</strong>r überhöhten<br />

und unbezwingbaren Lebensaufgabe werden. Während der Arbeit am <strong>Witiko</strong> schreibt er<br />

beispielsweise:<br />

Im Hochwald habe ich die Geschichte <strong>als</strong> leichtsinniger junger Mensch über das Knie gebrochen,<br />

und sie dann in die Schubfächer meiner Fantasie hineingepfropft. Ich schäme mich jezt<br />

beinahe jenes kindischen Gebarens. Jezt steht mir das Geschehen fast wie ein ehrfurchtgebietender<br />

Fels vor Augen, und die Frage ist jezt nicht mehr die: ‚was will ich mit ihm tun?’ sondern:<br />

‚was ist er?’ und die Antwort ist so schwer […]. 72<br />

Ausgehend von der fast zwanzig Jahre dauernden Arbeit am <strong>Witiko</strong>, die Stifter trotz eigentlich<br />

abgeschlossenen Vorarbeiten immer wieder unterbrach und durch das Verfassen anderer<br />

Schriften in die Länge zog, stellt Doppler sogar die Frage, ob Stifter eventuell ein gestörtes<br />

Verhältnis <strong>zu</strong> den von der Geschichtswissenschaft und dem Zeitgeschehen vermittelten historischen<br />

Abläufen hatte und die Konfrontation damit während der Arbeit am <strong>Witiko</strong> schließlich<br />

<strong>zu</strong> geistiger und körperlicher Krankheit führte. 73 Auch Potthast argumentiert ähnlich: „Krankheit,<br />

Depression, historischer <strong>Roman</strong> und Revolution bilden in <strong>Stifters</strong> Leben einen engen<br />

Zusammenhang.“ 74 Diese These kann man in der seltsam holprigen, um eine adäquate Beschreibung<br />

der Dinge ringenden Sprache am Anfang des <strong>Roman</strong>s bestätigt sehen, wie Czernin<br />

es tut, der überzeugt ist, dass Stifter wegen seiner hoch gesetzten Ziele auch sprachlich erst in<br />

die Erzählung hineinfinden musste 75 : „Das lässt erahnen, wie groß die <strong>zu</strong> überwindenden Widerstände<br />

sind. Unsicherheit ist am Anfang noch merklich […]“ 76<br />

Wie man diese <strong>Überlegungen</strong> auch bewerten mag, so lässt sich im Hinblick auf <strong>Stifters</strong> Korrespondenz<br />

doch sicher sagen, dass er die Geschichte <strong>als</strong> Exempel für das Wirken des ‚Sanften<br />

Gesetzes’, <strong>als</strong> Beweis für das Gelten einer gerechten Ordnung sah, die er, mit hohen Anspruch<br />

an sich selbst, am Fall und Aufstieg eines Volkes literarisch darstellen wollte. 77 Nun<br />

brauchte Stifter nur noch ein entsprechendes Beispiel aus der Geschichte <strong>als</strong> Thema für seinen<br />

<strong>Roman</strong>.<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

71 Vgl. Aust, S. 96.<br />

72 Brief an Heckenast, 7. März 1860, PRA XIX, S. 223f.<br />

73 Vgl. Doppler, S. 94f. Nach Doppler zeigt sich beispielsweise an der Mappe, dass es in <strong>Stifters</strong> Anschauung<br />

zwei grundsätzlich verschiedene Formen von Geschichte gab: die in Lehrbüchern tradierte Geschichte, deren<br />

Ereignisse „schicksalhaft über den einzelnen herein“ brechen (vgl. S. 95) und die bei Stifter Unbehagen auslöst.<br />

Eine ihm natürlicher erscheinende Verbindung <strong>zu</strong>r Vergangenheit ist dagegen die Geschichte, die durch die<br />

Heimat, familiäre Überlieferung sowie die Abläufe in der Natur weitergeben wird, weshalb Stifter dieses Geschichtsmodell<br />

nach Doppler sowohl im Nachsommer <strong>als</strong> auch im <strong>Witiko</strong> bevor<strong>zu</strong>gt (vgl. S. 96f.).<br />

74 Potthast, S. 204.<br />

75 Vgl. Franz-Josef Czernin: Zu <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“. In: Text+Kritik 160 (2003), S. 57.<br />

76 Ebd.<br />

77 Vgl. HKG 5,4, S. 262f. und Hugo Rokyta: Die Entstehung von <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“ aus böhmischer<br />

Sicht. In: VASILO 33 (1984), Folge 3/4, S. 101.


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3.2 Auf der Suche nach einem passenden Beispiel aus der Geschichte<br />

!<br />

Nachdem Stifter 1844 kurzzeitig Robespierre <strong>als</strong> Stoff für seinen historischen <strong>Roman</strong> im Auge<br />

hatte, findet sich 1847 der erste Hinweis auf seinen Plan, sich mit den Rosenbergern, einem<br />

mittelalterlichen Geschlecht aus seiner Heimat im südlichen Böhmen, <strong>zu</strong> beschäftigen. 78<br />

<strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> Hauptperson wurde 1855 <strong>zu</strong>m ersten Mal erwähnt, Stifter hatte <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt<br />

vor, den Rosenberger-Stoff <strong>zu</strong> einer Trilogie mit je einem Band über das Schicksal von<br />

<strong>Witiko</strong>, Wok und Zawisch, <strong>als</strong>o drei verschiedenen Generationen des Geschlechtes, <strong>zu</strong> verarbeiten.<br />

79 Von diesem ambitionierten Projekt kam jedoch nur der <strong>Witiko</strong>, in dem Stifter die<br />

Gründung und den Aufstieg des Geschlechtes der Rosenberger beschreibt, <strong>zu</strong>r Ausführung.<br />

Doch was war es, dass <strong>Stifters</strong> Wahl auf die Rosenberger bzw. die Figur des <strong>Witiko</strong> fallen<br />

ließ?<br />

Zum einen fühlte Stifter sich den Rosenbergern persönlich verbunden, denn durch seine Herkunft<br />

aus Südböhmen und die Liebe <strong>zu</strong> seiner Heimat bestand eine emotionale Beziehung mit<br />

deren Geschichte. 80 In der Nähe von <strong>Stifters</strong> Geburtsort Oberplan stand die Ruine der Burg<br />

Wittinghausen, deren Bauherr eben jener <strong>Witiko</strong> gewesen war und die Stifter in seiner Jugend<br />

mehrere Male gezeichnet und gemalt hatte. 81 So ist der <strong>Roman</strong> sicher auch <strong>als</strong> ein literarisches<br />

Denkmal an die geliebte Heimat <strong>zu</strong> verstehen.<br />

Entscheidender war jedoch wohl, dass die Zeit, in die <strong>Witiko</strong>s Aufstieg fällt, <strong>als</strong>o etwa die<br />

zweite Hälfte des zwölften Jahrhunderts, sehr gut <strong>zu</strong> den oben aufgezeigten Darstellungsabsichten<br />

<strong>Stifters</strong> im historischen <strong>Roman</strong> passte 82 : In diesem Abschnitt der böhmischen Geschichte<br />

fand das Land nach zahllosen blutigen Thronstreitigkeiten <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong>m Frieden und<br />

einer inneren Ordnung und schaffte, durch sein Eintreten für das römische Kaiserreich, sogar<br />

den Aufstieg <strong>zu</strong> einer „Macht von europäischem Rang“ 83 . Koschorke kommentiert <strong>Stifters</strong><br />

Stoffwahl ebenfalls in diesem Sinne:<br />

Eine Umbruch- und Gründerzeit des Mittelalters, so wie die Entstehungszeit des <strong>Roman</strong>s eine<br />

Umbruch- und Gründerzeit der Moderne war. Ideale Rahmenbedingungen für ein romanhaftes<br />

Nationalepos, das den tiefsten Bedürfnissen der Zeit mit ihren politischen Wirren – preußischösterreichischer<br />

Krieg 1866, deutsch-französischer Krieg 1870/71 mit anschließender Gründung<br />

des deutschen Staates in Versailles – entgegengekommen wäre. 84<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

78 Vgl. HKG 5,4, S. 160f.<br />

79 Vgl. für die Konzeption des <strong>Witiko</strong> HKG 5,4, S. 167f.<br />

80 HKG, 5,4, S.223f. und Potthast, S. 211f.<br />

81 Vgl. Koschorke, S. 142, Krökel, S. 881.<br />

82 Vgl. für diesen Zusammenhang Potthast, S. 212 und HKG 5,4, S. 224.<br />

83 Potthast, S, 212.<br />

84 Koschorke, S. 143. Koschorke belässt es hier beim Konjunktiv „wäre“, da er der Meinung ist, dass Stifter mit<br />

seiner poetischen Ausgestaltung den Erfolg verfehlt hat, der bei der Bearbeitung des Themas mit den Mitteln<br />

Scotts möglich gewesen wäre.


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Das Böhmen <strong>zu</strong>r Zeit <strong>Witiko</strong>s bot Stifter <strong>als</strong>o den historischen Hintergrund, um seine Kritik<br />

an den politischen Entwicklungen im zeitgenössischen Habsburgerreich dar<strong>zu</strong>stellen. Die<br />

große zeitliche Distanz ermöglichte es ihm, den Lesern die Auswirkungen von Anarchie und<br />

Gewalt während der Revolution von 1848 subtil am Beispiel der blutigen Thronfehden in<br />

Böhmen vor Augen <strong>zu</strong> halten, die das Land an einem politischen Fortkommen hinderten.<br />

Dass Stifter mit dem Stoff darüber hinaus auch die Frage nach den Verhältnissen im Vielvölkerstaat<br />

Habsburgerreich thematisierte, zeigt Müller Funk auf:<br />

Um das Verhältnis zwischen Tschechen, Deutschen und Österreichern in ein versöhnliches<br />

Licht <strong>zu</strong> tauchen, mußte der wohl tschechophilste <strong>Roman</strong> deutscher Zunge eine historische<br />

Konstellation wählen, in der die Eigenständigkeit eines selbstbewußten, seiner Fremdheit und<br />

Eigenheit bewußten Tschechentums der deutschen Staatsidee nicht in die Quere kommt. 85<br />

Ein dritter Grund, der für den <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> Hauptfigur gesprochen haben wird, ist die Tatsache,<br />

dass er <strong>als</strong> historische Person zwar bezeugt ist, seine Lebensumstände jedoch nicht näher bekannt<br />

sind. 86 Diese dünne Faktenlage ließ Stifter sehr viel Raum für seine dichterische Ausgestaltung,<br />

die Schilderung der Umstände von <strong>Witiko</strong>s Aufstieg <strong>zu</strong>m Ahnherren eines großen<br />

Geschlechtes lag somit praktisch ganz in seinem Ermessen. 87<br />

3.3 Die Mühen der Ausarbeitung<br />

Obwohl Stifter sein Thema gefunden, mittelalterliche Geräte und Chroniken intensiv studiert<br />

und darüber hinaus in der Geschichte von Böhmen von Franz Palacky eine ausgezeichnete<br />

und ergiebige Quelle für die mittelalterliche Geschichte Böhmens gefunden hatte, ging die<br />

Arbeit am <strong>Witiko</strong> nur schleppend voran. Stifter musste die Niederschrift immer wieder ruhen<br />

lassen, da sie ihn körperlich und seelisch erschöpfte, und wandte sich <strong>zu</strong>r Erholung anderen<br />

Projekten <strong>zu</strong>. 88 Seine Geschichtsauffassung gebot Stifter das Geschehen auf Grundlage guter<br />

Kenntnisse der mittelalterlichen Zeit „finden“ und „nicht erfinden“ 89 <strong>zu</strong> wollen: „Weil der<br />

geschichtliche Stoff in <strong>Stifters</strong> Vorstellung seinerzeit in vollkommener Form vorgelegen hat,<br />

muß die gegenwärtige Aufgabe darin liegen, dem Material im Medium der Kunst erneut eine<br />

fehlerlose, natürlich-lebendige Gestalt <strong>zu</strong> verleihen.“ 90 <strong>Stifters</strong> Perfektionismus führte auch<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

85 Müller-Funk, S. 342.<br />

86 Die wenigen gesicherten Daten besagen im Wesentlichen nur, dass <strong>Witiko</strong> der Ahnherr der Rosenberger, von<br />

1169 bis 1176 Obertruchsess des böhmischen Königs in Prag sowie Erbauer der Burg Wittinghausen war (vgl.<br />

Koschorke, S. 142).<br />

87 Vgl. Potthast, S. 235, HKG 5,4 S. 225.<br />

88 Vgl. Schoenborn, S. 442ff.<br />

89 In einem undatierten Brief an Heckenast, PRA XIX, S. 265f. Mit <strong>Stifters</strong> Geschichtsbild und seiner Arbeit am<br />

historischen <strong>Roman</strong> beschäftigt sich auch ein Aufsatz von Cornelia Zumbusch (vgl. Cornelia Zumbusch: Der<br />

Gang der Geschichte. Historismus und genetisches Erzählen in <strong>Stifters</strong> <strong>Witiko</strong>. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft<br />

51 (2007).<br />

90 Potthast, S. 234.


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da<strong>zu</strong>, dass er letztlich ein Überangebot an Informationen <strong>zu</strong> Verfügung hatte, denn sein fast<br />

schon manisches Ansammeln von Material – Koschorke spricht von „Zügen einer archivarischen<br />

Obsession“ 91 – sorgte dafür, dass sich die Fertigstellung der endgültigen Abfassung<br />

immer weiter hinauszögerte. <strong>Stifters</strong> Verhältnis <strong>zu</strong> seinem Verleger Heckenast, der bereits<br />

großzügige Vorschüsse auf die Manuskripte des <strong>Witiko</strong> geleistet hatte, litt in der Folge. 92<br />

Nachdem Stifter 1859 mit der Reinschrift <strong>zu</strong>m ersten Band des <strong>Witiko</strong> begonnen hatte, erschien<br />

dieser 1865, der zweite folgte 1866. Den dritten Band stellte Stifter 1867 nur wenige<br />

Monate vor seinem Tod fertig. Die Arbeit an <strong>Stifters</strong> einzigem historischen <strong>Roman</strong> – von der<br />

ersten Idee bis <strong>zu</strong>m Abschluss – hatte rund 20 Jahre gedauert und es scheint fast so, <strong>als</strong> habe<br />

sie ihm die letzten Kräfte geraubt.<br />

4 <strong>Witiko</strong> <strong>als</strong> politischer <strong>Roman</strong><br />

Wendet man den Blick nun auf den <strong>Roman</strong> selbst, so findet sich dort Politisches auf drei Ebenen:<br />

dies ist einmal die Stufe der personalen Herrschaft, die am Beispiel von <strong>Witiko</strong>s Aufstieg<br />

<strong>zu</strong>m würdigen Anführer der Waldleute und Zupan des Herzogs aufgezeigt wird. 93 <strong>Witiko</strong>s<br />

Schicksal ist dabei eng mit dem Konflikt der Herzogswahl in Böhmen verzahnt. Der Streit um<br />

die Thronfolge per Wahl bzw. Alterserblichkeit bildet auf einer zweiten Ebene den Hintergrund<br />

für die Frage nach rechtmäßiger Herrschaft. Durch die Lösung dieses Konfliktes wird<br />

das Geschehen schließlich noch auf eine dritte Stufe gehoben: die Einbeziehung des Kaisers<br />

in den böhmischen Nachfolgekonflikt spricht die Probleme rund um staatliche Souveränität<br />

und Identität, das Verhältnis zwischen dem Reich und den einzelnen Staaten an. Auch Hugo<br />

Aust hält für den <strong>Witiko</strong> eine ähnliche Einteilung fest:<br />

Auf unterschiedlichen Ebenen geht es um Gesetzmäßigkeiten: ‚Auf der Ebene der Generationsgeschichte<br />

<strong>Witiko</strong>s der wellenförmige Auf- und Abstieg eines Geschlechts, auf der Ebene der<br />

böhmischen Landesgeschichte die Abfolge von Frevel und Strafe, von Unrecht und Recht, von<br />

Aufruhr und Ordnung, schließlich auf der Reichsgeschichte die Folge von Zwietracht und Versöhnung,<br />

von Zersplitterung und Einheit.’ 94<br />

Diese Ebenen sollen im Folgenden durch eine Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit dem <strong>Roman</strong> herausgearbeitet<br />

und illustriert werden, wobei dessen Umfang und Detailreichtum eine tiefgehende<br />

Analyse im Rahmen dieser Arbeit nahe<strong>zu</strong> unmöglich machen. Die Untersuchung orientiert<br />

sich dabei an der im <strong>Roman</strong> präsentierten Abfolge, denn die Dreiteilung des politischen Ge-<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

91 Koschorke, S. 144.<br />

92 HKG 5,4 S. 166, Doppler, S. 94<br />

93 HKG 5,3, S. 337f. Am Ende des <strong>Roman</strong>s ist <strong>Witiko</strong> „Zupan von Prachem, Heerführer, Gesandter und oberster<br />

Truchseß des Königreiches Böhmen“.<br />

94 Aust, S. 96.


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schehens findet sich auch im Spannungsaufbau des <strong>Roman</strong>s wieder. In dessen dreibändiger<br />

Konzeption dehnen sich die politischen Ebenen wie konzentrische Kreise von Band <strong>zu</strong> Band<br />

aus 95 – von der ‚Nahaufnahme’ des unbekannten, namenlosen Reiters auf den ersten Seiten 96<br />

weitet sich der Blick hin <strong>zu</strong> einem ausgedehnten Panorama bei <strong>Witiko</strong>s Teilnahme an den<br />

Italienfeldzügen am Ende des dritten Bandes. Zusammengehalten wird diese Ausdehnung von<br />

der Tatsache, dass der entscheidende Be<strong>zu</strong>gspunkt aller Handlungsstränge stets <strong>Witiko</strong> bleibt<br />

sowie <strong>Stifters</strong> Entscheidung, den Streit um Legitimität auf allen drei Ebenen <strong>zu</strong>m Kern der<br />

politischen Handlung <strong>zu</strong> machen. 97<br />

4.1 Personale Herrschaft: Der Aufstieg <strong>Witiko</strong>s <strong>zu</strong>m Anführer der Waldleute<br />

Anhand seiner Hauptfigur <strong>Witiko</strong> schildert Stifter, wie das Einhalten von sittlichen Werten<br />

wie Treue und Vernunft <strong>zu</strong>m gesellschaftlichen Aufstieg führt und verdeutlicht das Modell<br />

der patriarchalischen Herrschaft, wie er es in Der Staat beschrieben hat.<br />

<strong>Witiko</strong> wird gewissermaßen <strong>als</strong> Unbekannter, <strong>als</strong> unbeschriebenes Blatt in die Handlung eingeführt,<br />

<strong>zu</strong>nächst bezeichnet ihn der Erzähler <strong>als</strong> Mann „in jugendlichem Alter“ 98 oder <strong>als</strong><br />

„Reiter“ 99 , seinen Namen offenbart <strong>Witiko</strong> selbst – nicht der Erzähler – erst nach knapp vierzig<br />

Seiten im Gespräch mit dem Mädchen Bertha. 100 Da der Leser keine Innensicht von <strong>Witiko</strong><br />

erhält, sind es vor allem am <strong>Roman</strong>anfang seine Handlungen und Worte, an denen sich<br />

ablesen lässt, welche Absichten und Moralvorstellungen er hat. Als einprägsames Beispiel<br />

kann die ausführliche Pflege seines Pferdes gelten, die <strong>Witiko</strong> stets selbst und mit größter<br />

Sorgfalt ausführt. 101 Und auch Aussagen wie „Wenn nicht Schnelligkeit nöthig ist, […] so<br />

lasse ich das Pferd seinen langsamen Schritt gehen. Es dankt mir dann ein ander Mal, wenn<br />

ich Kraft und Schnelligkeit brauche.“ 102 geben einen Eindruck von <strong>Witiko</strong>s maßvollem und<br />

vorausschauendem Wesen. 103 Nicht nur Mensch und Tier, sondern auch der Natur gegenüber<br />

hat <strong>Witiko</strong> großen Respekt, er kann „denken wie der Wald“ 104 . Auch Geppert weist darauf<br />

hin, dass sich im <strong>Witiko</strong> die (gute) moralische Gesinnung der Figuren an deren Umgang mit<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

95 Vgl. Doppler, S. 100.<br />

96 Vgl. den in fast jeder <strong>Witiko</strong>-Analyse viel beachteten Anfang (besonders HKG 5,1, S. 13–21), dem sich Potthast<br />

beispielsweise unter der These der „Geburt des Helden aus der Landschaft“ widmet (vgl. Potthast, S. 236ff.)<br />

97 Vgl. Koschorke, S. 146.<br />

98 HKG 5,1, S. 16.<br />

99 Ebd.<br />

100 HKG 5,1, S. 38.<br />

101 Vgl. z.B. HKG 5,1, S. 17f. oder ebd., S. 206. Auch Potthast ist überzeugt: „In <strong>Witiko</strong>s Umgang mit Mensch<br />

und Tier, wie in der kurzen Wirtshausszene beispielhaft deutlich wird, liegt der Schlüssel <strong>zu</strong>m Verständnis seiner<br />

Figur und damit des gesamten <strong>Roman</strong>s.“, S. 222.<br />

102 HKG 5,1, S. 24.<br />

103 Vgl. auch die Begegnung mit dem Scharlachreiter, der <strong>Witiko</strong> auffordert, ihn ein Stück <strong>zu</strong> begleiten. <strong>Witiko</strong><br />

bleibt seinen Prinzipien treu und antwortet: „Ich reite nur im Schritte.“ (vgl. HKG 5,1, S. 68).<br />

104 HKG 5,1, S. 57.


! ")!<br />

der Natur ablesen lässt. Pflanzen und Tiere spielen bei der ethischen Zuordnung <strong>als</strong>o eine<br />

Rolle, da beispielsweise der spätere Verräter Strich von Plaka auch im Sommer, <strong>als</strong>o der<br />

Schonzeit, jagen lässt. 105<br />

Die Motivation für <strong>Witiko</strong>s Handeln wird in seinem ersten Gespräch mit Bertha deutlich. Auf<br />

ihre Frage nach seinen Zielen antwortet er: „ich suche mein Glück […] ich gehe nach einem<br />

großen Schicksale, das dem rechten Manne ziemt. […] Ich werde mir mein Geschick erst machen<br />

[…] aber ich will in der Welt das Ganze tun, was ich nur immer tun kann.“ 106 und formuliert,<br />

fast schon in Zusammenfassung des folgenden <strong>Roman</strong>verlaufes: „Weil ich will ein<br />

Reiter sein […] so habe ich gelernt, ein Pferd <strong>zu</strong> pflegen, und darauf <strong>zu</strong> reiten; ich habe mich<br />

im Angriff und im Schutz geübt, werde im Kriege lernen, und werde einsehen, wie man eine<br />

Schar von Andern an<strong>zu</strong>führen hat.“ 107 Bertha wird im Verlauf des <strong>Roman</strong>s auch <strong>zu</strong> einer externen<br />

Motivation, da <strong>Witiko</strong> erfolgreich sein will, um sie heiraten <strong>zu</strong> können, und sie darüber<br />

hinaus sehr selbstbewusste Ziele und Ansprüche an ihn formuliert. 108<br />

Der Auftrag des böhmischen Herzogs Sobeslaw, der <strong>Witiko</strong> von seinem Krankenbett aus nach<br />

Prag schickt, um Kundschaft über die Beratungen um seine Nachfolge <strong>zu</strong> erhalten, wird somit<br />

<strong>zu</strong>r ersten Bewährungsprobe des ambitionierten jungen Mannes. Sobeslaw wählt ihn wegen<br />

seiner Qualitäten für diese Aufgabe aus: „<strong>Witiko</strong>, […] du bist klug gewesen, du gehörst keinem<br />

Vornehmen meines Reiches an, du blickest ehrlich, und du wirst mich nicht verraten.“ 109<br />

und tatsächlich legt <strong>Witiko</strong> die Aufgabe so wörtlich aus, dass er selbst an den Beratungen<br />

beiwohnen will, um den genauen Wortlaut weitergeben <strong>zu</strong> können, ein Vorhaben, das ihn<br />

kurzzeitig selbst in Gefahr bringt. 110 Nach der Wahl von Sobeslaws Neffen Wladislaw <strong>zu</strong>m<br />

Herzog bittet <strong>Witiko</strong> den ihm sehr <strong>zu</strong>getanen ehemaligen ‚Scharlachreiter’ darum, seiner Wege<br />

gehen <strong>zu</strong> dürfen 111 und zieht sich in die Abgeschiedenheit des böhmischen Waldes <strong>zu</strong>rück.<br />

Ist sein Verhalten an der entsprechenden Stelle auch nicht ganz durchschaubar, so wird später<br />

deutlich, dass er diesen Weg einschlägt, da er zwar die Herzogwahl anerkennt, sich aber weiterhin<br />

an sein Treueversprechen Sobeslaw gegenüber gebunden sieht und deshalb dessen<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

105 Vgl. Geppert, S. 129f. Bei dem ersten Treffen der Verschwörer in Plaka fragt jemand: „So läßt dein Herr auch<br />

im Sommer in seinem Walde jagen, wo die Jagd nichts nützig ist?“ und die Antwort des Untergebenen spiegelt<br />

die Überheblichkeit seines Herren wieder: „[…] der Herr des Plakahofes braucht seine Thiere nicht <strong>zu</strong> zählen,<br />

und wie du Bier trinkst, so trinken wir Wein, und wie dein Herr Hasen hat, so haben wir Luchse und Wölfe und<br />

Füchse und Bären, und die darf man auch im Sommer und <strong>zu</strong> Ostern und <strong>zu</strong> aller Zeit jagen.“ (HKG 5,1, S. 237).<br />

106 HKG 5,1, S. 31f.<br />

107 HKG 5,1, S. 36.<br />

108 Vgl. beispielsweise HKG 5,2, S. 150f. mit Berthas Wunsch und impliziter Drohung: „Ich will, daß dir Keiner<br />

gleich ist. […] Und wenn du ein niederer Mann würdest, so würde ich <strong>als</strong> dein Weib von dir gehen, dahin du mir<br />

nicht folgen könntest.“<br />

109 HKG 5,1, S. 99.<br />

110 So fordert Milhost <strong>als</strong> Strafe für <strong>Witiko</strong>s Anmaßung, selbst an der Versammlung teilnehmen <strong>zu</strong> wollen, ihn<br />

<strong>zu</strong> hängen, vgl. HKG 5,1, S. 111.<br />

111 Vgl. HKG 5,1, S. 160f.


! "*!<br />

Sohn Wladislaw für den rechtmäßigen Nachfolger hält. Sein Rück<strong>zu</strong>g ist <strong>als</strong>o ein Kompromiss,<br />

um die momentane politische Situation in Böhmen mit seinen Ansichten verbinden <strong>zu</strong><br />

können.<br />

In der Abgeschiedenheit des Waldes kümmert sich <strong>Witiko</strong> um seine Besitztümer in Oberplan<br />

und dem Wangetschlag, ordnet seine Dinge und besorgt die Pflege seines Haushalts. Dabei<br />

hat er viel Kontakt mit den einfachen Leuten der Gegend und nimmt wie selbstverständlich an<br />

deren abendlichen Veranstaltungen teil, die oft auch in seinem Haus stattfinden. 112 In der Folgezeit<br />

besucht er die umliegenden Grundbesitzer und Herren, um sich mit ihnen vertraut <strong>zu</strong><br />

machen. Alle Nachbarn bringen ihm Respekt entgegen, den er ehrerbietig erwidert und so<br />

tauscht er sich mit ihnen über die alltäglichen Schwierigkeiten und Probleme aus, aber auch<br />

politische Ansichten werden diskutiert. 113 Dabei ist auffällig, dass <strong>Witiko</strong> bei jedem Besuch<br />

auf einen Turm oder eine sonstige Anhöhe steigt und von dieser erhöhten Position die Besitztümer<br />

seines Gastgebers überblickt. Er bewundert die jeweilige Ordnung, mit der Haushalt,<br />

Felder und Siedlungen geregelt sind 114 , und scheint dadurch gleichsam den Charakter dieser<br />

Menschen, die sich allesamt <strong>als</strong> ehrbar und sittlich ausweisen, <strong>zu</strong> ‚verstehen’.<br />

<strong>Witiko</strong>s geselliges und unprätentiöses Verhalten während seiner Zeit im böhmischen Wald<br />

legt damit den Grundstein für seinen späteren Aufstieg im Herzogtum. Wie Stifter in Der<br />

Staat beschrieben hat, zeichnet einen guten väterlichen Herrscher seine enge und besorgte<br />

Beziehung <strong>zu</strong> den Untertanen aus, er muss die Menschen und ihre Bedürfnisse kennen, damit<br />

er sie im besten Sinne führen kann und sie ihm auch vertrauen. 115<br />

Die sich bald darauf <strong>zu</strong>sammenbrauende Verschwörung gegen den neu gewählten Herzog<br />

Wladislaw lehnt <strong>Witiko</strong> ab. Er ist zwar <strong>zu</strong>m ersten Treffen der Lechen geladen, den folgenden<br />

bleibt er aber fern und sendet lediglich Boten aus, um sich über die Lage im Land <strong>zu</strong> informieren.<br />

116 Im darauffolgenden Frühjahr sammelt er schließlich die Männer des Waldes um<br />

sich und zieht los, „um <strong>zu</strong> sehen, was es ist, und daß ich dort helfe, wo ich es für recht erkenne.“<br />

117 Es ist typisch für <strong>Witiko</strong>, dass er die Dinge selbst sehen will, um sich eine Meinung <strong>zu</strong><br />

bilden. <strong>Witiko</strong>s Parteinahme für die Seite des gewählten Herzogs Wladislaw findet schließlich<br />

in einer Unterredung mit Wladislaw, dem Sohn des verstorbenen Herzogs Sobeslaw statt, der<br />

sich den Verrätern angeschlossen hat. Damit hat er in <strong>Witiko</strong>s Augen seinen Anspruch auf<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

112 Vgl. HKG 5,1, S, 170–183.<br />

113 Vgl. HKG 5,1, S. 187–221.<br />

114 Vgl. HKG 5,1, S. 196, 214 und 220.<br />

115 Vgl. HKG 8,2, S. 32f. und in diesem Zusammenhang auch Potthast, S. 221f.<br />

116 Vgl. HKG 5,1, S. 245.<br />

117 Ebd.


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den Thron verloren, da er sich in den Dienst der machthungrigen Lechen gestellt hat. 118 Auf<br />

Wladislaws Vorwurf, <strong>Witiko</strong> zeige mit seiner Weigerung, sich den Verrätern an<strong>zu</strong>schließen,<br />

Untreue gegenüber seinem verstorbenen Vater, antwortet <strong>Witiko</strong> scharf:<br />

Du sagst, daß ich nicht treu bin. Bist du der treue Sohn deines Vaters, der sich in seiner Herrschaft<br />

gemäßigt hat, daß nicht das Volk durch die Großen gedrückt wurde, und daß er es nicht<br />

selber drücke, und der sich im Tode noch mehr <strong>zu</strong> mäßigen gewußt hat, indem er das Land über<br />

seine Kinder stellte? […] Ich bin dem treu geblieben, was ich für meine Pflicht hielt. Ich sehe<br />

jetzt klar, wo das Rechte und das Gute liegt […]. 119<br />

In seiner Rede gegen den jungen Wladislaw bezieht <strong>Witiko</strong> erstm<strong>als</strong> deutlich Position und<br />

qualifiziert sich <strong>als</strong> integre und mutige Person, die sich auch durch Drohungen nicht einschüchtern<br />

lässt. Die umstehenden Männer des Waldes nehmen <strong>Witiko</strong>s herausragende Worte<br />

<strong>zu</strong>m Anlass, um ihn <strong>zu</strong> ihrem Anführer <strong>zu</strong> wählen, und begründen dies mit dem weiter oben<br />

schon beschriebenen Vertrauensverhältnis:<br />

Ihr wisset, wie der junge <strong>Witiko</strong> im Winter in seinem Hause in Plan Einkehr genommen hat,<br />

und er ist da geblieben […] und er wäre nicht fortgegangen, wenn er nicht in den Krieg gegangen<br />

wäre […]. Er hat das Gewand getragen wie wir, wir sind an seiner Leuchte gesessen, […] er<br />

ist auch an unserer Leuchte gesessen, und hat uns nicht verachtet, […] und er hat mit mir geredet,<br />

sein Haus steht bei uns, wir sollen ihn auch nicht verachten, und ihn <strong>zu</strong> unserm Führer wählen<br />

die von Plan, […]. 120<br />

<strong>Witiko</strong>s Wertschät<strong>zu</strong>ng gegenüber den einfachen Leuten zeichnet ihn neben seinem politischen<br />

Sachverstand <strong>zu</strong>m Anführer aus. Er nimmt die Wahl zwar bereitwillig an, hat sich jedoch<br />

nicht an die Macht gedrängt.<br />

Das gegenseitige Vertrauensverhältnis kommt <strong>Witiko</strong> und den anderen Anführern des Waldes<br />

dann in der Schlacht am Wysokaberg <strong>zu</strong>gute. Das zahlenmäßig unterlegene Heer des Herzogs<br />

wird durch Verrat während des Kampfes noch weiter geschwächt, eine Lücke in der Verteidigungslinie<br />

entsteht, die <strong>Witiko</strong> und seine Männer ausfüllen und somit <strong>zu</strong>m Sieg beitragen.<br />

Auch Potthast schätzt diese Szene des <strong>Roman</strong>s <strong>als</strong>, nicht nur für <strong>Witiko</strong>s Entwicklung, entscheidenden<br />

Punkt ein:<br />

In der Schlacht auf dem Berg Wysoka werden die verschiedenen Treueverhältnisse des Helden<br />

<strong>zu</strong>m gemeinsamen Handeln <strong>zu</strong>sammengeführt. <strong>Witiko</strong> verbindet dort nicht nur seine Treue <strong>zu</strong><br />

den ‚Freunden und Heimathgenossen’ mit seiner Treue <strong>zu</strong>m Herzog; in dem Zug, der seinen<br />

Weg aus dem Wald <strong>zu</strong>m Ort des Kampfes nimmt, stehen Dorfleute, Grundherren und das Pferd<br />

<strong>Witiko</strong>s Seite an Seite, um gemeinsam dem Herzog treu <strong>zu</strong> dienen. Erst die Figur des Helden<br />

schafft die Verbindung zwischen diesen verschiedenen Treueverhältnissen, durch ihn konvergieren<br />

sie alle in der militärischen Aktion. 121<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

118 HKG 5,1, S. 259f.<br />

119 HKG 5,1, S. 261.<br />

120 HKG 5,1, S. 265.<br />

121 Potthast, S. 227.


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Mit diesem Erfolg <strong>Witiko</strong>s endet <strong>zu</strong>gleich der erste Band des <strong>Roman</strong>s, ein erster Höhepunkt<br />

ist erreicht, aus dem namenlosen Reiter ist ein sowohl bei den einfachen Leuten <strong>als</strong> auch dem<br />

Herzog hochgeschätzter Mann geworden. 122 Das Muster wiederholt sich in den folgenden<br />

zwei Bänden in ähnlicher Weise: in verschiedenen kritischen Situationen beweist <strong>Witiko</strong> dem<br />

Herzog seine Talente und seine Verlässlichkeit, wobei er stets auf die besondere Treue der<br />

ihm Untergebenen bauen kann, und steigt dabei in der Hierarchie der Mächtigen in Böhmen<br />

immer weiter auf. Sogar <strong>Witiko</strong>s einziges objektives Fehlverhalten – er lässt während der<br />

Belagerung Prags eine kleine gegnerische Truppe entkommen anstatt die Feinde gefangen <strong>zu</strong><br />

nehmen 123 – ist letztendlich ein „Dienst der Treue“ 124 , da die Entkommenen die Belagerer<br />

Prags vor Ankunft des kaiserlichen Heeres warnen und diese fliehen, bevor es eintrifft. Ein<br />

Kampf mit großem Blutvergießen wird so vermieden. Obwohl sein Plan aufgeht, begibt <strong>Witiko</strong><br />

sich widerstandslos in Gefangenschaft und erklärt sein Handeln vor einem Gericht, das<br />

dann auch nur ein mildes Urteil verhängt. 125<br />

Den formalen Mittelpunkt des <strong>Roman</strong>s stellt <strong>Witiko</strong>s Zusammentreffen mit seiner Mutter in<br />

Wien dar, in dem Potthast den Übergang von der Jugend in das Erwachsenenalter <strong>Witiko</strong>s<br />

sieht. 126 Im Gespräch reflektiert er das bisher Geschehene und berichtet von seinen Plänen,<br />

um Berthas Hand anhalten und eine Burg bauen <strong>zu</strong> wollen, die dann in den noch folgenden<br />

Teilen des <strong>Roman</strong>s umgesetzt und beschrieben werden und die „Entscheidung seiner Schicksale“<br />

127 markieren. Die abschließende Teilnahme <strong>Witiko</strong>s am zweiten Italien<strong>zu</strong>g Barbarossas<br />

1158–1162 sowie am Mainzer Reichstag an Pfingsten 1184 sind dramaturgisch nicht mehr<br />

unbedingt notwendig und bestätigen laut Geppert nur, wie genau Stifter <strong>Witiko</strong>s Aufstieg mit<br />

dem Böhmens verflochten hat. 128<br />

Die Erfahrungen, die <strong>Witiko</strong> im Lauf der Erzählung macht – man erinnere sich, er besieht<br />

jeden Sachverhalt immer mit eigenen Augen, um sich ein Urteil darüber <strong>zu</strong> bilden und keine<br />

voreiligen Schlüsse <strong>zu</strong> ziehen – lehren ihn, „wie Staats- beziehungsweise Rechts- und Gewissensfragen,<br />

wie Irdisches und Himmlisches ineinander greifen“ 129 . Da er auf diesem Weg die<br />

der Welt innewohnende Ordnung erkennt, kann er danach handeln und weil seine Taten so<br />

stets richtig sind, gewinnt er eine natürliche Autorität, die seinen Aufstieg befördert. Bezieht<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

122 Nach der Schlacht am Wysoka, <strong>als</strong>o kurz vor Ende des letzten Bandes, verspricht Wladislaw <strong>Witiko</strong>: „<strong>Witiko</strong>,<br />

wir rechnen noch einmal eigens für den heutigen Tag ab.“ und bringt damit <strong>zu</strong>m Ausdruck, dass er um dessen<br />

Verdienste in der Schlacht weiß und sie auch anerkennt (HKG 5,1, S. 309).<br />

123 Vgl. HKG 5,2, S. 90.<br />

124 Potthast, S. 229f.<br />

125 Vgl. HKG 5,2, S. 120.<br />

126 Es findet im zweiten Buch des zweiten Bandes statt, diese Stelle entspricht durch den symmetrischen Aufbau<br />

der drei Bände der Mitte des <strong>Roman</strong>s. Vgl. HKG 5,2, S. 225–233 und Potthast, S. 236.<br />

127 Geppert, S. 128.<br />

128 Vgl. ebd.<br />

129 Vgl. Czernin, S. 62.


! $"!<br />

man das <strong>zu</strong>rück auf die von Stifter in Der Staat geäußerten Ideen, so stellt man fest, dass <strong>Witiko</strong><br />

nicht nur, wie weiter oben schon beschrieben, durch sein Interesse an den einfachen Leuten<br />

und seinen guten Charakter das Idealmodell des patriarchalischen Herrschers erfüllt. 130<br />

Durch seine Einsicht in die Ordnungs<strong>zu</strong>sammenhänge der Natur und des Staates wird er im<br />

Kleinen (den von ihm verwalteten Ländereien) wie im Großen (den Geschicken des Herzogtums)<br />

<strong>zu</strong>m Verteidiger und Bewahrer der guten Ordnung, die nach Stifter ja in Gesellschaften<br />

die Grundlage für die Entfaltung des Besten im Menschen ist. 131<br />

„Und da nun Stifter den historischen Stoff gewählt hatte, um an ihm das Walten eines ewigen<br />

Gesetzes <strong>zu</strong> veranschaulichen, durfte er seinen Helden durch Tugenden verklären, die seine<br />

Erfolge rechtfertigen“ 132 : <strong>Witiko</strong> vereint sämtliche gute Eigenschaften, er ist in diesem Sinne<br />

eine charismatische Figur, aber, wie Aust betont, „kein ‚Individuum’“ sondern „im eigentlichen<br />

Wortsinn eine ‚Person’, ein Medium“ 133 , durch das Stifter sein politisches Bildungsprogramm<br />

ausdrücken kann. Trotz seines äußerlichen Aufstiegs macht <strong>Witiko</strong>, sofern man ihm<br />

denn ein Innenleben <strong>zu</strong>gestehen will, dabei keine wirkliche Entwicklung durch. Sein Erfolg<br />

wird überhaupt erst dadurch bedingt, dass er bereits am Anfang den gleichen moralischen<br />

Prinzipien folgt, die ihn auch am Ende der Handlung leiten. 134 Und in diesem Sinne bestätigt<br />

auch <strong>Witiko</strong>s Mutter ihrem Sohn auf der Höhe dessen Erfolgs: „Aus den Nachrichten, die<br />

<strong>Witiko</strong> gesendet hat und aus den Nachrichten, die der fromme Vater Benno von Lechen und<br />

Herren erhalten hat, glauben wir, daß <strong>Witiko</strong> so ist, wie er gewesen ist, und er wird auch in<br />

der Zukunft so sein.“ 135<br />

4.2 Der Streit um die Legitimität von Macht: Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen im Herzogtum<br />

Böhmen<br />

Das beispielhafte persönliche Schicksal von <strong>Witiko</strong> hat Stifter eng mit den Geschicken des<br />

Herzogtums Böhmen im 12. Jahrhundert verwebt und er verfügt so durch <strong>Witiko</strong>s unmittelbare<br />

Teilnahme an allen Ereignissen quasi über einen Augenzeugen, um den Erbfolgestreit, das<br />

sich über alle drei Bände des <strong>Roman</strong>s hinziehende politische „Großereignis“, <strong>zu</strong> schildern.<br />

Dieser Konflikt ist kein singuläres Ereignis, er wird erzählerisch in die Geschichte des Herzogtums<br />

Böhmen eingebunden, die reich an blutigen Kämpfen um die Macht ist. So bestehen<br />

<strong>zu</strong>m Beispiel große Teile des zweiten Buches im ersten Band aus den Schilderungen des<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

130 Vgl. HGK 8,2, S. 32f.<br />

131 Vgl. ebd., S. 28f.<br />

132 Krökel, S. 896.<br />

133 Aust, S. 97.<br />

134 Vgl. dafür u.a. Ulrich Greiner: Denken wie der Wald. In: DIE ZEIT 20.10.2005 Nr. 43.<br />

135 HKG 5,3, S. 93.


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‚Scharlachreiters’ über die guten Vorzeiten, denen dann die bist fast in die Gegenwart der<br />

Erzählung reichenden Exzesse der Premysliden folgten. 136 Erst unter dem aktuellen Herzog<br />

Sobeslaw kam Böhmen <strong>zu</strong> einer gewissen Ruhe. Durch die – nicht nur an dieser Stelle – wiederholte<br />

mnemotechnische Vergewisserung der Landesvergangenheit entsteht der Eindruck,<br />

dass der gegenwärtige Thronstreit gewissermaßen den finalen Entscheidungspunkt des langjährigen<br />

Konfliktes darstellt, an dem es gelingen muss, die Geschicke Böhmens endlich in<br />

geordnete Bahnen <strong>zu</strong> lenken. Dies zeigen unter anderem die Worte des Bischofs Zdik:<br />

Es ist groß wichtig und entscheidend, was hier geschieht, und von der heutigen Stunde hängt es<br />

ab, ob das Glück des Landes auf viele Zeit aus dem Gemache dieses Hauses hervorgeht, oder ob<br />

sogleich der Anfang unabsehlichen unentwirrbaren Elendes gemacht wird. 137<br />

Die kritische Situation entsteht dabei durch die gut gemeinte Überlegung des regierenden<br />

Herzogs Sobeslaw, die da<strong>zu</strong> führt, dass sich die beiden Prinzipien der Legitimation der Monarchie<br />

durch Wahl bzw. Erbfolge auf paradoxe Weise gegenüberstehen. Denn Sobeslaw lässt<br />

seinen Sohn Wladislaw bereits <strong>zu</strong> seinen Lebzeiten vom deutschen König Konrad „mit der<br />

böhmischen Fahne belehnen“ 138 und schafft so einen designierten Nachfolger, den auch die<br />

böhmischen Fürsten auf einem Landtag in Sadska förmlich anerkannt haben. Das Herzogtum<br />

Böhmen scheint damit für eine weitere Generation vor Kämpfen um den Thron bewahrt <strong>zu</strong><br />

sein, auch der Scharlachreiter erklärt <strong>Witiko</strong>: „Du siehst <strong>als</strong>o, du weissagender Mann, daß bei<br />

uns alle Sachen geordnet und befestigt sind […]“ 139<br />

Doch er täuscht sich, die vermeintliche Voraussicht wird <strong>zu</strong>m Anlass des neuen Streits, denn<br />

kurze Zeit darauf erkrankt Sobeslaw tödlich und droht damit lange Zeit vor dem Ende der<br />

Ausbildung seines Sohnes <strong>zu</strong>m würdigen Nachfolger <strong>zu</strong> sterben. Die Pattsituation stellt sich<br />

dabei folgendermaßen dar: durch Sobeslaws Entscheidung, seinen Sohn bereits vor seinem<br />

Tod von den böhmischen Adeligen wählen <strong>zu</strong> lassen, bricht er mit dem eigentlich geltenden<br />

Gesetz der Alterserblichkeit, durch das Wladislaw ihm automatisch auf dem Thron nachgefolgt<br />

wäre. Da der böhmische Adel einen Eid geschworen hat, stellt seine Ablehnung Wladislaws<br />

<strong>als</strong> gewähltem und anerkanntem Nachfolger, der aber viel <strong>zu</strong> jung ist, um sein Amt bereits<br />

ausführen <strong>zu</strong> können, eine Wortbrüchigkeit dar, die einer möglichen Wahl des älteren<br />

Wladislaw, Sobeslaws Neffen, wiederum die Legitimation entzieht. In der politischen Gegenwart<br />

des <strong>Witiko</strong> hängt <strong>als</strong>o faktisch jede Herrschaftsalternative von der Wahl ab und entbehrt<br />

damit einer wahren Rechtsgrundlage, wie sie das Alterserblichkeitsgesetz darstellte:<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

136 Vgl. HKG 5,1, S. 70–95, vgl. hier<strong>zu</strong> auch Müller-Funk, S. 346. Auch die Zusammenkunft über die Thronfolge<br />

auf dem Wysehrad beginnt, wie fast alle Beratungen im <strong>Roman</strong>, mit der kollektiven Erinnerung an die Vorgeschichte<br />

des Landes, vgl. HKG 5,1, S. 130f.<br />

137 HKG 5,1, S. 132.<br />

138 HKG 5,1, S. 93.<br />

139 Ebd.


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„Jede Herrschaft erscheint unter solchen Bedingungen <strong>als</strong> Usurpation und zieht mit fataler<br />

Unausweichlichkeit die Rache der jeweils Unterlegenen nach sich. Ein unendlicher Kreislauf<br />

der Gewalt und Gegengewalt.“ 140<br />

Und so kommt es schließlich auch. Bei den Beratungen auf dem Wysehrad 141 setzen sich die<br />

Befürworter des älteren Wladislaw, die in ihm den <strong>zu</strong>r Herrschaft Geeigneteren sehen, gegenüber<br />

denjenigen durch, die betonen, dass es bereits einen rechtmäßigen Nachfolger gebe und<br />

vor allem vor den Gefahren, die durch eine freie Wahl des Herzogs entstehen können, warnen.<br />

An dieser Stelle nimmt Stifter seine <strong>Überlegungen</strong> aus Der Staat sehr deutlich wieder<br />

auf. Dem alten und weisen Lechen Bolemil legt er die Erkenntnis in den Mund:<br />

Wie ich <strong>zu</strong> erkennen meine, neigen sich die Herren der Länder Böhmen und Mähren dahin, die<br />

Herzoge nach dem Tode der Vorgänger von nun an durch die Wahl <strong>zu</strong> bestellen; aber dann wäre<br />

es besser, <strong>zu</strong> dem verlassenen schlechten Alterserblichkeitsgesetze <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren, <strong>als</strong> alles auf<br />

diese Spitze <strong>zu</strong> setzen. Es scheint glaublich, daß man durch die Wahl immer sollte den Besten<br />

erkiesen können; aber ich habe lange gelebt, und viele Menschen gesehen: wie wenige gibt es,<br />

die <strong>zu</strong> wählen verstehen, und wie wenige, die wählen dürfen. 142<br />

Wie schon in Der Staat geht hier klar hervor, dass auch die Erbfolge, <strong>als</strong>o das Altererblichkeitsgesetz,<br />

deutliche Schwächen hat. Wegen der Unfähigkeit der Wählenden und ihren oftm<strong>als</strong><br />

unlauteren Motiven wird <strong>als</strong> unbrauchbarste Legitimationsform aber noch einmal die<br />

Wahl genannt, da diese die von Stifter so gefürchtete Unordnung in die Gesellschaft bringt.<br />

Denn wie sich später herausstellt, hat der Hauptbefürworter der Wahl des älteren Wladislaws,<br />

der Leche Nacerat, eigentlich darauf spekuliert mit diesem einen schwachen und beeinflussbaren<br />

Herzog <strong>zu</strong> bekommen. 143 Als Wladislaw eine überraschend starke, von den Lechen unabhängige<br />

Herrschaft aufbaut, zettelt Nacerat den Verrat an und sorgt damit für den Krieg in<br />

Böhmen. Interessant ist, dass der durch sein Amt weise gewordene Herzog Sobeslaw dies<br />

schon auf dem Totenbett voraussieht und seinen Sohn anweist: „Unterwirf dich ihm [dem<br />

gewählten Herzog Wladislaw, L.K.], und gehorche ihm, daß die Sünden nicht werden, welche<br />

in meiner Jugend gewesen sind. Nacerat wird gegen Wladislaw nicht siegen.“ 144 Damit ordnet<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

140 Koschorke, S. 147<br />

141 Da, wie oben schon beschrieben, <strong>Stifters</strong> Erzähler keinerlei Bewertungen des Geschehens vornimmt oder<br />

Innensichten der Personen vermittelt, bleibt ihm kein anderes Stilmittel, <strong>als</strong> das Für und Wider jeglicher Legitimitätsfragen<br />

in den in epischer Breite ausgeführten Beratungen wieder<strong>zu</strong>geben (die Diskussion, ob <strong>Witiko</strong> <strong>zu</strong><br />

den Beratungen <strong>zu</strong>gelassen wird und wer Sobeslaw nachfolgen soll, erstreckt sich über fast 50 Seiten, vgl. 106–<br />

153). Vgl. für die Funktion der feierlichen Personenreden, die nach einem nahe<strong>zu</strong> liturgischen Muster ablaufen,<br />

z.B. Czernin, S, 60f. „Die meisten Figuren […] deuten dabei ihre soziale Stellung, sie malen einander die Geschichte<br />

ihrer Sozietät und ihres Landes aus, die geistlichen Würdenträger appellieren an christliche Prinzipien<br />

und Tugenden.“ oder Rückle, der bei seiner Untersuchung der gestalterischen Mittel des <strong>Witiko</strong> der „Funktion<br />

des Rückblicks und der politischen Rede“ ein eigenes Kapitel widmet (Eduard Rückle: Die Gestaltung der dichterischen<br />

Wirklichkeit in <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“. Eine Untersuchung der strukturbildenden Formprinzipien, Tübingen<br />

1968, S. 47–60).<br />

142 HKG 5,1, S. 142f.<br />

143 Vgl. HKG 8,2, S. 35.<br />

144 HKG 5,1, S. 157.


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er seine dynastischen Ansprüche dem Wohl und der Ordnung des Landes unter, ein Verhalten,<br />

das sein Sohn aber nicht anerkennen wird und sich mit dieser Nichtbeachtung des väterlichen<br />

Rates <strong>zu</strong>gleich <strong>als</strong> <strong>zu</strong>r würdigen Herrschaft ungeeignet disqualifiziert.<br />

Auch wenn die langen Diskussionen mit der abschließenden Abstimmung bei der Versammlung<br />

auf dem Wysehrad – Kritiker spotteten, glaube man dem <strong>Witiko</strong>, so könne man meinen,<br />

der Parlamentarismus sei im Böhmen des 12. Jahrhunderts und nicht in England erfunden<br />

worden 145 – eine formale Lösung für den Prinzipienstreit bringen, so ist nicht wirklich entschieden,<br />

welche Seite sich auf moralische Rechtmäßigkeit berufen kann. In diesem Sinne<br />

scheint <strong>Witiko</strong>s Verhalten <strong>zu</strong>m Maßstab für eine – beiden Seiten gerecht werdende – Haltung<br />

<strong>zu</strong> werden, die er quasi auch „staatsrechtlich“ 146 begründen kann. Er erkennt die Wahl des<br />

Herzogs Wladislaw <strong>zu</strong>nächst an, verweigert ihm, aufgrund des noch immer bestehenden<br />

Treueverhältnisses <strong>zu</strong>r Familie Sobeslaws, durch seinen Rück<strong>zu</strong>g in den Wald aber die direkte<br />

Gefolgschaft. Später erklärt er Wladislaw:<br />

Ich bin von dir fortgegangen, hoher Herr, weil ich dem Herzoge Sobeslaw, wenn er auch todt<br />

war, dienen wollte, und weil, wenn auch Sobeslaw seinem Sohne Wladislaw gerathen und ihm<br />

geboten hatte, sein in Sadska erworbenes Nachfolgerecht auf dich <strong>zu</strong> übertragen, er es nicht<br />

gethan hat, und mir sein Recht <strong>zu</strong> bestehen schien. Jetzt aber hat er es weggeworfen, und auf einen<br />

unbefugten Mann kommen lassen, und es fällt auf dich, weil du gewählt bist, und dich Sobeslaw<br />

anerkannt hat, du bist der Herzog, und bin gekommen, meine Pflicht <strong>zu</strong> erfüllen. 147<br />

Als dieses Treuverhältnis durch die Kollaboration des jungen Wladislaw’ mit den Verrätern<br />

aufgebrochen wird, verliert er damit in <strong>Witiko</strong>s Augen auch seine Legitimation durch die<br />

Wahl auf dem Landtag in Sadska. Nun ist die Entscheidung für die Rechtmäßigkeit des gewählten<br />

älteren Wladislaws eindeutig, weshalb <strong>Witiko</strong> sich schließlich in dessen Gefolgschaft<br />

einreiht. <strong>Witiko</strong> trifft auf diese Weise zwar keine unrechtmäßige Wahl <strong>zu</strong>gunsten einer der<br />

beiden Seiten, dieses abwartende Verhalten ist jedoch nur um den Preis des Rück<strong>zu</strong>gs aus der<br />

Gesellschaft möglich und damit keine wirkliche Option, da die politisch aktiven Mitglieder<br />

einer Gesellschaft ihre Entscheidungen <strong>zu</strong>meist in moralisch nicht eindeutiger Lage treffen<br />

müssen. Bezieht man das Geschehen <strong>zu</strong>rück auf die politischen Ereignisse in <strong>Stifters</strong> Gegenwart,<br />

so könnte man kritisch fragen, ob Stifter mit diesem Verhalten <strong>Witiko</strong>s nicht eher das<br />

Beispiel eines wenig mitverantwortungsvollen Bürgers gibt, weil dieser, um keine f<strong>als</strong>che<br />

Entscheidung <strong>zu</strong> treffen, erst einmal auf seine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen<br />

verzichtet.<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

145 Vgl. Joachim W. Storck: „Unter <strong>Witiko</strong>s Banner?“. Bemerkungen <strong>zu</strong> <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> böhmischem Geschichtsbild.<br />

In: VASILO 41 (1992), Folge 3/4, S. 108.<br />

146 Vgl. Geppert, S. 129.<br />

147 HKG 5,1, S. 274.


! $'!<br />

Das der Herzogswahl folgende Chaos lässt aber in jedem Fall Parallelen <strong>zu</strong> <strong>Stifters</strong> Einschät<strong>zu</strong>ng<br />

des Revolutionsgeschehens von 1848 erkennen, beide führen <strong>zu</strong> Unordnung und Gewalt.<br />

Diese kommen im <strong>Witiko</strong> im Gegensatz <strong>zu</strong>r Revolution zwar nicht aus dem Volk, sondern<br />

gleichsam von ‚oben’, da sie von den Mächtigen geschürt werden. Stifter spricht sich aber<br />

hier wie dort gegen diejenigen aus, die die Störung der gesellschaftlichen Ordnung <strong>zu</strong> ihrem<br />

Vorteil nutzen wollen und dafür ohne Skrupel Tod und Unglück der Mitmenschen in Kauf<br />

nehmen. Darüber hinaus geht es für Stifter in beiden Zusammenhängen darum, dass Herrschaft<br />

eine rechtmäßige Grundlage benötigt. Auf die Revolution von 1848 bezogen, stellt sich<br />

damit die grundsätzliche Frage, wie sichergestellt werden kann, dass das Volk die erstrittenen<br />

Rechte in einem positiven Sinne nutzen wird. Denn wie sich schon an <strong>Stifters</strong> Abneigung<br />

gegenüber dem Wahlverfahren gezeigt hat, zweifelt er bei einem Großteil seiner Mitmenschen<br />

daran, dass sie über genügend Einsicht und Bildung verfügen, um Entscheidungen <strong>zu</strong>m<br />

Wohl der Gesellschaft <strong>zu</strong> treffen. Mit dieser Ansicht hatte Stifter es im 19. Jahrhundert, in<br />

dem eine generelle Entwicklung von konstitutionellen Monarchien hin <strong>zu</strong> Republiken einsetzte<br />

und damit einen Umbau der Legitimationsgrundlagen von Herrschaft notwendig machte,<br />

schwer. 148 In einer Zeit geschrieben, in der die Macht <strong>als</strong>o <strong>zu</strong>nehmend auf das Volk überging,<br />

offenbart die politische Philosophie des <strong>Witiko</strong>, die Wahlen für ein Übel hält und dem gegenüber<br />

ein patriarchalisches Gesellschaftsmodell mit treuer Unterordnung unter einen wohlmeinenden<br />

Anführer propagiert, einen anachronistischen Zug des <strong>Roman</strong>s.<br />

In dessen Verlauf wiederholt sich der Ablauf aus Verschwörung gegen Wladislaw, Niederschlagung<br />

des Aufstandes sowie einem erneuten Wiederaufkommen mehrm<strong>als</strong>. Die ‚Bösen’<br />

sind <strong>als</strong>o offenbar nicht <strong>zu</strong>r Einsicht fähig und werden von der Aussicht auf Macht korrumpiert,<br />

so dass sogar Wladislaw Bruder und enger Vertrauter Diepold sich einem der Aufstände<br />

anschließt. 149 Wie Potthast aufzeigt, verkürzt Stifter „in der Erzählzeit <strong>zu</strong>nehmend die Abstände<br />

zwischen den seriellen Elementen“ 150 , das erzählerische Muster wird so stark verdichtet<br />

und verschlankt bis schließlich nur noch wenige Rebellen übrig sind und so ein Handlungsbogen<br />

von Unterwerfung, Aufstand und erneuter Unterwerfung, der <strong>zu</strong> Beginn des <strong>Roman</strong>s<br />

über mehrere hundert Seiten erzählt wurde <strong>zu</strong>m Schluss in wenigen Zeilen passt. 151 Die<br />

drei letzten Aufrührer zeigen endlich Einsicht, wie Wladislaws Bruder Diepold, der Buße<br />

beim Papst tut, oder werden hart bestraft: Wratislaw wird von einer schlimmen Krankheit<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

148 Vgl. Koschorke, S. 148.<br />

149 HKG 5,3, S. 235–237.<br />

150 Potthast, S. 264.<br />

151 Vgl. ebd. und HKG 5,3, S. 244.


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getroffen, von der er sich nach der Versöhnung mit Wladislaw aber erholt, und Konrad tut<br />

nach der Zerstörung seiner Burg ebenfalls Buße. 152<br />

Jetzt erst kann der Erzähler konstatieren: „Und nun kam in das Reich Wladislaws, der Herzoges<br />

von Böhmen und Mähren, die Zeit, in welcher die Streite aufgehört hatten.“ 153 Endlich<br />

kehrt Ruhe ein, die Herzogtümer Böhmen und Mährens sind geeint und auch die gesellschaftliche<br />

Ordnung ist wieder hergestellt. Das Land blüht nun auf und gedeiht sogar so gut, dass<br />

Böhmen 1158 schließlich in den Stand eines Königreichs erhoben wird. 154<br />

Dies alles ist auch das Ergebnis der erfolgreichen Herrschaft Wladislaws, der nicht versucht,<br />

sich an seinen Untertanen <strong>zu</strong> bereichern, sondern im Gegenteil gerade mit den Kleinen in seinem<br />

Reich gegen die machthungrigen Lechen <strong>zu</strong>sammenarbeitet. 155 Stifter arbeitet <strong>als</strong>o insgesamt<br />

deutlich heraus, dass eine starke Zentralgewalt dem Wohl aller besser dient, <strong>als</strong> die<br />

Herrschaft vieler selbstgerechter Herren. 156 Müller-Funk bringt das Erfolgsrezept Wladislaws<br />

folgendermaßen auf den Punkt:<br />

Wladislaw erweist sich <strong>als</strong> eigenständiger Akteur, <strong>als</strong> Promotor einer gewissen Modernisierung,<br />

der den machtpolitischen Spielraum extensiv <strong>zu</strong> nutzen weiß. […] Wladislaw befestigt seine eigenen<br />

Burgen, knüpft enge Bande mit den Bischöfen von Prag und Olmütz, hält Tuchfühlung<br />

mit den kleinen Leuten. Was ihm vorschwebt, ist ein soziales, zentralistisches eigenständiges<br />

Herzogtum […]. 157<br />

So ist Wladislaw in <strong>Stifters</strong> Beschreibung ein nahe<strong>zu</strong> idealer Herzog und König und entspricht<br />

damit dem literarischen Abbild der Herrschertugenden, wie Stifter sie in Der Staat<br />

dargestellt hat.<br />

4.3 Identität und Souveränität: Böhmens Verhältnis <strong>zu</strong>m Kaiserreich<br />

Das Herzogtum Böhmen steht in der Erzählung dabei nicht <strong>als</strong> isolierter Staat ohne Verbindungen<br />

da, so dass Stifter auf einer dritten Ebene das politische Geschehen schließlich noch<br />

auf das Verhältnis <strong>zu</strong>m Kaiserreich ausdehnen kann. Konkreter Anlass in der Handlung ist der<br />

durch den Nachfolgestreit entstandene Bürgerkrieg, der ein Zuhilferufen des deutschen Königs<br />

Konrad notwendig <strong>zu</strong> machen scheint. An der Diskussion, welche Konsequenzen dieser<br />

Eingriff für die Eigenständigkeit Böhmens haben könnte, demonstriert Stifter das spannungsreiche<br />

Verhältnis von Identität und Souveränität eines kleinen Staates gegenüber dem Reich<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

152 HKG 5,3, S. 241–244.<br />

153 HKG 5,3, S. 246f.<br />

154 HKG 5,3, S. 256.<br />

155 Vgl. u. a. <strong>Witiko</strong>s Einschät<strong>zu</strong>ng, dass die Fürsten und hohen Herren sich gegen Wladislaw erheben, da sie<br />

ihm die Beschüt<strong>zu</strong>ng des Volkes und der kleinen Leute gegen ihre eigene Ausbeutung übel nehmen (HKG 5,1,<br />

S. 263).<br />

156 Vgl. Geppert, S, 129.<br />

157 Müller-Funk, S. 347.


! $)!<br />

und schafft damit eine Verbindung <strong>zu</strong> seiner Gegenwart im Vielvölkerstaat Österreich-<br />

Ungarn sowie dem sich verschiebenden europäischen Kräfteverhältnis wenige Jahre vor der<br />

Entscheidung der Deutschen Frage.<br />

Nach der Schlacht am Wysoka droht Prag vom zahlenmäßig überlegenen Heer der Aufständischen<br />

eingeschlossen und belagert <strong>zu</strong> werden. In dieser Situation sieht Herzog Wladislaw die<br />

einzige Lösung in Hilfe von außen und zwar in Person von Konrad, dem deutschen König. 158<br />

Sein Argument ist dabei ein grundsätzlich humanitäres, wenn er anführt:<br />

Schon auf dem Berge Wysoka ist vieles Blut unglücklicher und unschuldiger Leute vergossen<br />

worden, jetzt wird vieles Blut in leichtfertigen, freventlichen, unnützen und heftigen Kämpfen<br />

vergossen, bis <strong>zu</strong>r Schlacht ist vieles Eigenthum vernichtet worden, und wird noch vernichtet. 159<br />

Ein Einschalten des deutschen Königs soll nach diesen Worten <strong>als</strong>o nicht primär den machtpolitischen<br />

Zielen Wladislaws dienen, der seine Herrschaft durchsetzen will, sondern die Untertanen<br />

vor weiterem Krieg und Tod bewahren. Doch die böhmischen Adeligen lassen sich<br />

davon nicht überzeugen und wenden – wieder im Rekurs auf die Landesvergangenheit – ein,<br />

dass die Einbindung von Fremden in die Streitigkeiten des Landes bisher immer <strong>zu</strong> Abhängigkeit<br />

und Machtverlust geführt habe, weshalb es besser sei, „wenn wir bis <strong>zu</strong> dem Rande<br />

des Unterganges kämpfen, […] <strong>als</strong> wenn von Außen ein Herr kömmt, der das Land und die<br />

Sitten nicht kennt, der schaltet wie er will, und wie es uns schmerzt, und der vielleicht statt<br />

des Vielen Alles nimmt.“ 160 Die realistischste Einschät<strong>zu</strong>ng hat dabei der alte Leche Bolemil,<br />

der sich für die Einschaltung Konrads ausspricht, weil dies die Wahl des besseren von zwei<br />

Übeln bedeutet: „Ich habe auch gesagt, daß in Nachfolgekämpfen der Fremde gerufen wird,<br />

es ist so gewesen, und muß so sein, entweder ruft ihn der eine Theil oder es ruft ihn der andere,<br />

oder er kömmt, wenn die Theile sich bis <strong>zu</strong>m Niedersinken zerfleischt haben, selber." 161<br />

Angesichts der darin <strong>zu</strong>m Ausdruck kommenden schieren Ausweglosigkeit fremdstaatlichen<br />

Eingreifens in Böhmen wendet sich die Meinung der Adligen. Wladislaw überzeugt sie<br />

schließlich mit dem Einwand, dass der <strong>zu</strong> Hilfe Gerufene nicht wirklich ein Fremder, sondern<br />

sein Schwager und Freund sei, und entwirft ein überaus optimistisches Zukunftsbild eines<br />

europäischen Völkerbundes:<br />

Es ist bei der Menschheit so, daß der Mensch dem Menschen, der Nachbar dem Nachbar, der<br />

Freund dem Freunde hilft. Wessen Haus brennt, dem stehen die bei, die um ihn sind. Und es<br />

werden die Zeiten kommen, daß die Völker nicht mehr allein sind, daß sie sind, wie Mensch<br />

und Mensch, wie Nachbar und Nachbar, wie Freund und Freund. 162<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

158 HKG 5,2, S. 34.<br />

159 Ebd.<br />

160 HKG 5,2, S. 37.<br />

161 HKG 5,2, S. 38.<br />

162 HKG 5,2, S. 42.


! $*!<br />

Die Entscheidung wird <strong>als</strong>o getroffen und Wladislaw bittet auf dem Hoftag Konrads in Nürnberg<br />

um Hilfe, die ihm auch gewährt wird. Durch <strong>Witiko</strong>s kluges Eingreifen wird der Kampf<br />

um Prag dann ganz vermieden und die Gefahr, durch ein fremdes Heer im eigenen Land Souveränität<br />

<strong>zu</strong> verlieren, wird dadurch mehr oder weniger obsolet.<br />

Am Ende des <strong>Roman</strong>s kommt es dann noch einmal <strong>zu</strong> einer fast wortgleichen Diskussion.<br />

Nachdem Wladislaw von Kaiser Friedrich Barbarossa die Königswürde erhalten hat, obliegt<br />

es ihm <strong>als</strong> Lehensverpflichtung mit einem Heer an dessen Italienfeld<strong>zu</strong>g teil<strong>zu</strong>nehmen, für<br />

den er in der Beratung mit seinen Adeligen wirbt. Diese strafen ihren neuen König in der Diskussion<br />

aber erst einmal dafür ab, ohne vorherige Beratung mit ihnen die Königswürde von<br />

einem Fremden, dem Kaiser, angenommen <strong>zu</strong> haben. 163 Das Argumentationsmuster ist im<br />

Grunde das gleiche: Die Annahme der Königswürde <strong>als</strong> ‚Geschenk’ von außerhalb wird <strong>als</strong><br />

Versuch der Fremden interpretiert, Einfluss und Macht über Böhmen <strong>zu</strong> bekommen. In der<br />

Forderung sich dem Italienfeld<strong>zu</strong>g an<strong>zu</strong>schließen, sehen die Lechen dies auch gleich bestätigt.<br />

Zudem scheint durch die Eingliederung in einen überstaatlichen Verbund die böhmische Identität<br />

in Gefahr, wie Peter, der Abt von Brewnow meint: „Wenn wir unser Land aus seinen<br />

Gesetzen und aus seinen Sitten und Gewohnheiten in die Schicksale anderer Länder heben, so<br />

ruht es nicht mehr in sich, und kann stürzen.“ 164 Letztlich gelingt es Wladislaw jedoch wieder,<br />

die Lechen <strong>zu</strong> überzeugen, indem er ihnen vor Augen führt, dass die „reichische Idee“ 165 ein<br />

Modell ist, dass Fremdheit und Vielfalt verbinden kann, und betont, dass er sich mit der neu<br />

gewonnenen Königswürde hauptsächlich <strong>als</strong> „christlicher Lehensmann des römischen Kaisers,<br />

nicht <strong>als</strong> Untertan einer fremden politischen Macht“ 166 sieht. Wladislaw ist davon überzeugt,<br />

dass die böhmische Identität und Souveränität durch die enge Verbindung <strong>zu</strong>m Kaiser<br />

nicht gefährdet werden:<br />

Wer in Verbindung mit Fremden ist, der ist darum nicht abhängig von den Fremden, wie einer,<br />

der von einem Handelsmanne etwas kauft, von ihm nicht abhängig ist. […] Ich kann es euch sagen:<br />

Wenn Friedrich weit über mein Leben hinaus in Deutschland herrscht, so wird ihm nie <strong>zu</strong><br />

Sinne kommen, die Länder Böhmen und Mähren sich <strong>zu</strong> Füßen <strong>zu</strong> werfen, oder sie auch nur <strong>zu</strong><br />

schmälern. 167<br />

Wie Müller-Funk aufzeigt, liegt die besondere Raffinesse des <strong>Roman</strong>s darin, dass Wladislaw<br />

mit genau dieser Einschät<strong>zu</strong>ng, dass der deutsche Kaiser Böhmen und Mähren nie unterwerfen<br />

werde, historisch im Irrtum ist und die zeitgenössischen Leser das sehr wohl wussten. 168<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

163 HKG 5,3, S. 258–268.<br />

164 HKG 5,3, S. 260.<br />

165 Müller Funk, S. 341.<br />

166 Ebd., S. 351.<br />

167 HKG 5,3, S. 270f.<br />

168 Vgl. Müller-Funk, S. 342.


! $+!<br />

Stifter entwirft auf dieser dritten Ebene <strong>als</strong>o ein utopisches Gegenmodell <strong>zu</strong>r tatsächlichen<br />

Geschichte und auch den Versäumnissen seiner Gegenwart:<br />

Insofern ist <strong>Stifters</strong> <strong>Roman</strong> Teil des habsburgischen Mythos, <strong>als</strong> sein <strong>Roman</strong> darauf hinausläuft,<br />

Böhmen und Mähren wieder <strong>zu</strong> ihrem Recht <strong>zu</strong> verhelfen, was eine Revision des 1864 realen<br />

Habsburgischen Staates bedeutete. Denn nur <strong>als</strong> universalistischer Staat, der Integration und Integrität<br />

in Balance hält, wäre das habsburgische Gemeinwesen so etwas wie eine historische<br />

Hoffnung oder – später – eine Erinnerung an das, was bislang noch nicht geschehen ist. 169<br />

Wenn man bedenkt, dass die Abfassung des dritten Bandes, in dem das Verhältnis <strong>zu</strong>m Reich<br />

ja hauptsächlich thematisiert wird, in die Zeit des deutsch-deutschen Krieges von 1866 fällt,<br />

so lässt sich Wladislaws Bekenntnis <strong>zu</strong> einem Kaiserreich unter deutscher Führung auch <strong>als</strong><br />

Ausdruck der Enttäuschung <strong>Stifters</strong> interpretieren. Er, der ein grundsätzlicher Befürworter<br />

einer großdeutschen Lösung war, zeigte sich über die nationale Verengung, die letztlich <strong>zu</strong><br />

einer kleindeutschen Einigung Deutschlands unter Preußen führte, sehr enttäuscht. 170<br />

Dass Stifter die verschiedenen Völker eher <strong>als</strong> Freunde denn <strong>als</strong> Feinde betrachten wollte,<br />

zeigt auch noch folgender Aspekt am Rande: Es ist bemerkenswert, dass es im ganzen <strong>Roman</strong><br />

keine Sprachunterschiede gibt, was sich vor allem an den deutschen Siedlern in den Wäldern<br />

Südböhmens, z.B. Diet von Wettern, mit dem <strong>Witiko</strong> engen Umgang pflegt, wie auch an<br />

deutschen Adeligen in Prag, man denke an Gertrud, die Frau Wladislaws, zeigt. Auch Krökel<br />

weist darauf hin, dass Stifter hier idealisierend aus Böhmens Bewohnern e i n Volk macht und<br />

tatsächlich vorgekommene Ausgren<strong>zu</strong>ngen nach Sprach<strong>zu</strong>gehörigkeit einfach verschweigt. 171<br />

„Deutsche und Tschechen verschmelzen <strong>zu</strong>m Wohle Böhmens“ 172 und definieren sich alle<br />

über ihr Dasein <strong>als</strong> Untertanen des böhmischen Herzogs, dem auch die Loyalität der eingewanderten<br />

Deutschen wie selbstverständlich gebührt. 173<br />

5 Fazit und Schluss<br />

Bei einer ausführlichen Beschäftigung mit dem <strong>Witiko</strong> stellt man <strong>als</strong>o unweigerlich fest, dass<br />

es sich dabei um weit mehr <strong>als</strong> einen der typischen historischen <strong>Roman</strong>e des 19. Jahrhunderts<br />

handelt. Obwohl er bei seinen ersten <strong>Überlegungen</strong> ein Werk dieses Genres <strong>zu</strong> schaffen von<br />

eher rationalen Gründen geleitet war und schriftstellerischen Erfolg im Sinn hatte, wurde der<br />

<strong>Witiko</strong> für <strong>Adalbert</strong> Stifter <strong>zu</strong> einer fast schon existenziellen und sehr kräftezehrenden Aufgabe.<br />

Stifter hatte einerseits so hohe stilistische Ansprüche an sich selbst und wollte <strong>zu</strong>dem ein<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

169 Ebd.<br />

170 Vgl. Wiesmüller 1996, S. 307f.<br />

171 Vgl. Krökel, S. 894<br />

172 Geppert, S. 130<br />

173 Vgl. Storck, S. 110.


! %,!<br />

unglaubliches Maß an historischen Fakten sowie natur- und rechtsphilosophischen Inhalten in<br />

seiner Erzählung unterbringen. So stellt sich abschließend noch einmal die Frage: Wie kam es<br />

<strong>zu</strong> dieser Akzentverschiebung?<br />

Die Antwort darauf lässt sich wieder sehr passend in einem Satz von Helena Ragg-Kirkby<br />

finden: „What <strong>Witiko</strong> does is build up a huge, as it were architectural structure against a sense<br />

of imminent collapse and chaos […]“ 174 Bleibt man in diesem Bild, so beschrieb Stifter im<br />

<strong>Witiko</strong> eine Struktur, ein gesellschaftliches System, in dem er sich wohler fühlte, <strong>als</strong> im habsburgischen<br />

Österreich nach der Revolution. Dessen Gesellschaft hatte eine so rasche und radikale<br />

Entwicklung genommen, dass Stifter sie nur schwer nachvollziehen konnte. Im <strong>Witiko</strong><br />

verarbeitete Stifter seine Eindrücke der politischen Ereignisse von 1848 bis 1866, er projizierte<br />

seine Kritik an den zeitgenössischen Staatsereignissen <strong>zu</strong>rück ins Mittelalter und schuf damit<br />

eine „poetisch-geschichtliche Utopie“ 175 . In dieser wollte er aufzeigen, dass die Ausrichtung<br />

menschlichen Handelns am ‚Sanften Gesetz’ und an den Prinzipien der Sittlichkeit im<br />

privaten wie auch im staatlichen Bereich <strong>zu</strong>m Gelingen führt und das Gute sich durchsetzt.<br />

Dies zeigte sich seiner Meinung nach, ganz im Sinne Herders, auch in den Abläufen der Geschichte.<br />

In diesem Sinne ist auch folgendes Wort <strong>Witiko</strong>s <strong>zu</strong> verstehen: „Ich denke wie Ihr,<br />

kein Stamm kann untergehen, wenn seine Glieder recht sind, er sinkt und steigt, außer wenn<br />

Gott im Tode seines letzten Gliedes ihm ein Ende macht.“ 176<br />

Bedenkt man, was Stifter an Kräften in den <strong>Witiko</strong> investiert und damit beabsichtigt hat, so ist<br />

es gewissermaßen tragisch, dass dieses Werk von den zeitgenössischen Lesern so vernichtend<br />

aufgenommen wurde. Das lag wohl einerseits an den zeitgenössischen Genreerwartungen an<br />

einen historischen <strong>Roman</strong>, die Stifter vor allem durch seine Stilistik verfehlte. Andererseits<br />

störte sich die Kritik auch massiv an <strong>Stifters</strong> Wahl des Schauplatzes in Böhmen und an seiner<br />

Betonung der böhmischen Geschichte und warf ihm vor, damit nationalistische Bestrebungen<br />

der Tschechen befördern <strong>zu</strong> wollen. 177 Polemische Äußerungen wie die von Rudolf Gottschall<br />

1868 in einer Rezension des <strong>Witiko</strong> gestellte Frage „Diese böhmischen Wladislaws und Wratislaws,<br />

die um die Oberherrschaft kämpfen – was kümmern sie uns, was kümmern sie die<br />

Geschichte?“ 178 machen deutlich, dass sich das politische Bewusstsein der deutschsprachigen<br />

Leserschaft einige Jahre vor der Gründung des Deutschen Kaiserreichs bereits nationalistisch<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

174 Ragg-Kirkby, S. 179.<br />

175 Storck, S. 110.<br />

176 HKG 5,1, S. 47.<br />

177 Vgl. HKG 5,4, S. 276.<br />

178 Rudolf Gottschall in den Blättern für Literarische Unterhaltung vom 25. Juni 1868, zitiert nach Storck, S.<br />

108.


! %"!<br />

verengt hatte. 179 Eine derartig eingeschränkte Sichtweise lag Stifter, der <strong>als</strong> Österreicher<br />

grundsätzlich eher für eine großdeutsche Lösung der Deutschen Frage plädierte und den außerdem<br />

eine große Zuneigung <strong>zu</strong> seiner geliebten Heimat verband, fern. Dieses starke Band<br />

<strong>zu</strong> Böhmen macht es darüber hinaus schwer, sich vor<strong>zu</strong>stellen, dass Stifter ein geschichtliches<br />

Ereignis einer anderen Nation <strong>zu</strong>m Gegenstand seines historischen <strong>Roman</strong>es gemacht hätte.<br />

Sicher dachte er ganz am Anfang über Robespierre nach, aber das Thema aus der böhmischen<br />

Geschichte, <strong>zu</strong>mal noch aus deren stolzer und erfolgreicher Periode, fesselte ihn ganz besonders<br />

und ermöglichte ihm, seinem Heimatland literarisch die Anerkennung <strong>zu</strong>kommen <strong>zu</strong><br />

lassen, die es in der Gegenwart unter der Habsburgermonarchie nicht mehr hatte.<br />

Sein Biograph Peter Schoenborn bekundet Stifter für sein dem nachrevolutionären Zeitgeist<br />

trotzendes Unternehmen Respekt:<br />

Wenn es auch klar ist, dass er in diesem ungleichen Kampf gegen die in seinem Vaterland bestehenden<br />

politischen Verhältnisse, den übermächtig gewordenen Nationalismus und den in<br />

Mitteleuropa sich herausschälenden modernen, Realpolitik betreibenden, zentral regierten Einheitsstaat<br />

auch den Kürzeren ziehen musste, so kann man angesichts seines entschiedenen, mit<br />

tiefem moralischen Ernst geführten Federkrieges doch nicht anders, <strong>als</strong> ihm <strong>zu</strong>mindest Anerkennung<br />

für seinen Mut, seine Prinzipientreue und Ausdauer <strong>zu</strong> zollen. 180<br />

Dabei eröffnen gerade die große zeitliche Distanz <strong>zu</strong>r eigenen Gegenwart und die von Stifter<br />

gewählte extreme Stilistik die Möglichkeit, eine große Bandbreite von politischen Problemen<br />

an<strong>zu</strong>sprechen. Wenn man noch einmal auf die herausgearbeiteten drei Ebenen <strong>zu</strong>rückgreift,<br />

ist dies erstens <strong>Stifters</strong> Kritik am Verhalten vieler seiner Mitmenschen während der Revolution<br />

von 1848. Ihrem gewaltbereiten und eigennützigen Handeln angesichts einer Situation, die<br />

den österreichischen Staat verbessern sollte, stellte Stifter in der Figur des <strong>Witiko</strong> das Beispiel<br />

eines ‚guten’ Menschen entgegen, der auch in unruhigen Situationen wohlüberlegt und <strong>zu</strong>m<br />

Wohle aller handelt. Diese erste Ebene erlaubte Stifter <strong>zu</strong>dem, das von ihm schon in seinen<br />

vorigen <strong>Roman</strong>en sehr geschätzte Motiv der Familiengeschichte und Persönlichkeitsentwicklung<br />

in ausführlicher Länge dar<strong>zu</strong>stellen. 181 Auf der zweiten und dritten Ebene thematisierte<br />

Stifter, wie bereits ausgeführt, die Revolutionserfahrung sowie seine Ansichten über die<br />

Deutsche Frage und die europäischen Kräfteverhältnisse.<br />

Da <strong>Stifters</strong> Geschichtsauffassung ihm ja eigentlich gebot, die Dinge so ab<strong>zu</strong>bilden, wie sie in<br />

der Vergangenheit waren, ist es jedoch kritisch <strong>zu</strong> sehen, dass er <strong>zu</strong>r literarischen Verwirklichung<br />

seines geschichtstheoretischen Konzeptes manche Fakten verdrehte und einige Zusammenhänge<br />

in einem positiveren Licht darstellte. 182 Geppert nennt dieses Vorgehen ein<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

179 Vgl. ebd.<br />

180 Schoenborn, S. 405.<br />

181 Vgl. Doppler, S. 96f.<br />

182 Vgl. Aust, S. 96.


! %$!<br />

„verzweifeltes Gut-Nennen von Ereignissen, deren historischer Diskurs schierer Machtpolitik<br />

einfach dasteht“ 183 und Doppler führt die <strong>Stifters</strong> Intention widersprechenden Geschichtsquellen<br />

sogar detailreich auf:<br />

[…] so war Wladislaw nicht nur der uneigennützige Herzog, dessen Krönung <strong>zu</strong>m König von<br />

Böhmen aus verwandtschaftlicher Dankbarkeit von Friedrich Barbarossa vollzogen wurde, die<br />

böhmischen Krieger waren nicht nur Boten, die das Recht verwirklichten, sondern waren durch<br />

ihre Raub- und Plünderungslust gefürchtet, die Kirche war nicht nur Erziehungsmacht, sondern<br />

auch erbitterte Gegnerin des deutschen Kaisers, das Recht, das Friedrich I. während des Kampfes<br />

gegen die italienischen Städte kodifizieren ließ, war nicht nur eines, wie es die Natur der Sache<br />

verlangte, sondern auch eines, das der Macht dienstbar war, auch die Kämpfe während der<br />

verschiedensten Kriegszüge waren verlustreicher, <strong>als</strong> dies Stifter offen aussprechen wollte. 184<br />

Das darin <strong>zu</strong>m Ausdruck kommende Maß an Gewalt und Eigennutz passte nicht <strong>zu</strong> <strong>Stifters</strong><br />

Ziel, im Ablauf der Geschichte mit dem Aufstieg und Untergang von Völkern das Offenbarwerden<br />

von Gut und Böse dar<strong>zu</strong>stellen. Was Stifter im Bereich der Individualgeschichte und<br />

Fiktion gelingt – schließlich liegt die Ausgestaltung von <strong>Witiko</strong>s Aufstieg mangels Fakten<br />

ganz in seiner Fantasie –, wird auf dem Gebiet der gut belegten Staats- und Ereignisgeschichte<br />

nahe<strong>zu</strong> unmöglich: eine eindeutige Einteilung von geschichtlichen Personen und Handlungen<br />

in ‚gut’ und ‚böse’ wird in den seltensten Fällen funktionieren. Da dies jedoch das herdersche<br />

Geschichtskonzept in Zweifel zieht, ist Stifter quasi gezwungen, die historischen Ereignisse<br />

literarisch in seinem Sinne <strong>zu</strong> interpretieren.<br />

Als weitere Schwäche des <strong>Witiko</strong>s kann man auch das Auseinanderklaffen zwischen den ausgedehnten<br />

Natur- und Handlungsbeschreibungen, die vom Erzähler in keiner Weise kommentiert<br />

werden, und den zwar auch kommentarlos präsentierten, aber inhaltlich und politisch<br />

hoch motivierten Reden der böhmischen Würdenträger betrachten. Erstere eignen sich zwar<br />

sehr gut, um an dem richtigen Verhalten im Umgang mit Menschen, Natur und Tieren <strong>Stifters</strong><br />

Vorstellungen von Sittlichkeit und Ordnung dar<strong>zu</strong>stellen; Geschichtsabrisse und eindeutige<br />

politische Meinungsäußerungen muss Stifter seinen Figuren jedoch in deutlicher Rede in den<br />

Mund legen, weil sie mit dem eher ‚sanften’ Verfahren des reinen Schlussfolgerns aus der<br />

Beobachtung nicht erzählbar sind. Das verleiht diesen Reden einerseits eine große Bedeutung,<br />

da sie in ihrer Pointiertheit <strong>zu</strong>r Referenz für die politisch-rechtlichen Aussagen des <strong>Roman</strong>s<br />

werden (auch die Analyse in dieser Arbeit stützt sich in weiten Teilen auf Dialoge und Reden).<br />

Andererseits ist diese Bedeutung vom reinen Textumfang her unverhältnismäßig, da die<br />

‚leiseren’, beschreibenden Passagen den Großteil des <strong>Witiko</strong> ausmachen. Und eigentlich ist es<br />

die Stärke <strong>Stifters</strong> an den kleinen Gesten und versteckten Bemerkungen sittliche Vorstellungen<br />

auf<strong>zu</strong>zeigen – das wird besonders im Vergleich mit dem Ende des dritten Bandes deut-<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

183 Geppert, S. 132.<br />

184 Doppler, S. 100.


! %%!<br />

lich, wo der Erzähler in eine gehetzt-telegrammstilartige Aufreihung von Ereignissen verfällt<br />

–, dieses Erzählverfahren macht seinen <strong>Roman</strong> aber auch sehr viel anstrengender <strong>zu</strong> verstehen<br />

und ist weniger <strong>zu</strong>gänglich <strong>als</strong> die politischen Reden. In einer weitergehenden, inhaltlich wesentlich<br />

umfangreicheren Analyse des Politischem im <strong>Witiko</strong> ließe sich durch den genauen<br />

Blick auf die vielen kleinen Handlungen und unscheinbaren Beschreibungen deshalb sicher<br />

noch Einiges <strong>zu</strong> Tage fördern.<br />

Aber auch schon auf Basis des hier Erarbeiten steht ohne Zweifel fest, dass <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong><br />

<strong>Witiko</strong> auf verschiedenen Ebenen <strong>als</strong> politischer <strong>Roman</strong> gelesen werden kann, auch wenn das<br />

Politische aufgrund <strong>Stifters</strong> Stil auf den ersten, nur oberflächlichen Blick nicht unbedingt<br />

deutlich erkennbar ist. Lässt man sich jedoch auf das Werk ein, so fällt es einem in allen Bereichen<br />

auf.


Abkür<strong>zu</strong>ngsverzeichnis<br />

HKG<br />

VASILO<br />

<strong>Adalbert</strong> Stifter, Werke und Briefe, Historisch-kritische Gesamtausgabe, herausgegeben<br />

von Alfred Doppler und Wolfgang Frühwald, Stuttgart 1978ff.<br />

Vierteljahresschrift des <strong>Adalbert</strong>-Stifter-Institutes des Landes Oberösterreich<br />

PRA <strong>Adalbert</strong> Stifter, Sämtliche Werke, herausgegeben von August Sauer (u.a.), 25<br />

Bände, Prag 1904ff. (seit 1927: Reichenberg), Prag-Reichenberger-Ausgabe<br />

Literaturverzeichnis<br />

Primärliteratur:<br />

• <strong>Adalbert</strong> Stifter: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 5,1–5,3<br />

<strong>Witiko</strong>. Eine Erzählung, hg. von Alfred Doppler und Wolfgang Wiesmüller, Stuttgart<br />

1984–1986<br />

• ders.: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 5,4 <strong>Witiko</strong>. Apparat<br />

und Kommentar, hg. von Alfred Doppler und Wolfgang Frühwald, Stuttgart 1998<br />

• ders.: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 5,5 <strong>Witiko</strong>. Stellenkommentar,<br />

hg. von Alfred Doppler und Hartmut Laufhütte, Stuttgart 2001<br />

• <strong>Adalbert</strong> Stifter: Der Staat. In: ders.: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe,<br />

Bd. 8,2, hg. von Alfred Doppler und Hartmut Laufhütte, Stuttgart 2010<br />

• <strong>Adalbert</strong> Stifter: Sämtliche Werke, Bd. XVII–XXIV Briefwechsel, hg. von August<br />

Sauer (u.a.), Prag 1904ff. (seit 1927: Reichenberg). Photomech. Nachdruck aller Bde.<br />

nach der jeweils letzten Auflage, Hildesheim 1972<br />

Sekundärliteratur:<br />

• Alexander, Manfred: Kleine Geschichte der böhmischen Länder, Stuttgart 2008<br />

• Aust, Hugo: Der historische <strong>Roman</strong>, Stuttgart/Weimar 1994<br />

• Berendes, Jochen: Ironie – Komik – Skepsis. Studien <strong>zu</strong>m Werk <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong>, Tübingen<br />

2009<br />

• Czernin, Franz-Josef: Zu <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“. In: Text+Kritik 160 (2003), S.<br />

56–72<br />

• Doppler, Alfred: <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> Verhältnis <strong>zu</strong>r Geschichte. In: VASILO 41(1992),<br />

Folge 3/4, S. 93–102<br />

!


• Geppert, Hans Vilmar: Der Historische <strong>Roman</strong>. Geschichte umerzählt – von Walter<br />

Scott bis <strong>zu</strong>r Gegenwart, Tübingen 2009<br />

• Greiner, Ulrich: Denken wie der Wald. In: DIE ZEIT 20.10.2005 Nr. 43 (abrufbar unter<br />

http://www.zeit.de/2005/43/Stifter_Greiner, letzter Zugriff 01.05.2011, 10:30 Uhr)<br />

• Kirk-Ragby, Helena: <strong>Witiko</strong> and the Absurd. In: The Biedermeier and Beyond. Selected<br />

papers from the symposium held at St. Peter’s College, Oxford from 19–21 September<br />

1997, hg. von Ian F. Roe und John Warren, Bern 1999, S. 169–181<br />

• Koschorke, Albrecht: Bewahren und Überschreiben. Zu <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> <strong>Roman</strong> <strong>Witiko</strong>.<br />

In: Assmann, Aleida / Frank, Michael C. (Hg.): Vergessene Texte, Konstanz 2004,<br />

S. 139–158<br />

• Krökel, Fritz: Nachwort, in: Stifter, <strong>Adalbert</strong>: <strong>Witiko</strong> (dtv-Ausgabe), München 4 2005,<br />

S. 881–896<br />

• Müller-Funk, Wolfgang: Integration und Integrität. Die böhmischen Länder und die<br />

„reichische“ Idee in <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“. In: Bohemia. Zeitschrift für Geschichte<br />

und Kultur der böhmischen Länder, Band 37 (1996), S.341–352<br />

• Müller, Harro: Historische <strong>Roman</strong>e. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur,<br />

Bd. 6. Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890, hg. von Edward<br />

McInnes und Gerhard Plumpe, München 1996, S. 690–707<br />

• Potthast, Barbara: Die Ganzheit der Geschichte. Historische <strong>Roman</strong>e im 19. Jahrhundert,<br />

Göttingen 2007<br />

• Rokyta, Hugo: Die Entstehung von <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“ aus böhmischer Sicht.<br />

In: VASILO 33 (1984), Folge 3/4, S. 99–108<br />

• Rückle, Eduard: Die Gestaltung der dichterischen Wirklichkeit in <strong>Stifters</strong> „<strong>Witiko</strong>“.<br />

Eine Untersuchung der strukturbildenden Formprinzipien, Tübingen 1968<br />

• Schoenborn, Peter A.: <strong>Adalbert</strong> Stifter. Sein Leben und Werk, Tübingen 2 1999<br />

• Storck, Joachim W.: „Unter <strong>Witiko</strong>s Banner?“. Bemerkungen <strong>zu</strong> <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong><br />

böhmischem Geschichtsbild. In: VASILO 41 (1992), Folge 3/4, S. 103–119<br />

• Thomas, Walter: Die Weltentschärfung des <strong>Adalbert</strong> Stifter. <strong>Witiko</strong> zwischen ständischem<br />

Recht und bürgerlichem Glück, Frankfurt am Main 1992<br />

• Wiehl, Meike Christina: „Ich bin ein Mann des Maßes und der Freiheit“. <strong>Adalbert</strong><br />

Stifter <strong>als</strong> Pädagoge, Marburg 2008 (Diss. Uni Karlsruhe)<br />

• Wiesmüller, Wolfgang: „... dann wächst Deutschthum dem Preussenthume über das<br />

Haupt“. <strong>Adalbert</strong> Stifter und die Deutsche Frage, in: Amann, Klaus / Wagner, Karl<br />

(Hgg.): Literatur und Nation. Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 in der<br />

deutschsprachigen Literatur, Wien/Köln/Weimar 1996, S. 305–316<br />

!


• ders: Die Europa-Diskussion im 19. Jahrhundert und der historische <strong>Roman</strong>. Zum literarischen<br />

und feuilletonistischen Kontext von <strong>Adalbert</strong> <strong>Stifters</strong> <strong>Witiko</strong>. In: Akten des<br />

XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005 „Germanistik im Konflikt der<br />

Kulturen“, Bd. 12 Europadiskurse in der deutschen Literatur und Literaturwissenschaft,<br />

hg. von Jean-Marie Valentin, Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A<br />

Band 88, Bern 2007 , S. 121-128<br />

• Zumbusch, Cornelia: Der Gang der Geschichte. Historismus und genetisches Erzählen<br />

in <strong>Stifters</strong> <strong>Witiko</strong>, S. 227-251 (in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, 51.<br />

Jahrgang, Göttingen 2007)<br />

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