Neurobiologie der Psychotherapie - PMU

Neurobiologie der Psychotherapie - PMU Neurobiologie der Psychotherapie - PMU

03.11.2013 Aufrufe

Prozessmonitoring und Therapieevaluation in der stationären Psychotherapie Wolfgang Aichhorn und Helmut Kronberger Im Rahmen einer stationären Psychotherapie stellen sich bei einem vielfältigen therapeutischen Angebot in einem komplexen Setting Fragen wie: Was bewirkt Veränderungen? Wo sind die entscheidenden Wendepunkte in einem therapeutischen Verlauf? Wie sehr sind diese Veränderungen therapeutischen Interventionen, äußeren Einflüssen oder aber einem Selbstorganisationsprozess geschuldet? Am Sonderauftrag für Stationäre Psychotherapie (Christian-Doppler-Klinik Salzburg) beantworten PatientInnen täglich online Fragen zu ihrer Behandlung: subjektive Einschätzungen zu ihrem therapeutischen Fortschritt, zur Selbstwirksamkeit, zu ihren Emotionen und Beschwerden, zur therapeutische Beziehung usw. Mittels der Technik des Synergetic Navigation System (SNS) können die Einschätzungen zu diesen Fragen als Zeitreihen visualisiert werden und veranschaulichen typische Muster des Therapieprozesses. Sie zeigen Ordnungsübergänge und geben in einer psychodynamischen Gesamtschau auch Hinweise auf Wirkfaktoren. Anhand von konkreten Falldarstellungen werden solche Verläufe diskutiert und mit grundsätzlichen Wirkfaktoren therapeutischen Handelns in Beziehung gesetzt. Hands-On Echtzeit-fMRT und Neurofeedback: Beispiele und Ausblick Klaus Mathiak fMRI ist inzwischen eines der am weitesten verbreiteten Verfahren der neurophysiologischen Forschung. Trotzdem wird es häufig wegen methodischer Intransparenz und des indirekten Mechanismus kritisiert. EchtzeitfMRI ermöglicht es anschaulich, sowohl Signalentwicklung und Softwaremechanismen im Einzelfall betrachten. Außerdem ermöglicht es klinische Anwendungen zu erproben. Bisher ist diese Technik wenig verfügbar und standardisiert. In dem Workshop werde ich Software und Anwendungen zeigen, die für die Online-Auswertung geeignet sind. Brain-Computer Interfaces (BCI) werden bei Echtzeit-fMRI eingesetzt, um Neurofeedback zu ermöglichen. Auch hierzu werden Prinzipien und Software vorgestellt. An individuellen Beispielen werden Signalqualität, Lernverläufe und Verstärkermechanismen diskutiert. Am Ende des Workshops sollten die Teilnehmer wissen, welche Methodik und praktische Durchführung hinter Echtzeit- und Neurofeedback-Experimenten steht und welches System für geplante Anwendungen nutzbar ist. 22

Das psychische Immunsystem Hans Menning Analog zum physischen Immunsystem verfügen wir auch über ein psychisches Immunsystem. Die psychische Widerstandskraft ist bei jedem Menschen unterschiedlich, einige verkraften selbst schwerste traumatische Schicksalsschläge und gewinnen „Sinn“ aus ihnen, andere zerbrechen daran. Der Workshop beleuchtet, was ein psychisches Immunsystem umfassen sollte: Ressourcen, Resistenzen, Resilienz, Reifung. Ressourcen sind Kompetenzen, Fähigkeiten, Haltungen, die der psychischen Gesundheit zuträglich sind, wie etwa der Kohärenzsinn (Antonovsky, 1979), die Fähigkeit, Konsistenz, Kongruenz zu den eigenen Gefühlen herzustellen (Grawe, 2004), die Fähigkeit, Gegensätze auszubalancieren, „Learned Ressourcefulness“ (Rosenbaum, 1990), Optimismus, Selbst- und Emotionskontrolle, Selbstbelohnung, Selbstachtung, Selbstwirksamkeit (Bandura, 1982), Hardiness (Kobassa, 1982), die Fähigkeit zur Sinngebung und Umdeutung usw. Resistenz, Widerstand gegen psychische „Erreger“, „Abwehrmechanismen“ zur Erhaltung und Stärkung des Ich, die Fähigkeit, (unbewusste) Konflikte erkennen und neutralisieren zu können, Aggressionskompetenz. Resilienz bedeutet die Fähigkeit, sich wie ein Grashalm nach einem starken Regen wieder aufzurichten, nicht aufzugeben, psychische Kompetenzen aus der Krise zu entwickeln. Reifung schlussendlich ist ein „Wachstumssinn“, der Krisen als Chance zur Sinngebung und Persönlichkeitsentwicklung nutzt. Emergentes Regulativ ist die Fähigkeit zur stetigen Selbstorganisation. Luhmann und wie er die Welt sah: Psychotherapie, Neurobiologie und Systemtheorie Thomas Maier Im Dialog zwischen Neurobiologen und Psychotherapeuten schleichen sich oft logische Kategorienfehler ein. Nicht immer bemerken die Dialogpartner dieses Problem. Bisweilen wirkt das, wie wenn sich Blinde mit Gehörlosen über Farben und Töne unterhalten und dabei so tun, als ob sie sich verstünden. Das Leib-Seele-Problem wird zwar benannt, aber selten weiter vertieft. Was bedeuten Sätze wie „das Gehirn denkt“, „der Hippocampus speichert“ oder „die Amygdala fühlt“? Was teilen uns Hirnscans über Therapieeffekte mit? Wer spricht, wenn ein psychotischer Patient Wahninhalte schildert? Wie können zwei Menschen miteinander reden, wenn doch ihre Neuronen keinen Kontakt zueinander haben, um Signale auszutauschen, sondern in reiner Autopoiese nur mit sich selbst kommunizieren? Der Soziologe und Wissenschaftstheoretiker Niklas Luhmann (1927-1998) hat mit seiner Systemtheorie in den 1970er und 1980er Jahren eine Grundlage geschaffen, um einerseits die allgemeine Funktionsweise selbstreferenzieller Systeme zu verstehen, anderseits aber auch, um die Verschränkung von fundamental getrennten Systemarten zu beschreiben. Leib und Seele sind solche unterschiedlichen Systemarten, die je verschiedene Sprachen sprechen und daher nicht direkt miteinander interagieren können. Das Gehirn ist für die Psyche Umwelt und umgekehrt. Dennoch ist die Psyche auf eine überkomplexe Umwelt als Lieferant von Kontingenz angewiesen; diese Umwelt sind der biologische Organismus und die sozialen Systeme. Obwohl Luhmann primär eine Theorie sozialer Systeme entwickelte, kann sein Gedankegebäude als universale Theorie gelten, die auch für die beiden anderen großen Systemarten anwendbar ist: psychische Systeme und biologische Welt. Luhmann geht von der Beschreibung sozialer Systeme aus, als deren Bausteine er nicht etwa 23

Das psychische Immunsystem<br />

Hans Menning<br />

Analog zum physischen Immunsystem verfügen wir auch über ein psychisches Immunsystem. Die psychische<br />

Wi<strong>der</strong>standskraft ist bei jedem Menschen unterschiedlich, einige verkraften selbst schwerste traumatische<br />

Schicksalsschläge und gewinnen „Sinn“ aus ihnen, an<strong>der</strong>e zerbrechen daran. Der Workshop beleuchtet, was ein<br />

psychisches Immunsystem umfassen sollte: Ressourcen, Resistenzen, Resilienz, Reifung. Ressourcen sind<br />

Kompetenzen, Fähigkeiten, Haltungen, die <strong>der</strong> psychischen Gesundheit zuträglich sind, wie etwa <strong>der</strong><br />

Kohärenzsinn (Antonovsky, 1979), die Fähigkeit, Konsistenz, Kongruenz zu den eigenen Gefühlen herzustellen<br />

(Grawe, 2004), die Fähigkeit, Gegensätze auszubalancieren, „Learned Ressourcefulness“ (Rosenbaum, 1990),<br />

Optimismus, Selbst- und Emotionskontrolle, Selbstbelohnung, Selbstachtung, Selbstwirksamkeit (Bandura, 1982),<br />

Hardiness (Kobassa, 1982), die Fähigkeit zur Sinngebung und Umdeutung usw. Resistenz, Wi<strong>der</strong>stand gegen<br />

psychische „Erreger“, „Abwehrmechanismen“ zur Erhaltung und Stärkung des Ich, die Fähigkeit, (unbewusste)<br />

Konflikte erkennen und neutralisieren zu können, Aggressionskompetenz. Resilienz bedeutet die Fähigkeit, sich<br />

wie ein Grashalm nach einem starken Regen wie<strong>der</strong> aufzurichten, nicht aufzugeben, psychische Kompetenzen aus<br />

<strong>der</strong> Krise zu entwickeln. Reifung schlussendlich ist ein „Wachstumssinn“, <strong>der</strong> Krisen als Chance zur Sinngebung<br />

und Persönlichkeitsentwicklung nutzt. Emergentes Regulativ ist die Fähigkeit zur stetigen Selbstorganisation.<br />

Luhmann und wie er die Welt sah: <strong>Psychotherapie</strong>, <strong>Neurobiologie</strong> und Systemtheorie<br />

Thomas Maier<br />

Im Dialog zwischen Neurobiologen und Psychotherapeuten schleichen sich oft logische Kategorienfehler ein. Nicht<br />

immer bemerken die Dialogpartner dieses Problem. Bisweilen wirkt das, wie wenn sich Blinde mit Gehörlosen<br />

über Farben und Töne unterhalten und dabei so tun, als ob sie sich verstünden. Das Leib-Seele-Problem wird<br />

zwar benannt, aber selten weiter vertieft. Was bedeuten Sätze wie „das Gehirn denkt“, „<strong>der</strong> Hippocampus<br />

speichert“ o<strong>der</strong> „die Amygdala fühlt“? Was teilen uns Hirnscans über Therapieeffekte mit? Wer spricht, wenn ein<br />

psychotischer Patient Wahninhalte schil<strong>der</strong>t? Wie können zwei Menschen miteinan<strong>der</strong> reden, wenn doch ihre<br />

Neuronen keinen Kontakt zueinan<strong>der</strong> haben, um Signale auszutauschen, son<strong>der</strong>n in reiner Autopoiese nur mit<br />

sich selbst kommunizieren?<br />

Der Soziologe und Wissenschaftstheoretiker Niklas Luhmann (1927-1998) hat mit seiner Systemtheorie in den<br />

1970er und 1980er Jahren eine Grundlage geschaffen, um einerseits die allgemeine Funktionsweise<br />

selbstreferenzieller Systeme zu verstehen, an<strong>der</strong>seits aber auch, um die Verschränkung von fundamental<br />

getrennten Systemarten zu beschreiben. Leib und Seele sind solche unterschiedlichen Systemarten, die je<br />

verschiedene Sprachen sprechen und daher nicht direkt miteinan<strong>der</strong> interagieren können. Das Gehirn ist für die<br />

Psyche Umwelt und umgekehrt. Dennoch ist die Psyche auf eine überkomplexe Umwelt als Lieferant von<br />

Kontingenz angewiesen; diese Umwelt sind <strong>der</strong> biologische Organismus und die sozialen Systeme.<br />

Obwohl Luhmann primär eine Theorie sozialer Systeme entwickelte, kann sein Gedankegebäude als universale<br />

Theorie gelten, die auch für die beiden an<strong>der</strong>en großen Systemarten anwendbar ist: psychische Systeme und<br />

biologische Welt. Luhmann geht von <strong>der</strong> Beschreibung sozialer Systeme aus, als <strong>der</strong>en Bausteine er nicht etwa<br />

23

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!