Linksliberale Enterhaken - PRuF
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MIP 2013 19. Jhrg. Christoph Busch – Die Stigmatisierung rechtsextremistischer Parteien [...] Aufsätze<br />
Die Stigmatisierung rechtsextremistischer<br />
Parteien – eine zwiespältige<br />
demokratiepolitische Strategie<br />
Dr. Christoph Busch 1<br />
1. Einleitung<br />
Die politische Kultur Deutschlands zeichnet sich<br />
durch ein paradox erscheinendes Verhältnis zum<br />
Rechtsextremismus aus. Einerseits sind rechtsextremistische<br />
Einstellungen in der Bevölkerung<br />
relativ weit verbreitet (Decker/Weißmann/Kiess/<br />
Brähler 2010: 22ff.), wie übrigens auch in anderen<br />
europäischen Ländern (Zick/Küpper/Hövermann<br />
2011: 60ff.), andererseits werden rechtsextremistische<br />
Akteure und deren Verhalten weithin stigmatisiert<br />
(Stallberg 1996: 101ff.). Letzteres ist in<br />
dieser rigiden Form eine Besonderheit in Europa<br />
und maßgeblich eine Reaktion auf die Verbrechen<br />
des Nationalsozialismus. So werden Rechtsextremisten<br />
oftmals bruchlos als Wiedergänger der<br />
Nationalsozialisten dargestellt.<br />
Rechtsextremismus als Stigmatisierung zu begreifen,<br />
bedeutet, an analytische Ansätze zur sozialen<br />
Abweichung anzuschließen, die in der Soziologie<br />
zu Randgruppen und zur sozialen Kontrolle vertreten<br />
werden. Die von Friedrich Stallberg (1996:<br />
107ff.) diskutierten Merkmale der Stigmatisierung<br />
lassen sich mit Blick auf rechtsextremistische Parteien<br />
in fünf Punkte zusammenfassen:<br />
1. Stigmata gehen von kollektiv geteilten Normvorstellungen<br />
aus und beziehen sich auf Individuen<br />
und Gruppen, die davon bewusst und absichtlich<br />
abweichen. Dies betrifft den Rechtsextremismus<br />
in seiner organisierten und öffentlichen<br />
Form als Partei, weil dessen politische<br />
Vorstellungen seit dem Holocaust weithin als<br />
nicht mehr legitim angesehen werden.<br />
2. Es geht bei einem Stigma aber nicht nur darum,<br />
eine Abweichung festzustellen, sondern<br />
diese darüber hinaus negativ zu konnotieren.<br />
1<br />
Der Verfasser ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an<br />
der Universität Siegen, Fachbereich 1/Soziologie.<br />
Diese negativen Zuschreibungen führen zu einer<br />
entdifferenzierenden, pauschalen Sichtweise<br />
des Stigmatisierungsobjekts, welche<br />
mit der eigentlichen Normabweichung nicht<br />
zwingend zusammenhängen muss. Dies lässt<br />
sich bei rechtsextremistischen Parteien beobachten,<br />
die in der Öffentlichkeit als Nazis bezeichnet<br />
werden, ohne zwischen ideologischen<br />
Variationen und Radikalisierungsgraden<br />
zu unterscheiden.<br />
3. Objekt der Stigmatisierung ist in der Regel<br />
ein Kollektiv. Dabei werden einzelne Personen,<br />
die das stigmatisierte Merkmal aufweisen,<br />
zu einem Typus zusammengefasst, bei<br />
dem alle einzelnen Personen gleichermaßen<br />
stigmatisiert werden. Bei rechtsextremistischen<br />
Parteien bedeutet dies, dass bei den einzelnen<br />
Mitgliedern nicht mehr der Grad der<br />
persönlichen Normabweichung zählt, sondern<br />
nur noch die Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen<br />
Partei ausschlaggebend für die<br />
negative Bewertung ist.<br />
4. Stigmatisierung wirkt sich auch auf das Verhalten<br />
aus. Es regelt das Nähe- bzw. Distanz-<br />
Verhältnis, indem es eine maximale Distanz<br />
impliziert. Dies schlägt sich darin nieder, Interaktionen<br />
mit den Stigmatisierten zu vermeiden<br />
oder aktiv zu verweigern. Neben den persönlichen<br />
Bemühungen um Abgrenzung erwächst<br />
daraus auch die Forderung nach sozialer Kontrolle<br />
und staatlicher Repression gegen die<br />
stigmatisierte Gruppe. So achten demokratische<br />
Akteure in Deutschland darauf, ein ausschließlich<br />
negatives Verhältnis zu rechtsextremistischen<br />
Parteien darzustellen und deren Legitimität<br />
nachdrücklich zu bestreiten.<br />
5. Der Prozess der Stigmatisierung geschieht öffentlich,<br />
so dass das Stigma zum geteilten Bestandteil<br />
der politischen Kultur gerinnt. Gerade<br />
in Deutschland ist das Negativurteil über<br />
rechtsextremistische Parteien ein stabiler und<br />
weitreichender Konsens in der Bevölkerung,<br />
den die politische Öffentlichkeit ständig reproduziert.<br />
Beispielsweise äußern sich demokratische<br />
Akteure über hohe Wahlergebnisse<br />
von rechtsextremistischen Parteien besorgt<br />
und über niedrige Wahlergebnisse erleichtert.<br />
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