03.11.2013 Aufrufe

Prof. Dr. Wolfgang Kraus Neuendettelsau/Saarbrücken Predigt zur ...

Prof. Dr. Wolfgang Kraus Neuendettelsau/Saarbrücken Predigt zur ...

Prof. Dr. Wolfgang Kraus Neuendettelsau/Saarbrücken Predigt zur ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Kraus</strong><br />

<strong>Neuendettelsau</strong>/<strong>Saarbrücken</strong><br />

<strong>Predigt</strong> <strong>zur</strong> Eröffnung der Friedensdekade in Coburg, 9.11.2008<br />

<strong>Predigt</strong>text: Eph 2,11-22<br />

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.<br />

Lasst uns in der Stille um den Segen des Wortes Gottes beten.<br />

Herr tue meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige. Amen.<br />

Ich lese den <strong>Predigt</strong>text aus dem Epheserbrief Kap. 2:<br />

„Erinnert euch daher, daß ihr einst Heiden wart und Unbeschnittene genannt wurdet von denen, die äußerlich<br />

beschnitten sind. Zu jener Zeit wart ihr ohne einen Christus, ausgeschlossen von der Gemeinde Israels,<br />

Fremdlinge gegenüber den Testamenten der Verheißung, ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt.<br />

Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch die Lebenshingabe Christi. Er<br />

selbst nämlich ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Sterben die<br />

trennende Wand der Feindschaft nieder, indem er das Gesetz der Gebote und Verordnungen aufhob um aus den<br />

zweien in seiner Person einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch<br />

das Kreuz in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet und kam und verkündete Frieden<br />

euch, den Fernen, und uns, den Nahen. Durch ihn haben wir beide in einem Geist Zugang zum Vater.<br />

So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge und Gäste ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und<br />

Hausgenossen Gottes, auferbaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten; der Eckstein ist Christus Jesus<br />

selbst. Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch<br />

ihn werdet auch ihr zu einer Wohnung Gottes im Geist auferbaut.“<br />

Liebe Gemeinde - oder sollte ich nach diesem Text nicht besser sagen:<br />

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger der Heiligen, liebe Hausgenossen Gottes!<br />

Vor einigen Jahren fand man auf Fahrzeugen einen Aufkleber mit der Aufschrift: „Jeder ist Ausländer, fast überall“.<br />

Menschen, die das lesen, sollten dadurch angeregt werden, sich zu überlegen, daß sie in allen anderen Ländern,<br />

wohin sie auch kommen, keine Einheimischen, keine Mitbürger mit vollem Bürgerrecht, sondern Ausländer sind -<br />

und sie sollten dann aufgrund dieser Einsicht zu einem freundlichen Umgang mit den Ausländern bei sich daheim<br />

angeregt werden. Wer schon einmal im Ausland war, kann das sicher nachempfinden: Es tut einem gut, wenn man<br />

als Ausländer freundlich behandelt wird und nicht wie der letzte <strong>Dr</strong>eck.<br />

Der Zielsatz unseres Textes lautet: ihr seid keine Ausländer und Gäste mehr, sondern ihr seid durch Christus zu<br />

Mitbürgern der Heiligen und zu Gottes Hausgenossen geworden. Ihr habt ungehinderten Zugang zum Vater. Ihr<br />

seid wie lebendige Steine eingefügt in ein Bauwerk, dessen Fundament die Apostel und Propheten darstellen,<br />

dessen Eckstein Christus selbst ist und dessen Funktion es ist, ein heiliger Tempel im Herrn zu sein. Keine<br />

Fremdlinge, keine Zaungäste, keine bloß geduldeten Besucher, sondern Vollbürger.<br />

Was ist das peinlich und manchmal erniedrigend, wenn man irgendwo eingeladen ist, aber dann erfährt: eigentlich<br />

gehöre ich nicht dazu, so unter „ferner liefen“ werde auch ich noch geduldet. Der Epheserbrief sagt: was eure<br />

Zugehörigkeit zum Volk Gottes anbetrifft, da seid ihr Mitbürger mit vollem Bürgerrecht.<br />

Das war nicht immer so.<br />

Unser Text setzt damit ein, daß er die Hörer auffordert: erinnert euch an euren früheren Stand. Seid eurer Herkunft<br />

eingedenk. Wo kommen sie denn her?<br />

• Ihr wart Heiden. Ihr hattet irgendwelche Götter oder auch nicht, aber den lebendigen Gott, der sich seinem Volk<br />

offenbart hat, den kanntet ihr nicht.<br />

• Ihr wart ohne einen Christus. Wer das ist: ein Christus, ein Messias, ein Heiland, ein Retter, das wißt ihr erst,<br />

seit ihr Mitbürger wurdet. Das wißt ihr erst, seit ihr das erste Testament kennt, das Buch der Geschichte Gottes<br />

mit seinem Volk Israel, in dem ein solcher Christus verheißen wird.<br />

• Ihr wart ausgeschlossen von der Gemeinde Israels. Der Zugang zum Gottesvolk, das Gott sich erwählt hatte,<br />

war euch verwehrt. Ihr konntet höchstens Zaungäste sein, geduldete Fremde.<br />

• Ihr hattet keinen Anteil an den göttlichen Verheißungen. Die waren für euch verschlossen. Was Gott den Vätern<br />

zugeschworen hatte, das war für euch tabu.<br />

• Ihr hattet keine Hoffnung, denn ihr habt ohne den wahren Gott - also: gott-los - in der Welt gelebt. Daß es eine<br />

Hoffnung für diese Welt und für die Menschheit gibt, das wißt ihr erst, seit ihr die prophetische Botschaft kennt,<br />

seit ihr wißt, daß Gott verheißen hat, Himmel und Erde zu erneuern. In eurem Leben vorher konntet ihr das<br />

höchstens wünschen und euch Träumen der Unsterblichkeit oder Phantasien der Reinkarnation hingeben, aber<br />

eine wirkliche Hoffnung über den Tod hinaus, die habt ihr erst, seit ihr den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs<br />

kennt, seit ihr wisst dass die Macht des Vaters Jesu Christi am Tod nicht zu Ende ist. Wirkliche, begründete


Hoffnung habt ihr erst, seit ihr wißt, daß der Gott Israels der eine wahre Gott ist, der Himmel und Erde<br />

erschaffen hat und seit ihr ihn euren himmlischen Vater nennen dürft.<br />

Wenn man das alles hört, fragt man sich: was wären wir ohne die Geschichte Gottes mit seinem Volk? Was<br />

wüßten wir, was könnten wir hoffen, worauf könnten wir uns verlassen, wenn es nicht diese Bezeugung des<br />

Handelns Gottes in der Geschichte, wenn es nicht das Gottesvolk Israel gäbe?<br />

Bei einem Besuch in der Nürnberger Synagoge erzählte mir der Kantor (Vorbeter) folgende Anekdote: Zwei<br />

Schwestern aus Deutschland befinden sich auf einer Pilgerreise ins Hl. Land. Eines Tages kommen sie - mehr<br />

durch Zufall - in eine Synagoge, in der gerade Gottesdienst gefeiert wird. Sie bleiben da, hören zu, verstehen kaum<br />

etwas, da alles auf Hebräisch abläuft, aber es ist schön. Hinterher sagt die eine <strong>zur</strong> andern: Also es hat mir schon<br />

gefallen dieser Gottesdienst bei den Juden. Aber das müssen sie zugeben: das Halleluja und das Amen, das<br />

haben sie von uns!<br />

Naja, jeder weiß: das stellt die Dinge auf den Kopf. Denn: Halleluja ist Hebräisch, es heißt: laßt uns den Herrn<br />

loben, und Amen ist auch Hebr., es bedeutet: „ja, bestimmt“ oder wie Luther übersetzt: „das ist gewißlich wahr“,<br />

und beides haben wir Christen natürlich von den Juden und nicht umgekehrt. Als Mitbürger der Heiligen verwenden<br />

wir es auch. Als Gottes Hausgenossen beten auch wir die Psalmen. Aber eben als ehemals Ferne, die jetzt zu<br />

Nahen wurden und nicht umgekehrt.<br />

Daran muß erinnert werden. Wir müssen daran erinnert werden und auch der Epheserbrief scheint in eine<br />

Situation zu sprechen, in der den sog. Heidenchristen diese Realität abhanden gekommen war. Erinnert euch, was<br />

ihr einst für Leute wart - und dann seid nicht überheblich, sondern dankt Gott, der euch Anteil gegeben hat an den<br />

großen Gnadengaben, die seinem Volk gehören. Vergeßt nicht, wo ihr herkommt, und vergeßt nicht, wozu ihr<br />

berufen wurdet.<br />

Durch Jesus habt ihr dies erreicht. Denn erst Jesus hat durch seine Lebenshingabe die trennende Wand zwischen<br />

dem von Gott erwählten Volk und den Heiden niedergerissen.<br />

Will man dieses Bild, das der Epheserbrief hier gebraucht, recht verstehen, muß der Tempel von Jerusalem mit<br />

seinen verschiedenen Bereichen vor unserem inneren Auge erscheinen: Es gab dort auf dem Tempelberg<br />

abgeteilte Bereiche, zu denen nur bestimmte Leute Zutritt hatten. Da gab es im Innersten das Allerheiligste, ein<br />

völlig dunkler Raum, von einem Vorhang versperrt, da durfte nur der Hohepriester hinein, und zwar nur einmal im<br />

Jahr am Großen Versöhnungstag. Für alle anderen war der Zutritt strikt verboten. Der nächste Bereich war das<br />

Heilige, der vordere Teil des Tempelhauses, den nur die diensthabenden Priester betreten durften. Davor lag der<br />

Vorhof der Priester, wiederum nur den Priestern vorbehalten. An den Priestervorhof schloß sich der Vorhof der<br />

Männer an, ein Bereich, den nur israelitische Männer betreten durften. Davor lag der Vorhof der Frauen; wie der<br />

Name sagt: eben für die israelitischen Frauen.<br />

Bisher war von den Heiden noch gar keine Rede. Sie hatten zu den bisherigen Bereichen überhaupt keinen Zutritt,<br />

sondern sie durften im Jerusalemer Tempel nur den äußersten Vorhof betreten, den Vorhof der Heiden. Und<br />

zwischen dem Heidenvorhof und den inneren Bereichen befanden sich Treppenstufen auf denen<br />

Tempelschranken mit Hinweisschildern standen, die jedem Heiden die sofortige Strafe androhten, wenn sie diese<br />

Tempelschranken überschritten.<br />

Man hat am Ende des 19. Jh. in Jerusalem das Fragment einer solchen Tafel gefunden. Es ist damit sogar<br />

archäologisch bestätigt, dass es diese sog. Tempelschranken gab.<br />

Genau um diese Scheidewand geht es. Der Epheserbrief sagt: durch Jesus sind die Tempelschranken<br />

niedergerissen. Durch ihn ist der Ausschluß der Heiden vom Zugang zu Gott aufgehoben. Durch ihn haben wir<br />

freien Zugang zum Vater. Die schier unüberwindliche Scheidewand zwischen dem Gottesvolk und den<br />

Heidenvölkern hat Jesus beseitigt. Durch ihn haben jetzt auch Menschen aus den Heidenvölkern direkten Zutritt zu<br />

Gott und es ist Friede zwischen dem Gottesvolk und den Völkern. Die Heiden, die an Christus glauben, sind<br />

Mitbürger geworden.<br />

2. Die Mitbürger werfen die Alteingesessenen hinaus.<br />

Doch was passiert, wenn Christen, die zu Mitbürgern geworden sind, beginnen, die bisherigen Bürger, die<br />

Alteingesessenen, hinauszudrängen?<br />

In der Schule haben wir gelernt, wie der Kuckuck es mit seinen Eiern macht: Er legt sie in das Nest anderer Vögel<br />

und läßt sie von diesen ausbrüten. Und wenn dann die Eier ausgebrütet sind und der junge Kuckuck ausgeschlüpft<br />

ist, dann schmeißt dieser die anderen Vogeljungen aus dem Nest.<br />

Christen aus den Heidenvölkern, die zu Mitbürgern geworden sind, beginnen, Israel seine Stellung als Gottes<br />

erwähltes Volk streitig zu machen, verhalten sich wie der Kuckuck.<br />

Und dies ist die große Last, die wir als Christen gegenüber den Juden noch heute zu tragen, zu bearbeiten und zu<br />

überwinden haben. War es zuerst ein Vorzug, als Heide durch Christus den Weg ins Gottesvolk eröffnet zu<br />

bekommen, so wurde dies bald <strong>zur</strong> Selbstverständlichkeit und danach wurde dem alten Volk Gottes dessen<br />

Stellung bestritten. Die Geschichte unserer Kirche hat da die fürchterlichsten Auswüchse zu verzeichnen.


Nachdem Christentum und Judentum sich voneinander getrennt hatten, und nachdem v.a. das Christentum im 4.<br />

Jh. unter Konstantin <strong>zur</strong> staatlich geförderten Religion wurde, machte sich in der gesamten Kirche eine<br />

verderbliche „Enterbungstheorie“ breit, wonach Israel durch die Ablehnung Jesu seine eigene Existenz als<br />

Gottesvolk aufgegeben habe und die Kirche nun das wahre Israel, das Gottesvolk sei. Diese „Enterbungstheorie“<br />

war auch die Voraussetzung für das Versagen der Kirche in der Nazi-Zeit. Und noch im Jahr 1948, also nach dem<br />

Ende des 2. Weltkriegs und mit dem Wissen um die Judenverfolgung im sog. 1000-jähr. Reich heißt es in einer<br />

kirchlichen Erklärung: „Die Erwählung Israels ist durch und seit Christus auf die Kirche aus allen Völkern, aus<br />

Juden und Heiden, übergegangen.“<br />

In Nürnberg in der Lorenzkirche hat man in den 1980er Jahren einige Treppenstufen einer Wendeltreppe entdeckt,<br />

in die von unten Schriftzeichen gemeißelt waren. Nach näherem Hinsehen stellte sich heraus, daß es sich um<br />

Grabsteine handelte, die im 14. Jh. bei der Zerstörung des Judenfriedhofes mitgenommen wurden. Der<br />

Stadtbaumeister hat damals, als durch kaiserliches Dekret das Judengetto, die Synagoge und der Friedhof<br />

geschleift wurden, Steine beschlagnahmt, darunter auch 3000 Grabsteine, die dann zum Bau u.a. in der<br />

Lorenzkirche verwendet wurden.<br />

Dies ist, finde ich, ein sehr nachdenkenswertes Beispiel: Es signalisiert, daß Christen und Juden bis in die Steine<br />

miteinander verbunden sind - aber auch: daß die Enterbungstheorie bis in die Bausubstanz vorgedrungen ist. Die<br />

Steine aus der Wendeltreppe sind jetzt <strong>zur</strong>ückgegeben an die israelitische Kultusgemeinde.<br />

Doch war das nicht nur im finsteren Mittelalter so: Als man im 20. Jh. in der Nähe von Nürnberg eine Kirche baute,<br />

wurden auch Steine aus der im August 1938 abgebrochenen großen Nürnberger Hauptsynagoge verwendet.<br />

Vielleicht kennen Sie noch ähnliche Beispiele.<br />

Wir sind heute dazu aufgefordert, es anders zu machen. Und dies nicht nur aus Scham, sondern weil es auch in<br />

der Bibel anders steht. Wie anders redet doch z.B. Paulus in seinem Römerbrief: „Freut euch, ihr Heidenvölker, mit<br />

seinem Volk!“ (15,10).<br />

Paulus lässt im Römerbrief keinen Zweifel daran, dass die Erwählung Israels als Volk Gottes bleibende Gültigkeit<br />

hat. So heißt es denn auch in einer Erklärung der EKD-Synode von 1950:<br />

„Wir glauben, daß Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu<br />

Christi in Kraft geblieben ist.“<br />

Zwischen beiden Texten, dem vorhin erwähnten von 1948 und jetzt dem von 1950 liegen zeitlich nur zwei Jahre,<br />

aber theologisch gesehen liegt zwischen ihnen eine „kopernikanische Wende“.<br />

Paulus hat zwar in Röm 9 mit einer Klage darüber begonnen, dass die Mehrzahl des Volkes Israel Jesus als<br />

Messias nicht anerkennt. Aber er schließt seinen Gedankengang in Röm 11 damit ab, dass er sagt: „Ganz Israel<br />

wird gerettet. Die Verheißungen Gottes an die Väter sind unbereubar. Gott steht zu seinem Wort.“<br />

Paulus, anders als die spätere Kirche, läßt den Juden ihre Existenz als Volk Gottes. Und er ist der festen<br />

Zuversicht, daß am Ende alle einstimmen werden in das Lob Gottes - gemeinsam!<br />

Nur dies kann in unserer Zeit die Richtschnur unseres Denkens über das jüdische Volk sein. Und nur dies kann<br />

unser Nachdenken über das Verhältnis von Christentum und Judentum bestimmen.<br />

Und wenn es in der Schrift Stellen geben sollte, die hier Unklarheiten aufkommen lassen - es gibt solche -, dann<br />

müssen wir sie nach der Regel Luthers von hier aus, vom Apostel her lesen. So wie wir gelernt haben, im Blick auf<br />

den Glauben und die Werke von den Aussagen des Apostels her zu argumentieren, so gilt es auch für die Frage<br />

des Verhältnisses von Christen und Juden.<br />

Wir sind durch die Ereignisse der gesamten Kirchengeschichte, aber besonders des 20. Jahrhunderts hellhörig<br />

gemacht, wir sind sensibel geworden, wir können nicht mehr dahinter <strong>zur</strong>ück. Alles andere wäre ein erneutes<br />

Verhalten wie der Kuckuck es macht.<br />

3. Was sollen wir denn tun?<br />

Ich sehe für die heutige Zeit v.a. drei Aspekte, die ich noch kurz nennen will:<br />

a. Das Erste und Grundlegende, das in der Kirche geschehen muß, ist die Erinnerung an unserer ursprunghafte<br />

Verbundenheit mit den Juden. „Vergessen führt in die Verbannung. Erinnern ist das Geheimnis der Befreiung“ so<br />

sagt es eine jüdische Weisheit. Aus dem Alten befreit werden wir, wenn wir uns vom Epheserbrief daran erinnern<br />

lassen, wo wir herkommen und was wir geworden sind: Mitbürger, Hausgenossen Gottes.<br />

Vor 10 Jahren hat unsere Landeskirche eine Erklärung zum Verhältnis von Christen und Juden beschlossen. In der<br />

heißt es ausdrücklich, dass wir mit den Juden ursprunghaft verbunden sind. Der Gott Abrahams, Isaaks und<br />

Jakobs und der Vater Jesu Christi sind eins.<br />

Die Landessynode will am 25. Nov. 2008 in Straubing eine Bilanz dessen ziehen, was seit dieser Erklärung<br />

geschehen ist und darüber diskutieren, wo noch Nachholbedarf besteht und was die nächsten Schritte sind.<br />

Diese Erinnerung an unsere ursprunghafte Verbundenheit mit den Juden darf sich aber nicht nur in den Köpfen<br />

einiger einstellen, die berufsmäßig mit dem Thema zu tun haben, sondern sie muß unseren Unterricht, die <strong>Predigt</strong>,<br />

das Reden im Hauskreis und vor allem unseren Alltag durchdringen.<br />

Es geht hierbei um eine theologische Entscheidung: Die Juden stehen weiterhin unter der Segensverheißung<br />

Gottes. Wir haben als Christen nur mit den Juden und nicht ohne oder gar gegen sie Anteil an Gottes Zusagen.


Die Kirchen – katholisch wie evangelisch – haben in den vergangenen vier Jahrzehnten hier umzudenken gelernt.<br />

Ein Buch mit kirchlichen Verlautbarungen zum Thema Christen und Juden, das die Jahre 1986 bis 2000 umfasst,<br />

hat über 1000 Seiten. Es sind sehr gute Texte darunter, die den Erkenntnisfortschritt der letzten Jahre und<br />

Jahrzehnte erkennen lassen. Aber was nützen Erklärungen, wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden? Papier ist<br />

geduldig. Wir alle sind die Kirche! Nur wenn wir solche Erklärungen mit Leben füllen, uns damit beschäftigen, sie<br />

im Alltag beherzigen, nur dann sind sie überhaupt sinnvoll.<br />

b. Zweiter Aspekt. Wenn das Volk der Juden weiterhin unter der Verheißung Gottes steht, dann hat dies <strong>zur</strong><br />

Konsequenz, daß der Antisemitismus als Sünde gegen Gott und Menschen erkannt wird, und daß ihm von uns<br />

Christen Widerstand entgegengesetzt wird: etwa wenn Judenwitze die Runde machen, oder wenn Parteien am<br />

rechten Rand Judenhaß schüren. Wo immer Antisemitismus aufkeimt, kann er nicht geduldet werden, denn er<br />

richtet sich letztlich gegen unseren Gott und sein Erwählungshandeln.<br />

Die gegenwärtige politische Lage im Nahen und Mittleren Osten ist noch immer explosiv. Es gibt einerseits Kräfte,<br />

die den Staat Israel von der Landkarte verschwinden lassen wollen. Islamistischer Terror ist in Israel noch nicht<br />

gebannt. Andererseits reagiert der Staat Israel nicht immer glücklich. Wenn wir davon reden, dass Gott das<br />

jüdische Volk bleibend erwählt hat, dann heißt das nicht, dass damit der Staat Israel eine göttliche Legitimation<br />

habe und tun und lassen könne, was er wolle. Er steht als Staat in der Weltgemeinschaft unter dem gleichen<br />

Völkerrecht wie andere Staaten. Die Unterscheidung zwischen jüdischem Volk und Staat Israel darf nicht verwischt<br />

werden.<br />

Aber: Häufig geht Antisemitismus im Gewand der Kritik am Staat Israel einher. Das Mäntelchen, das diese Art von<br />

Antisemitismus umgelegt hat, ist besonders perfide. Unsere Solidarität gilt den Opfern auf beiden Seiten, und das<br />

Ziel der Politik muss eine für alle Seiten gerechte Friedenslösung sein. Wir wollen es jedoch nicht zulassen, dass<br />

Antisemitismus sich ein politisches Mäntelchen umhängt, sondern auch diesen benennen und ihm widerstehen.<br />

c. <strong>Dr</strong>itter Aspekt: Juden und Christen sind beide angesteckt von der messianischen Hoffnung, von dem Feuer und<br />

dem Licht, des endgültigen Heils im Reich Gottes. Jesus hat die Verheißungen bestätigt, aber noch lange nicht<br />

alles erfüllt. Auf den sichtbaren Anbruch des Reiches Gottes warten Juden und Christen noch immer.<br />

Schalom ben Chorin, in München geboren, nach Israel ausgewandert, hat 1941 mitten in der Verfolgungszeit ein<br />

Gedicht geschrieben, das lautet:<br />

„Die wir ein Licht in Händen tragen, vom Sturm bedroht,<br />

wir wollen Liebes zueinander sagen in dieser Not.<br />

So sollen uns’re Lichter fackelgleich<br />

zusammenschlagen für das eine Reich.<br />

So sei in tiefster Todesnacht ein Licht am ew’gen Licht entfacht.“<br />

Ich denke in diesem Sinn - als Menschen, die vom Feuer des endgültigen Reiches Gottes etwas wissen - können<br />

Christen und Juden - ohne ihre Unterschiede zu verwischen - miteinander arbeiten und tätig werden im Alltag: für<br />

den Frieden, für Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung.<br />

Ob wir unsere Lektion gelernt haben wird sich schließlich auch daran zeigen, wie wir mit Fremden unter uns<br />

umgehen. Ob wir in ihnen die Menschen sehen können, die vielleicht auch unserer Hilfe bedürfen.<br />

„Jeder ist Ausländer, fast überall“. Der Text aus dem Epheserbrief könnte uns Anlass sein, als Mitbürger der<br />

Heiligen und Hausgenossen Gottes entsprechend unserem Status zu denken und zu handeln.<br />

Und der Friede Gottes, der unsere Vernunft überragt, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus<br />

zum Ewigen Leben. Amen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!