03.11.2013 Aufrufe

Linksliberale Enterhaken - PRuF

Linksliberale Enterhaken - PRuF

Linksliberale Enterhaken - PRuF

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

MIP 2013 19. Jhrg. Deniz Anan – Die Bayern-Ampel als Schnittmengenkoalition? [...] Aufsätze<br />

oder lediglich eine heterogene „Ergänzungskoalition“<br />

bilden könnten, um eine Selbstbezeichnung<br />

der kurzlebigen schwarz-grünen Koalition<br />

in Hamburg aufzugreifen. 4 Hiervon ausgehend<br />

wird zudem versucht, diese Erkenntnisse in die<br />

Parteiensystemforschung einzuordnen, denn eine<br />

lagerübergreifende „Ergänzungskoalition“ würde<br />

die politische Landschaft Bayerns verändern.<br />

Das deutsche Parteiensystem wird bislang durch<br />

eine geringe Fragmentierung und Polarisierung<br />

und eine zurückgehende Segmentierung charakterisiert<br />

(Niedermayer 2009). Anstelle des relativ<br />

stabilen Zweieinhalbparteien-Systems ist seit<br />

den 1980er und noch mehr seit den 1990er und<br />

2000er Jahren ein fluides Mehrparteiensystem<br />

getreten. Demgegenüber hat sich das Parteiensystem<br />

Bayerns durch einige Besonderheiten<br />

ausgezeichnet (Kießling 2008): Wegen der<br />

strukturellen Schwäche der SPD, die 2003 nur<br />

ein Drittel der CSU-Stimmen erhielt, ist das System<br />

von der Prädominanz der CSU und einer<br />

starken Polarisierung zwischen CSU und Rot-<br />

Grün geprägt gewesen. Die Fragmentierung war<br />

auf der parlamentarischen Ebene mit nur drei<br />

Parteien seit 1994 geringer als im Bund, auf der<br />

elektoralen Ebene jedoch durch die respektablen<br />

Ergebnisse von ÖDP, FW und zeitweise den Republikanern<br />

schon seit den 1990er Jahren höher.<br />

Die Fragmentierung stieg 2008 mit fünf Fraktionen<br />

an und könnte durch den Einzug der derzeit<br />

bei 4 bis 8 Prozent gemessenen Piraten 2013<br />

noch weiter steigen, während die Prädominanz<br />

der CSU in abgeschwächter Form nach wie vor<br />

Bestand hat.<br />

Eine Koalition der Bayern-Ampel hätte gravierende<br />

Folgen für die Segmentierung des Parteiensystems:<br />

Eine Koalition der FW mit Mitte-<br />

Links-Parteien ließe die infolge der Anerkennung<br />

der Grünen als koalitionsfähigem Akteur<br />

bereits verringerte Segmentierung erneut zurück-<br />

4<br />

Im Koalitionsvertrag hieß es damals: „Unterschiede müssen<br />

nicht zu Widersprüchen zugespitzt werden, sie können<br />

auch zu Ergänzungen verbunden werden, die neue<br />

Lösungen ermöglichen.“; CDU/GAL, Vertrag über die<br />

Zusammenarbeit in der 19. Wahlperiode der Hamburgischen<br />

Bürgerschaft, abrufbar unter http://hamburg.gruene.<br />

de/sites/hamburg.gruene.de/files/dokument/17-05-2010/<br />

gal2008koalitionsvertraggalcdu19buergerschaft.pdf, S. 4<br />

(04.12.12). Vgl. Horst 2008.<br />

gehen. Gleichzeitig würde die CSU, trotz fortbestehender<br />

Prädominanz, ihre Mehrheitsfähigkeit<br />

verlieren. Dieses Muster einer Mitte-Links-Regierungsbildung<br />

trotz struktureller bürgerlicher<br />

Mehrheit infolge einer Spaltung des Mitte-Rechts-Lagers<br />

in CSU einerseits und nach<br />

links koalitionswilligen Kleinparteien andererseits,<br />

ist in bayerischen Kommunen schon zu beobachten<br />

gewesen, insbesondere in der drittgrößten<br />

Stadt Augsburg, die von 2002 bis 2008 von<br />

einer „Regenbogen-Koalition“ aus SPD, Grünen,<br />

FBU 5 , FW und ÖDP regiert wurde. Derartige<br />

Strukturveränderungen könnten angesichts der<br />

jüngst versuchten Positionierung der FW als<br />

bundesweite, eurokritische Partei auch Auswirkungen<br />

über Bayern hinaus haben. Dass ausgerechnet<br />

das konservative Bayern Schauplatz eines<br />

solchen neuartigen Mitte-Links-Bündnisses<br />

wäre, mutet nur scheinbar paradox an: Schließlich<br />

erlebte die deutsche Parteienlandschaft mit<br />

Schwarz-Grün im sozialdemokratischen Hamburg<br />

und Grün-Rot im konservativen Südwesten<br />

zuletzt eine ganze Reihe vermeintlich unpassender<br />

Koalitionsbildungen.<br />

Im Falle Bayerns würde eine Bayern-Ampel auf<br />

jeden Fall den Kreis zur Viererkoalition der<br />

Fünfzigerjahre schließen und damit die etablierte<br />

grobe Phaseneinteilung der bundesdeutschen<br />

Parteienentwicklung in eine Formationsphase in<br />

der unmittelbaren Nachkriegszeit, eine Konzentrationsphase<br />

in den Sechziger- und Siebzigerjahren<br />

und eine seit den Achtzigerjahren andauernde<br />

Phase größerer Fluidität bestätigen.<br />

2. Wahlprogramme in der Forschung<br />

Im Unterschied zu den langfristig orientierten,<br />

eher abstrakten Grundsatzprogrammen gelten<br />

Wahlprogramme als kurzfristig orientiert und<br />

konkret gehalten. Wahlprogramme sind primär<br />

nach außen gerichtet. Sie dienen der Wahlwerbung<br />

als Grundlage für die Agitation der aktiven<br />

Parteimitglieder, als Mittel zur Profilierung und<br />

als Operationsbasis für Forderungen im politischen<br />

Prozess. Grundsatzprogramme erfüllen hingegen<br />

Binnenfunktionen (Integration, Identifikation, Sti-<br />

5<br />

Die Freie Bürger-Union war eine recht langlebige lokale<br />

Abspaltung von der CSU.<br />

97

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!