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1 1. Zusammenfassung - Université de Neuchâtel

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Geologie wird <strong>de</strong>mnach als symptomatisch und programmatisch für die Flucht <strong>de</strong>r Stifterschen Protagonisten in eine<br />

‚heilsame Starre’ angesehen. Solche Lektüren verpassen allerdings die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Pointe, dass in <strong>de</strong>r Geologie wie<br />

sie Heinrich pflegt, gera<strong>de</strong> die Er<strong>de</strong> und das Steinerne zum Bewegten gewor<strong>de</strong>n sind, und das Bewusstsein um diese<br />

neu ent<strong>de</strong>ckte Dynamik lässt sich bis in die Poetologie <strong>de</strong>s Nachsommers belegen (Schny<strong>de</strong>r 2009e, 2009g). (Von<br />

einem Dichter-Maler wie Stifter her lässt sich übrigens auch eine intermediale Brücke zur bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kunst schlagen,<br />

wo im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt verfolgt wer<strong>de</strong>n kann, wie Künstler versuchen, die neu ent<strong>de</strong>ckte Dynamik im vermeintlich<br />

Statischen <strong>de</strong>r Gebirge und Felsformationen darstellend zu erfassen (vgl. König 1997; Whittow 1992; Be<strong>de</strong>ll 2001;<br />

Keller 2006).<br />

Vielleicht offensichtlicher als im Feld <strong>de</strong>r Geologie ist die Dynamisierung <strong>de</strong>s Statischen im Feld <strong>de</strong>r<br />

Biologie. Hier eröffnet die temporale Relativierung <strong>de</strong>r zuvor als fix angenommenen Gattungsgrenzen ein weites Feld<br />

literarischer und wissenschaftlicher Spekulationen über oft unheimliche Verwandtschaftsbeziehungen unter <strong>de</strong>n<br />

Lebewesen. Kategorien wie die <strong>de</strong>s „Monströsen“ müssen ganz neu gedacht wer<strong>de</strong>n, und zumal die Beziehung <strong>de</strong>s<br />

Menschen zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren lebendigen Organismen erscheint nun in einem völlig neuen Licht, vor allem natürlich seit<br />

Darwin. Aber diese darwinistische Wen<strong>de</strong> zeichnet sich bereits im unsicheren Wissen <strong>de</strong>r Jahrzehnte davor in<br />

Wissenschaft und Literatur ab (Schny<strong>de</strong>r 2010b).<br />

Zentrale Fragen sind hier a) bezogen auf die Er<strong>de</strong>: Welche Varianten <strong>de</strong>r Dynamisierung gibt es? Welche<br />

folgen narrativen Mustern einer katastrophischen Verän<strong>de</strong>rung (Bsp. Cuvier); welche gehen von allmählichen<br />

Verän<strong>de</strong>rungen gleich bleiben<strong>de</strong>r Stärke und Intensität aus (Bsp. Lyell)? Woher kommen diese Muster? Wie wirken<br />

sie wie<strong>de</strong>rum in die Literatur zurück? Was be<strong>de</strong>utet es für die literarische Darstellung von Landschaften, zu wissen,<br />

dass diese einer beständigen geologischen Verän<strong>de</strong>rung unterliegen? Wie wird <strong>de</strong>m in an<strong>de</strong>ren Medien (Bil<strong>de</strong>rn,<br />

Panoramen, Landkarten etc.) Rechnung getragen, die ihrerseits wie<strong>de</strong>rum die Literatur beeinflussen? – b) bezogen auf<br />

das Leben: Welche literarischen Entwicklungsnarrationen wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Verzeitlichung <strong>de</strong>r Natur für die Darstellung<br />

<strong>de</strong>r dynamischen Natur fruchtbar gemacht? Welche Rolle spielen alte Erzählmuster von Metamorphosen? Wie<br />

verän<strong>de</strong>rn sich alte Vorstellungen von Monstrosität? Wie wird in <strong>de</strong>r Literatur die neu ent<strong>de</strong>ckte Nähe (und später<br />

sogar die Verwandtschaft) <strong>de</strong>s Menschen zu <strong>de</strong>n Tieren reflektiert? Welche Regressionsängste und<br />

Regressionswünsche wer<strong>de</strong>n entwickelt? Und wie wer<strong>de</strong>n sie literarisch in Szene gesetzt? Wie verschiebt sich <strong>de</strong>r<br />

Blick auf das Verhältnis von Natur und Kultur durch die Auflösung <strong>de</strong>r einst festen Grenze zwischen Mensch und<br />

Tier? Welche neuen Formen <strong>de</strong>s Kulturoptimismus und -pessimus entwickeln sich vor diesem Hintergrund? Und<br />

welchen narrativen Mustern folgen sie in konkreten Fällen?<br />

Allgemeine Schlussbemerkung<br />

Das Arbeitsfeld „Literatur und Wissen“ ist von höchster Aktualität in <strong>de</strong>r Germanistik. Es hat sich in <strong>de</strong>n vergangenen<br />

15 Jahren zu einem <strong>de</strong>r wichtigsten Forschungszweige in <strong>de</strong>r kulturwissenschaftlich ausgerichteten<br />

Literaturwissenschaft ausgebil<strong>de</strong>t, wobei zum einen ganz neue Forschungsgegenstän<strong>de</strong> erschlossen wur<strong>de</strong>n und zum<br />

an<strong>de</strong>rn wichtige methodisch-theoretische Debatten angestoßen wur<strong>de</strong>n. Wer sich als Doktorieren<strong>de</strong>(r) in dieses<br />

Forschungsfeld begibt, kann <strong>de</strong>shalb sicher sein, in einem Feld tätig zu sein, das für viele Neuent<strong>de</strong>ckungen und<br />

Relektüren Raum bietet, das aber zugleich schon so weit konsolidiert ist, dass die – für die Rezeption <strong>de</strong>r Arbeit<br />

zentrale – Anschlussfähigkeit <strong>de</strong>r eigenen Arbeit an einen allgemeineren wissenschaftlichen Diskurs sichergestellt ist.<br />

In allen vier in diesem Teilantrag umrissenen Hauptfragen können mithin zweifellos wichtige Beiträge zur<br />

Erforschung <strong>de</strong>s Verhältnisses zwischen <strong>de</strong>r Literatur und <strong>de</strong>m Wissen über die verzeitlichte Natur geleistet wer<strong>de</strong>n,<br />

und zwar sowohl in inhaltlicher wie methodisch-theoretischer Hinsicht. – Ziel ist es, die fertiggestellten Dissertationen<br />

in einem guten wissenschaftlichen Verlag zu publizieren.<br />

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