Linksliberale Enterhaken - PRuF
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Aufsätze Axel Schwarz – Die Parteien, das Gemeinwohl und der oberste Wert MIP 2013 19. Jhrg.<br />
und Gemeinwohl lässt sich explizit aus Artikel<br />
15 der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie<br />
2006/123/EG ablesen. Dort ist ausdrücklich normiert,<br />
dass die „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“<br />
genannten Gegenstände des Gemeinwohls<br />
an der Marktfreiheit zu messen sind<br />
und nicht etwa umgekehrt die Marktfreiheit am<br />
Gemeinwohl. Die Vertauschung der Maßstäbe<br />
vollzog sich in aller Stille und fast unbemerkt<br />
auch von der Fachöffentlichkeit. Natürlich gibt<br />
es auch Grenzen der Marktfreiheit, etwa in Form<br />
fundamentaler Menschenrechte. Außerdem darf<br />
die Marktfreiheit für Inländer in gewissem Umfang<br />
durch höhere soziale, gesundheits- und bildungspolitischen<br />
etc. Standards eingeschränkt<br />
werden. Die Inländerungleichbehandlung ist zugelassen.<br />
Aber man wird wohl bestrebt sein, genau<br />
das zu vermeiden, da dadurch ein grenzüberschreitender<br />
Wettbewerbsvorteil für ausländische<br />
Wettbewerber geschaffen wird, die diese<br />
höheren Standards nicht zu beachten brauchen.<br />
2. Internationales Recht<br />
Der Befund lautet also, dass die innereuropäische<br />
Rechtsordnung die Marktfreiheit höher<br />
wertet als das Gemeinwohl. Daran sind alle Europäer<br />
und auch die Parteien gebunden. Nun<br />
wäre das vielleicht nicht gar so tragisch. Denn<br />
immerhin gibt es Menschen- und Grundrechte,<br />
über die unabhängige Gerichte wachen. Manche<br />
Autoren lehnen sich an dieser Stelle zurück, weil<br />
sie der Meinung sind, dass das Gemeinwohl<br />
„eingebettet“ sei in die universal geltenden Menschenrechte.<br />
Aber auch das ist erst recht ein beinahe<br />
fataler Irrtum. Der Grund dafür liegt im internationalen<br />
Recht. Alle Mitgliedsstaaten der<br />
EU sowie die EU selbst sind Mitglied der Welthandelsorganisation<br />
WTO, haben sich deren Satzung<br />
unterworfen und sind an die entsprechenden<br />
WTO-Abkommen gebunden. Die WTO-Abkommen<br />
wiederum gehen als „zwingendes transnationales<br />
Recht“ 15 nicht nur dem nationalen,<br />
sondern auch dem europäischen Recht vor. Ein<br />
dem Völkerrecht vorgehendes jus cogens kann<br />
15<br />
Diesen Titel trägt die Dissertation von Moritz Renner,<br />
Zwingendes transnationales Recht. Zur Struktur der<br />
Wirtschaftsverfassung jenseits des Staates, Internationale<br />
Studien zur Privatrechtstheorie, Band 11, Baden-<br />
Baden, 2011.<br />
allenfalls dort Grenzen setzen, wo es um absolute<br />
Minimalstandards wie Sklavenhandel und Völkermord<br />
16 oder den „ordre public transnational“ bei<br />
Bestechung und Korruption 17 geht. Man kann<br />
schon froh sein, dass „die Anwendung zwingender<br />
nationaler Rechtsvorschriften durch die Gerichte<br />
eines Anlagestaates“ nicht bereits für sich<br />
genommen eine „Verletzung der völkerrechtlichen<br />
Rechtspositionen des Inverstors“ darstellt. 18<br />
Wenn z.B. ein Investitionsabkommen nicht auf<br />
das Recht des Anlagestaats verweist und dieses<br />
nicht rückverweist auf höherrangige völkerrechtliche<br />
Regeln, dann darf man fast sicher sein, dass<br />
selbst eine nationale Notstandsgesetzgebung<br />
nichts mehr retten kann, wie Renner an Fällen wie<br />
der Finanzkrise in Argentinien belegt. 19<br />
IV. Verhältnis von Gemeinwohl und Marktfreiheit<br />
Das folgende Beispiel mag das Verhältnis von<br />
Gemeinwohl und Marktfreiheit demonstrieren,<br />
wobei es hier nicht darauf ankommt, ob die eine<br />
oder andere darin vertretene Position zu befürworten<br />
ist oder nicht:<br />
Nehmen wir also an, ein gentechnisch verändertes<br />
Produkt XY sei in einem der Mitgliedsstaaten<br />
der Union – Herkunftsstaat – zugelassen und<br />
dort frei im Handel erhältlich. Schädliche Nebenwirkungen<br />
dieses Produktes werden wie immer<br />
befürchtet. Genaueres weiß man jedoch<br />
nicht und einen streng wissenschaftlichen Nachweis<br />
dafür gibt es auch nicht. Dieses Produkt<br />
darf also in alle Mitgliedsstaaten eingeführt werden<br />
und in allen Mitgliedsstaaten vertrieben werden.<br />
Nehmen wir weiter an, ein anderer Mitgliedsstaat<br />
– Aufnahmestaat – wollte seine Bürger<br />
über den allgemeinen Standard hinaus schützen.<br />
In diesem Aufnahmestaat hat man davon<br />
gehört, dass etwa zwei Drittel der Tiere, die mit<br />
gentechnisch veränderten Futtermitteln ernährt<br />
wurden, eine signifikante Veränderung der inneren<br />
Organe aufweisen. Obwohl dazu keine näheren<br />
Forschungen verfügbar sind, ist man beunru-<br />
16<br />
Vgl. Renner a.a.O. (Fn. 15) S. 147 f.<br />
17<br />
Vgl. Renner a.a.O. (Fn. 15) S. 162.<br />
18<br />
So Renner a.a.O. (Fn. 15) S. 152.<br />
19<br />
Renner a.a.O. (Fn. 15) S. 157 ff.<br />
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