Neurobiologie der Psychotherapie - PMU

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03.11.2013 Aufrufe

auch für die Suizidforschung Relevanz haben. Doch die methodischen Voraussetzungen dafür sind im Kontext der Suizidforschung nicht selbstverständlich. Im Vortrag wird das idiographische Systemmonitoring (ISM) vorgestellt, das es methodisch ermöglichen soll, nichtlineare Prozesscharakteristika auch in suizidalen Prozessen zu identifizieren. Das Potenzial von ISM zur Überbrückung der Kluft zwischen Forschung und einzelfallorientierter, therapeutischer Praxis, zur Entwicklung individueller Frühwarnsysteme und als computerunterstütztes, adjuvantes Therapietool wird diskutiert. "Hat das Gehirn eine Psyche?" Peter Schneider Was geschieht, wen die Psychologie zur Angewandten Neurologie wird, der "psychische Apparat" zum Gehirn? Mit den neuen Antworten, welche uns die Neurowissenschaften geben, ändert sich auch die Art der Fragen, die sinnvollerweise überhaupt noch gestellt werden können. Und mit der neuen Bild-Rhetorik der Neurosciences verändert sich zudem die Weise, wie wir überhaupt noch über Psychisches sprechen und Psychisches - und damit uns selbst - verstehen können: Was bin ich, wenn ich mein Gehirn bin? Jenseits der Kausalität? Christine Zunke Die zunehmende Hinwendung der Psychologie zu neurowissenschaftlichen Erklärungen geht mit einem veränderten Selbstverständnis dieser Disziplin einher: Sie begreift sich zunehmend als naturwissenschaftlich. Entsprechend werden Methoden und Erklärungsmuster modifiziert und Leistungen des Bewusstseins als mit neurophysiologischen Hirnprozessen verbunden gedacht. Das viel diskutierte Vermittlungsproblem zwischen mentalen und neuronalen Zuständen wird hierbei längst nicht mehr als Gegenstandswechsel angesehen, sondern als hyperkomplex vorgestellt und bleibt damit wesentlich kausal. Selbst wenn es als prinzipiell unmöglich erkannt wird, alle Determinanten eines hochkomplexen selbstorganisierten Systems anzugeben, muss doch ein durchgehender Kausalzusammenhang angenommen werden. Das alte Grundsatzproblem der wesentlichen Verschiedenheit von Selbstbewusstsein und organischem Material, an dem der Dualismus von Descartes bis Libet scheiterte, wird nun von Konzepten wie Supervenienz, Synergetik oder Emergenz aufgenommen, aber nicht gelöst. Was auf der abstrakten Ebene als erkenntnistheoretischer Widerspruch erscheint, tangiert auch die Praxis nicht-philosophischer Wissenschaften. So gewinnt die Psychologie durch ihre neurowissenschaftliche Wende auf der einen Seite neue Therapieansätze, droht aber auf der anderen Seite das emanzipative Potential, das der klassischen Psychoanalyse mit ihrem Bezug auf ein autonomes Selbstbewusstsein innewohnt, zu verlieren. 16

Gene lernen aus Stress Dietmar Spengler Toxischer Stress kann lebenslange Spuren im Gehirn hinterlassen, die das Risiko für Angst und Depressionen nachdrücklich erhöhen. Vor allem in kritischen Zeitfenstern während der vor- und nachgeburtlichen Entwicklung reagiert das Gehirn äußerst sensibel auf Stress. Dieser ruft im Tierexperiment eine lang anhaltende Überaktivität der zentralen Stressachse hervor, die mit einer erhöhten Cortisol-Sekretion und Expression des hypothalamischen Stresshormons Vasopressin (AVP) einhergeht. DNA-Analysen zeigen hierbei eine starke Beteiligung epigenetischer Mechanismen. Im Vergleich zu Kontrolltieren weisen gestresste Mäuse ein dauerhaft verändertes Methylierungsmuster von Stressgenen in Gehirnregionen auf, die für die Stressregulation zuständig sind. Dabei verursacht die verminderte Methylierung des AVP-Gens eine lebenslange Überproduktion dieses Hormons. Diese vermehrte Expression ist zunächst reversibel (soft-wiring) bevor sie auf der Ebene der DNA festgeschrieben wird (hard-wiring). Daraus ergibt sich die Forderung, bei toxischem Stress und schweren Traumata frühzeitig therapeutisch einzugreifen, um in der erfahrungsabhängigen epigenetischen Gedächtnisbildung den Übergang vom soft-wiring in ein hard-wiring zu verhindern. Prä- und perinataler Stress – ein Risikofaktor für neuroendokrine Dysfunktionen und allergische Erkrankungen im frühen Kindesalter? Angelika Buske-Kirschbaum Forschungsarbeiten unserer Arbeitsgruppe zeigen, dass Kinder mit chronisch allergischen Erkrankungen (atopische Dermatitis, allergisches Asthma) unter Stress eine deutlich erniedrigte Konzentration von Cortisol aufweisen. Diese Ergebnisse weisen auf eine reduzierte Reaktivität der Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-Achse (HHNA) bei dieser Patientengruppe hin. Mit Blick auf die immunregulative und antiinflammatorische Funktion der HHNA kann vermutet werden, dass eine Hyporeaktivität dieses Systems das Risiko für eine Fehlregulation der Immunantwort unter Stress erhöht, was u.a. die so häufig beobachtete Exazerbation allergischer Symptome unter Belastung erklären könnte. Die Pathogenese einer dysfunktionalen HNNA bei Kindern mit allergischen Erkrankungen ist bislang ungeklärt. Neben genetischen Faktoren könnten jedoch pränatale sowie frühkindliche Belastung von Relevanz sein. Wir postulieren, dass pränatale Belastung über die vermehrte Ausschüttung von fetalem Cortisol zu einer Hyperreaktivität der HNNA sowie folgend zu einem „shift“ der Immunantwort in Richtung eines allergie-relevanten Immunprofils (TH2-Dominanz, IgE-Produktion) führt. Eine fetale (Fehl)Programmierung der HNNA durch Stress in utero fördert, insbesondere bei bereits bestehender genetischer Disposition, die allergische Sensibilisierung und Manifestation einer allergischen Erkrankung und ist somit als Risikofaktor der kindlichen Allergie zu betrachten. Im Verlauf der allergischen Erkrankung kommt es in Folge zu a) einer erhöhten Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen sowie b) krankheitsbedingt zu verstärktem chronischem Stress, was langfristig über eine verstärkte negative Feedback-Regulation der HNNA zu einer Hyporeaktivität der HNNA führt. 17

Gene lernen aus Stress<br />

Dietmar Spengler<br />

Toxischer Stress kann lebenslange Spuren im Gehirn hinterlassen, die das Risiko für Angst und Depressionen<br />

nachdrücklich erhöhen. Vor allem in kritischen Zeitfenstern während <strong>der</strong> vor- und nachgeburtlichen Entwicklung<br />

reagiert das Gehirn äußerst sensibel auf Stress. Dieser ruft im Tierexperiment eine lang anhaltende Überaktivität<br />

<strong>der</strong> zentralen Stressachse hervor, die mit einer erhöhten Cortisol-Sekretion und Expression des hypothalamischen<br />

Stresshormons Vasopressin (AVP) einhergeht. DNA-Analysen zeigen hierbei eine starke Beteiligung epigenetischer<br />

Mechanismen. Im Vergleich zu Kontrolltieren weisen gestresste Mäuse ein dauerhaft verän<strong>der</strong>tes<br />

Methylierungsmuster von Stressgenen in Gehirnregionen auf, die für die Stressregulation zuständig sind. Dabei<br />

verursacht die vermin<strong>der</strong>te Methylierung des AVP-Gens eine lebenslange Überproduktion dieses Hormons. Diese<br />

vermehrte Expression ist zunächst reversibel (soft-wiring) bevor sie auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> DNA festgeschrieben wird<br />

(hard-wiring). Daraus ergibt sich die For<strong>der</strong>ung, bei toxischem Stress und schweren Traumata frühzeitig<br />

therapeutisch einzugreifen, um in <strong>der</strong> erfahrungsabhängigen epigenetischen Gedächtnisbildung den Übergang<br />

vom soft-wiring in ein hard-wiring zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Prä- und perinataler Stress – ein Risikofaktor für neuroendokrine Dysfunktionen und allergische<br />

Erkrankungen im frühen Kindesalter?<br />

Angelika Buske-Kirschbaum<br />

Forschungsarbeiten unserer Arbeitsgruppe zeigen, dass Kin<strong>der</strong> mit chronisch allergischen Erkrankungen<br />

(atopische Dermatitis, allergisches Asthma) unter Stress eine deutlich erniedrigte Konzentration von Cortisol<br />

aufweisen. Diese Ergebnisse weisen auf eine reduzierte Reaktivität <strong>der</strong> Hypothalamus-Hypophysen-<br />

Nebennierenrinden-Achse (HHNA) bei dieser Patientengruppe hin. Mit Blick auf die immunregulative und antiinflammatorische<br />

Funktion <strong>der</strong> HHNA kann vermutet werden, dass eine Hyporeaktivität dieses Systems das Risiko<br />

für eine Fehlregulation <strong>der</strong> Immunantwort unter Stress erhöht, was u.a. die so häufig beobachtete Exazerbation<br />

allergischer Symptome unter Belastung erklären könnte.<br />

Die Pathogenese einer dysfunktionalen HNNA bei Kin<strong>der</strong>n mit allergischen Erkrankungen ist bislang ungeklärt.<br />

Neben genetischen Faktoren könnten jedoch pränatale sowie frühkindliche Belastung von Relevanz sein. Wir<br />

postulieren, dass pränatale Belastung über die vermehrte Ausschüttung von fetalem Cortisol zu einer<br />

Hyperreaktivität <strong>der</strong> HNNA sowie folgend zu einem „shift“ <strong>der</strong> Immunantwort in Richtung eines allergie-relevanten<br />

Immunprofils (TH2-Dominanz, IgE-Produktion) führt. Eine fetale (Fehl)Programmierung <strong>der</strong> HNNA durch Stress in<br />

utero för<strong>der</strong>t, insbeson<strong>der</strong>e bei bereits bestehen<strong>der</strong> genetischer Disposition, die allergische Sensibilisierung und<br />

Manifestation einer allergischen Erkrankung und ist somit als Risikofaktor <strong>der</strong> kindlichen Allergie zu betrachten.<br />

Im Verlauf <strong>der</strong> allergischen Erkrankung kommt es in Folge zu a) einer erhöhten Freisetzung von proinflammatorischen<br />

Zytokinen sowie b) krankheitsbedingt zu verstärktem chronischem Stress, was langfristig über<br />

eine verstärkte negative Feedback-Regulation <strong>der</strong> HNNA zu einer Hyporeaktivität <strong>der</strong> HNNA führt.<br />

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