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Emanuel Geibel - Nibelungenrezeption.de

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<strong>Emanuel</strong> <strong>Geibel</strong><br />

<strong>Emanuel</strong> <strong>Geibel</strong> (* 17.10.1815 in Lübeck – † 6.4.1884 in Lübeck), <strong>de</strong>r populärste <strong>de</strong>utsche Lyriker<br />

in <strong>de</strong>r 2. Hälfte <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, <strong>de</strong>r wegen seiner national-konservativen Gesinnung auch offiziell<br />

sehr geschätzt und geehrt wur<strong>de</strong>. Seit 1843 bezog er vom preußischen König Friedrich Wilhelm<br />

IV. eine Pension, wur<strong>de</strong> 1852 vom literarisch interessierten bayrischen König Maximilian II.<br />

nach München berufen, wo er einer <strong>de</strong>r Hauptinitiatoren <strong>de</strong>s sogen. „Münchener Dichterkreis“ war.<br />

Seit 1868 lebte er wie<strong>de</strong>r in Lübeck. In seinen politischen Gedichten („Zeitstimmen“, 1841; „Juniuslie<strong>de</strong>r“,<br />

1848; „Neue Gedichte“, 1856) propagierte er die Einigung Deutschlands unter preußischer<br />

Führung und feierte, nach <strong>de</strong>m Sieg im <strong>de</strong>utsch-französischen Krieg von 1870/71, die anschließen<strong>de</strong><br />

Errichtung <strong>de</strong>s preußisch-<strong>de</strong>utschen Kaiserreichs. Seine Epen und Dramen hatten keinen<br />

Erfolg, trotz ihres vaterländischen Inhalts. Heute gilt er als Vertreter eines klassizistischen Epigonentums,<br />

von glatter Artistik und seichtem Gehalt. Bekannt ist immer noch sein „Mailied“: „Der<br />

Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus […].“ Das Rollen-Gedicht „Volkers Nachtgesang“<br />

entstand um 1870, <strong>de</strong>r patriotische Appell „An Deutschland. Januar 1871“ nach <strong>de</strong>m Sieg im<br />

<strong>de</strong>utsch-französischen Krieg, das Gedicht „Der Mond ist aufgestiegen“ ist ein Gelegenheitsgedicht<br />

anlässlich eines Besuchs am Rhein.<br />

GG


2<br />

Volkers Nachtgesang.<br />

Die lichten Sterne funkeln<br />

Hernie<strong>de</strong>r kalt und stumm;<br />

Von Waffen klirrt’s im Dunkeln,<br />

Der Tod schleicht draußen um.<br />

Schweb’ hoch hinauf, mein Geigenklang!<br />

Durchbrich die Nacht mit klarem Sang!<br />

Du weißt <strong>de</strong>n Spuk von dannen<br />

Zu bannen.<br />

Wohl finster ist die Stun<strong>de</strong>,<br />

Doch hell sind Mut und Schwert;<br />

In meines Herzens Grun<strong>de</strong><br />

Steht aller Freu<strong>de</strong>n Herd.<br />

O Lebenslust, wie reich du blühst!<br />

O Hel<strong>de</strong>nblut, wie kühn du glühst!<br />

Wie gleicht <strong>de</strong>r Sonn’ im Schei<strong>de</strong>n<br />

Ihr bei<strong>de</strong>n!<br />

Ich <strong>de</strong>nke hoher Ehren,<br />

Sturmluft’ger Jugendzeit,<br />

Da wir mit scharfen Speeren<br />

Hinjauchzten in <strong>de</strong>n Streit.<br />

Hei Schildgekrach im Sachsenkrieg!<br />

Auf unsern Bannern saß <strong>de</strong>r Sieg,<br />

Als wir die ersten Narben<br />

Erwarben.<br />

Mein grünes Heimatleben,<br />

Wie tauchst du mir empor!<br />

Des Schwarzwalds Wipfel weben<br />

Herüber an mein Ohr!<br />

So säuselt’s in <strong>de</strong>r Rebenflur,<br />

So braust <strong>de</strong>r Rhein, darauf ich fuhr<br />

Mit meinem Lieb zu zweien<br />

Im Maien.<br />

O Minne! wun<strong>de</strong>rsüße,<br />

Du Rosenhag in Blust,<br />

Ich grüße dich, ich grüße<br />

Dich heut aus tiefster Brust!<br />

Du roter Mund, ge<strong>de</strong>nk’ ich <strong>de</strong>in,<br />

Es macht mich stark wie firner Wein,<br />

Das sollen Heunenwun<strong>de</strong>n<br />

Bekun<strong>de</strong>n.<br />

Ihr Kön’ge, son<strong>de</strong>r Zagen<br />

Schlaft sanft, ich halte Wacht;


3<br />

Ein Glanz aus alten Tagen<br />

Erleuchtet mir die Nacht.<br />

Und kommt die Früh’ im blut’gen Kleid:<br />

Gott grüß’ dich, grimmer Schwerterstreit!<br />

Dann magst du, Tod, zum Reigen<br />

Uns geigen!<br />

Quelle:<br />

<strong>Emanuel</strong> <strong>Geibel</strong>s Werke. Vier Teile in einem Ban<strong>de</strong>. Ausgewählt und hrsg. von Dr. R. Schacht.<br />

Leipzig 1915, S. 427f.<br />

Deutsche Klagen vom Jahr 1844<br />

Sonett Nr. VII<br />

Zum Himmel bete, wer da beten kann,<br />

Und wer nicht aufwärts blickt nach einem Horte,<br />

Der sag’s <strong>de</strong>m Sturm, daß er von Ort zu Orte<br />

Es weitertrag’ als einen Zauberbann.<br />

Der Säugling, <strong>de</strong>r zu stammeln kaum begann,<br />

Von seiner Mutter lern’ er diese Worte,<br />

Du Greis noch sprich sie an <strong>de</strong>s Grabes Pforte:<br />

„O Schicksal, gib uns einen, einen Mann!“<br />

Was frommt uns aller Witz <strong>de</strong>r Zeitungskenner,<br />

Was aller Dichter wohlgereimt Geplänkel<br />

Vom Sand <strong>de</strong>r Nordsee bis zum wald’gen Brenner!<br />

Ein Mann ist not, ein Nibelungenenkel,<br />

Daß er die Zeit, <strong>de</strong>n toll gewordnen Renner,<br />

Mit eh’rner Faust beherrsch’ und eh’rnem Schenkel.<br />

Quelle:<br />

<strong>Emanuel</strong> <strong>Geibel</strong>s Werke. Vier Teile in einem Ban<strong>de</strong>. Ausgewählt und hrsg. von Dr. R. Schacht.<br />

Leipzig 1915, S. 346.


4<br />

An Deutschland.<br />

Januar 1871<br />

Nun wirf hinweg <strong>de</strong>n Witwenschleier,<br />

Nun gürte dich zur Hochzeitsfeier,<br />

O Deutschland, hohe Siegerin!<br />

Die du mit Klagen und Entsagen<br />

Durch vierundsechzig Jahr' getragen,<br />

Die Zeit <strong>de</strong>r Trauer ist dahin;<br />

Die Zeit <strong>de</strong>r Zwietracht und Beschwer<strong>de</strong>,<br />

Da du am durchgeborstnen Her<strong>de</strong><br />

Im Staube saßest tiefgebückt,<br />

Und kaum <strong>de</strong>in Lied mit leisem Weinen<br />

Mehr fragte nach <strong>de</strong>n E<strong>de</strong>lsteinen,<br />

Die einst <strong>de</strong>in Dia<strong>de</strong>m geschmückt.<br />

Wohl glaubten sie <strong>de</strong>in Schwert zerbrochen,<br />

Wohl zuckten sie, wenn du gesprochen,<br />

Die Achsel kühl im Völkerrat,<br />

Doch unter Tränen wuchs im stillen<br />

Die Sehnsucht dir zum heil’gen Willen,<br />

Der Wille dir zur Kraft <strong>de</strong>r Tat.<br />

Und endlich satt, die Schmach zu tragen,<br />

Zerrissest du in sieben Tagen<br />

Das Netz, das tödlich dich umschnürt,<br />

Und heischtest, mit beerztem Schritte<br />

Hintretend in Europas Mitte,<br />

Den Platz zurück, <strong>de</strong>r dir gebührt.<br />

Und als <strong>de</strong>r Erbfeind dann, <strong>de</strong>r Franze,<br />

Nach <strong>de</strong>iner Ehren jungem Kranze<br />

Die Hand erhub von Neid verzehrt,<br />

Zur Riesin plötzlich umgeschaffen<br />

Wie stürmtest du ins Feld <strong>de</strong>r Waffen,<br />

Behelmte, mit <strong>de</strong>m Flammenschwert!<br />

O große, gottgesandte Stun<strong>de</strong>,<br />

Da <strong>de</strong>ines Ha<strong>de</strong>rs alte Wun<strong>de</strong><br />

Die heil’ge Not auf ewig schloß,<br />

Und wun<strong>de</strong>rkräftig dir im Innern<br />

Aus alter Zeit ein stolz Erinnern,<br />

Ein Bild zukünft’ger Größe sproß!<br />

Wie Erz durchströmte <strong>de</strong>ine Glie<strong>de</strong>r<br />

Das Mark <strong>de</strong>r Nibelungen wie<strong>de</strong>r,<br />

Der Geist <strong>de</strong>s Herrn war über dir,


5<br />

Und unterm Schall <strong>de</strong>r Kriegsposaunen<br />

Aufpflanztest du, <strong>de</strong>r Welt zum Staunen,<br />

In Frankreichs Herz <strong>de</strong>in Siegspanier.<br />

Da war dir bald, mit Blut beronnen,<br />

Des Rheins Juwel zurückgewonnen,<br />

Dein Kleinod einst an Kunst und Pracht,<br />

Und <strong>de</strong>ssen leuchtend Grün so helle<br />

In Silber faßt die Moselwelle,<br />

Der lotharingische Smaragd.<br />

O laß sie nicht verglühn im Dunkeln!<br />

Verjüngten Glanzes laß sie funkeln<br />

Ins Frührot <strong>de</strong>iner Osterzeit!<br />

Denn horch, schon brausen Jubellie<strong>de</strong>r,<br />

Und über <strong>de</strong>inem Haupte wie<strong>de</strong>r<br />

Geht auf <strong>de</strong>s Reiches Herrlichkeit.<br />

Durch Orgelton und Schall <strong>de</strong>r Glocken<br />

Vernimmst du <strong>de</strong>ines Volks Frohlocken?<br />

Den Heilruf <strong>de</strong>iner Fürstenschar?<br />

Sie bringen dir <strong>de</strong>r Eintracht Zeichen,<br />

Die heil’ge Krone son<strong>de</strong>rgleichen,<br />

Der Herrschaft güldnen Apfel dar.<br />

Auf Recht und Freiheit, Kraft und Treue<br />

Erhöhn sie dir <strong>de</strong>n Stuhl aufs neue,<br />

Drum Barbarossas Adler kreist,<br />

Daß du, vom Fels zum Meere waltend,<br />

Des Geistes Banner hoch entfaltend,<br />

Die Hüterin <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns seist.<br />

Drum wirf hinweg <strong>de</strong>n Witwenschleier!<br />

Drum schmücke dich zur Hochzeitsfeier,<br />

O Deutschland, mit <strong>de</strong>m grünsten Kranz!<br />

Flicht Myrten in die Lorbeerreiser!<br />

Dein Bräut’gam naht, <strong>de</strong>in Held und Kaiser<br />

Und führt dich heim im Siegesglanz.<br />

Quelle:<br />

<strong>Emanuel</strong> <strong>Geibel</strong>s Werke. Vier Teile in einem Ban<strong>de</strong>. Ausgewählt und hrsg. von Dr. R. Schacht.<br />

Leipzig 1915, S. 400-402.


6<br />

Der Mond ist aufgestiegen …<br />

Der Mond ist aufgestiegen<br />

Und spiegelt sich im Rhein,<br />

Die sieben Berge liegen<br />

Im matten Silberschein.<br />

Ich atme traumversunken<br />

Die stromgekühlte Luft,<br />

Mein ganzer Sinn ist trunken<br />

Von Rebenblütenduft.<br />

Da kommt aus fernen Tagen<br />

Ein Klang in mein Gemüt,<br />

Die Wun<strong>de</strong>rwelt <strong>de</strong>r Sagen<br />

Erschließt sich mir und blüht.<br />

Ich seh’ am Fels <strong>de</strong>s Drachen<br />

Die Jungfrau todgeweiht,<br />

Die Streiche hör’ ich krachen<br />

Des Schwerts, das sie befreit.<br />

Am Inselrain im Düstern<br />

Wallt bleich die Nonne hin<br />

Und seufzt in’s Wellenflüstern<br />

Um ihren Paladin.<br />

Und jetzt <strong>de</strong>n Strom hinunter<br />

Wer schifft im Stahlgewand?<br />

Das ist <strong>de</strong>r König Gunter,<br />

Er fährt gen Isenland.<br />

Da taucht, ihm nachzuschauen,<br />

Im Haar <strong>de</strong>n Binsenkranz,<br />

Der Schwarm <strong>de</strong>r Wasserfrauen<br />

Empor im Mon<strong>de</strong>nglanz.<br />

„O König, stolz von Sinne,<br />

Du weißt nicht, was dir droht;<br />

Du fährst hinaus nach Minne<br />

Und führest heim die Not!“<br />

Sie singen’s bang und traurig,<br />

In<strong>de</strong>s das Schifflein flieht,<br />

In tiefster Seele schaurig<br />

Nachzittert mir das Lied. –<br />

Da dröhnt von Honnef droben<br />

Der Schlag <strong>de</strong>r Mitternacht,<br />

Und alles ist zerstoben,<br />

Ich bin vom Traum erwacht.


7<br />

Doch glüht vom Hauch <strong>de</strong>r Sagen<br />

Das Blut mir wie von Wein –<br />

Die Nachtigallen schlagen,<br />

Der Mond scheint in <strong>de</strong>n Rhein.<br />

Quelle:<br />

<strong>Emanuel</strong> <strong>Geibel</strong>s Gesammelte Werke. In acht Bän<strong>de</strong>n. Vierter Band: Spätherbstblätter. – Heroldsrufe.<br />

Zweite Auflage. Stuttgart 1888, S. 175f.<br />

Stand 6/08

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