Linksliberale Enterhaken - PRuF
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Aufsätze Hanna Hoffmann/Ulrich Rosar – Ist die Veröffentlichung von Vorwahlumfragen schädlich für kleinere Parteien? [...] MIP 2013 19. Jhrg. formulierten Fragestellung erlaubt. Im Folgenden wird zunächst der theoretische Hintergrund zu den Annahmen der Wirkungen von Vorwahlumfragen im Überblick erläutert. Dies impliziert die Darstellung der Forschungshypothesen. Da schlussendlich Effekte auf das Wahlverhalten untersucht werden sollen, werden diese im Weiteren im Rational-Choice Ansatz zur Erklärung des Wahlverhaltens verortet. Darauf aufbauend wird der Forschungsstand zur Wirkung von Vorwahlumfragen anhand experimenteller Designs dargestellt. Der empirische Teil enthält die Erläuterung des Untersuchungsdesigns und der Datenbasis sowie die Diskussion der daraus gewonnen empirischen Befunde. Die Ergebnisse werden abschließend zeigen, ob sich anhand des Online-Experiments Wirkungen von Vorwahlumfragen auf die Wähler kleinerer Parteien nachweisen lassen. Wirkungen von Vorwahlumfragen auf Wähler Vorwahlumfragen müssen sich seit ihrer Einführung mit verschiedenen Kritiken auseinandersetzen. Diese reichen vom Zweifel an ihrer Prognosequalität bis hin zu Vorwürfen bezüglich der Wählermanipulation (Hilmer 2009; Brettschneider 1997). Den Kern der Diskussion zu Umfragen bildet seit den Anfängen die Frage, ob sie das Stimmungsbild in der Gesellschaft realitätsgetreu abbilden und damit eine Orientierungsfunktion einnehmen können oder ob dem nicht so ist und sie ihre Rezipienten eher fehlleiten. In den letzten Jahren wird zusätzlich zu der bereits bestehenden Kritik die Art und Weise der Berichterstattung zu den Ergebnissen von Vorwahlumfragen beanstandet. Denn diese hat sich mit dem Wandel von Wahlkämpfen ebenfalls verändert. Sie gleicht immer mehr der Berichterstattung zu sportlichen Wettkämpfen. Redewendungen wie Kopf-an-Kopf-Rennen oder auch Verfolgungsjagd und Herzschlagfinale werden immer häufiger aufgegriffen (Brettscheider 2000: 484; vgl. auch Iyengar/Simon 2000; Bartels 1988). Im Englischen wird diese Art der Berichterstattung als „horse race journalism“ (Schoen 2002) bezeichnet, der sich in erster Linie dadurch auszeichnet, dass die Aufmerksamkeitserregung im Vordergrund steht und wichtige Informationen über die Qualität der Daten in den Hintergrund treten (Patterson 1980: 43ff.; vgl. auch Brettschneider 2000). Im Zusammenspiel mit dem Prozess der abnehmenden Parteibindungen, dem sogenannten Partisan-Dealignment (Dalton 1984; Dalton et al. 1984; Dalton/Rohrschneider 1990; Dalton/Wattenberg 2000), wird kurzfristigen Ereignissen im Wahlkampf und damit auch der Veröffentlichung von Vorwahlumfrageergebnissen ein größeres Beeinflussungspotential zugeschrieben. So wird bezüglich der Wirkung von Vorwahlumfragen ergänzend davon ausgegangen, dass die Entscheidungen der Wähler in zunehmendem Maße nicht mehr nur auf ihren individuellen Präferenzen basieren, sondern dass bei der Entscheidungsfindung ebenfalls berücksichtigt wird, welches Verhalten die anderen Wähler mutmaßlich zeigen werden (Irwin/van Holsteyn 2002: 92). Die auf Vorwahlumfragen basierenden Erwartungsbildungen werden durch einen kognitiven Wirkungsprozess beschrieben, bei dem davon ausgegangen wird, dass die Veröffentlichung von Vorwahlumfragen zuallererst die Bildung spezifischer Erwartungen bezüglich des Wahlausgangs ermöglicht (Schoen 2002; Schmitt-Beck 1996; Bartels 1988; Donsbach 1984). Demnach ist die Wahrnehmung der Umfragen sowie die kognitive Verarbeitung dieser Informationen eine notwendige Voraussetzung für weitere Wirkungen, welche sich in den Reaktionen der Wähler äußern (Hopmann 2010). Die Ergebnisse von Meinungsumfragen stellen dabei, trotz aller Qualitätskritik, die verlässlichste und objektivste Quelle für das Abbild der öffentlichen Meinung dar, da die Erkenntnisse aus dem persönlichen Umfeld stärkeren Verzerrungen unterliegen. Grundsätzlich muss berücksichtigt werden, dass der kognitive Wirkungsprozess auch ohne Folgen, das heißt ohne jegliche Reaktionen, bleiben kann. Es ist plausibel, anzunehmen, dass die Informationen aus den Umfrageergebnissen oder auch generell aus den Medien wahrgenommen und verarbeitet werden, die eigenen Einstellungen und Verhaltensabsichten jedoch unberührt bleiben (Irwin/van Holsteyn 2002), womit es eben nicht zu dem teilweise befürchteten schädlichen Einfluss kommen würde. Im Grunde handelt es sich hierbei um die alles entscheidende Frage, ob Vorwahlumfragen tat- 84
MIP 2013 19. Jhrg. Hanna Hoffmann/Ulrich Rosar – Ist die Veröffentlichung von Vorwahlumfragen schädlich für kleinere Parteien? [...] Aufsätze sächlich die ihnen zugeschriebene Manipulationsmacht entfalten oder nicht. Für die Wirkungsannahmen bezüglich der tatsächlichen Veränderung von Einstellungen oder Verhaltensabsichten wurden verschiedene Forschungshypothesen formuliert. Grundlegend entwickelt wurden sie in den frühen Studien zu Umfragewirkungen (siehe Donsbach 1984; Noelle- Neumann 1980; de Bock 1976; Lupri 1969; Gallup 1965; Simon 1954; Gallup/Rae 1940). Dabei handelt es sich um relativ unstrukturierte ad hoc Annahmen zu Einflussmechanismen, die unterschiedlich stark theoretisch fundiert sind (Hopmann 2010; Mutz 1998, 1994). Der am häufigsten zitierte und auch untersuchte Effekt von Umfragen wird in der Bandwagon-Hypothese beschrieben. Diese besagt, dass der durch die Vorwahlumfragen suggerierte Gewinner der Wahl weiter Wählerstimmen auf sich zieht, da Menschen bevorzugt auf der Seite des Gewinners stehen. Die Underdog-Hypothese ist das Pendant zur Bandwagon-Hypothese. Sie geht davon aus, dass der durch die Vorwahlumfragen suggerierte Verlierer der Wahl weitere Wählerstimmen für sich gewinnen kann (Simon 1954; Hardmeier 2008). Als Erklärung hierfür wird angeführt, dass die Wähler Mitleid mit der zurückliegenden Partei empfinden (Gallus 2002). Es wird deutlich, dass es sowohl eine Erklärung für die Zustimmung zur stärkeren Seite als auch eine Erklärung für die Zustimmung zur schwächeren Seite gibt und demnach eine Paarung von Effekten vorliegt. Für die Wirkungen von Vorwahlumfragen auf die Wahlbeteiligung existiert ebenfalls ein Hypothesenpaar, das zum einen von Wirkungen eines scheinbar eindeutigen Wahlergebnisses ausgeht, und zum anderen von Wirkungen eines noch weitestgehend offenen Endergebnisses beziehungsweise engen Wettkampfes zwischen den Parteien. Es wird angenommen, dass die Prognose eines knappen Wahlergebnisses eine höhere Wahrscheinlichkeit der Wahlteilnahme nach sich zieht, da der Wähler dann in stärkerem Maße davon ausgehen kann, dass seine Stimme entscheidend sein könnte. Formuliert wird diese Annahme in der Mobilisierungs-Hypothese (Sudman 1986). Der umgekehrte Fall, die so genannte Bequemlichkeits-Hypothese, besagt, dass bei einem relativ eindeutig erscheinenden Wahlergebnis die Wähler aufgrund der Wahrnehmung einer fehlenden Einflussmöglichkeit den Urnengang nicht tätigen (Gallus 2002). Damit führen die veröffentlichten Ergebnisse von Vorwahlumfragen zu einer Demobilisierung der Wählerschaft (Robinson 1937). Aus dieser Annahme resultieren zwei weitere speziellere Ausführungen beziehungsweise Unterhypothesen, welche zwischen den Anhängern des vermeintlichen Verlierers (Defätismus-Hypothese) und des vermeintlichen Gewinners (Lethargie-Hypothese) unterscheiden, und praktisch jeweils eine Erklärung für das Fernbleiben der Anhänger liefern. In Mehrparteiensystemen, wie sie sich in Deutschland auf allen politischen Ebenen finden, bestehen für kleinere Parteien beim Vorliegen einer Sperrklausel noch einmal andere Bedingungen – oder genauer gesagt: Restriktionen – aus denen sich dementsprechend spezifische Wirkungsannahmen formulieren lassen. So geht die auf Reumann (1983) zurückgehende Fallbeil-Hypothese davon aus, dass Wähler, die ihre Stimme eigentlich einer kleineren Partei geben wollen, dieser Partei ihre Stimme entziehen, sobald die Vorwahlumfragen den Eindruck vermitteln, dass die Partei den Einzug ins Parlament nicht schaffen könnte. Stattdessen geben sie ihre Stimme einer der größeren Parteien, die ihrer Position am nächsten kommt und damit das geringere Übel darstellt (Reumann 1983). Hierbei handelt es sich nicht um eine Veränderung der Einstellung, sondern um taktisches Wählen. Für die Erklärung des taktischen Wählens kann die wasted-vote-These (Schoen 2002, 1999; Cox 1997) herangezogen werden, die besagt, dass Wähler es grundsätzlich vermeiden wollen, ihre Stimme zu vergeuden. Dies wäre aber genau dann der Fall, wenn die eigentlich präferierte Partei an der Sperr-Hürde scheitert, denn dann zählt die vergebene Stimme für das Wahlergebnis nicht mehr (Brettschneider 1992). Auf der anderen Seite könnten kleinere Parteien auch von einem prognostizierten Scheitern an der Sperrklausel profitieren: Die Leihstimmen- Hypothese formuliert eine vermutete Wirkung von Vorwahlumfrageergebnissen auf das Splitting 85
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Aufsätze Hanna Hoffmann/Ulrich Rosar – Ist die Veröffentlichung von Vorwahlumfragen schädlich für kleinere Parteien? [...] MIP 2013 19. Jhrg.<br />
formulierten Fragestellung erlaubt. Im Folgenden<br />
wird zunächst der theoretische Hintergrund<br />
zu den Annahmen der Wirkungen von Vorwahlumfragen<br />
im Überblick erläutert. Dies impliziert<br />
die Darstellung der Forschungshypothesen. Da<br />
schlussendlich Effekte auf das Wahlverhalten<br />
untersucht werden sollen, werden diese im Weiteren<br />
im Rational-Choice Ansatz zur Erklärung<br />
des Wahlverhaltens verortet. Darauf aufbauend<br />
wird der Forschungsstand zur Wirkung von Vorwahlumfragen<br />
anhand experimenteller Designs<br />
dargestellt. Der empirische Teil enthält die Erläuterung<br />
des Untersuchungsdesigns und der Datenbasis<br />
sowie die Diskussion der daraus gewonnen<br />
empirischen Befunde. Die Ergebnisse werden<br />
abschließend zeigen, ob sich anhand des Online-Experiments<br />
Wirkungen von Vorwahlumfragen<br />
auf die Wähler kleinerer Parteien nachweisen<br />
lassen.<br />
Wirkungen von Vorwahlumfragen auf Wähler<br />
Vorwahlumfragen müssen sich seit ihrer Einführung<br />
mit verschiedenen Kritiken auseinandersetzen.<br />
Diese reichen vom Zweifel an ihrer Prognosequalität<br />
bis hin zu Vorwürfen bezüglich der Wählermanipulation<br />
(Hilmer 2009; Brettschneider<br />
1997). Den Kern der Diskussion zu Umfragen<br />
bildet seit den Anfängen die Frage, ob sie das<br />
Stimmungsbild in der Gesellschaft realitätsgetreu<br />
abbilden und damit eine Orientierungsfunktion<br />
einnehmen können oder ob dem nicht so ist<br />
und sie ihre Rezipienten eher fehlleiten. In den<br />
letzten Jahren wird zusätzlich zu der bereits bestehenden<br />
Kritik die Art und Weise der Berichterstattung<br />
zu den Ergebnissen von Vorwahlumfragen<br />
beanstandet. Denn diese hat sich mit dem<br />
Wandel von Wahlkämpfen ebenfalls verändert.<br />
Sie gleicht immer mehr der Berichterstattung zu<br />
sportlichen Wettkämpfen. Redewendungen wie<br />
Kopf-an-Kopf-Rennen oder auch Verfolgungsjagd<br />
und Herzschlagfinale werden immer häufiger<br />
aufgegriffen (Brettscheider 2000: 484; vgl.<br />
auch Iyengar/Simon 2000; Bartels 1988). Im<br />
Englischen wird diese Art der Berichterstattung<br />
als „horse race journalism“ (Schoen 2002) bezeichnet,<br />
der sich in erster Linie dadurch auszeichnet,<br />
dass die Aufmerksamkeitserregung im<br />
Vordergrund steht und wichtige Informationen<br />
über die Qualität der Daten in den Hintergrund<br />
treten (Patterson 1980: 43ff.; vgl. auch Brettschneider<br />
2000). Im Zusammenspiel mit dem<br />
Prozess der abnehmenden Parteibindungen, dem<br />
sogenannten Partisan-Dealignment (Dalton 1984;<br />
Dalton et al. 1984; Dalton/Rohrschneider 1990;<br />
Dalton/Wattenberg 2000), wird kurzfristigen Ereignissen<br />
im Wahlkampf und damit auch der<br />
Veröffentlichung von Vorwahlumfrageergebnissen<br />
ein größeres Beeinflussungspotential zugeschrieben.<br />
So wird bezüglich der Wirkung von<br />
Vorwahlumfragen ergänzend davon ausgegangen,<br />
dass die Entscheidungen der Wähler in zunehmendem<br />
Maße nicht mehr nur auf ihren individuellen<br />
Präferenzen basieren, sondern dass bei<br />
der Entscheidungsfindung ebenfalls berücksichtigt<br />
wird, welches Verhalten die anderen Wähler<br />
mutmaßlich zeigen werden (Irwin/van Holsteyn<br />
2002: 92). Die auf Vorwahlumfragen basierenden<br />
Erwartungsbildungen werden durch einen<br />
kognitiven Wirkungsprozess beschrieben, bei<br />
dem davon ausgegangen wird, dass die Veröffentlichung<br />
von Vorwahlumfragen zuallererst<br />
die Bildung spezifischer Erwartungen bezüglich<br />
des Wahlausgangs ermöglicht (Schoen 2002;<br />
Schmitt-Beck 1996; Bartels 1988; Donsbach<br />
1984). Demnach ist die Wahrnehmung der Umfragen<br />
sowie die kognitive Verarbeitung dieser<br />
Informationen eine notwendige Voraussetzung<br />
für weitere Wirkungen, welche sich in den Reaktionen<br />
der Wähler äußern (Hopmann 2010). Die<br />
Ergebnisse von Meinungsumfragen stellen dabei,<br />
trotz aller Qualitätskritik, die verlässlichste<br />
und objektivste Quelle für das Abbild der öffentlichen<br />
Meinung dar, da die Erkenntnisse aus<br />
dem persönlichen Umfeld stärkeren Verzerrungen<br />
unterliegen. Grundsätzlich muss berücksichtigt<br />
werden, dass der kognitive Wirkungsprozess<br />
auch ohne Folgen, das heißt ohne jegliche Reaktionen,<br />
bleiben kann. Es ist plausibel, anzunehmen,<br />
dass die Informationen aus den Umfrageergebnissen<br />
oder auch generell aus den Medien<br />
wahrgenommen und verarbeitet werden, die eigenen<br />
Einstellungen und Verhaltensabsichten jedoch<br />
unberührt bleiben (Irwin/van Holsteyn<br />
2002), womit es eben nicht zu dem teilweise befürchteten<br />
schädlichen Einfluss kommen würde.<br />
Im Grunde handelt es sich hierbei um die alles<br />
entscheidende Frage, ob Vorwahlumfragen tat-<br />
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