Linksliberale Enterhaken - PRuF
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Aufsätze Christoph Busch – Die Stigmatisierung rechtsextremistischer Parteien [...] MIP 2013 19. Jhrg. Aus dem rechtsextremistischen Spektrum werden vor allem Parteien stigmatisiert. Denn das sind diejenigen Akteure, die sich eben nicht mit der Bewegungsöffentlichkeit begnügen, sondern versuchen in die politische Öffentlichkeit hineinzuwirken, die politische Meinungsbildung mit zu beeinflussen und bei Wahlen für sich und ihre Positionen zu werben. Zudem agieren rechtsextremistischen Parteien in den vergangenen Jahren mehr in der Öffentlichkeit als in den 40 Jahren zuvor. Drei Ursachen haben dazu beigetragen: 1. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 die Drei- bzw. Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen aufhob, haben kleinere Parteien nunmehr eine bessere Chance, Mandate zu erringen. Das hat dazu beigetragen, dass in vielen Kommunalparlamenten inzwischen Abgeordnete von rechtsextremistischen Parteien sitzen und – wenn auch auf einem niedrigen Niveau – an der lokalpolitischen Öffentlichkeit teilhaben. Allein die NPD hat von 2003 bis Ende 2009 die Anzahl ihrer Mandate von mehreren Dutzend auf über 300 gesteigert (Metzger/Hansen 2009: 1). 2. In Ostdeutschland ist es der NPD gelungen, ein Stammwählerpotenzial aufzubauen. So ist die NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern nunmehr in der zweiten Legislaturperiode in Folge im Landtag vertreten. Sowohl die Ressourcen als auch die Bühne des Parlaments nutzt die Partei für ihre Öffentlichkeitsarbeit. 3. Die Verbreitung des Internet hat zu einem tiefgreifenden Strukturwandel der Öffentlichkeit geführt, der unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, dass die Bedeutung von Gatekeepern in den Massenmedien abgenommen hat und die rechtsextremistischen Parteien nunmehr direkt via Websites, Facebook, Twitter und Youtube Öffentlichkeit herstellen (Busch 2013a). Diese Zunahme öffentlichkeitsrelevanter Aktivitäten führt unter anderem auch zu vermehrter Stigmatisierung. In dem Beitrag sollen die theoretischen Überlegungen und die Praxis der Stigmatisierung von rechtsextremistischen Parteien in drei Schritten diskutiert werden. In der These wird die Notwendigkeit einer Stigmatisierung im Sinne einer wehrhaften Demokratie erläutert und dessen Praxis beleuchtet. In der Gegenthese wird die demokratiepolitische Problematik der Stigmatisierung herausgearbeitet, die zu wesentlichen Normen der liberalen Demokratie im Spannungsverhältnis steht. Dies wird anhand problematischer Stigmatisierungspraxen illustriert. In der Synthese wird diskutiert, inwieweit eine Stigmatisierung normativ vertretbar ist und wie eine demokratiestärkende Praxis aussehen müsste. 2. These: Stigmatisierung als demokratiepolitisches Engagement Dass mit Rechtsextremismus in Deutschland in besonderer Weise umgegangen wird, verdeutlicht das Konzept der wehrhaften Demokratie. Dabei ist das Konzept keinesfalls eine deutsche Erfindung, sondern wurde bereits vor dem Zweiten Weltkrieg international diskutiert. In Deutschland erlangte es aber nach dem Ende des Nationalsozialismus Bedeutung bei der Entwicklung der Länderverfassungen sowie des Grundgesetzes. Das Konzept erfuhr und erfährt eine weitreichende Zustimmung der politischen Eliten. Im Kern geht es um eine wertgebundene Demokratie, die bestimmte Grundwerte nicht zur Disposition stellt und Angriffe auf diese Grundsätze auch abwehrt. Um ferner das legalistische Unterwandern der Demokratie, wie von den Nationalsozialisten praktiziert und heutzutage beispielsweise von der NPD propagiert, abzuwehren, wurde die Abwehrbereitschaft auf Absichten und Ziele vorverlagert, so dass nicht erst die Wirkungen abgewartet werden müssen. Infolgedessen wurde hier das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit zulasten der Freiheit verschoben. Im Wesentlichen fußt das Konzept auf drei Säulen: 1. Wertgebundenheit: Dies zeigt sich in den Bestimmungen des Grundgesetzes und der Länderverfassungen zu den nicht veränderbaren Verfassungsprinzipien. 2. Treuepflicht: Eine solche Pflicht besteht für den Bürger darin, die demokratische Grundordnung nicht aktiv zu bekämpfen. Lediglich von Beamten wird ein positives Eintreten für die Verfassungsprinzipien erwartet. 3. Abwehrbereitschaft: Dem demokratischen 54
MIP 2013 19. Jhrg. Christoph Busch – Die Stigmatisierung rechtsextremistischer Parteien [...] Aufsätze Staat stehen verschiedene repressive Mittel wie das Partei- oder das Vereinsverbot zur Verfügung. Seinen institutionalisierten Ausdruck findet die Abwehrbereitschaft unter anderem im Verfassungsschutz (Backes/Jesse 1996: 461ff.; Scherb 2008: 11ff.). Dieser arbeitet auch mit dem Mittel der Stigmatisierung, in dem er in seinen Verfassungsschutzberichten Organisationen aufführt, die er als außerhalb des Verfassungsbogens definiert. Der laut Verfassungsschutzgesetz auferlegte Auftrag, über extremistische Bestrebungen aufzuklären, führt beabsichtigt dazu, den genannten Akteuren die Beteiligung am öffentlichen Diskurs zu erschweren (Jaschke 1991: 98). Auch wenn die wehrhafte Demokratie oftmals staatszentriert verstanden wird, hat sie ein zivilgesellschaftliches Fundament. So beinhaltet die Abwehrbereitschaft auch einen Ermessensspielraum. Dieser bedeutet, dass die staatliche Einschränkung von Freiheitsrechten wenn möglich zu vermeiden und die Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Bestrebungen zunächst eine Sache der Bürger sei (Backes/Jesse 1996: 461ff.; Scherb 2008: 11ff.). Dieses zivilgesellschaftliche Fundament ist durchaus politischkulturell verankert und führt zur Ausgrenzung von rechtsextremistischen Akteuren, deren Positionen als nicht vereinbar mit der Demokratie angesehen werden. Dies geschieht auf individueller Ebene, indem Bürger sich gegen rechtsextremistische Politikangebote positionieren. Auf der institutionellen Ebene zeigt sich dies an der Vielfalt zivilgesellschaftlicher Initiativen und Aktivitäten, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren (Roth 2010: 53ff., für Nordrhein- Westfalen Busch 2007). Zivilgesellschaft wird hier nicht normativ, sondern deskriptiv verstanden, als Sphäre jenseits von Staat und Markt (Teune 2008: 18). Objekte dieser Auseinandersetzung sind oftmals die rechtsextremistischen Parteien. Die Auseinandersetzung findet in allen drei wesentlichen Aktivitätsbereichen dieser Parteien statt: 1. Wahlkampf, 2. parlamentarische Aktivitäten, 3. außerparlamentarische Aktivitäten. Die Versuche von rechtsextremistischen Parteien, in Wahlkämpfen die Öffentlichkeit mit ihren Parolen zu erreichen, greifen demokratische Parteien und zivilgesellschaftliche Akteure auf und nutzen sie für stigmatisierende Aktionen. Im Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern 2011 hängte die NPD eine Vielzahl von Wahlplakaten auf. Daraufhin positionierten junge Sozialdemokraten Plakate der Comic-Figur „Storch Heinar“ darunter. Der Storch mit Seitenscheitel und Hitlerbärtchen karikiert optisch Hitler und mit seinem Namen ein in der rechtsextremistischen Jugendszene beliebtes Modelabel. In diesem Fall ordnet das Plakat mit Mitteln der Ironie die NPD-Parolen in einen nationalsozialistischen Kontext ein. Diese Form der Stigmatisierung fand in der Zivilgesellschaft erheblichen Zuspruch. So spendeten Hoteliers für die Kampagne und einige hängten sogar selber Plakate auf (Schneider 2011). Bei der Landtagswahl 2013 in Niedersachsen tourte die NPD mit einem Kleinlaster durch das Bundesland, den sie „Flaggschiff“ nannte und mit dem sie das Material für ihre Infostände transportierte. Unter dem Motto „NPD ‚Flaggschiff‘ versenken‘ riefen Antifa-Gruppen dazu auf, die NPD-Veranstaltungen zu stören (keinenplatzfuernazis 2013). Obgleich rechtsextremistische Parteien ideologisch den Parlamentarismus ablehnen, bemühen sie sich in die Parlamente einzuziehen (Beier et al. 2006: 13f.; Begrich/Weber/Roth 2010: 16f.). Bislang setzten sowohl die NPD als auch die Pro- Bewegung vor allem auf den Einzug in die Kommunalparlamente. Denn diese werden als die Basis betrachtet, um Mandate in den Landtagen oder gar im Bundestag zu gewinnen. Strategisch zielt die Betonung der kommunalen Ebene bei den rechtsextremistischen Parteien darauf ab, Bürgernähe zu demonstrieren und die Partei mit Persönlichkeiten vor Ort zu repräsentieren (Steglich 2005: 109ff.). Wie demokratische Kommunalpolitiker mit Vertretern rechtsextremistischer Parteien im Kommunalparlament interagieren, haben Benno Hafeneger und Sven Schönfelder empirisch untersucht. Danach lassen sich idealtypisch vier Strategien identifizieren (2007: 79ff.): 1. Rechtsextremistische Politiker werden weitestgehend gemieden und ignoriert, indem auf ihre Reden keine Gegenreden erfolgen, Anträge ohne Diskussion abgelehnt oder in Ausschüsse überwiesen werden. 2. Die anderen Parteien ändern die kommunalpolitischen Spielregeln zu 55
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MIP 2013 19. Jhrg. Christoph Busch – Die Stigmatisierung rechtsextremistischer Parteien [...] Aufsätze<br />
Staat stehen verschiedene repressive Mittel wie<br />
das Partei- oder das Vereinsverbot zur Verfügung.<br />
Seinen institutionalisierten Ausdruck findet<br />
die Abwehrbereitschaft unter anderem im<br />
Verfassungsschutz (Backes/Jesse 1996: 461ff.;<br />
Scherb 2008: 11ff.). Dieser arbeitet auch mit<br />
dem Mittel der Stigmatisierung, in dem er in seinen<br />
Verfassungsschutzberichten Organisationen<br />
aufführt, die er als außerhalb des Verfassungsbogens<br />
definiert. Der laut Verfassungsschutzgesetz<br />
auferlegte Auftrag, über extremistische Bestrebungen<br />
aufzuklären, führt beabsichtigt dazu, den<br />
genannten Akteuren die Beteiligung am öffentlichen<br />
Diskurs zu erschweren (Jaschke 1991: 98).<br />
Auch wenn die wehrhafte Demokratie oftmals<br />
staatszentriert verstanden wird, hat sie ein zivilgesellschaftliches<br />
Fundament. So beinhaltet die<br />
Abwehrbereitschaft auch einen Ermessensspielraum.<br />
Dieser bedeutet, dass die staatliche Einschränkung<br />
von Freiheitsrechten wenn möglich<br />
zu vermeiden und die Auseinandersetzung mit<br />
demokratiefeindlichen Bestrebungen zunächst<br />
eine Sache der Bürger sei (Backes/Jesse 1996:<br />
461ff.; Scherb 2008: 11ff.). Dieses zivilgesellschaftliche<br />
Fundament ist durchaus politischkulturell<br />
verankert und führt zur Ausgrenzung<br />
von rechtsextremistischen Akteuren, deren Positionen<br />
als nicht vereinbar mit der Demokratie<br />
angesehen werden. Dies geschieht auf individueller<br />
Ebene, indem Bürger sich gegen rechtsextremistische<br />
Politikangebote positionieren. Auf<br />
der institutionellen Ebene zeigt sich dies an der<br />
Vielfalt zivilgesellschaftlicher Initiativen und<br />
Aktivitäten, die sich gegen Rechtsextremismus<br />
engagieren (Roth 2010: 53ff., für Nordrhein-<br />
Westfalen Busch 2007). Zivilgesellschaft wird<br />
hier nicht normativ, sondern deskriptiv verstanden,<br />
als Sphäre jenseits von Staat und Markt<br />
(Teune 2008: 18). Objekte dieser Auseinandersetzung<br />
sind oftmals die rechtsextremistischen<br />
Parteien. Die Auseinandersetzung findet in allen<br />
drei wesentlichen Aktivitätsbereichen dieser Parteien<br />
statt: 1. Wahlkampf, 2. parlamentarische<br />
Aktivitäten, 3. außerparlamentarische Aktivitäten.<br />
Die Versuche von rechtsextremistischen Parteien,<br />
in Wahlkämpfen die Öffentlichkeit mit ihren<br />
Parolen zu erreichen, greifen demokratische Parteien<br />
und zivilgesellschaftliche Akteure auf und<br />
nutzen sie für stigmatisierende Aktionen. Im<br />
Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern<br />
2011 hängte die NPD eine Vielzahl von<br />
Wahlplakaten auf. Daraufhin positionierten junge<br />
Sozialdemokraten Plakate der Comic-Figur<br />
„Storch Heinar“ darunter. Der Storch mit Seitenscheitel<br />
und Hitlerbärtchen karikiert optisch Hitler<br />
und mit seinem Namen ein in der rechtsextremistischen<br />
Jugendszene beliebtes Modelabel. In<br />
diesem Fall ordnet das Plakat mit Mitteln der<br />
Ironie die NPD-Parolen in einen nationalsozialistischen<br />
Kontext ein. Diese Form der Stigmatisierung<br />
fand in der Zivilgesellschaft erheblichen<br />
Zuspruch. So spendeten Hoteliers für die Kampagne<br />
und einige hängten sogar selber Plakate<br />
auf (Schneider 2011). Bei der Landtagswahl<br />
2013 in Niedersachsen tourte die NPD mit einem<br />
Kleinlaster durch das Bundesland, den sie<br />
„Flaggschiff“ nannte und mit dem sie das Material<br />
für ihre Infostände transportierte. Unter dem<br />
Motto „NPD ‚Flaggschiff‘ versenken‘ riefen Antifa-Gruppen<br />
dazu auf, die NPD-Veranstaltungen<br />
zu stören (keinenplatzfuernazis 2013).<br />
Obgleich rechtsextremistische Parteien ideologisch<br />
den Parlamentarismus ablehnen, bemühen<br />
sie sich in die Parlamente einzuziehen (Beier et al.<br />
2006: 13f.; Begrich/Weber/Roth 2010: 16f.). Bislang<br />
setzten sowohl die NPD als auch die Pro-<br />
Bewegung vor allem auf den Einzug in die Kommunalparlamente.<br />
Denn diese werden als die Basis<br />
betrachtet, um Mandate in den Landtagen oder<br />
gar im Bundestag zu gewinnen. Strategisch zielt<br />
die Betonung der kommunalen Ebene bei den<br />
rechtsextremistischen Parteien darauf ab, Bürgernähe<br />
zu demonstrieren und die Partei mit Persönlichkeiten<br />
vor Ort zu repräsentieren (Steglich<br />
2005: 109ff.). Wie demokratische Kommunalpolitiker<br />
mit Vertretern rechtsextremistischer Parteien<br />
im Kommunalparlament interagieren, haben<br />
Benno Hafeneger und Sven Schönfelder empirisch<br />
untersucht. Danach lassen sich idealtypisch<br />
vier Strategien identifizieren (2007: 79ff.):<br />
1. Rechtsextremistische Politiker werden weitestgehend<br />
gemieden und ignoriert, indem auf<br />
ihre Reden keine Gegenreden erfolgen, Anträge<br />
ohne Diskussion abgelehnt oder in Ausschüsse<br />
überwiesen werden. 2. Die anderen Parteien ändern<br />
die kommunalpolitischen Spielregeln zu<br />
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