Linksliberale Enterhaken - PRuF
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MIP 2013 19. Jhrg. Simon T. Franzmann – Wie lässt sich aus politikwissenschaftlicher Sicht ein Parteiverbot rechtfertigen? Aufsätze<br />
einen sind die Parteien Konkurrenten. Auf dieser<br />
Ebene müssen die Parteien verständigungswillig<br />
sein und zunächst die Meinung des anderen tolerieren.<br />
Nur wenn man auf dieser Ebene bleibt,<br />
erscheint das Parteienverbot im Widerspruch zur<br />
Meinungsfreiheit. Zum anderen sind nämlich die<br />
in der Regierung vertretenen Repräsentanten der<br />
Parteien zugleich Angehörige der Staatsorgane,<br />
die über die Einhaltung der Spielregeln zu wachen<br />
haben. Als solche haben sie geradezu die<br />
Pflicht, unsauber spielende Akteure aus dem<br />
Wählerstimmenkampf herauszuhalten. Solange<br />
die letztendliche Entscheidung über das Verbot<br />
anderer, überparteilichen Stellen wie in Deutschland<br />
dem BVerfG zukommt, ist auch dem Missbrauch<br />
eines solchen Instrumentes vorgebeugt.<br />
Andererseits gibt es natürlich das Phänomen des<br />
missbräuchlichen Parteienverbots. Dieses Phänomen<br />
ist in Autokratien wie defekten Demokratien<br />
anzutreffen. Formal wird dort auch mit der<br />
Integrität des Staatsgebietes oder der Sicherung<br />
des Friedens argumentiert werden. Wie kann ein<br />
solches missbräuchliches Verbot vom legitimen<br />
Verbot unterschieden werden? Indem das Kriterium<br />
für den Verbot ebenfalls auf die verbietende<br />
Instanz angewandt wird: Verfolgt die verbietende<br />
Instanz eine Strategie der gewaltfreien<br />
Konfliktaustragung? Ein Verbot der bloßen Meinung<br />
ist ohnehin nicht legitim, wie oben gesehen.<br />
Eine Inhaftierung des politischen Personals<br />
als Konsequenz eines Parteienverbotes ist eine<br />
gewaltsame Konfliktaustragung - und das eindeutigste<br />
Zeichen für ein missbräuchliches Verbot.<br />
Ein missbräuchliches Verbot liegt auch vor,<br />
wenn die politischen Institutionen die Chance<br />
auf eine gewaltfreie Äußerung und Umsetzung<br />
der entsprechenden Präferenzen erst gar nicht ermöglichen.<br />
Dann ist es die verbietende Instanz,<br />
die den Frieden bedroht, und nicht die verbotene<br />
Partei. Eine spezielle Form der reinen Konfliktorientierung<br />
liegt in der Propagierung der reinen<br />
Kooperationsorientierung, wie sie historisch leninistisch-marxistische<br />
Parteien vorgenommen<br />
haben 8 : Denn wer nur Kooperation zulassen<br />
möchte, negiert die unterschiedlichen Interessen<br />
8<br />
Hierauf hat Dahl in seinem berühmten Werk Polyarchie<br />
hingewiesen, in dem er explizit auf die leninistischen<br />
Parteien verweist. Robert A. Dahl: Polyarchy.<br />
Participation and Opposition. New Haven 1971.<br />
innerhalb einer Bevölkerung, erklärt sie mittelbar<br />
für illegitim und sucht eben keine gewaltlose<br />
Verständigung. Nicht nur die Kooperationswilligkeit,<br />
sondern auch die Konkurrenzwilligkeit<br />
sind friedensstiftende Eigenschaften.<br />
Prämisse 2: Eine zentrifugale Wettbewerbsdynamik<br />
ist dann unumkehrbar, wenn eine<br />
stabile Regierungsbildung auf Grund ausschließlicher<br />
Konflikt- oder Kooperationsorientierung<br />
einer der Regierungsparteien nicht<br />
mehr möglich ist.<br />
Folglich lässt sich festhalten: Wenn eine Partei<br />
die geregelte Konfliktaustragung mit einigen<br />
oder allen verständigungswilligen Akteuren des<br />
politischen System ablehnt, so ist sie zu verbieten,<br />
denn jede Form von Kooperation, Akzeptanz<br />
oder Tolerierung führt zu einer die Demokratie<br />
aushöhlenden Dynamik. Diese Dynamik<br />
zeigt sich in einer zentrifugalen Entwicklung des<br />
Parteiensystems, und die Zentrifugalität tritt<br />
dann ein, wenn stabile Regierungskoalitionen<br />
nur noch bei simultan beidseitiger Systemopposition<br />
geschlossen werden können. Die eigentliche<br />
Größe oder Wählerstimmenstärke der extremistischen<br />
Partei ist dabei weniger entscheidend<br />
als ihr indirekter Einfluss auf die Regierungsbildung.<br />
Anders als noch Jesse (2001; 2003) argumentierte<br />
9 , ist folglich nicht erst einzugreifen,<br />
wenn die Demokratie schon fast am Abgrund<br />
steht. Es geht darum, die unumkehrbare zentrifugale<br />
Dynamik nicht entstehen zu lassen. Wie<br />
oben gesehen, ist dies bei Berufung auf die<br />
Norm der Demokratie auch kein systemfremdes<br />
Element, da das Parteienverbot überhaupt die<br />
Voraussetzung schafft, zuvor von der Regierungsbildung<br />
ausgeschlossene Wählerpräferenzen<br />
ins politische System einzuschleusen. Aller-<br />
9<br />
Zum Beispiel Eckhard Jesse: „Soll die Nationaldemokratische<br />
Partei Deutschland verboten werden? Der Parteienverbotsantrag<br />
war unzweckmäßig, ein Parteienverbot<br />
ist rechtmäßig“, in Politische Vierteljahresschrift 42 (4),<br />
S. 683-697. Zitat auf Seite 688: „Ein Verbot kann nur<br />
ein letztes Mittel sein. Es stellt einen schweren Eingriff<br />
in die Parteienfreiheit dar, durch die sich eine liberaldemokratische<br />
Ordnung auszeichnet. (…) Oberstes<br />
Prinzip sollte für eine liberaldemokratischem Ordnung<br />
vielmehr sein: keine Freiheit zur Abschaffung der Freiheit.“<br />
Das zum Ende des Zitats formulierte oberste<br />
Prinzip halte ich übrigens für mit der hier vorgebrachten<br />
Argumentation vollkommen vereinbar.<br />
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