Linksliberale Enterhaken - PRuF
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MIP 2013 19. Jhrg. Axel Schwarz – Die Parteien, das Gemeinwohl und der oberste Wert Aufsätze<br />
higt und will deshalb mit Rücksicht auf die potenziell<br />
gefährdete Gesundheit der Staatsangehörigen<br />
das gentechnisch veränderte Produkt XY<br />
nicht im Inland zulassen. Man denkt sogar daran,<br />
die Zulassung davon abhängig zu machen, dass<br />
wissenschaftlich positiv nachgewiesen ist, dass<br />
solche Produkte keinen gesundheitsschädlichen<br />
Einfluss auf die menschliche Gesundheit ausüben.<br />
Kann der Aufnahmestaat das tun?<br />
Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um die Frage<br />
zu verneinen. Der tiefere Grund liegt u.a. darin,<br />
dass die Warenverkehrsfreiheit ein gerichtlich<br />
durchsetzbares Recht ist, der Gesundheitsschutz<br />
hingegen nur ein Programmziel, ein wichtiges<br />
Prinzip zwar, aber nicht durchsetzbar. Im Ergebnis<br />
nutzt es gar nichts, den Gesundheitsschutz<br />
als „zwingenden Grund des Allgemeininteresses“<br />
oder als Teil des Gemeinwohls einzustufen.<br />
In der Abwägung zwischen subjektivem Recht<br />
und einem Prinzip zieht das Prinzip in der Regel<br />
den Kürzeren. Das ist allenfalls dann anders,<br />
wenn es gar keine andere Möglichkeit des Gesundheitsschutzes<br />
gibt. Gegen die Einfuhr vergifteter<br />
Produkte z.B. kann natürlich immer eingeschritten<br />
werden. Obwohl nicht verkannt werden<br />
soll, dass die Gerichte durchaus über einen<br />
gewissen Entscheidungsspielraum verfügen 20 ,<br />
dürfte doch eines bei einigermaßen realistischer<br />
Einschätzung feststehen: Ein höherer Gesundheitsstandard<br />
eines Aufnahmestaates als in einem<br />
der Herkunftsstaaten ist nicht durchsetzbar.<br />
Nur am Rande sei erwähnt, dass jetzt – durchaus<br />
konsequent – Artikel 4 der EU-Verbraucherrechterichtlinie<br />
2011/83/EU vom 25. Oktober 2011 höhere<br />
Standards untersagt. Etwas Ähnliches können<br />
wir in Kürze im Bereich des Datenschutzrechts<br />
erleben. Dort wird die kommende EU-Datenschutzrichtlinie<br />
voraussichtlich den Sonderschutz<br />
sensibler Daten, wie er in Deutschland bisher<br />
existiert, beseitigen. Etwas provozierend lässt<br />
20<br />
Eine Zusammenstellung findet sich bei Wulf-Henning<br />
Roth, Freier Dienstleistungsverkehr und Verbraucherschutz,<br />
in: VuR 2007, S. 161-172, online verfügbar unter<br />
http://www.vur.nomos.de/fileadmin/vur/doc/2007/VuR<br />
_07_05.pdf, abgerufen am 25.12.2012. Roth teilt darin<br />
die Befürchtungen dieses Beitrags jedoch nicht, sondern<br />
vertraut vorsichtig darauf, dass ein Ausschluss der Berufung<br />
auf das Recht des Aufnahmestaats gemeinschaftsrechtlichen<br />
Bedenken begegnen werde, a.a.O. S. 171 f.<br />
sich voraussagen, dass alle in der Europäischen<br />
Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG genannten<br />
„zwingenden Gründe des Allgemeinwohls“ diesem<br />
Schicksal zum Opfer fallen werden, ganz<br />
gleichgültig, ob es sich um Bildung, Sozialwesen,<br />
lokale Wirtschaftsstrukturen, Arbeitnehmerrechte,<br />
Schutz des Mittelstandes und der Kleingewerbetreibenden<br />
oder was auch immer handelt. Das Gemeinwohl<br />
darf die Marktfreiheit nicht wesentlich<br />
beeinträchtigen. Die Marktfreiheit ist nicht nur<br />
vergleichbar mit dem goldenen Kalb des Alten<br />
Testaments, sondern darüber hinaus zu Beginn<br />
des 21. Jahrhunderts auch noch rechtlich gut abgesichert.<br />
Wer Gemeinwohl gegen die Vorgaben<br />
der Marktfreiheit durchsetzen will, kollidiert mit<br />
dem bestehenden Recht. Das gilt auch für die Parteien.<br />
Eine Partei, die heute gegen die Marktfreiheit<br />
einen höheren Standard durchzusetzen versuchen<br />
wollte, müsste auf europäischer Ebene nicht<br />
nur ein Vertragsstrafenverfahren einkalkulieren,<br />
sondern – soweit es um internationale Konzerne<br />
geht – auch Sanktionen der WTO-Schiedsgerichtsbarkeit,<br />
die das Budget einiger Mitgliedsstaaten<br />
locker überschreiten können.<br />
V. Interpretation des Ergebnisses<br />
Mehrere Interpretationen dieses Ergebnisses sind<br />
denkbar. Man kann diese Entwicklung wie einen<br />
Sachzwang hinnehmen und ihr vielleicht sogar<br />
etwas Positives abgewinnen, indem man den<br />
„Privaten Staat“, wenn er erst einmal zu einem<br />
Marktteilnehmer wie jeder andere Private mutiert<br />
sein wird, als eine Entwicklungsstufe des<br />
„Demokratischen Staatsrechts“ 21 betrachtet. Dieser<br />
wird allerdings – so steht zu befürchten – die<br />
in ihn gesetzten Erwartungen in positive Wachstums-,<br />
Beschäftigungs-, und Wohlfahrtseffekte<br />
kaum einlösen können. 22<br />
21<br />
So Walter Leisner, Wettbewerb als Verfassungsprinzip.<br />
Grundrechtliche Wettbewerbsfreiheit und Konkurrenz<br />
der Staatsorgane, Schriften zum Öffentlichen Recht<br />
1208, Berlin 2012.<br />
22<br />
Vgl. Konrad Lammers, Ökonomische Effekte der Dienstleistungsfreiheit<br />
in der EU. Die Dienstleistungsrichtlinie<br />
im Lichte empirischer Untersuchungen, Europa-Kolleg<br />
Hamburg, Institute for European Integration, Discussion<br />
Paper Nr. 2/10, http://Westeuropa-kolleg-hamburg.de/<br />
fileadmin/user_upload/documents/Discussion_Papers/<br />
DP2_10_Lammers.pdf, abgerufen am 01.12.2012.<br />
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